Wie Sommer in Deinen Augen von Jaelaki ([Sai & Sakura]) ================================================================================ Kapitel 17: Wie Frühling in Deinen Augen ---------------------------------------- Etwas, das ihm den Atem raubte. Etwas, das ihm die Lungen zusammenquetschte. Ihre Worte hallten in seinen Gedanken wider. Alles erschien ihm windstill – als stünde er im Auge des Wirbelsturms – und er traute sich nicht, sich zu bewegen, weil dann alles um ihn herum zusammenfallen würde. Er hatte das Gefühl gehabt, dass sich sein Leben in den letzte Monaten, ja, in den letzten zwei Jahren seit Kriegsende verändert hatte. Dass er sich verändert hatte. Er hatte das Gefühl gehabt, andere besser zu verstehen – und sich selbst. Aber jetzt stand er hier vor Sakuras Büro im Krankenhaus und wusste nicht, was er fühlte. Vielleicht, weil sein Körper taub war. Vielleicht weil die Missionen wieder sein Leben bestimmten und nichts Anderes diese Routine durchbrach. Vielleicht stand er einfach wieder am Anfang oder hatte sich nie einen Zentimeter bewegt. Vielleicht hatte er nie etwas verstanden und nur gedacht, er hätte endlich begriffen. Es dämmerte und trotzdem war es schon warm. Die frühen Sonnenstrahlen vertrieben die Dunkelheit der Nacht, trotzdem war es noch so still draußen, weil der Alltag für die meisten erst in einigen Stunden beginnen sollte. Er klopfte und trat ein.   Sie legte ein Dokument zur Seite und beschriftete das nächste. Der Stapel jedoch schrumpfte nur zäh. Müde rieb sie sich die Augen. Er wusste, dass sie wusste, dass er da stand und wartete und gleich etwas sagen würde, doch noch hatte keiner die Stille durchbrochen – nur das stetige Kratzen des Füllfederhalters auf dem Papier.   „Ich nehme an, du brauchst dein Gesundheitszertifikat.“ Er sah auf, betrachtete ihre Mimik. Sakuras Stimme klang nüchtern, doch in ihren Augen spielte ein verworrenes Spiel. Das Grün ihrer Augen schimmerte matt. Er erkannte Sorge und Müdigkeit. Aber er war sich sicher, dass er einige Gefühle darin schlicht nicht wahrnahm. „Ja“, erwiderte er knapp. Sie musterte ihn – besorgt? Pflichtbewusst? Schuldig? und erhob sich, zog an einem Aktenschrank, suchte eine Akte heraus und übergab sie ihm. Er nahm sie entgegen und wollte gerade verschwinden, als ihn ihre Stimme zurückhielt. „Sai – ich –“, begann sie, doch verstummte, versuchte es anders, räusperte sich, „lass uns einfach weitermachen“, stellte sie zwischen sie beide, erhob sich und lächelte ihn schwach an. „Es gibt noch zu viel zu tun und wir beide werden gebraucht.“ Sakuras Blick balancierte zwischen Leere und Fülle. In ihren Augen war die Erfahrung beider eingeritzt. Er nickte und ließ sie in ihrem Büro zurück. Danzou hatte in seiner These nicht falsch gelegen. Hass führte zu Konflikten und Konflikte arteten in Kriege aus. Die Liebe war nicht die Lösung. Denn auch die Liebe führte zu Konflikten, zu Kriegen. Es ging nicht darum, Gefühle zu haben oder keine Gefühle zu haben. Oder welche. Vielleicht war es gar nicht so wichtig, was für ein Name seine Gefühle besaßen. Vielleicht ging es darum, wie man mit ihnen umging. Das hatte Naruto ihm doch schon so oft vorgeführt.   „Ich benötige deine Einschätzung, Naruto.“ Sie saßen an der Theke des Ramenstandes und Naruto schaufelte sich Nudeln in den Mund, während Sai nachdenklich seine Suppe betrachtete. „Mh?“, meinte Naruto und forderte ihn mit einer Geste auf, weiterzusprechen. „Ich habe gelesen, dass Geschlechtsverkehr nichts mit Liebe zu tun haben muss.“ „Jaaaaah“, erwiderte Naruto erneut, dehnte das Wort dieses Mal aber auf drei Silben und hob seine Augenbrauen, während er die Schüssel an die Lippen setzte und trank. „Glaubst du, Sakura schläft mit vielen Männern?“ Naruto verschluckte sich, starrte ihn an und versuchte, seine Lungen frei zu bekommen. Sai beobachtete ihn, wollte die Situation zwischen sich und Sakura erklären. All diese Blicke und Berührungen, all diese Gespräche und Gefühle, die er nicht begriff. Er musste einsehen, dass er es nicht einmal sich selbst erklären konnte. Wie sollte es Naruto verstehen können? „Ich meine, sie hat mit mir fast geschlafen, aber –“ „Sie hat – was?“ Narutos blaue Augen schienen aus seinem Schädel zu quellen. „Vielleicht möchte sie nur eine einmalige, rein physische Beziehung, denn als ich ihr gesagt habe, dass ich sie liebe –“ Narutos Kopf schien zu platzen, als er ihm so seitlich gegenüber saß, die Luft anhielt, weil er scheinbar vergessen hatte, wie man atmete und sein Mund öffnete und wieder schloss, ohne ein Laut von sich zu geben. Dann schlug er sich die Hand gegen die Stirn, verbarg sein Gesicht zwischen beiden Händen und stützte die Ellbogen auf der Theke ab. Mit einem Seufzen hob er seinen Blick wieder und schaute Sai mit einem solchen Ernst an, dass diesem bewusst wurde, dass Naruto nicht mehr der sechzehnjährige Trottel war. „Ich glaube“, begann er, „dass es Zeit ist, los zu lassen.“ Sai nickte langsam und senkte seinen Blick zurück auf seine Suppe.   Vielleicht hatte er wirklich nicht gewusst, was er gesagt hatte. Liebe. Er hatte tatsächlich einige Artikel darüber gelesen. Nie eine befriedigende Antwort gefunden. Sakura hatte Recht. Naruto hatte Recht. Und vielleicht ging es wirklich darum, wie man mit Gefühlen umging – und nicht darum, sie zu verdrängen. Er akzeptierte es. Er konnte zugeben, dass Sakura etwas in ihm – berührte, das bisher noch nie berührt worden war. Er konnte zugeben, dass er ihren Blick vor sich sah, ihre Stimme hörte, wenn sie gar nicht anwesend war, ihre Finger auf seiner Haut spürte, ihre Lippen auf seinen. Dass er sich wünschte, sie nochmals so anzufassen und diese ganzen anderen Momente mit ihr zu teilen. Aber es war Zeit, los zu lassen.   Es war dunkel und Sakura noch immer in ihrem Büro. Natürlich. Er beobachtete, wie sie sich eine Strähne hinter ihr Ohr strich, die Augen zukniff. Wahrscheinlich, weil die Müdigkeit auf ihre Augenlider drückte. Als er durch ihr geöffnetes Fenster glitt, fuhr sie überrascht zusammen. „Sai? Warum bist du hier?“ Er schaute auf. „Ich habe eine Mission. Ich werde ab morgen die nächsten Wochen weg sein“, begann er und fragte sich gleichzeitig, warum er es ihr überhaupt mitteilen wollte. „Es ist eine ANBU-Mission, deswegen weißt du nichts davon. Ich wollte mich verabschieden. Ist es dir noch wichtig, dass ich wiederkomme?“ Er wusste nicht, warum sie ihn mit seinen letzten Worten so entsetzt anschaute. „Natürlich, Sai! Ich möchte, dass alle meine Freunde gesund zurückkommen!“ „Ich meine nicht, generell wiederkommen. Sondern zu dir.“ Natürlich hoffte man stets, dass alle Kameraden die Mission überlebten, aber es ging ihm nicht ums Überleben. Er konnte nur noch nicht ausmachen, um was es ihm dann ging. Wollte er, dass Sakura ihn vermisste? Würde sie um ihn weinen? Nein, darum ging es ihm nicht. Er wollte wissen, ob er nach der Mission zu ihr gehen sollte. Ob sie sich freuen würde, ihn in die Arme zu schließen. Ob sie es wollte. Nicht aus medizinischer Sicht. Und in diesem Moment erkannte er, was er eigentlich fragen wollte. „Hast du es endlich gefunden?“, fragte Sai. „Bist du glücklich?“ Als sie ihn ansah, trübte ein grauer Schleier ihren Blick. Ihre Augen erinnerten nur matt an ihren sonstigen Glanz. Ihr Grün ähnelte dem vertrockneten Laubes, das grünbraun verfärbt auf nassen Straßen lag. Wie Regen, der durch ihre Augen rauschte. Sai fragte sich, ob es stimmte, was Naruto ihm gesagt hatte – dass es nichts gab, womit er die Liebe erklären konnte, aber dass sie sich selbst erklärte, wenn man sie fühlte. Natürlich hatte er es mit anderen Worten ausgedrückt. „Keine Ahnung, wie man das erklären soll, aber – also – wenn sie da ist, ist es total klar. Man weiß es einfach, echt jetzt.“   Er wusste nicht, ob es dieses Gefühl war. Aber er wollte, dass Sakura glücklich war.   Seinen Kopf durchkreuzten viele Gedanken – immer. Meistens waren es Gedanken, wie er überleben konnte. Viel häufiger Gedanken, wie er eine Mission erfolgreich abzuschließen plante. Es waren nüchterne Gedanken, die stets einer Intention folgten. Doch zumeist war die Intention eine ihm aufgetragene. Missionen waren sein Leben und sein Leben waren Missionen. Es gab keine Grauzone, keine Leerzeichen dazwischen. Alles, was ihn überleben ließ, zeichnete er während Gefechten und Kämpfen. Mit jeder Woche, die er draußen überlebte, erinnerte er sich daran, was ihn ausmachte. Schwarz-weiß. Sein Leben war schwarz-weiß. Die Tusche verblasse auf dem Papier. Vielleicht würden auch irgendwann die Narben verblassen.  Schmerzen bedeuteten, dass die Mission beendet war. Im besten Falle waren es Muskelschmerzen von tagelanger Suche und zu wenig Schlaf. Oder es waren Schmerzen, die einem das Leben aus den Knochen zogen. Meistens aber war es etwas dazwischen. Mehr als Muskelkater, weniger als der Tod. In seinem Rücken spürte er die Matratze. Er musste unter einer Decke liegen. Um ihn herum piepten Geräte. Er tauchte langsam aus der Schwärze hoch. „Man kann die Vergangenheit nicht ändern, Sakura. Aber wenn du auch nur ein bisschen daran glaubst, dass du mit ihm glücklich werden kannst, dann solltest du endlich mit ihm reden, echt jetzt!“ Er kannte diese Stimme, doch er fühlte die Müdigkeit in seinen Gliedern. Er wollte die Augen noch nicht öffnen. „Irgendwann wird es Zeit, die verdammte Tür zu öffnen. Sai hat es mir erzählt. Du stehst einfach da und wartest, echt jetzt – glaubst du wirklich, dass Sasuke –“ „Naruto – “ „Ich weiß, du wartest auf etwas oder jemanden oder so. Die Frage ist, wartest du darauf, dass Sasuke dir zustimmt oder widerspricht. Und sehnst du dich nach dem, was er für uns – für dich in der Vergangenheit war oder ist er es immer noch in der Gegenwart? Du weißt, dass –“ „Naruto, das geht dich nichts an“, zischte sie, doch sie klang müde. „Stimmt. Aber ihn geht es was an.“ Jemand stieß die Tür auf, ließ sie wieder zufallen. Dann war es verdammt ruhig.   Seinen Kopf durchkreuzten viele Gedanken – immer. Meistens waren es Gedanken, wie er überleben konnte. Viel häufiger Gedanken, wie er eine Mission erfolgreich abzuschließen plante. Es waren nüchterne Gedanken, die stets einer Intention folgten. Doch zumeist war die Intention eine ihm aufgetragene. Seltenst ging er einer eigenen Intention nach. Vielleicht wusste er deswegen nicht, welcher Intention seine Gedanken momentan folgten, als er irgendwann die Augen aufschlug und sich verwirrt umsah. Seine Glieder hingen schwer an seinem Rumpf. Seine Augen verklebt von Schlafsand. Er hob seinen Kopf. Das Piepsen war verstummt. Er lag in einem Zimmer des Krankenhauses – nicht auf der Intensivstation. Das war ein gutes Zeichen. Oder? Er verspürte keine Freude darüber, keine Erleichterung. Er nahm es hin. Die nächste Mission würde kommen. Es machte keinen Unterschied, wie er sich fühlte. Es war unwichtig.   Jemand zog die Tür auf. Sakura schritt auf sein Bett zu in ihrem weißen Kittel. Mit einem Klemmbrett in den Händen und ihrem Blick auf eine aufgeschlagene Akte gerichtet blieb sie vor ihm stehen. „Sakura, geht es dir gut?“ Sie war nicht unwichtig. Sakura konnte ihren erschöpften Zustand nicht verhüllen. Und in ihren Augen hing etwas, das ihn die Frage stellen ließ. Vielleicht waren es nicht einmal ihre Augen, sondern all das, was er in ihnen sah oder gesehen hatte. Ihr Lächeln, ihre Tränen, ihre Hoffnungen, ihren Kampfgeist, ihre Ängste. Er wusste nicht einmal, ob er einen Freund für Sakura darstellte – oder ob er ihm Moment einfach nur ein Kollege war, ein Patient. „Die Frage sollte ich dir stellen, Sai“, meinte sie und ein Lächeln zuckte über ihre Lippen, ein Lächeln, das schnell wieder verblasste. „Mir geht es gut.“ „Das ist – gut“, erwiderte sie, notierte etwas auf dem Papier, das im Klemmbrett feststeckte. „Hast du Kopf- oder Magenschmerzen? Übelkeit?“ „Nein.“ Sie nickte, zögerte, doch dann deutete sie an, den Raum zu verlassen. „Später wird eine Krankenschwester deine Verbände erneuern und –“ Er griff nach ihrer Hand und sie erstarrte, aber sie zog sie nicht weg. „Warum glaubst du, dass es ein Fehler war?“, fragte er. Es passte nicht in die Situation, nicht dazu, wie er verletzt in dem Krankenzimmer lag oder wie sie ihre Finger um das Klemmbrett krallte. „Sai, nicht hier, nicht jetzt“, seufzte sie und es klang wie eine Bitte. Ihr Blick hing auf der Bettdecke, wanderte über die Bettkante. Er wusste, dass er die Frage nicht hätte stellen sollen – nicht hier und jetzt. Aber er wusste nicht, wann oder wo. Gab es für solche Situationen einen richtigen Ort, einen Zeitpunkt? Oder verschoben es die Menschen nur immer weiter, bis sie irgendwann die Frage vergessen hatten? Vergaß man so etwas? „Willst du es vergessen?“, fragte er. Ihr Blick zog sich zu ihm hoch. Sie stockte und er sah, wie ihre Miene, diese Maske der Professionalität, Risse bekam. „Ich – ich habe mit so Vielem noch nicht abgeschlossen. Ich – Manchmal fühlt es sich an, als würde ich in meinen Erinnerungen – irgendwie ertrinken. Und dann, wenn ich bei dir bin, dann – ich liebe es – also die Zeit, die wir gemeinsam verbringen und das Gefühl ist – aber ich glaube, manchmal – ich bin noch nicht angekommen. Es – es fühlt sich seltsam an, ich weiß nicht –“ „Nur weil etwas seltsam ist, heißt es nicht, dass es schlecht ist oder schlechter als das Gewöhnliche“, zitierte er sie und drückte ihre Finger, betrachtete ihr Gesicht, ihre Augen. Es schien, als klärten sie sich wie der Himmel. Wolken flohen davon, doch ein Schatten blieb. „Ja, das –“, ihr entwich ein verlegenes Lachen, „aber ich glaube einfach, dass – Irgendwann wird es Zeit, die Tür zu öffnen. Aber ich kann es nicht. Ich habe Angst, Sai. Ich kann sie nicht alleine öffnen und was sagt das über mich? Wenn ich es nicht alleine kann, dann –“ Zuerst dachte er, dass es eine Metapher war. Die Tür zu öffnen. Türen standen für neu zu erschließende Räume, aber auch für eine Barriere. Gewöhnlich konnte man nicht sehen, was einen auf der anderen Seite der Tür erwartete. „Dann sollte dir jemand helfen. Es sagt über dich, dass du es nicht alleine kannst, aber wer sagt, dass du es allein tun musst?“, grübelte er und schaute sie an. „Heißt das nicht, dass ich nicht so weit bin? Dass ich zu schwach bin?“, entgegnete sie zweifelnd. „Als Ninja muss man doch –“ „Missionen erfüllen. Die meisten Missionen erfüllen Ninja im Team.“ Er spürte, wie sich ihr Blick in den seinen brannte. „Aber. Warum tut es so weh? Immer wieder. Immer. Mehr und mehr“, fragte sie und er hörte etwas Unangenehmes in ihrer Stimme. Vielleicht war es Verzweiflung. Es klang jedenfalls nach Schmerz. „Tut es dir noch immer hier weh?“, wollte Sai wissen, zog sie näher und legte ihre Hand dorthin, wo wohl ihr Herz sein musste. Ihre Augen weiteten sich ob der plötzlichen Nähe. „Du hast mich mal gefragt, ob es besser wird, Sakura. Damals hätte ich gesagt, nein. Aber ich glaube jetzt, dass es besser wird, wenn du auch willst, dass es besser wird.“ Sakura schenkte ihm einen Blick. In ihren grünen Augen hingen Gefühle, die Sai nicht benennen konnte. Vielleicht stand dort alles, was sie hatte sagen wollen. Doch sie sagte nichts, nur ein Wort: „Danke.“   Er wusste nicht, wofür. Fuhr ihre Gesichtszüge nach, als könnte er dort entdecken, was sie meinte. Zunächst nur mit den Augen, dann mit seinem Zeigefinger, berührte ihre Nase, ihre Wange, ihre Lippen. Kurz bevor sich ihre Münder berührten, erhaschte Sai einen Blick in ihre Augen. Und er musste erkennen, dass dort das Leben blühte. Schmerz und Kummer, Trost und Freude. Wie die ersten grünen Triebe im Frühling, wuchs dort ein Lächeln, das sich auf ihren Lippen widerspiegelte. Er spürte es auf seinen eigenen.  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)