The Curse von AlastairBlackwell ================================================================================ Kapitel 1: Shawna ----------------- Die Sonne war noch längst nicht aufgegangen, doch die Augen der Siebzehnjährigen waren bereits auf Wanderschaft in ihrem Zimmer. Gut, genau genommen war es nicht ihr Zimmer, sondern das einer ihrer besten Freundinnen, Miranda Barker, in welchem sie für die Sommerferien wohnen durfte, denn Shawna Mallory - so der Name des Mädchens selbst - hatte kein Zuhause mehr. Es war inzwischen ein geschlagenes Jahr her, dass das Haus, in welchem sie mit ihren drei Brüdern gewohnt hatte, durch eine verheerende Explosion zerstört worden war. Dawson, Euan und Adrian waren dabei ums Leben gekommen, es war wohl ein Zufall gewesen, dass Shawna gerade an dem Tag nicht dort gewesen war, als es passiert war, ansonsten läge sie in diesem Moment wohl nicht unversehrt hier. Gut, was hieß schon unversehrt... Das Mädchen würde diesen Tag nie wieder vergessen, all die Bilder hatten sich in ihr Gedächtnis eingebrannt und machten ihr Angst davor, in der Nacht die Augen zu schließen, denn ständig verfolgten sie sie im Traum. Auch heute war sie wieder schweißgebadet aufgewacht, vollkommen ausgelaugt. Einzig und allein der Traum war der Beweis dafür, dass sie wirklich geschlafen hatte, spüren tat sie davon nichts mehr... Eigentlich konnte sie auch gleich aufstehen, was sollte sie denn hier schon verpassen? Zwar nicht wirklich schläfrig, doch trotzdem nur mit großer Mühe kam sie schließlich auf die Beine und ging mit behutsamen Schritten über den Flur zum Badezimmer, um ihre Freundinnen nicht zu wecken. Miranda und Felicity waren Zwillinge und teilten sich während Shawnas Aufenthalt ein Schlafzimmer, was recht problemlos verlief, da die beiden niemals ernsthaft aneinander gerieten - jedenfalls hatte Shawna es noch nie erlebt. Aus dem Spiegel starrte der Siebzehnjährigen ein Gesicht entgegen, welches zwar ihres war, doch ihr trotzdem fremd erschien... Das hüftlange, schwarze Haar, welches für gewöhnlich in sanften Wellen um ihr Gesicht und die Schultern fiel, sah heute Morgen noch zerzauster aus als sonst kurz nach dem Aufwachen, und noch dazu schien es etwas von seinem üblichen Glanz verloren zu haben. Eine dunkle Haut hatte sie noch nie gehabt, doch an diesem Tag wirkte sie besonders fahl und schimmerte vom Schweiß, der sie bedeckte. Nur die Augen ließen erahnen, was für ein hübsches Mädchen sie eigentlich war. Schmal, jedoch nicht wirklich klein, mit unfassbar schwarzen Wimpern und sanft geschwungenen Augenbrauen, tiefgrün glänzend, schauten sie ihr direkt entgegen, als wollten sie ihr einen Vorwurf machen, wieso sie sie denn mit diesen tiefen Ringen so verunstaltet hatte. Schweigend schlüpfte Shawna aus dem dünnen Nachthemd und stieg unter die Dusche, keine Sekunde zögernd, das Wasser sofort aufzudrehen. Der verdunstende Schweiß hatte ihre Haut abgekühlt, wodurch sich jeder einzelne Tropfen im ersten Moment unerträglich heiß anfühlte, als wolle er sie verbrennen, doch mit der Zeit gewöhnte sie sich daran und blieb fast viel zu lange unter dem Wasserstrahl stehen, ohne überhaupt irgendetwas zu tun. Das war eine der Gemeinsamkeiten, die sie mit ihren Brüdern hatte. Auch die drei, besonders Dawson, der älteste von ihnen, hatten stundenlang unter der Dusche stehen können, ohne zu merken, wie viel Zeit dabei eigentlich verging. Shawna konnte nicht dagegen ankämpfen, dass ihr die Tränen kamen, wenn sie an Dawson dachte, und jetzt gerade kam es ihr vor, als stünde er direkt vor ihr, so deutlich sah sie sein Gesicht vor sich, jedes Detail davon. Das kleine Grübchen im Kinn, die zarten Fältchen um diese ganz besonderen, strahlend blauen Augen, wenn er lachen musste, die fast verblasste Narbe auf seiner Stirn, die von einem Unfall kam, den er einmal gehabt hatte, als Shawna noch ein Kind gewesen war. Sie war auf den Rand der Badewanne geklettert, nicht wissend, wie gefährlich es war, was sie dort tat, und sie wäre gefallen, wäre nicht Dawson im rechten Moment dort gewesen, um sie aufzufangen. Er, der ganze fünfzehn Jahre älter war als sie, war dabei mit dem Kopf gegen die Wand geknallt und hatte sich eine Platzwunde zugezogen, Shawna erinnerte sich daran, als wäre es gestern gewesen. „Mach dir nichts draus“, hatte er gesagt, obwohl das Blut über sein ganzes Gesicht geflossen war, „es hätte mehr wehgetan, wenn du dich verletzt hättest.“ Damals hatte sie diesen Satz nicht verstanden... Sie konnte es noch immer nicht fassen, dass sie sein Gesicht nie wieder sehen würde, und auch die von Euan und Adrian nicht. Die drei waren einander wie aus dem Gesicht geschnitten gewesen, sie alle hatten dasselbe goldblonde Haar mit den strohfarbenen Strähnen dazwischen und dieselben blauen Augen gehabt, genau wie ihre Mutter, welche jedoch schon seit Adrians Geburt nicht mehr lebte. Shawna war von Anfang an mehr nach ihrem Vater gekommen, doch auch diesen hatte sie nie wirklich kennengelernt, sie wusste nur, dass er in seinem Beruf ums Leben gekommen war, und das war etwas, worauf die ganze Familie hatte stolz sein können. Frisch geduscht sah Shawna schon viel besser aus, wie sie selbst fand, als sie schließlich wieder vor den Spiegel getreten war. Sie sah zwar noch immer etwas müde aus, doch wenigstens würde sie sich so in der Schule blicken lassen können. Die Schule gehörte zu den letzten Dingen, die dem Mädchen noch etwas bedeuteten, an die sie sich noch halten konnte, von der sie sich ein wenig ablenken lassen konnte. Die Schule, die sie besuchte, war keine normale Schule. Aber sie war ja auch kein normales Mädchen, ganz im Gegenteil. Shawna Mallory war eine Hexe und würde in wenigen Tagen im siebten und letzten Jahr der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei - kurz, Hogwarts - anfangen. Als sie das Bad schließlich wieder verließ, fertig angezogen und mit trockenen Haaren, war es bereits halb sieben und die Sonne ging langsam über London auf. Ein kurzes Lauschen an der Zimmertür ihrer beiden Freundinnen verriet der Schwarzhaarigen, dass diese sich gerade aus dem Bett quälten, begleitet von einem durchdringenden Gähnen. Sofort musste sie leicht grinsen. Diese beiden schafften es immer, sie irgendwie aufzuheitern, selbst wenn sie es manchmal gar nicht mit Absicht taten, und diese Morgenmuffligkeit war für Shawna definitiv etwas, worüber man schmunzeln konnte, weil sie es von zuhause nicht gewöhnt war, bis zur letzten Minute im Bett liegen zu können. „Aufstehen, Schlafmützen, ich mach uns schonmal Frühstück!“, rief die Siebzehnjährige aus, nachdem sie kurz gegen die Tür geklopft hatte, und obwohl sie nicht mehr deutlich verstand, was die zwei als nächstes sagten, war sie sich doch sicher, eine gewisse Begeisterung aus ihren Stimmen herauszuhören. Wenn Shawna eines konnte, dann war es kochen. Kochen war für sie dasselbe wie ihr Lieblingsfach in der Schule: Zaubertränke. Man musste bloß die richtige Menge an richtigen Zutaten zur richtigen Zeit zusammenfügen und dann wahlweise den Topf, die Pfanne oder eben den Kessel rechtzeitig vom Feuer nehmen, um zu verhindern, dass alles anbrannte, und in dieser Kunst verstand sie sich gut. Nun gut, es war keine besondere Schwierigkeit, Schinken und Eier zu braten, nicht einmal wenn man nicht so geübt war wie sie, doch das hieß ja nicht, dass es nicht schmeckte. Das Mädchen selbst aß ungern warmes Frühstück, doch der Geruch von gebratenem Schinken war der sicherste Weg, Miranda und Felicity an den Tisch zu bekommen, und außerdem sah es Shawna als Selbstverständlichkeit an, den beiden im Haushalt zu helfen, wenn sie schon einfach so hier wohnen durfte. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis die Zwillinge unten in der Küche auftauchten, und wenn man sie nicht kannte, so wie Shawna, konnte man sie einfach nur verwechseln. Miranda und Felicity Barker waren, wie Shawna auch, siebzehn Jahre alt, waren jedoch im Juni geboren statt im Februar und damit ein wenig jünger als die Schwarzhaarige. Sie hatten beide weißblondes Haar, welches sie stets exakt gleich frisiert hatten - heute zu einem Pferdeschwanz hochgebunden - und beide hatten neugierige, graublaue Augen, die von genau gleichen Brillen mit eckigen Gläsern betont wurden. Auch ihre Kleidung war absolut identisch. Graue Pullunder über weißen, kurzärmligen Blusen und dazu olivgrüne Faltenröcke, weiße Kniestrümpfe und schwarze Schuhe mit kleinen Absätzen. Die beiden machten sich einen Spaß daraus, andere damit zu verwirren, dass sie Zwillinge waren, und bis heute gab es an der Schule noch einige Leute - unter anderem den einen oder anderen Lehrer - die die zwei nicht auseinander halten konnten. Nicht einmal charakterlich gab es große Unterschiede zwischen den beiden, sie waren beide heitere Gemüter und hatten stets einen lockeren Spruch auf den Lippen. Sie waren - um es kurz zu sagen - fast das genaue Gegenteil zu Shawna selbst, und wahrscheinlich war das einer der Gründe, weshalb die drei so gut miteinander klarkamen. „Gebratener Schinken, klasse!“, riefen beide wie aus einem Munde aus und ließen sich wie einstudiert auf ihre Stammplätze am Tisch fallen, während die Schwarzhaarige sie schmunzelnd anschaute und den Kopf leicht schüttelte. Während des Essens sprach keine der drei besonders viel, die Zwillinge hatten fast die ganze Zeit den Mund voll, während sie es von ihrer Freundin bereits kannten, dass diese eher schweigsam war, und deswegen sprachen sie sie auch gar nicht erst darauf an. Irgendwie verstanden die beiden Shawna auch stumm, und so hatten sie es im Gefühl, dass sie jetzt nicht unbedingt reden wollte. Das würden sie wohl später ohnehin noch versuchen. „Schaut mal, die Post ist da!“, brach Felicity jedoch schließlich das Schweigen, als sie bei einem kurzen Blick aus dem Fenster eine hübsche Schleiereule bemerkte, welche gleich drei Briefe bei sich trug, „Ob wir wohl viele neue Sachen brauchen?“ „Ich hoffe nicht...“, nuschelte Miranda in sich hinein, „Ich konnte ja schon letztes Jahr meine Tasche kaum tragen!“ „Ihr stellt euch vielleicht an!“, erhob nun auch Shawna die Stimme, während sie die Eule hereinließ und ihr eine Schale Wasser hinstellte, „Eure Taschen sind im Gegensatz zu meiner noch gar nichts!“ „Selbst schuld, wenn du immer den ganzen Zaubertränke-Kram mit dir rumschleppst!“, antworteten die Zwillinge im Chor, woraufhin alle drei Mädchen laut lachen mussten, so dass die Eule ihnen einen missbilligenden Blick zuwarf. Aber die beiden hatten Recht. Zaubertränke war nicht einfach Shawnas Lieblingsfach, es war eher so etwas wie ihr Lebensinhalt. Sie verbrachte ohne Übertreibung jede ruhige Minute damit, die Nase in ihre Bücher zu stecken und mehr darüber zu lernen, und es lohnte sich. Schon vom ersten Schuljahr an war sie die Klassenbeste in diesem Fach und hatte bisher immer Spitzennoten darin erreicht. Es war ihr Traum, später einmal Heilerin zu werden und Zaubertränke und Gifte zu ihrem Spezialgebiet zu machen. Selbstverständlich, dass sie dafür lernte! „Meint ihr, sie haben Deveraux endlich rausgeworfen?“, fing Miranda nach einer Weile wieder an. Deveraux - genauer gesagt Professor Jonathan Deveraux - war der Lehrer für Zaubertränke an der Schule, doch so sehr Shawna dieses Fach auch liebte, mit ihm konnte sie sich nicht besonders anfreunden, und das war unpraktisch, denn ausgerechnet er war der der Leiter des Hauses, in welches sie und die Zwillinge gingen: Slytherin. Deveraux war fast an der ganzen Schule unbeliebt, er hatte irgendwie eine Art an sich, die einen abstieß. Er war furchtbar arrogant, schlimmer noch, als man es den meisten Slytherins ohnehin nachsagte, und dazu hatte er eine kaltblütige Ader, die einen nicht selten daran zweifeln ließ, ob so jemand wie er überhaupt menschlich sein konnte. Was man ihm jedoch lassen musste, war, dass er sein Fach verstand, doch das war wohl auch das einzig Positive, das die Freundinnen an ihm gefunden hätten. „Ich glaub nicht dass sie den jemals rauswerfen“, ging Felicity auf die Frage ihrer Schwester ein, „dafür unterrichtet er zu gut. Leider. Ich wäre ihn auch gerne los, der Typ ist mir unheimlich!“ Bevor jedoch noch eine große Diskussion ausbrechen konnte, klatschte Shawna schließlich in die Hände und schwang ihren Zauberstab einmal durch die Luft, woraufhin sich das Geschirr von selbst abzuspülen begann. „Wir haben keine Zeit mehr! Ich will nicht wieder die letzte in der Winkelgasse sein, ihr wisst was wir letztes Jahr für einen Stress in den Geschäften hatten, also los, macht euch fertig!“ Gesagt, getan. Eine knappe halbe Stunde später waren alle Koffer gepackt und die drei Schülerinnen reisefertig eingekleidet, was bedeutete, dass kein Muggel sie so als das erkennen konnte, was sie waren. Zwar waren sie alle drei in reinblütigen Zaubererfamilien aufgewachsen, doch hatten die Eltern der Zwillinge durch ihre Arbeit im Ministerium einen sehr guten Einblick ins Leben der Muggel, und so hatten sie ihnen recht gut beibringen können, wie man sich unauffällig verhielt. Die Folge war, dass keiner der unzähligen Muggel auf den Straßen Londons irgendetwas bemerkte, als die drei Mädchen ihre Koffer in den selbstverständlich magisch vergrößerten Kofferraum des Wagens hievten, den die Eltern der Barker-Schwestern ihnen für die Fahrt zur Winkelgasse dagelassen hatten, so dass Shawna sie bequem und ohne irgendwelche Probleme, nicht einmal mit Zeitverzögerung, zum Eingang in die magische Welt bringen konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)