The Curse von AlastairBlackwell ================================================================================ Kapitel 4: Familien ------------------- Erst am Bahnhof fand Shawna die Sprache wieder, als die vier Schüler ihr Gepäck aus dem Wagen geholt und es in den Zug gebracht hatten. „Ich weiß wieder einmal nicht, ob ich mich auf die Zugfahrt freuen oder davon gestresst sein soll. Dieses ewige Sitzen macht mich ganz wahnsinnig, aber andererseits habe ich eine Menge Zeit um zu lernen!“ „Shawna!“, begannen die Zwillinge im Chor, dann sprach Miranda allein weiter. „Hör auf, vom Lernen zu sprechen! Wir sind noch nicht in der Schule, davon will noch niemand was wissen. Stimmt’s, Anthony?“ Der Junge schien für einen Moment sprachlos, als Miranda sich einfach an ihn gewandt hatte. Nicht weil er die beiden nicht auseinander halten konnte, er hatte schon die Vermutung, mit Miranda zu reden - Felicitys Stimme klang meist ein wenig sanfter - doch genau das wunderte ihn. Bisher hatte er den Eindruck gehabt, Miranda könne ihn nicht ausstehen, doch jetzt schien sie aus irgendeinem Grund zu versuchen, netter zu ihm zu sein. Wahrscheinlich, dachte er sich, wusste Shawna ganz genau, was sie damit bezweckte, Shawna wusste komischerweise immer alles, fast als konnte sie Gedanken lesen, doch noch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, stieß ihn Miranda an, einen beleidigten Ausdruck auf dem Gesicht. „Sag mal, redest du nicht mit mir?“ „Ähm... tut mir Leid, ich war in Gedanken...“, meinte er knapp, „Aber was anderes. Sagt ruhig Antho oder Thony zu mir.“ Er grinste. „Am besten sagt eine von euch Antho und die andere Thony, dann kann ich euch unterscheiden!“ „Das halte ich für keine gute Idee!“, warf Shawna ein, denn die Zwillinge grinsten einander bereits amüsiert an, „Die beiden werden versuchen, dich damit reinzulegen, darauf würde ich wetten. Guck sie dir doch an, wie die schon wieder grinsen!“ Miranda und Felicity brachen in schallendes Gelächter aus, doch der frohe Ausdruck, der gerade auf Anthonys Gesicht getreten war, verschwand so schnell, wie er gekommen war, als er in einiger Entfernung zwei Gestalten erkennen konnte. „Wir... wir sehen uns im Zug, wenn ihr wollt, ja?“, stieß er hektisch aus und ging dann los, ohne eine Erklärung, jedoch erhobenen Hauptes, als hätte er gerade irgendeinen Menschen zutiefst gedemütigt. Shawna schaute ihm nach und erkannte die beiden Personen, denen er sich näherte, sofort, als sie nur nahe genug gekommen waren. Victor Farrington war fast ein Ebenbild seines älteren Bruders, sie hatten beide dieselben Augen, Haare und Gesichtszüge, nur war Victors Gesicht ein wenig spitzer als Anthonys und sein Haar war anders geschnitten, auch das Grübchen im Kinn fehlte, doch trotzdem sah man ihnen mehr als deutlich an, dass sie Brüder waren. Jetzt, wo Shawna die beiden nebeneinander sah, fielen ihr diese kleinen Unterschiede jedoch besonders auf, mehr als je zuvor, und sie brauchte nicht lange nachzudenken, um sagen zu können, dass Anthony um einiges hübscher war. Sympathischer, allein schon äußerlich, doch sie wusste nicht genau, ob das nicht möglicherweise an seinem Charakter lag, welchen sie seit einigen Stunden völlig neu kannte. Auch die Mutter der beiden war recht ansehnlich, wenn auch vollkommen anders als ihre Söhne. Sie sah beinahe aus wie eine Skulptur aus Eis, so hell war ihre komplette Erscheinung. Das Haar der Frau war schneeweiß, obwohl sie noch nicht einmal vierzig Jahre alt war, und es war elegant hochgesteckt. Auch ihre Haut war unglaublich blass, nicht vollkommen weiß, doch so hell wie man es selten sah, ihre rosafarbenen Lippen waren fast noch das Dunkelste an ihrer kompletten Aufmachung, von den pechschwarzen Wimpern abgesehen, die ihre schmalen Augen umrandeten, in welchen ein Ausdruck stand, der nur zu deutlich machte, für wie unwürdig sie all die Menschen hielt, die sich noch auf dem Bahnsteig befanden. Ihre Augen waren eisblau und vollkommen kalt, als gäbe es so etwas wie Gefühle in ihrem Leben nicht. Die Kleidung, die sie trug, unterstrich noch alles, was es an ihr zu unterstreichen gab, und Shawna musste bei dem Gedanken schmunzeln, dass sie fast wie eine Figur aus einem mittelalterlichen Schauspiel aussah. Man konnte nur vermuten, dass der weite, bodenlange Reifrock zu einem Kleid mit Korsett gehörte, denn trotz der Hitze trug sie darüber einen weißen Pelzmantel mit dichtem, hellgrauem Kragen, wahrscheinlich aus echtem Fell. In ihr Haar hatte sie eine Art kleines Netz gesteckt, wie ein Witwenschleier, nur war dieses nicht schwarz, sondern aus silbernen Fäden genäht und mit feinsten Perlen verziert. Selbstverständlich trug sie Handschuhe, als fürchtete sie, mit irgendetwas in Berührung zu kommen, was hier in der Öffentlichkeit umherfliegen könnte. Shawna kannte diese Frau nicht, doch sie konnte sich mehr als gut vorstellen, wie sie war, und bei dieser Vorstellung tat ihr Anthony noch mehr Leid als vorhin schon. „So eine Mutter will ich nicht haben...“, hauchte Felicity aus, als auch sie und Miranda sich schließlich unauffällig zu der Familie umgedreht hatten. Auf ihrem Gesicht lag ein mitleidsvoller Blick, anscheinend hatte Shawna wirklich Recht damit gehabt, wie sie zu Anthony stand. „Apropos Mutter - wo bleiben Mum und Dad eigentlich? Der Zug fährt in zehn Minuten ab, die beiden sollten sich langsam mal sehen lassen!“, lenkte die zweite Zwillingsschwester im nächsten Augenblick jedoch ab, worüber die beiden anderen Mädchen recht froh waren. Die drei schauten sich einmal am Bahnsteig um, womöglich waren die beiden ja schon da und fanden sie bloß nicht, doch von dort, wo die Freundinnen standen, war keine Spur von ihnen zu erkennen. Wenn man jedoch vom Teufel sprach, dann erschien er, und ebenso geschah es auch jetzt. Mit einem deutlichen Plopp erschienen schon einen Augenblick später zwei Personen auf dem Bahnsteig, wie sie nur zu perfekt hierher passten. Die beiden waren wohl zuvor noch im Ministerium gewesen, denn über der normalen Kleidung trugen sie beide noch ihre aufgeknöpften Umhänge, die sie anscheinend gerade hatten ausziehen wollen, als ihnen eingefallen sein könnte, dass sie ihre Töchter noch am Bahnhof sehen wollten. Philomenia Barker war hoch gewachsen für eine Frau und man sah gleich, dass sie die Mutter der Zwillinge war. Ihr Haar war genauso hellblond wie das der Mädchen, war etwas mehr als schulterlang und sehr modern geschnitten, stufig und mit leicht abgeschrägtem Pony. Auch sie trug eine Brille, jedoch waren ihre Augen nicht graublau wie die der Mädchen, sondern grün und mit einem hellbraunen Kranz umrandet. Trotz der sonst so jugendlichen Erscheinung der Frau konnte man in diesen Augen eine naturgegebene Weisheit erkennen, welche nur durch eine gewisse Lebenserfahrung hatte entstehen können. „Miranda, Felicity, Shawna, meine Schätzchen, kommt mal her und lasst euch drücken!“, rief sie aus und nahm alle drei Mädchen in eine feste, zärtliche Umarmung. Shawna fühlte sich unheimlich wohl bei ihr, doch das hätte wohl jeder getan, denn es gab ein Wort, welches Mrs Barker nahezu perfekt beschrieb: mütterlich. Auch ihre Mimik gab dies nun her, der aufgeregte Gesichtsausdruck war verschwunden, sie hatte sich wieder ein wenig beruhigt und schaute die Freundinnen nun aus zwei Schritten Entfernung an. Zwar hatten sie sich erst vorgestern gesehen, doch die Barkers hatten ein so herzliches Verhältnis untereinander, dass sie nie lange ohne einander leben konnten, und wann immer Shawna zu Besuch bei ihnen war, behandelten sie sie wie ihre eigene Tochter. Ludovic Barker, der Vater der beiden und der einzige Mann in der Familie, stand noch etwas abseits, doch trotzdem wirkte er keineswegs distanziert, sondern schien seiner Frau lediglich freie Hand lassen zu wollen, und als diese geendet hatte, trat auch er schließlich heran. Seine Haut war sonnenbraun, sein Haar strohblond, beinahe schulterlang, dicht und der Ansatz begann langsam, sich grau zu verfärben. Es war meist kaum zu bändigen, weswegen er es fast immer mit zwei oder drei Haargummis zu einem Pferdeschwanz zusammenband, aus welchem trotzdem einige zu kurze Strähnen herausstanden. Seine Augenfarbe war der seiner Töchter schon ähnlicher, Ludovics Augen waren dunkelblau, und obwohl sie aussahen, als hätte er sie stets ein wenig verengt, leuchteten sie trotzdem aufgeschlossen und warmherzig. Er hatte ein kleines Bärtchen an der Unterlippe, doch das Auffälligste an seinem Gesicht waren die beiden sich kreuzenden Narben auf seiner linken Wange, welche er als Andenken - wie er es nannte - von seinem ersten Einsatz als Auror davongetragen hatte. Die Heiler im St. Mungo hätten sie wohl ohne Weiteres verschwinden lassen können, doch der Mann hatte sie behalten wollen, und irgendwie passten sie ohnehin zu ihm. Vielleicht lag das daran, dass Shawna ihn nicht anders kannte, doch es war eben so, dass er ohne sie merkwürdig ausgesehen hätte. Mr Barker zog jedes der Mädchen einmal fest an sich heran und stellte sich schließlich zu seiner Frau. „Jetzt gehen unsere großen Mädchen also schon in den siebten Jahrgang...“, begann er, mit seiner von Natur aus besänftigend klingenden Stimme zu sprechen, „Ich sehe euch noch vor mir, als ihr das erste Mal an diesem Bahnsteig gestanden habt, erinnert ihr euch noch daran?“ „Ludovic, jetzt hör aber auf, du bist deinen Töchtern am Ende noch peinlich!“, zischte seine Frau ihm zu, woraufhin die kleine Gruppe ein wenig lachen musste, „Und außerdem fährt der Zug gleich ab, wir wollen doch nicht dass sie ihn verpassen.“ Tatsächlich stiegen inzwischen nach und nach die anderen Schüler in die Waggons des Hogwarts-Express ein, so dass für einen Moment der Blick über den Bahnsteig wieder frei wurde. „Ach“, fing Mr Barker ein weiteres Mal zu sprechen an, „Schau mal, Liebling, Adrienna begibt sich unter das gemeine Fußvolk? Wie die schon wieder aus der Wäsche guckt, ihre Majestät ist wahrscheinlich empört, weil niemand sie mit dem gebührenden Respekt behandelt.“ Damit konnte er nur Mrs Farrington meinen, welche noch immer dort stand und die anderen Menschen verachtend musterte. „Ich weiß, so eine schreckliche Person ist mir noch nie untergekommen, ich frage mich immer noch, wie sich jemals ein Mann in sie verlieben konnte... Jetzt aber rasch in den Zug, Kinder, bevor er euch davonfährt! Schreibt uns, wenn ihr gut angekommen seid, ja? Alle drei, verstanden?“, sprach Mrs Barker in einem strengen, aber dennoch sanften Ton, und schob die Mädchen behutsam ein wenig an. Vater und Mutter schlossen die drei noch einmal in die Arme, ehe diese sich schließlich dazu durchringen mussten, in den Zug zu steigen und das Abteil zu suchen, in welches sie ihre Taschen zuvor gebracht hatten, doch es beruhigte sie, dass die Barkers noch am Bahnsteig standen und ihnen winkten, bis der Zug um eine Kurve verschwunden war und man den Bahnhof nicht mehr erkennen konnte. „Anthony Farrington, was?“, sprach Shawna ihre Freundin an, als sie sich gerade auf die Sitzbänke hatten fallen lassen, „Wieso wusste ich davon nichts? Ich weiß normalerweise alles, besonders über euch“ - Miranda gluckste. - „also bin ich jetzt beleidigt. Erzähl, seit wann geht das schon so?“ Felicity war rot geworden und hatte den Kopf ein wenig gesenkt. „Naja... Ich fand ihn schon immer irgendwie niedlich, so rein äußerlich...“ „Und ich wusste das!“, fiel ihre Zwillingsschwester ihr ins Wort, „Ich fand ihn nämlich auch toll, aber bei meinem Schwesterchen war es irgendwie ernster, deshalb hab ich mich ganz schnell wieder entliebt.“ „Ja, und das war wirklich lieb von dir“, unterbrach Felicity den Redefluss Mirandas schließlich wieder, „aber ich glaube, Shawna wollte ein bisschen was von mir hören!“ Spielerisch streckte Miranda ihr die Zunge heraus, ließ sie jedoch weiterreden. „Wie gesagt, aufgefallen ist er mir schon ganz früh, aber ich hab ihn wegen seiner Art nie angesprochen, so aufgeblasene und wichtigtuerische Kerle mag ich nicht. Gestern Abend war er aber irgendwie anders, viel normaler, und vor allem war es das erste Mal, dass er uns nicht so angesehen hat, als hätten wir Dreck im Gesicht oder so.“ „Stimmt“, warf Shawna ein, „Es war ja auch das erste Mal, dass weder seine Mutter noch sein Bruder dabei war, da konnte er mal er selbst sein.“ „Ja, das könnte es gewesen sein“, entgegnete Felicity wieder, während sie sich mit dem Rücken zu Miranda drehte und sich von dieser das Haar zu zwei kleinen Zöpfen flechten ließ, „Wie gesagt, er war einfach normal, und da wollte ich es eben mal versuchen...“ „So eine Mutter würde ich nicht haben wollen, irgendwie kann er einem schon Leid...“, hatte Miranda gerade angesetzt, als plötzlich die Tür zum Abteil aufgeschoben wurde und ein äußerst gestresst wirkender Anthony selbst den Kopf hereinsteckte. „Darf ich mich zu euch setzen?“ Er klang fast kleinlaut, als er diese Frage stellte, doch die Mädchen überlegten nicht lange und nickten leicht, woraufhin er den Käfig mit seiner hübschen Eule durch die Tür zog, sich auf den freien Platz neben Shawna sinken ließ und den Käfig öffnete, um das Tier herauszulassen, welches sofort ein wenig im Abteil herumflatterte, ehe es sich auf der Schulter seines Besitzers niederließ und begann, an dem kleinen, silbernen Stecker herumzuknabbern, welchen er im Ohrläppchen trug. „Normalerweise fahre ich ja mit Victor“, nuschelte der Junge eher, als dass er es laut aussprach, „aber so wie der sich eben wieder aufgeführt hat reicht es mir schon, dass wir uns ständig im Gemeinschaftsraum sehen werden. Ich will eigentlich weder mit ihm noch mit meiner Mutter mehr irgendetwas zu tun haben.“ Es war fast, als würde er bloß mit sich selbst reden, doch die drei Freundinnen schauten ihn aufmerksam an und hörten zu. „Wisst ihr, eigentlich hätte es mir ja gereicht, einfach aus der Villa auszuziehen und mich einfach etwas zu entfernen, aber nach der Vorstellung, die die beiden auf dem Bahnsteig hingelegt haben, reicht es mir endgültig, und ich komme mir schon feige dafür vor, dass ich es ihr nicht gleich in dem Moment gesagt habe, bevor sie richtig loslegen konnte. Sie hat angefangen, über jeden herzuziehen, den sie sehen konnte, und leider hat sie euch auch gesehen... Dann ging es los, der Name Barker ist ja nicht gerade unbekannt, und eure Eltern sind auch ziemlich angesehen, das wisst ihr ja selbst gut genug, aber für sie sind ja alle Menschen Abschaum, die sich nicht ausschließlich mit reinblütigen Zauberern abgeben. Wie solche Blutsverräter überhaupt Auroren werden konnten, all solches Zeug kenne ich ja schon von ihr, aber was danach kam, hat das Fass zum Überlaufen gebracht!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)