Jumays Kinder von -Izumi- (Part 5: Kinder des Wassers - Verloren im Sand) ================================================================================ Kapitel 3: Eigenheit -------------------- Choraly fragte sich, ob sie sich je an das Leben in diesem Kaff gewöhnen konnte. Hier war alles so anders und sie sollte auch noch für diese Hexe arbeiten! Was auch immer, sie mochte das Wort so oder so nicht. Sie wollte einfach nach Hause. Sie wollte zu ihrem Vater. Sie wollte ihn umarmen und mit ihm zusammen weinen. Das Mädchen hielt im Haare kämmen inne. Was wäre, wenn ihr Vater böse auf sie war? Weil ihre Mutter und Atti und Herr Pilot durch ihre Schuld gestorben waren. Ein kalter Schauer durch fuhr sie und ihr wurde mulmig. Oh Himmel, wie furchtbar. Hatten die Götter denn kein Erbarmen mit ihr? Hatte sie sie irgendwie erbost? Vielleicht, weil sie die Himmelsblüter hasste...? Fast alle hassten diese Rasse, die sich eigentlich in ihrer eigenen seltsamen Sprache „Kalenao“ nannte, und danach richtete sich auch die Literatur. Bücher waren etwas schönes, Choraly mochte lustige Geschichten und spannende Sagen und hatte in Wakawariwa sehr viele gelesen. Doch ein einziges Mal hatte sie in der großen Bücherei ein sehr altes und sehr seltsames Buch entdeckt, das bloß Mythen über Himmelsblüter enthielt. Darin hatte gestanden, die Himmelsblüter seien die Kinder der Götter... So genau konnte sich das Mädchen nicht mehr erinnern, aber vielleicht hatte es ja etwas damit zu tun? Der Gedanke wurde schnell wieder verworfen, es ergab beim genaueren Betrachten der Sachlage im Nachhinein doch ziemlich wenig Sinn. Schließlich war Choraly nicht gerade der einzige Mensch auf der Welt, der diese angeblichen Kinder der Götter verabscheute... So wie so, wer verstand schon die Götter? Ein so hohes Denken besaß die 15-jährige nicht. Und Mayora traute sie es eben so wenig zu, wenn sie ehrlich war... -- „Und wir gehen einfach dort hin und sagen, er soll mir Kleidung machen, ja?“ „So ist es.“ Während sie die Dorfmitte durchquerten, fielen Choraly mehr und mehr Männer, Frauen und Kinder mit seltsamen Haar- und Augenfarben, so wie seltsamen Auren auf, die sie teilweise sogar ein wenig schwindeln ließen. Mayora hingegen nahm sie sehr zu ihrer Überraschung nicht mehr wahr, sie hatte sich wohl an ihn gewohnt. Ihr fiel die vergangene Nacht ein, wie er versucht hatte, nett zu ihr zu sein und sie wieder so abscheulich zu ihm gewesen war. Sie traute ihm nicht, aber konnte ein sich Mensch denn tatsächlich so verstellen...? Sie hielt im Denken inne. Jetzt hätte sie ihn fast schon als ihresgleichen akzeptiert, unfassbar. Sie kam nun einmal noch nicht damit klar, ständig umdenken zu müssen... „Wir sind da.“ Ohne sie eines Blickes zu würdigen betrat der Grünhaarige ein kleines Gebäude, an dessen hölzerner Tür ein Schild angebracht war, auf dem in unbekannten Schriftzeichen irgendetwas geschrieben stand. Na toll. Lesen konnte sie auch nicht mehr. Noch ein Grund mehr, sich in das Thema „Flucht“ reinzuhängen... Ob einer dieser Verrückten sich auch nur annähernd in ihre Lage versetzen konnte? Die kamen schließlich alle von hier...! Abermals in Gedanken betrat sie das überraschend helle Gebäude, in dem sie zwei überraschte junge Männer empfingen. Beide schienen etwas älter als Mayora zu sein, einer mit braunem Haar und einer mit Hellblondem. Sie waren sehr zu ihrer Freude beide normale Menschen. „Guten Morgen!“, machte der Blonde an Mayora und sie gewandt, allerdings das Mädchen allein mit einem begierigen Blick bedenkend. Der Brünette begann zu grinsen, sagte aber nichts. Sein Blick galt dem Himmelsblüter, der ihn allerdings nicht erwiderte. „Bedien deinen Kunden fertig, Tafaye, ich habe nicht ewig Zeit.“, machte er nur, den Blonden monoton ansehend, der darauf nickte und sich wieder dem Grinsenden zuwandte. „Du kannst die Hose morgen abholen, bis dahin müsste ich fertig damit sein.“, er hielt kurz inne, „Und jetzt mach Platz für die liebreizende junge Dame!“ „Gerne.“ Der Braunhaarige nickte noch immer grinsend und verließ den Laden ohne weiteres, einen letzten Blick auf Mayora werfend. Choraly starrte den Blonden entrüstet an. Was erlaubte der sich, sie „liebreizende junge Dame“ zu nennen?! Unerhört! Hatte er gar keine Erziehung genossen? Er musste sich doch zunächst einmal nach ihrem Familienstand erkundigen! Wie konnte er nur?! „Mayora, euer Schneider ist ein unverschämter junger Kerl!“, platze es aus ihr heraus, ohne dass sie es hätte zurück halten können. Atti hatte gesagt, es gäbe Situationen, in denen es besser sei, nicht vorlaut zu sein, aber so etwas unverschämtes was ja wohl wirklich nur unerhört! Er hatte Glück gehabt, dass ihr Vater jetzt nicht hier gewesen war! Falls sie ihm denn noch etwas bedeutete, nach dem, was sie getan hatte... „Tafaye ist nur der Sohn des Schneiders, mach dir keinen Kopf darum...“, tat der Grünhaarige das bloß unbeeindruckt ab, sie weiterhin keines Blickes würdigend, „Das ist Choraly Magafi. Sie braucht Kleidung.“ -- „Iihh! Er betatscht mich! Mayora, mach doch was!“ „Ich nehme doch nur Maß!“ Der Himmelsblüter verdrehte die roten Augen. Choraly schien aus einer fremden Welt zu stammen, so wie sie sich aufführte. Und sie schien Gespenster zu sehen. Sicherlich war Tafaye ihr nicht abgeneigt, aber er war ein anständiger Kerl. Wenn die Dame doch so sensibel war, dann hätte sie das doch auch bemerken müssen... oder? Mayora verstand die Menschen nicht, er hatte es noch nie getan. Ob der Unsinn, den ihm die Götter des Wassers in der Nacht zugeflüstert hatten, wirklich wahr war...? Langsam schien es Sinn zu machen... „Und ich sage, du fummelst!“ „Das würde ich nie tun, Schönheit!“ So leicht, wie Chatgaia sich das vorgestellt hatte, würde es sicher nicht werden... „Du hast kein Recht, mich Schönheit zu nennen!“ „Soll ich sagen, dass ihr hässlich seid? Himmel hilf... Mayora!“ Nein, sicherlich nicht. Allerdings hatte auch der Pflichtbereich des Grünhaarigen seine Grenzen... „Ich warte draußen.“ -- Bastarde! Choraly ärgerte sich. Über diesen unverschämten Tafaye und den feigen Mayora. Die ganze Zeit hatte sie sich von dieser Arschgeige anfassen lassen müssen, unerhört! Wenn doch bloß ihr Vater hier wäre... „Und für den Rock werde ich diesen Stoff nehmen, für das Oberteil diesen...“ Und in die Farbwahl bezog man sie auch nicht ein. Diese Missgeburt schien ja ganz kreativ zu sein. Wie sie Wakawariwa doch vermisste... sie fragte sich, wofür die Götter sie bestraften; egal was es war, es tat ihr Leid! Dieses Leben verdiente sie nicht... wäre sie doch bloß bei dem Flugmaschinenabsturz gestorben... Richtig, der Absturz. Es kam ihr so vor, als sei es Ewigkeiten her, dass sie ihre Mutter und Atti zum letzten Mal gesehen hatte. Worüber hatten sie eigentlich als letztes geredet? Ihr wurde mulmig bei dem Gedanken daran und sie zwang sich, zur Ablenkung wieder Tafayes langweiligen Geschwätz zu lauschen. „Die ersten Sachen dürften Übermorgen fertig sein. Dann gehen wir zur Bar etwas trinken und die hübsche Dame erzählt mir von sich, wenn es ihr nichts ausmacht. Ich nehme an, die holde Chatgaia oder ihr Neffe haben Sie schon über das nicht vorhandene Geldwesen in Thilia informiert?“ Bitte? Jetzt ging er zu weit! „Lüstling!“, quiekte das Mädchen und verpasste dem nichts ahnenden jungen Mann eine schallende Ohrfeige. „Au!“, machte der nur, schien sehr zu Choralys Leidwesen aber keine besonders großen Schmerzen zu erleiden. Dieser Mistkerl! Sie wollte ihn in Grund und Boden schreien, als er ihr mit dem Satz „Die hab ich mir wohl verdient.“ das Wort abschnitt und grinste. „Fertig?“, hörte man Mayora von vor der Tür unbeeindruckt fragen und für diese Gleichgültigkeit hätte das Mädchen ihn gleich mit verprügeln können. Doch sie riss sich zusammen, ausnahmsweise. Für Atti!,dachte sie sich, Ich werde sie stolz machen und auf das hören, was sie mir vor langer Zeit einmal geraten hat! „Ja, wir sind fertig!“, antwortete sie gefasst und ging zur Tür, Tafaye keines Blickes mehr würdigend. Mayora brachte sie zu Jiros Haus. Auf dem Weg dorthin war es unangenehm still und die Braunhaarige fragte sich, ob er wohl beleidigt war. Recht dazu hätte er... wenn er denn ein Mensch wäre. So sehr sie sich auch zusammenreißen zu versuchte, sie konnte dem Kerl nicht trauen. Aber egal, gleich würde sie Jiro wieder treffen, einen normalen Jungen, bei dem sie sich endlich bedanken konnte. Auch wenn sie sich den Tod fast gewünscht hätte... „Mayora!“ Von einer fremden Stimme aus den Gedanken gerissen, drehte sie sich, ebenso wie ihr Begleiter, um und stand dem braunhaarigen Kerl von vorhin gegenüber, dessen seltsames Grinsen sich kein bisschen verändert hatte. „Hat Chatgaias kleiner Schoßhund eine Freundin?“ Schoßhund? Wagte er es, sich über den „tollsten Hecht des Dorfes“ lustig zu machen? Das war ja etwas ganz neues... er war Choraly sympathisch. „Liliann hat doch im ganzen Dorf herum erzählt, wer sie ist und woher sie kommt, also tu nicht so, als wüsstest du nichts, Imera.“ Die Stimme des Grünhaarigen klang nicht monoton, sondern überraschend kalt, wie das Mädchen fand. Dem anderen Kerl diente es wohl nur als Belustigung. „So garstig, kleiner Mann? Ich wollte mich doch bloß selbst überzeugen...“ Mit seltsamen Blick näherte er sich der 15-jährigen ein wenig, ehe er sich in respektvollem Abstand zu ihr verneigte. „Ich heiße Imera und bin 17 Jahre alt. Und du?“ Er sprach zwar nicht so höflich wie Tafaye, doch Choraly hatte ihn auf Anhieb gern. Und er sah hübsch aus... aber älter als 17, oder? Sie ließ ihren Blick kurz zu Mayora huschen, der genau so alt war. Es lag an ihm, nicht an diesem Imera. Der Himmelsblüter sah eigentlich viel jünger aus, wenn sie es sich recht überlegte höchstens wie 14. Das machte er wohl bloß durch seinen monotonen Blick wett. Aber was scherte sie jetzt diese Missgeburt? „Ich heiße Choraly und bin 15.“, antwortete sie einfach lächelnd und verneigte sich ebenfalls leicht, „Aber bald werde ich 16.“ Er nickte. „Wir sollten uns jetzt verabschieden, der Salatkopf wird sonst ungeduldig, nicht Grünzeug?“ Er grinste den Jungen seltsam an, der daraufhin einfach weg sah. „Wir sehen uns bald wieder, dafür sorge ich.“ Mit seinem hübschen Lächeln wandte er sich ab und ging einfach. „Wer ist der Kerl?“, fragte sich Choraly völlig bezaubert laut, dem jungen Mann nachsehend. „Ihr würdet gut zusammen passen.“, antwortete Mayora bloß mit giftigem Unterton und wandte sich ab, „Komm!“ -- „Na, erste Nacht gut überstanden?“ Erst jetzt, wo ihr Kopf wieder etwas klarer war, fiel der Braunhaarigen auf, was für hübsche Mädchen Lilli und Tai doch waren, die sie, als sie sich Jiros Haus auf 20 Meter genähert hatte, stürmisch begrüßt hatten. „Mehr oder weniger.“, antwortete sie ehrlich und lächelte. Jiros Haus war eigentlich mehr eine Hütte. Es gehörte zu den erbärmlichsten Absteigen des Ortes und die junge Frau fragte sich, wie es bei so viel Gütigkeit, was die nicht vorhandenen Finanzen betraf, überhaupt soweit hatte kommen können. Aber auch egal, Hauptsache, sie musste nicht hier leben... schon bald war sie sicherlich wieder in Wakawariwa. Hoffte sie. Wo sie schon hier war, wo war eigentlich Jiro? „Wo ist er denn?“ Mayora kam ihr im Fragen zuvor. „Hinter euch! Ich war außerhalb unterwegs!“ Mit fröhlichem Grinsen und staubiger Kleidung stand er nun da und schien auszusehen wie am Vortag. Es wirkte, als habe er sich weder gewaschen, noch gekämmt, noch umgezogen... Ferkel. Benebelt von dessen Erscheinungsbild registrierte Choraly die Worte des Jungen bloß am Rande. Ich war außerhalb unterwegs... „Du weißt, was du zu tun hast. Ich überlasse sie dir. Und dass du sie mir ja wieder heil heim bringst.“ Der Grünhaarige wandte sich ab, wollte schon gehen, da hielt das schallende Lachen des Jüngeren ihn noch einmal auf. „Bist du verliiiebt?!“, quiekte er mädchenhaft und noch ehe die Braunhaarige ihm eine hätte verpassen können, hielt der nun ebenfalls schallend lachende Mayora sie davon ab. Mayora lachte? Das passte nicht zu ihm! Das war falsch! Es fühlte sich fast schon so an, als habe man sie ihn den Alptraum von vergangener Nacht zurückversetzt... Sie wurde aus ihren überraschten Gedanken gerissen, als sie die Aura, oder sie sie es nennen sollte, des Grünhaarigen plötzlich wieder spüren konnte und mit einem Mal wurde ihr davon so schlecht, dass sie das Gefühl bekam, sich an Ort und Stelle übergeben zu müssen und schlug sich geschockt beide Hände vor den Mund. Auch die anderen drei, sprich Jiro, Lilli und Tai, die nicht so sensibel waren wie sie, wirkten einen Moment lang wie versteinert und waren erbleicht. „Natürlich!“, machte Mayora da mit einer Stimme, die so kalt war, dass das Mädchen befürchtete, die Wüste würde gefrieren, „Wer würde ihrem liebreizenden Charakter nicht erliegen?“ Dann ging er. Eine Weile standen die Vier da wie bestellt und nicht abgeholt, bis sich Choralys Übelkeit ein wenig gelegt hatte und sie es wieder wagte zu sprechen. „Was in Himmelsnamen war denn das?“, machte sie unterkühlt, als habe der Himmelsblüter sie schockgefrostet. „Seine Götter waren bei ihm!“, antwortete Tai ehrfürchtig und so leise, als spreche sie ein gehütetes Geheimnis aus und befürchtete, jemand fremdes würde es hören. „Er muss ziemlich schlechte Laune haben.“, mischte sich da auch Lilli ein, wandte sich dann aber ab. „Komm Tai, mir ist zu heiß, gehen wir wieder rein.“ Sie nahm das blonde Mädchen an der Hand und führte es ohne weitere Worte in die Hütte zurück. „Oh je, das ist alles meine Schuld.“ Jiro schaute die übrig gebliebene entschuldigend an. „Mayora ist gefährlicher, als man denkt. Ich sollte vorsichtiger sein... egal, gehen wir.“ -- Choraly interessierte sich abermals recht wenig für das langweilige Dorf. Wenn sie den Friseur suchte, würde sie sich schon durchfragen können.. Viel mehr war es ein Moment, in dem sie sich schon wieder in ihr altes Leben zurück wünschte. Sie wollte dieses widerliche „Abenteuer“ hinter sich lassen und glücklich bis ans Ende ihrer Tage mit ihrer Familie in der großen Stadt leben. Ihr grauste es jetzt schon davor, wenn sie daran dachte, dass sie wieder in dieses Himmelsblüter verseuchte Gebäude zurück musste... „... und hier ist unser Glaser.“, Jiro deutete auf eins von tausend gleich aussehenden Häusern und blinzelte dann, „Das interessiert dich nicht, oder?“ Er kratzte sich ein wenig verlegen am Kopf. „Ich kann mir vorstellen, woran du denkst. Du fürchtest dich jetzt vor Mayora, oder?“ Ja, fast. War der kleine Bastard etwa doch schlauer, als er zugab? Bemerkenswert... „Ist irgendetwas passiert, was ihn gereizt haben könnte? Es hat mich nämlich auch überrascht, normalerweise braucht es nämlich sehr viel, um ihn überhaupt irgendwie aus der Reserve zu locken...“ Choraly senkte schuldbewusst den Blick. „Nun ja, ich war nicht gerade sehr nett zu ihm.“, gab sie zu, „Aber er ist schließlich nur ein Himmelsblüter!“ Trotzig die Arme vor der Brust verschränkend starrte sie zu Boden. Ihr Gegenüber hob eine Braue. „Was genau hast du zu ihm gesagt?“ „Das ich lieber einen giftigen fleischfressenden Kaktus zum Freund hätte als ihn und...“ „Mach dir nichts daraus, es hat an mir gelegen.“ Beide sahen auf und schauten in Imeras grinsendes Gesicht; nahezu zeitgleich verdunkelte sich das von Jiro bedrohlich. Ein böse schauender Jiro war fast genau so gruselig wie ein lachender Mayora; das Mädchen erschauderte. „Imera.“, machte der jüngere der beiden Jungen da auch schon, „Na dann ist ja alles klar. Kannst du dich nicht einfach von ihm fern halten, zum Wohle der Allgemeinheit?“ Der Ältere lachte. „Was schert mich die Allgemeinheit? Außerdem wollte ich nicht ihn, sondern Choraly treffen, aber Chatgaias Schoßhund wurde anscheinend zu Choralys Wachhund degradiert.“ Er schaute zu dem Mädchen und lächelte lieb. „Mach dir keine Sorgen, er wird dir nichts tun, schon allein weil ich dich mag. Glaub es oder nicht, aber die kleine Missgeburt hat Angst vor mir.“ Sie hob tatsächlich ziemlich ungläubig beide Brauen. Angst? „Aber du bist doch bloß ein normaler Mensch, Mayora könnte grausige Dinge mit dir anstellen, wenn er wollte.“ Jiro zischte, schwieg aber und Imera verdrehte die Augen, lächelte dabei aber noch immer nett. „Eben, das ist sein Problem, der Typ wurde ohne eigenen Willen geboren. Seit ich denken kann, hat er immer nur das getan, was andere von ihm verlangt haben. Und wenn Chatgaia nicht will, das mir etwas geschieht, und das will sie sicherlich nicht, dann tut er mir auch nichts. Und so lange du in Gunsten der alten Schachtel stehst, wird er dir auch nichts tun, verlass dich drauf. Nicht, Bastard?“ Ein provozierendes Grinsen hatte sich in sein hübsches Gesicht geschlichen, das Choraly, je länger sie es betrachtete, an irgendwen erinnerte. Jiro hingegen fauchte. „Aber ich habe einen Willen, du Hirni, also halt deine Zunge fest, sonst hast du gleich keine mehr!“ Bei dem Gedanken an einen Jiro, der einem Imera die Zunge heraus riss, wurde der 15-jährigen beinahe schon wieder schlecht, der Angesprochene hingegen belächelte die Drohung des Jüngeren allerdings bloß milde. „Soll ich mich jetzt fürchten?“, er musterte sein vom Wüstensand völlig eingestaubtes Gegenüber kurz, „Du bist größer und körperlich vermutlich stärker als ich, das gebe ich zu. Aber erstens kannst du mir nicht nachsagen, ich würde lügen und zweitens ist doch scheiß-egal, wer in diesem Kaff welchen Willen hat, solange Mayora ein einsamer Krieger in Lady Chatgaias Armee ist, sorgt er, beziehungsweise sein Frauchen schon dafür, das alles so ist, wie sie es sich wünscht. Und du weißt, wie es um Thilia steht und von dem Versprechen, dass sie meiner Mutter gegeben hat. Ich wäre der Letzte, bei dem die Trulla zulassen würde, dass ihm etwas passiert. Das weißt du.“ Er wandte sich ab und ging. Jiro seufzte. Der musste etwas sagen, er war doch noch tausend Mal nutzloser als er selbst! „Noch mehr Fragen, oder?“ Er wandte sich verlegen lächelnd an Choraly, die dem jungen Mann nach starrte. „Nur eine.“, antwortete sie, „Hat er eine Freundin?“ -- „Mayora!“ Chatgaia fauchte und der Junge sah monoton, aber doch schuldbewusst zu Boden. „Du wirst dich entschuldigen, besonders bei der armen Choraly, sie gehört doch zu den Sensiblen! Hoffentlich wird sie jetzt nicht krank... oh nein... nichts als Ärger mit der Jugend...“ Sie fuhr sich durch ihr abermals streng zusammen gebundenes Haar und seufzte. So konnte es nicht weitergehen, vor allem nicht, wenn die Götter ihr schon eine neue Seele geschenkt hatten... „Ich weiß auch nicht, was mit mir los war. Ich bin in letzter Zeit sehr ungehalten...“ Ich hätte mich so wie so bei ihr entschuldigt, soweit denken kann ich noch! Er sprach seine Gedanken nicht aus, vor allem, weil er eigentlich bloß zornig auf sich selbst war und seinen Ärger nicht auch noch an seiner Tante auslassen musste. Er musste doch wieder zur Vernunft kommen! „Dann zügle dich!“, fuhr sie ihn barsch an, ehe auch sie versuchte, wieder vernünftig zu werden und zur Beruhigung tief ausatmete, „Jiro wird sie jeden Moment zurückbringen. Dann zeigst du ihr, wie sie den Kräutergarten zu pflegen hat, das wird ihre einzige Aufgabe sein, also mach es ordentlich. Zu mehr ist sie nämlich nicht zu gebrauchen.“ Er nickte und wie auf das Stichwort öffnete sich die Tür und die beiden Menschen betraten das Haus, der Junge wenn auch nur kurz. „Hier ist sie wieder und noch alle Körperteile sind dran. Ich gehe jetzt.“ Er nickte Chatgaia knapp zu und verschwand so schnell es ihm möglich war. Choraly für ihren Teil fühlte sich allein gelassen. Erst war er so übertrieben angewidert gewesen, als sie nach Imeras, Himmel sei Dank nicht vorhandener, Freundin gefragt hatte und dann ließ er sie auch noch bei diesen Wahnsinnigen allein. Sie konnte nur hoffen, dass ihr hübscher Schwarm Recht hatte... Apropos Recht, war es denn recht, sich zu verlieben, auch wenn der Vater schon vor vielen Jahren einen passenden Mann für einen ausgesucht hatte? Sie war sich nicht ganz sicher, aber was ihr Vater nicht wusste, konnte ihn auch nicht ärgern... hoffte sie zumindest. Außerdem war er ihr, falls sie ihn denn irgendwann wieder sehen würde, so wie so so böse, dass das nicht mehr ins Gewicht fallen würde... „Denkst du, du findest dich halbwegs zurecht?“ Chatgaias seltsame Stimme riss sie aus den Gedanken und sie nickte. „Ich glaube schon, ja.“ „Gut. Mayora wird dich jetzt mit meinem Kräutergarten vertraut machen, sein Wohlergehen wird in Zukunft deine Aufgabe sein.“ Sie lächelte wieder seltsam und dem Mädchen wurde bei dem Gedanken, wieder allein mit diesem Giftzwerg zu sein, ganz mulmig, egal, was auch immer Imera ihr versprochen hatte. „Eine Frage habe ich allerdings noch.“, wagte das Mädchen sich schließlich einzuwenden, „Ihre Gastfreundschaft in allen Ehren, aber was ist, wenn ich gar nicht hier bleiben möchte, sondern zu meinem Vater zurück nach Wakawariwa?“ Chatgaia wandte sich ab. „Das habe ich nicht gehört.“ -- Eigentlich war das doch strafbar. Es war nicht erlaubt, Menschen gegen ihren Willen irgendwo festzuhalten und Fluchtmöglichkeiten gab es auch kaum, oder? Hier war nur die Wüste und der Himmel, Choraly fragte sich, wie die Leute überhaupt hier hin gekommen waren, Mayoras monotone Anweisungen zur Pflege des Kräutergartens völlig ignorieren. Gießen hier, Unkraut jäten da; sie wusste schon wie das ging. Theoretisch. Konnte doch nicht so schwer sein. Und überhaupt, was brauchte die Frau einen Kräutergarten, um den sie sich nebenbei bemerkt genauso gut hätte selbst kümmern können? Also echt, ihr Vater würde die Hexe zermalmen wenn er erfuhr, was für eine erbärmliche Arbeit seine Tochter verrichten hatte müssen, selbst wenn er wütend auf sie war. So etwas entehrte nämlich die Familie. „Alles verstanden?“ Die monotone Stimme des Himmelsblüters riss sie aus ihren Gedanken. Besser so, sonst hätte sie sich schon wieder in etwas hinein gesteigert... „Ja, denke schon. Werde ich schon schaffen.“ Sie lächelte ihn falsch an. Sie erinnerte sich dunkel daran, dass Atti ihren Vater vor langer langer Zeit auch falsch angelächelt hatte, aber sie wusste nicht mehr, weshalb. Auch egal. Mayoras Brauen zuckten kurz. Konnten diese Viecher etwa auch sehen, wenn man sie anlog? Das wäre ja der Horror gewesen, dann würde sie ja gar nicht von hier weg kommen...! „Hör mal, Mädchen aus der großen Stadt...“, sie erschauderte, „Tut mir Leid, wenn ich dich heute morgen erschreckt habe, das war sicher nicht meine Absicht. Ich war bloß gereizt... Verzeihung bitte.“ Er senkte entschuldigend den Blick. Ja richtig, sein Aussetzer bei Jiro und den beiden anderen. Die Brünette verengte ihre Augen zu schmalen Schlitzen und funkelte ihr Gegenüber bedrohlich an. „Das hättest du wohl gern.“, machte sie und er hob den Kopf wieder und erwiderte ihren Blick, „Wegen dir hätte ich mich beinahe auf offener Straße übergeben, mir wird ja schon schlecht, wenn ich nur an das Gefühl denke, das ich heute morgen hatte! Mach das gefälligst nie wieder! Der Junge hielt kurz inne, dann nickte er. „Ich verspreche es dir.“ -- In der Nacht hatte Choraly schon wieder einen Alptraum, aber er war völlig anders als der Vorherige. Alles was sie sah, war schwarz-weiß oder auch sepia, sie konnte keinerlei wirkliche Farben erkennen. Befinden tat sie sich in einem Dorf, keinesfalls zu Hause aber auch nicht in Thilia, denn die Straßen waren sehr ordentlich gepflastert und die Gebäude in einem gänzlich anderen Stil erbaut als die des Wüstendorfes. Am Ende des Weges, an dem sie sich befand, sah sie Kinder, Jungen, wenn sie nicht alles täuschte. Sie waren doch recht weit weg, aber vom Körperbau schätzte sie sie auf zwischen sieben und neun Jahre. Sie wirkten alle recht verschwommen, es waren keine Gesichter zu erkennen und irgendwie schienen sie alle gleich zu sein. Und trotzdem verschieden. Seltsam. Zwei Jungen stachen allerdings besonders aus der Menge heraus. Man konnte von ihnen nicht mehr erkennen als von den anderen, doch irgendetwas sagte dem Mädchen, dass sie ihre Aufmerksamkeit auf die Beiden legen sollte. Einer von ihnen war viel kleiner als der Rest der Gruppe, von der Größe her etwa vier bis fünf Jahre alt und hielt sich ein wenig abseits. Irritiert von dem was sie sah, verfolgte die Braunhaarige die Szenerie mit schief gelegtem Kopf und musste schon sehr bald feststellen, dass ihr Traum nicht nur farb- sondern auch tonlos war, denn die Kinder sprachen, ohne dass man etwas hören konnte, auch wenn sie sich gegenseitig wohl verstanden. Sie redeten mit dem Größeren der beiden besonderen Jungen, und eine Weile geschah nichts besonderes. Dann wandte er sich ab und ging zu dem Kleinen, dem er etwas zu zuflüstern schien und dann herzhaft zu lachen begann. Auch die anderen lachten, bloß der Jüngste blieb stumm und lies den Kopf hängen. Hatte er sich über ihn lustig gemacht? Noch immer lachend stieß er sein Gegenüber schließlich unsanft zu Boden und die junge Frau verspürte urplötzlich das große Verlangen, dem Kind zu helfen. Er war doch viel kleiner als die Anderen und ganz allein! Doch noch ehe sie etwas hätte tun können, wechselte die Szene. Sie fand sich in einer Art Tempelanlage wieder, einer solchen, wie sie manchmal in Abenteuerbüchern beschrieben wurden. Alles wirkte recht modrig und sehr sehr alt. Erhellt wurde der große, scheinbar steinerne Raum bloß von zwei Fackeln, die weiter vorn in der Nähe einer Art Altar befestigt waren. Eben dort knieten zwei Frauen, die sie nur schemenhaft erkennen konnte und schienen zu beten. Oder so ähnlich. Sie konnte zwar hören, was sie sagten, doch waren die Worte in einer dem Mädchen völlig unbekannten Sprache gesprochen. Und das wollte etwas heißen, auf ihrer Welt gab es schließlich nur sehr wenige Sprachen und die Meisten kannte die junge Frau zumindest vom Hören... Eine Weile geschah auch hier nichts, bis plötzlich die Fackeln erloschen und sich nach einem Moment der absoluten Finsternis wieder von selbst entzündeten. Zunächst verstand Choraly den Sinn der Aktion nicht, doch dann erkannte sie den entscheidenden Unterschied zu eben; an Stelle der beiden fremden Frauen knieten nun die sterblichen Überreste ihrer Mutter und von Atti vor dem Altar und beteten weiter, bis sich urplötzlich hinter ihnen und auch hinter ihrer Zuschauerin eine große Tür öffnete und eine Horde gesichtsloser Männer und Frauen den großen Raum betraten und die beiden toten Frauen zu umzingeln schienen. Sie hielten Fackeln, die statt heller dunkler machten und einfache Gebrauchsgegenstände, die in ihren blassblau schimmernden Händen wie die furchtbarsten Waffen aussahen. Naputi Magafi, oder eher ihr verkohlter, einarmiger Körper, der in krassem Gegensatz zu ihrem erschreckenden Aussehen in ein hübsches Gewand gehüllt war, erhob sich und wandte sich den Gesichtslosen zu, ihre Tochter ignorierend. Oder sah sie sie nicht? „Es ist soweit.“, sagte ein Mann gefühllos und die tote Frau nickte. Einige Sekunden vergingen, bis sich alle Menschen zeitgleich, als ob es ein unsichtbares Zeichen gegeben hätte auf sie stürzten, zuschlugen und stachen mit allem was sie hatten. „Mama!“, kreischte das Mädchen nun panisch. Sie wollte ihr helfen, aber ihre Beine bewegten sich nicht; so sah sie zu Atti, die die ganze Szene ignorierend noch immer vor dem Altar kniete und betete. „Atti! Atti, du musst Mama helfen! Bitte, Atti! Atti!“ Ihr kamen die Tränen, als sich ihr ehemaliges Kindermädchen auch nach mehreren Aufforderungen um keinen Zoll bewegt hatte. Sie wollte ein letztes Mal schreien, da waren mit einem Schlag alle Leute weg. Erschrocken starrte sie auf die Stelle, an der sie ihre Mutter zuletzt gesehen hatte und erstarrte. Da lag sie am Boden; tot, aber so schön wie zu Beginn ihrer Reise und mit beiden Armen, noch immer in diesen fremden, aber sehr hübschen Stoff gehüllt. Das Mädchen wusste nicht, ob es lachen oder weinen sollte und wie von selbst wanderte ihr Blick wieder zu Atti, die noch immer betete. Sie trug ein ähnliches Kleid wie ihre Mutter und ihre Beine waren nicht mehr verkohlt, sie lebte! „Atti...“, flüsterte das Mädchen mit bebenden Lippen erfreut und sie hätte vor Verzweiflung schreien können, als sich die Türe hinter ihr ein weiteres Mal öffnete und nun eine Person, zwar allein, aber gruseliger als alle Gesichtslosen zusammen, den Raum betrat und es nun ihr Kindermädchen war, das sich erhob und dem jungen Mann ohne eine Miene zu verziehen entgegen stellte. Choraly fror in der Bewegung ein, als sie ihm in sein Gesicht blicken wollte. Das war nicht möglich. Das konnte nicht sein. Nie zuvor hatte sie ein so abgrundtief böses, berechnendes und eiskaltes Grinsen gesehen als bei ihm, noch nie so seltsame Kleidung und Schmuck und noch nie hatte sie erlebt, dass man die Bosheit nicht nur an einer himmlischen Aura fühlen konnte, was ja schon besonders genug war, sondern sogar sah, wie sie ihren Inhaber wie eine Art Flamme umgab. Der Mann zog eine sehr seltsame Art scharfen Dolch aus seinem Gürtel und in diesem Moment wusste sie, was Atti nun blühen würde. „Nein...“, heulte sie, „Nein...!“, und nutzte die plötzliche Möglichkeit auf die Knie zu fallen. Das Schauspiel des erneuten Todes ihres Kindermädchens blieb ihr allerdings nicht erspart. Sie sah durch ihre krampfhaft geschlossenen Lider, wie man ihr die Kehle durchschnitt und das Blut nur so spritzte. Während der ganzen Prozedur weinte sie still vor sich hin und erwachte erst aus ihrem leisen Heulkrampf, als der Mörder seine Tat vollendet hatte und sich nun ihr zuwandte, sie mit seinem irren Blick musternd. Dann tat er den Mund auf und sagte etwas mit völlig verdrehter Stimme, das sie nicht verstand, weil es auf dieser abartigen fremden Sprache gesprochen war. Einen Moment später schlug sie die Augen auf. In ihrem Zimmer war es nicht dunkel, der Vollmond erhellte es. Langsam und unfähig irgendetwas, was sie tat oder sah wirklich zu realisieren, setzte sie sich auf und schaute instinktiv zu ihrer Tür, in deren Rahmen Mayora stand. Er sah nicht monoton aus, eher sah das Mädchen in Ungedanken in seinem Gesichtsausdruck ein Spiegelbild ihrer selbst. Durch die seltsamen Klamotten, die er wohl zum schlafen trug und sein zerzaustes Haar kaufte man ihm seine 17 Jahre nun endgültig nicht mehr ab, aber das war Choraly momentan ziemlich egal, besonders weil sie es eh nur am Rande registrierte. Ihr Blick galt allein seinem leichenblassen, völlig verwirrten und noch halb abwesenden Gesicht, das genauso auch zurückschaute. Dann stellte der Junge eine wahrhaft seltsame Frage. „... warum habe ich dein Kindermädchen getötet?“ --- Tada. *drop* Ich bin gerade so entmutigt uû" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)