Räuberblut von Nanuck ================================================================================ Kapitel 5: Das Reich der Mitte ------------------------------ Aufgebracht lief ich in dem kleinen Raum auf und ab, den Mako sein zu Hause nannte. Immer wieder blickte ich hinüber zu Leon, der ein Flugblatt in der Hand hielt, von dem Ileans verabscheuungswürdiges Gesicht mir entgegenlächelte. „Das ist doch alles vollkommener Schwachsinn!“ sagte ich mit gereizter Stimme und deutete abermals auf das Blatt. Es handelte sich dabei um eine Aufzeichnung einer Rede, die gestern auf dem Schlosshof stattgefunden haben soll. „Warum sollte ich bei jemandem wie Saylon Ruhe suchen? Bei so einem ... einem ... einem notgeilen Arsch!?“ Leon zuckte nur mit den Schultern, Mako stand am Herd und kochte Tee. Ich hielt inne, als Leon das Wort erhob. „Haben sich aber wirklich geschickt gerettet“ bemerkte Leon bitter. „Das die Kopie aufgeflogen ist, hätte für den Kreuzsternorden auch das aus ihres Plans heißen können. Schließlich wollten sie vorher das Schloss von innen heraus erobern, aber jetzt, wo die Leute vom Land auf ihrer Seite sind, ist es für Ilean noch einfacher König zu werden. Durch Manipulation und Überredungskunst...“ „Das kann doch alles nicht wahr sein!“ Liebend gerne hätte ich mich irgendwie abreagiert, doch mir fiel einfach nichts ein, was meine Wut eindämmen hätte können, die ich in diesem Augenblick für Ilean verspürte. Leon studierte währenddessen abermals das Pergament. „Dem Text nach zu urteilen bist du jetzt nur noch die einzige, die die Leute davon abhalten kann das Schloss zu stürmen. Auf dich würden sie hören, wenn du ihnen die Wahrheit erzählst...“ Mit einem Seufzer wandte ich mich von ihm ab. „Da hast du wohl Recht... Ich hätte nie gedacht, das so etwas wirklich passieren würde, das die Lage wirklich so schlimm ist! Ich meine, es steht ein Bürgeraufstand bevor und ich kann nichts tun, weil ich hier irgendwo im nirgendwo festsitze.“ „Also ganz so abgeschieden bist du hier doch auch wieder nicht!“ erwiderte Mako beiläufig und servierte die drei Tassen Tee. Er bot mir den Stuhl neben sich an, ich lief jedoch weiter im Raum hin und her. „Was meinst du?“ fragte Leon verwirrt, dem auch schon aufgefallen war, das Makos Aussage unlogisch war. „Wir sind mitten in der Wüste! Was ist denn dann bitte abgeschieden wenn nicht hier?!“ „Ja das stimmt schon, wir sind irgendwo in der Wüste, aber warum nehmt ihr nicht einfach den Tunnel hinterm Haus? So braucht ihr noch nicht einmal mehr einen ganzen Tag.“ Verdutzt wandten Leon und ich unsere Blicke zu Mako, der entspannt an seinem Tee nippte. „Was!?“ fragte er verständnislos. „Warum hast du das nicht früher gesagt?!“ blafften Leon und ich Mako gleichzeitig an. „Ihr habt ja nicht gefragt“ lächelte Mako und widmete sich dann wieder seiner Tasse. Entnervt ließ ich mich dann doch auf dem Stuhl nieder und regte mich insgeheim darüber auf, wie verpeilt man eigentlich sein konnte?! Leon schien es genauso zu gehen, denn er starrt nur finster auf den Tisch vor sich. „Du bist echt ein Vollidiot, Mako!“ „Danke für das Kompliment“ lachte er eigenartig überzeugend, ganz ohne irgendwelche Ironie. Ein blasses Lächeln zierte jetzt meine Lippen. Mako war schon ein komischer Kerl und irgendwie auch ein bisschen speziell. Ein paar Stunden später brachen wir dann auf, die Taschen vollgepackt mit Wasserflaschen und Essen und ich nun wieder verkleidet als gewöhnlicher Straßenjungen Putiqs. Der Tunnel befand sich in einem kleinen Hof hinter den Häusern. Früher einmal war durch die schmalen Gänge Wasser geflossen, doch heute war der alte Brunnen ausgetrocknet, der uns in eine unterirdische Grotte in der Nähe des kleinen Dorfes Zumiyo führen sollte, von der es wiederum nur eine kurze Distanz bis zur Hauptstadt war. Nami, die wundervolle Stadt des ewigen Meeres. Wir verabschiedeten uns von Mako, doch es war eher ein „Auf Wiedersehen“ als ein „Lebewohl“. Denn Wiedersehen wollte ich Mako auf jeden Fall, so wie ich vieles Wiedersehen wollte, was ich gesehen hatte. Aber besonders wollte ich den armen Menschen im Abendrotland helfen, die schon so viel Leid unter Saylon erfahren mussten. Meiner Meinung nach musste endlich jemand aufstehen und gegen den sogenannten „Lord“ vorgehen, und wenn es jetzt an der Zeit war, würde ich auch diese Person sein. Mit gemischten Gefühlen stieg ich dann den alten Brunnen hinunter, Leon immer nah an meiner Seite. In den wenigen Tagen hatte ich das Gefühl gewonnen, in Leon einen Seelenverbundenen gefunden zu haben, einen Leidensgenossen, und einen Mensch, dem ich grenzenloses Vertrauen schenkte, obwohl ich so wenig über ihn wusste. Vieles von ihm lag für mich immer noch im Schatten seiner selbst, denn über seine Vergangenheit erzählte er nichts, wo er sowieso kaum redete, und warum er mir jetzt eigentlich half, wusste ich auch immer noch nicht. Ob es einfach nur sein Abenteuerdrang war, irgendein Grund für eine Flucht aus dem Orden oder was auch immer, ich wusste es nicht, und ihn noch einmal offen fragen wollte ich nicht. Beim letzten Mal hatte er ja nur geantwortet, dass ich es in seinen Augen wert war, noch eine Chance zu bekommen, aber das war für mich kein plausibler Grund. Er kannte mich kaum und dann wollte er schon behaupten, dass ich die ganzen Anstrengungen wert war. Manchmal zweifelte ich selbst an unserem Vorhaben. Lange grübelte ich herum, und wir wechselten den ganzen Weg kein Wort. Es war ein langer Fußmarsch durch den engen Gang, der gerade mal so hoch war, dass ich gerade so hindurch passte und Leon mit gebücktem Kopf seinen Weg durch den dunklen Tunnel suchte. Eine Lampe oder eine andere Lichtquelle hatten wir nicht, da Mako uns versichert hatte, dass der alte Brunnenschacht immer nur geradeaus führte und es keine Abzweigungen gab. Außerdem kursierte das Gerücht, dass an einigen Stellen Erdgas austreten sollte, das zwar für Menschen ungiftig war, jedoch bei der kleinsten Flamme die ganze Höhle sprengen sollte. Durch die bedrohliche Stille drangen ganz allein unsere leisen Schritte, die wie ein Echo immer wieder von Wand zu Wand geworfen wurden. Mit jedem Schritt wurde mir die Grabesstille immer bewusster. Desto weiter wir gingen, desto bedrückender wurde die Stimmung, bis ich die Stummheit nicht mehr aushielt und schließlich versuchte ein Gespräch anzufangen. Mir viel nicht sonderlich viel ein, was ich Leon fragen wollte, auf Fragen zu seiner Vergangenheit würde er nur ausweichend antworten und Dinge wie Lieblingsbeschäftigung oder was er hasste zu fragen, war mir irgendwie peinlich. Das einzige was noch blieb war das, was noch auf uns zukommen mag. „Was meinst du Leon?“ fing ich an. „Was erwartet uns in Nami?“ „Zwei geschlossene Barrikaden, in denen die beiden Fronten nur darauf warten, endlich zum Angriff überzugehen“ erwiderte Leon wiedereinmal nur knapp und lief unbekümmert weiter. „Und was sollen wir dann machen, wenn wir da sind?“ „Als erstes müssen wir so nahe ans Geschehen herankommen, wie es geht, also wäre es das beste, wenn wir uns im Rekrutenlager melden und uns als Freiheitskämpfer ausgeben, dann sehen wir weiter...“ Leon legte anscheinend nicht viel wert darauf, ein Gespräch mit mir zu führen. Mir machte die unberechenbare Ruhe rund um uns herum jedoch Angst, deswegen fragte ich doch noch weiter. „Was hast du vor, wenn das alles hier vorbei ist?“ fragte ich vorsichtig, da ich mir nicht sicher war, ob dies nicht wieder eine dieser Fragen war, die Leon zu privat waren. Nach anfänglichem Zögern begann er dann aber doch noch seine Antwort zu formulieren. „Ganz genau weiß ich das auch noch nicht, ich weiß nur sicher, dass ich nicht zurück zum Orden gehe. Dieser ganze Königsplan von Ilean hat mir entgültig gezeigt, dass ich nicht zu denen gehöre...“ Ich hatte das Gefühl, dass das nicht die gesamte Wahrheit war, aber wenn ich jetzt noch weiter nachhaken würde, wäre Leon sicher sauer auf mich. Außerdem machte es mich glücklich, das Leon jetzt endgültig nicht mehr zum Kreuzsternorden gehörte. Ehrlich gesagt machte ich mir auch Hoffnungen, dass wir uns vielleicht irgendwann wiedersehen würden, aber nicht als Feinde sondern als Vertraute. Ich schwieg. „Was machst du denn?“ fragte Leons bemüht gleichgültige Stimme. „Ganz sicher werde ich mich nicht im Schloss verstecken! Ich will helfen, dass die Reiche wieder in Frieden miteinander leben können. Ohne Lord Saylons Machtherrschaft oder verarmte Leute.“ „Die bist echt eine typische Prinzessin, immer am Wohl des Volkes interessiert“ lachte Leon. „Mach dich nicht immer über mich lustig!“ gab ich kühl zurück. „Mach ich doch gar nicht, das war ein Kompliment! Das mag ich ja so an dir, dass du dich mehr um andere kümmerst, als um dich. Dir sind andere nicht gleichgültig...“ Mir schoss die Röte ins Gesicht. Glücklicherweise war das in dieser Dunkelheit nicht für ihn sichtbar, aber durch mein Schweigen hatte er sich wahrscheinlich sowieso schon gedacht, dass er mich mit seinen Worten verlegen gemacht hatte. Er ging auch nicht weiter darauf ein, und wir gingen stumm hintereinander weiter... Sanftes Lichtschimmern war jetzt am Ende des Tunnels zu entdecken. Wir traten in den schwachen Mondschein, der durch ein Loch in der Decke in die unterirdische Grotte fiel. Es war nur ein schmaler Spalt in der Decke, doch das wenige Licht, das durch ihn hindurch drang war schon so stark, dass man fast alles in der Höhle erkennen konnte. Nur die hinterste Höhlenwand blieb unerkannt. Dort konnte man nur ein scheinbar bodenloses Gewässer sehen, das sich bis ins unendliche fortsetzte und dessen Horizont im Dunkeln verschwand. Die anderen Felswände waren durch das schwache Licht vollkommen aus der endlosen Schwärze gerissen worden, die wohl sonst hier unten herrschen würde. Rund um uns herum erstreckten sich kantige Steinklüfte, die sich über fünf Meter nach oben empor streckten. Links von uns entdeckten wir einen weiteren Tunnel, dieser führte jedoch nach oben an die Erdoberfläche, demnach war er also auch ziemlich steil und wir mussten an manchen Stellen schon senkrecht hinauf klettern. Als wir endlich aus dem schmalen Schacht steigen konnten, erblickte ich nach langer Zeit endlich wieder den klaren Nachthimmel meines geliebten Königreiches. Ich sog die frische Luft in tiefen Zügen ein und schmeckte den leicht salzigen Geschmack der See heraus. Wir waren also wirklich endlich wieder zu Hause, zurück an meinem geliebten Meer und nur wenige Augenblicke vom Schloss entfernt. Ich wandte meinen Blick von den zahlreichen Sternen ab, die dieser Nacht irgendwie einen irrwitzigen Sinn von Romantik verliehen, obwohl mir im Moment überhaupt nicht nach Romantik zu Mute war. Ich schaute mich zu aller erst um und entdeckte, dass in einer Art Oase am Rande des Sandstrandes waren, die, wie ich jetzt wieder erkannte, wirklich ganz in der Nähe von Nami war. Ich konnte von hier immer noch das leise Wellenrauschen hören, das heute trotzdem irgendwie aufgeregter als sonst klang, als ob selbst das Meer die schreckliche Situation schon erkannt hatte. Um uns herum waren schmale Kokospalmen und viele andere Gewächse, denen die raue Seeluft nichts ausmachte. Ich trat einige Schritte zwischen den Bäumen hervor und spürte jetzt den trockenen Sand, der leise unter meinen Schuhen knirschte. Das Meer war nur wage zu erkennen, durch blasse Spiegelungen der Sterne die auf den stetigen Wellen tanzten machten das Wasser dennoch sichtbar. In der Ferne konnte ich die Umrisse Zumiyos erkennen, das kleine Dorf in dem der Brunnen gestanden hatte, auf dem Platz voll mit prächtigem Wein. Blitzartig drehte ich mich um. Es war zwar toll, endlich wieder da zu sein, aber wir hatten nicht allzu lange Zeit die Schönheit der Natur zu genießen. Wir mussten jetzt nach Nami und uns als Rekruten melden. Ich schritt zielsicher in entgegengesetzte Richtung, weg vom Meer. Leon schaute sich noch einmal um, ehe er mir folgte. In meinem Königreich herrschten viel mildere Luftverhältnisse, deswegen war es hier auch wesentlich wärmer. Die langen, warmen Mäntel waren jetzt eher unnütz und die Sandbrillen ebenso, also verstauten wir beides wieder in den Taschen. Es dauerte nicht lange, bis ich die ersten zerfallenen Häuser sah. Das war also Nami heute, eine alte, dem Zerfall nahe Stadt, die früher einmal so schön ausgesehen hatte und das Leben förmlich in ihr erblühte. Mir tat es im Herzen weh meine einst so wunderschöne Stadt jetzt so zerstört vorzufinden, zerstört von der Zeit und der Verarmung, die die Leute nicht mehr dazu bemächtigte ihre Häuser zu reparieren. Das war es also, mein Königreich. Verletzt, vernachlässigt und verarmt. Der Schock saß immer noch tief, doch ich konnte jetzt nicht trauern, ich musste handeln, stark sein. Beim Weitergehen konnte man schon die Barrikade vorm Schloss erkennen, die zum Schutz errichtet worden war, und ebenso das Rekrutenlager, dass sich hinter einem Schutzwall am anderen Ende der Stadt angesiedelt hatte. Es war kein langer weg, bis wir die ersten Zelte erreichten, dann immer mehr Leute um uns herum erschienen, bis wir im Herzen des Lagers waren. Hier war alles noch genauso belebt wie am Tag, wo früher die aufgeregten Menschen ihrem täglichem, glücklichen Leben nachgegangen waren. Doch hier waren überall nur Menschen, die schweres Leid erfahren hatten und nun bewaffnet und in notdürftigen Rüstungen beim nächsten Sonnenuntergang Vergeltung suchen wollten. Ich fühlte mich wieder unwohl in meiner Verkleidung, so als wenn man mich jeden Augenblick entdecken könnte. Wir schrieben uns ein und erhielten Kettenhemden und Waffen. Leon ein Schwert und ich Pfeil und Bogen, weil ich so grazil und eher schwächlich für einen Mann wirkte. Ein Zelt wurde uns zugewiesen und schon halb am Schlafen warf ich mich auf das Strohbett. Ich musste das ganze erst einmal verarbeiten, alles war so anders, wie ich es zuletzt gesehen hatte. Leon war die ganze Zeit eher ruhig gewesen, hatte kaum gesprochen und wirkte abwesend, so wie in genau diesem Moment auch, wo er stumm auf seinem Bett saß und auf den Boden starrte. Irgendwas beschäftigte ihn, bloß wusste ich nicht was. Und selbst wenn war ich wohl kaum die, der er sein Geheimnis anvertrauen würde, schließlich erzählte er von sich aus sowieso kaum. Ich machte mir nicht mehr die Mühe meine ganzen Sachen abzulegen wie die Mütze oder meinem Wams, ich blieb einfach im Bett liegen und war schon kurz vorm Schlafen. „Schlaf gut, Leon“ gähnte ich und drehte mich auf die Seite um ihn dann doch noch verschlafen anzusehen. „Du auch, Taira“ erwiderte er mit sanfter Stimme und legte sich dann auch hin. Gedanken schwirrten mir die ganze Zeit im Kopf herum. Kämpfende Soldaten, sowie meine Eltern und noch so viele andere Bilder. Sie alle vereinten sich zu einem konfusen Traum, der mir einen unruhigen und nicht sehr erholsamen Schlaf bescherten. Am frühen Morgen wachte ich gemeinsam mit der Sonne auf, geweckt von dem bunten Treiben, das sich vor den Zelten abspielte. Die Waffen wurden geschliffen, Strategien geplant und die letzten Vorbereitungen wurden getroffen. Mit steifen Gliedern und schmerzendem Rücken schälte ich mich aus dem unbequemen Bett und entdeckte Leon der im Zelteingang saß und abwesend nach draußen starrte. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm, ich hatte ihn noch nie so bedrückt und nachdenklich gesehen. Ich wollte mir erst einmal meine Sorge nicht ansehen lassen und trat verschlafen und mit schief hängender Mütze neben ihn ins orange Licht der aufgehenden Sonne. „Morgen!“ grummelte ich verschlafen und stopfte mir die Haare wieder unter die Mütze. Leon blickte nur kurz auf, starrte dann aber weiter vor sich hin, ohne mich wirklich zu beachten. Seufzend trat ich zu den zwei Taschen, die neben dem Eingang im Zelt lagen. „Hast du schon gefrühstückt?“ fragte ich und wühlte sogleich in den Taschen nach irgendetwas essbarem. „Hab keinen Hunger“ gab Leon nur kurz zurück. Ich setzte mich ihm gegenüber hin und schaute ebenfalls nach draußen, wo die Soldaten ihre Techniken übten. Nebenbei aß ich mein karges Frühstück. Immer wieder wanderten meine Blicke zu Leon, doch er schaute nur ununterbrochen nach draußen, er beobachtete jedoch nicht so wie ich die Kämpfenden, sondern schien starr ins Leere zu schauen, ganz in Gedanken versunken. Ich fragte mich wirklich, was er heute morgen hatte. Lange träumte ich dann vor mir hin, versunken in den wirren Gedanken, die sich in den letzten Tagen angesammelt hatten. Etwas riss mich aus meinem Tagtraum, doch es war nicht plötzliches Kampfesgeschrei oder der Donnern einer Kanone, es war eher die jähe Stille, die denn zuvor belebten Platz ergriffen hatte. Auch der Braunhaarige mir gegenüber schien die Ruhe vor dem Sturm zu verwirren. Er stand auf und wies mich an, ihm zu folgen. Auf dem Hauptplatz des Rebellenstützpunkts hatten sich viele Soldaten versammelt, ein mit Rüstung bekleideter Mann stand auf einem erhöhtem Punkt und stach so auf der Menge heraus. Wahrscheinlich war es der Anführer der Freiheitskämpfer , ich vermutete auf jeden Fall, das er nichts weiter tat als eine Kampfesrede zu halten, um den Mut und den Kampfeswillen zu steigern. Mich interessierte Recht wenig, was er zu sagen hatte, ich war eher damit beschäftigt Leon in der Masse nicht zu verlieren, der es wohl anstrebte weiter nach vorne zu kommen, um den Redner besser zu erkennen. Der Hauptmann redete irgendetwas über den Angriff heute Abend erläuterte. Als er das Wort erwähnte horchte ich auf. „Auf dem Schlossplatz haben wir die heilige Friedensglocke errichtet, so, wie es uns unsere Vorfahren gelehrt hatten dies zu tun, wenn ein Kampf bevorsteht. Einzig und allein der tosende Donner der Glocke soll und noch vom Kämpfen abhalten, wenn jemand würdiges sie läutet.“ Ich ließ mir diese Worte immer wieder durch den Kopf gehen. Einzig allein der Donner der Glocke... Jetzt wusste ich, was meine Aufgabe hier war, ich musste die Glocke läuten, um den Kämpf zu beenden. In unserem Land war die Glocke schon fast eine Tradition, ohne dieses Symbol des Friedens war ein Kampf schon fast unehrenhaft, wenn ein Kampf überhaupt ehrenhaft sein konnte, wie ich skeptisch feststellte. Die Friedensglocke war ein heiliges Symbol unserer Dynastie und die Bedeutung dieses Sinnbildes konnte man wohl schlicht und einfach mit der einer weißen Fahne im Krieg vergleichen. Der Rest der Rede ging nur wie ein dumpfes Grollen an mir vorüber. Wir standen nun fast ganz vorne, trotzdem hatten wir jetzt freien Blick auf die Person auf der Holzkiste und die kleine Gruppe, die sich hinter ihm platzierte. Leon deutete mit finsterer Miene auf die Männer. „Arashi“ zischte er abwertend und warf ihm verächtliche Blicke zu. Ich wartete den Schluss der Rede nicht mehr ab, sondern drehte mich um und ging zurück. Verwundert drehte Leon sich zu mir um, schaute dann noch einmal zu Arashi und drängte sich hinter mir her durch die Menge. Zielstrebig ging ich zu unserem Zelt und schnappte mir den Köcher und den Bogen. Entschlossen drehte ich mich zu Leon, um der mich mit verwunderten Blicken musterte. Er wollte wohl fragen, was ich damit vorhatte, doch ich kam ihm zuvor. „Bring mir bei, wie ich damit umgehe!“ forderte ich, entschieden mein Schicksal endlich selbst in die Hand zu nehmen. Leon stutze erst, doch dann stahl sich ein stolzes Lächeln auf seine Lippen. „Es hätte keinen Sinn dir das Auszureden, oder?“ schmunzelte er. Ich schüttelte den Kopf. „Komm!“ sagte ich und zerrte ihn belustigt mit mir mit... Zum tausendsten Mal verfehlte mein kläglicher Versuch das Ziel zu treffen jetzt fehl. Leon beobachtete mich aufmerksam, bedacht darauf sein Lachen zu verkneifen. „Jetzt zeig mir doch endlich, wie ich es richtig mache!“ bettelte ich genervt. „Okay, wenn...“ „Wenn was?“ „Wenn du mir versprichst, das du damit keine Dummheiten anstellst!“ „Was meinst du?“ „Keine Alleingänge, und du schießt nicht einfach so um dich herum! Du benutzt den Bogen nur, wenn es nötig ist!“ „Versprochen... und jetzt zeig mir endlich wie dieses Ding funktioniert!“ Mit der linken Hand umfasste Leon jetzt ebenfalls das glatte Holz des Bogens. Er stellte sich so nah an mich heran, dass seine Brust schon fast meinen Rücken berührte, fasste dann meine rechte Hand und zog mit ihr Pfeilschaft und Sehne nach hinten. „Und jetzt loslassen“ flüsterte mir Leon ins Ohr und ließ sogleich meine Hand und den Bogen los. Die Sehne sprang zurück und der Pfeil flog in gerader Richtung direkt in die Mitte des Strohkreises. Begeistert strahlte ich ihn an. „Und jetzt versuch es alleine“ grinste er und deutete auf die drei anderen Zielscheiben auf dem kleinen Trainingsplatz. Zielstrebig spannte ich die Sehne und nacheinander trafen die Pfeile alle in ihr Ziel, zwar nicht genau ins Schwarze, aber ich traf. Ich drehte mich freudestrahlend zu Leon um, aber wieder schaute er abwesend auf den Boden. „Gehen wir zurück?“ fragte ich vorsichtig und schaute gen Himmel. Die Sonne stand schon ziemlich tief und bald würde sie wohl dann auch untergehen. Die Stunde des Unglücks. Schweigend drehte sich der Braunhaarige um und ging ohne ein einziges Wort zurück zum Zelt. Auf dem Platz sammelten sich schon die ersten Soldaten zum Kampf. Mit vorsichtigen Schritten trat ich hinter ihm ins Zelt und beobachtete ihn dabei, wie er Kettenhemd anzog und sich sein Schwert schnappte. Er wollte schon hinausgehen, aber ich hielt ihn am Arm zurück und schaute schüchtern auf seine Schulter. „Du hast doch irgendwas! Was ist los?“ fragte ich unsicher. Ich musste wissen was er hatte, bevor wir uns in den Kampf stürzten. Ich konnte nicht einfach so zuschauen wie er so zerrissen vor mir stand. „Nichts ist... ich bin nur ein wenig... angespannt...“ erklärte Leon nicht gerade überzeugend. „Du starrst immer so leer vor dich hin, irgendwas hast du doch! Sag mir die Wahrheit... wenn du jetzt gehst, gehst du für immer, oder?“ Meine Stimme zitterte. „Wenn das alles hier vorbei ist wird der Orden alles darum geben um mich zu finden... sie werden sich an ihrem Verräter rächen wollen und wenn es soweit ist, werde ich wohl eine der meist gesuchtesten Person des ganzen Reiches sein...“ „Ich will aber nicht, dass du mich wieder alleine lässt! Du kannst doch nicht einfach gehen und mich wieder einsam zurücklassen... Wenn du gehst, dann bleibt bei mir wieder nur die ewige Leere...“ Meine Augen füllten sich mit Tränen, verzweifelt kämpfte ich dagegen an, meine Stimme zu verlieren. „Wer sagt denn, dass ich gehen will? Ich muss vielmehr...“ Er machte eine kurze Pause, dann sprach er mit schwerer Stimme weiter. „...um dich zu schützen... Würde dir etwas passieren würde ich mir das niemals verzeihen...“ Irritiert hielt ich mir seine Worte immer und immer wieder vor Augen. „Sag mir die Wahrheit, was ist los?“ „Ich kann es dir nicht sagen...“ seine Stimme brach ab. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals runter, und merkte wie sich eine Hand um mein Herz zu schließen schien und es nur noch schwerer machte. „Du musst mir auch etwas versprechen...“ „Was denn?“ „Komm zu mir zurück, wenn du kannst...“ Dann ließ ich seinen Arm los, hielt die Tränen zurück. Ich wollte jetzt nicht weinen, ich konnte nicht verhindern, dass Leon ging, also wollte ich lieber auf den Tag hinausblicken, wenn ich ihn endlich wiedersah. „Versprochen“ flüsterte Leon und verließ das Zelt nach kurzem Zögern mit schnellen Schritten. Ich würde ihn wiedersehen, er hatte es versprochen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)