Philosopher's Game von Schangia (Wichtelgeschichte für Kekune) ================================================================================ Kapitel 4: page. 4 | Final Enemy -------------------------------- Zurückblickend hielt Matt sich für geradezu lächerlich leichtsinnig. Nicht unbedingt, weil er gedacht hatte, Mello würde seine Gefühle nicht auf die ein oder andere Weise erwidern, sondern weil es gefährlich war, sich dem anderen zu nähern, wenn er dazu nicht ganz klar sein Einverständnis gab. Dass Mello stets seine Waffe trug, machte das Ganze nicht einfacher. Trotz seiner Sorgen war aber alles gut gelaufen, wie er fand. Sie waren gestern zwar nicht mehr wirklich zum Reden gekommen, aber das erschien in diesem Moment nebensächlich. Leider wurde Matt heute klar, dass sie ihre Meinungsverschiedenheit, die seit seinem ersten Tag hier bestand, immer noch nicht aus der Welt geschafft hatten. Und das würde früher oder später zu Problemen führen. So, wie er Mello und sich kannte, eher früher. Wie aufs Stichwort klopfte es an seiner Zimmertür. Mello trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten und ging zielstrebig auf Matt zu. Doch ehe sein Freund etwas sagen oder tun konnte, trat er einen Schritt zurück. »Wir haben uns noch nicht ausgesprochen.« Mello stoppte zwar, sah ihn aber mehr als belustigt an. »Ich will lieber etwas anderes machen.« Jetzt konnte die Stimmung nur noch kippen, das wusste Matt. »Mello, es muss sein«, meinte er ernst und bereitete sich auf jede Beleidigung vor, die der andere ihm aus Frustration vielleicht an den Kopf werfen würde. Genervt rollte Mello mit den Augen. »Meine Fresse, was stört dich denn so sehr daran?!« »Die Art, wie du Ls Erbe fortführen willst, erscheint mir einfach falsch«, versuchte Matt eine Erklärung zu beginnen, mit der sie sich hinterher beide zufrieden geben konnten, obwohl er eigentlich bezweifelte, dass Mello etwas anderes als seine Meinung zulassen würde. »Der Zweck heiligt die Mittel. Schon Immanuel Kant hat gesagt—« »Kant hat gesagt, dass nur die Handlung gut ist, die aus gutem Willen geschieht. Dabei sind die Folgen egal.« »Aber—«, wollte Mello widersprechen, doch Matt ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Du legst Kant völlig falsch aus. Es geht nicht mal darum, ›etwas Gutes‹ zu wollen, sondern ›gut‹ zu wollen, wie er es nennt. Das ist sein vielzitierter kategorischer Imperativ.« Kants Philosophie, Philosophie im Allgemeinen, war eines seiner Spezialgebiete, da ließ er sich von niemandem etwas erzählen. Schon gar nicht von jemanden, der so darauf beharrte im Recht zu sein wie Mello. »Schopenhauer hat allerdings—« »Schopenhauer war Utilitarist.« Für ihn war es lachhaft, wie Mello versuchte, die Aussagen verschiedener Philosophen so zu interpretieren, dass sie seine Meinung bestärkten. Fast schon niedlich fand er hingegen, dass sein Freund versuchte, ihn in einem Gebiet zu übertrumpfen, mit dem er sich fast ausschließlich befasst hatte, als sie noch in Wammy’s House gelebt hatten. »Und auch bei Utilitaristen unterteilt man in Handlungsutilitarismus und Regelutilitarismus«, setzte er zu einem langen Vortrag an und blendete dabei geflissentlich den giftigen Blick aus, den Mello ihm zuwarf. »Bei Ersterem wird eine Handlung quantitativ berechnet, das heißt im Hinblick auf den größten Nutzen für eine größtmögliche Anzahl von Menschen. Es gibt keine allgemeingültigen Werte wie ›Du sollst nicht töten‹, da solche Werte sich für einen Handlungsutilitaristen aus der jeweiligen Situation ergeben.« Er sah ihn ernst an. »So einer bist du.« »Jetzt hör schon au—« »Dann gibt es noch die Regelutilitaristen; einer der bekanntesten ist John Stuart Mill«, unterbrach Matt ihn erneut. »Hierbei gibt es allgemeingültige Werte, die aufgrund ihrer Nützlichkeit für die Gemeinschaft unbedingt bewahrt werden müssen.« Etwas leiser fügte er hinzu: »Ich wünschte, so einer wärst du.« Mit einem Blick, der wohl so viel bedeuten sollte wie ›Bist du jetzt fertig?‹ stemmte Mello eine Hand in die Hüfte. »Warum noch mal hast du dich damals so mit toten Philosophen beschäftigt?« Er machte sich keine Mühe, den Sarkasmus in seiner Stimme zu verbergen. Matt antwortete sofort. »Weil du es nicht getan hast.« Das ließ Mello innehalten. Verwirrt blinzelte er einige Male, ehe er verstand, dass Matt ihn damit nicht aufziehen wollte; er hatte sich mit diesem Gebiet befasst, damit Mello sich anderen Dingen widmen konnte. Seufzend schloss er die Augen. Wegen so etwas konnte er Matt nicht böse sein. Nachdem er einmal tief durchgeatmet hatte, setzte er zu einem ruhigeren Erklärungsversuch an: »Auch wenn du mir vor Augen führst, wie unmoralisch mein Handeln laut einigen Philosophen ist, ändert das nichts an meinen Moralvorstellungen.« Und nur die Moral machte den Menschen zum Menschen. So zumindest Kant. »Ich will nur nicht, dass du dein eigentliches Ziel aus den Augen verlierst und auf einem der Schleichwege umkommst.« »Ich habe dich nie darum gebeten, mein Gewissen zu spielen, nur weil mein eigentliches wohl abhanden gekommen ist«, versuchte Mello seinen Freund aus der Pflicht zu nehmen, aber darauf wollte Matt mit einem weiteren Philosophenausspruch kontern. »Jeder Mensch hat ein Gewissen von Anfang an in sich. Es ist die praktische Vernunft in jedem Menschen, die ihm sagt, welche Pflichten er hat. Gewissenlosigkeit wiederum ist nicht der Mangel des Gewissens, sondern der Hang, sich nicht an dessen Urteil zu halten.« »Kant?« Matt nickte fast schon anerkennend. »Du wirst besser.« Das schwache Lächeln auf Matts Lippen verbuchte Mello innerlich als Etappensieg. Um diese geleistete Vorarbeit jetzt nicht zunichte zu machen, musste er behutsam vorgehen. Er bedeutete Matt ihm zu folgen, und so nahmen sie beide auf der Couch im Zimmer Platz. So weit, so gut. Nun musste Mello nur noch die richtigen Worte finden. »Hör doch einfach auf, die ich meine Angelegenheiten einzumischen.« Das waren sie nicht unbedingt. »Ich mache mir nur Sorgen.« »Musst du nicht.« »Ansonsten gehst du drauf.« »Als ob!«, giftete Mello beleidigt, doch Matt ließ sich davon nicht beeindruckend. Belehrend schüttelte er den Kopf. »Damals schienst du noch so vernünftig, aber heute machst du keinen Hehl mehr aus deinen wahren Absichten.« Für den Bruchteil einer Sekunde wanderte Mellos Blick zu seiner Pistole, doch er entschied sich dagegen und knurrte stattdessen wütend. »Warum bist du dann immer noch hier?!« In seinen Worten lag nicht nur eine Anklage, sondern auch die Bestätigung dafür, dass Matts Worte ihn verletzt hatten. Dieser wusste allerdings schon, wie er sich dafür entschuldigen musste. »Man verliebt sich nur in den Schein, man liebt aber die Wahrheit.« »Tch. Und von welchem schlauen Philosophen hast du das jetzt?«, wollte Mello wissen, die Unterlippe minimal zu einem Schmollen vorgeschoben. »Kant.« Nur mit Mühe konnte er ein Lachen unterdrücken. »Findest du, er hat Unrecht?« »Findest du das?«, kam es sofort misstrauisch von Mello, aber Matt konnte darauf nur sanft lächeln. »Ich glaube, du kennst meine Antwort.« Darauf schwiegen sie eine lange Zeit. Irgendwann sackte Mellos Oberkörper ein wenig zusammen, er entspannte sich und legte seinen Kopf auf Matts Schulter. So gerne er es seinem Freund gleichtun und etwas dösen wollte, wusste Matt, dass er ihre Diskussion so nicht unbeendet im Raum stehen lassen konnte. Dass sie heute noch zu einem Kompromiss kommen würden bezweifelte er, aber er wollte es zumindest zu einem zufriedenstellenden Abschluss bringen. »Und um noch mal auf Schopenhauer zurückzukommen.« Er konnte es nicht sehen, aber Matt war sich sicher, dass Mello mit den Augen rollte. »Um Himmels Willen...« Liebevoll knuffte Matt ihn in den Arm, ehe er fortfuhr: »Alle wahre und reine Liebe ist Mitleid, und jede Liebe, die nicht Mitleid ist, ist Selbstsucht.« »Das ist nicht sonderlich schmeichelhaft«, stellte Mello trocken fest, machte es sich etwas bequemer an der Schulter des anderen. Auch Matt änderte seine Position ein wenig. Dann, als er seinem Freund wieder ins Gesicht sehen konnte, grinste er ihn frech an. »Wann haben wir uns jemals großartig Komplimente gemacht?« Darauf musste Mello lachen. »Stimmt auch wieder.« Er wollte gerade die Augen schließen und sich an Matt lehnen, als dieser weitersprach: »Verwandte Seelen knüpft der Augenblick des ersten Sehens mit diamantenen Banden.« Damit, dass ihr Gespräch noch weiterging, hatte Mello nicht gerechnet. »Eh?« »Das hat Schopenhauer auch gesagt«, klärte Matt ihn auf, während er ihm ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht strich, um seine Narbe besser sehen zu können. Er ließ es ohne zu murren geschehen, war zu abgelenkt von der Kindheitserinnerung, die ihm mit einem Mal in den Sinn kam. ›Hey du! Ich bin Mello, das schlauste Kind hier!‹ ›Matt. Hallo.‹ ›Was spielst du da, Matt?‹ ›Pokémon.‹ ›Pikachu ist eh am coolsten! Hey, willst du was von meiner Schokolade?‹ ›Den Letzten, der ein Stück wollte, hast du geschlagen.‹ ›Schon, aber dich mag ich. Also?‹ ›...danke.‹ Es war das erste Mal seit Langem, dass Mello ihm ein aufrichtiges Lächeln schenkte. Noch bevor Matt darauf reagieren konnte, hatte sein Freund ihm schon einen flüchtigen Kuss gegeben. »Schopenhauer war ein kluger Mann.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)