Wie Sommer in Deinen Augen von Jaelaki ([Sai & Sakura]) ================================================================================ Kapitel 4: Wie Mondlicht in Deinen Augen ---------------------------------------- Es war dunkel und trotzdem noch immer warm. In dem Zimmer staute sich die Hitze des Tages, die sich nur träge in der Nacht verflüchtigte. Schon wieder legte sie ein Dokument zur Seite und beschriftete das nächste. Der Stapel jedoch schrumpfte nur zäh. Müde rieb sie sich die Augen. Er wusste, dass sie wusste, dass er da war, doch noch hatte keiner die Stille durchbrochen – nur das stetige Kratzen des Füllfederhalters auf dem Papier. Seinen Kopf durchkreuzten viele Gedanken – immer. Meistens waren es Gedanken, wie er überleben konnte. Viel häufiger Gedanken, wie er eine Mission erfolgreich abzuschließen plante. Es waren nüchterne Gedanken, die stets einer Intention folgten. Doch zumeist war die Intention eine ihm aufgetragene. Seltenst ging er einer eigenen Intention nach. Vielleicht wusste er deswegen nicht, welcher Intention seine Gedanken momentan folgten. Jetzt gerade fragte er sich, warum sie nicht nach Hause ging – denn ihre Augenringe sprachen Bände. Er war sich auch nicht im Klaren darüber, warum sie sich offenbar in der Arbeit zu ertränken gedachte, denn die Stapel Dokumente um sie herum wuchsen jeden Tag, obwohl sie Überstunde um Überstunde in ihrem kleinen Büro verbrachte. Er wusste auch nicht, warum er ihr von allen Fragen, die durch seine Gedankenbahnen strömten, ausgerechnet diese Frage stellte. „Sakura, geht es dir gut?“ Er wusste es wirklich nicht. Sie arbeitete so energisch wie immer, ihre Anweisungen waren präzise, ihr Vorgehen professionell. An ihrer Arbeitsweise hatte sich nichts geändert. Ihre Stimme klang kräftig und ihre Anordnungen waren klar wie immer. Trotzdem konnte sie ihren erschöpften Zustand nicht völlig verhüllen. Und in ihren Augen hing etwas, das ihn die Frage stellen ließ. Sai stand in der Tür zu ihrem Büro, konnte weder einen Schritt vor noch zurück machen. In ihrer Gestik lag Abweisung. Sie wollte nicht, dass er hier war, das glaubte er zu erkennen. Vielleicht drang er in ihre Privatsphäre ein – das ganze Konzept war für ihn bis heute schwer zu verstehen und hoch komplex. So erwarteten Menschen von Fremden andere Verhaltensmuster als von Freunden und selbst unter Freunden gab es Abstufungen. Es war unübersichtlich für ihn. Und er wusste nicht einmal, was für ein Freund er für Sakura war – oder ob er ihm Moment einfach nur ein Kollege war. Vielleicht war er auch nur tagsüber ein Kollege und abends ein Freund. Aber ab wann? Und inwiefern war es sein Recht oder seine Pflicht als Kollege und ab späterer Uhrzeit als Freund nach ihrem Befinden zu fragen. Oder war das ihre Privatsache? Vielleicht blickte sie ihn deswegen gerade so verstört an. Doch in ihren Augen – „Ja, gut. Was soll die Frage, Sai? Geh nach Hause. Es ist spät“, erwiderte sie geradezu harsch, doch das kümmerte ihn nicht. Weil es in seinen Ohren nicht wirklich harsch klang, sondern erschöpft. „Wirst du nach Hause gehen?“ Ihr Blick schnellte nach oben und erfasste ihn. „Wenn ich alles hier erledigt habe“, murmelte sie. Sein Blick schweifte über ihren Schreibtisch, überfüllt von Papierrollen und Dokumenten, Stapel, die sich aus Platzmangel auf dem Besucherstuhl und daneben türmten. „Weißt du, warum man bei der ANBU taktisch immer zehn Minuten bis zu einer halben Stunde pausiert vor dem finalen Zugriff bei Attentaten?“, entgegnete er nüchtern. Ihr Blick lag wieder auf dem Papier vor ihr, sie zuckte wie nebenbei die Schultern und murrte: „Ich wäre schneller fertig, wenn du nach Hause gehen würdest.“ „Diese Pause ist für die Regeneration. Die Konzentration, den Chakrahaushalt, die emotionale Kontrolle. Einige Momente, in denen man seinen Geist von aller Emotion leert, Vergangenheit und Zukunft ausblendet und alles in die Gegenwart legt. Diese konzentrierte Kraft ermöglicht den Erfolg solcher Missionen.“ „Sai“, seufzte sie, „ich weiß doch. Ich sollte schlafen gehen und mich ausruhen. Danach könnte ich die Arbeit wieder effizienter erledigen, aber –“ „Nein“, widersprach Sai bedacht. „Diese Pause bedeutet mehr als nur Schlaf oder Ruhe. Es bedeutet vor allem Akzeptanz. Loszulassen.“ „Was –“ „In deinen Augen – ich habe es oft gesehen. Da ist etwas, wie es oft bei neuen ANBU nach einem Attentat vorkommt.“ „Was meinst du, Sai? Was gesehen?“ Er zuckte die Schultern und lächelte sie unpassend höflich an. „Ich weiß nicht, was es ist. Ich habe es oft gesehen, aber nie selbst gefühlt.“ Leichtfüßig wandte er sich um. „Gute Nacht, Sakura“, wünschte er ihr. „Geh bald schlafen. Dein Gesicht ist nicht mehr schön.“ Er spürte ihren Blick in seinem Rücken und stellte sich vor, wie sie zornig die Wangen blähte und ihm höchst eloquent einige Beleidigungen an den Kopf warf, nur um dann mit einer gepfefferten Kopfnuss nachzulegen – aber es kam nichts. Ohne eine einzige Beleidigung, ohne eine Backpfeife oder auch nur einen Hauch von Gegenwehr ihrerseits verschwand Sai in der Stille der Nacht und fragte sich, warum sie nun so hässlich aussah, wenn es ihr doch gut ging. Er lag in seinem Bett. Wärme kribbelte über seine Haut und ließ ihn von der einen Seite auf die andere drehen. Er verabscheute warme Nächte, solche, in denen man trotz Erschöpfung nicht einschlafen konnte. So eine Nacht wie heute. Dann horchte er auf. Instinktiv zog er das Kunai unter seinem Bettkissen hervor und lauschte. Da war etwas vor seiner Tür, jetzt seinem Fenster. Er stieg aus dem Bett, drückte sich die Wand entlang, das Kunai in der Hand und zog seine Augen zusammen. Draußen schien der bleiche Mond und erhellte doch nur alles schemenhaft hinter dem Vorhang. Vorsichtig lugte er heraus und öffnete das Fenster, als er den Schatten erblickte. Mit dem Kunai genau zwischen die Augen gezielt stand er plötzlich vor – „Sakura? Was machst du hier?“ Sein Atem verlangsamte sich wieder, sein Herzschlag beruhigte sich in seiner Brust. Das Adrenalin seufzte in seinen Adern. Sakura beäugte das Kunai, das zwischen ihre Augen zielte, nicht annähernd beunruhigt genug nach seinem Geschmack, doch er ließ es sinken und schaute sie mit gehobenen Augenbrauen an. „Ich kann nicht schlafen“, erklärte sie knapp und fummelte an ihrem T-Shirt-Saum herum, als wäre sie verlegen den Umstand zuzugeben. „Warum?“, hakte Sai trotzdem nach und beobachtete sie aufmerksam – in der wilden Hoffnung etwas in ihrer Mimik zu erkennen. Doch er erkannte nichts, das ihm eine Erklärung liefern wollte, warum Sakura mitten in einer warmen Juli-Nacht auf seinem Balkon stand mit tiefen Augenringen und geröteten Lidern. „Der Krieg –“, hob sie ihre Stimme, doch der Satz verlor sich irgendwo in ihren Gedanken. Sie schaute hinweg, als sah sie nicht nur die Dächer Konohas, sondern etwas anderes. „Er ist vorbei“, sprach ihr Sai zu und folgte ihrem Blick. Er sah nur Dächer in der Nacht. Schwarzgraue Dächer, einige vom blassen Mondlicht berührt und in silberweißem Licht gemalt. Sakura seufzte. „Aber nicht in meinem Kopf. Nachts – sie schreien und ich sehe überall Blut. Die ganzen Menschen, die ich nicht retten konnte und –“ „Es ist normal, dass in einem Krieg Menschen sterben – vor allem in einem solch großen Krieg, Sakura. Es ist –“ „Nicht meine Schuld!“, schleuderte sie ihm entgegen. Ärger brannte in ihrem Blick. „Ich weiß! Was denkst du, wie oft ich es mir gesagt habe. Wie oft Naruto es mir gesagt hat oder Kakashi-sensei? Jeder sieht mich nur mit diesem Blick an, als wäre ich vollkommen verblödet oder naiv oder alles zusammen. Ich weiß das alles! Aber es kommt nicht hier an.“ Sie legte ihre Hand über ihre rechte Brustseite. „Jede Nacht liege ich wach und frage mich, wie viele Kinder gestorben sind. Nur weil ein paar Verrückte mehr Macht hatten, als gut gewesen wäre, und noch mehr Macht wollten. Wie kannst du nur schlafen, Sai? Wie schaffst du das?“ Über Sais Lippen wandelte ein leises Lächeln. „Ich kann nur schlafen, weil ein paar Verrückte mehr Macht hatten, als gut gewesen wäre und noch mehr Macht haben wollten. Ich bin kaputt, Sakura. Sie haben mich zu einem Werkzeug gemacht und dabei habe ich das verloren, was dich nachts wachhält.“ „Was?“ „Ein Gewissen. Empathie. Idealismus.“ „Ich wünschte manchmal –“ „Nein, sag es nicht. Glaub mir. Du würdest es dir nicht wünschen, wüsstest du – nein. Es würde dich zerstören.“ „Aber. Warum tut es so weh? Immer wieder. Immer. Mehr und mehr“, fragte sie und er hörte etwas Unangenehmes in ihrer Stimme. Vielleicht war es Verzweiflung. Es klang jedenfalls nach Schmerz. „Wo tut es dir weh?“, erwiderte Sai und ließ seinen Blick nüchtern über ihren Körper streifen, suchte eine Wunde, eine Blessur. Doch er fand nichts. Dann bemerkte er ihren Blick. Sakura lächelte traurig. „Hier“, meinte sie und legte ihre Hand dorthin, wo wohl ihr Herz sein musste. Er erwiderte ihren Blick ratlos. Seine Mimik blank. Doch sie schien zu wissen, dass er ahnungslos war. „Irgendwie beneide ich dich darum, dass du es nicht weißt.“ Ihre Augen schimmerten in diesem trüben Grün, das er nicht mochte. Es war ein schmutziger Farbton, als hätte jemand hässliches Grau untergemischt. Er empfand ihre Augenfarbe als viel angenehmer, wenn sie lachte und dieses Lachen sich in ihrem Blick widerspiegelte. Dann leuchteten sie. Und das Grün war ein satter, strahlender Ton.   „Was weiß ich nicht?“, hakte er nüchtern nach, doch sie winkte nur ab. Der Farbton in ihren Augen ließ ihn nicht los. „Erkläre es mir, Sakura“, beharrte er und ihr Blick erfasste ihn, als sie aufsah, wie sie so da stand ihre Beine angewinkelt, die Arme auf der Balkonbrüstung. Langsam wandte sie sich zu ihm, bis sie vor ihm stand, näherte sich soweit, dass ihr Gesicht seinem ganz nahe war. „Manche Dinge kann man nicht erklären, Sai. Man muss sie fühlen. Es tut mir leid, dass ich dich gestört habe. Gute Nacht.“ Damit strich sie ihm mit ihrem Handrücken über die Wange und ging. Er sah ihr lange nach. Sogar noch dann, als sie längst hinter einigen Häusern die Straße runter verschwunden war. Er verabscheute diese Nächte, in denen er nicht schlafen konnte, weil es zu warm war und er verabscheute diese Gespräche in warmen Nächten, nach denen er das Gefühl hatte, die Hälfte nicht verstanden und ein gutes Viertel nicht mitbekommen zu haben. Seufzend legte er das Kunai zurück unter sein Bettkissen und starrte noch zähe Augenblicke an die Decke, ehe er endlich einschlief. Mondlicht, das in silbergrünen Augen tanzte. Augen voller Trauer und Zweifel und Schmerz. Augen voller Empathie, Gefühl und Idealismus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)