Rot-Weiß-Rot im Alphabet von Sternenschwester ================================================================================ Kapitel 15: Sch-Schrei ---------------------- Sch-Schrei (1927 – Justizpalastbrand) Man zeigt nicht mit Waffen auf andere Leute man zeigt nicht mit Waffen auf Niemand und Nichts Oh die Brüder von gestern sind die Gegner von heute und jeder Schuss kommt irgendwann irgendwann zurück Damals hatte sich Franziska die Seele aus dem Leib geschrien. Roderich konnte sich bis heute lebhaft an die Szenerie erinnern. Sie alle waren um Hedwig versammelt gewesen und hatten zusehen müssen, wie dieses junge Geschöpf auf ihrem Schoß, so lange geweint und geschluchzt hat, bis es vor Erschöpfung an der Brust der Steierin eingeschlafen war. Nur hatten sie damals nicht vorausgeahnt wie weit das Unglück reichen wird. Sie hatten gemeint es läge sicher am jungen Alter dieser Nation, obwohl Franziska keine Nation ist und im Gegensatz zu seinen Geschwistern nie eine gewesen war. Das dieses kleine Mädchen um die Toten von Schattendorf in diesem Maß getrauert hatte, war von ihnen nur mit freudlosen Lächeln begleitet worden. Schon so viele waren wegen ähnlicher Zusammenstöße verletzt, geschädigt oder gar getötet worden. Zwar waren sie sich alle einig das jeder Tote einer zu viel war. Doch die Zeit ließ einem gegenüber solchen Vorkommnisse abstumpfen, sodass sie meinten das Kind verschwendete seine Tränen unnötig, da mit größter Wahrscheinlichkeit bald wieder Tote zu beklagen seien. Völker der Welt rüstet euch auf kauft euch Pistolen geht an die Front sichert den Frieden mit neuen Kanonen Sie müsste sich erst an ihre Rolle gewöhnen, meinte Adelheid. Hedwig hatte sich am Anfang ähnlich verhalten, meinte Katharina. Sie ist dem Schicksal gegenüber noch zu weich, meinte Anges. Anges sollte die Klappe halten, meinte Salvatria. Sie alle sollen aufhören in einer solchen Situation vor dem Kind zu streiten, meinte Hedwig, während sie beruhigend den zierlichen Leib hin und her schaukelte. Roderich meinte nichts dazu und schwieg. Füllt euer Pulverfass bis zum Rand So voll wie unser Magazin So leer ist der Verstand Hätten sie die Zeichen der Zeit besser gedeutet. Vielleicht war es Ironie des Schicksals das einzig und alleine Franziska den Ernst der Lage verstanden hatte. Dieses Kleinkind, welches niemals einen selbst bestimmten Weg gegangen war. Niemals eine Markgrafschaft, Herzogtum oder Grafschaft repräsentiert hatte. Ein Mädchen mit verstrubeltem, braun-grauem Haar und leuchten grünen Augen. In Zeiten des Übermutes, ein Wildfang, welcher Leben in den krisengeschüttelten Alltag von Roderichs Familie brachte. Denn die politische Situation schlitterte von einer Krise in die nächste. Kaum hatten sie die ersten Schwierigkeiten bezüglich ihres neuen Status als Republik überwunden, so begannen die Reibereien zwischen den Christlichsolzialen und den Sozialdemokraten. Reibereien, welche einen tödlichen Ernst bekamen, je mehr das Misstrauen, die Verachtung und der Hass das politische Klima vergifteten. Jede Seite rüstete ihre Leute aus und ab da hätte bei ihnen allen die Alarmglocken heftigst zu läuten beginnen sollen! Doch sie ignorierten diesen Wink des Schicksals, sie alle bis auf Franziska. Völker der Welt rüstet euch auf Bis an die Zähne Denn der mit dem längeren Lauf sitzt am längeren Hebel Fassungslos sah er dem rauchenden Gebäude zu, wie es immer mehr von den Flammen in Besitz genommen wurde. Er war schon heute Früh mit einem schalen Geschmack aufgestanden, doch hatte er niemals gedacht dass es solche Ausmaße annehmen würde. Um ihn herum herrschte Chaos. Leute schrien, keiften, grölten und so manch einer lachte. Doch er nahm nichts vom Trubel wahr, welcher um ihn herum herrschte. Wie weit hat es nur kommen können. Hatte Franziska recht gehabt, als sie all ihre Tränen wegen Schattendorf vergossen hatte? Nein, nicht mal sie hätte sich mit ihrem kindlichen Geist, den Urteilsspruch und die Protest der Leute ausmalen können. Dafür war sie viel zu klein. Dafür fehlten ihr die politische Weitsicht. Aus den Augenwinkeln bemerkte er wie Demonstranten die Feuerwehr daran hinderte ihre Arbeit zu tun. Wie hatten sie nur in dieses Tollhaus rein schlittern können? Warum zerriss sich sein Land in zwei Teile? Plötzlich ertönten Schüsse und durch die vermehrt erklingenden Angstschreie erwachte er aus seiner Lethargie. Wir tanzen auf Messer und Schneide stehen kurz vorm Rand ist nur eine Frage der Zeit dann geht einer zu weit Der Himmel war verhangen vom Rauch und das Festmahl des Feuers hatte sich selbst aus dieser Distanz stechend in seine Geruchsnerven verbissen, dass er, selbst als er völlig verstört die gemeinsame Wiener Wohnung betrat meinte, er stünde noch immer vor dem qualmenden Gebäude. Im schlichten Vorzimmer rannte ihm das kleine Burgenland entgegen und schmiss sich ihm in die Arme. Kummervoll drückte er den kleinen Leib gegen seine Brust und ließ es zu, dass kindliche Tränen seine Haare benetzten. Hedwig kam aus der Küche, wobei sie sich die Hände in einem Geschirrtuch abwischte. Das Radio krächzte hinter ihr und aus ihrer Miene konnte der Braunhaarige entnehmen, das auch sie in Kenntnis der Ereignisse war. Behutsam nahm er Franziska auf den Arm und ging mit ihr ins Wohnzimmer, während das Kind leise gegen seine Brust schluchzte. Im Wohnzimmer hatte sich die restliche Sippe versammelt, wobei er durch die gelegten Karten und der Art wie Salvatria die Karten mischte sah, dass die Gedanken seiner restlichen Schwestern nicht beim Tarockieren waren. Nach einem kurzen Blickaustausch mit den anderen Familienmitgliedern stellte sich Roderich an eines der Fenster, welche der Straße zugewandt waren. „Was ist denn nun wirklich passiert Roderich?“ Adelheid rutschte unruhig auf ihren Sessel hin und her. In ihrer Stimme schwang ängstliche Unsicherheit mit. „Sie haben Freispruch erhalten.“ Er konnte hinter seinen Rücken deutlich vernehmen, wie Hedwig auf seine trockene Antwort hörbar, zornig die Lippen schürzte. Bevor sie jedoch zu Wort kommen konnte, sprach das ehemalige Erzherzogtum einfach weiter. „Der Justizpalast brennt, aber ich glaube das wusstet ihr schon.“ „Und weiter?“, keifte Agnes ungehalten in ihrer barschen Art. „Sie haben in die Menge geschossen!“ Mühsam hielt er den emotionslosen Unterton bei, welcher die Familie eher von der Ältesten, Katharina gewohnt waren, aber nicht von ihm. Krachend fiel hinter ihm ein Stuhl um und erschrocken wandte er sich mit dem erneut aufheulenden Kind im Arm um. Agnes war wütend aufgestanden, wobei sie zornig derart die Fäuste zusammenballte, dass diese aufgrund des plötzlich eintretenden Blutmangels ganz weiß wurden. Salvatria und Katharina waren ebenfalls aufgehüpft. Die eine um sich eiligst vor ihrer Tischnachbarin in Sicherheit zu bringen, die andere um eine der einzigen Sachen zu tun, welche die Tirolerin in ihrem Zorn einigermaßen besänftigte. Behutsam legte sie den Arm um die spitzen Schultern der Schwarzhaarigen und zog sie zu sich, wobei sie sanfte Worte murmelte. Bestürzung fand sich in allen Mienen wieder. Adelheid sammelte hölzern schnell alle Karten ein. „Adelheid, Salva! Helft mir das Essen auf den Tisch zu bringen.“ Hedwig winkte mit dem Geschirrtuch die Anwesenden zu sich und löste somit die versammelte Runde für einen Augenblick auf. Ihre Stimme hatte zwar gefasst geklungen, aber beinhaltete dennoch einen sehr bitteren Beigeschmack. Alleinig das verstummende Schluchzen Burgenlands und das melodische Murmeln Kärntens erfüllten den Raum, während Roderich in dieser Stille bekümmert die dunklen Rauchschwaden beobachtete, welche selbst von hier zu sehen waren. Immer wieder fragte er sich wohin das alles nur führen sollte, bis er merkte das Franziska in seinen Armen eingeschlafen war. Oh man zeigt nicht mit Waffen auf andere Leute man zeigt nicht mit Waffen auf auf Niemand und Nichts oh die Brüder von gestern sind die Gegner von heute denn jeder Schuss kommt irgendwann irgendwann zurück Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)