Dieses Jahr schenken wir uns nichts von Wieldy (4. Türchen Adventskalender) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Dieses Jahr schenken wir uns nichts“ So hatte ihr Freund Fabian es ausdrücklich gewollt und Christa war vollauf damit einverstanden gewesen. Klar, für Kinder war der ganze Hokuspokus um Weihnachten rum natürlich wahnsinnig nett, aber so nach dem zwanzigsten Fest war Christa es einfach leid gewesen. Immer dieses gezwungene Zusammentreffen von Familienmitgliedern, die sich in ihrem ganzen Leben noch nie freiwillig getroffen hatten, kiloweise umgetauschte Geschenke, nervtötende Weihnachtsmusik ab Mitte September. Eigentlich war das doch alles nur Konsumterror. Und das alles noch für eine Religion mit der weder Christa noch Fabian irgendetwas anfangen konnten. Dieses Jahr hatte Christa ihren Eltern erzählt, sie würden zu Fabians Familie an die Nordsee fahren und Fabian hatte seinen Eltern wiederum erzählt, sie würden das Fest dieses Jahr bei Christas Verwandten im Ruhrpott feiern. In Wahrheit war keine Feier geplant. Fabian wollte, in einen roten Umhang gehüllt und mit weißem Rauschebart irgendwelche unbekannten Bälger bescheren um sich was dazu zu verdienen und Christa wollte die Feiertage nutzen, um für ihr Studium zu lernen, bevor sie sich wieder mit voller Kraft in einen ihrer zahlreichen Studentenjobs stürzen wollte. Für die Adventssonntage hatte sie schon eine Stelle in einem Spielzeuggeschäft an der Kasse ergattern können. So kam es, dass Christa sich viel häufiger, als ihr eigentlich lieb war, in einem weihnachtlich dekorierten Einkaufszentrum wieder fand und sich in der kleinen Zweizimmerwohnung so nach und nach, neben stapelweise Literatur aus der Bücherei, leeren Bionadeflaschen und nicht abgespülten Tellern, mit der Zeit auch mehr und mehr Weihnachtsmannutensilien ansammelten. Ein Stück weiße Watte vom Bart im Badezimmerschrank, direkt neben dem Rasierschaum. Ein kümmerlicher Stock auf dem Balkon, den Fabian als Rute bezeichnete. Ein Paar blitzblank polierte schwarze Stiefel neben Fabians ausgelatschten Turnschuhen und Christas dutzend Paar Stilettos. Mit jedem Sonntag verdüsterte sich Christas Laune. Die Leute wurden von Mal zu Mal hektischer und die Schlangen an ihrer Kasse länger. Christa wurde bei Zeitdruck schnell hektisch, besonders wenn sie einmal einen Strichcode nicht sofort finden konnte oder ein Kind neben ihr quengelte. Sie fand, dass die Gesichter der Eltern, die an ihr Kasse standen mit zunehmender zeitlicher Nähe zum großen Fest immer grauer, griesgrämiger und gehässiger wurden. Die nettesten Leute, die sich selbst im größten Stress nicht so arg hetzen ließen, stellten sich aus Tradition immer an die anderen Kassen. Unter Christas Kasse stand ein kleiner Papierkorb für Kassenbons. Zur Feierabendzeit war er immer voll und Christa musste ihn ausleeren. Am vierten Advent war er sogar ganz besonders voll gewesen. Als wenn alle Eltern der Stadt ihre Weihnachtseinkäufe auf diesen einen Tag gelegt hätten. Als Christa mit dem Papierkorb unterm Arm gerade die Hälfte der Strecke bis zum Müllschlucker im für Kunden unzugänglichen, hinteren Teil des Ladens gelaufen war, fiel ein einzelner Kassenbon herunter, langsam, gleitend, ein bisschen wie eine zu groß geratene Schneeflocke. Christa bückte sich, um ihn aufzuheben. Sie musste den Papierkorb dabei unwillkürlich in eine ungeschickte Schieflage gebracht haben, denn auch er folgte der Schwerkraft und landete mit der Öffnung nach unten auf dem Boden. Nun war das Geschäft wirklich von einer weißen Masse aus Papier bedeckt. Christa wollte sich schon furchtbar über ihr Missgeschick ärgern, da nahm sie den erstbesten Kassenbon und las sich die Dinge durch, die darauf vermerkt waren. Da erschien ihr der Kassenbon mit einem Mal wie eine Art technologisierte Version eines Wunschzettels. Ein einfacher, schnöder Wunschzettel, wie sie ihn selbst all die Jahre geschrieben hatte. Irgendwo musste ein Original existieren. Ein von Kinderhand geschriebener Brief, adressiert an den lieben Weihnachtsmann. Von einer Mutter oder einem Vater war das Gekrakel dann in eine Einkaufsliste übersetzt worden. Jetzt lag das endgültige Resultat in ihrer Hand. Ein Kinderwunsch. Eine Überraschung unter dem Weihnachtsbaum. Wenn sie die aufgereihten Güter so las, dann stellte sie sich vor, was das wohl für eine Familie war, die da feierte, ob die Kinder mit ihren Geschenken zufrieden waren. Statt die Kassenbons wegzuwerfen, nahm Christa sie mit um sie zu Hause heimlich zu lesen, wenn sie eigentlich lernen wollte. Nur den kleinen Papierkorb, den stellte sie wieder zurück auf seinen Platz. Als Christa den letzten Kassenbon durchgelesen hatte und sich die letzte Geschichte dazu ausgedacht hatte, war der Heiligabend schon gekommen. Den Nachmittag hatte sie auf einer Parkband verbracht, denn für Dezember war es dieses Jahr außerordentlich warm. Doch nun war die Sonne endgültig untergegangen und Christa fröstelte doch etwas. Es war Zeit nach Hause zu gehen. Sie würde sich einen Kartoffelauflauf aus der Tiefkühlung in die Mikrowelle stecken. Auf das warme Gefühl im Magen freute sie sich schon. Doch zunächst einmal nahm sie ihr Notizbuch aus der Tasche, schlug eine neue Seite auf und schrieb „Wunschliste“ ganz oben in die Mitte. Darunter schrieb sie: „Mehr Zeit mit Fabian“. Und, weil sie da plötzlich so eine nostalgische Grundstimmung überkam, schrieb sie auch noch: „Eine neue Barbie“, aber den zweiten Punkt strich sie gleich wieder aus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)