Lotusblüte von Jaelaki ([Sasuke & Sakura | Kakashi & Yamato]) ================================================================================ Prolog: Lotusglut ----------------- ________________________________________________ Leise fällt der Regen auf meine Finger, perlt lautlos hinab nach seiner schweren Reise, wie von einer Lotusblüte. Faszinierend auf ihre Weise, leuchtend in der Dunkelheit, als ob sie langsam verglühte. So wie wir. ________________________________________________ Kakashi wankte, doch er hielt sich auf den Füßen. Schweiß durchtränkte seine Kleidung. Unter seiner Maske fiel ihm das Atmen schwer. Verkrampft beugte er sich über ihn. Der Körper auf der feuchten Erde, blutgetränkt. Obito erwiderte seinen Blick ruhig. Er wusste wohl, es war ein Abschied. Die letzten Worte. Schon wieder. Ein Keuchen, ein Flüstern, Worte. Bei jedem weitete sich das unbedeckte Auge Kakashis. ________________________________________________ Der Himmel ist blaugrau, dunkle Wolken. Er. Auf seinem Weg. Du. Ein wortloses Lächeln. Trauer und Reue. Unsere Freundschaft ein Privileg. ________________________________________________ Sakura zog die Handschuhe fester. Verletzte lagen auf der feuchten Erde. Verdreckt. Verblutend. Sie versorgte die Versehrten notdürftig. Die Medikamente waren knapp. Die Medinin der Anzahl an Verletzten kaum gewachsen. Irgendwo wimmerte jemand. Krieg war nicht ruhmreich. Krieg war nicht heldenhaft. Krieg war dreckig. Und es hörte nicht mit den Schlachten auf. Sie kniete mit zusammengekniffenen Augen vor ihm. Müdigkeit durchwob ihren Blick, doch sie hatte keine Zeit, um zu schlafen. Nicht jetzt. Nicht kurz bevor – dann spürte sie dieses Chakra, fuhr hoch und wusste, dass sie nicht allein war. Es war nicht Naruto, der sie ansprach. ________________________________________________ Ich sehe es in deinem Gesicht. Mein Gesicht benetzt von schweren Regentropfen. ________________________________________________ Sasuke stand plötzlich da und als er »Sakura« sagte, klang es wie ein Befehl. Sie sah auf und er erkannte sofort, dass Naruto am Lebensende entlang balancierte. »Sakura-chan, wir haben gewonnen«, hauchte Naruto und der Schatten eines Grinsen zeichnete sich in seinen Mundwinkeln ab. Sie warf einen Blick in Sasukes schwarze Augen, nahm am Rande wahr, dass Sai hinter ihm stand. Doch sie spürte ganz deutlich die Eiseskälte in ihrem Körper. Sie hatte keine Zeit dieser Furcht nachzugeben. Der Müdigkeit. Oder der Frage: Was, wenn – Der Krieg war offiziell beendet. ________________________________________________ Was suchst du hier? Wer wir waren? Wer wir waren, mehr sind wir nicht, nicht mehr, wünsche ich mir. ________________________________________________ Sasuke stand da, an die Wand gelehnt, starrte an die andere. »Naruto, er – wir haben gewonnen«, resümierte er nüchtern. Sakura schwieg. Mit bleichem Gesicht lag Naruto in einem der wenigen Krankenbetten in einer provisorischen Baracke. Regelmäßiges Piepsen ertönte von den Geräten, Kochsalzlösung tropfte in seine Vene, ein zentraler Venenkatheter prangte an seinem Hals, dem Schlüsselbein. Das Chakra zirkulierte. Schwach, aber es war da. »Er wird überleben«, entgegnete sie dann in die Stille und war im Begriff das Zimmer zu verlassen, als Sasukes Hand plötzlich auf ihrer Schulter ruhte. Ihr Blick fuhr hoch, verdunkelte sich, er begegnete ihm stoisch. Dann ließ er die Hand sinken und sie ging. ________________________________________________ Vom Mond beschienen, von der Sonne bestrahlt. Unwegsam in dunkler Nacht ein buntes, schwarz-weißes Bild gemalt. ________________________________________________ Obita lag in seinem Blut. Die Worte, die er gerade offenbart hatte, ein Flüstern, hingen noch in der Luft. »Lebt er?«, fragte Kakashi fordernd, durchschnitt die Stille. Obito keuchte vor Schmerz. »Ich – weiß es – nicht«, flüsterte er schwach. »Aber du – weißt jetzt, wo –« Damit erlahmte sein Stöhnen. Kakashi musterte ihn und richtete sich auf. Einen Moment verharrte er. Wenn es stimmte, dann – Mit energischen Sprüngen jagte er zurück, über ein Schlachtfeld, das nicht nur Freunde getötet und Familien zerrissen hatte, sondern über dem jetzt auch noch das höhnische Gefühl von Hoffnung waberte. ________________________________________________ Ich war und bin. Doch du bist nicht da. Ich frage mich, bist du jetzt dort, wo ich doch schon war. Oder verglühen wir gemeinsam, wie die Lotusblüte bei Nacht, gemeinsam einsam und doch voll verbrennender Macht. ________________________________________________ Tsunade kontrollierte gerade Narutos Werte, als Sakura in das Zimmer eilte und sie atemlos anstarrte. Kakashi und Sai standen hinter ihr in der Tür. »Was ist schon wieder los?«, donnerte die Stimme der Hokage durch sie hindurch. »Ich habe Hinweise«, erklärte Kakashi ruhig, »wo sich Tenzou aufhält.« Kapitel 1: Jede Knospe nährt die Hoffnung. ------------------------------------------ ________________________________________________ Wir stehen uns gegenüber, planlos, haltlos, zukunftslos. Und die Fragen sind verhallt, die Antworten bedeutungslos hinüber. Schmerzlich wirklich. ________________________________________________ »Wir befinden uns fast an Zielort f«, flüsterte sie in das Mikrophon des Head-Sets. Das Funkgerät knisterte. »Verstanden«, raunte ihr die Stimme ihres ehemaligen Senseis zu, »wir –«. Das Klicken und ein Rauschen zeugte vom Verbindungsabbruch. Erschöpft fuhr sie sich über das verschwitzte Gesicht, ihre Glieder kämpften gegen die Müdigkeit und mit dem steilen Abgang. Doch sie hastete weiter. Immer weiter in die unterirdischen Gänge. Ein Labyrinth, das ihr zuflüsterte, niemals wieder Sonnenlicht auf der Haut zu spüren. Ihre Lungen vollgepumpt mit sauerstoffarmer Luft. Stickig und eng und dunkel war es. Die Wände aus Erde nah. Ihre Schritte hetzten tiefer. Daneben jagte ihr Teammitglied, warf ihr einen vagen Blick zu. Sie nickte. Das Gefühl der Unsicherheit grub sich weiter in ihre Beine, was sie ignorierte. Keine Blöße. Keine Schwäche. Sie war keine Zwölfjährige mehr. Und diese Mission war wichtig. Wichtiger als ihre schmerzenden Muskeln, wichtiger als ihre aufkeimende Furcht in der Enge. Dann erlahmten ihre Schritte und sie standen in einer Sackgasse. »Wie sollen wir – diese Wand. Hier müsste sich eine Tür befinden«, beharrte sie ungläubig. Uchiha Sasuke erwiderte ihren Blick stoisch, dann färbten sich seine Augen blutrot, als er sich ruhig von ihr abwandte und einige Schritte auf die erdige Wand zu machte. Seine schwarzen Pupillen verdrehten sich, feine, schwarzen Linien gruben sich in seine Iris. »Sasuke, was –« Steine bildeten sich vor ihren Augen, hoben sich ab von der dunklen Erde und formten eine Tür, die über den Boden dröhnte, als sie sich plötzlich schwerfällig in Bewegung setzte. Sakura erstarrte, beobachtete die Szene gebannt. Mit einer herablassenden Geste wandte sich Sasuke ihr halb entgegen. »Es gibt Dinge, auf die man sich nicht verlassen kann«, raunte er, zuckte die Achseln, »und Dinge, auf die immer Verlass ist.« Hohn ummantelte seine Worte. »Und die Arroganz meines Clans bezüglich des Sharingans gehört wohl zu letzterem.« Er war im Begriff durch die Tür zu schreiten, als Sakura ihn unwirsch am Ärmel packte. »Da kann ich dir nur zustimmen«, zischte sie, »andernfalls könnte ich es mir nicht erklären, warum du da jetzt so blind hineingehen wolltest. Abwehrmechanismen könnten noch intakt sein.« Sasuke fixierte sie und sie ließ ihn instinktiv los. Innerlich zählte sie bis fünf, um die beißende Wut auf seine kühne Vorgehensweise wieder in den Griff zu bekommen, doch die Arroganz in seinem Blick provozierte sie. »Obwohl er sicherlich nicht damit gerechnet hat, dass –«, bemerkte sie voller Missachtung, sparte sich jedoch weitere Worte, als Sasuke über die hohe Schwelle stieg. »Arroganter Arsch«, murmelte sie, riskierte einen Blick, wartete wenigstens auf seine Schreie, doch – nichts. Also seufzte sie genervt und folgte ihm, alles in ihr vor Anspannung zum Zerreisen. _ Das Rauschen waberte zwischen seinen Gedanken und machte sie zäh. Mit einer Bewegung zog er sich das Head-Set vom Kopf und atmete tief ein. Er musste klar denken. Diese Mission – Kakashi Hatake blickte ausdruckslos auf und sah direkt in die Augen seines Teammitglieds. Dunkle Augen fingen seinen Blick wachsam auf und warteten auf eine Regung. Er nickte. Seine Nin-Ken stoben auseinander und Sai schwenkte den Pinsel in einer einzigen Bewegung. Wiederholte sie ohne ein Zögern. Etliche pergamentfarbene Mäuse sprangen auf die feuchte Walderde hinab und verschwanden in Ritzen, Löchern, unter faulendem Gehölz, in frischer Erde und zwischen Gebüsch, das raschelte. Irgendwo hier. Hier musste es sein. Irgendwo hier. Das hier war die andere Möglichkeit. Entweder hier oder – er hoffte in jedem Falle, Sakura und Sasuke würden keine unbedachte Aktion wagen. Er seufzte. Sais Mäuse kehrten zurück. Ergebnislos. »Hier ist es nicht«, brummte Pakkun plötzlich neben ihm. Kakashi lehnte sich gegen einen Stamm, sah zu ihm hinab, zog sich sein Stirnband zurecht und fragte ruhig: »Bist du dir sicher? Es handelt sich immerhin um ein gut geschütztes Versteck.« Pakkun erwiderte seinen Blick unverdrossen. »Ich bin mir sicher. Hier ist kein Eingang, den ein Uchiha die letzten Tage verwendet hat.« »Was macht dich so sicher?« Diese Mission – er hatte sich daran gewohnt, zu spät zu kommen. Auch seine Kameraden. Aber nicht, wenn es um Freunde ging. Er hatte sich daran gewohnt, Befehle auszuführen. Befehle, die Leid und Tod brachten. Aber nicht, wenn es um Freunde ging. Mit einem Grummeln stierte Pakkun zu ihm hoch. »Uchiha und ihre Arroganz. Das stinkt bis zum Himmel.« _ Es war dunkel, ein grünliches Licht waberte durch den Spalt einer weiteren Tür. Und obwohl Uchiha Sasuke für seine stoische Art berühmt und berüchtigt war, spürte Sakura, wie sich sein Körper neben ihr anspannte. Das Brennen ihrer Muskeln überdeckt durch das Adrenalin in ihren Adern. Er schenkte ihr einen knappen Blick und sie fixierte die Holztür, die Sasuke wie auf Kommando mit einer Bewegung aufstieß. Er verharrte, suchte etwas mit den Augen, schien es zu finden – oder eben auch nicht und trat hindurch. Mit bis zum Reißen gespannte Nerven folgte auch sie in die grün schimmernde Höhle. Unglaube, Faszination – diese Art Faszination, die eine Gänsehaut über die Haut jagte – und Atemlosigkeit kämpften in ihrem Körper. Sasuke stand zwei Schritte vor ihr. Sie folgte seinem Blick hinab auf den Grund der Höhle, deren Boden geflutet war. Das grüne Licht strahlte von einer riesigen Pflanze, die sich durch das unterirdische Versteck grub. Es spiegelte sich in dem Wasser, in dem die Wurzeln mündeten. »Was –«, murmelte sie sprachlos. An einzelnen Ästen hingen verkrüppelte Zetsu. Die grünen Stiele strebten der Höhlendecke zu, die sicherlich fünfzig Meter über dem Grund ragte. Eine Blüte, deren weiße Blätter rosa zuliefen. »Ein Lotus«, stellte Sasuke fest. Sakura schenkte ihm einen ungläubigen Blick. »Und das ist wirklich das erste, was dir hier auffällt?«, entgegnete sie trocken. Er zuckte die Schultern, wägte etwas mit seinem Blick ab und sprang mit einem kräftigen Satz den Felsenvorsprung hinab. »Ein Lotus«, echote Sakura verstimmt und setzte ihm nach. Ihre Augen gewöhnten sich an das Licht, sie tastete die Pflanze mit ihrem Blick ab. Irgendwo. Irgendwo hier. Sie atmete tief ein, bemerkte erst jetzt, dass sie den Atem angehalten hatte. Es war hier. Und sie wusste, dass er hier sein musste. Irgendwo. »Sakura!«, hörte sie plötzlich Sasuke scharf rufen. Ihr Magen zog sich zusammen. Bitte. Sie jagte über die breiten Äste, balancierte die dünneren Stängel entlang und landete neben Sasuke knapp über der Wasseroberfläche. Ein schlaffer Körper ragte aus dem Stamm der Pflanze. Eiseskälte breitete sich in ihren Lungen aus, als sie ihre Hand nach ihm ausstreckte. _ Kakashis Mundwinkel zuckten in unterdrücktem Amüsement, als er durch das Dickicht stob. Sai knapp hinter ihm. Pakkun jagte vor ihnen her, führte sie ohne Umwege von Zielort e zu Zielort f. Sein schwaches Flüstern. Sein Röcheln. Seine vom Fieber matten Augen. Kakashi schüttelte vage den Kopf – wie, um diese Bilder abzuschütteln. Die Angaben waren nachvollziehbar, aber nicht eindeutig gewesen. Es gab diesen Prozentsatz, der Fehlkalkulationen nahe legte. So wie diesen. Wieder einmal. Es musste Zielort f sein. Es musste. Sie mussten ihn finden. _ Der Körper. Wie tot aus dem verholzten Stamm. Bleich und unbeweglich hingen seine Arme dem Boden entgegen. Das Gesicht wie versteinert. Es schien nicht, als schliefe er. Es schien, als wäre er plötzlich aus dem Leben gerissen worden. Knöchern und mager war sein Gesicht dem Boden entgegen gewandt. Die Arme ausgemergelt. »Yamato-sensei«, hauchte Sakura, räusperte sich und konzentrierte sich krampfhaft auf das Wesentliche. Ihre Hände strichen über seinen Körper, sirrendes, blaues Chakra in den Fingerspitzen, als sie nach irgendeinem Anzeichen suchte, dass – »Er lebt«, verkündete sie nüchtern, doch den überraschten Ton nicht restlos verbergend, „gerade so.“ »Diese Pflanze«, konstatierte Sasuke, der den Körper mit blutroten Augen fixierte, »wir benötigen mehr Informationen, um das weitere Vorgehen –« Sakura blinzelte. »Was?«, zischte sie. »Was gibt es da für eine Frage? Wir müssen ihn befreien! Das ist die Mission! Was, wenn diese Pflanze ihm das Chakra entzieht?« Sasuke lehnte sich zurück an eine breite Astgabelung. Sein Blick bohrte sich in den ihrigen. Stur hatte sie ihre Hände in die Hüften gestemmt. »Falsch. Die Mission ist, ihn zu bergen. Möglichst lebend.« Tief einatmend versuchte sie sich zu beruhigen, legte kühle Professionalität über ihre Mimik, um ihm nicht einfach in den Magen zu schlagen. »Dieser Teil der Mission ist mein Spezialgebiet. Ich bin für seine gesundheitliche Versorgung verantwortlich«, bemerkte sie kühl. Sie sah den dicken Stamm entlang, hinauf, legte ihren Kopf in den Nacken. Dann schwenkte ihr Blick zurück zu Sasuke, der sich lässig vom Ast abstieß, den verholzten Stamm entlang strich und mit karminroten Augen Yamato fixierte. Sein Oberkörper ragte aus der Pflanze heraus, doch die Hüfte schien mit den Grenzen des Stammes zu verfließen. Sakura wollte sich kaum vorstellen, in welchem Ausmaße seine Zellen mit denen der Pflanze verflochten waren. »Sollte die noch nötig sein, nachdem er sich von der Pflanze getrennt hat«, spöttelte Sasuke. »In dieser Situation wäre das Byakugan hilfreich – leider haben wir für diese Mission nur das Sharingan übrig gehabt«, erwiderte Sakura nicht minder spöttisch, verschränkte ihre Arme provokant vor der Brust. Sasuke schnaubte. »Ich leite dieses Team und ich betone, dass Kakashi diese Mission leitet. Er wird entscheiden«, erinnerte Sasuke sie. »In dieser Angelegenheit seid ihr mir nicht vorgesetzt. Du vergisst meine Ausbildung. Es geht hier um medizinische –« »Und du vergisst meine. Ich hab schon viel – Bizarres gesehen. Das hier ist keine einfache Frage medizinischer Aspekte.« »Du meinst wohl Menschenverachtendes und Widerwärtiges«, höhnte Sakura dunkel und funkelte ihn an. »Einfach ist hier übrigens wohl gar nichts.« »Es übersteigt deine Kompetenz, Sakura. Es geht hier nicht nur um seine Gesundheit. Die Geheimnisse seines Körpers gehören Konoha. Wir warten auf die Verstärkung.« Zorn loderte in ihr auf. »Du hast keine Ahnung von meinen Kompetenzen.« Er ignorierte den Widerspruch und wandte ihr den Rücken zu. Widerspenstige Worte blieben auf ihrer Zunge kleben, als sie – Sasukes Blick folgend – mit breiten Schwingen weiter hinten einen pergamentfarbenen Vogel den steilen Vorhang hinunter segeln sah. _ Zwischen den engen Wänden aus Erde waberte das grünliche Licht entlang und führte sie in die nächste Kammer. Es erweckte eine morbide Neugierde in Kakashi. Wie die eines Kindes, dem verboten worden war, auf die Herdplatte zu langen. Er erwartete geradezu sich bald zu verbrennen. Eine zweite Tür. Der Raum, in dem das Licht seinen Ursprung zu finden schien. Er stieß die Tür auf. All seine Sinne angespannt. Als erwartete er Schmerz. Doch – nichts dergleichen. Vor ihnen breitete sich eine überraschend gewaltige Höhle aus. Eine imposante Pflanze wand sich inmitten des Raumes gen Decke und mochte mit ihrer weitläufigen Blüte an die vierzig Meter messen. Dieser unerwartete Anblick bannte Kakashis Blick für einen Moment. Er spürte, wie auch Sai neben ihm verharrte. Dann regte der sich und zeigte auf zwei Gestalten, die sich knapp über dem Wurzelwerk der Pflanze, gegenüber standen. In ihm nagte ein ungute Gefühl. Als stünde der Herd noch in ausreichender Entfernung, doch seine Hand ausgestreckt, nur eine Frage der Zeit, bis er den Schmerz spüren sollte. »Sai«, meinte er ruhig und schon erwuchs ein ansehnlicher Vogel, die Schwingen kräftig und breit, aus der Pergamentrolle. Mit einem Sprung landeten sie auf dem gefiederten Rücken und segelten die steile Klippe hinab. _ Der Körper des Vogels landete mit einem Windstoß neben ihnen. Noch bevor er mit seinen Krallen den Boden berührte, sprangen zwei Schatten auf die feuchten Wurzeln und richteten sich auf. Das grünlich schimmernde Licht reflektierte in ihren Mienen, über die professionelle Distanz gestülpt worden war. Sakura glaubte trotzdem, etwas über Kakashis Gesicht zucken zu sehen – danach war sie sich aber nicht mehr sicher und schob ihren Eindruck auf das Ambiente. Sasuke berichtete knapp die bisherige Situation, während Kakashi mit betont gelangweiltem Blick an den Lotusstamms schlenderte, geradezu behutsam das Holz entlang strich, sein Blick auf die bewegungslose Gestalt Yamatos gerichtet und tief einatmete. »Das heißt, er lebt«, resümierte Kakashi und musterte Sakura, um die Fakten bestätigt zu sehen. Mit der Frage wurde sich Sakura sofort der Aufmerksamkeit dreier Blicke bewusst. Sie nickte langsam. »Dann müssen wir ihn ja lediglich bergen«, stellte Sai fest. Seine gewohnt unsentimentale Art hätte Sakura auflachen lassen, wäre die Situation nicht so ernst gewesen. »Und was schlägst du vor? Die ganze Pflanze mitzuschleppen?«, fragte Sasuke trocken, als er sich von einem der Äste abstieß und auf sie zuschlenderte. Sai überlege offensichtlich und war im Begriff zu antworten als er ihn genervt abwürgte. »Ja, Sarkasmus.« Ausdruckslos wandte sich Sai wieder der abgemagerten Gestalt Yamatos zu, betrachtete die Verschmelzung von Pflanze und Mensch, als studierte er Insekten. »Gibt es denn eine Möglichkeit, ihn von dieser Pflanze zu trennen, ohne seinen Körper in zwei Hälften separieren zu müssen?«, fragte er nüchtern. Eine Welle spülte über Sakura hinweg, die das Gefühl des Ekels mit sich brachte, des Unglaubens, der Hilflosigkeit. Aber auch heißes Adrenalin, das ihre Gedanken zum Rasen anfeuerte. »Wir können ihn jedenfalls nicht hier zurücklassen.« Sasukes Stimme trug etwas Endgültiges in sich. Etwas, das nichts mit Empathie oder Kameradschaft zu tun hatte. Mit einem plötzlichen Verständnis, schaute Sakura entsetzt auf. Die Geheimnisse seines Körpers gehören Konoha. Der Körper eines Ninjas war voller Geheimnisse. Das war die Mission. Konohas Geheimnisse zu wahren. Es war keine Rettungsmission. Und obwohl es ihr niemand sagte, wussten es offensichtlich alle. Sakuras Mimik verdunkelte sich. Sollten sie keine Möglichkeit finden, Yamatos Zellen von denen der Pflanze zu entflechten, ihn somit lebendig zu bergen, dann – Ihr Blick wanderte zu ihrem ehemaligen Sensei. Kakashi schwieg. Sein Blick auf den ausgemergelten Körper gerichtet, strich sich durch sein chaotisches Haar, ehe er sich an Sakura wandte. »Deine Einschätzung als medizinisch spezialisierte Einheit in dieser Mission?« Ein unpassendes Gefühl des Triumphs durchströmte sie, als sie Sasuke einen knappen Blick zuwerfend, tief einatmete. »Unter der Prämisse, dass sich die Pflanze gewaltsam mit seinem Körper vereint hat, sehe ich keine Möglichkeit, seine Zellen von denen der Pflanze loszulösen, ohne seinen Körper, der offensichtlich ja bereits erheblich geschwächt ist, endgültig zu zerstören.« »Das heißt, wir müssen ihn insoweit bergen, dass er keine Gefahr für Konoha darstellen kann«, resümierte Sai teilnahmslos, schritt ungerührt auf Yamato zu und bestätigte Sakuras Ahnung. Sie stellte sich dazwischen. »Was, wenn sich sein Körper mit ihr auf natürliche Weise verbunden hat?«, zischte sie und schaute auf. Kakashis Blick fuhr zu ihr, bedachte sie nachdenklich. Seine Augen leicht zusammengezogen. Sie erwiderte ihn mit dem bizarren Gefühl von Hoffnung und Unsicherheit. »Auf natürliche Weise?«, hakte Sasuke nach. Seinem Tonfall war anzuhören, dass er sich eine derartige Verschmelzung auf natürliche Weise nicht vorstellen konnte. Ihr Blick schwankte von Kakashis ausdrucksloser Mimik zu Sasuke, der sie kritisch musterte. Sie schnaubte, strich den Pflanzenstamm entlang, die Holzfasern, berührte die Übergangslinie von Pflanze zu Mensch. Sie hatte sich nie wirklich viel Gedanken über Yamatos Fähigkeiten gemacht. Er hatte Naruto beim Training geholfen, ihn durch komplexe Phasen mit dem Fuchsungeheuer gebracht. Er hatte sie beschützt, als sie in einem Team Missionen verfolgt hatten. Seine Fähigkeiten waren Legende und Erbe. Segen und Fluch. Status und Macht. Provokation und – sie hatte nicht wirklich daran gedacht. Sie hatte keine Ahnung gehabt, welche Ausmaße diese Mission würde annehmen können. Offensichtlich ging es ihrem Gegenüber keineswegs so. Offensichtlich hatten sie damit gerechnet. Offensichtlich gab es noch eine andere Seite der Medaille. Eine, die ihr nicht vor die Nase gehalten wurde. Aber hier stand sie nun und hatte es begriffen. Rettung, wo möglich. Beseitigung, wo nötig. Wut sammelte sich in ihrem Bauch. Dieser Anblick. Die Verflechtung von Mensch und Pflanze. Diese Symbiose. Es konnte kein Zufall sein, dass ausgerechnet Yamato, der Letzte, der diese Fähigkeit in sich trug, hier vor ihnen mit diesem gigantischen Lotus verschmolzen war. Provokation und Hoffnung. Es konnte kein Zufall sein, dass Tsunade sie mit auf diese Mission geschickt hatte. Ihre Gedanken rasten. Es musste eine Möglichkeit geben. Diese Mission überschritt nicht ihre Kompetenzen. Nur weil sie nicht tatenlos zusehen würde, wie sie die Geheimnisse dieses Körpers, einen Menschen beseitigen würden. Sie zog ihre Augen zusammen. Und sie würde es Sasuke beweisen. »So wie bei der Anwendung des Mokutons«, schloss sie so überzeugt wie möglich mit diesem Gefühl im Magen und blickte mit geballten Fäusten in die Runde. Sie würde einen Kameraden nicht aufgeben. _ Kakashi sah, wie seine ehemalige Schülerin geradezu bedächtig den Stamm entlang strich und ihre Finger dort verharrten, wo sich die verholzten Pflanzenfasern um menschliche Zellen wandten. Ihre Worte berührten etwas in ihm, das ihn etwas Unvertrautes spüren ließ. Hoffnung. Das Gefühl, sich zu verbrennen, lastete noch immer auf seinen Schultern. Der Ofen brannte heiß. Nur wenige Meter entfernt. Tenzous Gesicht hing leblos hinab. Aber er spürte auch, wie er langsam seine Finger in der Luft verharren ließ. Für einen Moment. Vielleicht musste er es doch nicht tun. Der Befehl war klar und deutlich. Er hing über ihm, brannte zwischen seinen Fingern. »Wir müssten ihn zu Bewusstsein bekommen. Dann wäre es theoretisch möglich, dass er sich von der Pflanze mithilfe des Mokutons trennt«, behauptete Sakura und über Kakashis Lippen unter seiner schwarzen Gesichtsmaske zuckten ein Lächeln. Das Funkeln in ihren Augen kam ihm so bekannt vor. »Wenn er nicht zu Bewusstsein kommt, werden wir einen anderen Weg einschlagen müssen«, hielt Sai stoisch dagegen. »So lautet der Befehl.« Kakashi beobachtete Sakuras Mienenspiel. Schnaubend hielt sie inne. »Bevor wir an einen anderen Weg denken, sollten wir zunächst den gegebenen gehen«, feuerte sie Sai entgegen und krempelte die Ärmel hoch. Es war Befehl. Er war es gewohnt, Befehlen zu folgen. Aber er hatte vor langer Zeit einmal zu jemandem gesagt, dass der Befehl, einen Freund zu töten, kein valider Befehl sein konnte. Kakashi betrachtete den bleichen Mann vor sich. Er stand zwischen Pflicht und Freundschaft. Es brachte ihn zu einem gequälten Lächeln. Dann schenkte er Sakura einen Blick, in dem seine Entscheidung geschrieben stand. Er zwinkerte ihr zu. »Bring ihn zurück, Sakura.« _ Pulsierendes Chakra schlängelte sich um ihre Hände. Langsam pumpte sie es in Yamatos Brust. Sie spürte seine Rippen. Mit jedem Chakrastoß befürchtete sie, ihm die Lungen zu zerquetschen. Er wirkte so fragil. Dem Tod näher als dem Leben. Sein Schlüsselbein zeichnete sich viel zu stark ab. Schweiß rann ihr die Schläfen hinunter. Nicht zu viel, ermahnte sie sich, nicht zu wenig. Sie kontrollierte das Chakra, versuchte es möglichst ruhig in seinen Körper einzuschleußen. Die Angst stand direkt hinter ihr, atmete ihr ins Ohr. Doch da war auch Hoffnung, die ihr zuflüsterte. Dieses Gefühl. Die Möglichkeit. Sie würde nicht dabei zusehen, wie ihre eigenen Kameraden einen anderen Kameraden umbrachten. Ihm das letzte Chakra aus den Adern pressen, das Blut zum Stillstand, die Hoffnung zerschmettern würden. Nur wegen Geheimnissen. Vagen Geheimnissen, die ihren Schatten über ein Menschenleben warfen. Ihr Atem ging keuchend. Die Anstrengung ließ bunte Punkte vor ihren Augen flimmern. Es war nicht die Menge an Chakra, die sie keuchen ließ. Es war die Kontrolle. Dann spürte sie plötzlich, wie sie nachgaben. Zwei Rippen bohrten sich unter ihren Fingern in sein Fleisch. Ihre Augen weiteten sich entsetzt. Die Hoffnung verstummte. Die Angst schrie ihr ins Ohr. Kapitel 2: Müssen nun alle verwelken, denn du bist fern. -------------------------------------------------------- ________________________________________________ Du erinnerst mich, daran, wie es war. Du erinnerst mich daran, wie es nie wieder sein wird. Die Träume von damals. Sie sind nicht mehr da. Wir. Du und ich. Erinnerst du dich? ________________________________________________ Entsetzt starrte sie hinab auf den regungslosen Körper. Das Knacken der Rippen dröhnte noch in ihren Ohren und ließ Schweiß ihre Schläfen entlang laufen. Vielleicht musste sie gar nicht zusehen, wie ihre Kameraden ihn töteten, zuckte ein überraschend klarer Gedanke durch ihren Kopf, vielleicht schaffte sie das ganz alleine. Kakashi Hatake nahm wahr, wie Sakuras Augen sich weiteten. In diesem Augenblick dachte er, dass es keine Möglichkeit mehr gäbe. In seinem Innern herrschte Stille, absolute Stille – wie immer, wenn sich vor seinen Augen Leben und Tod einen erbarmungslosen Kampf lieferten. Er spürte ganz deutlich seinen eigenen Herzschlag in den Ohren dröhnen. Ihre Augen glänzten vor Anstrengung, ihre Mimik war unleserlich, aber offensichtlich aufgrund ihrer Mühen verzogen. Dann wurde ihm ihre Blässe bewusst und der rötliche Hauch auf ihren Wangen. Und noch etwas: Das sture Glitzern in ihren Augen. Sais Blick ruhte auf dem grünlichen Chakra, das sich um Sakuras Handgelenke, die Finger hinab schlängelte. Es war ein helles Grün. Als hätte sich eine Waldlichtung und das Sonnenlicht vermischt. Nicht wie Acryl-, eher wie Wasserfarben. Und ein pulsierendes Licht – als ließe die Sonne den Wald erstrahlen – drang durch das Apfelgrün. Sein Blick wanderte zu ihrem Gesicht, das vor Anstrengung verzerrt war – kein schönes Motiv – aber die Röte auf ihren Wangen und der Kontrast zu ihren grünen, schimmernden Augen bannte ihn einen Augenblick. Er musste sich bei Gelegenheit wieder Farben kaufen. Uchiha Sasuke verfolgte Sakuras Handeln mit Distanz. Sein Blick flog über ihre zierliche Gestalt und das vor Mühen verkniffene Gesicht. Egal, ob sie erfolgreich war oder nicht. Die Mission war so gut wie abgeschlossen. Sie hatten Yamato gefunden. Jetzt mussten sie ihn nur noch zurückbringen. Ob lebend – oder tot. _ Sie spürte es. Plötzlich. Als hätte jemand sie geschlagen. Unerwartet. Dann zuckte sein Oberkörper zusammen. Und sie hätte beinahe vor Schreck die Chakrazufuhr unterbrochen, als sich auch seine Augenlider bewegten und er sie mit aufgerissenen Augen anstarrte. »Yamato-sensei«, krächzte sie. Die Anstrengung ließ ihre Finger und Stimme zittern. »Yamato-sensei«, wiederholte sie entschlossen, »können Sie mich hören?« Sein Blick versuchte, sie zu fokussieren. Sein Kopf zuckte, was sie als ein Ja interpretierte. »Versuchen Sie, sich mithilfe des Mokuton von dem Pflanzenstamm zu lösen. Versuchen Sie –« Seine Augenlider flatterten. Ihre Chakraeinflösung schwankte. Langsam kam sie an ihre Grenzen. Ganz ohne Iryounin-Team und medizinische Ausstattung. Wenn er wieder ohnmächtig werden sollte – sie wusste, das hier war ihre einzige Chance. Und sie würde nicht aufgeben. Mit verengten Augen konzentrierte sie sich auf eine Erhöhung, ein wenig mehr Druck, ein bisschen mehr. Sie spürte, wie ihr Chakra in Yamatos Organismus eindrang und den Kreislauf anfachte. Sie konnte fühlen, wie er geradezu zurückgezogen wurde. Ins Hier und Jetzt. Sie keuchte. Sie würde ihn nicht sterben lassen, sie würde – »Sakura!«, hörte sie jemanden viel zu ruhig sprechen. »Sakura, du bringst dich um! Hör auf! Es –« Sie würde nicht aufhören. Nein. Nur ein bisschen mehr. Das Zittern in ihren Fingern wurde stärker. Ihr wurde schwindelerregend heiß, dann eiskalt. Der Schweiß perlte von ihrer Oberlippe. Sie fühlte, wie die Ohnmacht nach ihr griff, aber sie weigerte sich nachzugeben. Dann. Sie spürte es. Als würde ein Knoten aufplatzen. Plötzlich. Unerwartet. Und man über einen Schnürsenkel stolpern. Verschwommen nahm sie war, wie sich Yamatos Zellen klärten. Sein Oberkörper wurde länger, seine Hüfte sichtbar. Die Pflanzenfasern zogen sich zurück und machten Platz für seine Beine. Als schließe man einen Reißverschluss, kletterten die menschlichen Zellen aneinander und mit einem Schlag nahm sie wie in Zeitlupe war, wie sein Körper auf sie zufiel. Sie erwartete den Aufprall. Doch sie entkam in einer Dunkelheit. _ Ihr Kopf pochte. Schmerz. Das war das Erste, was sie wahrnahm, als sie erwachte. Dann hörte sie das Piepsen und fühlte die Flüssigkeitszufuhr an ihrer Handfläche. Sie öffnete ihre Augen nicht. Ihr Körper schien erstarrt und gleichzeitig schlapp. Müdigkeit, die an Kraftlosigkeit kratzte, zog sich durch ihre Muskelfasern und Chakrakanülen. Noch ein wenig in diesem Zustand bleiben, dachte sie, diesem Dämmerzustand. Dort, wo sie keine Verantwortung übernehmen musste. Sie kniff die Augen zusammen. Doch die Müdigkeit trug sie wie von selbst zurück in die Dunkelheit. _ Es störte ihn, nervte, war unerträglich. Und doch stand er hier. In diesem Raum. Das gleichmäßige Piepsen ertönte von den Geräten und teilte die Zeit in das störende Geräusch und die Spanne dazwischen. Sein Blick folgte den regelmäßigen Tropfen, die in seine Venen flossen. Er sah bleich aus. Sasuke starrte unbewegt hinab zu ihm. Das blonde Haar strohig und noch ungezähmter als sonst schon. Seine Augen waren geschlossen. Als schliefe er und würde jeden Moment aufwachen und ihn mit seinem übertrieben lauten Geschwätz nerven. Es war viel zu still in diesem Raum. Der Raum, in dem sich Naruto befand war sonst immer erfüllt von Worten und Gesten und funkelnden Blicken. _ Sie wusste nicht, ob es nur einige Augenblicke, Stunden oder sogar Tage gewesen waren. Aber als sie das nächste Mal das Piepsen hörte, fühlte sich ihr Körper irgendwie seltsam leicht an, ihr Kopf schmerzfrei. Die Müdigkeit war einer Erschöpfung gewichen. Sie blinzelte, öffnete die Augen und erstarrte. Ein dunkler Blick stierte ihr entgegen. »Was – was machst du hier?«, fragte sie und ihre Stimme klang fremd in ihren Ohren. Er zuckte die Schultern, breitete eine Rolle Pergament auf seinem Schoß aus und blickte sie mit Erwartung in den Augen an an. Seine Mimik unleserlich. _ Sasukes Blick wanderte zu dem Fenster, durch das unpassend freundliche Sonnenstrahlen drangen. Hinter ihm öffnete sich die Tür. Augenblicklich fühlte er sich am falschen Ort zur falschen Zeit. »Uchiha Sasuke«, stellte die Godaime fest, als sie ihn so dort stehen sah. Wenn sie überrascht war, verbarg sie es ausgezeichnet, vielleicht war sie es aber auch nicht. Möglicherweise hatte sie sogar damit gerechnet, ihn hier zu finden. Er erwiderte nichts. »Du warst noch nicht bei der Nachsorgeuntersuchung der Mission.« Ihre Stimme duldete keine Erklärung – die er ohnehin nicht gegeben hätte. »Da Sakura – nunja. Wie du weißt, übernehme ich alle Untersuchungen bezüglich der ANBU. Ich erwarte dich in einer halben Stunde.« Er nickte und deutete eine Verbeugung an, ehe er ohne zurückzusehen durch die Tür schritt und aus ihrem unerträglich wissenden Blick verschwand. _ Entnervt schüttelte sie den Kopf. Bereits das zweite Mal. »Sai, medizinisches Chakra ist kostbar«, beharrte sie, »meine Kapazitäten sind beschränkt, deswegen würde ich dir nicht einfach so medizinisches Chakra vorführen. Ganz generell.« Er blickte sie mit seiner stoischen Gelassenheit an, saß mit einem Bein überschlagen auf dem Stuhl an ihrem Krankenbett und hielt Pergament und Pinsel in seinen Händen. Anfänglich hatte sie es für einen Scherz gehalten – dann war ihr wieder eingefallen, dass Sai keine Scherze machte. »Sakura, nicht einfach so«, erwiderte er, »es geht um ein neues Jutsu.« Sie verdrehte die Augen. »Abgesehen davon. Ich bin vorhin erst aufgewacht, Sai. Momentan bin ich noch kaum in der Lage. Meine Chakrareserven sind noch immer weit unter normal.« Er sah sie an und dachte nach. »Du hattest bereits zweieinhalb Tage Regenerationszeit«, verbalisierte Sai seine Überlegungen und zuckte dann die Achseln. »Deine Kapazitäten sind offensichtlich tatsächlich deutlich beschränkt.« Mit pulsierender Stirnader zog sie ihre Bettdecke zurück, stieg aus dem Bett und verpasste ihm kurzerhand eine Kopfnuss. _ Es war Nacht. Die Luft kühl und der Himmel klar. Sterne glitzerten dort oben. So weit entfernt. Müdigkeit ließ seinen Blick verschwimmen, als er durch das kleine Fenster seines Apartments hinauf sah, die Arme hinter seinem Kopf verschränkt, im Bett liegend. Ruhe lungerte in der Nacht. Und trotzdem bekam er kein Auge zu. Seine Worte klangen immer noch in seinen Gedanken nach. Unruhig drehte er sich hin und her, fuhr sich durchs graue Haar. Irgendwann stand er seufzend auf, griff sich seine Klamotten, zog sich die Weste über und ließ die Tür hinter sich zufallen. _ Sie starrte durch das Fenster des Krankenzimmers. Eine Trauerweide rauschte im Wind. Der Himmel war blauschwarz. Die Sterne funkelten wie kleine Diamanten bestickt auf einer dunklen Decke. Dann entdeckte sie den Schatten auf dem Balkon, lässig an den Türrahmen gelehnt. Stumm und doch – »Wie oft soll ich es dir noch sagen?«, zischte sie. »Ich werde dir nicht –« Ihr Satz sollte nie vollendet werden. »Sakura.« Ihr Name auf seiner Zunge, sah sie auf, ihm ins Gesicht und blickte direkt in seine Augen. »Sasuke«, erwiderte sie, jeder Emotion bar und versteifte sich doch unter der Bettdecke. »Was willst du hier?« Er schaute sie einen Augenblick lang an, stumm, als hätte er sie nicht gehört, als hätte er nichts zu sagen – sie wusste, dass beides nicht zutraf. »Wenn du was zu sagen hast, dann sag es gleich. Damit ich es wieder schnell vergessen kann und ein wenig schlafe«, durchbrach sie die Stille, die sich zwischen ihnen immer auszubreiten drohte, so eine schwere, bleierne Stille. Wie eine Mauer. Seine Augenbrauen hoben sich spöttisch, als er sich eine Strähne aus der Stirn strich, seinen Blick gen Himmel hob, als wäre gar nicht sie die Angesprochene seiner nächsten Worte. Und sie wusste, noch bevor die Buchstaben seine Lippen verließen, dass sie es nicht wieder schnell vergessen würde. Nur nicht, wie lange es in ihrem Kopf dröhnen sollte. »Gib das Ninja-Dasein auf, Sakura.« Sie erstarrte und blickte ihn fassungslos an. _ Seine Handfläche ruhte einen Moment auf der Türklinke. Es war derselbe Moment, in dem der Gedanke, einfach wieder umzukehren, durch seinen Kopf zuckte. Aber er blieb. Er wusste, er könnte nicht einfach wieder gehen. Oder zumindest, dass er immer wieder vor dieser Tür landen würde. Seine Worte zogen ihn hierher. Seine Erinnerungen ließen ihn vor der Tür verharren. Seine Gedanken würden ihn die Tür öffnen lassen. Das Knarzen der Tür klang zu laut in der Nacht. Mit einem Blick durch den Raum schloss er sie hinter sich. Der Raum war klein. Fensterlos. Kontinuierlich piepsten im Hintergrund verschiedene Geräte, zeigten Daten, Nummern, Buchstaben und Graphen, die ihm keinerlei Information boten. Am Bettkopf spendete eine gedimmte Leuchte Licht. Zu hell, um zu schlafen. Zu dunkel, um die Gestalt im Bett problemlos zu mustern. Kakashi schlenderte näher. So, als rutschte ihm nicht mit jedem Schritt das Herz ein wenig mehr Richtung Füße. Irgendwie erwartete er, dass sich der seltsam fremde Mensch dort bewegen würde. Ihn ansehen und ihm mit lauter, brüllender Stimme – oder leise, aber deutlich – Vorwürfe entgegen schleuderte. Vorwürfe, die er im Stillen bereits hörte. Immer wieder. Immer. Dass ihn dieser seltsam fremde Mensch mit seltsam vertrauten Augen anblicken würde. Und so viel Ungesagtes zwischen ihnen in seinem Blick stünde. So viel Trauer. Enttäuschung. Hass. So viel verlorene Freundschaft. Sein Blick schwamm davon. In eine Ferne. In eine Vergangenheit, in die er ertrinken könnte. Er bewegte sich nicht, er sah ihn nicht an, er sagte nichts. Fahrig strich er sich durch das Haar. Verharrte. Zögerte. Trat einen Schritt näher. Er sah sein bleiches Gesicht, die linke Gesichtshälfte zeugte von einer unaufdringlichen Schönheit, die rechte war entstellt. Zeugte von einem gewaltigen Fehler, den er nie wieder gut machen könnte. Er wagte es nicht, genauer hinzusehen, wandte sich um und verschwand. _ »Verschwinde, Sasuke«, zischte sie aufgebracht. »Verschwinde endlich!« Doch er verharrte. Hinter ihm rauschten die Blätter der Trauerweide im Sommerwind. Die Nacht hüllte sie in eine Wärme, geschützt vor den brennenden Sonnenstrahlen am Tag, schöpfte sie Kraft. Die Sterne glitzerten. Irgendwo quakten Frösche. »Hau schon ab!« Sie bemerkte seinen Blick, die Nüchternheit darin, die jede Emotion von sich wies und verabscheute sich selbst dafür, dass es ihr nicht egal war, dass seine Worte ihr nicht am Arsch vorbei gingen, sein Auftreten irgendetwas in ihr entfachte. Ungläubigkeit. Entrüstung. Ungezügelte Wut. Ihre Hände verkrallten sich in der Bettdecke. »Dank mir, wird Yamato-Sensei überleben. Die Mission war erfolgreich. Mehr sogar. Was sollte mich zu diesem absolut hirnrissigen Gedanken bringen, meine Karriere an den Nagel zu hängen? Ausgerechnet jetzt?«, ließ sie sich hinreißen und biss sich sofort auf die Lippe. Ihr Blick sprühte vor Angriffslust, während seiner in Distanz eine Professionalität angesichts seiner Worte wahrte. Sie brauchte sich nicht rechtfertigen. Nicht vor ihm. Erst recht nicht vor ihm. Stille. Brodelnd Stille. Als erwartete sie bereits den endgültigen Ausbruch des Wirbelsturms, der in ihrer Brust fegte. »Irgendwann«, schnitten seine Worte durch ihre Atemlosigkeit, »wirst du jemanden nicht retten können. Und du wirst dich und jemanden aus deinem Team deswegen umbringen.« »Seit wann interessiert dich mein Team, Sasuke?«, fragte sie trocken. Mit Herablassung wandte er sich um. »Ich persönlich werde jedenfalls nicht jenes Teammitglied sein.« Und war in den Schatten der Nacht verschwunden. _ Die Blume auf dem Nachtschränkchen war verwelkt, wie schon die Blume davor und jene vor dieser. Es betäubte ihn, zu sehen, wie Pflanzen neben ihm verdorrten. Er ließ sie nie eingehen. Wenn er in der Nähe war, dann ließ er sie sprießen und blühen und wachsen und ergrünen. In allen möglichen Farbtönen. Er selbst hatte nie eine Blick dafür übrig gehabt, bis ihn sein ehemaliger ANBU-Kollege einmal darauf aufmerksam gemacht hatte. Die vielfältige Farbpalette der Natur. »Was ist Ihre Lieblingsfarbe, Kakashi-sempai?«, hatte er ihn irgendwann gefragt, als sie nach einer langen Mission verschwitzt und verdreckt nach Hause geschlendert waren. Er hatte keine Antwort darauf gewusst. So etwas Banales. Er sah auf. Das Fenster lockte die Sonnenstrahlen am Morgen in das Zimmer. Kakashi zog die verblühte Blume aus der Vase und ersetzte sie durch die neue. Die Blütenblätter lang und spitz, ein enger Kreis um den Pflanzenstängel, die Blumennarbe. Sein Blick wanderte über die piepsenden Geräte und die Graphen, die sich auf deren Bildschirmen abzeichneten. Dann über die magere Gestalt im Bett. Obwohl die Bettdecke seinen Körper umhüllte, erschien er viel zu zierlich. Seine Gesichtsknochen traten hervor. „Du weißt, dass ich Krankenhäuser verabscheue, Tenzou“, murmelte er vorwurfsvoll und verstummte dann, denn er würde keine Antwort bekommen, keinen genervten Blick, keine trockene Erwiderung. Seufzend griff er sich ins Haar, fuhr sich über das Auge, das vor Müdigkeit brannte. Er konnte die Nächte kaum schlafen. Die Tage war er ständig unterwegs. Jetzt stand er einfach da. Sah ihn so kränklich blass und abgemagert. Und erinnerte sich an unsinniges Zeug. Unwichtige Gespräche. »Meine Lieblingsfarbe«, hatte Tenzou ihm am selben Tag damals wenig später verkündet, »ist Orange.« Er hatte nicht einmal gefragt. Es hatte ihn auch nicht wirklich interessiert, aber manchmal war es – er würde es nicht als angenehm bezeichnen – zumindest nicht unangenehm, wenn er mit Tenzou solche banalen Gespräche führte. Es war eine Abwechslung zu den Kämpfen auf Leben und Tod und der ständigen Stille, die ihn sonst begleitete. »Orange?«, hatte Kakashi gähnend wiederholt. Sein Desinteresse hatte in seinen Gesichtszügen gestanden, aber Tenzou hatte sich davon nie groß beeindrucken lassen. »Ja, die Farbe ist warm. Wie rot, aber nicht so aggressiv. Sie fällt auf, aber ist nicht so aufdringlich wie gelb.« »Ahja«, hatte er erwidert und wieder in seinem Heftchen gelesen. Sein Blick streifte das Nachtschränkchen am Krankenbett. Es war still. Wieder diese Stille, die ihn begleitete. An den Blättern der Blume liefen die feinen Adern wie ein Netz ineinander. Die Blüten waren glatt und spitz. Eng aneinander liegend. Auch sie würden verblühen. Noch strahlten sie in einem kräftigen Orange. _ Sakura seufzte. Es war schwül. Die Sonne brannte durch das Fenster und sie sehnte sich nach einem kühlenden Gewitter. Wolken bauschten sich am Horizont auf, aber von einer erfrischenden Brise war nichts zu spüren. »Sakura!« Die Stimme ließ sie zusammenzucken. Am Fensterrahmen lehnte ihr ehemaliger Lehrer und zwinkerte ihr zu. »Wie geht es dir? Man hört ja bereits Gerüchte, du hättest wieder einmal jemanden verprügelt?« Sie blinzelte. »Wieder einmal wieder?«, echote sie und hob ihre Augenbraue. »Das hört sich so an, als würde ich kaum etwas anderes tun.« Kakashi zuckte seine Schultern, sprang durch das Fenster und schlenderte auf sie zu. Sie war sich sicher, dass er unter seinem Mundschutz grinste. »Sai übertreibt maßlos. Nicht, dass er sich dessen bewusst wäre. Ich hätte ihm noch viel schmerzhaftere Kopfschmerzen verpassen können.« »Ach, das weiß er sicherlich«, erwiderte Kakashi und seine Tonlage hing zwischen einer scherzhaften Anmerkung und einer nüchternen Feststellung. »Wie geht es Ihnen, Sensei?«, fragte sie. »Ich habe zuerst gefragt.« Sie seufzte. »Gut. Soweit. Eigentlich musste ich mich nur ausruhen, um meine Chakrareserven wieder aufzufüllen. Also mehr oder weniger. Nachdem alles aus dem kritischen Bereich war, hat mir Tsunade natürlich gründlich den Kopf gewaschen.« Kakashi musterte sie und Amüsement flackerte durch seine Augen. »Sicherlich zu recht«, warf er nüchtern ein, doch sie schnaubte. »Yamato-sensei wird leben. Ich habe die ganze Sache schadlos überstanden. Ich sehe da kein Problem. Im Gegenteil. Es stand mehr als nur der erfolgreiche Abschluss einer Mission auf dem Spiel. Ich wollte keinen Kameraden sterben lassen.« Sie konnte förmlich sehen, wie das Amüsement in seinem Auge erlosch und Müdigkeit Platz machte. »Man kann nicht jeden retten, Sakura. Und manchmal muss man sein eigenes Leben gegen das von Kameraden aufwiegen.« »Mein Leben ist nicht wertvoller als jedes meiner Freunde.« Etwas, das sie an die Qual eines lahmenden Hundes erinnerte, der erbarmungslos hinter seinem Herrchen hergezogen wurde, flimmerte durch Kakashis Auge. Vielleicht bildete sie es sich aber auch nur ein. »Aber was ist, wenn du deinen Freund nicht retten kannst. Würdest du für ihn sterben?« Sie verzog ihre Augen zu Schlitzen, schwieg. Ihre Gedanken überschlugen sich. Würde sie alles geben? Ja. Würde sie ihr Leben riskieren? Hatte sie das nicht bereits getan? Sie nickte entschlossen. Kakashi fuhr sich durch sein Haar. Das machte er oft, wenn ihm etwas gegen den Strich ging, wenn er nervös war oder genervt erkennen musste, dass sein Gegenüber sturer als er selbst war, uneinsichtiger oder hartnäckiger. Oder einfach nichts verstand. Sein Blick wanderte aus dem Fenster und verfing sich in den dunklen Wolken, die sich am Horizont auftürmten, ein Versprechen auf einen baldigen Sturm, aber auch auf eine Abkühlung. Langsam wandte er sich wieder Sakura zu. Unbeugsam schimmerte das Grün ihrer Augen. Ein Versprechen stand dort. Ein Versprechen, niemals aufzugeben. Alles zu geben. Niemals ihre Freunde im Stich zu lassen. Sich selbst zu vergessen, um den anderen zu retten. Kakashi kannte diesen Blick. Er hatte früher in den Augen seines besten Freundes gestanden. »Würdest du für einen Freund sterben, den du nicht mehr retten kannst, Sakura?« Zuletzt hatte nur noch Ablehnung, Enttäuschung und Hass in diesen seltsam fremden, seltsam vertrauten Augen gestanden. Jetzt gab es dieses Schimmern in den Augen seines besten Freundes nicht mehr. Nur noch in seiner Erinnerung. Alles war eine fade Erinnerung geworden. Kapitel 3: Die Blume welkt, das Blatt vertrocknet, Menschen vergehen. --------------------------------------------------------------------- ________________________________________________ Wir gingen verloren, wir ließen uns zurück, ich fragte nach dem Weg, alles ohne Glück. Ich verirrte mich, Warum?, fragte ich dich. Du sagtest bloß, es gäbe kein Zurück. ________________________________________________ »Würdest du für einen Freund sterben, den du nicht mehr retten kannst, Sakura?« Die Worte echoten in ihrem Kopf. »Die Frage ist nicht gerecht«, warf sie widerstrebend ein, »in der Realität weiß man nie davor, wie es ausgehen wird. Vielleicht kann man seinen Kameraden retten, wenn man sich selbst gefährdet oder sogar dadurch tötet. Vielleicht ist das eigene Opfer sinnlos. Woher –« »Ja, genau. Woher soll man das vorher wissen? Man weiß es nicht. Die Frage ist nicht gerecht. Das Leben ist nicht gerecht.« Sie hatte plötzlich das Gefühl, dass sie über unterschiedliche Dinge sprachen. Oder dass etwas anderes noch zwischen ihnen stand, etwas, das niemand aussprach. Dass er ihr etwas verriet, das sie nicht verstehen konnte. »Jeder hat seine Grenzen, Sakura. Manchmal muss man über sie hinausgehen, um das zu erreichen, was man erreichen kann. Aber manchmal zeugt es von Erfahrung und Weisheit, seine Grenzen zu kennen und zu akzeptieren.« Seine Worte bargen so viel Sinn. Sie trugen Klugheit und Weisheit mit sich, aber innerlich sperrte sie sich gegen sie. Denn sie bedeuteten, sich selbst einzugestehen, dass man nicht alles gab, nicht über sich hinaus wuchs, andere für das eigene Wohl im Stich ließ, verletzte, womöglich umbrachte. »Würde Sie etwa einen Freund tatenlos sterben lassen, Kakashi-sensei? Haben Sie nicht immer gesagt, dass Sie einen Kameraden nicht sterben lassen würden? Dass Sie uns beschützen würden? Würden Sie nicht alles, was in Ihrer Macht steht dafür tun, um einen Freund zu retten?« Er blickte sie an und antwortete nicht. In ihrem Magen stach Zorn, ein Brennen. Sie hatte nichts falsch gemacht. Sie hatte einen Kameraden gerettet. Kameraden davon abgehalten, für dessen Tod verantwortlich zu sein. Sie hatte ihre Fähigkeiten eingesetzt und nicht nur eine Mission erfolgreich abgeschlossen, sondern mehr noch: ein Leben gerettet. Und trotzdem spürte sie in seinen Worten diese Kritik, die ihr einflüstern wollte, dass ihr ein Missgeschick passiert war, dass sie etwas übersehen, deren Konsequenzen sie noch nicht bedacht hatte. Dieses Gefühl, wieder das kleine, naive, unwissende Mädchen zu sein, kratzte an ihrem Selbstbewusstsein. »Meine Antwort auf diese Frage ist unbedeutend. Denn sie ändert nichts an deiner. Aber irgendwann wirst du dich hieran erinnern. Ich kann nur hoffen, dass deine Antwort dann noch immer dieselbe sein wird. Und du nichts bereust«, antwortete Kakashi mit einer Nachsicht in den Augen, die sie nichts erwidern ließ. Die sie schweigend im Krankenbett zurückließ. Als er schließlich gegangen war, hörte sie endlich die Regentropfen gegen die Fensterscheibe prasseln. _ Der Sturm zog an. Die warme Luft wirbelte Staub auf und Regentropfen platschten auf die ausgetrocknete Erde. In dem Krankenzimmer staute sich die Luft. Seine Augenlider flatterten. Das erste, was er wahrnahm, war die Schwüle, die im Zimmer hing, dann erst das Piepsen. Zunächst erkannte er die weißen Wände ein wenig verschwommen, als müssten sich seine Augen erst wieder daran gewöhnen zu sehen. Dann spürte er einen Schmerz in seinem Oberkörper, als er versuchte sich aufzurichten und sank stöhnend wieder zurück in das Kissen. Vielleicht war alles ohnehin nur Einbildung. Wie schon so oft. Oder? In diesem Moment öffnete jemand die Tür – er zuckte zusammen – und zwei Krankenschwestern wuselten um das Bett und die Apparaturen herum, nahmen ihm Blut, stellten ihm Fragen, die sein Gehirn nur langsam zu seinem Bewusstsein durchsickern ließ, hantierten an den Geräten herum und machten sich stumm Notizen. Dann öffnete sich die Tür erneut und die Godaime betrat schnellen Schrittes das Zimmer. Wieder wurden ihm Fragen gestellt, die sich zäh in seinen Gedanken anfühlten, die Antworten klebten ihm auf der Zunge, einige fielen von seinen Lippen, andere verdunsteten im Raum. Dann musterte sie ihn mit einem Blick, den er kaum verstehen konnte und erwiderte ihn mit einem Schweigen. Sie nickte knapp – vielleicht steckte Aufmunterung dahinter – und verließ den Raum mit ein paar Worten, die ihn nicht recht beruhigen konnten. Vielleicht halluzinierte er. Vielleicht versuchte seine Psyche ihn vor der Realität zu schützen und erfand dieses Szenario. Vielleicht war er auch einfach endgültig verrückt geworden. Psychischer Kollaps. Vielleicht. Wer könnte es ihm verdenken? Kraftlosigkeit durchzog seine Fasern. Sein Körper schmerzte, pochte leicht unter seiner Haut. Unbeweglichkeit und Schwere. Er sehnte sich nach Ruhe und Schlaf und doch konnte er nicht einfach liegen bleiben. Seine Beine fühlten sich taub an, er versuchte sie aus dem Bett zu hieven, aber Schmerz durchzuckte seine Muskeln, ließ ihn wieder stumm an die Decke starren. Angestrengt schloss er seine Augen und murrte. Vielleicht doch die Realität? Irgendwann öffnete er wieder seine Augen – war er tatsächlich eingeschlafen? – und sein Blick blieb an einer vertrockneten Blume hängen, deren Blüten wohl einmal in einem Orange geleuchtet hatten – jetzt war es ein mattes Braun. Nachdenklich runzelte sich seine Stirn, seine Augenbrauen hoben sich. Mit dem Entschluss, diesem Piepsen zu entgehen, raffte er sich auf und – sank mit einem genervten Seufzen, der von unterdrücktem Schmerz getränkt war, wieder zurück. »Das würde ich an deiner Stelle endlich mal lassen.« Diese Stimme. Tenzous Augen weiteten sich. Vielleicht war es doch nur ein Traum, eine Illusion, ein Genjutsu. Langsam fing sein Blick die Gestalt am Fenster ein. Lässig gegen den Fensterrahmen gelehnt stand er da und musterte ihn. »Du bist zu spät – wie immer. Ich bin schon wach«, krächzte Tenzou – wie lange hatte er seine Stimme nicht mehr gebraucht? Er konnte sich nicht erinnern, was ihm zuletzt passiert war. Er erinnerte sich nur an Dunkelheit und – ein paar dunkle Gedanken, Bilder, Hoffnung, die starb. »Dieses Mal bist wohl du zu spät – du hast ja ewig einfach so herumgehangen, bis wir dich – gepflückt haben«, erwiderte Kakashi trocken. Auf Tenzous Wangen legte sich ein leichtes Rosé, das in seinem kränklich blassen Gesicht besonders hervorstach. Er erinnerte sich. Da war etwas. Auf Kakashis Lippen breitete sich ein Lächeln aus – Schalk tanzte in seinem Auge, ehe er ganz pragmatisch festlegte, dass Tenzou sich jetzt auszuruhen habe. »Obwohl du ja recht lange nichts getan hast, außer –« »Ist das hier real?«, unterbrach Tenzou ihn matt und legte seine Stirn in Falten. Kakashi hielt inne. »Ich fürchte, ja«, erwiderte er. »Und die Blume ist schon wieder bereits verwelkt.« Er zuckte mit den Achseln. »Es ist wirklich entnervend. Gut, dass du dich in Zukunft endlich wieder selbst darum kümmern wirst.« Um Tenzous Lippen spielte ein Lächeln. _ Seine Bewegungen spiegelten sich in der Wasseroberfläche, die den gesamten Boden bedeckte. Das grüne Licht strahlte von der riesigen Pflanze, die sich durch das Versteck grub. Es spiegelte sich in dem Wasser, in dem die Wurzeln mündeten. Wenn er seinen Kopf in den Nacken legte, konnte er von hier unten die Blüte erahnen, die etliche Sprünge über ihrem Standort – knapp über den Wurzeln – ragte. Doch er stand unbeeindruckt mit seinem Teamkameraden auf einem der Äste und arbeitete sich systematisch nach oben. »Kanae-Sempai, haben Sie so etwas schon einmal gesehen?«, fragte ihn sein jüngerer Kollege ehrfürchtig. Bei ANBU-Missionen gab es ständig irgendwelche Überraschungen. Doch irgendwann verloren diese ihren Effekt. Er hatte schon Dinge gesehen, die außergewöhnlicher, gefährlicher oder beeindruckender gewesen waren. Manchmal eine Mischung davon. Er arbeitete bereits neuneinhalb Jahre als medizinische ANBU-Einheit. Ihn konnte nichts mehr so schnell beeindrucken. Er zuckte die Achseln. »Konzentriere dich einfach auf die Mission, Yasuo.« Mit einer Bewegung schnitt er ein feines Stück des Lotusstamm ab und verschloss die Plastiktüte. »B Punkt Zwei«, erklärte er knapp – seine Stimme dumpf unter der Maske – übergab es seinem ANBU-Kollegen Yasuo, der geschäftig besagtes Stück beschriftete, und wandte sich wieder zur Pflanze. Die nächste Probe verschloss er erneut in einer Tüte. »B Punkt Drei.« Wie auch die übernächste. »C Punkt Eins, C Punkt Zwei und C Punkt Drei.« Ein Stück des Blattes lag säuberlich abgeschnitten in je einer Folie. »Es folgen Proben der Blü-« Er war im Begriff auf einen höhergelegenen Ast zu springen, als er einen Windzug hinter sich verspürte. Mit einem Ruck wandte er sich um und erstarrte, als er in ein Paar fremder Augen sah. Dann spürte Schmerz. Das Letzte, was er erkannte, war Yasuos schlaffer Körper, der auf dem Boden lag. _ »Abgesehen davon.« Tenzous Blick glitt von der vertrockneten Pflanze zurück zu Kakashi, der unverändert neben dem Fenster lehnte und nach etwas in seiner Hosentasche kramte. »Was ist passiert?«, fragte Tenzou und erwiderte Kakashis desinteressierten Blick stur. »Das Übliche«, entgegnete der langsam, »du warst in Schwierigkeiten und ich musste dich retten.« Tenzou schnaubte und verdrehte die Augen, was Kakashi ein amüsiertes Glitzern in den Augen bescherte. Stille entstand und Kakashi zog endlich ein abgenutztes Heft hervor. Tenzou musterte ihn ungläubig, doch davon ließ sich sein Gegenüber natürlich keineswegs stören. »Sempai. Würden Sie das etwas - spezifizieren?« Kakashi blickte auf, betrachtete ihn einen Moment und schüttelte dann den Kopf. »Nein.« Tenzou verschränkte die Arme vor der Brust, ließ das aber wieder ganz schnell bleiben, als ihn der Schmerz überraschte, der durch seinen Brustkorb schoss. Das würde ein langer Nachmittag werden. _ Das Zimmer lag im Halbdunkel. Eine Stimme zischte, es klang – trotz der Unverständlichkeit der Worte – nach Wut. Auf Knien verbeugten sich zwei Gestalten vor einem Bett, das mitten im dem sonst kargen Raum stand. Die Wände waren roh. Erdig. Steinig. Ein Husten durchbrach das Gezische. Erst allmählich verstand Kanae einige der Laute und konnte ihnen Bedeutung abgewinnen. Sein Kopf dröhnte. Sein Geist schien nicht mit seinem Körper kongruent zu sein. Schmerz durchzuckte seine Glieder. Seine Augenlider flatterten. »Diese Idioten! Diese –« Die Beschimpfungen gingen in ein heftiges Husten über. Atem ziehend verkrampfte sich die Hand in der dünnen Decke. »Das hat man davon, wenn man nur hirnamputierte Kraftprotze führt!« Die Lungen des Fremden röchelten. »Ich wollte Proben!«, zischte er. »Nicht irgendwelche ANBU, die dort Proben nehmen!« Stille. Nur der rasselnde Atem. Schwer hing die Luft über ihnen. »Was sollen wir mit denen jetzt machen?«, traute sich einer der knienden Untergebenen zu fragen. Seine Stimme klang dumpf – möglicherweise eine Maske. »Na, was wohl? Wir bringen sie um die Ecke!«, erwiderte der andere euphorisch. »Wohin? Welche Ecke?«, murmelte ersterer verwirrt. Im Bett folgten eine Bewegung und ein undeutliches Zischen. »Dummheit. Umgeben von hirnloser Dummheit! Ihr bringt sie verdammt noch einmal zurück!«, krächzte es von dort. »Aber zuvor – Toji!« Eine zierliche Gestalt trat durch eine knirschende Tür. »Ja, Meister?« »Bring mir T27.« »Ja, Meister«, erwiderte der Junge mit einem Zögern und war doch sofort wieder durch die Tür verschwunden. »Ihr hört mir jetzt genau zu und werdet die Befehle exakt ausführen. Verstanden?«, wandte sich die gebrechlich wirkende Person an die beiden anderen und ließ trotz der Frage keine Antwort zu. »Ihr werdet die beiden ANBU zurückbringen und die Phiole, die euch der Junge geben wird, dort öffnen. Danach macht euch sofort auf den Weg zurück. Habt ihr das begriffen?« Einvernehmliches Nicken. Mit einem sandigen Knirschen öffnete sich die Tür und Toji huschte mit gesenktem Blick an das Bett seines Meisters. »Gib sie ihnen«, scharrte der und der Junge streckte seine Hand aus. Eine Phiole lag zwischen seinen Fingern. Scheinbar leer. »Ich erwarte euch im Morgengrauen zurück!« »Ja, Meister«, murmelten die beiden synchron und erhoben sich umständlich. »Toji«, erklang die kratzige Stimme nochmals, »du weißt, was zu tun ist.« Der Junge nickte verschüchtert und kam Kanae auf Zehenspitzen entgegen. »Es tut mir leid«, hörte er ihn flüstern, dann spürte er auch schon kühle Finger an seinen Schläfen und einen Schmerz, der aus ihm einen grellen Schrei drosch. _ Gelangweilt beobachtete Tenzou wie sein Sempai eine weitere Seite des Buches umschlug und mit Genuss die Buchstaben verschlang. Seit einer geschlagenen halben Stunde. »Kakashi-Sempai, was –« »Hör auf, mich so zu nennen.« »Hören Sie auf, mich zu ignorieren!« Das brachte ihm tatsächlich einen amüsierten Blick seitens Kakashi. In ihm selbst stieg Nervosität auf. Verlegen räusperte er sich. »Ich meine, dass Sie mir endlich sagen sollen, was passiert ist.« »An was erinnerst du dich?« Tenzou verharrte einen Moment und spitze nachdenklich seine Lippen. »Da war – Wasser und Licht. Grünes Licht, glaube ich. Dann erinnere ich mich nur noch an Dunkelheit und ein paar – wie dem auch sei. Was ist geschehen?« Kakashi blätterte, ohne einen Funken Scham, eine Seite weiter. Erwartungsvoll betrachtete Tenzou ihn. Und betrachtete ihn. Und betrachtete ihn. Und – »Sempai!« »Ähm, ja?« »Hören Sie damit auf!« »Womit?“ Genervt schnaubte Tenzou und verschränkte seine Arme vor der Brust. Zumindest hätte er es gerne getan, doch der ziehende Schmerz – »So eine verdammte Kacke«, murmelte er trotzig. »Hör auf zu fluchen«, brummte Kakashi ohne aufzusehen. »Hören Sie auf, Schmuddelblätter zu lesen!« Stille. Das Rascheln des Papiers, das umgeblättert wurde. Stille. Tenzou schloss entnervt die Augen. Resigniert seufzte er und versuchte, sich zu erinnern. Es war nass gewesen. Dann hatte sein Körper gebrannt. Er erinnerte sich noch an diesen Schmerz, als stünde sein Körper in Flammen. Dann – er wusste gar nicht, ob es nach Minuten, Stunden oder erst gar nach Tagen gewesen war – war dieser unerträglichen Hitze einer geradezu angenehmen Wärme gewichen. Dazwischen leuchtete grünliches Licht. Und Dunkelheit. Aber vielleicht hatte er das alles auch nur geträumt. Ebenso wie die Stimmen – oder waren es nur Gedanken gewesen? Und – »Obito!« Sein Ruf verhallte in einem schmerzhaften Keuchen. Sein abruptes Aufrichten schoss ihm in sämtliche Glieder und ließ seine Mimik in gequälten Gesichtszügen vergehen. Dann erst bemerkte er Kakashis Blick. _ Die gesamte Bodenfläche war von Wasser bedeckt, in dem sich seine Bewegungen widerspiegelten. Das Licht strahlte von der riesigen Pflanze in einem Grün, das er noch nie vorher gesehen hatte. Die Pflanze schlängelte sich durch das Versteck und spiegelte in dem Wasser, in dem die Wurzeln mündeten. Wenn er seinen Kopf in den Nacken legte, konnte er von hier unten die Blüte erahnen, die etliche Sprünge über ihrem derzeitigen Standort – knapp über den Wurzeln – ragte. Ein Schmerz durchzuckte seinen Kopf und er berührte instinktiv seine Stirn. »Alles klar, Kanae-sempai?«, fragte ihn sein jüngerer Teamkamerade und er nickte knapp. »Konzentriere dich einfach auf die Mission, Yasuo.« Er stand unbeeindruckt mit seinem Teamkameraden auf einem der breiten Äste und arbeitete sich systematisch nach oben. »Kanae-Sempai, haben Sie so etwas schon einmal gesehen?«, fragte ihn sein jüngerer Kollege ehrfürchtig. Bei ANBU-Missionen gab es ständig irgendwelche Überraschungen. Doch irgendwann verloren diese ihren Effekt. Er hatte schon Dinge gesehen, die außergewöhnlicher, gefährlicher oder beeindruckender gewesen waren. Manchmal eine Mischung davon. Er arbeitete bereits neuneinhalb Jahre als medizinische ANBU-Einheit. Ihn konnte nichts mehr so schnell beeindrucken. Er zuckte die Achseln. »Konzentriere dich einfach auf die Mission, Yasuo.« Mit einer Bewegung schnitt er ein feines Stück des Lotusstamm ab und verschloss die Plastiktüte. »B Punkt Zwei«, erklärte er knapp – seine Stimme dumpf unter der Maske – übergab es seinem ANBU-Kollegen Yasuo, der geschäftig besagtes Stück beschriftete, und wandte sich wieder zur Pflanze. Die nächste Probe verschloss er erneut in einer Tüte. »B Punkt Drei.« Wie auch die übernächste. »C Punkt Eins, C Punkt Zwei und C Punkt Drei.« Ein Stück des Blattes lag säuberlich abgeschnitten in je einer Folie. »Es folgen Proben der Blüte.« Er sprang einige Äste hinauf. Der dicke Stamm verschmälerte sich, die tellergroßen Blätter zusehends feiner. Dann verdünnte sich der Stamm und Blütenblätter stoben daraus hervor. Mit einem Ruck schnitt Kanae ein Stück der Blüte ab, wandte sich um und übergab die Probe Yasuo. Nach nur noch zwei weiteren, seufzte der. »Schon geschafft. Das war ja eine erstaunlich leichte Mission. Geradezu langweilig.« Kanae verpasste ihm einen Schlag auf den Hinterkopf. »Solange du nicht schwer verletzt nach Hause gehumpelt kommst, ist für dich alles langweilig. Du sollst jede Mission mit Ehrfurcht beginnen, durchführen und abschließen. Wie oft muss ich dir das noch sagen?« Yasuo rückte seine ANBU-Maske zurecht und murmelte etwas Unverständliches. »Wie war das?« »Ja, Sempai«, brummte Yasuo. »Nichts Wichtiges, Sempai.« »Wie auch immer – lass uns endlich von hier verschwinden.« Mit einem letzten prüfenden Blick schaute sich Kanae um, dann formte Yasuo das Versiegelungszeichen und sie verschwanden in einer Rauchwolke. _ Unruhig rutschte Tenzou in seinem Bett hin und her, während Kakashi resolut sein Buch zuklappte. Dann schlenderte der gemächlich auf ihn zu. »Obito«, wiederholte Kakashi und obwohl eine Frage mitklang, überwog die schlichte Feststellung. »Ja, ich –« Tenzou schluckte instinktiv, »ich erinnere mich an den Namen. Eine Stimme. Sie hat diesen Namen manchmal vor sich hergesagt. Genauso wie –« Tenzous Augen weiteten sich. Dieser Gedanke, diese Erinnerung. Sie durchzuckte seinen Kopf plötzlich wie ein Blitz. Ganz hell, ganz klar. Er sah die Maske der Gelassenheit Kakashis und seinen Blick, der ihn aufzuspießen drohte. »Genauso wie – Kakashi und Rin.« Ohne ein weiteres Wort, nur mit einem Blick, den Tenzou niemals vergessen würde, verschwand Kakashi in einer Rauchwolke und ließ ihn zurück. _ »Würdest du für einen Freund sterben, den du nicht mehr retten kannst?« Kakashis eigene Worte hallten wie ein Echo in seinen Gedanken. Er lehnte sich auf das Fensterbrett und ließ seinen Blick über das Dorf schweifen, das schlief. Die Nacht lag über den Dächern und in den Straßen. Ruhe ummantelte die Häuser. Sakuras entrüsteter Blick schwebte vor seinem inneren Auge. »Würden Sie nicht alles, was in Ihrer Macht steht dafür tun, um einen Freund zu retten?« Er seufzte und wandte dem Fenster seinen Rücken entgegen. »Was machst du hier, Sasuke?« Ohne sich zu ihm umzudrehen, verharrte er, die Hände in den Hosentaschen. Das Chakra des anderen pulsierte hinter ihm, als wühlte ihn etwas auf, trotz dessen stoischer Fassade. Sasuke schwieg, während er an der Brüstung des kleinen Balkons stand, kerzengerade, als wartete er nur auf ein Zeichen. Er erwiderte den Blick seines ehemaligen Lehrers. Sasuke war nie seinem Blick ausgewichen, doch entgegen der sonstigen Ausdruckslosigkeit, loderte heute etwas in seinen Augen. »Naruto ist aufgewacht.« Ein leises Lächeln flatterte über Kakashis Mundwinkel. Da war dieses Gefühl. Von Gewissheit. Kraft. Hoffnung. »Dann lass uns endlich gehen.« Mit einem Nicken verschwanden sie in einer Dunstwolke. »Oder würdest du ihn tatenlos sterben lassen?« Kapitel 4: Drum sorge für die Knospe, dass sie auch schön gedeih'. ------------------------------------------------------------------ ________________________________________________   Denkst du manchmal auch, wie es früher war? Jetzt ist es nur noch ein Gedankenhauch, nur in der Erinnerung noch da.   Hätte, wäre, wenn. So viele Möglichkeiten. Es könnte jetzt ganz anders sein, denn wir waren uns so nah. ________________________________________________           Er öffnete die Tür mit einem Knarzen, nachdem er einmal angeklopft hatte und betrat das Zimmer. Das künstliche Licht strahlte auf das Bett, um das die medizinische Apparatur aufgebaut stand.   »Teme!«, rief ihm der lebensmüde Idiot von dort entgegen und grinste ihn an, als hätten sie sich hier für eine Geburtstagsfeier versammelt. Dabei verabscheute er Krankenhäuser. Schon dieser Geruch bohrte sich unangenehm in seinen Magen. Der Geruch nach Desinfektion und Kranken. Er warf Naruto einen vielsagenden Blick zu, dann wandte er sich an Sakura, die ihn offensichtlich versuchte so lange wie möglich zu ignorieren und stur auf die Bildschirme der Maschinen starrte. Mit ihrem Ärztekittel stand sie da und notierte sich irgendwelche Werte. Sein Blick folgte den Graphen, die sich dort abzeichneten und mit gelegentlichen Piepstönen ihre Arbeit unterstrichen.   »Kakashi-sensei! Sie sind auch da!«, hörte er Naruto jedoch weiter diesen überglücklichen Ton verwenden, der nicht in ein Krankenzimmer passte. »Ja, wie hätte ich mir das hier entgehen lassen können«, erwiderte Kakashi trocken, nickte dennoch ob der Offensichtlichkeit der Tatsache und lehnte sich an die nächste Wand. So, als wäre er nur zufällig in diesem Raum und zog sein abgenutztes Büchlein aus der Hosentasche. Sakura verdrehte ihre Augen.   »Haben Sie mir etwas mitgebracht, Kakashi-sensei?« »Nö. Oder hast du mir etwas mitgebracht?« »Hey, ich bin hier der arme Kranke!«, empörte sich Naruto und blähte entrüstet die Wangen auf. »Und ich der arme Alte, der die ganzen Verrückten ertragen muss«, erwiderte Kakashi, zuckte eine Schulter und zwinkerte ihm zu. Schnaubend verdrehte Naruto seine Augen. Im Stillen gab Sasuke ihm Recht. »Wie geht es ihm jetzt?«, fragte er an Sakura gewandt und brachte sich damit dann doch auch die Aufmerksamkeit seines ehemaligen Lehrers ein – und einen beleidigten Blick von Naruto. »Warum fragst du sie, wie es mir geht? Das kann ich –« »Seine Werte sind stabil. Allerdings macht uns der Chakrafluss noch ein wenig Sorgen.« »Mir geht’s gut, Leute, aber –« »Und inwiefern?«, hakte Sasuke nach. »Das Chakra des Kyuubis –« »Kurama«, warf Naruto mit vor der Brust verschränkten Armen ein. »– hat womöglich negativen Einfluss auf Narutos –« »Hört auf über mich so zu reden, als wäre ich nicht –« »Und welche Auswirkungen hat das?« »Das wissen wir noch nicht abschließend.« Sasuke fuhr sich durchs Haar und strich sich eine Strähne aus der Stirn. Er hob die Augenbrauen und warf Sakura einen abwägenden Blick zu. »Ihr wisst das noch nicht?« Obwohl es eine Frage war, klang Herablassung mit. Er konnte es sich einfach nicht verkneifen. Ihre stoische Fassade knirschte bereits. Zu genüsslich war es, wenn er diesen Schalter bei ihr drückte. Narutos Blick schnellte von ihm zu Sakura, als ahnte der, dass etwas im Raum stand, das niemand aussprach. »Nein, das wissen wir noch nicht«, presste Sakura betont ruhig zwischen ihren Zähnen hindurch, doch ihre Mimik sprach Bände. »Ich bin übrigens seit meiner Entlassung durch Tsunade rund um die Uhr bei Naruto gewesen, um es herauszufinden. Wo warst du, Sasuke?« Er erwiderte ihren giftigen Blick mit einem Lächeln, das vor Arroganz triefte. Da war es wieder. Dieses Gefühl, sie vorhersagen zu können. Eine Tatsache, die er durchaus gerne mal auskostete – ein wenig Zeitvertreib, ein wenig Macht. Ja, er hatte Macht über sie. »Es tut mir leid, wenn ich keine Zeit hatte, dir bei deiner Arbeit die Hand zu halten, aber ich hatte durchaus noch etwas zu tun.« »Naja, wie dem auch sei. Es ist ja nicht so, als wäre es etwas Neues, dass du einfach verschwindest«, ätzte sie mit einer wegwischenden Handbewegung und wandte ihm den Rücken entgegen, als sie sich gegen Narutos Bettkante lehnte. »Glücklicherweise ist dir das ja inzwischen egal«, scharrte Sasuke und wandte sich gelassen gen Tür. Diese Macht, die sie versuchte zu negieren. Wegen der sie sich selbst belog. Die sie verzweifeln ließ. Er sah es in ihren Augen. Seine Hand lag bereits auf dem Türknauf, als er sich nochmals an Naruto richtete. »Dobe, mach keinen Ärger. Ich schau morgen nochmal vorbei.« »Bring mir was von Ichirakus mit, Teme! Ich bin am Verhungern!«, stöhnte Naruto und zog eine gequälte Grimasse. Ein Grinsen zuckte über Sasukes Lippen. Er wusste, dass er an einer empfindlichen Grenze entlang balancierte. Doch er genoss es zu sehr, alles auszureizen. »Das kann Sakura übernehmen – das fällt in den Aufgabenbereich einer Krankenschwester.« Mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung, fing er mühelos die leere Spritze auf, die sie nach ihm geworfen hatte. Sein Blick schwenkte zu Sakura, die mit lodernden Augen da stand. Einen Moment erwiderte er. Stoisch. Ruhig. Nichts aussagend. Und doch stand alles zwischen ihnen. »Ohne Nadel. Anscheinend unterschätzt du mich, Sakura«, provozierte er flüsternd, spielte mit der Kanüle zwischen den Finger. »Im Gegenteil«, höhnte sie, »ich habe dich stets überschätzt.« Damit richtete sie sich resolut an Naruto und begann eine viel zu sorgfältige Untersuchung. Schnaubend ließ Sasuke die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Es ging ihm einfach so am Arsch vorbei, was sie getan hatte oder tat. Ihre Meinung über ihn konnte ihn nicht weniger interessieren. Sie war stets eine Nervensäge gewesen. Und das würde sie auch immer bleiben.   _       Anspannung und Stille hingen im Raum, nachdem Sasuke die Tür hinter sich hatte ins Schloss fallen lassen. Sakura tastete geschäftig Narutos Bauchdecke ab, der sie nachdenklich musterte. Sakura spürte seinen Blick und ignorierte ihn. Ruhig blätterte Kakashi eine Seite weiter. In diesem Kapitel würde die Protagonistin und der Protagonist endlich – »Sakura-chan, ich hab Hunger. Lass mich nur kurz rüber zu Ichirakus gehen und –« Angesprochene schnaubte. Kakashi fragte sich, wann Sakura soweit war und Naruto eine ordentliche Abreibung verpassen würde. Er sah, wie sie stoisch die Untersuchung durchzog und trotzdem konnte er nur ahnen, wie sehr es unter ihrer Fassade brodelte. »Du gehst nirgendwo hin. Idiot. Es ist mitten in der Nacht. Ichirakus hat ohnehin geschlossen.« Sein Blick erfasste Naruto, der sich seufzend im Bett zurücklehnte. »Stimmt«, erwiderte der, die Resignation im Gesicht, »hab ich nicht dran gedacht.« Außerdem fragte sich Kakashi, ob Naruto tatsächlich so ein Brett vor dem Kopf hatte und nicht mitbekam, was sich für ein Gewitter vor seiner Nase zusammenbraute. Irgendwann würde es sich entladen, ungebremst, zerstörerisch. Und Kakashi hoffte insgeheim, dass er sich in dem Moment in sicherer Entfernung befand – und vielleicht sogar dass Naruto unversehrt bei Ichirakus aß. »Ich sehe, du bist in guten Händen, Naruto. Wir sehen uns die Tage«, ließ Kakashi verlauten, während er sein Büchlein zuklappte und mit den Händen in den Hosentaschen auf sie zuschlenderte. »Beim nächsten Mal bringen Sie mir etwas mit«, beharrte Naruto und fügte flüsternd hinzu: »Am besten was zum Essen.« Grinsend fuhr der sich durch sein Haar. Kakashi schüttelte den Kopf. »Bis dann.« Er warf Sakura einen Blick zu und zwinkerte. Dann war er mit einem vertrauten Paff verschwunden. Die Frage, die ihn interessierte war, ob dieser Sturm Team Sieben endgültig zerreißen würde.     _       »Soweit, so gut«, schloss Sakura ihre Untersuchung ab. »Morgen werden wir nochmals deine Werte überprüfen – bis dahin musst du dich halt ausruhen.« Naruto überkreuzte seine Arme hinter dem Nacken. »Wie langweilig«, murmelte er und bekam sofort einen Klaps auf den Kopf. »Sei froh, dass es dir schon wieder so gut geht. Ich hätte nicht gedacht, dass –«   Sie verstummte und kramte geschäftig in ihrem Ärztekittel. »Was gedacht?«, forderte Naruto und das kindliche Gehabe war aus seinen Gestik und Mimik verschwunden. Sein Blick wirkte plötzlich nur noch müde. »Dass ich so schnell wieder auf die Beine komme? Oder dass ich es überhaupt überlebe?« Sakura spürte den leichten Druck seiner Finger an ihrem Arm, als er sie anhielt, ihn anzusehen. Sie schluckte. »Ich hatte Angst», flüsterte sie. Er stupste sie an. Ein trauriges Lächeln hing in seinen Mundwinkeln. »Ich auch«, gestand er leise und sie starrte ihn mit großen Augen an. »Ich hatte Angst, dass alles umsonst gewesen war. Aber das war es nicht. Wir sind wieder alle zusammen. Team Sieben, so wie wir es uns immer gewünscht haben, Sakura.« Sie schaute ihn an. Es tat ihr weh, seinen Blick, diesen glücklichen Funken darin, auf sich zu spüren. So viele Erinnerungen und Erwartungen. Sie waren naiv gewesen, zu glauben, dass mit Sasukes Rückkehr Team Sieben wieder komplett wäre. Dem war nicht so. Es verlief ein Riss durch ihr Team.   »Naruto«, begann sie leise, räusperte sich und schüttelte dann doch nur den Kopf. »Es ist spät. Ich schaue morgen wieder nach dir. Gute Nacht.« Er nickte ihr zu, zog die Decke bis zum Kinn und drehte sich langsam zur Seite. »Gute Nacht – und Sakura-chan, lass dich nicht so von ihm ärgern. Er schätzt deine Arbeit. Jeder tut das. Echt jetzt.« Ihre Hand lag bereits auf der Türklinke. Tief einatmend verharrte sie und schnaubte. »Es ist mir egal, was er tut oder denkt.« Naruto gluckste. »Natürlich», erwiderte er nur und mit einem letzten Blick auf ihn schloss sie leise hinter sich die Tür. Einen Moment blieb sie dort stehen. Der Gang lag wie ausgestorben da. Die Nacht war noch ganz dunkel. Ruhe. Durch die Fenster glitt das bleiche Mondlicht. Stille. Sie seufzte, fuhr sich müde über die Augen. Dann machte sie sich endlich auf, Richtung ein paar Stunden Schlaf.   _     Es war später Vormittag, als die Godaime mit zerfurchter Stirn über einem Dokument brütete. Instinktiv langte sie mit ihrer Hand nach dem Gläschen, das rechts neben ihr auf dem Schreibtisch stand, fuhr es an ihre Lippen und musste feststellen, dass es wieder einmal leer war.   »Shizune», polterte Tsunade und mit gehetztem Blick stand Gerufene in der Tür. Die Godaime hielt ihr nur das Gläschen entgegen. »Es ist nicht einmal Mittag«, kritisierte Shizune, doch Resignation stand in ihrer Mimik. Aber noch ehe sie die Flasche hätte holen können, hielt Tsunade sie zurück. »Diese Mission hier«, begann sie nachdenklich. Shizune horchte ob des ernsten Tones auf. »Beide schreiben in ihrem Bericht, dass sie ohne Verzögerungen oder Probleme die Mission erfolgreich durchgeführt hätten.« Shizune blickte über die Schulter ihrer Vorgesetzten und nickte. »Ja. Und soweit ich informiert bin, trifft das auch zu. Sie haben die Proben abgeliefert. Ich habe bereits mit den ersten Untersuchungen begonnen.« Tsunade lehnte sich in ihrem Schreibtischstuhl zurück, die Fingerspitzen aneinander gelegt. »Der Missionsbericht ist trotzdem unvollständig.« Mit überraschtem Blick sah Shizune auf. Die Frage stand in ihren Gesichtszügen geschrieben. »Wieso unvollständig?«, hakte sie nach und überflog nochmals die beiden ANBU-Berichte. Tsunade seufzte, stand auf und schritt an die breite Fensterfront ihres Büros. Ihr Blick glitt über die Dächer Konohas, das geschäftige Treiben in einigen Straßen und den hellblauen Himmel, der sich über das Bild spannte. »Wie schätzt du Kanaes und Yasuos Arbeit bisher ein, Shizune?« »Sie sind sehr effizient. Yasuo muss eher noch durch Kanae zurückgehalten werden. Kanae ist erfahrener und arbeitet analytischer, während Yasuo erst seit eineinhalb Jahren bei der ANBU arbeitet. Trotzdem machen ihn seine Fähigkeiten zu einem wichtigen Mitglied. Sein Geschick mit Versiegelungen ist erstaunlich.« Tsunade nickte. »Dann frage ich mich, warum sie einen verschwendeten halben Tag nicht näher erklären.« Shizunes Augen weiteten sich. »Ein halber Tag?« »Hin und zurück, das bedeutet einen Vierteltag, die Arbeit dort, beschreiben sie, dauerte ungefähr sechs Stunden. Sie waren aber deutlich später hier im Dorf.« Sie tippte auf die Stelle im Bericht. »Dann stellt sich nur die Frage, warum ihnen das entfallen ist«, sprach Shizune aus, was im Raum stand. Tsunade seufzte genervt. In ihr braute sich ein verdammt ungutes Gefühl zusammen.       _       Sie blinzelte und öffnete die Augen. Seufzend schob sie ihre Bettdecke über die Ohren und drehte sich um. Irgendwo zwitscherten irgendwelche Vögel. Sakura fuhr sich genervt durchs Haar, das ihr ins Gesicht hing, dann zuckte sie zusammen und saß plötzlich aufrecht in ihrem Bett. Hektisch suchte sie nach ihrem Wecker, den sie auf dem Boden liegen fand – die Batterie war in eine Ecke des Zimmers gerollt, das Display hatte einen Sprung. »Verdammt, verdammt, verdammt», fluchte sie vor sich her, zog sich eine Hose vom Kleiderstapel, ein T-Shirt und verschwand ins Bad, spritzte sich Wasser ins Gesicht, putzte irgendwie gleichzeitig die Zähne und band sich ihr Haar zu einem unordentlichen Pferdeschwanz. Dann schnappte sie sich die Tasche mit den Akten und stürmte aus der Wohnung. Die Nacht war verdammt kurz, verdammt bekackt gewesen. Sie fragte sich, wo der wohltuende Schlaf geblieben war – sicherlich irgendwo zwischen den Akten. Sie war viel zu spät dran. Abgehetzt kam sie in der Klinik an, atmete tief durch, ehe sie den Eingangsbereich betrat. »Sakura-san!«, begrüßten sie Schwestern und nickten ihr zu. Knapp erwiderte sie den Gruß und schritt auf ihr Büro zu, stieß die Tür auf und ließ sie sofort ins Schloss fallen. Ihre Tasche stellte sie auf den Besucherstuhl. Sie blätterte durch die neusten Akten, die ihr auf den Schreibtisch gelegt worden waren, und rieb sich über die Stirn. Sie hatte heute wirklich verdammt viel zu tun – und natürlich musste sie ausgerechnet heute verschlafen. Was war überhaupt mit ihrem Wecker passiert? Der hatte ausgesehen, als hätte ihn jemand mutwillig zerstört. Sie gluckste – nicht amüsant. Mit einer Bewegung zog sie ihren weißen Kittel über, dann rauschte sie durch den Gang.       _       »Und dann hat sie ihn gerettet, echt jetzt?« Die Augen des Chaoten hielten ihn förmlich fest, als er immer wieder weiter Fragen stellte – Fragen zu einer Mission, die unter Geheimhaltung lief. Sasuke nickte genervt. Er wusste, Naruto würde das nicht einfach akzeptieren und ruhen lassen. »Die Frage ist, woher du überhaupt von der Mission weißt«, erwiderte Sasuke verstimmt, »immerhin ist es –« Naruto winkte gelassen ab. »Jeder weiß davon», erklärte er bloß, »so was macht schnell die Runde.« Er streckte sich im Krankenbett und verkreuzte dann schulterzuckend die Arme hinterm Kopf. »Was meinst du?«, hakte Sasuke dann doch nach, obwohl er sich innerlich dagegen sträubte. Gerüchte. Gelaber. Halbwahrheiten, die sich gelangweilte Hausmütter erzählten. Dazu diese Blicke. Er hatte es schon immer verabscheut. Erst recht, da er sich oft im Zentrum eben dieser befunden hatte – dem konnte man kaum entfliehen, wenn der eigene große Bruder den gesamten Clan auslöschte. Bis auf einige Ausnahmen eben. Er schnaubte. »Yamato-sensei liegt einige Zimmer weiter, Dobe, da bleibt es nicht aus, dass sich Leute Fragen stellen, echt jetzt, und dann kommen irgendwann Antworten. Auch, wenn natürlich echt viel Unsinn erzählt wird.« »Und ausgerechnet du bist einer von denen, der sich Fragen stellt?«, spöttelte Sasuke und genoss, wie sich Narutos blaue Augen verdunkelten. »Ich bin einer von denen, der sich Fragen stellt, wie eine Mission verlaufen ist, bei der meine Freunde ihr Leben riskiert haben. Genau.« Sasuke verdrehte die Augen. »Diese melodramatische Erklärung kann auch nicht kaschieren, dass du dich einfach hier langweilst und mit in der Gerüchteküche kochst.« Naruto hatte wenigstens den Anstand sich verlegen am Kopf zu kratzen, aber sein breites Grinsen machte das auch wieder gleich wett. »Eigentlich ist es nur mein Recht davon zu erfahren, echt jetzt.« Sasukes Augenbraue schoss in die Höhe. »So weit ich weiß, steht das nur der Hokage zu.« »Ich bin zukünftiger Hokage.« »Und gegenwärtige Labertasche.« Naruto blähte beleidigt die Wangen auf, dann seufzte er. »Ich meine, weil ich eigentlich auch dabei gewesen wäre. Bei der Mission und –« In diesem Moment öffnete sich die Tür. Sasuke sah, wie sich Sakuras Augen kurz zusammenzogen, als ihn ihren Blick traf. Dann übernahm etwas, das wohl professionelles Desinteresse sein sollte, in ihrer Mimik. Es war geradezu lächerlich. »Naruto, wie geht es dir?«, fragte sie und musterte den Blondschopf mit ärztlicher Genauigkeit. »Ich hab Hunger», antwortete er keck und sie verdrehte die Augen. »Also viel zu gut», erwiderte sie spöttelnd und begann die Routineuntersuchung. Sasuke beobachtete sie. Wie sie ihre Hände über Naruto gleiten ließ, mal hier, mal dort ein wenig fester drückte, ihre Augen sich immer mal wieder ein wenig zusammenzogen, und Naruto ihr unsinniges Zeug erzählte. Und obwohl sie ihn ermahnte, zogen sich diese kleinen Fältchen um ihre Augen, die ihr unterdrücktes Lächeln demaskierten. Sasuke zog sich ohne ein Wort zurück. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.       _         »Hä? Wohin ist Sasuke verschwunden?«, fragte Naruto irgendwann und sah sich verwirrt im Krankenzimmer um. Sakura folgte seinem Blick und zuckte dann die Schultern. Stille. Dann sah Sakura auf und bemerkte Narutos nachdenklichen Blick, der durch sie durch zu sehen schien. »Warum behandelst du Sasuke so – komisch?«, fragte er und sein Blick hielt sie einen Moment gefangen. »Was meinst du?«, erwiderte sie mit Widerwillen und notierte sich die Werte, die die Maschinen anzeigten. »Du ignorierst ihn, scheinst dauernd wütend auf ihn zu sein. Und – naja.« »Und was?«, bohrte sie nach und sah trotzdem nicht von ihren Notizen auf. »Und du scheinst so unglücklich zu sein.« Sie verharrte, seufzte dann und versuchte ihre Gefühle, all das, was in ihr wühlte, irgendwie in Worte zu fassen. Diese Trauer, die Schuldgefühle, die Hoffnung, die immer und immer wieder gestorben war, nur um von Narutos Worten und Taten wieder heraufbeschworen zu werden. Die Vergangenheit, in der sie sich ein Leben ohne Team Sieben nicht hatte vorstellen können, wie es zu einem Leben geworden war, in dem sie sich nicht hatte vorstellen können, die Suche aufzugeben, und dann das Leben, in dem sie auch ohne das alte Team irgendwie klar gekommen war. Ihre Träume, wie diese naive Schwärmerei durch die harte Realität abkühlte, wie sie darüber hinaus gewachsen war – und sich ihr Traum grundlegend gewandelt hatte. Sie hatte sich verändert. Sie alle. »Wir haben einen Krieg gewonnen, Naruto. Aber es ist nicht wieder plötzlich alles gut. Tausende Verletzte, noch viel mehr Tote. Hinterbliebene, die kaum Zeit zum Trauern haben, weil so viel zerstört wurde – und damit meine ich jetzt nur das Materielle. Häuser, Wohnungen, Zuhause. Es gibt etliche Kinder, die über Nacht zu Waisen geworden sind. Weißt du eigentlich –« »Ja, Sakura, ich denke, ich weiß, wie das ist», erwiderte er ruhig und sie erstarrte, hielt den Atem an und blickte ihn an. Ihre Augen geweitet. »Entschuldige», flüsterte sie und er legte seine Hand auf ihre Schulter. Wieder legte sich Stille über sie beide. Eine Stille voller ungesagter Worte, gemeinsamer Erinnerungen und geteiltem Leid. »Ich bin nicht gut in so was, Sakura-chan. So mit Worten und so. Aber – ich meine – wir hatten es alle nicht leicht. Auch Sasuke. Auch wenn er es nicht zugeben würde. Und vielleicht ist das unsere Chance wieder anzuknüpfen irgendwie – wie es mal gewesen ist. Unsere einzige Chance.« »Es wird nie wieder sein, wie es einmal gewesen ist», murmelte sie. »Ich weiß.« Sie schaute auf, Überraschung ließ sie blinzeln. »Aber sollen wir deswegen bis an unser Lebensende trauern und bereuen? Oder –« Er lächelte sie an. Seine Augen strahlten in diesem Azurblau. Dieses Funkeln, das seinen Blick durchwob und ihr bisher immer wieder Hoffnung gegeben hatte. »Sollten wir nicht versuchen, das Beste daraus zu machen?«             Kapitel 5: Ein abgefallenes Blatt kehrt nicht zum Baum zurück. --------------------------------------------------------------   ________________________________________________   Und jetzt stehen wir hier, sehen uns an, sagen Worte, hören Worte, fühlen Gefühle, doch wir sind nicht mehr wir.   ________________________________________________       Ausdruckslosigkeit waberte über seine Mimik, als sein Blick über die halbvertrocknete Blume auf dem Beistelltisch streifte. Seufzend starrte er an die Decke. Er hätte es Kakashi nicht übel nehmen dürfen, dass er ihn bereits seit vier Tagen nicht mehr besucht hatte; immerhin gab es Missionen zu erfüllen und – interessantere Dinge, als neben ihm an der Wand zu lehnen, zu schweigen und in einem seiner Bücher zu blättern. Außerdem wusste Tenzou um Kakashis Krankenhausphobie – nicht, dass der es je zugeben würde. Er selbst nahm den Geruch des Desinfektionsmittels mittlerweile gar nicht mehr wahr. Trotzdem. Er hätte es Kakashi nicht übel genommen – hätte seine Absenz nicht so sehr nach Flucht geschmeckt. Seit er den Namen Obito ins Spiel gebracht hatte, mied Kakashi sein Zimmer – das konnte kein Zufall sein – nicht soweit er Kakashi kannte. Trotzdem durchschaute er diese ganze Geschichte nicht. Wenn Kakashi und Obito Freunde gewesen waren, warum hatte eben dieser dann im entscheidenden Moment auf der anderen Seite gestanden? Und wenn Obito doch im letzten Moment seine Treue überdacht hatte, warum schürte allein dessen Name Kakashis Emotionen derart, dass er vor ihnen flüchtete? Verwirrter als zuvor stieg Tenzou aus dem Bett, schlenderte auf die Fenster zu, durch die die Mittagssonne brannte und öffnete sie. Er schloss einen Moment die Augen, spürte die Sommersonnenstrahlen im Gesicht und sehnte sich danach, endlich wieder durch die Wälder zu streifen. Dann schloss er die Fenster wieder mit einem Seufzen – die Hitze von draußen sollte sich nicht noch zusätzlich in dem Raum stauen. Seine Gelenke knackten, sein Nacken war verspannt. Diese ganze Liegerei. Diese ganzen unlogischen Verknüpfungen.   Was hatte Obito mit ihm zu tun? Und wie spielte Kakashi da hinein?   Er wandte sich um. Sein Blick blieb an der Blüte hängen. Was sollte es schon, das bisschen Chakra. Er würde bald entlassen werden. Die letzten Tage waren reine Routineuntersuchungen gewesen. Nicht mehr lange und er würde endlich wieder durch Konoha streifen – dieses Zimmer, die engen Wände und das dreckige Weiß – es schaufelte über seine Sinne eine Lethargie. Die verblassende Farbe der Pflanze war eine willkommene Ablenkung. Mit einem Finger berührte er ein Blütenblatt und ließ es in sattem Orange erstrahlen. Als würde das Leben durch die Adern der Pflanze fließen, sättigte sich das Grün. Die Blätter streckten sich aus, der Blütenkopf richtete sich auf. Unpassend zufrieden war er im Begriff, sich zurück in das Krankenbett zu legen, als er ein schmerzhaftes Prickeln in seinen Fingerspitzen spürte, das sich stechend in seine Arme ausbreitete. Mit geweiteten Augen sackte er wie ein Stein zu Boden.     _       Die Mittagssonne stach ihn in den Nacken, als er auf dem Dach saß und in seinem Buch blätterte. Er wusste, dass in diesem Kapitel das Mädchen endlich ihre Wut bezüglich des Protagonisten auf ihn loslassen würde und – irritiert sah er auf, als sich ein Schatten über ihn ergoss. »Was brütest du wieder aus?«, fragte er gleichmütig, als er Sasukes Silhouette gegen das Sonnenlicht erkannte. Ein Schnauben war ihm Antwort genug und er las ungerührt weiter. »Ist es seine Schuld?», fragte Sasuke stattdessen und Kakashis Augenbraue hob sich. »Wessen?« Wenn er ehrlich war, dann war jeder irgendwie an irgendwas Schuld. Trotzdem wollte er die Frage, auf die Sasuke abzielte, spezifiziert haben, denn Schuld war nicht gleich Schuld. »Uchiha Obito.« Sasukes Ton ließ keinen Zweifel, dass er hinter der vorgeschützten Gleichgültigkeit der Sache nicht ganz so gleichgültig gegenüber stand. Kakashi blätterte weiter. »An was?«, hakte er nach, als würden sich seine Lungen nicht unter einem unsichtbaren Gewicht zusammenstauchen, seine Gedanken rasen, als würden ihm plötzlich all die Begebenheiten mit Obito wieder vor Augen gestoßen, sein Herzschlag ihm in den Ohren trommeln. Sasuke zuckte die Schulter, die Hände in den Hosentaschen, sein Blick suchte etwas, in einer Ferne, in die Kakashi nicht folgte. »Daran, dass Sie versucht haben, mich zu retten«, flüsterte er dann. »Ich denke«, erwiderte Kakashi langsam, »jeder in Team Sieben hatte seine Gründe, dich nicht aufzugeben.« Dann blätterte er eine weitere Seite um, ohne Sasuke anzusehen.     _       Sasuke flog über die Dächer mit einer Eleganz und Effizient, um die andere Ninja ihn beneideten. Seine Bewegungen glichen den eines Adlers auf der Jagd. Als wüsste er, wo er ankommen wollte, jagte er durch die Straßen Konohas, die unter der Mittagshitze flirrten. Kakashi hatte ihm – wie erwartet – nicht mehr gesagt, als er bereits vermutet hatte. Uchiha Obito hatte eine Rolle in dessen Leben gespielt – eine gewaltige, bedachte man das verschenkte Sharingan. Und er wusste nicht, was ihn so sehr daran störte, aber es fraß ihn innerlich auf. Hätte er Naruto ein Sharingan geschenkt? Hätte er sich selbst geopfert, um Naruto zu retten?   Das stichelnde Ziehen in seinem Magen war Antwort genug. Es fraß ihn innerlich auf.   Was bedeutete ein Team? Wie viel wert war ein Teamkamerad? Was war schon Teamarbeit, wenn man zu den mächtigsten Shinobi der Gegenwart gehörte? Was bedeute schon Freundschaft, wenn man so viel Macht hatte, dass jeder andere nur ein Klotz am Bein war?   Er stoppte abrupt, als er angekommen war. Er wusste nicht, warum er hier stand – mitten in dieser alten Lichtung. Die Holzscheiben überzog Moos, das Holz war marode. Aber sie waren da. Die Farbe der Zielscheiben blätterte ab, Gras und Gestrüpp überwucherten die einstigen Pfade.   Was bedeutete schon Liebe? War nicht alles vergänglich?   Mit einem Sprung stand er dort, wo er früher immer gestanden und blickte dorthin, wo er früher immer trainiert hatte. Ehrfurcht hatte damals seinen kleinen Körper durchdrungen, Bewunderung seine Gedanken, Verbundenheit sein Herz. Was war davon übrig? Schuldgefühle? Bedauern? Wut? Leere? Nichts?   Er lehnte sich erschöpft gegen einen Baumstamm. Spürte die Rinde durch sein Shirt, schloss die Augen. Itachi hatte daran geglaubt. Er hatte alles verloren, bis auf eines: die Liebe zu seinem kleinen Bruder. Es wirkte sentimental und melodramatisch, aber in der Realität war es grausam und schmerzerfüllt. Voller Leid, voller Verlust, voller Einsamkeit.   Sasuke öffnete die Augen, sprang auf einen Ast und lächelte schwach. Von früher war nicht viel übrig, von seiner Familie war kaum etwas – Er stockte, wandte sich langsam um und preschte weiter. Die Gedanken droschen auf ihn ein.     _       »Es wird nie wieder sein, wie es einmal gewesen ist«, murmelte sie. »Ich weiß.« Sie schaute überrascht auf. »Aber sollen wir deswegen bis an unser Lebensende trauern und bereuen? Oder –« Er lächelte sie an. Seine Augen strahlten in diesem Azurblau; dieses Funkeln, das seinen Blick durchwob und ihr bisher immer wieder Hoffnung gegeben hatte. »Sollten wir nicht versuchen, das Beste daraus zu machen?« Sie konnte nicht anders, als die Ermutigung in seinem Lächeln zu erwidern. »Ich denke –« Mit einem Ruck wurde die Tür plötzlich aufgestoßen und Shizune stand im Türrahmen. Beide blickten auf, während sich Sakura alarmiert vom Stuhl am Krankenbett erhob. »Was ist passiert?«, fragte sie und Shizune erwiderte ihren forschenden Blick. »Es gibt da etwas, das du sehen solltest.« Naruto schaute verwirrt von der einen zur anderen und öffnete den Mund, als Shizune die Hand hob. »Wir haben jetzt keine Zeit dafür, Naruto! Sakura, am besten du kommst gleich mit!« Mit einem irritierten Blick zurück, zuckte Sakura die Schultern und folgte ihr.     _       Als Shizune die Tür zu Yamatos Krankenzimmer öffnete, überfiel Sakura dieses Gefühl, das sie jedoch darauf schob, dass sie Shizunes ernsten Blick beobachtete. Das Zimmer war hell erleuchtet. Die Sonne strahlte hinein. Das Krankenbett in der Mitte hingegen strahlte eine nüchterne Kälte aus. Zwei Krankenschwestern wuselten hektisch um den Patienten, machten sich Notizen und überprüften seine Vitalfunktionen. Sakura näherte sich bedacht und betrachtete sein kalkweißes Gesicht und die dunklen Augen, die er aufriss. »Yamato-sensei«, begann sie betont ruhig, »wie geht es Ihnen?«     _       Er wusste nicht, was ihn hierhin führte, aber den ganzen Tag rannte er umher, sah Narutos Mimik vor sich und Kakashis Blick. Fragen zogen durch seine Gedanken, Fragen, auf die er keine Antwort wusste. Sakuras wütende Augen. Und Itachis nachsichtiger Blick. Er wusste nicht, warum er nun hier war, aber er war es. Das Knarzen der Tür klang zu laut in der Ruhe der Nacht. Mit einem starren Blick durch den Raum schloss er sie hinter sich. Der Raum war klein. Fensterlos. Kontinuierlich piepsten im Hintergrund verschiedene Geräte, zeigten Daten, Nummern, Buchstaben und Graphen, die ihm keinerlei Information boten. Am Bettkopf spendete eine gedimmte Leuchte Licht. Zu hell, um zu schlafen. Zu dunkel, um die Gestalt im Bett problemlos zu mustern. Er trat näher. Neugierde, diese morbide Neugier, für die man sich schämen sollte, zog ihn an das Bett. Obwohl der Mann dort blass war, schien er nur zu schlafen. Nicht im Koma zu liegen. Halbtot irgendwie. Und doch nicht tot genug. Nicht lebend genug. Es war sogar ungewiss, ob er jemals wieder aus dem komatösen Zustand erwachte. Schnaubend machte er einige Schritte zurück. Was hatte er erwartet? Von einem fremden Mann in einem Krankenbett? Im Koma. Halbtot. Seufzend wandte er sich wieder um und musterte diesen Mann, diesen fremden, seltsam vertrauten Mann. Er glaubte Ähnlichkeiten zu seiner Mutter zu erkennen und fuhr sich fahrig durch sein Haar. »Warum hast du ihm dein Auge gegeben«, murmelte er, »warum?« Obito antwortete ihm nicht. Die Stille ihm Raum verschluckte seine Worte und seine Frage verhallte ungehört. Ohne einen Blick zurück verließ er das Zimmer und dachte, es wäre das einzige und letzte Mal, dass er hier in diesem Zimmer gewesen war, aber das war ein Irrtum.     _       »Okay, gehen wir es nochmals durch«, seufzte Sakura und massierte sich die Nasenwurzel. In ihren Schläfen pochte es, doch sie wandte ihren Blick nicht von den Papierrollen, die sie über den Tisch verteilt hatten. Yamatos Krankenakte in der Hand, etliche Untersuchungsergebnisse auf dem Schoß, saß sie an ihrem Schreibtisch und blickte Shizune an. »Seine Medikamente wurden nicht verändert, seine Ernährung nicht umgestellt, seine Werte hatten sich die ganze Zeit über verbessert – bis jetzt. Plötzlich zeigt er starke Symptome einer Entzündung seiner Chakrarezeptoren und –« »War temporär gelähmt«, schloss Shizune. Sie hatten es die letzten Stunden zig Mal durchgekaut, waren jede Aufzeichnung seiner medikamentösen Behandlung durchgegangen, hatten die Daten der verschiedenen Werte verglichen und waren mögliche Allergien nachgegangen, aber ihnen wollte sich nicht die Ursache erschließen. Oder die Kombination an Ursachen. Genervt legte Sakura die Untersuchungsergebnisse auf dem Schreibtisch ab, um sich zu erheben und durch den Raum zu gehen. Aufgebracht schritt sie hin. Und wieder zurück. »Was hat sich geändert? Was haben wir anders gemacht?«, stellte sie in den Raum und fuhr sich über die Augen. Es war bereits später Abend, draußen war es dunkel und sie hörte die Grillen durch das geöffnete Fenster zirpen. Die Hitze des Tages strich ihr mit Windstößen über die Haut und ließ die Sehnsucht nach Urlaub und Sommer und Eis und stundenlangem, endlosem Faulenzen in ihr hochkommen. Shizune seufzte. »Wir haben nichts anders gemacht«, entgegnete sie erschöpft, »vielleicht liegt darin das Problem?« »Oder –« Sakura blickte sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Oder es liegt gar nicht an uns. Was hat Yamato nochmals gesagt, hatte er gemacht?« Shizune zog das Protokoll hervor und las es vor: »Aus Bett aufgestanden, zum Fenster gegangen, Fenster geöffnet, ein wenig die Sonne genossen, Schließen der Fenster, zurück zum Bett gegangen, Pflanze mittels Mokuton regeneriert, Prickeln in den Finger, das sich in seine Arme ausbreitete, plötzliche Lähmung, die aber wohl nur wenige Minuten anhielt.« »Natürlich«, rief Sakura aus und schaute Shizune triumphierend an. »Er hat zum ersten Mal wieder das Mokuton angewandt!« »Was aber noch immer nicht erklärt, warum er deswegen in eine Schockstarre verfallen ist«, seufzte Shizune und Sakuras Enthusiasmus bekam einen Dämpfer. Sie hatte Recht. Es mochte keinen rechten Sinn ergeben, aber vielleicht hatten sie endlich einen Anhaltspunkt entdeckt. »Es ist spät«, stellte Shizune fest und Sakuras Hand schnellte vor ihren Mund, während sie bereits gähnte. »Entschuldige«, murmelte sie verlegen, doch Shizune winkte ab. »Geh nach Hause und schlaf.« »Aber –« »Ich werde Yamato ein Mokutonverbot erteilen«, unterbrach sie sofort und zwinkerte ihr zu. Sakura nickte ergeben und streckte sich. Ihr Nacken knackte, ihr Rücken schmerzte und in ihrem Kopf schien eine Walze unterwegs zu sein, die jeden brauchbaren Gedanken platt machte. »Na, gut. Dann bis morgen«, schloss sie erschöpft. »Eher bis heute«, entgegnete Shizune mit einem Blick auf die Uhr und seufzte.     _       Kakashi lag im Bett und betrachtete die Schatten, die die Bäume vor seinem Fenster an die Decke warfen. »Daran, dass Sie versucht haben, mich zu retten. Versucht haben. Zu retten.« Sasuke Worte hallten in seinen Gedanken nach, obwohl er versucht hatte, sie zu ersticken – durch einschlägige Lektüre, durch eine viel zu lange, viel zu heiße Dusche, durch einen Spaziergang durch das Dorf. Aber nichts. Jetzt lag er da in seinem Bett und die Worte verfolgten ihn noch immer. Es war eindeutig, welche Frage dahinter stand. Welcher Vorwurf. Aber er hatte Sasuke nicht deswegen unter seine Lehre gestellt, weil er dachte, er wäre es Obito schuldig. Im Gegenteil. Sasuke erinnerte ihn nicht an Obito. Natürlich konnten sie einander nicht verleugnen – dafür hatten sich, abgesehen vom Sharingan, die dominanten Gene des Uchiha-Clans zu sehr in deren Phänotyp niedergeschlagen – aber das war es nicht, was ihm Obito unter die Nase gehalten hatte. Kakashi lächelte unter seinem Mundschutz. Das, was Obito ihm ständig vorgehalten hatte, stand damals in Lebensgröße vor ihm – laut, chaotisch und blond. Sasuke hatte seine Gründe falsch verstanden.     _       Es war draußen bereits dunkel und Shizunes Augen brannten leicht vor Anstrengung, doch sie rieb sich die Müdigkeit aus den Augenwinkeln und gab mit einer Pipette die Lösung auf den Objektträger, legte ihn unter das Mikroskop, stellte es scharf und musterte die Probe. Die Zellen reihten sich aneinander. Nichts Ungewöhnliches. Angefüllt mit Zellplasma, stachen die Vakuolen hervor und die Zellkerne. Ihre Augen weiteten sich, als sie die Chlorophyllen untersuchte. Es waren keine. Es waren – Sie schnappte sich ihre Jacke, verschloss die Tür hinter sich und hastete aus dem Labor.     _       Als er die Tür aufzog, hatte er nicht damit gerechnet in ein Paar schwarze Augen zu sehen, aber genau das tat er. Ohne die Miene zu verziehen, trat er ein und schwieg. Das Knarzen der Tür klang zu laut in der Ruhe der Nacht. Mit einem starren Blick durch den Raum schloss er sie hinter sich. Der Raum war klein. Fensterlos. Kontinuierlich piepsten im Hintergrund verschiedene Geräte, zeigten Daten, Nummern, Buchstaben und Graphen, die ihm keinerlei Information boten. Am Bettkopf spendete eine gedimmte Leuchte Licht. Zu hell, um zu schlafen. Zu dunkel, um die Gestalt im Bett problemlos zu mustern. Doch die Gestalt, die daneben stand war eindeutig zu erkennen. Sasukes Blick schwenkte von ihm zurück zu dem Bett. Wortlos standen sie beide da, als sich Sasuke räusperte. Vielleicht irrte sich Kakashi, aber er glaubte so etwas wie Verlegenheit in dessen Mimik zu erkennen. »Was machst du hier?«, fragte Kakashi in die Stille und erwartete nicht wirklich eine Antwort darauf. Interessanter waren Sasukes nonverbalen Reaktionen oder eben auch, wenn er instinktive Reaktionen vermied. Seine Mimik ausdruckslos. Doch Kakashi glaubte, in seinen Augen etwas glühen zu sehen. »Warum hat er Ihnen damals das Sharingan gegeben?«, fragte Sasuke statt einer Antwort irgendwann, als die Wortlosigkeit in dem Raum bereits über das Unangenehme in das Gewöhnliche verwischte. Kakashi warf seinem ehemaligen Schützling einen abwägenden Blick zu. Ein Uchiha führte kein Smalltalk, schwelgte nicht in Erinnerungen ohne Grund und fragte nicht nach belanglosen Anekdoten. »Er war mein Freund«, entgegnete Kakashi knapp. »Glauben Sie, er hat es Ihnen ohne Intention gegeben?« Kakashi glaubte nicht, dass irgendjemand etwas ohne Intention gab oder nahm, sagte oder hörte – dann hatte er Obito getroffen. Und eine Generation später Naruto. Kakashi zögerte, ihm zu antworten. Aber wenn jemand eine Antwort verdiente, dann Sasuke. »Damals hat er gemeint, er könne somit mein Leben mitverfolgen. Dass er nicht wirklich tot sei. Aber –« Er musste einsehen; selbst die beiden hatten irgendwann ihre Intentionen, seien sie bedacht oder spontan, handfest oder abstrus gewesen. »Ich denke, er hat uns schützen wollen. Vor allem hat er mir etwas geben wollen, womit ich – jemanden beschützen konnte.«     _       Was bedeutete ein Team? Wie viel wert war ein Teamkamerad? Was war schon Teamarbeit, wenn man zu den mächtigsten Shinobi der Gegenwart gehörte? Was bedeute schon Freundschaft, wenn man so viel Macht hatte, das jeder andere nur ein Klotz am Bein hieß? Vielleicht hatte er sein Leben lang die falschen Fragen gestellt. Was bedeutete schon das Dasein als Shinobi, wenn man kein Team hatte? Was hatte man selbst für einen Wert ohne Teamkamerad? Was bedeutete schon Macht, wenn man niemanden damit schützen konnte?     _       Sie verließ das Krankenhaus viel zu spät – und trotzdem stapelten sich die Akten auf ihrem Schreibtisch. Sakura schloss die Tür des Haupteingangs ab und drehte sich sorglos um, als sie mit klopfendem Herzen die Schlüssel fallen ließ. Ihr Schrei blieb ihr im Halse stecken. »Verdammte Scheiße«, zischte sie und funkelte den Mann kampflustig an, »was soll das?« Sasuke zuckte die Schultern, lehnte einfach da an der Säule und sah zu ihr. »Was soll was?« »Was machst du hier?«, meckerte sie, ihr Herzschlag normalisierte sich allmählich wieder, doch ihr Zorn auf ihn entfachte sich gerade erst. »Oder macht es dir einfach Spaß Leute in der Nacht einen verdammten Schrecken einzujagen?« Ihre Schritte klangen auf der Steintreppe am Haupteingang des Krankenhauses dumpf, ansonsten war es still, bis auf die Grillen und ein aufgeschreckter Vogel. Dunkelheit ließ die Schatten der Nacht tanzen und das Licht der Laternen fahl wirken. »Ich war bereits vor dir hier«, erwiderte er ruhig. »Warst du nicht«, widersprach sie ihm verärgert. Er schlenderte wortlos auf sie zu und blieb kurz vor ihr stehen, sah zu ihr hinunter, sie wich seinem Blick aus, strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich habe auf dich gewartet«, sagte er und ihr Blick schnellte zu ihm hoch. Ihr Herz klopfte in ihren Ohren, als sie den Mund öffnete, wieder schloss und dann schnaubte. »Ja, nee, ist klar«, erwiderte sie sarkastisch, doch ein Gefühl drückte sich gegen ihre Brust, »ich nehme erst morgen wieder Untersuchen vor, es sei denn es ist ein Notfall, dann müsstest du die Klingel dort drüben drücken. Den großen, roten, wo Notfälle drüber steht. Ich gehe jedenfalls jetzt nach Hause.« Damit wollte sie an ihm vorbeiziehen – sie war bereits einige Schritte hinter ihm, als sie erstarrte. Seine Hand um ihr Handgelenk, seine Wärme kribbelte in ihren Fingern, ihren Arm hinauf. Mit einem Blitzen in den Augen, wandte sie sich ihm entgegen, riss ihre Hand aus seinem Griff und war im Begriff los zu geifern, als seine Worte ihr den Atem raubten. »Hast du Team Sieben aufgegeben, Sakura?« Kapitel 6: Am altersgrauen Baum der Zeit ist eine Blume abgeblüht. ------------------------------------------------------------------ ________________________________________________   Erinnerst du dich, wie ich dir meine Träume zugeflüstert habe? Ich erinnere mich an all unsere Hingabe. Wir wollten immer Freunde sein.   ________________________________________________       »Hast du Team Sieben aufgegeben?« Seine Stimme lag noch in der Luft. Die Worte hallten in ihren Ohren. Die Bedeutung presste sich in ihre Gedanken. Sie erwachte aus ihrer Starre und warf ihm einen bitteren Blick zu. »Das fragst ausgerechnet du?«, entgegnete sie. »Ausgerechnet du! Ob ich Team Sieben aufgegeben habe? Team Sieben gibt es nicht mehr. Nicht mehr, wie es einmal war und es wird nicht mehr so, wie es einmal war. Und das ist bestimmt nicht meine Schuld. Also bitte. Lass mich in Ruhe, Sasuke.« Doch das machte er nicht. Sein Blick bohrte sich in ihren. Sie schnappte nach Luft, so sehr drückte dieser Zorn auf ihre Lungen. Ausgerechnet er. Ausgerechnet dieser arrogante Arsch. Der immer zu ihr herabsah, der sie beleidigte und erniedrigte, sie nie für voll genommen hatte, der ihr empfahl das Ninja-Dasein aufzugeben. »Warum bist du so wütend?« »Warum ich wütend bin?« Ihre grünen Augen blitzten, sie atmete zittrig ein. »Du bist ein Verräter! Ein arroganter Mistkerl! Der uns im Stich gelassen hat und plötzlich soll alles wieder in Ordnung sein? Ja, wir haben den Krieg gewonnen. Ja, du hast dabei auf unserer Seite gestanden. Du hast dich für deinen Bruder entschieden, für das, für was er gekämpft hatte. Du hast dich deswegen sogar für Konoha entschieden und den Frieden. Aber du hast dich gegen Team Sieben entschieden und du würdest dich auch heute noch gegen Team Sieben entscheiden, wenn es deinen eigenen Intentionen im Weg stehen würde.« Damit ließ sie ihn stehen. Er hielt sie dieses Mal nicht zurück.     _     Draußen donnerte es, erste Regentropfen klopften gegen ihr Schlafzimmerfenster. Ein Blitz erhellte schlagartig die Nacht. In ihrem Kopf herrschte ein ähnlicher Sturm, wie er sich dort zusammenbraute. Wut flammte in ihr auf jedes Mal, wenn seine Worte durch ihre Gedanken blitzten. Sie lag im Bett und starrte an die Decke. Schatten tanzten dort. Doch vor ihrem inneren Auge sah sie nur seine verschlossene Miene, hörte seine dunklen Worte in ihren Gedanken. Als wäre es ihre Schuld! Zornig drehte sie sich auf den Bauch und vergrub ihr Gesicht im Bettkissen. Dieses Gefühl stach ihr in die Seiten, als würde es sie daran erinnern wollen, dass nicht immer alles schwarz-weiß war. Dass es nicht seine Schuld war. Nicht nur. Dass auch er gelitten hatte – sogar sehr. Dass er in die Enge getrieben wurde, missbraucht für die Ziele anderer, dass er ein Kind gewesen, dem zu viel zugemutet worden war. Dass er trotz allem auf ihrer Seite gestanden hatte. Aber es fühlte sich so falsch an. Nach all den Jahren. Nach all der Zeit, in der sie ihm gefolgt waren, ihn versucht hatten, nach Hause zu holen, nach all den misslungenen Versuchen, Rückschlägen, nach all seinen herablassenden Worten und Taten. Sie konnte nicht einfach so alles vergessen, was zwischen ihnen stand. Genervt stand sie auf. Jetzt prasselte der Regen gegen die Fensterscheibe, der Donner grölte in der Nähe, Blitze zerschnitten den schwarzen Himmel. Sie öffnete die unterste Schublade ihres Nachtschränkchens und kramte darin. Wenn sie sich richtig erinnerte, musste es irgendwo hier – Sie schluckte, als sie es erkannte und hervor zog. Ihr Blick gebannt, fuhr ihre Gesichter nach, ihre auf dem Papier festgehaltenen Gesten. Wie jung sie gewesen waren. Ein Lächeln zog an ihren Lippen, als sie Narutos Blick musterte und Sasukes ignorante Miene sah. Und sich selbst. So voller Träume und Hoffnungen und – so naiv. Sie seufzte. Sie hatten sich alle verändert. Aber hatte sie Team Sieben aufgegeben? Mit einem schweren Atemzug legte sie ihr altes Teambild zurück in das Nachtschränkchen.       _       Er wusste nicht, warum er Kakashis Abwesenheit je kritisiert hatte, denn gerade raubte er ihm jeden Nerv. Da zog er sogar die Langeweile im Krankenhaus vor. So lag er jedoch im Krankenbett und wurde gemustert. Tenzou verdrehte seine Augen, als Kakashis Auge so verräterisch funkelte und als hätte er es nicht ohnehin gewusst – »Was machst du auch für Sachen, Holzkopf, dich selbst zu paralysieren, während du Blumen gießt.« Es war nicht zu übersehen, dass der Gedanke seinen Sempai unpassenderweise amüsierte. »Zum wiederholten Mal: Ich habe sie nicht gegossen, sondern mithilfe des Mokuton –« Kakashi winkte ab und lehnte sich zu ihm vor. Tenzou verschränkte instinktiv seine Arme vor der Brust. »Jedenfalls darfst du jetzt keine Blümchen mehr sprießen lassen – für wie lange?« »Zu lange«, murmelte Tenzou und seufzte. »Shizune hat bis auf weiteres angeordnet. Das heißt wohl, bis sie etwas herausgefunden haben.« »Ernsthaft. Es hat wohl mit dem Mokuton zu tun?«, hakte er nach. Tenzou nickte. »Zumindest kamen die Auswirkungen direkt danach. Es wird wohl einen Zusammenhang geben.« »Die Frage ist, was es ausgelöst hat«, fügte Kakashi hinzu und lenkte seinen Blick gen Fenster. Das Gewitter gestern Nacht hatte die Schwüle weggewaschen. Die Luft roch ganz frisch und die Temperaturen waren auf einen angenehmen Grad gesunken. »Ja, immerhin benutze ich dieses Jutsu nicht erst seit gestern.« »Das stimmt. Du wirst alt«, erwiderte Kakashi und Tenzou erkannte das feine Grinsen unter dessen Maske. »Das hatte ich so nicht –« »Was nichts an der Tatsache ändert«, erklärte Kakashi schulterzuckend. »Allerdings sind Sie noch viel älter als ich. Das heißt also, Sie –« »Ich, Tenzou, bin weise.« »Yamato«, murmelte er und verdrehte seine Augen. Es wurde still zwischen ihnen. Denn trotz der Frotzeleien und der Sticheleien, schwelte Ungewissheit und Sorge. Sie brauchten es nicht zu verbalisieren, um zu wissen, dass diese temporäre Lähmung mehr als ein Rückschlag war, mehr als ein Zwischenfall. Irgendetwas braute sich zusammen. Sie wussten nur noch nicht, was. »Kakashi-sempai«, begann er zögerlich, »wegen Obito –« Obwohl Kakashi seine Miene nicht verzog, kletterte ein Kribbeln Tenzous Nacken entlang und ließ ihn zögern. »Ich würde sagen, lassen wir das Thema ruhen, aber ich habe das Gefühl, das Thema ist noch nicht ausgestanden«, stellte Kakashi in den Raum und Tenzous Augenbrauen zogen sich hoch. »Was –« Doch Kakashi zwinkerte ihm nur verschwörerisch zu. »Warten wir es ab«, schnürte er seine Frage ab. Tenzou wusste, wann er aus seinem Sempai nichts mehr heraus bekam und schwieg.       _       »Und du bist dir ganz sicher?«, hakte Tsunade nach. Obwohl sie nachfragte, wusste sie um Shizunes sorgsame Arbeitsmethoden. Wäre sie nicht sicher, stünde sie nicht jetzt vor ihr mit diesem Gesichtsausdruck, der zwischen Faszination, Besorgnis und Entschlossenheit schwankte. Shizune nickte dennoch. Tsunade lehnte sich in ihrem Bürostuhl zurück, die Fingerspitzen aneinandergelegt, die Stirn in Falten. »Diese Proben, die uns die ANBU mitgebracht haben – von dieser Lotuspflanze. Der Zellaufbau unterscheidet sich kaum von dem einer gewöhnlichen Pflanze – aber sie unterscheidet sich in einem grundlegenden Punkt.« Shizune atmete tief durch, bevor sie die große Enthüllung wiederholte. »Die Pflanze besitzt keine Chloroplasten.« Tsunade hatte Pflanzen bereits als Kind als faszinierenden Teil der Natur empfunden, sicherlich hatte ihr Großvater sein Übriges dazu beigetragen, dennoch hatte sie sich stets mehr dem Menschen verpflichtet gefühlt und der pflanzliche Zellaufbau war ihr etwa so vertraut wie die Anwendung des Katon: Sie erkannte es. Sie hatte es bereits zig Mal gesehen. Aber sie hatte es niemals näher studiert. Anders Shizune. Shizune hatte Pflanzen seit ihrer Kindheit untersucht und in ihrer Lehre unter Tsunade vertieft. Pflanzen waren die Grundlage der medizinischen Weiterversorgung. Die Notversorgung mochte durch Chakra stimuliert werden, doch die Genesung übernahm weitgehend pflanzliche Mittel. Pflanzen waren Teil der medizinischen Grundausbildung und dieser Lotus faszinierte Shizune auf eine bizarre Weise. »Dieser Lotus weist – ich nenne sie einfach mal so – Chakraphyllen auf. In seinen Zellen wird Chakra produziert, wo andere Pflanzen mithilfe der Photosynthese Sauerstoff und Kohlenstoff produzieren. Diese Pflanze –« Shizune warf ihrer Meisterin einen Blick aus großen Augen zu, als könnte sie es selbst kaum begreifen. »Sie besitzt wahrscheinlich einen Chakrakreislauf.«       _       Sakura stand in dem Büro ihrer ehemaligen Lehrmeisterin, nachdem sie nach ihr geschickt hatte und schaute ungläubig von Tsunade zu Shizune, nach dem, was sie ihr gerade mitgeteilt hatten. Schriftrollen breiteten sich auf Tsunades Schreibtisch aus, Krankenakten stapelten sich daneben und darauf, doch deren Blick schweifte über die Dächer Konohas. Shizune hingegen fixierte sie aufmerksam. »Ich habe noch nie von so etwas gehört. Chakra – das benötigt doch die körperliche und geistige Kontrolle. Eine Pflanze kann doch keinen Verstand haben. Das widerspricht jeder biologischen Norm.« Sie suchte nach Bestätigung in Shizunes Augen, doch sie fand keine Zustimmung, nur vage Möglichkeiten. »Die mikroskopische Aufnahme spricht für sich«, erwiderte Shizune deutlich. »Chakraphyll«, murmelte Sakura und atmete schwer auf. »Könnte das eine Bedeutung für Yamato haben? Vielleicht – vielleicht steht es irgendwie in Zusammenhang mit der temporären Paralyse?« Sie beobachtete, wie Tsunade eine Teetasse auf ihrem überfüllten Schreibtisch absetzte und seufzte. In Sakura stieg der Verdacht auf, dass es sich bei dem Inhalt nicht um reinen Tee handelte. Shizune erläuterte das Dilemma: »Das ist das Problem. Ich habe bisher noch nie so eine Pflanze gesehen. Yamatos Fähigkeit ist äußerst selten und dazu kommt die Kombination mit dem Lotus. Es gibt zu viele Variablen, um einen Zusammenhang sicher bestätigen zu können. Und selbst wenn es der Fall sein sollte – wir können dadurch einfach so keine Prognosen abgeben.« »Aber – was können wir tun?«, entgegnete Sakura und fühlte sich wieder wie die vierzehnjährige Schülerin, die zwar offensichtlich nicht dumm – im Gegenteil – aber eindeutig zu naiv und unerfahren war. »Wir könnten Yamatos Zellen mit denen des Lotus verschmelzen und dann Tests durchführen«, erwiderte Shizune ganz pragmatisch. In Sakura braute sich ein schlechtes Gefühl zusammen. Sollte die ganze Rettungsmission darüber hinaus doch nur in einer aufgeschobenen Katastrophe enden? »Aber – wir können Yamato doch nicht wieder einfach dieser Gefahr aussetzen und mit dem Lotus –« »Es würde nur ein kleiner Teil von ihm genügen. Er müsste sich nur beispielsweise mit einem Finger mit dem Lotus verbinden.« Sakura seufzte. Medizinisch gesehen gab es in diesem Fall nicht viel Alternativen. Es war wie bei einer seltenen, kaum erforschten Erkrankung mit einer Person, die bereits durch außergewöhnliche Charakteristika nicht dem Durchschnitt der Patienten entsprach. Ein Alptraum für jeden Mediziner. »Das wäre dann wohl weniger problematisch«, überlegte Sakura, »er könnte mithilfe der Proben –« Shizune schüttelte den Kopf und warf Tsunade, die seufzte, einen Blick zu. »Die Tests können nur gemacht werden, wenn die Pflanze noch über einen stabilen Chakrakreislauf verfügt. Bei den Proben –« »Gibt es keinen Kreislauf mehr, weil es sich um abgestorbene Zellen handelt«, erkannte Sakura entgeistert. »Dann – müssen wir zurück zu dem Lotus«, resümierte sie resigniert. Tsunade nickte.       _       Es war später Nachmittag als sie ihre Lippen aufeinander presste. »Sasuke läuft schon die ganze Zeit draußen rum und ich –«, meckerte Naruto leise vor sich her und Tsunades Geduldsfaden war zum Zerreißen gespannt. Kontrolluntersuchungen bei Naruto erwiesen sich meistens als Proben ihrer Geduld. Nicht selten bestand sie sie nicht. »Sasuke hatte auch nicht derartige Verletzungen davongetragen«, erstickte sie sein Gequengel harsch und tastete seinen Bauch ab. Aber ebenso oft erwiesen sich diese Kontrolluntersuchungen als spannend und öffneten ihren Blick. Seitdem nämlich dieser junge Uchiha vor ihr gestanden hatte – mit dieser Überheblichkeit im Blick und der blanken Miene – wusste sie nicht genau, was sie von ihm halten sollte. Er war ein brillanter Ninja, seine Fähigkeiten überragend, doch sein Charakter – Sie kontrollierte Narutos Werte und lächelte zufrieden. Alles im Normbereich. Die Folgen des Krieges mochte weiterhin Schatten werfen, aber hier waren sie endlich verklärt. »Wann darf ich endlich raus hier, Oma Tsunade! Ich bin fit, echt jetzt! Außerdem ist es hier so langweilig. Sasuke war schon auf Mission. Sakura war schon auf Mission. Ich muss endlich wieder trainieren und auf Missionen und –« »Halt deine Klappe, Naruto! Du bist kein Kind mehr!«, befahl sie ihm unwirsch, worauf er beleidigt irgendetwas von wegen alte Oma, Hokage vor sich her murrte. Eigentlich verdankte es Uchiha Sasuke nur Naruto, dass er wieder hier war und trotzdem – oder gerade deswegen? – misstraute sie ersterem. In seinen Augen lauerte etwas, das sie nicht ohne Umsicht losgelassen wissen wollte. Es war etwas Dunkles, etwas, das er nicht abschütteln konnte. Etwas, das sie an ein verletztes Kind erinnerte mit der zügellosen Macht eines Erwachsenen. Eine gefährliche Kombination. Auf der anderen Seite hatte er eine Chance verdient – das Dorf hatte ihm eine schwere Bürde auferlegt und sie sah es in ihrer Verantwortung, einen jungen Shinobi einen Weg aufzuzeigen. Ob er diesen ergreifen wollte, stand in seiner. »Oma Tsunade, wann darf ich endlich wieder auf Mission? Echt jetzt! Ich als zukünftiger Hokage –« Letztlich konnte sie sich jedoch nicht vorstellen, dass Sasukes Weg ohne Naruto möglich war – oder ohne Sakura. So sehr gerade letztere sich dagegen sträuben mochte. Sasuke war auf sie beide angewiesen. Und sie beide würden einen Kameraden nicht zurücklassen. Da war sich Tsunade sicher. Sie kannte die beiden gut genug. Narutos himmelblaue Augen stierten sie abwartend an, seine Arme vor der Brust verkreuzt, die Wangen leicht aufgebläht. »Ich hab gesagt: Ich als zukünftiger Hokage habe das Recht, mit auf Missionen zu gehen und –« In Tsunade spann sich ein Gedanke von A nach B. Vielleicht hing tatsächlich irgendwie alles zusammen, wie ihr Großvater immer behauptet hatte.       _       Sakura packte, um dann wieder die Hälfte auszuräumen. Man sollte annehmen, dass sie es inzwischen gewohnt war für Missionen zu packen – wichtiges Gepäck von unwichtigem zu unterscheiden, aber diese Mission mit Shizune lockte in ihr Gedanken hervor, die sie ihr Gepäck ständig verändern ließ. Was, wenn –? Der Gedanke hockte ihr im Nacken und machte sie verrückt. »Sakura, ein Notfall!« Der Ernst in der Stimme ihres ehemaligen Lehrers ließ sie herumfahren. Mit ausdrucksloser Miene saß er auf einem dicken Ast vor ihrem offenen Fenster. »Was ist passiert?«, rief sie, während sie mit einem Sprung neben ihm landete und sie gemeinsam über die Dächer Konohas jagten. Sein Blick lag kurz vor seinen Füßen, die rasant über die Ziegel schossen. »Tenzou«, erwiderte er bloß und sie warf ihm einen irritierten Blick zu. »Yamato«, korrigierte er sich und ihre Augen zogen sich zusammen.     _       Sie hasteten durch den Korridor des Krankenhauses. Kakashi bog entgegen ihrer Erwartung nicht in die Richtung, in der Yamatos Zimmer lag, sondern lief voraus zur Intensivstation. Dann hielt er vor einem Raum und ließ ihr den Vortritt. Eilig öffnete sie die Tür und verschaffte sich einen Überblick. Das Erste, was sie störte war, dass Yamato trotz Leichenblässe an die Pfosten des Krankenbettes gefesselt war. Das Zweite – und sie wusste nicht, was sie mehr verwunderte – war, dass Sasuke daneben stand. Neben ihr warteten zwei Schwestern auf Anweisungen. »Wo ist Shizune?«, fragte sie, während sie sich die Werte der Maschinen besah und Sasukes Blick in ihrem Rücken zu spüren glaubte. »Sie ist in Raum 01 45«, erwiderte eine der beiden, doch Sakuras Augenbrauen hoben sich überrascht. »Dann ruft sie endlich!« »Sie wurde bei dem Angriff des Patienten –« Reflexartig wandte sie sich der Krankenschwester zu und warf ihr einen bohrenden Blick zu. Was verdammt nochmal war hier nur vorgefallen?       _       Shizune lag mit einem Verband um ihren Brustkorb, ihrer Stirn und einem bandagierten Arm in dem Krankenbett des Raumes 01 45 und schien sie bereits zu erwarten. Ihre Mimik hing zwischen Ärgernis und Sorge. »Shizune«, begann Sakura und setzte sich neben sie ans Bett, »was ist passiert? Die Schwestern haben gemeint, Yamato hätte dich angegriffen, während du ihn untersucht hast und –« Shizune nickte und seufzte. »Das stimmt. Er ist mitten im Satz verstummt und hat mich aus dem Nichts heraus angegriffen. Es war, als hätte etwas von ihm Besitz ergriffen oder als wäre er in einem Genjutsu gefangen.« »Ist deswegen Sasuke bei ihm im Raum?«, hakte Sakura düster nach und Shizune lehnte sich zu ihr vor, ließ es jedoch dann lieber bleiben, als sie das drückende Stechen in ihrem Brustkorb wahrnahm. »Ja – er ist spezialisiert auf dem Gebiet und –« Sakura winkte ab. Das wusste sie alles, immerhin kannte sie Sasuke schon lange genug, hatte seine Entwicklung größtenteils hautnah miterlebt und wusste nur zu gut um seine Stärken – und Schwächen. »Ich habe das Gefühl, dass wir uns immer weiter von der Lösung dieses ganzen Problems entfernen«, murmelte Sakura entmutigt und starrte auf ihre Hände. Es schien greifbar, das fehlende Puzzleteil und doch erkannte sie nicht das Bild, das entstehen sollte. Noch nicht. Zu ihrer Verwunderung schüttelte Shizune bedächtig ihren Kopf. »Wir wissen jetzt, dass es nicht von Yamatos Mokutonanwendung abhängig ist und nicht nur Paralyse bewirkt«, eröffnete sie und bedachte Sakura mit einem nachdenklichen Blick, »und wir können erahnen, dass es immer akuter wird. Zuerst fiel Yamato nur in eine temporäre Starre, dieses Mal hat er komplett das Bewusstsein verloren und –« »Er griff an«, schloss Sakura. »Wir müssen schnell die Ursache herausfinden. Yamato wird zu einer Gefahr für sich und andere.« Mit dieser Feststellung stand sie entschlossen auf. Es gab viel zu tun.       _       Sakura raufte sich die Haare. Energisch schritt sie in ihrem Büro auf und ab. Sie waren nachlässig, zu unvorsichtig gewesen. Shizune hätte niemals allein mit Yamato erste Tests durchführen dürfen. Er hatte sie angegriffen. Angegriffen. Das bedeutete, dass etwas sein Bewusstsein ausschaltete und sich seinem Körper bemächtigte. Was ihr am meisten Sorgen bereitete war, dass sie nichts über die Trigger wussten. Sie hätten gerade deswegen sorgsamer, vorsichtiger, energischer sein müssen. Sie versuchte rationale Gedanken zu fassen, aber sie war zu aufgewühlt. Zornig stützte sie sich mit beiden Armen auf den Schreibtisch und zählte innerlich bis zehn. Oder wollte es, denn bei sieben klopfte es an ihrer Bürotür. »Was?«, keifte sie und jemand wirklich Dummes – denn welcher Mensch mit gesundem Menschenverstand, war so dämlich und öffnete eine Tür, durch die ein derartiger Ton wehte? – zog die Tür auf. Sasuke musterte sie. Sie verdrehte die Augen. »Etwas Neues bezüglich Yamato?«, fragte sie kühl, doch er schüttelte den Kopf. »Dann jetzt nicht«, teilte sie ihm mit, doch das hielt ihn natürlich nicht zurück. »Wir haben eine Mission«, offenbarte er und sie sah ihn an, als hätte er einen verdammt bescheuerten Scherz gemacht. Als hätte sie nicht schon genug Probleme.       _       »Ah, da seid ihr endlich! Ich warte schon 'ne halbe Stunde, echt jetzt!«, begrüßte Naruto sie ein wenig vorwurfsvoll, als sie irritiert in Tsunades Büro stürmte, doch seine Augen funkelten voller Enthusiasmus und ließen den Vorwurf in seiner Vorfreude verdampfen. Sasuke trat ein, als ginge ihn das Ganze nicht wirklich etwas an. »Das ist jetzt ein Scherz, oder?«, platzte aus Sakura heraus und ihr Blick schwenkte von Naruto zu ihrer ehemaligen Meisterin. »Nee, ich hab echt –«, erwiderte Naruto und wurde gleich von ihr zum Schweigen gebracht. Sie wandte sich verärgert Sasuke entgegen. »War das deine bescheuerte Idee? Was soll das hier werden?«, polterte sie. »Tsunade-sama hat uns diese Mission zugewiesen. Wenn du daran Kritik äußern möchtest, dann musst du dich an sie wenden«, erläuterte Sasuke ohne seine Miene zu verziehen. Sakuras Mimik hingegen grämte sich in Abweisung. Ohne seinen Einwand zu kommentieren, suchte sie nach Bestätigung in Tsunades Blick. Die sie verdammterweise fand. »Diese Mission braucht medizinische Kenntnisse und einen Experten auf dem Gebiet der Genjutsu«, begann die Hokage nüchtern und blickte Sakura, dann Sasuke vielsagend an. »Hey, und ich?«, bemerkte Naruto. Tsunade schaute ihn mit einem feinen Lächeln im Gesicht an. »Entschuldigen Sie, Hokage-sama, ich musste noch –« Kakashis fadenscheinige Ausrede für seine gewöhnliche Verspätung sollte niemals ausgesprochen werden, denn als er die Anwesenden im Büro der Hokage reihum musterte, blieben die Worte in seinem Halse stecken. Sakura konnte dieses Gefühl gut nachvollziehen. In ihrem Hals sammelten sich Wörter, die sie lieber nicht in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten verbalisieren wollte. Doch ihr Blick sprach Bände. »Gut, jetzt ist das Team für diese Mission vollzählig«, teilte Tsunade gut gelaunt mit und warf einen Blick in die Runde. »Sasuke als Genjutsu-Experte, Sakura als Medinin. Und was für eine Aufgabe haben Kakashi-sensei und ich bei der Mission?«, beharrte Naruto euphorisch. Sakura warf ihm einen düsteren Blick zu, streifte Sasukes gleichgültige Miene und spürte dieses Gefühl in sich aufsteigen, das ihren Magen mit Bitterkeit füllte. »Ich denke, ihr werdet genug zu tun haben, Naruto«, teilte Tsunade ihm mit zuckenden Mundwinkeln und einem Blick auf Sasuke und Sakura mit. Kapitel 7: Da wo wir saßen am Lebensbaum. ----------------------------------------- ________________________________________________   Oder hörst auch du die ungesagten Worte dazwischen? Die, die die Lüge mit der Wahrheit vermischen. Hast du sie vor dir? Die Zeilen dazwischen? In denen wanken wir zwischen Gefühlen und Worten, zwischen dort und hier.   ________________________________________________       »Warum gehen Sie davon aus, dass es sich bei Yamatos Problem um ein Genjutsu handelt? Es kann doch auch –« Tsunade brachte sie mit einer Geste ihrer Hand zum Schweigen. »Die Missionsverteilung und die Besetzung liegt noch immer in meinen Händen. Glaubst du nicht, dass ich mir sehr wohl im Klaren bin, dass auch andere Ursachen dahinter liegen könnten und ich trotzdem meine Gründe habe, die Mission so zu gestalten?«, fragte sie scharf und es lag etwas Endgültiges in ihrem Ton, das Sakura deutlich zeigte, dass sie diese Diskussion verloren hatte. Sie schwieg, doch in ihrem Inneren rumorte es. Warum hatte sie das Gefühl, dass diese Teamzusammenstellung mehr bezweckte als den erfolgreichen Abschluss einer Mission? Es machte sie wütend und zornig und ärgerte sie: Was waren sie? Ein Experiment? »Die Mission wird zwei Wochen dauern. Untersucht die Lotuspflanze, besonders den Chakrakreislauf und beobachtet mögliche Wirkungen, die der Lotus auf Yamato hat«, fasste Tsunade zusammen und übergab die Schriftrolle mit den Missionsangaben Kakashi. »Was? Moment. Wir sollen Yamato mitnehmen zum Lotus und dort Experimente mit ihm veranstalten?«, bemerkte Sakura mit Widerwillen. »Solltest ihr es schaffen, den Lotus hierher zu bringen, könnt ihr die Untersuchungen mit Yamato auch gerne hier machen«, entgegnete Tsunade ironisch – den Ausmaßen der Pflanze bewusst. Sakuras Blick verdunkelte sich. »Ich meinte –« »Sakura. Nicht nur Yamato befindet sich in einer äußerst kritischen Lage. Er verliert das Bewusstsein und beginnt Kameraden zu attackieren. Er wird zur Gefahr für das Dorf. Wenn diese Gefahr nicht beseitigt wird –« Sie ließ die endgültige Konsequenz unausgesprochen, doch Sakura war nicht dumm – niemandem im Raum musste erklärt werden, was auf dem Spiel stand. Die Sicherheit des Dorfes, die Sicherheit ihrer Freunde und Bekannten, das Leben ihres Kameraden. Sakura schwieg und betrachtete die Dächer des Dorfes, die sich vor der Fensterfront des Hokagebüros ausbreitete. Ein Leben für viele. Sie würde es nicht zulassen. Sie würde ihre Kameraden nicht sterben lassen. Hatten sie nicht deswegen den Krieg überhaupt durchgestanden? »In eineinhalb Stunden am Westtor«, ordnete Kakashi an und wie auf ein geheimes Zeichen verschwanden Naruto, Sasuke und er in einem nebeligen Dampf. Sakura hingegen drehte sich gen Tür. »Sakura! Vergiss nicht, für was du all die Jahre gekämpft hast«, erinnerte Tsunade sie, als sie bereits die Handfläche auf die Türklinke gelegt hatte. Sie hatte mit Team Sieben gekämpft, um Team Sieben, für Team Sieben. Aber es hatte sich so viel verändert. Sie hatten sich verändert. Ohne ein Wort verließ sie das Büro.     _       Als sie so da standen am Westtor und – wie hätte es anders sein können? – auf Kakashi warteten, wünschte sich Sakura, dass ihr jemand zusicherte, dass alles gut werden würde. Natürlich wusste sie, dass das kindisch war. Denn es würde nicht alles gut werden. Sie war erwachsen genug, um nicht dieser Utopie anheim zu fallen. Irgendjemand würde verletzt werden oder es würde irgendetwas passieren, das – »Das ist doch unglaublich«, wetterte Naruto wieder vor sich her, »er kommt immer noch zu spät! Immer! Schon wieder!« »Manche Dinge ändern sich eben nie«, murmelte sie und schaute die Hauptstraße entlang, die wie ausgestorben da lag. Andere hingegen – Es würde sicherlich etwas passieren, das ihre Welt auf den Kopf stellte – in jedem negativen Sinne, den es nur irgendwie gab. Vielleicht war der Lotus außerirdisch und würde sie alle in gedankenlose Monster verwandeln oder es würde irgendjemand Unerwartetes auftauchen – vielleicht sogar jemand, den man bisher für tot gehalten hatte – es wäre ja nicht das erste Mal. Sie schnaubte leise bei dem Gedanken. Es dämmerte und die Wolken breiteten sich wie sanfte Streifen über den rotorangen Himmel, wurden in rosa Licht getunkt. Es wehte ein sommerlich warmer Wind, doch vom Wald her zog feuchte Luft an ihren Kleidern und ließ sie schnell an der Haut kleben. »Halt endlich die Klappe, Naruto«, murrte Sasuke, als Genannter wieder zu meckern anfing und ungeduldig von einem auf den anderen Fuß watete. Sakura schaute widerwillig zu den beiden und runzelte die Stirn. Narutos blondes Haar schimmerte im Sonnenuntergang, als würde es glühen, während Sasukes schwarze Strähnen das Licht schluckte und nur dunkel reflektierte. Abweisend die Arme vor der Brust verschränkt, an den Torbogen gelehnt stand er da und sah aus, als gehörte er nicht wirklich dazu – oder besser: als wollte er nicht dazugehören. »Hey, da seid ihr ja!«, begrüßte sie eine Stimme gut gelaunt und sie drehte sich mit einem resignierten Seufzen um. »Natürlich sind wir hier!«, entgegnete Naruto energisch. »Wir sind ja auch schon seit einer Stunde hier verabredet! Echt jetzt!« Kakashi fuhr sich nachdenklich durch das Haar. »Und es ist ausgezeichnet, dass ihr nicht wie ich durch den ganzen Papierkram der Mission aufgehalten wurdet – oder durch ein Holzklotz am Bein!« Yamato gab ein resigniertes Seufzen von sich und Kakashi klopfte ihm munter auf die Schulter. »Der Papierkram zu einer Mission folgt erst danach, nicht dav-« »Dann sollten wir keine Zeit mehr verlieren!«, unterbrach Kakashi ihn mit einem Zwinkern und meinte nur: »Sasuke, Sakura. Ihr kennt noch den ungefähren Weg vom letzten Mal, oder?« Sie warf Yamato einen Blick zu: Blass stand er neben Kakashi und lächelte ihr schwach zu. Sie nickte. Sasuke stieß sich vom Torbogen ab und schritt vor. Natürlich wusste er, wo es hinging, dachte Sakura gereizt, er hatte seinen Weg ja oft genug alleine gefunden.     _       Bei einer solchen Mission erwartete sie, einen Weg voller Gefahren und Hindernisse. Dass plötzlich Feinde auftauchten, die einen mit viel zu mächtigen Jutsus bekämpften und sie nur mit schweren Verletzungen am Zielort ankamen. Dem war nicht so. Anders als bei ihrer ersten Suche nach dem geheimen Versteck, konnten sie diesmal die potenziellen Verstecke ausschließen und sich auf direktem Wege dorthin aufmachen. Außerdem wussten sie zirka, was sie dort erwarten würde – zumindest hoffte Sakura das. Wobei bereits dieser Gedanke dafür sprach, dass sie sich zu sicher war und damit zu leichtfertig. »Wir machen hier Rast«, rief ihnen Kakashi gelangweilt zu und nacheinander landeten sie auf dem Waldboden. »Aber wir sind doch erst zwei Stunden unterwegs! Es dürfte nicht mehr weit sein und –« Kakashi brachte Naruto mit einem Achselzucken zum Stocken. »Was soll das« – Er imitierte Kakashis Bewegung – »heißen? Hä?« »Es heißt, dass du jetzt schlafen gehst, Naruto«, erklärte er und es klang mehr nach Anordnung als nach Vorschlag. »Aber wir können –« »Mach, was er sagt, Naruto«, unterbrach ihn Sasuke. Sakura beobachtete die drei, doch etwas anderes lenkte ihre Konzentration auf sich: Sie nahm neben sich Yamatos schnelle Atmung wahr. Instinktiv beugte sie sich zu ihm, schnappte sich seinen Arm und presste ihre Finger auf sein Handgelenk. Ihre Augen weiteten sich bei seinem schnellen Puls. Yamato erwiderte ihren Blick. »Was auch immer es ist«, raunte er ihr zu, »es ist unglaublich subtil und trotzdem offensichtlich.« Sie musste ihm zustimmen. Es war mit bloßem Auge zu erkennen, dass etwas nicht mit ihm stimmte. Ein Laie hätte vielleicht auf eine Grippe getippt – sie als Expertin jedoch war sich unsicher. Ihre Augen zogen sich zusammen. Doch sie würde es bald herausfinden. »Wir laufen nicht ohne Pause in das ehemalige Hauptversteck von Madara«, erklärte Kakashi und sah Naruto scharf an, als er anfing zu murren. »Es geht hier nicht um Schnelligkeit, es geht um Informationen.« Widerstrebend willigte Naruto ein. Kakashi sah ihm an, dass es ihm noch immer schwerfiel, nichts zu überstürzen. Sein Blick schwenkte zu Sakura, die Naruto einen Schlag auf den Hinterkopf versetzte und dann zu Sasuke, der ohne ein Wort bereits seinen Schlafsack entrollt hatte. Sie waren wie Tag und Nacht, wie Licht und Schatten. Er musste leise lächeln. Gut, dass der Schatten dort am stärksten war, wo auch das Licht am hellsten schien.     _       »Sai!« Tsunades Stimme klang ungeduldig. Er trat ohne ein Zögern durch die Tür in das Büro der Hokage und verbeugte sich – so wie es ihm beigebracht worden war. Tsunade verabscheute die Ne. Sie hatte sie schon immer verabscheut. Diese geheime Organisation, die damit prahlte gefühllos zu sein. Doch wie konnte man ein Dorf verteidigen ohne das Gefühl der Freundschaft und Aufrichtigkeit und Wärme? Sie fragte sich auch, warum sie diese Wärme momentan nicht spürte. Die Hoffnung, die Naruto stets in seinen Augen trug und die Entschlossenheit, die Sakura leitete. Auf ihren eigenen Schultern ruhte die Verantwortung so vieler Leben. Sie hoffte. Sie fühlte. Doch sie durfte nicht tatenlos zusehen. Sollte etwas passieren, sollte die Mission von Team Sieben fehlschlagen, dann konnte sie nicht darauf vertrauen, dass alles schon irgendwie gut gehen würde. Es war ihre verdammte Pflicht, Team Sieben so viel wie nötig zuzutrauen, aber auch so viel wie möglich von den Schultern zu nehmen. Und wenn es nur dieser potentiell letzte Ausweg war, den sie ihre eigenen Schultern tragen ließ. »Dies ist eine geheime Mission«, begann sie und wünschte sich, die Mission würde nie erledigt werden.     _       »Hey – heeeey«, raunte Naruto neben ihr Sasuke zu, der ihn ignorierte. »Ich weiß, dass du noch nicht schläfst«, behauptete Naruto stur und streckte sich auf dem Waldboden aus. Über ihnen thronte der Sternenhimmel, von knorrigen Ästen durchzogen »Woher willst du das wissen, Strohkopf«, schnaubte Sasuke und wandte sich genervt zu ihm um  »Ha! Siehst du!«, erwiderte Naruto flüsternd, streckte seine Arme aus und grinste zufrieden. »Egal, was auch passiert, die Mission wird genial. Die supergenialste Mission seit langem«, behauptete er voller Euphorie  und Sakura hielt den Atem an, um nichts zu verpassen. Sie lag neben Naruto auf dem Waldboden und hörte die Bäume flüstern und die Blätter wispern. »Warum?«, brummte Sasuke und stellte damit die Frage, die in der Luft hing. »Na, weil es wieder die erste Mission für Team Sieben ist. Ein glorreicher Auftakt für viele weitere supergeniale Missionen.« Sie konnte Narutos Grinsen förmlich aus seinen Worten heraushören und wünschte sich, sie könnte sich so sicher sein, wie er.     _       Am nächsten Morgen saßen sie in einem Kreis und Kakashi raunte ihnen Anordnungen zu. Erstens: Es wurden keine unnötigen Risiken eingegangen. Dabei warf er Naruto einen strengen Blick zu, der wenigstens den Anstand hatte sich verlegen am Hinterkopf zu kratzen. Zweitens: Sie würden sich dem Lotus so viel Zeit wie nötig und so wenig Zeit wie möglich aussetzen. Sakura sollte den Einfluss der Pflanze auf Tenzous – Yamato seufzte – Gesundheit feststellen und weitere Proben mitnehmen. Drittens: Sasuke sollte die Umgebung nach Auffälligkeiten scannen. Viertens: Er selbst würde mit Sakura Tenzous – Yamato verdrehte resigniert die Augen – Zustand überwachen. Fünftens: Teamwork war angesagt. »Und ich?«, warf Naruto entgeistert ein. »Du hilfst Sasuke und machst keinen Lärm«, entgegnete Kakashi, zuckte die Schultern und legte seine Hand auf Narutos Schopf, als wäre er ein braves Hündchen. »Hey! Ich bin keine Katze«, murrte Naruto trotzig und über Kakashis maskierte Lippen zuckte ein Grinsen. »Daran hatte ich auch nicht gedacht.« Das Versteck hatte nichts an seinem Mysterium eingebüßt. Sie hatte gedacht, dass ihr der Anblick vertraut wäre und daher weniger furchteinflößend, doch da hatte sie sich geirrt. Nach wie vor verursachte dieser Ort ein prickelndes Gefühl in ihrem Bauch und eine Gänsehaut auf ihren Armen. Sakuras Instinkte rieten ihr davon ab, in die Höhle zu klettern und die engen Gänge entlang zu laufen, um in einer Bucht unter der Erde eine Pflanze mit einem guten Kameraden verschmelzen zu lassen, um mögliche Veränderungen und Auswirkungen untersuchen zu können. Sie schnaubte. Das hier war eine Mission, die lauthals nach Verletzten und ungebetenen Überraschungen schrie. »Autsch!« Narutos Ruf ließ alle zusammenzucken und sich nach ihm umdrehen. »Sorry, bin mit dem Kopf an die Decke geknallt«, murmelte er verhalten und rieb sich die Stirn. Sakura seufzte. »Hier entlang«, trieb Sasuke die Gruppe mit einem genervten Kopfschütteln an und huschte weiter um die nächste Ecke. Sie folgten ihm – und standen vor einer Sackgasse. »Was –« Doch Sasuke würgte Narutos Gerede ab – seine Augen färbten sich blutrot, als er einige Schritte auf die erdige Wand zu machte. Seine schwarzen Pupillen verdrehten sich, feine, schwarze Linien gruben sich in seine Iris. Steine bildeten sich vor ihren Augen, hoben sich ab von der Erde und formten eine Tür, die über den Boden dröhnte, als sie sich in Bewegung setzte. »Los, weiter!« Kakashi schob Naruto, der mit offenem Mund von Sasuke zu Sakura starrte, durch den Eingang. »Und ihr zuckt nicht einmal mehr mit der Wimper, wenn so etwas passiert?«, gab er kopfschüttelnd zu bedenken. »Sagt der, mit dem versiegelten Biju im eigenen Körper«, murmelte Sakura und klopfte ihm gutmütig auf die Schulter, während sie durch den Gang stoben. Naruto legte seine Stirn nachdenklich in Falten. Sie lebten nun einmal in einer Welt voller Überraschungen, die irgendwann gar nicht mehr so überraschend waren. »Was ist das für ein grünes Licht?«, fragte er, als sie anhielten und den Spalt einer weiteren Tür mit Misstrauen musterte. »Das kommt von dem riesigen Lotus auf der anderen Seite, der dort in einer riesigen Höhle wächst«, erläuterte Sakura. »Achso, klar«, antwortete Naruto ironisch, »warum bin ich da nur nicht selbst drauf gekommen?«   Mit einem Quietschen öffnete Kakashi die Tür. Yamatos Körper spannte sich an. Er hätte nie gedacht, dass er das hier nochmals lebendig sähe, dass er hierher zurückkehren würde – nun, eigentlich hatte er auch nicht damit gerechnet hier überhaupt lebend herauszukommen. Und vielleicht rächte sich nun sein Optimismus und er würde eben doch hier sterben. Es war wirklich nicht lustig. Kakashi klopfte ihm auf die Schulter. Ohne ein Wort. Einfach so. Nur sein Auge sprach Bände. Am liebsten wäre er einfach wieder gegangen.   Naruto stand zwei Schritte vor ihnen. Er folgte seinem Blick hinab auf den Grund der Höhle, deren Boden geflutet war. Das grüne Licht strahlte von einer riesigen Pflanze, die sich durch das weitläufige, unterirdische Versteck grub. Es spiegelte sich in dem Wasser, in dem die Wurzeln mündeten. »Und ich hab mich schon gefragt, warum wir die Blume nicht einfach mit nach Konoha nehmen«, murmelte Naruto entgeistert. An einzelnen Ästen hingen verkrüppelte Zetsu. Die grünen Stiele strebten der Höhlendecke zu, die sicherlich fünfzig Meter über dem Grund ragte. Eine grazile Blüte, deren weiße Blätter rosa zuliefen. »Aber – warum ausgerechnet ein Lotus? Warum – keine – Rose oder so?«, fragte er ernst und Sakura warf ihm einen Blick zu. »Das ist wirklich die erste Frage, die dir durch den Kopf geht bei dem Ganzen hier?«, fragte sie und er zuckte die Schultern. »Streng genommen war es ja schon die zweite gewesen«, murmelte er. »Wie auch immer. Wir sollten beginnen«, erklärte Sakura und sprang auf einen der dicken Äste, die in der Luft ragten. »Shizune hat bereits festgestellt, dass der Lotus seine Energie mithilfe von – nennen wir es Chakraphyllen produziert. Er betreibt keine Photosynthese – also Umwandlung von Energie mithilfe von Licht – sondern stellt Energie mithilfe von Chakra her.« »Wie kann eine Pflanze Chakra bilden?«, hakte Sasuke irritiert nach. »Dazu wird ein Geist, ein Verstand benötigt –« »Wir wissen noch nicht ganz genau, wie es funktioniert«, gab Sakura mit Widerstreben zu und ignorierte Sasukes spöttelnden Zug um den Mund. »Unter anderem deswegen sind wir ja hier«, erläuterte sie und zog ihre Augen zusammen. Ein falscher Ton und sie würde ihm dieses spöttische Grinsen von den Lippen wischen – mit einem gut platzierten Schlag. Ihr Kopf pochte bei dem Gedanken – wahrscheinlich würde sie seine Lippen nie erreichen. Er war verdammt schnell, verdammt stark, verdammt arrogant. Dieser Mistkerl. Sie fuhr herum und strich über den verholzten Ast der Pflanze. Sie waren hier aus wichtigen Gründen – ihre begründete Abneigung gegen Sasuke durfte nicht den Erfolg dieser Mission gefährden. Sie würde sich nicht ablenken lassen. »Irgendetwas beeinflusst Yamato-senseis Körper«, flüsterte sich Sakura selbst zu. Das grünliche Licht waberte den Stiel entlang. Sie hielt ihre Finger in das Funkeln und überlegte. Warum grün? Ihr Blick wanderte nach oben. Warum eine Pflanze? Und sie sah zu Naruto, der von einem Fuß auf den andere watete. Er hatte Recht, zuckte ihr plötzlich durch den Kopf. Warum eigentlich ein Lotus? »Yamato-sensei?«, forderte sie ihn auf und er nickte nur. Sein Gesicht kalkweiß, seine Augen von dunklen Augenringen ummantelt. Er wirkte wie ein Geist. »Ich werde versuchen, meinen Finger mit dem Lotus zu verschmelzen. Ich denke, das sollte funktionieren«, murmelte er. »Das wird es, denn – es hat schon einmal funktioniert«, sprach sie ihm zu. »Leider erinnere ich mich nicht mehr daran«, entgegnete er mit einem schiefen Lächeln. Sie schwieg und konnte sich kaum vorstellen, was dieser Mann gerade durchmachte. Dieser Ort war eine einzige Mahnung. Ein Ort, der einen aufforderte ihn niemals zu betreten. Yamato war hier so lange Zeit gefangen gewesen – was musste in seinem Kopf vorgehen? Kakashi beobachtete die Situation wachsam. Sie sah, wie sein Sharingan glühte. Ohne ein Hindernis tauchte Yamatos Finger in die Pflanzenzellen ein und sie vermischten sich mit dessen menschlichen. »Es tut nicht einmal weh«, meinte Yamato und irgendwie steckte Überraschung in seinen Worten. Der grüne Lichtschein kletterte seinen Arm herauf und umtanzte seine Haut. »Im Gegenteil. Es fühlt sich gut an.« Sakura runzelte die Stirn. Sie zog ihr Kunai aus der Beintasche und schnitt in weiche, grüne Pflanzenfasern, um eine Probe zu nehmen. Das Licht flackerte. »Habt ihr das gesehen?«, rief Naruto überrascht aus. Sie überprüfte Yamatos Vitalfunktionen und schaute ihn ungläubig an. »Sie – genesen«, raunte sie. »Was passiert hier?«, fragte Kakashi ernst. »Fördert der Lotus etwa Heilprozesse?« »Aber woher kommen dann Yamatos Ausfälle?«, wollte sie wissen. Es passte nicht zusammen. Mit einem Ruck zuckte sie zurück, als etwas auf ihrem Kopf landete. Ein vertrocknetes Blatt segelte hinunter. Ihr Blick schnellte nach oben. Wieso war ihr das nicht schon früher aufgefallen? Sie sprang von Ast zu Ast, betrachtete die Pflanzenfasern und die Blätter. »Sakura-chan! Was hast du vor?«, rief Naruto ihr hinterher. »Sasuke, komm mit«, forderte sie statt einer Antwort und erwartete bereits Widerworte oder schlichte Ignoranz, als sie – nicht ohne Überraschung – Sasuke neben sich landen spürte. »Wir müssen zu der Blüte«, erklärte sie und sprang mit einem gewaltigen Satz los. Sasuke folgte ihr, ohne sich anzustrengen. Sie spürte die Kraft seiner Aura und verkniff sich, ihre Augen zu verdrehen. Jetzt galt es, sich zu konzentrieren. Sie betastete die Blütenblätter, als wäre es sensible Haut eines Patienten. »Sasuke – was siehst du?«, fragte sie. Sasukes rubinroter Blick wanderte die überdimensionale Blüte entlang, auf dessen Blütenblatt Sakura kniete. »Chakra, unregelmäßges Chakra«, antwortete er gefasst, doch sie konnte es anhand seiner Körperhaltung entnehmen, dass es ihn beunruhigte und sie konnte sich dem Gefühl nicht erwehren, dass diese Pflanze atmete und fühlte und – Pflanzenfasern zerrieselten in ihren Fingern. »Der Lotus«, begann sie leise und verstand allmählich, »er stirbt.« Sie blickte auf. Verständnislos. »Warum sollte er dann Yamato-sensei heilen? Das ist doch widersprüchlich«, meinte sie, verschloss eine weitere Probe und erhob sich. »Warum sollte diese Pflanze jemanden heilen, während sie selbst verendet?« »Ein Medinin opfert sich zuletzt«, erwiderte Sasuke und seine dunklen Augen starrten in die ihrigen. Sie runzelte die Stirn. »Was hat das damit –« »Der Lotus braucht eine Quelle, um sich selbst regenerieren zu können. Er hat mit aller Gewalt versucht Yamato am Leben zu erhalten – bis wir ihn hier gefunden haben –« »Aber was soll Yamato haben, dass – das Mokuton! Hashiramas Zellen!«, fuhr Sakura dazwischen und schlug sich auf die Stirn. »Die ganze Zeit sprachen Shizune und ich davon. Das Mokuton ist von der ganzen Sache betroffen. Sobald Yamato Chakra schmiedet, verliert er zunehmend das Bewusstsein. Aber warum?« Sasuke zuckte die Schultern. »Ich würde in jedem Fall den Lotus in die Überlegungen mit einbeziehen«, meinte er ironischerweise und Sakura verdrehte ihre Augen. »Dann lass uns schnell wieder zu den anderen gehen. Ich nehme gerade noch schnell hier eine Probe, dann –« »Erinnerst du dich, als du damals meintest, es könnten hier noch Abwehrmechanismen intakt sein«, fragte sie Sasuke ungerührt. »Keine Ahnung«, erwiderte Sakura leichthin und spürte mit einem Windzug Sasukes Rücken an dem ihrigen. »Hey, was soll –« »Nun, ich denke, wir haben die Abwehrmechanismen gefunden.« Sie richtete sich langsam auf und blickte sich um. Ihr Puls begann zu rasen.   Wie Schlingen umschlängelten sie die Pflanzenstiele. Wie Schlangen, in deren Falle sie saßen – wie ahnungslose Kaninchen, die dem Fressfeind entgegen starrten. »Wie kommen sie her?«, hauchte Sakura und bewegte sich keinen Zentimeter. »Madara ist tot. Wie können diese –« »Was, wenn Madara sie nicht erschaffen hat, sondern nur genutzt? Der Lotus hat sie kreiert –«, stellte er in den Raum, ohne einen Blick von den Zetsus zu nehmen, die sie umzingelt hatten. »Sasuke, du wirst ja wohl keine begründete Angst vor diesen – Dingern haben«, scherzte Sakura, ohne sich danach zu fühlen. Sie spürte diese Furcht aufsteigen. Ein Schrei zerfetzte die Stille. »Naruto!«, erkannte sie entsetzt. »Was ist hier los?«   Wie auf ein geheimes Kommando stürzten sich die Zetsu auf sie. Ein leises Lächeln zuckte über seine Lippen und mit einem zischenden Blitz dolchte er drei Zetsu auf. Sofort umfasste sSakura ihr Kunai mit der Rechten und pumpte Chakra in ihre Linke. Mit einem Schlag zerquetsche sie fünf von ihnen. Sasuke schaute zu ihr und sie glaubte, etwas wie Anerkennung zu erkennen. Ein Gefühl von Wärme erfüllte sie und sie riss ihren Kopf herum. Dafür war jetzt keine Zeit. »Pass auf, Sakura!«, schrie Sasuke und sprang hinter sie. Mit einem Blick zurück erfasste sie die Situation. Ein gellender Schrei, dann sackte Sasuke zu Boden.   »Nein!«, schrie sie. »Sasuke!« Mit einem Satz sprang sie zu ihm und pumpte Chakra in seinen Körper. Blutüberströmt lag er da. Die Zetsu krochen über die Pflanzenstiele zu ihnen. »Sie – regenerieren sich«, keuchte Sakura entsetzt und sah dabei zu, wie sich die Gestalten wankend aufrichteten. Sein Blut klebte an ihren Händen. »Warum bist du mir überhaupt ohne Widerworte gefolgt?«, fragte sie und fühlte diesen Kloß im Hals. »Ich hatte dir vertraut, Sakura«, röchelte er, »ich hatte gedacht, diesmal könntest du wirklich etwas zum Team beitragen. Aber wie immer bist du einfach nur unglaublich nervig«, erwiderte er kalt und spuckte Blut. Sein Blick erinnerte sie an damals. Sie fühlte sich plötzlich wieder so jung und unbedeutend und allein. »Warum?«, fragte sie und konnte das Wimmern nicht völlig schlucken, doch dann straffte sich ihre Haltung. Sie war nicht mehr die Zwölfjährige von damals. »Nur damit du es weißt«, zischte sie ihm zornig über die Geräusche der Zetsu hinweg zu und zerquetsche einem neben ihm den Schädel – falls sie überhaupt so etwas hatten, »ich habe Team Sieben nicht aufgegeben. Sonst wäre ich nicht hier.« »Wir sind schon lange nicht mehr hier. Das ist ein Genjutsu«, flüsterte Sasuke. Ihre Augen weiteten sich erschrocken. »Aber«, stammelte sie. »Was meinst du? Wo sind wir?«, hauchte sie. Der Boden löste sich auf. Sasukes sterbender Körper löste sich auf. Die wankenden Zetsu lösten sich auf. Nur ihre Schmerzen blieben und dieses Gefühl, das sie innerlich verschlang. »Bei mir«, schreckte sie eine Stimme auf. Sie fuhr hoch und entdeckte Sasuke neben sich stehen, völlig unversehrt. Er zeigte keine einzige Gefühlsregung und sah sie nicht an. Doch sie wusste, dass er ihn erkannt hatte – diese Stimme. Wer, wenn nicht er? Langsam wandte sie sich um. Kapitel 8: Und im Keime tief drinnen sinnt Verlorenes wieder. ------------------------------------------------------------- ________________________________________________   Ich verirrte mich, Warum?, fragte ich dich. Du sagtest bloß, es gäbe kein Zurück.   ________________________________________________       Langsam wandte sie sich um. Orochimarus Gesichtszüge waren alt und schwammig. Teilweise löste sich seine Haut und hing in blutigen Fetzen herab. Er musste unvorstellbare Schmerzen erleiden und trotzdem prangerte in seinem Gesicht Hohn. Er saß halb aufgerichtet in einem Bett, das erstaunlich frisch und sauber aussah im Vergleich zu dem Rest des Raumes, das von Verwahrung zeugte. An den Wänden prangerte Schimmel, die Luft roch modrig und auf dem Boden eine Staubschicht. »Was ist hier los?«, forderte Sakura zu wissen und reckte ihr Kinn. Sie zeigte nicht ihre Angst – nicht vor Sasuke und auch nicht vor Orochimaru. Erst recht nicht. Lautlos am Rande des Schlachtfeldes zu stehen hatte sie hinter sich gelassen. »Wie nett. Tsunade scheint ganze Arbeit geleistet zu haben – in ihrer Inkompetenz«, scharrte Orochimaru gehässig, keuchte und begann zu husten. Sakura wünschte ihm, zu ersticken. »Was willst du, Orochimaru?«, fragte Sasuke. Er wirkte aufgeklärt und unpassend ruhig. Als stünde er alle paar Wochen immer mal wieder vor Orochimaru ohne zu wissen, warum. Oder wusste er mehr als sie? Sakura musterte ihn. Ihr Blick schoss zu Orochimaru, als der anfing zu lachen. Sein keuchendes, scharrendes Lachen. »Unterhaltung. Mir ist unheimlich langweilig hier«, entgegnete er trocken.     _       Beunruhigt schritt Kakashi durch das Büro der Hokage. Er hatte sie zurückgelassen. Er hatte es tatsächlich wieder getan. Er hatte das Bedürfnis, sich das Haar zu raufen. Naruto stand hinter ihm. Er spürte seinen Blick, doch noch mehr wog sein Schweigen. Naruto schwieg nie. Und doch tat er es gerade. Tenzou lehnte krampfhaft an der Wand – seine Gesichtsfarbe erinnerte an schmutzigen Schnee. Wie hatte es nur dazu kommen können? Seine Gedanken brachen über ihn herein. Dann stieß jemand die Tür auf und Tsunade stand im Zimmer. Im selben Moment durchfuhr ihn ein Ruck. Er würde die beiden zurückbringen. Koste es, was es wolle.     _       »Ich wusste, es war nur eine Frage der Zeit«, schnarrte Orochimaru selbstgefällig. Sakura fragte sich, wie er das schaffte. Wie er es hinbekam, so herablassend zu sein, sie so von oben herab zu behandeln, während er selbst wie ein Stück schimmelndes Fleisch im Bett vor sich her vegetierte. »Ich würde nachfragen, was du meinst«, begann Sasuke gelangweilt, »aber ich weiß ja, wie gerne du dich sprechen hörst. Du wirst es uns also sicherlich ohnehin erzählen.« Orochimaru entgegnete diesem Seitenhieb mit einem finsteren Lächeln. »Ihr habt etwas, das ich brauche und ich habe etwas, das ihr braucht«, behauptete er und keuchte. Sakura runzelte die Stirn und sah von Orochimaru zu Sasuke. Wollte er wieder Sasuke als Gefäß missbrauchen? Waren sie deswegen hier? Ihr wurde schlecht bei dem Gedanken, aber sie würde nicht schwach werden. Keine Sekunde. Stur schaute sie wieder zu dem Überrest Mensch in dem Bett. Sie fragte sich, wie lange er schon am Sterben war.   »Was könntest du uns schon bieten und warum sollten wir es auch nur in Erwägung ziehen?«, fragte Sasuke und machte keinen Hehl daraus, dass es ihn nicht im Mindesten interessierte. Ein Funken der Bewunderung, die Sakura früher immer für ihn empfunden hatte, glomm auf. Wie er sich kein bisschen einschüchtern ließ, obwohl ihre Situation danach schrie. Hatte er keine Bedenken? Oder dieses bohrende Gefühl im Magen wie sie selbst? Orochimaru lachte. Er lachte dieses finstere Lachen, das ihr eine Gänsehaut über die Haut jagte, weil sie es schon öfters gehört hatte. Es hatte nur eine Bedeutung: Sie saßen in der Falle. »Euer Freund wird ohne meine Hilfe sterben. Wollt ihr ihn sterben lassen?«, raunte Orochimaru und sie sah, wie er es genoss.     _       »Wir müssen zurück!«, zeterte Naruto und schaute aufgebracht von Tsunade zu Kakashi, die sich gegenseitig einen Blick zuwarfen, der ihm gar nicht gefiel. Seine Wangen glühten, seine Brust zog sich zusammen und er atmete schwer. »Sie sind da irgendwo und wir haben sie zurückgelassen! Wir –« »Wir hatten keine andere Wahl«, entgegnete Kakashi. Seine Mimik eingemeißelt wie auf Stein. Naruto raufte sich die Haare vor Zorn. »Keine Wahl!«, spuckte er ihm geradezu vor die Füße. »Man hat immer eine Wahl!« »Sasuke und Sakura kommen klar«, erwiderte Kakashi ernst und Naruto glaubte explodieren zu müssen. »Woher wollen Sie das wissen? Vielleicht sind sie – irgendwo in dieser Höhle und brauchen unsere Hilfe! Und wir haben sie einfach dort gelassen!« »Was hätte ich tun sollen, Naruto? Hätte ich Tenzou sterben lassen sollen? Für eine angebliche Rettungsmission, die vielleicht nicht einmal nötig wäre?«, herrschte er ihn an und es wollte gar nicht zu seiner sonstigen Gleichmütigkeit passen. Er atmete tief durch und schaute stur zu Tsunade. Narutos Blick floh zu Yamato, der ihn ansah. Zitternd und bleich.   »Dieser Lotus scheint sowohl zu heilen, als auch zu töten«, erklärte Kakashi gepresst und fuhr sich um Selbstbeherrschung bemüht durch sein stürmiges Haar. »Zunächst kurbelte er Tenzous Chakrakreislauf an – Sasuke und ich haben es gleichermaßen mit dem Sharingan überprüft. Aber dann kippte die Situation.« Er sah, wie sich Tsunade vorlehnte, um Tenzous Augen zu kontrollieren, den Puls und seine Temperatur und doch jedem seiner Worte lauschte, sie aufsog und verarbeitete. »Er hat Fieber«, konstatierte sie und richtete sich mit einem vielsagenden Blick auf. »Naruto, du bringst Yamato ins Krankenhaus.« Frustriert fuhr sich Angesprochener durch sein wildes Haar, widersprach jedoch angesichts Yamatos Zustand nicht, packte dessen Arm und zog ihn sich über seine Schulter. »Alles klar«, behauptete Naruto zerknirscht. Natürlich war allen im Raum klar, dass eben nichts klar war.       _       Tenzous Körper stand in Flammen. Als die Krankenschwester ihn fragte, wo er Schmerzen hatte, wusste er nicht, ob er in Lachen oder Weinen ausbrechen sollte – angesichts der Tatsache, dass sein gesamter Körper, jede verdammte Nervenzelle, »Schmerz« schrie. Er erinnerte sich nur verschwommen daran, was danach passierte. Vielleicht wollte er sich auch nur um Antworten drücken oder seine Physis war tatsächlich fertig und gab den Kampf gegen die Schmerzen auf. Dass er in Ohnmacht gefallen war, registrierte er erst, als er wieder aufwachte. Das Zimmer sah aus, wie das letzte Krankenzimmer, in dem er aufgewacht war. Tatsächlich glaubte er einen Moment, dass es dasselbe war. Aber wahrscheinlicher erschien ihm dann doch, dass alle Krankenzimmer einfach ähnlich bis gleich konzipiert waren. Erst nach diesem äußerst erleuchtenden Gedanken registrierte er, dass er keine Schmerzen hatte – oder fühlte. Eigentlich fühlte er nichts. Sein Körper war taub. Aber es tat gut. Eine wohltuende Abwechslung zu dem unaufhörlichen Schmerz zuvor. Dann flog seine Konzentration zu einer blonden Person, die mitten in seinem Zimmer auf und ab schritt. Tenzous Blick folgte dem einige Minuten lang, ehe er sich bemerkbar machte und Naruto innehielt, aufsah und in seinen Augen die Enttäuschung, Wut und Sorge nicht verbergen konnte. Die Schwestern trafen nur einen Moment später ein, untersuchten Tenzou, schrieben Werte auf und tauschten Blicke, die weder Naruto noch Tenzou entgingen. Jetzt war es ruhig hier. Nur das stetige Piepsen von Geräten und das dumpfe Geräusch von Narutos Schritten. »Wirf es ihm nicht vor«, durchbrach Tenzous Stimme Narutos aufgebrachten Gang, denn er wusste ganz genau, was diese Enttäuschung, Wut und Sorge in dessen Blick verursachte. Mit gerunzelter Stirn blickte Naruto auf. »Er hat sie zurückgelassen«, erwiderte er, als erfassten diese Worte die gesamte Situation, seine Reaktion und die Erklärung, warum er es ihm eben doch vorwarf. »Er hat eine nachvollziehbare Entscheidung als Teamführer getroffen«, widersprach Tenzou ruhig. Naruto schnaubte. »Er hat seine Kameraden zurückgelassen. Wir hätten ihnen nachgehen sollen! Warum hat er nur Sasuke Sakura hinterher geschickt? Wir hätten zusammen –« Tenzou hob seine Hand. Überrascht stellte er fest, dass Naruto tatsächlich in seinem Wortschwall innehielt und ihn erwartungsvoll anblickte. Vielleicht erwartete er eine simple Erklärung, die alles wieder in ein rechtes Licht rückte. Dass Kakashi in Wirklichkeit und gegen den Anschein eben doch nicht die Mission über seine Freunde gestellt hatte, dass er vielleicht sogar einen geheimen Plan verfolgte, der am Ende davon zeugte, dass er seine Freunde eigentlich gar nicht zurückgelassen hatte, sondern – ja, was? Ihnen zugetraut hatte, auch ohne ihn zu überleben?   »Naruto, Kakashi denkt immer an seine Kameraden. Er stellt deren Leben über sein eigenes, aber –« Tenzou schaute ihn ernst an. Er wusste nicht, ob Naruto es nachvollziehen konnte, denn es ging absolut gegen dessen Vorgehen. Naruto wäre Sakura ohne zu Zögern gefolgt. Er wäre kopflos, aber kampfbereit ohne einen Gedanken an seine eigene Sicherheit losgestürmt. »Aber er musste sich entscheiden, welche Leben seiner Kameraden er gefährdet.« Naruto blähte seine Wangen. Als sammelte er all die Luft in seinem Körper für eine Explosion. Tenzou kam dem zuvor, richtete seinen Oberkörper auf und fixierte. »Sakura war offensichtlich in einem Genjutsu gefangen. Nach der Lösung von dem Lotus wurde mein Zustand kritisch. Kakashi musste meinen Chakrahaushalt mithilfe des Sharingans überwachen –« »Warum hat er mich nicht Sasuke folgen lassen? Ich hätte –« »Ich weiß es nicht. Sicherlich hatte Kakashi auch dafür seine Gründe.« Naruto schnaubte und verschränkte seine Arme vor der Brust. »Vertrauen Sie ihm immer so blind?«, fragte Naruto und verbarg den Vorwurf kein bisschen. »Und würden Sie ihm immer noch so blind vertrauen, wenn er Sie zurückgelassen hätte?« Tenzous Augen weiteten sich einen Moment angesichts dieser unerwarteten Frage, doch dann spannte sich ein traurig-wissendes Lächeln über seine Lippen. Kakashi hatte ihn zurückgelassen. Nicht nur einmal. Nicht nur in einem Sinne. Mit diesem Gedanken nickte er Naruto zu.     _       »Welcher Freund?«, hakte Sasuke ohne Interesse nach. »Sasuke, mein Sasuke«, röchelte Orochimaru tadelnd, »vielleicht bist du der falsche Ansprechpartner. Deine kleine Freundin hier wird dir sicher bestätigen können, dass es ihm nicht gut geht.« Tatsächlich warf Sasuke ihr einen Blick zu, den sie nicht zu deuten wusste, ehe er die Schultern zuckte, die Hände in den Hosentaschen. Sakura stand mit beiden Füßen fest auf dem Boden, ihr Blick hartnäckig auf Orochimaru gerichtet. Sie würde sich nicht in die Annahme wiegen lassen, er wäre schwach und ungefährlich. Orochimaru bedeutete stets eine Bedrohung. Auch, wenn er dem Tod näher war als dem Leben. »Aber ich bin ja kein Unmensch«, fuhr er fort und brach in gackerndes Lachen aus, »ihr habt bis morgen Zeit, um euch zu überlegen, wie viel wert euch das Leben eines Freundes ist.« »Warum bis morgen? Warum sollten wir bleiben?«, brach es aus Sakura hervor und sie fixierte die um Atem ringende Gestalt mit einer Gänsehaut, als sie sich zu ihr wandte und sie höhnisch angrinste. »Weil euer Freund nur noch bis morgen leben wird.«     _       Vielleicht hatte er ihn gesucht, vielleicht auch nicht. Vielleicht war es nur Zufall, dass er plötzlich vor ihm stand und ihn so ansah. Aber als er seinen Blick wahrnahm, verstreuten sich seine Zweifel und er wusste, dass Naruto ihn gesucht hatte. Oder dass er irgendetwas gesucht hatte und nun zufälligerweise auf ihn gestoßen war.   »Warum?« Es war immer die Frage, die ihn verfolgte. Die Frage, die seit seiner Kindheit in seinem Kopf hallte und ihm unter Schmerzen bewusst machte, dass das Leben nicht gerecht war oder einfach oder vorhersehbar. »Warum haben Sie mich nicht mitgeschickt? Ich hätte helfen können! Ich hätte helfen müssen! Es sind meine Freunde!«, klagte er ihn an und sein Blick war voller stiller Vorwürfe, die er nicht aussprechen, aber trotzdem nie vergessen würde. Kakashi Hatake seufzte. »Sasuke hatte darum – gebeten. Er ist der Genjutsu-Spezialist und ich habe ihm die Anordnung gegeben, Sakura zu folgen – Sasuke hat mich ausdrücklich gebeten, dich nicht mitzuschicken.« »Warum sollte er das tun?«, hakte Naruto kritisch nach. »Ich denke, er hatte seine Gründe.« »Noch einer, der denkt, andere hätten Gründe für was, was offensichtlich total bescheuert ist. Echt jetzt«, murmelte Naruto angesäuert. »Naruto«, setzte Kakashi an und zum ersten Mal fühlte er sich so alt wie Tenzou behauptete, dass er war. Müdigkeit klebte an seinen Gelenken und seine Wangen waren eingefallen, dunkle Ringe unter den Augen. »Es ist sicherlich nicht leicht, aber wir hatten keine andere Wahl, außer der noch, Ten- Yamato lebensbedrohlich verletzt einem unbekannten Genjutsu auszusetzen.« Naruto schob seine Hände in die Taschen und starrte in den Himmel. Dann schüttelte er den Kopf, als hätte er eine Entscheidung getroffen. »Bis dann«, verabschiedete er sich, wandte sich mit einem Ruck um und ging. »Mach keinen Blödsinn, Naruto!«, gab er ihm mit, in der Ahnung, dass er genau das tun würde. Seufzend lehnte er sich gegen einen Baum. Das Leben war anstrengend. Vielleicht wurde er aber auch einfach nur zu alt. Und Tenzou würde ihn ewig damit aufziehen, sollte er diesen Gedanken von ihm jemals mitbekommen. Nein, das Leben war nicht gerecht oder einfach oder nett. Aber er hatte auch gelernt, dass es nicht gemein und schwer und unnachvollziehbar war. Das Leben war einfach – komplex. Und Freundschaft erst.     _     »Einverstanden.« Sakuras Augen weiteten sich bei Sasukes Worten und sie hatten den Eindruck, dass auch über Orochimarus Mimik Überraschung zuckte. Allerdings konnte das auch Schmerz gewesen sein. »Wir bleiben bis morgen und teilen dir dann unsere Entscheidung mit. Unter der Bedingung, deinen Gegenpreis zu hören – jetzt.« Sasukes Ton trug Ruhe mit sich, als verhandelte er um eine Portion Ramen, um die Naruto ständig versuchte mit ihm zu feilschen. Und nicht um das Leben eines Kameraden – und höchstwahrscheinlich auch um ihre eigenen. Orochimaru fixierte ihn. Dann nickte er langsam. Ein verzerrtes Grinsen entblößte seine faulenden Zähne. »Gerne. Mein Leben gegen das Leben eures Freundes. Hört sich das nicht außerordentlich gerecht an?« Alles in Sakura schrie, dass es einen Haken gab. Einen gewaltigen.     _       Er sah Naruto nach, wie er davonging. Dann wanderte sein Blick zu seinen Händen. Das Buch, das er aufgeschlagen hatte, war abgenutzt, zerknittert, verblasst. Es war alt. Er kannte jede Zeile. Jede Wendung. Die Geschichte war vorhersehbar und die Protagonisten nach einigem Hin und Her ziemlich – nunja. Nackt. Das Leben hingegen war komplex – und nackt war er nur, wenn er duschte. Alleine. Nein, sein Leben war kein bisschen mit dem – Tenzou nannte es Schund, er selbst blieb hartnäckig bei der Bezeichnung Roman – zu vergleichen. In seinem Leben klebte die Frage »Warum?« hartnäckig an seinem Verstand, an seiner Erinnerung, an seiner Entscheidung. Er stand hinter seiner Entscheidung. Sie war zu dem Zeitpunkt die richtige gewesen. Trotzdem hieß das nicht, dass er sich nicht Vorwürfe machte. Wenn er nicht gewesen wäre – Nein, es ging jetzt nicht um ihn. Es ging um seine beiden ehemaligen Schüler. Weil er es ihm schuldete. Er hatte damals versagt. Er hatte ihn dank seines Egoismus und seiner Inkompetenz verloren. Zurückgelassen. All die Jahre warf er es sich vor. In seiner Vorstellung spielte er andere Versionen jenes Tages durch. Jede Nacht. Das quälende »Was wäre gewesen, wenn?« – jetzt bot sich ihm die Chance. Er konnte es wieder gut machen. Seufzend klappte er das Buch zu. Er wusste, dass in diesem Kapitel das Mädchen schließlich ihre vorgeschobene Ablehnung aufgeben würde und der junge Mann endlich – nunja. Vorhersehbar eben. Gemächlich schlenderte er zurück. Er musste ein paar Sachen vorbereiten.       _       Sasuke schnaubte. »Was willst du, Orochimaru?«, hakte er nach. »Sag es jetzt oder wir gehen.« Sakura warf ihm einen Blick zu, der wohl kaum ihre Verwunderung verschleierte. War sich Sasuke seiner Überlegenheit gegenüber einem der Sannin so bewusst, dass er ihm seine Konditionen diktieren konnte? Oder pokerte er nur hoch? Schmerzhaft wurde ihr klar, wie wenig sie Sasuke inzwischen kannte. Seine Fassade war faszinierend, wie eh und je. Aber darunter brodelte es sicherlich. Die berühmte Ruhe vor dem Sturm? Orochimaru schien gerne mit dem Sturm zu jagen, denn in seinen trüben Augen glomm etwas auf. Als spielte er gerne mit dem Feuer, als legte er es genau darauf an, die Grenzen Sasukes auszutesten und ihn zu reizen. Die Grenzen zu sprengen.       _       Er stahl sich an das Westtor, das im Schatten einiger alter Bäume lag, beobachtete wie sich die Wachposten ablösten und schlich sich bis an die Pfähle, die in den von Abendrot bemalten Himmel ragten. Und dann sah er ihn. Mit einem entschlossenen Blick wandte sich Naruto gerade um und starrte ihm plötzlich ins Gesicht. Nur Kakashis Hand auf dessen Mund erstickte den überraschten Ausruf, der Naruto entfuhr.   »Warum –«, wisperte Naruto und starrte ihn an, doch er wischte die Frage mit einer Geste seiner Hand zur Seite. Zu oft hatte er es sich selbst gefragt. Sie hatten jetzt keine Zeit dafür, andernfalls würden die Wachposten auf sie aufmerksam werden. »Was machen Sie hier?«, raunte Naruto dennoch. »Was machst du hier?«, erwiderte Kakashi statt einer Antwort. Gut, dass die Wachen darauf trainiert waren, keine Menschen hinein zu lassen. Immerhin wollten sie ja hinaus. »Ich – ich wollte –« »Sicherlich nicht so etwas Unbedachtes und Dummes tun, wie alleine in ein ehemaliges Versteck Madaras schleichen, um dem leisen Verdacht nachzugehen, dass Sasuke und Sakura Hilfe bräuchten«, entgegnete Kakashi trocken ganz nah an seinem Ohr. Naruto fuhr sich verlegen durchs Haar. »Gut, denn ich werde auch nicht so etwas Waghalsiges und Wahnsinniges tun, wie meinem ehemaligen Schüler dorthin zu begleiten, um meine anderen beiden ehemaligen Schüler nach Hause zu holen.« Narutos Mimik starrte ihm einen Moment blank entgegen, dann breitete sich ein Grinsen auf seinem Mund aus. Er nickte Kakashi zu, ehe er seine Fäuste ballte, nur um kurz darauf seine Schultern sinken zu lassen. »Ständig müssen wir jemanden nach Hause holen«, seufzte Naruto, »wird das irgendwann mal aufhören oder was?« Über Kakahis Lippen zuckte ein Grinsen. Ja, er würde es wieder gut machen. Mit dem Sohn seines ehemaligen Senseis, für seinen besten Freund und gegen jede Regel. Obito wäre stolz auf ihn. Dann setzten sie zu einem Sprung an und waren in der Abenddämmerung verschwunden. Das Leben war komplex. Und Freundschaft erst.     _     »Wisst ihr etwas äußerst Amüsantes?«, begann Orochimaru und alles, was Sakura wusste war, dass es sicherlich nicht amüsant war. »Es heißt, dass Konoha einen Uchiha beherbergt. Einen außer unserem treuen Sasuke«, fügte er ironisch hinzu. »Einen Körper. Lebendig, aber tot. Ohne Hoffnung auf Genesung. Der Geist verstümmelt. Übrig nur die Fassade.« Eine Gänsehaut ließ Sakuras Körper erzittern. Eine Ahnung packte sie. »Ich will Uchiha Obitos Körper.« Kapitel 9: Unser Leib ist eine Blume. ------------------------------------- ________________________________________________   Die Schrecken der Nacht sie holen uns ein. Spürst du? Der Alptraum erwacht.   Die Ängste der Nacht sie nehmen uns gefangen. Hörst du? Der böse Wolf lacht.   Die Schatten der Nacht sie kommen uns holen. Siehst du? Des Grausamen Macht.   ________________________________________________           Sie befanden sich in einem der Zimmer, die Sakura an einen Kerker erinnerten. Erhellt von einigen Kerzen. Es hatte nichts Romantisches an sich. Es war nur eklig und feucht und kalt. Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper, die Beine presste sie an ihren Bauch. So saß sie auf einem kaputten Stuhl. Das einzige Mobiliar neben einem Bett, einem ziemlich verwahrlosten Bett. Sakura glaubte, eine Ratte darin gesehen zu haben, aber sie sprach den Gedanken nicht laut aus – denn sie hatten andere Probleme. Probleme, die im Raum standen und über die sie schwiegen. Sie wusste nicht, wie sie dieses Schweigen brechen sollte. Sasuke stand da, zur Tür gewandt, ihr den Rücken entgegen gestreckt und starrte an die Wand. »Seit wann – wann war es nicht mehr die Realität?«, wisperte sie. Erst glaubte sie, er hätte sie nicht gehört – oder wahrscheinlicher – würde sie ignorieren. Doch dann antwortete er ihr, seine Stimme blank jeder Emotion, wie ein Bericht, den er abzuliefern hatte. »Du bist alleine losgegangen – Richtung Lotusblüte. Du bist nicht wieder gekommen, also bin ich dir gefolgt. Da warst du bereits in einem Genjutsu gefangen.« »Aber du – ich hab mit dir geredet gehabt. Du hast geantwortet«, warf sie irritiert ein. »Eine Projektion wahrscheinlich. Bei der Art Genjutsu werden die eigenen Gedanken und Gefühle gespiegelt. Du hast also mit dir selbst gesprochen«, erwiderte er. »Was ist mit den anderen?«, fragte sie. Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Kakashi gab mir den Befehl, dir zu folgen.« Sie verfiel wieder in dieses Schweigen, voller Gedanken und Ratlosigkeit und Fragen. Und zu ihrem Erstaunen war er es, der eine stellte und nicht sie. »Yamato«, begann er, »was habt ihr ihm bezüglich herausgefunden?« Ihr Blick wanderte von seinen definierten Armen, die er locker ineinander verschränkt hatte, zu seinem Gesicht, das so ebenmäßig war wie eh und je. Das schwarze Haar fiel ihm in die Augen und er fuhr durch sie hindurch, um sie aus seinem Blick zu verbannen. Seine Augen. »Er – wir«, entgegnete sie und räusperte sich. »Er leidet wahrscheinlich unter einer Störung seines Chakraflusses. Wir vermuten, dass es mit dem Mokuton zusammenhängt und auch irgendwie mit dem Lotus. Scheinbar beeinflusst die Pflanze Yamatos Wahrnehmung und Chakrakontrolle. Aber um das genauer zu überprüfen – dafür sind wir ja hierhergekommen.« »Wahrnehmung und Chakrakontrolle. Genjutsu. Es würde alles zusammenpassen«, murmelte er. »Aber wir wissen nicht, wie wir ihm helfen können – momentan können wir nur die Symptome lindern. Und selbst das. Es wird schlimmer und wir können nur zusehen.« Die Stille überfiel sie erneut und Sakura fröstelte, versuchte das Zittern zu kontrollieren, was natürlich absolut gegen jegliche Biologie ging. Sie wollte nicht, dass es Sasuke ihr als Schwäche auslegte, denn sie war nicht schwach. Als Sasuke ihr seinen Umhang entgegenhielt, schaute sie verwirrt drein. »Dein Zähneklappern stört mich beim Denken«, erwiderte er und sie verengte ihre Augen. Seit wann war ein Uchiha einfach nur nett? Seit wann kümmerte sich Sasuke um sie? Mit einem Schnauben, warf er ihn durch ihr Zögern genervt, einfach über die Schultern. Sein Duft stieg ihr in die Nase. So vertraut – und fremd. Jetzt war nicht die Zeit für melancholische Gedanken, rief sie sich zur Ordnung und beobachtete, wie er hin und her schritt. Manchmal zogen sich feine Falten über seine Stirn, als konzertierte er sich trotz seiner desinteressierten Mimik. Ihre Situation war bizarr – eingesperrt in Orochimarus Versteck, Seite an Seite mit Sasuke. Dabei hatten sie doch nur erste Informationen gesucht. Informationen. Ihre Mission lief noch immer. Yamatos Leben stand auf dem Spiel und Konohas Sicherheit. Und so verdichteten sich ihre Gedanken, bis sie laut aussprach, was sie beschäftigte. »Sasuke, du bist stärker als Orochimaru, oder? Ich meine, ohne dir schmeicheln zu wollen, ganz objektiv.« »Stärke ist nie objektiv«, erwiderte er nüchtern, »es kommt immer drauf an.« Sie schnaubte und fuhr sich leidig durchs Gesicht – natürlich, sie hatte mit einem Uchiha zu tun. Seit wann erwartete sie eine klare Antwort? »Wenn es darauf ankäme, hier raus zu kommen, würden wir es schaffen?« Er schien zu überlegen, während er sie musterte, und sie fragte sich, was er dachte. Doch dann nickte er ruhig und sie spürte das Gefühl von altbekanntem Vertrauen in sich aufsteigen. Dieses Gefühl, das man nur bei alten Freunden verspürte. »Gut, dann ist unsere Antwort klar«, behauptete sie, ballte die Hände du sah ihn an. »Du willst ihm eine Absage erteilen und verschwinden«, formulierte Sasuke gelangweilt und sie fuhr hoch, stellte sich vor ihn, so dass er ihrem Blick nicht ausweichen konnte, die Hände in die Hüfte gestützt. »Unsere Mission. Es geht nicht darum, einfach raus zu kommen«, stellte sie rigoros klar, »es geht um Informationen. Und wir sind gerade an der Quelle der Informationen angekommen. Wenn wir das hier durchstehen, können wir Yamato heilen!«»Das heißt, du willst Obitos Körper für Yamatos Gesundheit eintauschen«, erwiderte Sasuke. Seine emotionslosen Worte ließen sie frösteln. Als sprächen sie hier nicht von Menschen, sondern Waren. Sie zögerte. »Vielleicht gibt es noch einen anderen Weg«, murmelte sie, »aber den können wir höchstens finden, wenn wir uns auf Orochimarus Spiel einlassen.« Sie fixierte seinen Blick und glaubte Verwunderung wahrzunehmen. »Du willst also den Teufel höchstpersönlich hereinlegen«, bemerkte er sarkastisch, dann bildete sich ein feines Lächeln in seinen Mundwinkeln. »Das klingt eher nach mir als nach dir, Sakura.« Ihr Blick schellte nach oben und traf auf dunkle Augen, die sie intensiv musterten. Hätte sie es nicht besser gewusst, hätte sie Amüsement und Anerkennung darin gelesen.     _       »Was soll das heißen, sie sind verschwunden?«, herrschte Tsunade und schlug mit beiden Fäusten auf ihren Schreibtisch. Sai blinzelte nicht einmal. »Sasuke und Sakura sind vor meinen Augen verschwunden. Ich nehme an, ein Ort-Zeit-Jutsu wurde –« Tsunade unterbrach ihn. »Und was hat das mit Kakashi und Naruto zu tun?« »Nichts, nehme ich an. Allerdings sind sie auch verschwunden.« Tsunade atmete tief durch, drehte sich um und versuchte dieses Gefühl der Explosion in ihrem Inneren unter Kontrolle zu bringen. Sie spürte Shizunes Blick auf sich ruhen. »Wie steht es um Yamato?«, fragte sie energisch. »Nicht gut«, erwiderte ihre ehemalige Schülerin müde und drückte das Schwein in ihren Armen fester als es wohl für es angenehm gewesen wäre. »Sein Kreislaufsystem scheint zu kollabieren. Nach und nach versagen seine Organe. Sein Chakra scheint sie anzugreifen. Momentan liegt er in einem künstlichen Koma.« »Autoimmun«, murmelte Tsunade und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Sie hatte das Gefühl, das alles um sie herum ihren Händen entrissen wurde. »Gut, das war's. Sai, du kannst gehen. Behalte Yamato im Auge.« Nicht, dass der auch noch verschwand, dachte sie sarkastisch.   Als Sai die Tür hinter sich zugezogen hatte, legte sich eine schwere Stille über die beiden. »Denkst du dasselbe, was ich denke?«, fragte Shizune nach. »Dass Kakashi und Naruto Vollidioten sind, die hoffentlich etwas aus ihren Ärmeln schütteln, das Yamatos Situation einschlägig verbessert und dass Sasuke und Sakura hoffentlich nicht in gewohnt großem Schlamassel stecken – was allerdings etwas völlig Neues und Unerwartetes wäre?«, hakte Tsunade nach und wandte sich zu ihr um. Zu ihrem Erstaunen schüttelte Shizune langsam den Kopf. »Das auch. Allerdings habe ich an etwas anderes denken müssen.« Tsunade forderte sie ungeduldig auf, weiterzusprechen. Ihre Geduld war schon immer von schlechten Eltern gewesen, aber heute hatte sie das Gefühl ständig explodieren zu müssen. Shizunes Blick schwenkte über Konoha, das Schwein fest im Griff. »Was, wenn sie irgendetwas finden würden, das Yamato retten könnte, aber – Yamato stirbt, bevor sie zurück sind?«     _       Sasuke wandte sich von ihr ab. »Allerdings«, wandte er ein und fixierte sie, »gibt es keine Garantie, dass wir es durchstehen. Du willst dich auf ein Spiel einlassen, dessen Regeln du nicht kennst. Dazu auch noch Orochimarus Spiel, der die Regeln in jedem Falle so drehen wird, wie es ihm nutzt.« Die kribbelnde Wärme, die sie eben noch empfunden hatte – obwohl sie sich nicht eingestehen wollte – zerplatzte wie nach einem Schwall kalten Wassers. »Es gibt nie eine Garantie«, erwiderte sie und stapfte an ihm vorbei, während sie ihm kurzerhand seinen Mantel zurück in die Hände drückte. Sie spürte, wie Sasuke ihr nachsah und sie sich ermahnte, nicht zu ihm zurück zu sehen. Denn sie brauchte seine Bestätigung nicht. Ihre Entscheidung stand fest. Dann spürte sie, wie er im nächsten Moment hinter ihr stand, glaubte seine Wärme zu spüren und den leichten Luftzug seiner Bewegung. »Na, dann. Lasset das Spiel beginnen«, raunte er sarkastisch. Sie wollte es sich nicht eingestehen, aber mit Sasuke im Rücken, würde sie Orochimaru furchtlos entgegentreten. Mit entschlossenem Gesichtsausdruck klopfte sie von innen gegen die Tür. »Wir haben uns entschieden«, teilte sie dem Lakaien Orochimarus davor mit.     _       »Ist es noch weit?«, fragte Naruto und Kakashi schaute ihn an. Schon wieder. »Noch fünf Minuten«, meinte er gelangweilt. »Das haben Sie schon vor einer halben Stunde gesagt«, maulte er. »Du kennst diesen Weg bereits«, erinnerte ihn Kakashi. Schwarzgrün rauschten die Baumkronen an ihnen vorbei. Die Nacht war hereingebrochen und die Äste schirmten den Sternenhimmel über ihnen ab. Nur ab und zu blinzelte das Sternenlicht hindurch. »Aber da sah es so anders aus«, behauptete Naruto. Manchmal fragte sich Kakashi, wie es Naruto schaffte, seinen Ninja-Alltag zu überleben. Oder überhaupt jegliche Art von Alltag. Doch dann verschwand der kindlich-trotzige Ausdruck aus Narutos Gesicht. Mit einem Male schien er hellwach zu sein. »Fühlen Sie das?«, fragte er ihn und Kakashi nickte. »Wir sind umzingelt«, stimmte er zu und trotz dieser unangenehmen Wendung floss ein erleichterter Funke durch seine Adern. Es gab also doch Hoffnung, dass Naruto seinen Ninja-Alltag auch in Zukunft überlebte.     _       Orochimaru grinste, als sie vor ihn traten, um ihm ihre Entscheidung mitzuteilen. Vielleicht wusste er, was sie sagen würden. Vielleicht stand es in ihren Augen oder Gesichtszügen. Sakura überkam ein Schütteln, gegen das sie kämpfte. »Obitos Körper für Yamatos Gesundheit«, erklärte Sasuke und das Schütteln verebbte zu einem Frösteln. »Meine Gesundheit für seine, die meines kleinen Experiments«, korrigierte Orochimaru. »Er heißt Yamato«, fiel Sakura ein und ballte ihre Fäuste, trotz des Schauderns, trotz des Fröstelns. Sie würde Orochimaru nicht so über Yamato sprechen lassen. Das schlangenartige Gesicht wandte sich ihr zu und zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, dass er sie wirklich ansah. Sie hielt dem stand, obwohl sie befürchtete, zusammenzubrechen. Schwäche zu zeigen. Die Angst, die ihre Adern emporkroch, wenn sie seine verkrusteten Ohren und Augen sah, das blutunterlaufene Gesicht und die Haut, die sich abschälte und in wunden Stellen seine Mimik entstellte. Angst nicht vor diesem Anblick, sondern dem, was er aus sich gemacht hatte: Er war ein gepeinigter Schatten, der seine menschlichen Züge hinter sich hatte lassen wollen und trotzdem ständig von diesen eingeholt wurde. Diesmal schlug die Sterblichkeit mit voller Kraft zu. »Meine Gesundheit für die seinige«, wiederholte Orochimaru langsam und ließ sie nicht aus den Augen, bis Sasukes Worte seine Aufmerksamkeit auf ihn lenkten. »Wie wirst du vorgehen?«, hakte der nach und Orochimaru röchelte etwas Unverständliches, griff sich an die Brust und krallte die andere Faust in seine Bettdecke, als er keuchend um Atem rang. »Toji!«, rief er und ein Junge öffnete die Tür. »Bring die Phiolen!«   »Geht. Rettet euren Freund.« Sakuras Augen weiteten sich ungläubig. »Woher nimmst du die Zuversicht, wir würden dann wiederkehren?«, fragte Sasuke verächtlich das, was ihr durch den Kopf fuhr. Orochimarus Grinsen verhöhnte sie. »Das werdet ihr schon sehen«, verkündete er.     _       Kakashi hatte die Angewohnheit sich kurz vor unvorhergesehenen Kämpfen innerlich zu fragen, warum er nicht sein Buch weitergelesen hatte oder nochmals oder warum er seine Zeit damit verschwendet hatte, seine Wäsche zu waschen. Denn schließlich wusste man nie vor so einem Kampf, ob man ihn auch überlebte. Naruto und er standen Rücken an Rücken und versuchten den Feind auszumachen, der sich im nachtschwarzen Gebüsch verborgen hielt. »Wer seid ihr?«, verlangte Kakashi zu wissen, mit seinem Sharingan durchleuchtete er die Umgebung, er konnte eine Art Chakrazirkulation erkennen, aber so etwas hatte er noch nie gesehen: Das Chakra entbehrte jeden Kreislaufes. Dann jagten drei Schatten auf sie zu. Er wich aus, spürte, wie etwas an ihm vorbeizog. Mit einem Schrei rauschte Naruto überstürzt hinterher. Das blaue Chakra des Rasengans durchzuckte die Dunkelheit und grub sich in einen starren Körper, der in dem gleißenden Licht zappelte. Für jedes Lebewesen bedeutete ein solcher Treffer den Tod. Es zischte und schlug Funken. »Oh, verdammt!«, rief Naruto aus, seine Stimme eine gute Terz höher als normal, als sich der knarzende Körper erhob. »Das sind Zombies! Holzzombies!« Kakashi versuchte die Wesen einzuordnen. Doch nichts, was er kannte, konnte es erklären. Mit einem Faden in der Hand sprang er von Geäst zu Geäst, folgte seinem Gehör und seinem langjährig geschulten Instinkt. Mit einem Ruck spürte er, wie sich der Faden festzurrte und sich in den Körper eines Gegners grub. Die Dunkelheit verschluckte das Ergebnis und die Gestalt stand in dem Grauschwarz der Nacht. Vorsichtig trat Kakashi an den Gefangenen heran. Dann hörte er Narutos entgeisterte Stimme: »Es sind – Menschen – waren Menschen mit –!« Mit entsetzt geweiteten Augen betrachtete Kakashi das Geschöpf vor sich. Aus seinem weit aufgerissenen Rachen rankte sich eine Pflanze, um seine Ohren hing geronnenes Blut, verkrustete Wunden, aus denen Pflanzenstiele und Blätter ragten. Dort, wo einst die Augen gewesen waren, stierten nun mehr Höhlen entgegen, aus denen Blütenknospen empor krochen. Geronnenes Blut zog sich über die Wangenknochen. »Sie sind hier, Sempai!«, ertönte plötzlich eine Stimme aus dem Dickicht. »Diese beschissenen Kackmutanten«, schimpfte er unverhohlen weiter und kämpfte sich seinen Weg am Waldboden entlang. Dann schaute er in die Baumkronen und erstarrte. »Hey! Ihr! Wer seid ihr?«, schrie er und musterte Kakashi und Naruto argwöhnisch. »Ihr habt sie hoffentlich nicht erledigt, ey! Ich renn hier doch nicht die ganze Zeit rum, damit sie n anderer abmurkst! Ich sag's euch! Ich kann's ja versteh'n, wenn man die einfach abmurksen will, aber echt. Ich will se abmurksen!« Mutanten. Menschen, die mehr Pflanzen als Menschen waren. Plötzlich auftauchende Fremde, die die Holzmutanten einfangen und zurückbringen sollten. Kakashi seufzte. Er hatte schon befürchtet, die Mission könnte langweilig werden. »Wir helfen dir!«, verkündete Naruto im Brustton der Entschlossenheit. Kakashi starrte ihn an. Das war das Problematische an Helden und Söhnen von Helden: Sie agierten heldenhaft. Er blickte hinunter zu dem Fremden. Hinter ihm tauchte ein weiterer auf. »Hey, du Idiot! Was machst du hier? Und – wer sind die?« Eine Narbe quer über das Gesicht verunstaltete die Mimik des zuletzt Aufgetauchten. Grimmig schwenkte sein Blick von seinem Kameraden zu ihnen hoch. »Sempai, das sind – irgendwelche. Die wollen uns helfen, voll bescheuert, nicht die beiden? Aber – wenn sie uns helfen –« »Kiyoshi, halt deine Klappe!« Kyoshi verstummte. »Warum sollten sie uns helfen? Und wo sind die verkackten Mutanten hin?«   »Wir haben sie hier!«, rief ihm Naruto breit grinsend hinunter. »Ihr – seid ihr Ninja? Ihr habt Stirnbänder –«, entgegnete der Unbekannte misstrauisch. Naruto nickte voller Stolz. »Ja, wir sind aus Konoha! Und wir sind auf einer Mission! Echt jetzt!« Kakashi sah, wie sich die beiden Männer einen Blick zuwarfen. Der ältere zuckte dann die Schultern. »Könnt ihr uns sagen, woher diese – Dinger kommen?«, rief Naruto arglos hinunter. In diesem Moment sah Kakashi, wie sie sich aus den Schatten lösten. Weitere namenlose Verunstaltete. »Da sind sie! Die anderen«, schrie Kiyoshi auf und stürzte sich auf die Holzmenschen. Naruto folgte ihm, als hätte er ihm ein geheimes Signal gegeben. »Wir haben keine Zeit für so was«, schnaufte er energisch, »ich muss zu meinen Freunden!« Mit einem Kraftstoß, der Kakashi beinahe von den Füßen riss, vermischte sich das feuerrote Chakra des Fuchsungeheuers und das blaue Narutos zu einem gleißenden Licht und mit einem Schlag verharrten die Geschöpfe in Bewegungslosigkeit. »Was hast du gemacht?«, fragte Kyoshi mit Argwohn in der Stimme, doch auch bewundernd. »Sie haben keinen Kreislauf – keinen normalen. Bei denen geht alles so durcheinander. Aber trotzdem geht das Chakra immer durch einen Punkt: den Kopf. Und da habe ich jetzt die Verbindung gekappt. Mein Chakra hält denen ihr Chakra davon ab, sich immer wieder im Kopf zu sammeln.« Kakashi warf Naruto einen Blick zu. In solchen Momenten erinnerte er ihn so sehr an seinen ehemaligen Lehrer. Obwohl Jiraya stets behauptet hatte, dass Naruto ihn so sehr an Kushina erinnerte. So also überlebte Naruto seinen Ninja-Alltag. Voller Energie, Empathie und Chakra. Kakashi seufzte. Bisher hatte er – offensichtlich – jeden Kampf eben doch überstanden. Und deswegen musste er auch weiterhin noch andere Dinge tun, als zu schmökern, trotzdem auf sein Gewicht achten und seine Wäsche waschen. Jedoch wusste man nie, wie lange noch. Er schwor sich, in Zukunft viel mehr zu lesen – und seine Wäsche, die würde er dann Tenzou machen lassen. Den ganzen Stress für dessen Rettung würde Kakashi ihm sicherlich nicht einfach so durchgehen lassen.     _       Sakura blinzelte und hob dann ihre Hand, um sich vor dem blendenden Licht zu schützen, das von der Decke strahlte. Sie bemerkte gleichzeitig, dass ihre Hand etwas umfasste und hielt inne. »Was – wo bin ich?«, murmelte sie schwerfällig. Das Piepsen drang an ihre Ohren, dann fühlte sie das weiche Bettlaken und die Decke. Abrupt fuhr sie hoch. »Langsam, Sakura-san«, beruhigte sie eine Krankenschwester. »Ihr seid in Konoha – im Krankenhaus. Alles ist okay. Ihr wurdet vor den Toren Konohas gefunden.« Sakura versuchte sich zu erinnern. Doch ihre Gedanken verfingen sich in nebelartiger Ungewissheit. »Sasuke«, erhob sie ihre Stimme und sah sich suchend um, als erwartete sie tatsächlich, dass er hier war. Ihre Finger krallten sich um die Phiole, in der sich eine unbekannte Flüssigkeit befand. Ihr Blick lag auf ihr. Was hatte das zu bedeuten? Was war passiert? »Sasuke-san liegt im Zimmer nebenan. Ihm geht es gut«, sprach die Krankenschwester sanft. Sakura lehnte sich zurück und atmete tief durch. Alles schien in Ordnung zu sein. Sie kämpfte gegen das überwältigende Gefühl in ihrer Brust an. In ihrem Inneren schrillten die Alarmglocken. Jemand riss die Tür auf.     _       »Was sind – waren das für Dinger?«, fragte Naruto, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und schaute seitlich zu Kiyoshi. »Mutanten«, wiederholte er. »Woher kommen die?«, hakte Naruto nach. Kiyoshi erwiderte einen Moment seinen neugierigen Blick, dann wandte er sich ab. Sie liefen durch die Nacht. Das Gehölz umrahmte ihren Weg, das Laub raschelte unter ihren Schritten. »Sie sind Mistgeburten – missratene Experi-« »Kiyoshi! Sei still!«, wetterte sein Sempai erzürnt. Kiyoshi zuckte die Schultern und schwieg. Die Nacht thronte über ihnen. Die Äste erhoben sich wie Schwingen. Kakashis Blick fuhr über die Schatten und die Fremden. »Wir müssen weiter, Leute«, ließ Naruto irgendwann verlauten. »Das wissen wir«, erwiderte der Ältere mürrisch. Sie hielten vor einer Höhle und schauten sich an. »Und ihr hättet wissen sollen, dass wir euch nicht weiter lassen können«, führte Kiyoshi aus, rieb sich die Hände aneinander und grinste. Naruto horchte auf. Kakashis Augen verengten sich. »Da seid ihr ja«, ließ sie eine Jungenstimme herumfahren. »Wer sind die? Das war nicht so gewollt«, sagte er mit großen, dunklen Augen. »Das wird Orochimaru-sama entscheiden«, knurrte der Ältere und der Junge zuckte zusammen. »Koji! Mach schon!«, drängte Kiyoshi und der Junge presste die Lippen aufeinander. Kakashi musterte ihn mit Argwohn. Naruto schaute perplex zwischen den Männern umher. »Es tut mir leid«, vernahmen sie noch. Dann ummantelte sie Dunkelheit.     _       Sakura starrte den jungen Mann in der Tür an, als wäre er nicht real. »Sakura«, raunte er und es klang, als hätte er zu lange nichts mehr getrunken. »Ich muss darauf bestehen, dass Sie sich wieder in Ihr Bett begeben, Sasuke-san«, unterbrach die Krankenschwester pflichtbewusst, doch Sasuke ignorierte ihren Einwand. Sein Blick brannte sich in den Sakuras. »Hattest du auch eine –« Ihre Finger krampften sich wieder um die Phiole. Langsam nickte sie. »Sasuke – was – wofür?« Er schüttelte den Kopf. »Ich erinnere mich nicht. Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich nehme an, dir geht es ähnlich. Und ebenso, dass es kein Zufall ist.« Er lehnte am Türrahmen – nicht lässig, wie sonst, sondern so, als benötigte er die Stütze. Sakura erhob sich. »Ich muss darauf bestehen, dass –« Sakura wandte sich an die Krankenschwester. »Wir haben keine Zeit«, hielt sie ihr entgegen, »egal, was es zu bedeuten hat – wir –« In diesem Moment durchschnitt ein Schrei die Ruhe des Krankenhauses. Sakuras und Sasukes Blick schnellten zueinander. »Yamato«, flüsterte Sakura und rauschte an der Krankenschwester vorbei, die daraufhin aus ihrer Starre erwachte und ihr folgte. Sasuke ging voraus. Sie jagten durch die Gänge. Verängstigte Menschen rannten an ihnen vorbei. »Ein Monster«, schrie jemand in Panik. Sakuras Schritte beschleunigten sich. Dann erstarrten sie.   Mit vor Entsetzen geweiteten Augen betrachtete Sakura das Geschöpf vor sich, das auf sie zuwankte. Aus seinem weit aufgerissenen Rachen rankte sich eine Pflanze, um seine Ohren hingen Pflanzenstiele und Blätter. Die fleischlichen Arme verwischten zu hölzernen Stämmen, an deren Enden Äste hervor peitschten und gegen die Wände schlugen. Gips rieselte nach unten. Zerrissene Tapete segelte herab. Die Augen starrten ihr matt entgegen. »Yamato-sensei!«, rief Sakura. »Hören Sie auf! Beruhigen Sie sich!« Ein Schrei unter Qualen presste sich aus seinem Mund, den er weit auf riss. »Yamato!« »Er hört dich nicht, Sakura!«, grollte Sasuke. »Er –« In diesem Moment flog sein Blick zu der Phiole, die seine Hand umklammerte und zu Sakuras Fingern, die dasselbe taten. Zwei Phiolen. Zwei unbekannte Flüssigkeiten. Zwei Konoha-Ninjas, die plötzlich vor den Toren Konohas aufgetaucht waren mit zwei Phiolen, die sie instinktiv nicht loslassen wollten. Und jetzt das hier. Sasuke hatte genug erlebt, um zu wissen, dass nichts reinem Zufall entsprang. »Sakura!«, rief er. Ihr Blick klebte an Yamato – oder dem, was von ihm übrig geblieben war: einem Geschöpf, das vor Schmerz wütete. Die Schreie durchschnitten den Tumult, das Chaos, das in den Zimmern ausgebrochen war. Sasuke packte Sakuras Arm. Mit erschrockenen Augen erwiderte sie seinen Blick. »Sakura, tu, was ich dir sage!«, raunte er ihr zu. Ihr Blick verdüsterte sich augenblicklich. Rabiat versuchte sie, ihren Arm aus seinem Griff zu befreien. »Lass mich in Ruhe, Sasuke!«, zischte sie. Seine Stirn legte sich in ärgerliche Falten, doch dann besann er sich. »Vertrau mir, Sakura! Oder willst du Yamato sterben lassen?« Ihr Blick schnellte zu ihrem ehemaligen Teamführer, dann zurück zu Sasuke. Kapitel 10: Hofft eine Knospe im Frühlingstraum. ------------------------------------------------ ________________________________________________   Zwischen unseren Träumen was wir waren steht die Gegenwart. die Erinnerungen umsäumen wie wir waren doch Vergangenes verharrt.   Freiheit flüstert die Zukunft umgarnt unsere Träume wir verlieren uns nichts ist ewig verwahrt. ________________________________________________         Er sah sie an. Die Phiole in ihrer Hand rückte in ihr Bewusstsein. Ihr Blick flog zu Yamato, der wie ein Besessener durch den Gang wütete. Äste peitschten gegen Wände, Menschen schrien. Yamatos Grollen übertönte das Knallen der Zweige gegen Beton und Steine. Es ging nicht darum, was sie wollte oder nicht. Es ging nicht um sie oder Sasuke. Es ging um Yamato. »Hast du einen Plan?«, fragte sie. »Eine Ahnung«, erwiderte er nüchtern und spannte seine Finger um die Phiole. »Sehr gut«, entgegnete sie und goss Ironie über jede Silbe. »Wir standen schon mit weniger vor mehr Feinden«, behauptete er und richtete seinen Blick auf das, was vor ihnen wütete. »Wir stehen aber nicht vor einem Feind, sondern einem Kameraden«, zischte Sakura. Er zuckte die Schultern. »Ein Kamerad versucht nicht, mich zu töten«, flüsterte er. »Ein Kamerad verlässt einen Kameraden nicht«, hielt sie dagegen. Die Anspannung kochte zwischen ihnen – aber das war nicht der Moment für so ein Gespräch. Sie schnaubte, strich sich eine Strähne aus dem Haar und bekämpfte ihre Wut auf Sasuke – die altbekannte, zerstörerische Wut auf ihn – unterdrückte sie für den Augenblick. »Lass uns tun, was nötig ist, um Yamato zu retten«, erklärte sie ohne ihn eines Blick zu würdigen, »dafür brauche ich dir aber nicht zu vertrauen.« Sie glaubte seinen Blick in ihrem Nacken zu spüren, als sie lospreschte. Äste schossen auf sie zu. Wie Schlangen, die danach gierten, sie zu beißen, ihr Genick zu brechen. Mit Sprüngen wich sie ihnen aus. Schläge hämmerten auf knirschendes Holz. Sie spürte Sasuke. Wie er ihr Deckung gab, ihren Rücken freihielt. Wortlos. Es bedarf keiner Zurufe oder Vorbesprechungen zwischen ihnen. Das hatte es im Ernstfall nie gebraucht. Er sprang über die Äste und tauchte unter ihnen hindurch wie in einem Tanz, den er perfektioniert hatte. Es sah so leicht und elegant aus. Als täte er sonst auch nichts anderes, als wäre es eine Routine. »Die Flüssigkeiten«, schnappte Sakura, »wohin damit?« »Nehmen wir an, es wäre Hustensaft«, rief Sasuke sarkastisch. Sie schnaubte. Eine fehlerhafte Einnahme von Medikamenten konnte nicht nur die Gesundheit gefährden, sondern töten. Ein Ast schwang knapp über ihrem Kopf und krachte in die Mauer hinter sie. Verdammt. Was blieb ihr übrig? Es waren keine Zäpfchen oder Kapseln, keine Cremes oder Salben. Es war eine trübe und eine klare Flüssigkeit. Flüssigkeiten waren wie gemacht zum Trinken. Ihre Entscheidung stand fest, als ein Ast auf Sasukes Rücken zuraste. Sakura preschte hervor, stieß ihn zur Seite. Dann spürte sie den Schmerz. Brennend. Schneidend. Blutige Kleidungsfetzen hingen ihren Rücken hinab. Wie Peitschen krachten Äste um sie herum gegen den Boden. Sasuke sprang auf einen Zweig und die Phiole rutschte aus seinen Fingern. Kurz vor Yamatos Gesicht. Kurz vor Sakuras Blick. Yamatos Augen starrten sie an. Leer. Als läge er im Koma. Dann hörte sie einen Schrei. Der Schmerz auf ihrem Rücken war nur durch den Adrenalinrausch erträglich. Sie dachte nicht nach, als sie sprang, die Finger ausgestreckt und mit einem Knacken Sasukes Phiole auffing. Ihre Schulter durch den Schlag eines Astes ausgerenkt. Ihr durch Schweiß getrübter Blick suchte Sasuke, der in seinem Arm einen kleinen Jungen hielt. Sie fragte sich in diesem Augenblick nicht, was geschehen war, sondern sprang auf vom Boden, verdrängte den Schmerz, zwei Phiolen in den Händen. Zwei Phiolen, auf denen ihre Hoffnung lag. Gegen jeden Verstand. Sie entkorkte die zwei Fläschchen und streckte ihre Rechte aus. »Halt mir seine – Dinger vom Leib!«, schrie sie Sasuke zu. Mit ungebremster Kraft rammte sie Yamato gegen die Wand, packte seinen Hals, drückte zu, bis er keuchte, nach Luft gierte und den Mund öffnete. Dann zwang sie ihm die Flüssigkeiten in den Rachen. Wie in Zeitlupe erkannte sie, dass das Peitschen der Zweige erlahmte, sie sich rückbildeten, der Lärm verstummte, bis schließlich nur noch ein blasser Mann in ihren Armen lag. Sie spürte Sasuke hinter ihr stehen, während sie Yamato halb im Arm hielt. Seine Augenlider flirrten, dann öffnete er sie und blickte sie an. Entsetzen drang in seine Mimik, als würde ihm bewusst, was geschehen, dass es kein kranker Traum gewesen war. »Was ist hier passiert?«, donnerte in dem Moment die Stimme der Hokage durch den Flur.     _       Als erstes nahm er den modrigen Geruch wahr und das Gefühl im Mund, das ihm Ekel verursachte, so als hätte er lange geschlafen, ohne die Zähne zu putzen. Dann schlug er die Augen auf und sah auf ein Bett. In diesem Moment wünschte er sich, er hätte seine Augen geschlossen gehalten. Orochimarus Blick glühte. Seine Fratze war entstellt. Hautfetzen hingen von seiner blutunterlaufenen Wange.   Kakashi kniete. Neben ihm Naruto, dessen Augenlider soeben flirrten und sich dann langsam weiteten. »Wo sind wir«, murmelte er verschlafen, dann klärte sich sein Blick und er war im Begriff sich aufzurappeln, als ihn eine grobe Hand auf der Schulter daran hinderte. Narutos Blick verdunkelte sich. Er starrte angeekelt hinauf zu Orochimaru. Dessen plötzliches Husten und Keuchen lenkte auch Kakashis Aufmerksamkeit wieder zu ihm zurück.   »Ihr hattet also Kontakt zu den Körperlichen«, durchschnitt Orochimarus krächzende Stimme die Stille, die zwischen keuchendem Atem und Hustenanfällen waberte. »Ein paar schaffen es dann doch immer mal wieder zu fliehen. Es ist erstaunlich angesichts dessen, dass sie nur instinktiv handeln. Findet ihr nicht? Ihr Körper hat völlige Kontrolle über sie. Ihre Rationalität völlig ausgeschaltet.« »Rationalität? Denen sprießen Pflanzen aus den Augen!«, echauffierte sich Naruto. »Und wer weiß, wo die noch überall rauskommen«, murmelte er. Wäre es nicht in dieser Situation gewesen, hätte Kakashi über Narutos Gedankengang grinsen können. So aber zogen sich seine Muskeln zusammen, als erwartete er jeden Moment einen Angriff. Er versuchte, einen Blick hinter sich zu erhaschen, aber er konnte sich kaum bewegen. Als hätte jemand seine Muskeln oder Nerven vergiftet. Vielleicht ein geheimes Jutsu. Vielleicht tatsächlich nur Gift. »Was willst du von uns?«, fragte Kakashi ruhig, dabei glaubt er, jeden Augenblick zu zerspringen. Orochimaru schien offensichtlich geschwächt, aber das machte ihn kaum weniger gefährlich – Kakashi vermutete gar das Gegenteil. Menschen, die dem Tod in die Augen sahen, waren meist unberechenbar. Und Orochimaru war nicht für seine rücksichtsvolle Art bekannt. »Ich möchte euch – ein Geschenk machen«, höhnte Orochimaru. Sein Atem stockte, er krächzte und schlug die Hand vor den Mund. Sein Husten färbte sie rötlich. »Dieser Lotus«, scharrte Orochimaru heiser, »kann Menschen heilen. Er kann Menschen, die mit einem Bein bereits in das Nirwana eingegangen sind, wieder zurück ins Leben zerren.« »Was willst du sagen?«, fragte Kakashi harsch. Er wusste, dass Orochimaru gerne Spiele spielte und genauso bewusst war er sich darüber, dass er selbst keineswegs ein solches Spiel spielen wollte. Orochimarus Vorgehen war skrupellos, egoistisch und berechnend. Er ging wortwörtlich über Leichen. Doch angesichts der Erfahrungen, die Kakashi bisher im Umgang mit dem abtrünnigen Sannin gemacht hatte, waren Leichen noch sein geringeres Übel. Orochimarus Lippen spannten sich zu einem freudlosen Lächeln, das seiner Fratze nur noch ein bizarreres Aussehen verlieh. Einen Ausdruck von Skrupellosigkeit und Härte. Seine Worte, obwohl er Nachdenklichkeit vorspielte, waren berechnend. Kakashi wusste das. Er war nicht naiv – doch trotzdem rissen sie ihn aus der Contenance. »Das Chakra, das der Lotus in seiner Blüte bildet, kann deinen alten Freund retten. Uchiha Obito auferstanden von den Halbtoten – einmal wieder«, spottete Orochimaru. Kakashi erstarrte. »Und du könntest endlich deine Schuldgefühle ihm bezüglich hinter dir lassen. Wäre das nicht ein angemessener Tausch?« »Ein Tausch wogegen?«, hakte Kakashi alarmiert nach.     _       Eines hatte Sakura gleich zu Beginn ihres Trainings bei Tsunade gelernt: Ihr eigenes Leben war für ihr Team von enormer Bedeutung. Denn ohne Medinin sank die Überlebensrate eines Teams um gute 68 Prozent – bei einer Mission von C-Rank. Bei B-Rank-Missionen drückte der Verlust des Medinins im Team die Überlebensrate um 78 Prozent und handelte es sich um eine A-Rank-Mission, bedeutete es eine Chance von gerade einmal 9 Prozent. Das hieß von hundert Teams, die ihre Medi-Einheit verloren, kamen 9 tatsächlich wieder zurück nach Konoha – lebendig. Verkrüppelt oder mental zerstört. Aber lebendig. Später erkannte sie, dass es bei den meisten Missionen nicht um die Gesundheit und Heimkehr der Teams, sondern den Erfolg der Missionen ging. Vielleicht war es derselbe Moment gewesen, als ihr klar wurde, dass man, um Menschenleben zu retten, manchmal sein eigenes aufs Spiel setzen musste. Tsunade hatte ihr eingebläut, dass sie niemals ihr Leben aufs Spiel setzen sollte, wenn der andere von vornherein keine Chance zum Überleben hatte. Wenn sie ihr Leben schlicht verschwendete. Ihr Blick traf auf Tsunades. Dann schweifte er zu Sasuke. »Hättest du mir nicht vertraut, wärst du nicht einfach los gerannt«, wisperte er ihr zu und ließ sie stehen. Ihr Arm war wahrscheinlich gebrochen, das Gelenk aus der Schulter gesprungen. Er belastete sein rechtes Bein weniger als sein linkes, Schürfwunden bedeckten seine Hände. Sie wollte ihm nicht nachsehen. Aber sie tat es.     _       Kakashis Blick klebte an der Gestalt Orochimarus, der vor ihren Augen näher und näher Richtung Tod schritt. Wenn er ihn einfach sich selbst überließe, dann – Obitos Gesicht blitzte durch seine Gedanken. Oder waren es Erinnerungen? Sein Grinsen, dieses breite, dümmliche Grinsen, das ihn früher innerlich immer zur Raserei gebracht hatte. Heute stand es für eine Vergangenheit, die für immer verloren war. Obitos funkelnde Augen. Die Tränen, die er tatsächlich geglaubt hatte, verbergen zu können. Aber er hatte sie gesehen. Immer. Früher hatte er sie für ein Zeichen der Schwäche gehalten. Irgendwann war ihm klar geworden, dass sie eine Art Stärke bezeugten, die er selbst nie gefunden hatte. Heute wusste er, dass diese für immer verloren war.   »Das Leben von Uchiha Obito gegen das meinige. Oder wirst du deinen Freund wieder sterben lassen?«, röchelte Orochimaru und Kakashi wusste nicht, wie er es schaffte, selbst in diesem Zustand, zu spotten. Er wusste, dass es eine Falle war. Dieser Pakt schrie nach Verrat und Schmerz und Hinterhalt. Narutos Blick brannte sich seitlich in sein Gesicht. Als ob er es nicht selbst wüsste. Ein freudloses Grinsen zuckte um Kakashis Mundwinkel. Hatte er eine Wahl? Ja, die hatte man immer. Er wusste, was seine Pflicht war. Die Pflicht Konoha zu schützen. Wie viele Menschenleben hatte dieser Schutz bereits gekostet? Was war er wert? Was war Obitos Leben wert? Und was wog mehr?   Die Leben vieler, fern bekannter Dorfbewohner. Oder das Leben eines Freundes? Eines einzigen Freundes, den er schon zu oft im Stich gelassen hatte.     _       Als Sakura Yamatos Puls überprüfte – reine Routine – und sein blasses Gesicht betrachtete, ging ihr dieser Gedanke nicht aus dem Kopf. Ebenso wenig der erstaunliche Zufall, zu genau dem richtigen Zeitpunkt, am richtigen Ort, die richtige Medizin gehabt zu haben – ohne eine Ahnung davon. Bei diesem Gedanken kroch ihr Panik den Nacken hoch. Als wüsste ihr Körper etwas, das ihr Bewusstsein ihr verwehrte.   Yamato musterte sie, dann wandte er seinen Blick ab. Sein Atem war ganz ruhig und regelmäßig. Endlich. All die Beruhigungsmittel, die sein Herz durch die Adern pumpte, stellten das sicher. Sakura wandte sich von seinem kränklichen Anblick ab und verließ das Krankenzimmer, doch als sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, hielt sie inne. Gegenüber an der Wand lehnte Tsunade und sah sie vielsagend an.     _       Yamato lag in seinem Bett. Seine Gedanken sonderbar klar, doch sein Körper fühlte sich an, wie in Watte gepackt. Müde, seine Muskeln schmerzten. Genervt seufzte er. Das Piepsen um ihn herum teilte die Zeit in regelmäßige Laute. Das Piepsen, das verkündete, dass sein Herz noch schlug. Die Töne, die erklärten, dass er kein Chakra schmiedete. Alle Laute zogen sich zäh in die Länge. Die Stille drückte dazwischen. Doch die Schnallen, die seinen Körper im Bett fixierten – nur zu seiner Sicherheit, hatte Sakura behauptet – zeugten am besten von seiner Lage. Er wusste es besser. Seine Sicherheit war noch nie von Belang gewesen. Das Dorf hatte weitaus höhere Priorität. Er selbst war nie mehr als eine Nummer, der Rest eines Experiments, ein Codename gewesen.       _       Kakashi presste die Lippen aufeinander. Wie könnte er einen Freund für einen anderen austauschen? Das Leben des einen Kameraden für das des anderen. Obito war nicht sein Freund. Nicht mehr. Und doch. Lag es in seiner Verantwortung, zu entscheiden, wessen Leben wertvoller war? Diese Anmaßung stach ihm wie kleine Nadeln in den Magen, wie Glasscherben zwischen den Gedankengängen. Er konnte nicht darüber nachdenken. Alles in ihm brannte. »Was wäre mit Tenzou?«, hakte er nach. Er sah im Augenwinkel, wie Narutos Kopf zu ihm herumfuhr. Sicherlich starrte er ihn entrüstet oder ungläubig an. Vielleicht ballte er seine Faust, wie er es meistens tat, wenn ihm etwas zuwider war. Aber darauf achtete Kakashi in diesem Moment nicht. Seine Aufmerksamkeit gehörte Orochimaru, der ihn lauernd beobachtete. »Ich brauche ihn nicht. Ich brauche nur seine Zellen, die sich mit dem Lotus vermehren ließen. Wenn du mich nett bittest, könnte ich dir also sogar mein kleines Experiment wiedergeben. Ich kann allerdings nicht dafür garantieren, dass du ihn völlig intakt zurückbekommst.« War es verachtenswert, dass Kakashi tatsächlich darüber nachdachte? War es widerwärtig, dass er die Fehler seiner Vergangenheit bereute und versuchen wollte, Gutmachung zu leisten? »Für die Prozedur bräuchte ich allerdings eine Assistenzkraft – eine medizinische Fachkraft«, unterbrach Orochimaru seine Gedanken leise, doch deutlich und in seinen Worten schwang etwas Lauerndes mit. »An wen denkst du?«, forderte Kakashi zu erfahren. Orochimarus kratziges Lachen trug etwas Dunkles in sich, als hätte er bereits gewonnen. »Tsunade wäre fachlich dafür prädestiniert.« Er lachte auf. »Aber unsere Freundschaft erfährt momentan eine schwierige Phase.« Der Sarkasmus in seiner Stimme sprach Bände. »Aber das ist unerheblich. Bring mir die kleine Freundin von Sasuke.« »Kakashi-sensei! Sie denken doch nicht wirklich –« Narutos Stimme überschlug sich, brach ab. »Ich mache dir ein Geschenk«, höhnte Orochimaru. »Koste es aus – ich bin mir sicher, danach wirst du nicht mehr lange überlegen müssen, Kakashi.«     _       »Erkläre es mir«, forderte Tsunade ruhig und verschränkte ihre Arme vor der Brust, die dadurch nur noch mehr betont wurde. Sakura wandte ihren Blick davon ab und murrte. »Was erklären?« »Du sollst mir erklären, seit wann du Patienten Medizin verabreichst, die unbekannten Ursprungs ist.« Sakuras Augen weiteten sich. »Und noch mehr, woher du sie hast.« »Ich –«, flüsterte sie und griff sich an den Kopf. Ein stechender Schmerz hackte sich durch ihre Schläfen. »Ich weiß nicht – ich wusste nur, dass –« Sie sah auf. »Dass es die richtige ist.« Tsunade machte einige Schritte auf sie zu, packte sie an den Schultern und stierte sie an. »Woher?«, fragte sie dunkel.     _     Kakashi stellte nicht die Frage, die im Raum hing. Es war klar, dass das Geschenk Orochimarus etwas Furchtbares sein musste. Warum hatte er das Gefühl, das er sich Zeit seines Lebens nur für das weniger Furchtbare entscheiden konnte? Würde Naruto Sakura für Sasuke opfern? Würde er selbst Tenzou die Gutmachung einer vergangenen Rechnung begleichen lassen? Sollte er nicht die Vergangenheit ruhen lassen, sich damit abfinden, es verdrängen? Wenn er eines in seinem Leben gelernt hatte, dann – die Vergangenheit ruhte nie.     _     »Wo waren wir?«, fragte Sakura leise die Frage, die im Raum stand und schritt fahrig hin und her. Die Furcht vor den Antworten ließ ihr die Bedenken im Hals stecken bleiben. Sasuke verhielt sich ruhig. Er saß auf dem Sofa in seiner Wohnung. Von hier aus konnte er die Mauer zum Uchiha-Viertel sehen. Es war ironisch, oder? Das Viertel war leer und der letzte Uchiha wohnte außerhalb. Wobei – jetzt war er ja nicht mehr der letzte. Es war seltsam vielleicht, aber nicht schlecht. Im Gegenteil, oder? Sakura schüttelte den Kopf, als versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen, nicht abzuschweifen. Aber es war so schwer. Als sträubte sich ihr Körper dagegen, sich zu erinnern. »Ich weiß es nicht«, offenbarte Sasuke schließlich nach Minuten des Schweigens. »Diese Medizin – woher hatten wir die?«, hakte Sakura trotzdem nach. Sie stand am Fenster, die Arme in die Seite gestemmt und funkelte ihn an. Als wäre es seine Schuld. In ihren Augen würde wohl immer etwas seine Schuld sein. Alles, was sie sonst nicht erklären konnte. Er schnaubte. »Ich kann mich nicht erinnern. Ich bin dir gefolgt, weil du wieder einmal inkompetent gehandelt hast und –« »Inkompetent gehandelt?« Sakuras Stimme zeugte davon, dass sie kurz davor war zu explodieren. Sasuke zuckte die Schultern. Noch so etwas, mit dem sie ihre Inkompetenz zu kompensieren versuchte, wahrscheinlich. Stoisch erklärte er: »Hätte ich dir nicht folgen müssen, wären wir nicht –« »Wären wir dir nicht dein verdammtes halbes Leben hinterher gerannt, wärst du jetzt tot. Hätte ich dir nicht dein verdammtes Leben gerettet, wärst du jetzt tot! Verdammt! Aber dir ist es schon zu viel, mit mir gemeinsam eine Mission zu erledigen!« Sie atmete schwer, Zornesröte lag auf ihren Wangen und im Dekolletee, ihre Stirn von Falten zerfurcht. Stille. Nichts als ihre Atemzüge und der wütende Blick, der elektrisierte. Er erhob sich vom Sofa. Seine Schritte klangen dumpf in ihrem Schweigen. Dann blieb er stehen, ganz nah vor ihr und sah auf sie hinunter. Wie er es mochte, ihre Körpergröße gegen sie auszuspielen. Sie musste zu ihm hochschauen, was sie mit gerecktem Kinn tat. Er spürte ihre Atemzüge an seiner Kehle, als er sich vorbeugte und ihr Worte ins Ohr flüsterte. »Wenn du es so bereust, Sakura, warum bist du dann trotzdem noch hier bei mir?«     _       Es war, als schaute er sich selbst zu. Als würde sich sein Geist zurückziehen. All seine Gedanken sich verstreuen. Zuerst war es beängstigend. Als löste sich sein Körper los. Was blieb zurück? Seine Erinnerungen verschwammen. Gedanken an Wasser, grün schimmerndes Wasser, ein gehässiges Lachen, weiße Gestalten, die sich aus ihm herauslösten. Nein, das wollte er nicht. Die Szenerie wechselte. Da war eine Wiese, grün, Wald. Ein Junge, der ihm die Hand hinstreckte. Zunächst fragte er sich, was das für eine seltsame Geste war. Ein geschickter Angriff? Dann wurde ihm klar, dass es ein Zeichen war. Er erwiderte. »Freundschaft« zuckte durch seine Gedanken. Der Junge lächelte. Vielleicht, bestimmt. Sehen konnte er es nicht, denn er trug eine Maske vor dem Mund, bis über die Nase. Aber in seinen Augen stand es. Er sah, wie sich sein Körper wandte, Schmerzen durchbohrten ihn, als sich seine Gliedmaßen in raue Äste wandelten. Als wurde sein Körper gezwungen. Er bäumte sich auf, wehrte sich. Schmerz. Qualen. Er war erleichtert, dass er nicht mehr zu seinem Körper gehörte. Denn er spürte nichts mehr. Er war frei. Endlich. Kapitel 11: Ich fragte: »Wie lang währt das Leben der Rose?« ------------------------------------------------------------ ________________________________________________   Wir stehen davor wie wir sein werden wir gehen weiter und hoffen.   Wir sehen kaum wo wir sein werden wir stehen still und träumen.   Wir flehen darum wer wir sein werden wir vergehen damit und erwachen.   ________________________________________________           Sie sah ihn von unten heraus an. Seine Mimik, die Arroganz in seinen Mundwinkeln und die Selbstherrlichkeit in den Augen. Verärgert schob sie ihn einen Arm breit von sich. »Naruto«, erwiderte sie und erkannte Überraschung und Unverständnis in seinen Augen. Vielleicht wäre es nicht jedem aufgefallen – sie war sich sogar sicher. Für die meisten sähe es nach Ignoranz und Überheblichkeit aus. Aber sie sah durch seine Maske hindurch. Er neigte leicht seinen Kopf und da waren diese feinen Falten auf seiner Stirn. »Ohne Naruto hätte ich dich schon längst aufgegeben«, erwiderte sie, wandte sich um und verschwand durch das Zimmerfenster.     _     »Aber – wie soll er auf den Deal eingehen, wenn er ihn vergisst?«, gab Koji nervös zu bedenken. Orochimaru lachte hohl auf. »Er wird sich daran erinnern – zur rechten Zeit.«   _     Kakashi wischte sich über die Augen, denn sein Blick verschwamm ständig, während er sich über das Bett beugte und wieder eine Flüssigkeit in dessen Mund flößte. Er presste die Lippen hart aufeinander. Wie könnte er einen Freund für einen anderen austauschen? Das Leben des einen Kameraden für das des anderen. Schon wieder. Immer wieder. Obito war nicht sein Freund. Nicht mehr. Und doch. Lag es in seiner Verantwortung, zu entscheiden, wessen Leben wertvoller war? Diese Anmaßung stach ihm wie kleine Nadeln in den Magen, wie Glasscherben zwischen den Gedankengängen. Er konnte nicht darüber nachdenken. Alles in ihm brannte. »Du heulst ja, Kakashi. Und behaupte jetzt nicht, es wäre nur etwas in deinem Auge«, flüsterte jemand, als hätte er jahrelang seine Stimme nicht benutzt. Kakashi fuhr sich über die Wangen. Da war tatsächlich etwas, doch er sträubte sich, es Träne zu nennen. Es war nur Flüssigkeit ob der Anstrengung, der Schlaflosigkeit. Seine Augen brannten, dann erstarrte er. Wo war er? Er hatte das Gefühl, etwas vergessen zu haben. Er sah sich fahrig um. Weiß. Bett. Geräte. Krankenzimmer. Warum war er hier? Dann zuckte sein Blick zurück zur Gestalt im Bett. »Ich dachte, ich wäre tot«, raunte sie. Kakashi zwang sich, ruhig zu atmen. Es hätte ihm gerade noch gefehlt, zu hyperventilieren. Er sah sich wie nebenbei um. Das war das Krankenhaus. Das Krankenzimmer, in dem Obito lag. Kakashi versuchte diesen Kloß in seinem Hals hinunter zu schlucken. »Ich meinte, das zweite Mal – oder war es das dritte?« Obito warf ihm einen ernsthaft fragenden Blick zu, ehe er sogleich die Schultern zuckte. »Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich sagen, dass das hier ein Genjutsu ist oder – ein Traum«, murmelte Obito. Genau, dachte Kakashi, das musste es sein. Ein Genjustu. Höchstwahrscheinlich ein doppeltes. Eines, indem der Gefangene dachte, es wäre keines, weil ihm Normalität suggeriert wurde. Mit einem Blick auf Obito verwarf er den Gedanken. Das hier war keine Normalität. »Was macht dich so sicher, dass es keines ist?«, hakte er nach und ließ seinen Blick die Wände entlangwandern. Obitos Blick brannte in seiner Seite. »Ich habe Durst.« Stirn runzelnd schickte er ihm einen irritierten Blick zu. »Deswegen?« »Tz«, machte Obito herablassend, »nein, ich habe einfach nur Durst. Ich weiß nicht, warum ich nicht tot bin oder warum du hier bist. Aber wenn beides nun mal so ist, wie es ist, dann – gib mir etwas zu trinken.« Noch ehe Kakashi ihm hätte antworten können, schlug die Tür auf und zwei Krankenschwestern und die Hokage traten herein.   _     Als Sakura das Krankenhaus betrat, sprachen zwei Krankenschwestern gleichzeitig auf sie ein. Hektisch schritten sie neben ihr her, während sie sich ihren Kittel überzog und die Haare zusammenband. Zwei wichtige Informationen hörte sie sofort heraus: Obito aufgewacht. Yamato kritischer Zustand. Sie nahm die Mappen der beiden Patienten und rauschte zu Yamato. Als Sakura das Krankenzimmer betrat, trafen sie zwei Gedanken gleichzeitig. Sie zog die Spritze und versuchte, Haut zu erwischen, doch sie sah nur eine hölzerne Schicht, die Yamato zeichnete. »Haltet ihn fest, verdammt!«, wies sie herrisch an. Zwei Gedanken, die sie zur Seite schob. Yamato wand sich und schien sie nicht zu erkennen. Tsunade donnerte durch die Tür und übernahm. Zwei Gedanken blitzten vor ihrem geistigen Auge. Der erste war, dass ihr jemand gesagt hatte, dass es so kommen würde. Und der zweite war, dass sie wusste, wer.   _     Ihr Büro war vollgestellt mit Akten und Ordnern. Sie stapelten sich auf ihrem Schreibtisch, auf ihrem Stuhl, sogar teilweise auf dem Boden daneben. Sie schaute auf die Uhr an der Wand und fragte sich, wann ihr Leben das letzte Mal normal gewesen war, doch sie musste einsehen, dass sie sich nicht daran erinnerte. »Selbstmitleid?« Sie presste ihre Lippen zusammen, als sie zu ihm sah, wie er auf dem Fenstersims lehnte und zu ihr hineinschaute. »Yamato geht es wieder schlechter. Viel schlechter«, meinte sie nur, als erklärte das alles. »Du erinnerst dich auch wieder.« Er fragte nicht, aber sie antwortete trotzdem. »Als ich hörte, dass Uchiha Obito wieder aufgewacht sein soll.« Sasuke schwieg, ehe er kühn behauptete, was sie nicht hören wollte: »Du überlegst, Obito an Orochimaru auszuliefern.« Wutentbrannt fuhr sie hoch, schritt durch den Raum und ereiferte sich, während sie wild gestikulierte. »Ich überlege, wie wir Yamato retten können!« »Was dem nicht widerspricht – im Gegenteil«, gab Sasuke zu bedenken. Sakuras Augen sprühten vor Zorn. Es schien ihn nicht zu jucken. Kühl blickte er in irgendeine Ferne, die Arme vor der Brust verschränkt und schien sie auszublenden. »Du hättest ihn töten können, aber du hast es nicht getan«, durchschnitt sie die Stille und funkelte ihn an. Er atmete tief durch, sagte aber nichts. »Du hättest ihn töten können«, wiederholte sie eindringlich. Er schnaubte. »Deine Auffassungsgabe ist wirklich beeindruckend – oder wäre es. Für einen Akademieschüler.« Ihre verärgerte Bemerkung lag ihr zwischen den Lippen, doch sie schluckte sie und verdrehte die Augen. »Warum bist du hier, Sasuke?«   _     »Wie geht es Yamato?«, fragte sie harscher, als sie es beabsichtigt hatte, doch Shizune zuckte nicht einmal mit den Augenlidern. Tsunade lehnte sich zurück, trommelte mit den Fingerspitzen gegen die Oberfläche des Schreibtischs und ließ ihren Blick nach draußen wandern. »Unverändert«, berichtete Shizune, während sie auf das Klemmbrett sah, als hätte sie es nicht schon etliche Male gelesen, als wüsste sie nicht bereits die Werte, die sie selbst dort vermerkt hatte. »Unverändert –«, murmelte Tsunade zäh, »das heißt –« Sie wussten, was das hieß, sie beide. Shizune nickte. »Er stirbt.« In diesem Moment öffnete sich die Tür und Kakashi trat ein. Tsunade bedeutete ihm näher zu treten. »Du weißt, warum du hier bist?« Es klang vielleicht wie eine Frage, aber es war keine. Kakashi tat nicht so, als wüsste er das nicht und schaute sie nur an, wie sie ihre Finger gegen die Schreibtischoberfläche trommelte und ihn streng fixierte, als könnte sie dadurch seine Gedanken aus seinem Kopf saugen. »Was hast du Obito gegeben?« »Ich weiß es nicht.« »Woher hast du es?« »Ich weiß es nicht.« »Warum hast du es ihm gegeben?«, hakte sie nach, doch ehe er hätte antworten können meinte sie: »Lass mich raten. Du weißt es nicht.«   Kakashi schwieg. Er schien ganz ruhig. Tsunade beobachtete ihn. Doch innerlich tobte der Sturm. Sie kannte ihn inzwischen gut genug, um das zu erkennen. Sie war immerhin nicht blöd. Genervt lehnte sie sich zurück. »Obitos Zustand verschlechtert sich wieder«, eröffnete sie. »Auch Yamatos Zustand ist kritisch. Es sieht beinahe so aus, als hätten du und Sakura die beiden für eine begrenzte Zeit stabilisiert, in einem Moment sah es sogar so aus, als wären sie geheilt. Aber jetzt sieht man das tatsächliche Ausmaß«, erklärte sie und bedachte ihn mit einem Blick, dem nichts entging. »Sie sterben.« Kakashis Finger verkrampften sich, obwohl er schon so viele derartige Nachrichten bekommen hatte – oder selbst überbracht. Doch in diesem Moment war es wie kaltes Wasser, das jemand in seinen Magen gekippt hatte. Tsunade seufzte. »Der überraschende Zufall will es, dass weder Sasuke oder Sakura noch zwei andere ANBU sich erinnern können, wo sie gewesen waren. Alle erreichten zunächst denselben Ort. Ihre Missionen miteinander vernetzt. Keine Spur, wo sie zwischendurch waren. Der einzige Hinweis ist, dass sie stundenlang weg waren. Einfach so. Und sich nicht erinnern können.« Stille. Tsunade schaute ihn an. Shizune verharrte. Dann raschelte Papier, als sich die Hokage durch einige Papierrollen, die auf dem Schreibtisch lagen, kramte. »Hier«, deutete sie darauf. »Und hier und hier – und hier.« Kakashis Blick flog von einer Textstelle zu der nächsten, immer wieder ein Wort. Er sah ratlos auf. »Immer wieder taucht dieser Begriff auf. Das Letzte, woran sie sich erinnern können. Manche ANBU-Einheiten beschreiben es, als wäre es ihnen im Traum erschienen.« Tsunade fasste sich an die Stirn, als hätte sie Kopfschmerzen. »Ich hätte viele Fragen an dich, Kakashi, aber ich weiß eines ganz genau. Du kannst dich nicht erinnern, oder?« Kakashi sah zurück zu den Textstellen. Nur ein Wort sprang ihm entgegen. Immer wieder. Lotusblüte.     _       Sasuke schnaubte. »Du erinnerst dich doch wieder, Sakura. Obito, Yamato, Orochimaru«, erläuterte er kurzsilbig, doch Sakura schüttelte den Kopf. »Ja, aber ich meine. Warum bist du überhaupt wieder hier. Bei uns. Warum? Du hast damals gesagt, dass du gehen musst. Warum bist du wieder zurück gekommen?«   _     Es war Freiheit gewesen. Er konnte sich noch vage an die Schwerelosigkeit erinnern. Dann mit einem Schlag war er zurückgekehrt. Schmerz überflutete seine Nervenbahnen. Jetzt lag er mit Schmerzmittel vollgepumpt im Bett, konnte sich kaum regen, das Atmen fiel ihm schwer. Selbst, die Augen offen zu halten. Alles war erfüllt von Schmerz.   _       Es wurde Abend, als Kakashi sich in das Zimmer schlich. Trotzdem kam er nicht ungesehen hinein. Die Krankenschwester bedachte ihn mit einem mitfühlenden Blick, der an Mitleid grenzte. Er zog die Tür hinter sich zu und atmete tief aus. Er fühlte sich, als wäre er irgendwo eingebrochen. Obito lag inmitten des Zimmers, an Geräte angeschlossen. Sein Atem rasselte. Seine Augen blutunterlaufen. Es keuchte, röchelte. Trotz des Beatmungsgerätes. Er zuckte mit dem Zeigefinger und Kakashi verstand es nicht sofort, aber dann erkannte er, dass Obito ihn beorderte, näher zu treten. Kakashi schritt auf ihn zu und beugte sich über diesen Menschen, der ihm so vertraut und so fremd war. Irgendetwas murmelte er in das Beatmungsgerät, doch Kakashi konnte ihn nicht verstehen. Wieder und wieder. Dann zog er ihm das Gerät von Nase und Mund und lehnte sich ganz nah dran. »Das ist die Strafe«, drang gemurmelt an sein Ohr. Kakashi starrte ihn an. »Wofür?« »Für das, was ich getan habe.« Bilder jagten durch seinen Kopf. Erinnerungen. Gedanken. Alpträume. Er drückte Obitos Hand. »Nein«, widersprach er, »nein, das ist es nicht.« Vielleicht war es die Strafe, für das, was Kakashi getan – oder auch für das, was er nicht getan hatte, zuckte durch seine Gedanken. »Nein, es ist die Chance, alles wieder gut zu machen«, flüsterte er ihm zu. Er fasste sich an seinen Kopf. Bilder rasten durch seinen Kopf. Erinnerungen, die er vergessen hatte. Gedanken, die sich plötzlich manifestierten und Alpträume, die ihn lange gequält hatten. Es war Zeit, das zu ändern. »Diesmal«, flüsterte er ihm zu, »werde ich nicht nur zusehen.« Damit ließ er seine Hand los und verließ das Zimmer.       _     »Das ist unwichtig«, behauptete Sasuke und Sakura erkannte in seiner Stimme, dass er nicht mehr dazu sagen würde. »Hast du dich entschieden?«, fragte er stattdessen und sie warf ihm einen zornigen Blick zu. »Wir haben keine Wahl«, erwiderte sie und schmiss eine Akte auf den Stapel. »Doch, die hat man immer«, widersprach er. »Sie sterben lassen?«, entgegnete sie, ohne die Akten ruhen zu lassen. »Vielleicht wäre das sogar die bessere Entscheidung«, bedachte Sasuke und er wusste, dass er sie damit bis aufs Äußerste provozierte, doch das hatte ihn noch nie seine Gedanken für sich behalten lassen. Sie hielt inne. »Vielleicht stimmt das«, erwiderte sie nüchtern, »aber ich würde mich immer fragen, was gewesen wäre, wenn wir etwas unternommen hätten.«   _     »Was machst du hier?«, krächzte Tenzou und schaute Kakashi an – es sollte wahrscheinlich streng sein, aber er erinnerte Kakashi immer irgendwie an einen Welpen. Vielleicht weil er immer noch den kleinen Jungen von damals vor sich sah, wenn er ihn anblickte. »Kommst du dich verabschieden?«   Jetzt sah er doch auf. Tenzou lag wie ein kranker Hund – wie – er lag da. Und starb. Stück für Stück. Kakashi sah es in seinen Augen. Vernebelt suchte Tenzou seinen Blick und schien immer wieder den Fokus zu verlieren, als driftete er ab und kämpfte dagegen an. »Tenzou, wenn es eine Möglichkeit gäbe –« Er brach ab und fuhr sich durch sein Haar. Stress jagte durch seine Adern. »Wenn Rettung möglich wäre, würdest du es in Betracht ziehen?« Tenzou krächzte. Vielleicht ein Versuch zu lachen. »Für Rettung ist es zu spät. Das sieht man in den Blicken der Krankenschwestern.« »Nicht hier«, fügte er hinzu. Er spürte den Blick Tenzous auf sich ruhen, ehe er wieder verschwamm. »Ich lasse meinen Freund nicht einfach sterben«, redete er ihm zu und machte sich daran, ihn mit der Decke zu ummanteln. »Ich mache es diesmal richtig, Tenzou.« Tenzou sah ihn an, dann – er wusste nicht warum – lag plötzlich ein Lächeln um dessen Mundwinkel.   _     Sie schritt durch den Gang, wie sie es schon hunderte Male getan hatte. Hier fühlte sie sich sicher, sie wusste, was zu tun war. Manchmal rettete sie Leben, manchmal verlor sie. Doch immer war es ein Kampf. Niemals gab sie einfach auf. Dieses Mal war es nicht anders. Sie wusste nicht, ob sie es schaffte, Leben zu retten oder ob sie den Kampf verlor. Aber sie gab nicht auf. Als sie um die Ecke bog und das Zimmer weiter hinten sichtbar wurde, beschleunigte sie ihre Schritte. Sasuke folgte ihr. »Es ist Verrat, was wir hier machen«, murmelte Sakura vor sich her, als sie die Tür hinter sich zuzog. »So schnell kann es gehen«, erwiderte Sasuke trocken und näherte sich Obito. »Glaubst du, wir machen einen Fehler?« Sakura zögerte, als sie Obito betrachtete und warf Sasuke einen Blick zu. »Er ist immerhin, der Letzte aus deiner Fam-« »Jetzt mach endlich, Sakura, du nervst mich jetzt schon.« Sie zuckte die Achseln. »Das kann ich nur zurückgeben«, murmelte sie, während sie die Geräte ausschaltete und Schläuche aus Obito zog. »Wir müssen uns beeilen«, wies sie Sasuke an. »Das sagt die Richtige«, brummte er und zog Obitos schlaffen Körper über die Schulter.   _     »Schneller, Sasuke! Seit wann bist so langsam?«, rief sie und Sasukes Augenlid zuckte gefährlich. Sie stoben durch den Wald und rasten zwischen den Ästen hindurch. Mondlicht spiegelte sich auf den Blättern und ließ die Dunkelheit silbrig glänzen. Er brummte etwas vor sich hin, was sie nicht mitbekam, also stieg sie nicht darauf ein. »Obito geht es immer schlechter – wir müssen uns beeilen«, forderte sie stattdessen. »Wenn du mich weiter nervst, darfst du ihn tragen«, teilte er ihr mit, woraufhin sie verstummte. Natürlich war Obitos Gewicht kein Hindernis, aber ein Körper, der wie ein Sack über den Schulter hing, war unhandlicher als kein Körper, der wie ein Sack über den Schultern hing. Zuerst dachte er, dass sie wieder vor Zorn mit den Zähnen knirschte oder ihn eingeschnappt ignorierte. Aber dann meinte sie nur: »Du hast nachgelassen, Sasuke.« Inwiefern erklärte sie allerdings nicht.   Sie rauschten durch den Wald mitten in der Nacht auf dem Weg zu Orochimaru. Es erinnerte Sasuke unwillkürlich an die Nacht vor so vielen Jahren. War es nicht Ironie des Lebens? Er blickte zur Seite, wo Sakura neben ihm über die Äste fegte. »Und – wie fühlt es sich an?«, wollte er wissen. Er sah ihr Zaudern. »Was?«, hakte sie nach, obwohl er wusste, dass es sie störte, ihn das zu fragen. Zuzugeben, dass sie nicht seinen Gedanken folgen konnte. Warum auch immer. »Du verrätst Konoha wie ich es getan habe.« »Das ist etwas völlig anderes«, zischte sie. »Ist es das?« Sie hielt an und schlug die Arme vor der Brust zusammen. Er stoppte auf einem Ast ihr gegenüber. »Ja, Sasuke«, verkündigte sie, »es ist völlig anders«. »Du verlässt Konoha, um dich Orochimaru anzuschließen.« »Ich schließe mich ihm nicht an!«, spuckte sie ihm vor die Füße, doch er konnte nur hohl auflachen bei so viel Naivität. »Was glaubst du, was du dann tust, Sakura? Du übergibst Obito Orochimaru und gehst dann wieder nach Hause ins Bett?« Er spürte, wie sich ihre Augen zornig zusammenzogen. »Wir übergeben Obito. Im Gegenzug übergib Orochimaru uns das Mittel, um Tenzou zu heilen.« »Du bist noch einfältiger, als ich geahnt hatte«, spottete Sasuke, »ich verrate dir etwas. Genau das wird nicht passieren.« »Warum tun wir das alles dann überhaupt?«, entgegnete sie aufgebracht. »Warum kehren wir dann nicht um? Natürlich für das Mittel! Orochimaru hat es uns gezeigt, es funkt-« »Genau. Du tust es, weil die Möglichkeit besteht. Weil du hoffst und nicht aufgeben willst. Weil du kämpfst und nicht verlieren willst. Nein, weil du noch daran glaubst, gewinnen zu können. Und deswegen wirst du auch nicht zurückgehen.« Sasuke fixierte sie. Er sah, wie das kleine Mädchen von früher durch ihren Blick geisterte und dann wie sie realisierte, dass er Recht hatte. »Und genau das wird Orochimaru ausnutzen. Das tut er immer«, fügte er dunkel hinzu.   Sie war still. Die Nacht. Vielleicht auch nur, seitdem Sakura so schwieg. Seitdem er ihr die Augen geöffnet hatte vor – wie lange eigentlich? »Hör auf damit«, verlangte er und spürte sofort ihren Seitenblick. »Womit?« »Hör auf, nachzudenken. Wir sind gleich da. Ich kann es nicht gebrauchen, wenn du jetzt vor lauter emotionaler Zerstreutheit, Fehler machst.« »Das erklärt einiges«, meinte sie sarkastisch, »wenn du mit der Methode solche Sachen bewältigst. Nicht nachdenken.« Er schnaubte und bedeutete ihr, den Mund zu halten. Natürlich tat sie es dann nur, weil sie keine zwölf mehr war, ihm nichts beweisen musste und er ihr ohnehin gleichgültig war – und er hatte Recht, Fehler durften sie sich nicht erlauben. Sie durchquerten die Tunnel. Die steinigen Erdwände rückten näher und näher. Dann betraten sie die Räume und das grünliche Licht flackerte unter der Tür hindurch. Sakura spürte eine Gänsehaut ihre Arme entlangwandern. Vielleicht würde sie sich nie an diesen Anblick gewöhnen, obwohl doch behauptet wurde, dass man sich an viel zu viel gewöhnen konnte.   »Seltsam«, murmelte sie, als sie auf den staubigen Boden schaute, sich hinkniete und mit ihren Fingerspitzen über den Boden strich. Überrascht suchte sie Sasukes Blick. »Hier war jemand vor uns – vor kurzem«, stimmte der mit ihrer Erkenntnis überein. Die logische Frage lag in der Luft. »Wir sollten weitergehen. Wer auch immer hier war – jemand Unangenehmeres als Orochimaru wird es wohl nicht sein«, witzelte Sakura humorlos und erhob sich. Sie stiegen den Lotus hinauf. Vertrocknete Blätter segelten an ihnen vorbei, einige Ranken waren komplett braunschwarz, andere gelblich verfärbt. »Sieht aus, als wäre die Pflanze krank«, vermutete Sakura und sah hinunter zu Sasuke, der ein paar Äste unter ihr her ging. »Weißt du, wenn er dir zu schwer wird, kann ich ihn tragen«, spöttelte sie und sprang ihren Worten zum Trotz sogleich einige Ranken weiter. Sasuke verdrehte die Augen. »Wenn er mir zu schwer wird, werfe ich ihn auf dich«, murmelte er. »Hast du was gesagt?« Sasuke schüttelte lediglich den Kopf. »Na, wie auch immer. Er wird uns wohl finden, nicht?«, wollte sie wissen und sah sich um. »Wir wissen nicht, wo er sich derzeitig aufhält. Er hat uns überrascht. Wir sind einfach dort aufgewacht, nicht?« »Er nutzte ein Genjutsu. Ich hatte es damals sofort erkannt, aber du musstest dich ja hineinstürzen.« Sie verzog ihr Gesicht. »Natürlich. Dir wäre das niemals passiert.« »Genau«, stimmte er trocken zu. Sie schnaubte, doch in diesem Moment hob sie ihre Arme zur Verteidigung und duckte sich, als stünde sie einem Gegner gegenüber. Sasuke bewegte sich keinen Zentimeter, aber selbstverständlich hatte er es bereits wahrgenommen. Es verwirrte ihn allerdings – was er sicherlich niemals offen gestanden hätte – denn er erkannte die Reste des Chakras, das in der schemenhaften Person weit über ihren Köpfen nahe an der Blüte des Lotus geschmiedet worden war. Nur noch schwache Spuren flossen in dem Körper. »Eine Falle?«, wisperte Sakura. »Das kann doch nicht sein, warum –« Er musste sich eingestehen, dass es ihn überraschte, dass sie den Mann scheinbar auch an seinem Chakra erkannt hatte, denn es waren nur noch flackernde Überreste. Wie bei einem Feuer, das kurz vorm Verlöschen war. »Kakashi-sensei?«, rief Sakura ungläubig. Kapitel 12: Anstatt zu klagen, dass die Rosen Dornen haben. ----------------------------------------------------------- ________________________________________________       schweigen und unbeantwortete fragen ungestellte fragen fragen nur gedacht nicht gesagt antworten vor denen man sich fürchtet fragen die man nicht stellt die antwort die einem genügt und die eigene kleine welt entstellt. antworten die ratlos machen und fragen die keine sind fragen die fragen fragende fragen. keine antwort. und in mir stirbt das kind schweigen.   schweigen.     schweigen. nichts, was einen hält. was du auch immer machst langsam zerbricht unsere welt.   ________________________________________________           Jeden Tag fällen wir Entscheidungen. Wir entscheiden uns für einen Weg und die Richtung. Wir müssen entscheiden, mit wem wir diesen Weg gehen und wen wir zurücklassen. Manchmal wird uns die Entscheidung von anderen abgenommen. Manchmal haben wir scheinbar keine Wahl. Aber die haben wir immer. Und oft ist es eine Bürde. Selbst, wenn wir nichts tun, bedeutet das eine Entscheidung. Unserem Tun folgen Konsequenzen. Unsere Taten beeinflussen unseren Weg, unsere Gefährten und uns selbst. Unser Nicht-Tun ebenfalls. Jeden Tag verändern wir uns ein Stück. Meistens bemerken wir es nicht, weil die Veränderungen schleichen. Aber irgendwann schauen wir in den Spiegel und wir können nur hoffen, dass wir unseren Weg nicht bereuen.   Als Sakura vor Kakashi stand, erhellten sich ihre Gedanken mit einem Schlag. Nicht nur sie selbst hatte sich entschieden. Auch andere waren vor großen Entscheidungen gestanden. Manchmal führten solche Entscheidungen zusammen, manchmal trennten sie.   An Kakashis Seite lehnte Yamato.   _   Sie schreckte aus dem Schlaf hoch, als sie das fremde Chakra spürte, schaute sofort zum Fenster und öffnete es, während sie ihr Schlafgewand enger zog. Um diese Zeit gab es keine guten Nachrichten. Gute Nachrichten konnten bis zum nächsten Morgen warten, schlechte nie.   Nacht hing vor ihren Fenstern, lag in ihrem Zimmer, das sie nur für den Schlaf aufsuchte. Manchmal. Wenn Shizune sie in ihrem Büro früh genug weckte, dass es sich noch rentierte, von dort hierher zu gehen. Schon wieder würde die Nacht lang sein, aber ihr Schlaf kurz. »Sai«, forderte Tsunade ihn allein mit seinem Namen auf, zu berichten. »Sie sind weg«, begann er sofort, »die Nachtschwester hat Alarm geschlagen. Obito und Yamato.« »Was meinst du mit weg?«, herrschte sie ihn an und stutzte. Irgendwie kam ihr diese Situation bekannt vor. »Sie sind nicht mehr da«, präzisierte Sai und wirkte kein bisschen beeindruckt, als sie ihn anschnauzte, dass ihr die Wortbedeutung durchaus bekannt war. »Ein Schwerkranker und einer, der schon häufiger als tot galt als alle Hokage zusammen. Wie schwer kann es sein, ihre Spur zu verfolgen?«, wollte sie wissen, ohne es wirklich wissen zu wollen. Die ironische Note erkannte Sai natürlich nicht und erwiderte ernst, dass es recht schwer werden konnte. Tsunade seufzte. Mitten in der Nacht war sie nicht gut auf Sais Mangel an sozialer Kompetenz zu sprechen. Oder überhaupt auf jemanden – außer einem Gläschen vielleicht. Und einem guten Wettspiel. »Informiere das ehemalige Team Sieben. Kakashi kann –« »Kakashi-san ist ebenfalls nicht auffindbar.« »Nicht auffindbar?«, echote sie ungläubig. »Dann setze dich mit Sakura –« »Sie ist auch nicht –« »Sasuke wird –« Sai schüttelte lediglich den Kopf. »Um Konohas willen!« Tsunade ließ ihre Faust auf das Fensterbrett nieder sausen. »Was ist da nur los? Alle nicht da?« »Genau, sie alle sind weg.« Sie warf ihm einen mahnenden Blick zu, von dem sie sich relativ sicher war, dass er es nicht kapierte. Plötzlich schlug jemand die Tür zu ihrem Schlafzimmer auf. Keuchend stand Naruto im Türrahmen, die übrigen Blicke auf sich gezogen, wie er es sonst immer mit seiner trottelhaften Art schaffte. Rote Flecken auf den Wangen, die Augen von Zorn durchwoben, seine Stirn missmutig gerunzelt, die Lippen vor übler Laune verzogen. »Sie sind weg!«, brachte er hervor. »Sie – Sakura und – Sasuke – sie –« »Ja, ich habe es eben bereits berichtet bekommen«, erwiderte Tsunade. »Aber – sie – sie sind verschwunden!«, entgegnete Naruto stur. »Wenn du es nicht weißt, Oma Tsunade –« Er verstummte irritiert und atmete tief durch. »Ich bin eigentlich hier, weil ich mich beschweren wollte. Sakura und Sasuke ohne mich auf Mission – aber –« »Schön, hiermit hast du eine Mission. Finde Sakura und Sasuke«, erwiderte sie und wandte sich an Sai. Naruto indessen stemmte die Hände in die Hüfte und grinste breit. »Eine Mission! Endlich«, trällerte er vor sich her. »Und es hat endlich mal nichts mit dieser Blume auf sich! Verdammt. Das wurde Zeit!« Er zögerte. »Oder?« »Findet sie«, verlangte Tsunade stoisch an Sai gerichtet, dessen Blick auf Naruto geheftet war, der ihm wiederum seinen Daumen entgegen streckte. »Wir finden sie!«, behauptete er. »Echt jetzt! Und dann mach ich denen mal klar, dass die nicht einfach ohne mich auf Mission gehen können.« »Sie sind nicht auf einer Mission«, widersprach Tsunade barsch. Naruto verschränkte irritiert seine Arme hinter dem Kopf. »Und warum verschwinden die beiden dann zusammen?« »Das gilt es herauszufi-« »Oh meine Hokagen!«, rief Naruto plötzlich über ihre Worte hinweg. »Die werden doch nicht heimlich –« Sie fasste sich genervt an den Kopf. »Sie wären alt genug dafür.« »Hä? Wofür? Ich wollte sagen trainieren«, erwiderte Naruto und kratzte sich an der Wange. Stille breitete sich aus, dann trieb Tsunade die beiden zu Eile an. Es galt, herauszufinden, wo die nur alle steckten und dann ein bisschen zu schlafen. Vielleicht, versuchte sie sich einzureden, gab es gar keinen großen Grund, warum Team Sieben in dieser Nacht zu zwei Dritteln verschwunden war, weg, nicht da. »Du weißt, wo ihr anfangen solltet«, wandte sie sich an Sai, der lediglich daraufhin nickte. »Echt?«, hakte Naruto verwirrt nach. »Wo?« »Beim Lotus«, entgegnete er knapp und machte sich schon auf den Weg. Naruto stöhnte auf. »Alles andere wär auch zu schön gewesen.« Innerlich musste Tsunade Naruto Recht geben.   _     Sakura dachte einen Moment lang daran, wie sehr dieser Lotus sie in den letzten Monaten beansprucht hatte. Alle Antworten schienen auf diese Pflanze hinauszulaufen. Vielleicht vermutete sie deshalb sofort, dass auch Kakashis und Yamatos Auftauchen damit zu tun haben musste. »Kakashi-sensei, was –« Kakashis Blick klärte sich, als er sie erkannte. Überraschung spiegelte sich in seinen Augen wider. Ein Junge zog die Aufmerksamkeit der Versammelten auf sich, während sein Blick über die Anwesenden glitt, als zählte er sie. »Sie werden bereits erwartet«, offenbarte er ihnen. Sakura runzelte die Stirn, während sie die Umgebung inspizierte, soweit das nebenher möglich war. Nichts Außergewöhnliches – außer dem plötzlichen Auftauchen des Jungen, der Lotus, um den sich ihr Leben der vergangenen Monate drehte und die Ansammlung von Vertrauten, die – so ein Zufall – hier aufeinander trafen. Sakura warf einen Blick zu Sasuke und zog verwundert die Augenbrauen hoch, als er ihn erwiderte. Er erwiderte ihre Mimik spöttelnd. Der Junge zog eine Phiole hervor, deren Inhalt verdächtig nach Blut aussah. »Orochimaru-sama lässt Folgendes ausrichten –« Sasuke schnaubte, ehe der Junge den Satz hatte beenden können. »Er freut sich auf jeden einzelnen Anwesenden hier. Aber besonders auf Sasuke-kun.« Obwohl der Junge die Worte nüchtern überbracht hatte, loderte Orochimarus Drohung zwischen den Worten. Sakuras Blick verweilte auf der Phiole, die er in der Hand hielt. »Was –« Ehe sie die Frage hatte formulieren können, tröpfelte er Blut auf ein Zeichen, das in die Blüte des Lotus geritzt worden war und sie eben erst bemerkte. Die Flüssigkeit folgte den Ritzen. Und in diesem Moment spürte Sakura, wie sich die Welt um sie herum zu drehen begann.   _   Zur selben Zeit rauschten zwei Schatten durch den Wald, hatten Konoha bereits weit hinter sich gelassen und folgten den Spuren, die die zu Verfolgenden nicht bemüht hatten zu kaschieren. Sai nickte, als er von den Fußabdrücken im Boden und den geknickten Ästen in den Baumkronen zu Naruto aufsah. »Sie waren hier. Die Richtung stimmt. Sie haben sicherlich den Weg zum Lotus eingeschlagen.« »Wieso bist du dir da so sicher?« »Warum hast du Angst vor dem Lotus?«, fragte Sai statt einer Antwort, die er für zu offensichtlich hielt, um sie tatsächlich aussprechen zu müssen – selbst für Naruto. »Angst? Quatsch.« Sai warf ihm einen prüfenden Blick zu. Wahrscheinlich, um herauszufinden, ob es ironisch gemeint war. »Nein, keine Ironie«, erklärte er knapp, »der Lotus ist mir unheimlich, dabei hab ich ihn noch nicht einmal gesehen. Angst bedeutet, dass man nicht genau weiß, wovor man Angst hat. Ich fürchte mich aber vor dem Lotus. Ich habe kein gutes Gefühl.« Er strich sich über seinen Bauch, als er mit einem Fuß den nächsten Ast berührte und weiter durch die Kronen der Bäume rauschte. »Und auf mein Bauchgefühl konnte ich mich schon immer verlassen, echt jetzt.« Erst dann bemerkte er den merkwürdigen Blick von Sai. »Ich wusste nicht, dass du Sakura tatsächlich manchmal zuhörst.« »Was? Wieso?«, hakte Naruto Stirn runzelnd nach. »Furcht, Angst – die Erklärung hört sich nach ihr an.« »Jaaaah«, erwiderte Naruto gedehnt. »Aber – wohin müssen wir eigentlich?«, fragte er und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. »Nur eine Jounin-Weste macht eben keinen Jounin«, bemerkte Sai und spurtete voraus.     _     Als Sakura die Augen öffnete, brannte Schmerz durch ihre Schläfen, worauf sie ihre Lider instinktiv zusammenpresste. Erst anschließend sickerte in ihr Bewusstsein, dass sie eben das verloren haben musste. Hatte sie geschlafen? »Wo?« Sie fuhr hoch, als sie erkannte, dass sie in einem Bett lag. Sie zwang sich zur Ruhe, verschaffte sich einen Überblick, doch das panische Gefühl, das an ihrem Brustkorb nagte, war schwer zu kontrollieren. Sie war allein. Ein Stich in ihren Magen folgte der Erkenntnis. Wo waren die anderen?   _   Als Kakashi die Augen öffnete, stöhnte er gepresst auf. Natürlich hatte Orochimaru den Zugang zu seinem Aufenthaltsort vor ihren Augen weitgehend verborgen. Trotzdem stieß ihm der Verlauf der Ereignisse bisher übel auf. Die Gefühle, die ihn in solchen Situationen übermannen drohten, versiegelte er in einer Ecke seines Bewusstseins, die er gerne ignorierte. Er schaute sich um. Das Zimmer war nur schemenhaft durch eine Kerze erleuchtet und malte Schatten an die Wände. Es roch muffig. Das Bett, in dem er sich gerade aufrichtete, war dagegen überraschend sauber. Er glaubte sogar, dass es frisch duftete. Waren sie erwartet worden? Natürlich. Aber warum frisch gemachte Betten? Wut kratzte in seinem Magen, juckte in seinen Händen, doch seine Fassade hob sich stoisch von den Emotionen ab. Er würde Orochimaru nicht durch unüberlegtes Handeln in die Hände spielen. Seine Gedanken klammerten sich an seine Kameraden.   _   Als Sasuke die Augen öffnete, wusste er sofort, dass er alleine war. Die Präsenzen der anderen waren weit weg. Er konnte sie nicht ausmachen. Die Chakren seiner – der anderen – schienen sich in Luft aufgelöst zu haben. In solchen Momenten schaltete sein Kopf auf Automatik. Manchmal fühlte er sich dabei, wie ein stiller Beobachter, der wie von außerhalb die Situation wahrnahm. Ruhe ummantelte ihn, in der sich seine Gedanken manifestierten. Manche verwarf er gleich wieder, andere schienen ihm plausibel. Eines wusste er ganz sicher: Orochimarus Spiel hatte begonnen.   _   Narutos Augen weiteten sich vor Erstaunen, als er vor dem Lotus stand und den meterhohen Stil – einem Baumstamm gleich – entlang blickte. »Sie waren hier«, stellte er fest. »Woran machst du das fest?«, hakte Sai nach. »Ich fühle es.« Sais Schweigen verleitete ihn zu einer weiteren Erklärung – einer, die hoffentlich weniger dramatisch klang. »Ihr Chakra mein ich. Es – ich fühle es.« »Ich nicht. Sie müssen schon eine ganze Weile nicht mehr hier sein.« Doch Sai glaubte Naruto, wenn er so etwas in den Raum stellte. Narutos Fähigkeiten waren seither immer die Ausnahme der Regel gewesen. »Was tun wir jetzt?«, hakte Naruto unentschlossen nach und ballte seine Faust. »Es kann doch nicht wahr sein, dass sie –« »Sich in Gefahr gebracht, nach offiziellem Ermessen den Anordnungen der Hokage widersetzt haben und damit Konoha gefährden?« Naruto räusperte sich. »Ja, so ungefähr. Eigentlich hab' ich eher dran gedacht, dass sie ohne mich gegangen sind. Aber jaaah.« Er grinste verlegen. »Das trifft zu. Sie ignorieren dich, aber Obito und Yamato nehmen sie mit. Eine ungewöhnliche Teamkonstellation«, gab Sai zu bedenken. »Vielleicht sind sie gar nicht zusammen hierher?«, behauptete Naruto, doch er war nicht wirklich von dem Gedanken überzeugt, weswegen sein Kommentar auch eher wie eine Frage klang. »Ja, vielleicht sind sie das nicht. Die Frage ist ohnehin: Was wollten sie alle hier? Und wo sind sie jetzt?« Naruto rümpfte die Nase und steckte die Hände in die Taschen, schaute düster drein, als ihn Sais fragender Blick traf. »Dieser verdammte Lotus«, brummte der Blondschopf nur, »ich hab ein verdammt ungutes Gefühl.«   _     Gut und Böse sind Konstrukte. Was der eine als gut betrachtet, kann dem anderen schaden. Was für eine Gruppe Menschen als böse betrachtet wird, kann tatsächlich gut gemeint sein. Was rechtlich gut ist, mag vielleicht moralisch verwerflich sein. Gut und Böse gab es nur im Kopf der Menschen. In der Realität ging es um Motive und Zwickmühlen und Entscheidungen, bei denen es nur ein Übel und ein Übleres gab. Als Medizinerin hatte sich Sakura stets daran gehalten, Leben zu retten und zu wahren. Egal, wer ihr Patient war, ob arm oder reich. Freund oder Fremder. Als der Junge – Koji hatte er auf ihre Frage geantwortet – sie zu Orochimaru geführt hatte, war ihr nicht klar gewesen, dass sie mit eben diesen Gedanken konfrontiert werden würde. Dass sie Orochimarus verwesendem Körper gegenübertreten und ihre ethischen Maximen abwägen müsste. Ihr war bewusst, dass Orochimaru mit ihr spielte. Er pokerte verdammt hoch. Mit ein wenig Glück, dachte sie, würde er einfach in diesem Moment abkratzen. Aber das tat er nicht. Stattdessen fixierten seine Augen jede ihrer Bewegungen, ihre Mimik. Sie rang mit sich, zwang sich, ruhig zu bleiben. Unwillkürlich flutete Sasuke ihre Gedanken – für ihn war diese Ruhe elementar. Für sie aber war es eine Herausforderung. Im Angesicht der Wut und Furcht und Ungewissheit. »Warum sollte ich das tun?«, herrschte sie ihn an, obwohl ihr Inneres erzitterte. Er wäre gelogen, zu behaupten, sie hätte keine Furcht. Jeder, der in Orochimarus Gegenwart keine solche verspürte, musste jede Ratio verloren haben – oder sehr dumm sein. Vielleicht auch beides. »Es ist deine Entscheidung. Verweigerst du die Arbeit, kannst du gehen. Jetzt sofort. Ich werde dich nicht aufhalten.« Sie wollte etwas Höhnisches einwerfen, doch er fuhr fort: »Auch niemand auf mein Geheiß hin. Du kannst nach Konoha zurückkehren und Bericht erstatten. So wie es von einer treuen Konoichi erwartet wird.« Obwohl seine Stimme dünn war – vor Entkräftung und Pein – klang die Herablassung und der Spott hindurch. Schon allein, dass Sakura hier vor ihm stand, schrie nach Untreue gegenüber ihrem Dorf. »Sasuke geht es übrigens blendend. Noch. Genau wie deinen anderen Freunden.« Es rollte ihm über die spröden Lippen wie eine Beleidigung. »Wenn du gehst, kann ich selbstverständlich nicht mehr für ihr Wohlergehen sorgen. Allerdings –« Er hustete. »Allerdings ist das ja zweitrangig, nicht?« Ninja erwarteten, dass sie ihre Freunde ohne ein Zucken für Konoha opfern würde, dass sie das Leben weniger Menschen unter das Wohl einer ganzen Gesellschaft stellte – egal, wie wichtig ihr diese wenigen Menschen waren. Für Konoha musste sie Sasuke zurück, leiden, sterben lassen. Jeden von ihnen.   Jeden Tag fällen wir Entscheidungen. Wir entscheiden uns für einen Weg und die Richtung. Wir müssen entscheiden, mit wem wir diesen Weg gehen und wen wir zurücklassen, Manchmal wird uns die Entscheidung von anderen abgenommen. Manchmal haben wir scheinbar keine Wahl. Aber die haben wir immer. Und oft ist es eine Bürde. Selbst, wenn wir nichts tun, bedeutet das eine Entscheidung. Unserem Tun folgen Konsequenzen. Unsere Taten beeinflussen unseren Weg, unsere Gefährten und uns selbst. Unser Nicht-Tun ebenfalls. Jeden Tag verändern wir uns ein Stück. Meistens bemerken wir es nicht, weil die Veränderungen schleichend sind. Aber irgendwann schauen wir in den Spiegel und wir können nur hoffen, dass wir unseren Weg nicht bereuen.   In diesem Moment wusste sie, dass sie Sasuke nicht zurück lassen konnte. Keinen von ihnen. Sie war kein Itachi, der das Dorf aus dem Verborgenen schützen konnte, sie war kein Naruto, der jede noch so schlimme Situation umzureißen wusste, sie war kein Kakashi, dem es durch einen genialen Einfall gelang, dem Gegner den Sieg abzuringen. Sie war nur sie.   »Wann soll ich anfangen?« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)