Jumays Kinder von -Izumi- (Part 5: Kinder des Wassers - Verloren im Sand) ================================================================================ Kapitel 2: Himmelsblut ---------------------- Eine Weile herrschte Schweigen in Chatgaias Haus, einzig Choralys schwerer Atem war zu vernehmen, während sie Jiro aus weit aufgerissenen Augen anstarrte; dieser räusperte sich nach einer Weile jedoch nur hilflos. „Ist schon gut.“, schaltete sich Mayora wieder ein und war so rücksichtsvoll, dem verängstigten Mädchen keinen Zentimeter mehr näher zu kommen. „Es ist nicht gut, du Scheusal!“, quiekte dieses daraufhin bloß hysterisch und er seufzte, beschwichtigend die Hände hebend. „Ich tue dir nichts. Wirklich nicht. Ich...“ „Halt den Mund, du Bastard!“ Ihren letzten Mut mobilisierend, hechtete die 15-jährige an den beiden Jungen vorbei und raus aus dem Haus, einfach der ihr unbekannten Sandstraße folgend. Es war doch zum Verzweifeln! Immer wenn sie dachte, es ginge wieder bergauf, kam der nächste Schock. Ein echter Himmelsblüter! Wie abartig! Matsch-grüne Haare hatte er gehabt... und blutrote Augen... genau so, wie Atti ihr diese Dinger beschrieben hatte. Diese Viecher konnten theoretisch alle Haar- und Augenfarben der Welt haben, von völlig normalen bis hin zu total abgedrehten Kombinationen, wie bei diesem Mayora. Und feinfühlige Menschen wie Choraly nahmen ihre Auren wahr. Atti hatte erzählt, die Aura könnte einem etwas über die jeweilige Person sagen, aber das Mädchen konnte dieses widerliche Gefühl, das sie bei diesem Kerl gehabt hatte, nicht deuten. Vermutlich war es aber simpel und sagte bloß aus, dass der Typ ein absoluter Mistkerl war... Die junge Frau hielt inne, als sie die letzten Häuser des Dorfes erreicht hatte und sich vor ihr eine weite Grünfläche erstreckte. Die Wüste lies sich nur durch die berghohen Dünen, die man am Horizont erkennen konnte, erahnen. Es war hübsch hier... vor den Toren von Wakawariwa sah es ähnlich aus... Ein wenig aus ihrem Trauma gerissen, spazierte Choraly kurzer Hand in die schöne Landschaft, sich bezaubert umsehend. Hier standen ein paar Bäume mit pelzigen weiß-grauen Früchten, die sie nicht kannte. „Kaliri-Bäume...?“, fragte sie sich leise selbst und war daraufhin um so geschockter, als man ihr antwortete. „Ja, daraus stellen wir Stoff für Kleidung her.“ Sie drehte sich um und zu ihrem Entsetzen stand sie Mayora nun abermals gegenüber. Er ist ein Monster, dachte sie sich, wie kommt er hier her? „Hör mal, Choraly, ich weiß ja nicht, was man dir in der großen Stadt erzählt hat, aber ich fresse sicher keine kleinen Mädchen mit braunen Haaren und einer Vorliebe für wüste Beschimpfungen.“ „Verspotte mich nicht, ich bin nicht dumm!“, unterbrach sie ihn empört und er seufzte leise. „Sicher nicht. Also glaub mir. Wenn du mir nicht traust, dann kannst du niemandem in diesem Dorf trauen, denn über die Hälfte der Bürger von Thilia sind so wie ich. Jeder, den du triffst, ist entweder selbst so oder ist mit jemandem befreundet oder verwandt, der so ist. Gewöhne dich einfach an den Gedanken, dass die Gestalten, aus den Horror-Geschichten, die man dir als Kind erzählt hat, gar nicht so furchtbar sind, wie du vielleicht gedacht hast...“ „Rede dir von mir aus den Mund fusselig, ich vertraue dir nicht!“, antwortete sie bloß abermals barsch auf seine Predigt und drehte sich gewollt schnippisch weg. Sollte er doch erzählen was er wollte, er sah in ihr sicherlich nicht das, was er vorgab. Ihren Vermutungen nach war sie wohl eher so was wie ein Festmahl, oder eine Sklavin. Vielleicht auch ein „Prügelknabe“, wenn er sich abreagieren musste oder gar eine Gebermaschine für seine Monster-Kinder. Entsetzt schlug sie sich die Hände vor den Mund. Er hob bloß nichts ahnend eine Braue. „Du sollst mir ja auch nicht vertrauen, sondern bloß trauen. Das sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe“, machte er bloß und sie schüttelte sich vor Gram, ihn schließlich ernst ansehend. „Sag mal, Mayora...“, begann sie überraschend ruhig und vorsichtig und ihr Gegenüber hatte schon Hoffnung darauf, sie gezähmt zu haben, „Bist du eigentlich vergeben?“ „Vergeben?“, fragte er ein wenig überfordert, worauf in Choraly wieder die Frage aufkam, ob sie denn hier bei absoluten Hinterwäldlern gelandet war. „Ob du eine Freundin hast!“ Den schnippischen Unterton hatte sie sich einmal mehr nicht verkneifen können. Ihr Gegenüber hatte sie unterdessen verstanden und sein Gesichtsausdruck schien nun beängstigend gleichgültig. „Interessierst du dich etwa für mich?“, machte er bloß und die Braunhaarige erstarrte für einen Moment. Was bildete der sich denn ein!? „Ernsthaft, sehe ich so aus, als könnte ich mich auf dieser Ebene für ein so abartiges Ding wie dich interessieren?! Also echt, davon abgesehen habe ich zuhause in Wakawariwa einen wunderschönen Verlobten mit sehr viel Geld und sehr gebildet, Vati hat ihn mir ausgesucht, und da brauche ich doch keine von der Natur hintergangenen Primitivlinge anmachen! Und selbst wenn ich das tun würde, dann würde ich mir schon etwas besseres einfallen lassen als „Bist du vergeben?“, ich bin nämlich kreativ, weil Menschen eben kreativ sind und da wäre ich schon niveauvoller. Bloß, dass es im Zusammenhang mit dir niemals dazu kommen wird, ich habe aus reinem Interesse gefragt, weil ich befürchtet habe, du hättest unsittliche Dinge mit mir vor, weil du ohne Freundin, und davon gehe ich aus, keine Möglichkeit hast, deine männlichen Triebe anständig zu befriedigen. Oder unterscheidet man bei euch Dingern gar nicht zwischen Männlein und Weiblein und ihr pflanzt euch wie ein Virus fort? Dann sollte man dagegen auf jeden Fall einen Impfstoff entwickeln, denn dein erbärmliches Aussehen ist eine Beleidigung für jedes Sehorgan, ich beneide Tai im Moment wirklich um ihre Blindheit! Jetzt bin ich abgeschweift, aber klipp und klar, ich bin nicht pervers oder geistig gestört, dass mich etwas wie dich auch nur auf irgendeine Art und Weise im geringsten positiv reizen könnte und ganz ehrlich, wenn man mich vor die Wahl stellen würde, zwischen dir und einem giftigen fleischfressenden Kaktus, dann würde ich die Pflanze nehmen!“ Sie beende ihren Redeschwall völlig außer Atem aber seltsam erleichtert. Mayora seinerseits hatte während ihres Vortrags kein einziges Mal auch nur mit der Wimper gezuckt, was Choraly doch ziemlich irritierte. Musste das nicht weh getan haben? Oder kannte er gar keine Gefühle? Na auch egal... „Jetzt hab ich mich abreagiert.“, machte sie bloß, die Arme vor der Brust verschränkend und ihn nun ruhig ansehend. „Danke.“, sagte er schließlich, „Keine Sorge, ich habe nichts Unsittliches mit dir vor. Komm, gehen wir zurück nach Hause. Wir haben noch einiges zu klären und dazu ist es mir hier draußen zu heiß.“ Ohne Protest abzuwarten kehrte er ihr den Rücken und ging vor. Choraly hielt inne. Die ganze Zeit zu meckern war anstrengend und da sie sich so wie so gerade ordentlich ausgelassen hatte, konnte sie auch ausnahmsweise einmal auf ihn hören. Davon abgesehen war es auch wirklich erbärmlich heiß draußen... --- „Wie? Kein Funkgerät?“ „Nein, so etwas benötigen wir hier nicht.“ Mayora schaute die entsetzte Choraly gleichgültig an, ihr ein Glas mit undefinierbarem orange-braunen Saft hinhaltend. „Natürlich braucht ihr eins! Gerade in solchen Fällen wie jetzt! Und was ist das für ein Schmodder?“ Angewidert starrte die junge Frau auf das Getränk. War das denn überhaupt möglich? Ein Ort, der sich zu diesen Zeiten noch komplett selbst versorgte? Und dabei war der Lebensstandard in Thilia noch nicht einmal besonders niedrig. Ob das wohl Zauberei war...? Musste wohl, wenn es in diesem verfluchten Kaff noch mehr von Mayoras Sorte gab... „Das ist ein Fruchtsaft. Zugegebener Maßen sind wir nicht darauf vorbereitet, irgendwelche fremden Mädchen, die vom Himmel fallen, artgerecht zu umsorgen, aber da wir wie gesagt kein Funkgerät besitzen, darfst du dich von nun an als vollwertiges Mitglied unserer Gemeinschaft bezeichnen. Trink schon!“ Er hielt ihr das Glas auffordernd vor die Nase und sie nahm es widerwillig an. „Wenn ich sterbe, verhau ich dich.“, sie nippte vorsichtig, „Und was ist, wenn ich gar nicht zu eurer bescheuerten Gemeinschaft gehören will? Davon abgesehen bin ich eine 15-jährige Adlige, erwartest du etwa von mir, dass ich mir selbst irgendwo hier in der Nähe ein richtiges Haus baue? Und dann auch noch alleine darin lebe?! Ich bitte dich...“ „Natürlich nicht...“ Er wandte sich ab und ging zu einem Fenster, in den mittlerweile abendlichen Himmel starrend. „Hier ist noch ein Zimmer frei, du bleibst bei uns. Tante Chatgaia wird dir Arbeiten auftragen, die dir nicht schwer fallen werden. Und morgen bringe ich dich zu unserem Schneider, der kann dir Kleidung machen...“ „Ich will aber nicht bei dir und deiner bescheuerten Tante wohnen!“, protestierte das Mädchen, mit einem nun leeren Glas in der Hand, voller Elan. Der Grünhaarige drehte sich wieder zu ihr. „Sei dankbar, denn sie wird gut zu dir sein. Und...“ Kurz erfüllte Schweigen den Raum und Choraly hob eine Braue. „Und was?“, machte sie, als sie ungeduldig wurde und ihr Gegenüber bedachte sie mit einem seltsamen Blick. „Du kannst mit ihr nicht so sprechen wie mit mir. Du wirst dich manchmal sicher ungerecht behandelt fühlen, aber beschwere dich nicht! Wenn du Frust abbauen musst, hast du mich dafür. Komm einfach, schreie mich an, beleidige mich und verprügele mich, wenn es dich glücklich macht, aber widerspreche ihr niemals.“ Das Mädchen blinzelte. Während sie seiner kühlen Stimme gelauscht hatte, hatte sie eine Gänsehaut überkommen. Das hörte sich doch schon mehr nach so einer Horrorgeschichten-Himmelsblüterin an... „Jetzt fürchte ich mich.“, gab sie beklommen zu und er schüttelte bloß leicht den Kopf. „Nein, musst du nicht. Wenn du auf mich hörst, wird alles gut. Du wirst sie gleich kennen lernen.“ Er grinste plötzlich seltsam und Choraly legte den Kopf leicht schief. „Was guckst du jetzt so blöd?“, fragte sie ihn unverblümt, als er sich leicht verneigte. „Guten Abend.“ Noch ehe sie hätte fragen können, erklärte sich sein Verhalten von selbst. „Guten Abend, Mayora. Guten Abend, Choraly“ Beklommen blinzelt drehte sich das Mädchen um. Am besten, sie lies es gleich bleiben, sich die Fragen zu stellen, wie die Frau nun plötzlich hier rein kam oder woher sie wusste, wie sie hieß. „Guten Abend.“, machte sie nur, ihrem Gegenüber vorsichtig in die orangen Augen schauend. Die Farbe hatte Ähnlichkeit mit dem seltsamen Fruchtsaft, den sie da eben getrunken hatte, fiel ihr auf. Ihr Haar, das sie in einem strengen Zopf zusammengebunden trug, war zwar auch grün, allerdings wesentlich heller als das von Mayora, dem sie alles in allem kaum ähnelte. Mit einem undefinierbarem Lächeln auf den Lippen nickte sie ihrem Neffen zu. „Du hast dich gut um sie gekümmert und dabei war sie gar nicht nett zu dir. Geh und ruh dich aus, du hast deine Arbeit für heute gut gemacht.“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren verschwand der junge Mann die Treppe hinauf und Choraly erschauderte abermals unschön. Würde sie ihr jetzt etwas antun, weil sie wusste, dass sie nicht nett zu Mayora gewesen war? Aber sie war den Umgang mit solch seltsamen Wesen doch gar nicht gewohnt... „Willkommen in Thilia, Choraly!“ Chatgaia kam grinsend auf sie zu und je näher sie kam, desto schwindeliger wurde der jungen Frau. Ihre Aura war so widerlich... „Ich weiß, dass es dir nicht gefällt, aber vorerst wirst du wohl hier bleiben müssen. Nachdem Mayora dich morgen zu unserem lieben Schneider gebracht hat, kann Jiro dich ein wenig im Dorf herumführen. Ich bin sicher, du wirst dich hier schnell zurecht finden...“ „Warum Jiro und nicht Mayora?“, wagte sie kleinlaut zu fragen. Und wo sie gerade dabei war fiel ihr noch etwas ein. Wo war Jiro eigentlich geblieben, als sie von den Kaliri-Bäumen zurückgekommen war? Hatte der Giftzwerg ihn etwa wieder zurück nach Hause geschickt? Dabei hatte sie sich doch noch für ihre Rettung bedanken wollen... „Mayora hat viel zu tun, du wirst es im Laufe der Zeit merken. Er muss mir helfen, diesen Haufen von Verrückten da draußen unter Kontrolle zu halten.“, sie setzte sich, noch immer seltsam grinsend, an den Esstisch und schien ihr zitterndes Gegenüber auf eine seltsame Art und Weise fasziniert anzusehen, „Wo wir gerade dabei sind, werde ich dir noch etwas erklären. In der großen Stadt, dort wo du gelebt hast, gab es Geld. Wenn du etwas von jemandem wolltest, hast du ihm Geld bezahlt. Das ist hier anders, wir haben kein Geld.“ Die Frau wandte den Blick von dem Mädchen ab und goss sich aus einer Kanne, die auf dem Tisch stand, ein wenig von dem seltsamen Fruchtsaft in ein Glas, das vorhin definitiv noch nicht auf dem Tisch gestanden hatte und trank es in einem Schluck aus. „Wenn der Gemüsebauer Kleidung braucht, geht er zum Schneider, der macht ihm welche. Wenn der Schneider Geschirr braucht, geht er zum Töpfer, der macht ihm welches. Wenn der Töpfer Möbel möchte, geht er zum Schreiner, der macht ihm welche. Wenn der Schreiner krank wird und Medizin braucht, dann kommt er zu mir, ich gebe ihm welche. Und wenn ich Hunger auf Gemüse habe, dann...“ Sie grinste Choraly wieder an. „... dann gehen Sie zum Gemüsebauern, der gibt ihnen welches, richtig?“ Ein vorsichtiges Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Hier lief es ja ab, wie in der Steinzeit, so kompliziert... sie unterbrach ihre Gedanken, als ihr plötzlich einfiel, dass diese Frau womöglich auch diese lesen konnte. Wie furchtbar... „Falsch. Wenn ich Gemüse will, sage ich zu Mayora, er soll welches anpflanzen, ernten und zubereiten, der arme Gemüsebauer hat schon genügend andere Probleme.“ Der Blick der Älteren verdunkelte sich dramatisch, die Brünette wurde dafür umso weißer. Bestrafte sie sie jetzt? Zu dumm, das hätte sie doch wissen müssen! ... hätte sie? „Du bist zu lustig, machst dir sofort in den Rock, wenn ich böse schaue.“, in Chatgaias Gesicht schlich sich wieder dieses seltsame Lächeln, „Du hast das Prinzip verstanden.“ -- Chatgaia war eine seltsame Frau, oder eher Kreatur. Immerzu lächelte sie seltsam, ihre Gedanken schienen noch unergründlicher als die Mayoras, und der war schon komisch genug. Fast hätte Choraly gegrinst, während sie in ihrem kleinen Zimmer im Bett lag und in die Dunkelheit starrte. Mayora war ihr persönlicher Prügelknabe... nicht schlecht. Und er hatte sich dieses Amt auch noch selbst ausgesucht... was für ein Idiot. Das war wohl das letzte, das das Mädchen dachte, ehe es einschlief. Wüste. Choraly blinzelte. Wie zum Teufel kam sie jetzt wieder in diese Wüste?! Hatte Mayora sie etwa ausgesetzt?! Sie ging ein paar orientierungslose Schritte, als sich plötzlich ihre Flugmaschine in ihrem Sichtfeld befand. Die Flugmaschine...? „Ich dachte, wir wären abgestürzt...“, murmelte sie fassungslos, während sie sich dem Gerät näherte. Es war völlig unversehrt, kein einziger Kratzer war daran zu sehen, als wären sie einfach ganz normal in der Wüste gelandet... falls das überhaupt möglich war... Der Eingang zur Flugmaschine stand offen, die junge Frau konnte einfach so hinein klettern und auch Innen sah es noch genau so aus wie bei ihrem Start, allerdings war sie komplett leer. „Mami? Atti? Herr Pilot?“ Sie seufzte. „Wäre auch zu schön gewesen...“ „Was denn, junge Dame?“ Choraly erstarrte. Atti. Das hatte Atti gesagt! Atti war hier, Atti lebte! „Atti, wo bist du?“, fragte das Mädchen mit Tränen in den Augen in den scheinbar leeren Raum. „Hinter dir, junge Dame!“ Ein kalter Windhauch streifte ihr Ohr, obwohl sie sich in einer geschlossenen Kabine befand. Es wurde seltsam düster, und wenn man aus den Fenstern schaute, sah man nichts. Die Wüste war verschwunden, genau so wie alles andere. Das Mädchen erschauderte, wohl wegen der plötzlichen Kälte. „Atti, was geschieht...“ Sie unterbrach sich selbst, als sie sich umgedreht hatte und nun in die blutigen toten Augen ihres einstiges Kindermädchens blickte, das sie mit Chatgaias seltsamen Lächeln auf den weiß-blauen Lippen ansah. „Aber nicht doch, alles ist in Ordnung.“, sagte die tote Frau unwirklich und schritt mit ihren bis zur Unkenntlichkeit verbrannten und zerfetzten Beinen, die genauso gut die Reste zweier kleinen Bäume, die Opfer eines Waldbrandes geworden waren, hätten sein können, einen Schritt auf das braunhaarige Mädchen zu. „Bleib weg von mir, du bist nicht Atti!“, schrie dieses und stolperte hysterisch ein paar Schritte rückwärts, ehe es an etwas stieß. „Nicht so hastig, Choraly.“, hörte sie eine weitere vertraute Stimme und sie wollte sich eigentlich gar nicht umdrehen, gegen ihren eigenen Willen tat sie es jedoch doch und stand nun vor ihrer Mutter. Oder das, was von ihr übrig war. Die junge Frau ging apathisch schreiend vor dem blutigen, verkohlten und einarmigen Wesen zu Boden. „Was hat die junge Dame denn nur?“, hörte sie die tote Atti noch immer seltsam lächelnd fragen. Sie wusste, dass sie lächelte, auch ohne hinzusehen. Aber das war falsch! Die Tote lächelte Chatgaias zwielichtiges Grinsen, Atti hatte immer liebevoll gestrahlt! Es war ein Fehler! Abermals sah sie gegen ihren Willen zu ihrer toten Mutter, die sie aus den Resten ihres einst so hübschen Gesichtes monoton anschaute. So monoton wie Mayora. Sie wollte weg, weg von diesen Monstern, weg von den Himmelsblütern, einfach zurück in ihr altes Leben in Wakawariwa! „Lasst mich in Ruhe!“, heulte sie, versuchend ihr Gesicht in ihren Händen zu begraben. Herr Pilot, der gerade die Kabine betrat, riss aber ohne dass das Mädchen es wollte seine Aufmerksamkeit auf sich, als er auf eine eigene Art komisch lächelnd den Raum betrat, sein verkohltes Bein hinter sich her schleifend. „Meine Dame,“, machte der tote Mann mit der aschfahlen Haut und schritt so weit es ihm möglich war auf Naputi Magafi zu. „Sie haben etwas vergessen.“ Er hielt ihr ihren Arm hin und das Mädchen schrie weiter. „Aber warum schreist du denn? Wir wollen doch nur deinen Geburtstag feiern...“, sagte ihre tote Mutter monoton, wie Mayora. „Ja, nur wegen deinem Geburtstag sind wir nun hier!“, machte auch Atti ruhig, „Nur wegen dem Geburtstag der selbstsüchtigen Prinzessin sind wir tot!“ „Das wollte ich doch nicht!“, schluchzte das Mädchen, ihre Mutter voller Reue ansehend, die sie mit ihrem verbliebenen Arm an der Schulter packte. „Du warst es!“, zischte sie böse und ihre Tochter weinte bitterlich weiter. „Nein! Nein, nein, nein!“ „Choraly!“ Sie wurde geschüttelt und ihre Tränen ließen ihre Sicht völlig verschwimmen, bis sie nur noch eine schemenhafte Gestalt vor sich erkannte, die immer und immer wieder ihren Namen rief und sie weiter schüttelte. „Nein, ich war es nicht!“, kreischte sie immer weiter, „Ich war es nicht, nein! Nein!“ „Choraly!“ „Choraly!“ „Du kannst mir keine Vorwürfe machen, du Monster bist nicht meine Mutter!“ Das Mädchen schlug mit letzter Kraft um sich und verpasste ihrem verschwommenen Gegenüber eine saftige Ohrfeige, ehe es sich endlich die Tränen aus den Augen blinzelte und verstummte. Wie kam es, dass sie in ihrem Bett in Chatgaias Haus saß? Oh... Vorsichtig lies sie ihren Blick zu der Person neben ihrem Bett schweifen. „Du bist nicht meine Mutter...“, wiederholte sie, doch nun eher verzweifelt als hysterisch. „Nein.“, antwortete Mayora, sich über seine gerötete Wange streichend, „Nein, das wüsste ich doch.“ „Was machst du dann hier...?“, fragte das verschlafene Mädchen verwirrt, worauf sich der Junge seufzend zu ihr an das Bett setzte und sie seltsam anschaute. Vielleicht versuchte er, lieb zu schauen? Trotz ihres Halbschlafes fiel der Braunhaarigen plötzlich auf, dass Mayora wohl bloß zwei Gesichtsausdrücke besaß; einen monotonen und einen verwirrten. Aber was scherte sie die Missgeburt...? „Du bist in Thilia.“, sagte eben diese da, „Du hast nur schlecht geträumt.“ Ja, das war ihr inzwischen auch klar. Aber es war so echt gewesen; es kam ihr so vor, als würde sich jeden Moment die Tür öffnen und die sterblichen Überreste von Atti, ihrer Mutter und dem Herrn Piloten würden tatsächlich vor ihr stehen und sie für ihre Tat verantwortlich machen. Ihre Tat...? „Nein.“, brummte sie leise, ihre Decke anstarrend. „Hm?“ Mayoras rote Augen fixierten das Mädchen weiterhin. Sie hatte geschrien wie am Spieß, Chatgaia war auch wach... „Warum sind alle außer mir tot?“, fragte sich das Mädchen dann leise selbst, den jungen Mann neben ihr völlig ignorierend. „Das wissen wohl nur die Götter.“, antwortete dieser dennoch. Die Götter... dass sie nicht lachte. Das wissen wohl nur die Götter! Atti hatte gesagt, Himmelsblüter könnten mit den Göttern sprechen und was Atti gesagt hatte, war immer wahr gewesen! Zumindest was die Echte betraf, dieses Alptraum-Monster galt nicht... Sollte der Freak doch die Götter fragen... aber wahrscheinlich war er es ja gewesen, der sie darum gebeten hatte, das Flugzeug abstürzen und Choraly als Einzige am leben zu lassen. Am Ende hatte er doch etwas gruseliges mit ihr vor... der Gedanke machte sie wütend. Und er tat so scheinheilig! „Hör auf, Reden zu schwingen! Das magst du als Oberposer in diesem Sandburg-Kaff ja gut drauf haben, aber was verstehst du schon von den menschlichen Gefühlen?! Du hast doch noch nicht einmal im Ansatz eine Ahnung, wie es sich anfühlt, als einzige noch am leben zu sein, ohne dafür den Grund zu kennen! Ohne den Sinn davon zu kennen, ganz allein, ohne die Menschen, die man liebt!“ Sie schluchzte und konnte die Tränen bloß mit Mühe unterdrücken. Was tat dieser Bastard überhaupt in ihrem Zimmer?! „Hör zu, Mädchen aus der großen Stadt,“, er erhob sich und kehrte ihr den Rücken, „Dieser Schmerz und diese Hilflosigkeit nehmen erst im Ansatz ein Ende, wenn du den Sinn deines verschonten Lebens erkannt hast und das ist verdammt schwierig. Aber ich wünsche dir, dass du es so bald wie möglich schaffst. Ich...“ „Du sollst keine Reden schwingen, hab ich gesagt!“ Choraly fauchte ungehalten. Sie wollte nichts mehr von diesem Giftzwerg hören! Er verstand sie eh nicht! Niemand verstand sie! Niemand war so allein wie sie! „Na gut.“ Er ging zur Tür, ohne sich ihr noch einmal zuzuwenden. „Ich möchte deine Nachtruhe nicht noch mehr mit meiner minderwertigen Existens stören. Du weißt ja gar nicht...“ Er verstummte. „Gute Nacht.“ Und weg war er und die 15-jährige wieder allein. -- „Da werden Erinnerungen wach, was?“ Mayora schaute seine Tante nicht an, während er sich in dem dunklen Kochraum orange-braunen Schmodder-Fruchtsaft in einen Becher goss und austrank. Er musste sie nicht sehen, er kannte ihr Grinsen ja... „Ich weiß nicht, was du meinst, Tante.“, machte er dann, dem Treppenabsatz, an dem sie stand, weiter den Rücken kehrend. „Schon gut.“ Sie kam auf ihn zu und zerwuschelte von hinten sein grünes Haar. „Wir wissen beide, dass sie nicht weiß, was sie sagt. Sie wird es lernen und ich will sie mir auf jeden Fall erhalten.“ Trotz seiner in der Finsternis blinden Augen spürte ihr Neffe das gewohnte Grinsen verschwinden und ein leises Seufzen erfüllte schließlich den Raum. „Orte wie diese erhalten unsere Rasse und das ist wichtig für das Gleichgewicht unserer Welt. Die naiven Menschen sind gegen uns und wir sind an unsere kleinen Verstecke gebunden, deshalb dürfen sie nicht kaputt gehen!“ Mit ungeahnter Kraft drehte die Magierin den Jungen zu sich herum, ihm dorthin starrend, wo sie seine roten Augen vermutete. „Aber seit es Morika nicht mehr gibt, sind wir auf jede fremde Seele angewiesen, es gibt zu wenig Menschen und das weißt du. Mein Mann hatte damals einen Fehler gemacht...“ Mayora zischte. „Onkel hat lediglich einen Schandfleck von der Landkarte verschwinden lassen, es war Recht so.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)