Philosopher's Game von Schangia (Wichtelgeschichte für Kekune) ================================================================================ Kapitel 1: page. 1 | Reset -------------------------- Als er mit den schlimmsten Kopfschmerzen seines Lebens aufwachte (und das hieß etwas für jemanden, der den Großteil seines Tages vor einem Bildschirm verbrachte), befand er sich immer noch in diesem grässlichen Sack. Irgendwo an seinem Hinterkopf pochte es stetig, er konnte die eine Hälfte seines Gesichts nicht ganz spüren und nahe seines linken Knies musste sich eine Wunde befinden, denn ein wenig Blut rann an seinem Bein hinab. Kurz gesagt, er fühlte sich nicht nur absolut beschissen, sondern verspürte auch den dringenden Wunsch, jemandem weh zu tun. Irgendwann spürte er, wie er auf dem Boden abgesetzt wurde. Unsanft zwar, aber wenigstens wurde er jetzt nicht mehr permanent durch die Gegend geschwungen oder (beabsichtigt oder aus Zufall) gegen Wände gestoßen. Der Boden war kalt, das spürte Matt selbst durch den dicken Stoff, und fühlte sich uneben an. Spontan würde er sagen, dass es sich um Stein handelte, aber sicher war er sich nicht. Er wusste nicht einmal, ob er sich in einem geschlossenen Raum oder immer noch draußen befand. Matt schloss die Augen. Auch, wenn es dunkel genug war, konnte er sich so um Einiges besser konzentrieren. Erst jetzt nahm er die Geräusche um sich herum bewusst wahr. Neben dem Grunzen und Schnaufen der Männer, die ihn bis eben getragen hatten, hörte er ein hohles Platschen - vermutlich von einem Leck in einer Wasserleitung - und ganz entfernt den Klang von Sirenen. Die Männer murmelten irgendetwas, erklärten ihrem Boss wahrscheinlich gerade, was sie mit ihm gemacht hatten. Fast wie in einem Actionfilm, in dem der Held von Mafiamitgliedern entführt wurde. Na ganz klasse. Genau so hatte er sich seinen Abend vorgestellt. Matt wollte sich gerade überlegen, wie er sich am besten aus dieser prekären Lage befreite, als: »Ihr inkompetenten Schwachköpfe!« Erstaunt horchte er auf. Die Stimme war laut und dominanter als die der anderen Leute im Raum (zumindest wenn er nach dem ging, was er bisher gehört hatte) und klang äußerst gereizt. Doch das bekam er nur am Rande mit. Matt kannte diese Stimme nur zu gut, und eigentlich hatte er gedacht, sie nie wieder zu hören. Ehe er jedoch einen weiteren Gedanken daran verschwenden konnte, wurde der Sack in dem er sich befand mit einem kräftigen Ruck nach vorne gezogen und geöffnet, sodass er mit einem gedämpften Aufschrei auf den harten Fußboden fiel. Sobald er sich an das helle Neonlicht gewöhnt hatte, sah er auf und blickte dem Menschen ins Gesicht, den er momentan am wenigsten sehen wollte. »Als ich meinte, ihr sollt ihn hierher bringen, war das weder eine Aufforderung dazu, noch habe ich euch die Erlaubnis gegeben, ihn halbtot zu prügeln!«, fuhr Mello die zwei bulligen Männer vor ihm an, die umgehend zurückzuckten und Entschuldigungen stammelten. Mello brachte sie mit einer unwirschen Handbewegung zum Schweigen. »Ich will eure Ausreden nicht hören. Jetzt geht mir aus den Augen, ehe ich mich vergesse.« Die beiden warfen Matt einen letzten Blick zu, dann verließen sie leicht gebückt den Raum. Wie er nun sehen konnte, befanden sie sich in einer Art Lagerhalle. Es standen zwar hier und dort einige billige Ledermöbel, doch wirklich heimisch fühlte man sich nicht. Mellos lautes Räuspern riss ihn aus seinen Gedanken. »Du siehst echt scheiße aus, weißt du das?« Er hatte sich wohl verhört. Obwohl es Mello war, der diese Schränke auf zwei Beinen angeordnet hatte, ihn zu kidnappen und zu ihm zu bringen, tat er nun wieder so, als wäre es Matts Schuld, dass er so zugerichtet wurde. Es war typisch. So typisch, dass Matt sofort in ihren alten Trott verfiel und ihm antwortete, als wäre er nie fort gewesen. »Hättest deine Schoßhündchen halt besser abrichten sollen.« Mit aller Würde, die er momentan aufbringen konnte, setzte er sich auf und verschränkte die Beine zu einem Schneidersitz, während er schmollend die Unterlippe vorschob. Für einen Moment war er Mello nicht mehr böse. Für diesen einen Moment wollte er ertrinken in der Glücksseligkeit, seinen Freund nach so langer Zeit wiederzusehen. »Sie lernen noch.« Mello lachte kurz, dann schwieg er, so als müsste er seine Gedanken erst noch ordnen. Nach einer Weile fuhr er fort: »Jedenfalls, der Grund, aus dem ich dich hierher geholt ha—« »Was auch immer.« Seelenruhig stand Matt auf und klopfte sich ein wenig Dreck von der Hose. Dabei vermied er es, seinem Gegenüber ins Gesicht zu sehen. Er konnte sich den irritieren Blick nur zu gut vorstellen: die schmalen Augenbrauchen waren so hoch gezogen, dass sie unter dem Pony verschwanden, die Nasenflügel zuckten und seine Augen schrien ihm wohl ›Willst du mich verarschen?!‹ entgegen. Für gewöhnlich unterbrach er Mello nicht. Sie alle hatten damals in Wammy's House gelernt, dass es nur böse enden konnte, wenn man ihm Widerworte gab. Doch momentan scherte er sich nicht darum. Ob der andere nun wütend wurde oder nicht änderte nichts daran, dass Matt seinen Frust für lange Zeit verdrängt und komprimiert hatte. Etwas davon musste er jetzt, wo der Grund für seine Trauer vor ihm stand, einfach rauslassen. »Wieso gehst du davon aus, dass ich dir einfach so verzeihe?« »Ach komm schon, so grob können die beiden doch nicht gewesen sein«, maulte Mello und winkte ab. Er wusste zwar, dass sein Freund eine kleine Mimose war, aber etwas anderes konnte Matt doch von ihm nicht gewohnt sein. »Das meine ich nicht.« Matts Stimme war ruhig, stoisch. Er wartete geduldig, während Mello erst erstaunt blinzelte und schließlich genervt aufstöhnte, als er auch nach reichlicher Überlegung nicht verstand, worauf der andere hinauswollte. »Jetzt komm mir nicht schon wieder mit deinen kryptischen Antworten! Die haben mich damals schon genervt.« »Bist du deshalb gegangen?« Die Frage war dumm, das wusste er, aber er konnte sich nicht zurückhalten. »Darum geht es dir? Alter, wir sind Freunde, das kannst du mir doch nicht immer noch nachtragen.« Er rollte mit den Augen, so als wäre seine Annahme vollkommen logisch. Doch Matt schwieg eisern. Er war nachtragend. Er war gekränkt. Er hatte Mello vermisst. Er hatte Angst gehabt, dass sein Freund bereits gestorben war. Und er wusste, dass Mello in seinem Schweigen lesen konnte, schon seit sie sich als Kleinkinder im Waisenhaus kennengelernt hatten. Früher hatte er nicht gut mit Worten umgehen können, also hatte er kaum etwas gesagt, um von den anderen nicht geärgert zu werden. Mello jedoch war immer ein Meister darin gewesen, seine Stille richtig zu deuten. Auch in diesem Fall war Matts Schweigen Antwort genug für ihn. Seufzend gab er nach, ließ das Thema fürs Erste unbeachtet. »Ich zeig dir erst einmal dein Zimmer. Danach besorg ich was, womit wir deine Wehwehchen behandeln können.« Damit setzte er sich in Bewegung und ging zielstrebig auf einen schmalen Korridor zu, ohne sich die Mühe zu machen, zurückzublicken und zu überprüfen ob Matt ihm folgte. Beide wussten, dass er es tun würde. Hätte Mello ihn damals nicht allein zurückgelassen, wäre Matt ihm sogar gefolgt, bis die unheilvollen Worte ›Game Over‹ über ihren Köpfen geflackert hätten. Träge setzte er sich in Bewegung, schlurfte desinteressiert hinter Mello her. Bevor er erfahren hatte, auf wessen Befehl er überfallen und hierher gebracht worden war, waren tausende Fragen durch seine Kopf gegeistert. Zwischen den typischen Fragen ›Wer?‹, ›Wohin?‹ und ›Was genau?‹, die er zuerst hatte beantworten wollen, war immer wieder das ›Warum?‹ aufgetaucht. Jetzt, wo sich die offensichtlichen Fragen geklärt hatten, wollte er die Antwort auf das ›Warum?‹ gar nicht mehr wirklich wissen. Obwohl so viel in ihm danach schrie, Mello zu verzeihen und ihm vor Wiedersehensfreude um den Hals zu fallen, zwang sein Stolz ihn dazu, einfach nur still neben dem anderen herzulaufen. Und dieses eine Mal war er seinem Stolz dankbar dafür, dass er sich zu Wort meldete. Einige Momente später hielt Mello vor einer dunklen Tür an. Wie er sie von den anderen ebenso dunklen Türen in diesem Gang unterscheiden konnte, war Matt ein Rätsel, aber er war zu ausgelaugt, um nachzufragen. Wahrscheinlich lag es an Mellos Angewohnheit, sein Umfeld genau zu beobachten und zu analysieren. Ob er erst wenige Tage oder sogar schon ein paar Jahre hier war, ließ sich nicht davon ableiten, denn er kannte sich meistens schon innerhalb der ersten Stunden in einer für ihn neuen Umgebung aus. »Wenn du noch was brauchen solltest, melde dich einfach.« Er klang so müde, wie Matt sich fühlte. Doch darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen, zu groß war die Empörung, war die Wut in seinem Inneren. Über seine Antwort musste er nicht lange nachdenken: »Zigaretten. Und alle Teile von Assassin's Creed samt zugehörigen Konsolen.« Als Mello nicht reagierte, schaute Matt vom Boden auf und sah ihm ins Gesicht, war nur milde überrascht, dass sein Gegenüber ihm einen geschockten Blick schenkte. »Ich wusste gar nicht, dass du rauchst«, brachte Mello nach einigen Augenblicken unangenehmen Schweigens hervor. Fast hätte Matt gelacht. »Es gibt viele Dinge, die du nicht von mir weißt.« Damit öffnete er die Tür, trat ins Zimmer und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Zu gerne hätte er Mellos Gesichtsausdruck gesehen, aber wenn er sich umgedreht hätte, wäre sein zugegeben ziemlich cooler Abgang ruiniert gewesen. Er konnte sich allerdings nur zu gut vorstellen, wie perplex der andere dreinblicken musste. Allein der Gedanke daran brachte ihn zum Lächeln. »Glaub bloß nicht, dass ich mir deine Launen gefallen lasse!« Mello hatte fast eine gesamte Minute gebraucht, um ihm das zu sagen. Matt konnte hören, wie er laut fluchend davon stapfte und wahrscheinlich Dinge rief wie ›Dieser undankbarer Sack!‹ oder ›Will der mich eigentlich verarschen?!‹. Dennoch; spätestens am nächsten Morgen würde das, was Matt gefordert hatte, vor der Tür stehen. Samt einer Tafel Schokolade, weil das seit Jahren Mellos Art war ihm zu sagen, dass es ihm leid tat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)