Räuberblut von Nanuck ================================================================================ Kapitel 4: Die Flucht im Abendrotland ------------------------------------- Nach Leons lieben Worten war ich in seinem Arm eingeschlafen. Später war er wohl gegangen, denn als ich aufwachte, war er fort. Ich wurde von einem wunderlichen Kerl geweckt, der mich frühmorgens, als noch alle schliefen, auf das Schiff des Lords brachte. Es war noch dunkel an Deck, als ich es betrat. Hier wurde ich zwar besser behandelt, eine Gefangene war ich aber immer noch, denn ich hatte zwar eine riesige, wunderschöne Kajüte für mich allein, jedoch wurde ich dort eingesperrt, wie ein Gegenstand, der gerade nicht gebraucht wurde. Geschmeichelt schaute ich mich um. Überall standen wunderschöne tropische Blumen von der Insel, die mir der Lord geschenkt hatte. Auf einem kleinen Kärtchen in einem wunderschönen Strauß Orchideen auf dem Schreibpult stand eine kleine Nachricht, die an mich gerichtet war: Guten Morgen, mein Augenstern, ich hoffe du hast wunderschön geschlafen! Ich habe probiert dir den Aufenthalt auf dem Schiff so bequem wie möglich zu gestalten, die Bediensteten werden alles für dich machen, was du willst. Schau mal in die Kommode, ich habe ein bisschen für dich eingekauft. Entspann dich, nach den ganzen Strapazen, ich freue mich schon darauf dich Zuhause wiederzusehen... XXX Verwundert trat ich zur Kommode und zog die massiven Schubladen auf. Kleider aus teuren Stoffen und mit kunstvoll verzierten Accessoires lagen darin. Auf einem weiteren Zettel, der auf einem wunderschönen, weinroten Kleid lag, stand die Botschaft „Einer Prinzessin würdig“. Ich genoss es endlich wieder ein bisschen meines alten Lebensstandards zurückgewonnen zu haben. Zuerst entspannte ich mich in der Badewanne mit kostbaren Ölen und wunderbar duftenden Rosenblättern. Dann zog ich mir das rote Kleid, mit dem Korsagenoberteil an, dass mit einer großen goldenen Schleife hinten zugeschnürt wurde und in einen langen, weiten Rock auslief. Es war ein wundervolles Gefühl endlich mal wieder richtig entspannt zu sein, trotzdem war immer noch eine leichte Anspannung tief in meinem inneren verankert. Ich wusste zwar, dass ich mich auf Leons Rettung verlassen konnte, doch zweifelte ich daran, dass sein Plan klappen würde. Selbst wenn wir die Eroberung durch Ilean abwenden konnten, würde doch immer noch das Problem mit Lord Saylon vorhanden sein. Irgendwann würde er begreifen, dass ich geflüchtet war, und dann würde er doch unser Reich angreifen. Es war ausweglos. Doch im Moment hatte es sowieso keinen Sinn sich über das Gedanken zu machen, was hoffentlich noch in weiter ferne lag. Ich schaute nun nach draußen und sah der Sonne dabei zu, wie sie langsam aufging. Wie sehr ich mir doch wünschte, dass alles war wie früher, als ich noch ganz klein war. Ich war so glücklich gewesen, alles war perfekt. Jeden Sonntag war ich mit meinen Eltern hinunter ins kleine Dorf gegangen und wir hatten dort den Tag verbracht. Es hatte keinen Streit mit dem Nachbarkönigreich gegeben und so konnte ich unbeschwert hingehen, wo ich wollte und ohne vor irgendetwas Angst zu haben am Springbrunnen auf dem kleinen Dorfplatz spielen. Rundherum war früher ein Kopfsteinpflaster gewesen und viele Häuser mit Geschäften und Gaststädten drin. Doch das schönste an diesem Ort war immer noch der Wein gewesen, der an den Wänden der Häuser gewuchert hatte und mal rote und mal grüne Blätter hatte. Wenn dann am Abend die Sonne untergegangen war, hatte die Fontäne des Brunnens immer im goldenen Licht geglitzert und hatte eine romantische Atmosphäre über den gesamten Platz gelegt. Eine Straße hatte hinunter zum Strand geführt, deswegen waren um diese Zeit immer viele Leute auf dem Platz um hinunter zu gehen und der Sonne beim Untergehen zuzugucken, doch ich hatte es immer bevorzugt mit meinen Eltern am Brunnen zu bleiben, weil ich sie dort einmal in der Woche endlich für mich hatte und lieber mit ihnen allein war, statt wie alle anderen im Sand zu stehen und die Sonne dabei zu beobachten, wie sie im Meer versank... Doch das alles war schon lange vorbei. Damals war ich fünf oder sechs gewesen, doch als die Aufstände angefangen hatten, hatten meine Eltern immer mehr zu tun und wir gingen nur noch selten gemeinsam an den Brunnen. Die Jahre vergingen, und unser Ritual zerbrach ganz, als es dann irgendwann zu gefährlich wurde überhaupt als Adeliger ins Dorf zu gehen. Ich bedauerte jeden Sonntag aufs neue die erdrückenden Mauern des Schlosses nicht zu verlassen und hoffte jedes Mal wieder, dass meine Eltern wie früher in mein Zimmer gekommen waren und mich mit Frühstück ans Bett geweckt hatten. Wie sehr ich diese Zeit doch zurücksehnte. An manchen Tagen hatte ich immer nur herumgesessen und an Vergangenes gedacht, gefangen in den schönen Erinnerungen. Ich hatte in einer Traumwelt gelebt, hatte mich von allem außerhalb abgeschirmt und nur noch mein Utopia als Realität gesehen. Doch jetzt, wo ich mitten drin war, in der wirklichen Realität, da fühlte ich mich noch verlassener wie vorher. Meine Traumwelt war immer klein gewesen, da gab es nur mich und das um mich herum, doch in der Wirklichkeit war die Welt unglaublich groß und erschreckend grausam. Ich hatte bisher nur wenig gesehen und gehört, doch schon die pure Vorstellung an all das, was wirklich um mich herum passierte, machte mir eine Gänsehaut. Doch egal, wie ich es drehte und wendete, nichts änderte sich. Meine kleine, heile Welt hatte sich in ein dunkles Loch verwandelt. Doch eigenartiger Weise verspürte ich in Leons nähe nicht die sonstige Leere und Kälte, sondern eine wohlige Wärme, die von dem Lichtschimmer tief im inneren meines Herzens ausging, den er dort entfacht hatte. Es war das erste Mal seit langem, dass ich so etwas wie Geborgenheit und Zuneigung gespürt hatte, wenn ich mit jemanden zusammen war. Das war vermutlich auch der Grund, warum ich ihm so sehr vertraute. Ich folgte einfach nur dem Gefühl meines Herzens. Es war kompliziert all das in Worte zu fassen, doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich es Leon erzählen sollte, auch wenn ich nicht wusste, was genau in mir vorging oder wie er überhaupt reagieren würde. Ich hatte ihn bis jetzt als einfühlsamen Tröster, als vernachlässigte Seele und als bestialischen Räuber kennen gelernt, doch alle drei würden anders reagieren, deswegen war es für mich so schwer ihn einzuschätzen. All das machte die Situation nur noch viel verwirrender für mich. Mein plötzlicher Weltenzusammenbruch war ja schon schwer zu begreifen, aber dazu kam noch diese eigenartige Beziehung zu Leon. Einerseits gehörte er ja schließlich zu meiner Entführergruppe, doch andererseits war er doch jetzt auch der einzige, der mir half und mich beschützte. Ich fand das alles einfach nur verwirrend. Leons plötzliche Sinneswandel regten mich echt auf. Mal war er zärtlich und einfühlsam, dann wieder aufbrausend und gereizt und dann spielt er den Unnahbaren. Soll doch irgendjemand anders aus ihm schlau werden, ich wurde es nicht. Da ich sowieso nichts zu tun hatte, dachte ich mir, könnte ich mich auch ein wenig umschauen, auf dem Teil des Schiffes, der frei zugänglich für mich war. Hinter der einen Tür war das Bad, das wusste ich ja schon, und in dem Raum, in dem ich mich befand, befanden sich nur die Kommode, ein Frisiertisch, das Schreibpult und diverse Truhen und Schränkchen mit Blumen darauf stehend. Eine weitere Tür führte hinaus auf den Flur, doch diese war ja verschlossen. Eine Tür blieb noch übrig: sie führte mich in ein Lichtdurchflutetes Zimmer. Eine Fensterfront direkt gegenüber der Tür eröffnete mir einen atemberaubenden Ausblick auf das azurblaue Meer. Ein riesiges Bett stand an der Stirnseite, mit einem Berg von Kissen und einer großen, flauschigen Decke. Auf den Nachtschränkchen standen wieder Vasen mit Tropenblumen darin, und an den beiden anderen Wänden, an denen kein Fenster und keine Tür waren, hing je ein riesiges Bild von einem romantischen Sonnenuntergang. Aufgeregt sprang ich in das weich federnde Bett und kuschelte mich unter die warme Decke. Die Sicherheit, die mir das Vertrauen Saylons bot, ließ mich für einen Moment meine Sorgen vergessen und einfach nur entspannen. Ich spürte die Sonnenstrahlen, die auf meiner Haut kitzelten und merkte wie ich immer weiter im Traumland verschwand... Eine kleine Stadt im trockenen Wüstenland war das Ziel von Saylons Männern. Hier in den Straßen des kleinen Fischerdorfs war alles wie ausgestorben, keine Menschenseele, bis auf einen jungen Mann, der gemeinsam mit einem Pferd im Schutz einer dunklen Gasse darauf wartete, dass endlich die Insassen des Schiffes von Bord kamen, dass schon am Mittag in der Bucht geankert hatte. Es war Leon, der mit seinem dunklen Mantel und den braunen Haaren fast vollständig mit dem Schatten der Gasse verschmolz und darauf wartete, das Taira nun endlich vom Schiff gebracht wurde. Leon trug den langen Mantel aus zweierlei Gründen, zum Einen, um unerkannt zu bleiben und außerdem als Schutz vor dem trügerischen Wind, der einem immer dann den Sand der Dünen ins Gesicht blies, wenn man nicht gut genug aufpasste. Die abgedunkelte Schutzbrille trug ebenfalls dazu bei ihn unkenntlich zu machen. Außerdem trug in diesem Land sowieso jeder so eine Verkleidung und so würde keiner Verdacht schöpfen bei seiner zwielichtigen Gestalt. Das erste Mal, als Leon das Wüstenland besucht hatte, hatte er gedacht, dass ihn der Schein eines verwahrlosten Reiches trüge, doch jetzt wusste er, dass das gesamte Land nur von Räubern, Banditen und anderen Gesetzlosen bevölkert wurde. Zuerst hatte Leon sich gewundert, was so ein Reich mit einem König wollte, doch Saylon war vielmehr der Anführer einer Verbrecherbande, der gemeinsam mit seinen Anhängern ein zuvor stolzes und reiches Land besetzte und sich hinter der Fassade eines Königreiches versteckte, um jegliches Aufsehen zu vermeiden. Es gab hier nur wenige ehrliche Menschen, doch diese wurden von den Besetzern in Gewisser Weise versklavt und gegen geringe Entlohnung dazu gezwungen die niedrigen Arbeiten wie Landschaftsbau und Fischerei zu betreiben. Wer sich weigerte, wurde umgehend umgebracht, doch trotzdem hatten sie noch nicht die Hoffnung aufgegeben und warteten immer noch darauf, dass irgendwer ihr Land erlöste und die glorreichen Zeiten zurückkehrten. Warum Leon Taira nicht die Wahrheit über Lord Saylon erzählt hatte, wusste er auch nicht genau... Er hatte sie wohl schützen wollen, aber auch in gewissem Maße beruhigen, denn wenn sie gewusst hätte, dass ein skrupelloser Killer vor ihr Stand, hätte sie es wahrscheinlich noch schwieriger gehabt sich zu beherrschen. Das ewige Warten machte Leon langsam echt verrückt. Hier lebte doch sowieso keine Menschenseele, warum mussten sie dann warten, bis es dunkel war um endlich das Schiff zu verlassen? Das stapfen von Pferdehufen im Sand wurde immer Lauter, ebenso wie das Knattern einer Kutsche. Schnell drückte sich Leon wieder an die Wand, und lauschte so gut er konnte. Sein Herz fing immer schneller an zu klopfen, als dann auch noch die Kutsche auf der Hafenstraße direkt vorm Gasseneingang hielt, war die Anspannung auf ihrem Höhepunkt. Nach ein paar Minuten konnte er dann ein kleines Boot sehen, das sich mit kräftigen Paddelschüben in Richtung Ufer bewegte. Es dauerte nicht lange, bis es an dem kleinen Steg anlegte und Taira, begleitet von einem großen, breitschultrigen Mann, das kleine Boot verließ. Als sie die Kutsche bestieg, erhaschte Leon einen Blick auf sie. Sie wirkte entspannter und ausgeruhter, schlecht ergangen war es ihr also zum Glück nicht. Trotzdem wurde ihm das Herz schwer, als er die Kutsche von dannen ziehen lassen musste. Er musste den passenden Zeitpunkt abwarten, um die Kutsche zu überfallen, dann, wenn niemand in der Nähe war und der Kutscher niemanden warnen konnte. Der Schiffsmann schipperte wieder zu seinem Schiff und binnen weniger Momente schwang sich Leon auf das Pferd und ritt der Kutsche hinterher. Sie war auf dem Weg nach Sarbi, der Hauptstadt des Wüstenreiches und Regierungssitz Lord Saylons. Dort stand auch sein Palast Sonnenhauch. Leon schien es, als das die Zeit überhaupt nicht verstreichen würde, denn immer nur durchstreiften sie die Dünenlandschaft der Wüste, wo jeder kleinste Ort dem anderen aufs Sandkorn glich. Erst bei Dämmerung, als Leon sich sicher war, dass kein Dorf in der Nähe war und der Kutscher so keine Hilfe holen konnte, fing Leon an, sich der Kutsche zu nähern. Zuerst schoss er aus dem Hintergrund einen Pfeil ab, der auch sogleich sein Ziel, die linke Schulter des Mannes, traf. Da der Kutscher erhöht saß und so über dem Innenraum der Kutsche saß, war freie Schussbahn auf den nichts ahnenden Mann. Der Lehnsmann des Lords stieß einen markerschütternden Schrei aus, doch das schreckte Leon nicht von seinem Plan ab. Er wusste, dass ein Schuss in die Schulter zwar schmerzhaft war, doch trotzdem nicht zwangsläufig lebensbedrohlich, auch wenn er dem fremden Mann den Tod gönnen würde, denn Mitleid hatte Leon keinesfalls. Unbeirrt sprang er von seinem Pferd auf den Kutschbock, wo sich immer noch der Kutscher vor schmerzen hin und her warf und die Kontrolle über die Pferde verlor. Augenrollend schupste Leon den Fremden einfach nur stumpf vom Kutschbock, woraufhin abermals ein lauter schrei ertönte und ein dumpfer Aufschlag. Dann ergriff er die langen Zügel der Pferde und stoppte die Kutsche, als die beiden Rappen sich wieder beruhigt hatten. Der merkwürdige Mann, den Leon eher als verweichlicht als mutig bezeichnen würde, lag im Sand und krümmte sich vor schmerzen. Leon dachte nur, dass DER mal wirkliche Schmerzen aushalten sollte. Leon sprang vom Kutschbock und öffnete die Tür der Kabine im hinteren Teil der Kutsche. Eine verwirrte Taira schaute ihn erst verdutzt an, setzte sie dann aber doch eine verängstigte Miene auf, was auch verständlich war, da sie ja nicht wusste, wer unter der Maske versteckt war. „Was wollen sie?“ fragte sie mit kalter, abweisender Stimme und wich weiter zur Wand zurück. Vorsichtig schloss er die Tür hinter sich und wollte sich gerade zu erkennen geben, als er schon sofort eine geknallt bekam. Taira hielt ihn wohl für einen notgeilen Perversen. „Lass mich in Ruhe“ sagte sie mit lauter fester Stimme und schaute ihn mit verabscheuenden Blicken an. „Stop, ich bin’s doch nur.“ Leon nahm die Brille ab und lächelte Taira unbeholfen an. „Willst du mich jetzt immer noch zusammenschlagen?“ Erschrocken schlug sie sich die Hände vor den Mund. „Leon! Tut mir Leid... das wollte ich nicht... ich wusste ja nicht, dass du das bist...“ „Schon okay“ antwortete er und winkte nur ab. „Bin ich froh, dass du da bist!“ Ungestüm fiel sie ihm um den Hals, wobei Leon von dem Schwung mitgerissen wurde und nach hinten gegen die Tür krachte. „Ist ja schon gut, du brauchst mich deswegen nicht gleich zerquetschen!“ lachte er. Sie ließ ein bisschen lockerer, ließ ihn aber noch nicht gänzlich los. Breit lächelnd schaute sie ihm tief in die Augen. „Ich bin nur so froh, dass du da bist“ lachte sie und ließ ihn dann doch ganz los. „Tut es noch weh?“ fragte sie und deutete dabei auf seine Wange. „Ich bin einiges gewohnt“ schmunzelte Leon, dann wurde er wieder ernster. Er schlug den langen Umhang zurück, um an die Tasche darunter zu kommen. Er kramte einige alte Jungenkleider heraus, so wie eine verschlissene Ballonmütze und ebenfalls eine Sandbrille und ein Schutzmantel und hielt es der skeptischen Prinzessin hin. „Zieh das mal an!“ „Warum?“ fragte sie. „Weil dein Kleid, doch etwas sehr auffällt und uns behindert, darum!“ erklärte der Braunhaarige und legte die Klamotten auf eine der Sitzbänke der Kutsche. „Dreh dich um!“ befahl Taira. „Warum?“ fragte Leon nur perplex. Empört schaute sie ihn mit großen Augen an. „Willst du mich beim Umziehen bespannen?!“ Leon wurde plötzlich feuerrot im Gesicht und drehte sich sofort um. Schüchtern flüsterte er noch ein „Sorry“. Irgendetwas an diesem schüchternen Leon wollte nicht zu dem Bild passen, was Taira von Leon hatte. Sie fand diese Schüchternheit einfach nicht in der Entschlossenheit wieder, die der ruhige und bestimmte Leon immer ausstrahlte. Taira machte sich nichts daraus und drehte sich um. Sie warf noch einen Blick über ihre Schulter, doch Leon blinzelte wirklich nicht mehr zu ihr hinüber. Dann öffnete sie vorsichtig die Häkchen der Korsage und schlüpfte aus dem weiten Kleid. Den Unterrock zog sie ebenfalls aus, bis sie nur noch in Korsett und Unterwäsche dastand. Sie schlüpfte in die weiten Jungenklamotten, die, wie Taira fand, unendlich gut rochen, nämlich nach Leon. „Kannst dich wieder umdrehen“ sagte die Prinzessin mit lauter Stimme, während sie ihren Kopf durch die Mantelöffnung zwängte und mit zerstrubbelten Haaren wieder darunter hervorkam. Die Haare band sie hinten zusammen und versteckte sie unter der Mütze. „Und was sagst du? Gehe ich als Junge durch?“ lachte das Mädchen und wandte sich an den Braunhaarigen. Er lächelte sie nur zufrieden an. „Setzt die Brille auf, wir gehen...“ Nun versteckte er sich auch wieder hinter den getönten Gläsern und öffnete die Tür nach draußen. Er drehte sich noch mal um. „Kannst du reiten?“ Die Blonde nickte eifrig und kam aus der Kutsche gesprungen. Früher war sie oft geritten, jetzt nur noch seltener, da die Ausritte durch den Schlossgarten eher einseitig waren. „Gut“ erwiderte Leon nur kommentarlos und schnitt die beiden Pferde der Kutsche los. „Lauf los, Dicker!“ schrie er dem einem Pferd hinterher, dass er mit einem kräftigen Schlag auf das Hinterteil zum Loslaufen brachte. Den Zügel des anderen reichte er Taira, während er sich auf das Pferd von vorhin setzte. Die beiden ritten los, in die Richtung, aus der sie zuvor auch kamen. „Wo reiten wir hin“ schrie Taira gegen den Wind Leon zu. „Na zu dir, wir müssen doch noch einen Hinterhalt aufdecken!“ schrie Leon zurück, der ausgelassen lachte und mit Begeisterung auf dem Rappen vorbeipreschte. Ihm war wohl wohler dabei, draußen zu sein, fast frei, statt drinnen eingesperrt zu sein und ruhig sitzen bleiben zu müssen. Schmunzelnd setzte Taira ihm nach, glücklich darüber endlich nach Hause zu kommen. Eine Ewigkeit verging, bis langsam die Sonne am Horizont schimmerte und den beiden eine schreckliche Botschaft Kundtat: Über ein Dutzend schwer bewaffneter Männer wartete oben auf einer der großen Dünen. Als sie erkannten, das die Beiden endlich eingetroffen waren, die sie suchten, galoppierten sie den Hügel hinunter. Sandkörner flogen in alle Richtungen, und durch die Staubwolke, die rund um die Hufe der Pferde wirbelte, schien es, als würden sie über dem Boden schweben. Taira bekam große Augen, als ihr die Situation klar wurde. Eine Übermacht an Kriegern kam ihnen entgegen und sie zwei waren allein. Sie zügelten ihre Pferde. „Hast du nicht gesagt, sie werden meine Flucht nicht bemerken?“ fragte Taira mit hysterischer Stimme und schaute sich unruhig um. Ihr Pferd begann nervös herumzutänzeln. „Das habe ich auch gedacht“ antwortete Leon, der ebenfalls sichtlich geschockt war, sich aber schnell wieder fing. „Ok, sie wissen jetzt, dass du weg bist, aber einen Ausweg haben wir trotzdem noch. Folg mir!“ Er galoppierte los, Taira ihm hinterher. Jetzt ritten sie wieder in Richtung Festland, die Männer Saylons folgten ihnen mit wildem Geschrei. „Woher wussten sie, wer wir sind?“ „Ich habe keine Ahnung, aber viele gibt es wahrscheinlich nicht, die zu zweit auf geklauten Pferden durch die Wüste reiten!“ erwiderte Leon nur mit einem sarkastischen Unterton und schaute sich Aufmerksam die Umgebung rund herum an. „Nicht mehr lange, dann sind wir in Putiq!“ rief er ihr zu und konzentrierte sich weiterhin auf den Verlauf der Wüste, was auch immer er darin erkennen konnte. „Was wollen wir denn in Putiq?“ keuchte Taira, die sich daran erinnerte, dass Putiq eine etwas größere Stadt nahe der Küste war, die hauptsächlich aus Spielkasinos und anderen Wetthäusern bestand. „Dort lebt jemand, der uns bestimmt helfen kann zu flüchten... Jetzt müssen wir nur noch versuchen soviel Abstand wie möglich zu gewinnen.“ Nach ein paar Minuten erkannte Taira schon die Silhouette Putiqs am Horizont, hohe heruntergekommene Häuser, die trotzdem etwas prachtvoller und nobler als die übrigen Häuser am Rande der Stadt wirkten. Dort lebten vermutlich die ärmeren Leute, versklavte Bauern, die dafür zuständig waren die Reicheren mit Brot, Gemüse und Fleisch zu versorgen. Die großen Plattenbauten, die aus dem Sand ragten, wie übergroßes Unkraut zwischen welken Blüten, waren vermutlich die Spielhäuser, mit denen die Leute in Putiq ihr Geld machten. Viele reisten hier her um ihr Geld zu verprassen, entweder, weil sie einfach zu viel davon hatten und Spaß dabei hatten, oder aber weil sie kurz vorm Bankrott waren und das ganze restliche Geld mit der Hoffnung des Gewinnens auf eine einzige Karte setzten. „Taira, reit näher an mich heran.“ Das Mädchen wusste nicht wozu sie das machen sollte, aber jetzt war eindeutig nicht die Zeit dazu, um irgendetwas nachzufragen. Sie ritt an ihn heran, während Leon sich auf seinen Sattel kniete, und hinter Taira auf das Pferd sprang. „So kommen wir besser durch die Menschenmengen und verlieren uns nicht.“ Taira wunderte sich, dass so früh schon „Menschenmassen“ auf den Straßen der Stadt sein sollten, doch Leon hatte Recht. Als sie die Stadt erreichten liefen überall Leute herum, auf der Suche nach einer Kneipe, aus der sie noch nicht rausgeflogen waren oder einem Casino, wo sie noch keine Schulden hatten. Ein buntes Treiben herrschte in den Kneipen, aber auch davor, denn an allen Ecken standen leichtbekleidete Frauen, die die Männer mit ihrem Charme verführten und weglockten, um ihnen dann auch noch das letzte Geld aus der Tasche zu ziehen. Für Taira und Leon war es einfach sich zwischen den Betrunken und den Weibern herzuschlängeln, für die streitende Meute hinter ihnen war es jedoch eine Tortur. Dadurch, dass sie ihre Formation auflösen mussten und sich nacheinander im Schritttempo durch die Masse schmuggeln mussten, verloren sie viel Zeit, in der die beiden Flüchtenden weiter ihren Abstand ausbauen konnten und schon um die nächsten zwei Ecken gebogen waren, ehe ihre Verfolger auch nur weiterreiten konnten. Nach drei weitere Gassen hatten sie die Verfolger dann abgehängt, zumindest vermuteten sie das. Leon hielt das Pferd an und deutete auf die schäbige Eingangstür eines Hinterhofhauses. Sie stieg ab und schaute die geschlossene Tür resigniert an. Leon verscheuchte das Pferd und trat neben sie. „Hier ist es“ lächelte er. „Hier wohnt Mako.“ Wieder schaute Taira den Jungen fragend an und wieder gab er ihr zu verstehen, dass jetzt nicht die Zeit für Fragen war. Er trat an die Tür und klopfte. Nach kurzer Zeit wurde sie von einem jungen Mann geöffnet, vielleicht 2 Jahre älter als Leon, mit schwarzen Haaren, die ihm in wilden Strähnen ins Gesicht hingen. Eine kleine silberne Kugel zierte die Haut unter seiner Lippe, die sich jetzt zu einem stummen Grinsen verzogen. „Kommt rein“ sagte er mit ruhiger Stimme und öffnete die Tür soweit, dass Taira und Leon an ihm vorbei ins Haus schlüpfen konnten. Drinnen sah es genauso kläglich aus wie außen: abgenutzte Möbel und eine ärmliche Einrichtung. Mako schloss die Tür und wandte sich seinen Besuchern zu, seinem alten Freund Leon und der Prinzessin Taira, die sich, immer noch verkleidet, ziemlich unbehaglich in der Situation fühlte und sich in Leons Nähe drückte. „Lang nicht mehr gesehen, Leon!“ Freundschaftlich klopfte er dem Braunhaarigen auf den Rücken und musterte die als Jungen verkleidete Taira mit fragenden Blicken. „Ein Freund?“ fragte Mako und bot den beiden an, sich zu setzten. Leon wandte sich an Taira, die versuchte sich im Schatten ihrer Mütze zu verstecken. „Du kannst die Mütze jetzt abnehmen...“ Unsicher zog Taira sich die Mütze vom Kopf und gab damit ihre Tarnung preis. Die goldblonden Haare fielen ihr jetzt wieder bis über die Schultern, und jetzt war auch ihr Gesicht das erste Mal für Mako deutlich zu erkennen. Unbeholfen lächelte sie den jungen Mann an, der ihr gegenübersaß und sie verdutzt anschaute. Mit einem breiten Grinsen wandte sich der Schwarzhaarige jetzt an Leon. „Wer ist denn die Süße, Casanova? Neuerdings ne feste Freundin?“ Leon schüttelte mit dem Kopf. „Das ist Taira.“ „Prinzessin...?!“ Mako machte große Augen. „Deine Ansprüche werden echt immer höher“ lachte er. „Ich hab Taira nicht abgeschleppt!“ erwiderte Leon sauer und wurde rot, genauso wie Taira. „Schon gut, schon gut...“ grinste Mako, dessen Lachanfall ein jähes Ende genommen hatte. „Also, wie kann ich helfen?“ „Wir müssen ne Weile bei dir untertauchen...“ „Darf ich auch fragen warum?“ „Weil wir verfolgt werden...“ „Ich hätte gerne die ganze Geschichte, Einzelheiten wären auch nicht schlecht.“ Leon stieß einen Seufzer aus. Dann begann er zu erzählen, davon, dass Taira entführt wurde, von dem Plan Ileans und die Rolle die Lord Saylon bei alle dem spielte. Und natürlich, warum sie hier waren und was sie nun vorhatten: ins Reich der Mitte reisen und den ganzen Schwindel aufdecken. Mako hatte aufmerksam zugehört, ab und zu hatte er genickt. „Und wo komme ich dann jetzt bei dem ganzen ins Spiel?“ „Als erstes brauchen wir ein Versteck, bis Saylons Männer weitergezogen sind. Dann müssen wir wie gesagt ins Reich der Mitte Reisen um die ganze Eroberungssache zu verhindern. Und da du dich wohl eindeutig besser hier in der Gegend auskennst, wie jeder andere, wirst du uns doch sicher den schnellsten Weg nennen können.“ „Also warum das alles auf dich nimmst, ist mir ja immer noch schleierhaft. Du kennst mich, nenn mir nur einen guten Grund und ich bin sofort dabei.“ „Wenn wir nichts unternehmen, wird bald der ganze Kontinent entweder von Ilean regiert, oder aber von Lord Saylon plattgemacht.“ Mako überlegte nicht lange, bevor er auf Leons Grund antwortete. „Schlagfertig wie eh und je“ grinste er. „Ich helfe euch! Ich weiß zwar nicht, was hier plötzlich alles abgeht, aber wenn das die Folgen sind, bin ich klar dagegen!“ Lautes Raunen und Getuschel stieg durch die Massen, die sich vorm Palast im Reich der Mitte versammelt hatten. Am Nachmittag hatte es eine große Aufruhe im Schloss gegeben, und keiner wusste genau worum es ging. Ein Sprecher wollte gegen Abend eine Rede an die aufgewühlte Menge halten, die aufgeregt auf die Ansprache des Vertrauten wartete und schon seit Stunden sehnsüchtig zu dem Podest starrte. Mit der Dämmerung entzündeten sich die ersten Fackeln auf dem Platz und wenige Zeit später trat endlich der recht kleine, eher runde Mann auf die Empore. Ein lautes Räuspern tanzte über die Reihen hinweg, wonach sich das Getuschel langsam einstellte. Der Mann ließ ein weiteres Räuspern vernehmen, ehe er anfing zu sprechen. „In den letzten Tagen hat sich so einiges eigenartiges im Königshause abgespielt, wovon wir euch, dem treuen Volke, gerne berichten wollen. Wie ihr alle schon wisst, wurde unsere allseits geliebte Prinzessin vor fünf Tagen entführt, woraufhin sie nach langen Verhandlungen gegen Austausch der gesamten Gefangen freigelassen wurde. Doch jetzt mussten wir einen erneuten Schicksalsschlag vernehmen. Das Fräulein Prinzessin ist nicht das, was es vorgibt zu sein. In Wahrheit ist das Mädchen, was wir vor drei Tagen mit allgemeinem Jubel willkommengeheißen haben, nicht unsere Taira. Sie ist eine Hochstaplerin, eine Marionette in einem makaberen Spiel. Wir können ihr keine Schuld geben, denn sie hat nur das getan, was man ihr sagte. Eine Verschwörung steht kurz bevor, eine Verschwörung des Königshauses gegen das Volk, das Volk, das schamlos ausgenutzt wurde, hinters Licht geführt wurde und jetzt auch nach verraten werden soll! Die Schuldigen von alle dem sind der König und die Königin. Sie tragen ganz alleine Schuld. Wir kennen ihren Plan nicht, aber das die Prinzessin entführt wurde, musste ihnen wohl gerade nur Recht sein. Und damit wir alle nichts merken, wurden wir hinters Licht geführt. Ein Double haben sie sich geholt, um uns alle zu täuschen. Doch glücklicher Weise flog der Schwindel auf, durch die Hilfe einer treuen Magd, die den Unterschied zwischen einer unechten und einer echten Prinzessin erkannte und treu zu unserer echten Herrscherin gehalten hat, unserer hochwohlgeboren Taira. Inzwischen konnten wir auch unsere echte Taira wieder aus den Fängen der Kopfgeldjäger befreien. Momentan ist sie auf eigenem Wunsche ins Reich ihres Retters unterwegs, Lord Saylon. Dort soll sie sich zunächst ausruhen von all den Strapazen. Es geht nicht an, dass wir all diese Beleidigungen über uns ergehen lassen. Es ist jetzt Zeit zu handeln! Wir müssen endlich gegen das Königspaar vorgehen, das von Anfang an kein Interesse an ihrem eigenen Volk hatte. Bewohner des Reichs der Mitte! Die Zeit ist gekommen, dass wir zurückschlagen. Stimmt ihr mir da nicht alle zu, dass wir endlich etwas unternehmen sollten, um endlich wieder in Frieden leben zu können, ohne hier draußen auf dem Land zu verrecken? Ich sage, wir kämpfen gegen die Monarchen. Das Reich der Mitte wird neu erblühen, und mit Hilfe unseres allseits geschätzten Ileans wird eine neue Ära anbrechen!“ Allgemeiner Jubel schallte über den Platz. Zustimmung spiegelte sich im Gesicht des Volkes wider. Ein Bürgerkrieg bahnte sich an, ohne das das Volk bemerkte, das es selbst nur eine unbedeutenden Rolle in einer düsteren Auflehnung spielte, während König und Königin, um die verschollen geglaubte Tochter trauerten und sich traurig in ihrem Schloss verschanzten... „Morgen, meine lieben Bürger, morgen schon, sollen sich alle im Rekrutenlager melden, denen ihr Recht es wert ist, um es zu kämpfen. Und wenn dann am nächsten Tage die Sonne untergeht, werden wir uns bereitmachen zu kämpfen!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)