Jumays Kinder von -Izumi- (Part 5: Kinder des Wassers - Verloren im Sand) ================================================================================ Kapitel 4: Wille der Götter --------------------------- Eine Weile starrten sich die Beiden stumm an, ehe es Mayora war, der den Blick scheu wie ein Beutetier abwandte, verwirrt und irgendwie verzweifelt auf den Boden sehend. „Ich bin nichts besonderes in meinem Volk.“, begann er dann zögernd, „Ich habe keine Fähigkeiten, die mich von meinen Brüdern und Schwestern unterscheiden. Ich gehöre nicht zu den wenigen, die Zeichen außerhalb des angeborenen Elementes deuten und die nicht nur mit ihren eigenen Göttern, sondern auch mit den Göttern des Himmels kommunizieren können. Träume bedeuten in diesem Falle sicher nichts Gutes...“ Er lies sich an dem Türrahmen hinab gleiten, bis er auf dem hölzernen Boden aufkam, schließlich seine Beine anzog und seine Arme schützend darum schloss. Dann schwieg er. Choralys erste Frage in ihren sich nun langsam aber sicher aufklarenden Gedanken war dann doch, ob der Junge nun wohl gedachte, die ganze restliche Nacht dort sitzen zu bleiben, aber bei seinem Gesicht schien die Lage wohl doch ernster zu sein, als geahnt und sie verwarf sie wieder. „Und was geschieht jetzt?“, fragte sie dann doch nach einer gewissen Zeit der Stille ernüchtert und der Grünhaarige zuckte mit den Schultern und erhob sich wieder, ihren Blick meidend. Er antwortete ihr nicht direkt, stellte stattdessen zunächst eine Gegenfrage. „Wie weit hast du diesen Traum verstanden? Hast du etwas mit den Kindern aus dem ersten Teil anzufangen gewusst? Oder weißt du, wer die ersten beiden Frauen in dem Tempel waren?“ Seine Monotonie war zurückgekehrt und nun wagte er es wieder, sie von der Seite anzuschielen. Sie hob bloß beide Brauen. „Ähm, nein. Im ersten Teil war ich bloß Zuschauer; glaub mir, wäre ich es nicht gewesen, hätte ich dem armen Zwerg sicher geholfen. Und im zweiten Teil...“ , sie überlegte kurz, „Zu Beginn war ich auch bloß unbemerkter Zuschauer, mehr oder weniger frei bewegen konnte ich mich erst mit deinem Auftauchen. Und gekannt habe ich außer dir, Atti und Mama niemanden, nein. Und du?“ Es war zwar seltsam, mit Mayora zu reden, ohne ihn dabei zu beleidigen, aber hier konnte das Mädchen wohl eine Ausnahme machen. Wenn der Giftzwerg Recht hatte, und irgendwie zweifelte sie nicht daran, hatten irgendwelche Götter ihnen diesen Traum geschickt, die ihnen damit etwas mitteilen wollten. Ob ihr Überleben am Ende doch kein Zufall gewesen war...? „Ich habe ausnahmslos alle gekannt.“, riss sie der angeblich 17-jährige aus ihren Gedanken, „Auch Naputi Magafi und dein Kindermädchen Atti. Im ersten Teil des Traumes habe ich dich allerdings genau so wenig bemerkt wie du mich... und frag am Besten gar nicht erst, ich habe keine Ahnung, weshalb ich die arme Atti getötet und weshalb ich in alter Sprache mit dir gesprochen habe...“ Sie schrak auf. „Du kannst diese Sprache?“ Mit einem Nicken beantwortete er ihre Frage und wandte den Blick wieder ab. „Sie wurde mir angeboren, ich konnte sie automatisch.“ Himmelsblüter wurden immer gruseliger, je länger man sich mit ihnen befasste, fand die junge Frau, während sie bei seinen Worten erschauert war. Aber wenn er diese Sprache konnte, hieß das doch... „Was haben Mutter und Atti da gebetet? Und was hast du zu mir gesagt?!“ Er seufzte. „Es war kein Gebet, eher eine Art Formel, die die Kalenao vor langer Zeit gesprochen hatten, wenn sich irgendein Unheil angekündigt hatte. Beispielsweise eine schlechte Ernte, ein Unwetter oder eine Seuche. Und was ich da zu dir gesagt habe... darüber bin ich mir selbst noch nicht so ganz klar, tut mir Leid. Sobald ich weiß, was ich gemeint habe, sage ich es dir, versprochen.“ Sein Ton duldete keinerlei Widerworte und zwangen die Brünette, sich damit zufrieden zu geben. „Aber vergiss es nicht!“, zischte sie und abermals nickte er. „Sicher nicht. Ich... gehe lieber wieder ins Bett.“ „Mayora?“ Er hatte ihr schon den Rücken zugekehrt, hielt aber noch einmal in der Bewegung inne. „Du bist gar keine 17 Jahre alt, oder? Das sagst du nur, damit man dich ernster nimmt, aber ehrlich gesagt nimmt man dir dein gespieltes Alter nicht ab. Wenn du dich 15 Jahre alt gemacht hättest, hätte es auch gereicht, finde ich.“ Sie sprach nicht spöttisch oder angewidert, sondern völlig ernst und in gutem Willen, das merkte der Himmelsblüter sofort und musste lächeln. „Choraly...“, sagte er dann, ohne sich umzudrehen und sie anzusehen, „Jemand, der so ist wie ich, reift anders heran als jemand der so ist wie du. Ob du es glaubst oder nicht, ich bin tatsächlich schon 17 Jahre alt. Aber gut, dass du mich einfach darauf angesprochen hast, statt dich darüber lustig zu machen.“ Er verschwand in seinem Zimmer, ohne eine Antwort abzuwarten und die junge Frau war verwirrter denn je. -- Chatgaia verließ das Haus immer mit dem Morgengrauen und kehrte zu frühen Abendstunden wieder zurück, Ausnahmen gab es nur selten. Sie war eine der ältesten Himmelsblüter in Thilia und eine Großmagierin, was nichts anderes hieß, als dass sie ihr Fachgebiet nahezu tadellos beherrschte. Aus diesem Grunde wusste sie natürlich auch sehr viel. Während Choraly ihren seltsamen Traum, den sie sich mit Mayora geteilt hatte, als unverständliche Laune der Götter abtat, machte sich der junge Mann allerlei Gedanken darum. Er verstand nicht, was genau ein solchen Ereignis bedeutete, bloß soviel, dass es nicht gut war und äußerst selten vorkam. Seine eigenen Schutzgötter, die immer bei ihm waren und mit ihm sprachen, ließen ihn die gesamte Nacht allein, was ebenfalls nicht gerade dazu beitrug, dass er sich wieder beruhigte und so lief es darauf hinaus, dass er kein Auge mehr zu bekam und seine Tante schon vor Sonnenaufgang in der Küche abfing. „Oh.“, machte diese, als sie ihn an ihrem hölzernen Tisch sitzen sah, „So früh auf den Beinen?“ „Nicht direkt freiwillig...“, antwortete der ziemlich zerzauste Junge etwas zerknirscht und erzählte ihr von der vergangenen Nacht. „Das ist nicht nur nicht gut, das ist furchtbar!“ Chatgaia rannte entsetzt durch das Erdgeschoss ihres Hauses, völlig nervös aber zumindest darauf bedacht, die arme Choraly nicht zu wecken und in angemessener Lautstärke zu sprechen. Ihr Neffe war noch immer zerzaust und todmüde; statt die Ältere zu verfolgen blieb er lieber am Tisch hängen und kämpfte gegen seine Augenlider, die sich mehr und mehr der Anziehungskraft des Planeten unterwerfen wollten und gähnte zwischendurch. Es war nicht so, dass es ihn inzwischen nicht mehr interessierte, viel mehr war er einfach gerädert; dabei wusste er noch nicht einmal genau, wovon. „Und was heißt das jetzt genau...?“, presste er mit letzter Kraft leise hervor, als die Magierin gerade zufällig an ihm vorbei rannte und sie hielt inne. „Mayora, ich weiß es nicht genau. Mir war von Anfang an klar, dass Choralys Überleben einen bestimmten Grund hatte, aber doch nicht, dass es etwas mit dir zu tun hat. Oder eher umgekehrt?“ Sie senkte ihre Brauen. „Hast du überhaupt eine Ahnung, was es bedeutet, jemanden, der bereits tot ist, abermals zu töten?“ Zumindest versuchte er, interessiert aufzusehen, aber seine Tante wusste auch so, dass es ihm wichtig war, so fuhr sie bedrohlich leise fort. „Du hast Attis Seele getötet. Sie wird jetzt weder das Himmelreich erreichen können, noch hat sie die Chance, wieder geboren zu werden, sie ist einfach weg, ohne Wiederkehr! Das ist das Schlimmste, was jemandem überhaupt geschehen kann und daran bist du Schuld!“ Wie konnte er daran Schuld sein, wenn er die Dame bis zum Zeitpunkt seines Traumes noch nicht einmal gekannt hatte, fragte sich Mayora weiterhin zerknirscht, deutete seine Gedanken aber bloß mit einem entsprechenden Blick an. In dem Moment, in dem er die Tür geöffnet hatte, hatte er das Gefühl gehabt, im Sinne seiner Götter zu handeln. Aber die Götter des Wassers waren friedlich, im Nachhinein ergab das überhaupt keinen Sinn mehr! Und jetzt meldeten sie sich überhaupt nicht mehr bei ihm, konnte es etwa sein...? Er schrak mit einem plötzlichen Schwall an Reserve-Energie auf. „Denkst du, ich bin besessen?!“, fragte er entsetzt und mit weit aufgerissenen Augen. „Hast du etwas getan, was du nicht hättest tun sollen?“, stellte seine Tante ihm bloß monoton eine Gegenfrage und ließ ihren Blick aus dem Fenster schweifen. Am Horizont konnte man den Sonnenaufgang erahnen... „Böse Windgeister!“, keuchte er und fasste sich an sein Haupt und die Ältere schüttelte bloß den Kopf, ihn weiterhin keines weiteren Blickes würdigend. Angsthase... „Kein Windgeist könnte dich so sehr hassen, dass er deine Götter vertreiben und über deine Seele Besitz ergreifen könnte, das weißt du auch, ohne dass ich es dir erkläre. Sieh es ein, du hast diese grausame Tat aus freiem Willen begangen, es kann nicht anders sein.“ Er sprang auf und schlug mit der Hand ungewollt fest auf den Tisch, brachte sein Gegenüber sogar dazu, leicht zusammen zu zucken. „Das würde ich niemals tun!“, fuhr er sie an, „Warum sollte ich so etwas gemeines machen? Das ergibt doch keinen Sinn...!“ Seine Energie-Reserve war verbraucht und er ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken, verzweifelt das Holz vor sich anstarrend. Chatgaia wandte sich nun endgültig ab und schritt zur Tür, neben der ein Haken angebracht war, von dem sie ihren Mantel nahm und umlegte, den Jungen ein letztes Mal ansehend. „Weil du gemein bist, Neffe. Ich bete für deine böse Seele und dafür, dass du die Kontrolle nicht noch mehr verlierst und schlimmere Dinge tust. Das sind sehr schlechte Zeichen.“ Dann ging sie. „Böse Seele...?“ -- Choralys weitere Nacht war seltsam gewesen. Sie hatte immer wieder den selben Traum gehabt, dessen einziger Inhalt ihre Mutter war, die in einem schneeweißen Kleid wie bekloppt und total panisch vor sich hin rannte. Ansonsten war ihr Schlaf aber ziemlich erholsam gewesen; als sie erwachte, war sie bloß niedergeschlagen, weil sie Naputi Magafi die ganze Zeit vor sich gesehen hatte, ohne wirklich bei ihr zu sein und sie sie deshalb jetzt noch mehr vermisste. Die Sonne war gerade erst aufgegangen, wie ihr ein Blick aus dem Fenster verriet und alles war ruhig. Ob Mayora noch schlief...? Vorsichtig stand sie auf und lugte aus ihrem Zimmer. Als hätte sie es beeinflusst kam der junge Mann gerade in diesem Moment die Treppe hinauf und schlurfte in Richtung seines Zimmers; als das Mädchen ihn genauer ansah, erschrak es. „Himmel!“, machte sie und schlug sich entsetzt die Hände vor den Mund, worauf sie die Aufmerksamkeit des Grünhaarigen bekam, „Bist du tot? Herr Pilot hat ähnlich ausgesehen, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe...!“ Er schüttelte leicht den Kopf und ging weiter, hielt vor seiner Tür aber noch einmal inne. „Ich weiß, dass du mich nicht leiden kannst...“, begann er dann leise, sie nicht ansehend, „Aber könntest du mir einen Gefallen tun...? Auf dem Tisch, unten, da steht ein Korb, darin befindet sich Tee und eine Heilsalbe. Bring ihn bitte zur Familie des Glasers, es ist sehr wichtig... ihre Tochter bekommt sonst wieder schrecklichen Ausschlag...!“ Er verstummt kurz und schloss seine etwas trübe wirkenden roten Augen für einen Moment, dann fuhr er fort. „Ich... ich bin so müde, ich schaffe es einfach nicht, tut mir sehr Leid. Mach es bitte, nicht für mich, sondern für das kleine Mädchen...! Den Rest des Tages kannst du verbringen wie du willst... du hast auch etwas gut bei mir... Bitte!“ Die Braunhaarige blinzelte verwundert. „Du bist nicht müde, du bist krank.“, stellte sie dann ernüchtert fest, „Ich tu es, aber wirklich nur für das Mädchen. Und wehe dir, sie ist nicht süß!“ „Sie ist Zucker.“, machte er müde lächelnd und betrat nun endgültig sein Zimmer, „Vielen Dank, Mädchen aus der großen Stadt...!“ -- „Ich bin echt zu nett für diese Welt!“ Grummelnd tat die junge Frau einen Schritt vor den anderen, die wenigen Leute, die sich zu dieser Uhrzeit auf der Straße befanden, weitgehend ignorierend. Wenn sie die Falschen zu lange ansah, wurde das elende Schwindelgefühl nur noch schlimmer und darauf konnte sie gewiss verzichten. Es reichte schon, wenn Mayora krank war, der Depp... Was der sich auch erlaubte! Gerade erst angekommen und schon schuften müssen... ob das kleine Mädchen wohl auch ein Himmelsblüter war? Ziemlich wahrscheinlich... Da trage ich auch noch zum Wohlergehen dieser Dinger bei...! „Choraly!“ Eine nun wohl bekannte Stimme riss die Brünette aus ihren Gedanken und brachte sie erfreut zum Lächeln. „Imera, guten Morgen!“ Er verneigte sich leicht vor ihr, sie aus seinen blauen Augen seltsam musternd und dann beide Brauen hochziehend. „Was ist in dem Korb?“ „Tee und Salbe.“, machte sie missmutig auf den Inhalt sehend, „Ich soll das Zeug zu der Tochter des Glasers bringen, damit sie keinen Ausschlag bekommt... oder so. Mayora hat mich darum gebeten, er ist krank.“ Ihr Gegenüber lachte. Imera konnte wunderschön lachen, es war fast schon ansteckend, fand Choraly, die sich ein Glucksen nicht unterdrücken konnte, obwohl sie noch nicht einmal verstand, was denn so lustig war. „Fieber, nehme ich an?“, fragte er dann, breit grinsend und sie nickte. „Sah sehr danach aus.“ Kurz inne haltend verzog sie das Gesicht. „Aber ich bin mir nicht sicher, ich hab nicht seine Stirn gefühlt. Ich fasse das Ding doch nicht an!“ Wäre ja noch schöner. Bei dem Gedanken daran, wie sie die Missgeburt gesund pflegte, bekam sie eine Gänsehaut. Theoretisch wusste sie sogar, wie das ging, fiel ihr auf. Atti hatte es oft genug bei ihr getan und wenn sie Zeit gehabt hatte, auch manchmal ihre Mutter. Aber es gab ja noch Chatgaia, die konnte ja sogar Medizin herstellen. Ganz davon abgesehen war an einem bisschen Fieber sicher noch keiner gestorben und der Kerl war schließlich kein Kind mehr, auch wenn er ein bisschen so aussah. „Das kann ich verstehen, Choraly.“ Abermals riss die Stimme ihres Gegenübers sie aus ihren Gedanken und brachte sie wieder zum Lächeln. Imera verstand sie, er war anders als die anderen Freaks in diesem elenden Kaff. Ob er vielleicht auch gegen seinen Willen hier festgehalten wurde? Sie entschloss sich, ihn einfach danach zu fragen, er war schließlich lieb. „Lebst du eigentlich freiwillig hier?“ Sein Blick veränderte sich, wurde einen Moment lang undeutbar. Dann seufzte er, sie ernst ansehend. „Nein, tue ich nicht. Ich stamme aus einem Dorf namens Morika.“ -- Während Choraly sich mit Imera unterhielt, lag Mayora zu Hause im Bett und machte sich noch immer Gedanken. Er verstand das Schicksal nicht, was bedeutete das alles? Wieso war das Mädchen aus der großen Stadt hier aufgetaucht und warum hatte er Attis Geist getötet? Er erinnerte sich an die Worte seiner Tante vom Morgen; Weil du gemein bist, Neffe. Ich bete für deine böse Seele und dafür, dass du die Kontrolle nicht noch mehr verlierst und schlimmere Dinge tust. Das sind sehr schlechte Zeichen. Wusste sie etwas? Warum denn gemein? Oder böse Seele? Hatte sie sich betrunken?! Er verehrte Chatgaia, sah zu ihr auf (obwohl sie ein paar Zentimeter kleiner war als er), aber sie kannte ihn doch! Wie konnte er eine böse Seele haben, wenn er doch nur in ihrem Willen handelte...? „Sehr schlechte Zeichen...“, murmelte er gedämpft in sein Kissen, „Immer ist alles schlecht.“ Es liegt nicht an dir!, hörte er eine liebe Stimme in seinem Kopf flüstern. Zumindest seine Götter waren wieder zu ihm zurückgekehrt. Es war ein gutes Gefühl zu wissen, dass es immer jemanden gab, der zu einem hielt und verhinderte, dass man einsam war. In diesem Aspekt war er ganz froh, kein Mensch zu sein. Fühlten sich Menschen denn nicht verlassen...? -- „Frag nicht weiter nach.“ Imera starrte verbittert den Boden an. „Dort wird dir auch keiner helfen, hier wegzukommen. Wir sitzen im Hexenkessel.“ Er sah traurig aus, wie er dort stand und nicht aufsah. Schon wieder erinnerte er sie an jemanden, den sie kannte, aber sie kam auch jetzt nicht auf die Person. Seltsam... vielleicht Verwandtschaft oder so? Sie wollte ihn nicht noch weiter löchern, wo er so deprimiert wirkte und so senkte auch sie den Kopf. „Glaub mir, ich weiß genau, wie du dich fühlst. Aber...“, sie sah wieder auf, „Ich sollte jetzt vielleicht gehen, bevor das arme Kind tatsächlich Ausschlag bekommt.“ Auch er hob den Kopf wieder und lächelte leicht. „Ja, mach das. Wirst du in nächster Zeit wohl noch öfter tun müssen, denn wenn der Salatkopf nicht gerade Obermacker spielt, liegt er mit Fieber im Bett. Das ist nichts neues.“ Sie blinzelte. „Ist das nicht ungesund? Ich meine, ich weiß zwar nicht, wie so ein Himmelsblüter funktioniert, aber zu oft Fieber zu haben bekommt auf Dauer keinem.“ Sie hörte sich ja fast schon besorgt an, fiel der jungen Frau auf und innerlich schüttelte sie sich vor Gram. Aber so weit konnte Imera wohl noch denken... „Klar ist das ungesund, aber die alte Schachtel kann nichts daran machen.“, antwortete er dann schulterzuckend, „Himmelsblüter sterben von Natur aus früher und das dann an irgendwelchen Lapalien, Chatgaia hat vor vielen Jahren mal zu seiner Mutter gesagt, dass er eh nicht alt wird. Ist mir persönlich aber gerade Recht, um ehrlich zu sein. Wie alt ist eigentlich nicht alt...?“ Er wirkte unbeeindruckt, seine Worte schienen ihn nicht im Geringsten zu berühren. Choraly hingegen jagten sie gegen ihren Willen eine Schauer über den Rücken. Sie schämte sich dafür, aber irgendwie fand sie das... schlimm. „Oh.“, machte sie nur und starrte errötend in ihren Korb, ihr Gegenüber grinste. „Das nimmt dich wohlbehütetes Mädchen wohl mit, nicht? Aber das ist die Welt, das ist der Lauf der Dinge und der Wille der Natur. Außerdem sind es doch nur Himmelsblüter, die braucht eh niemand.“, er kratzte sich am Kopf, „Auch wenn Chatgaia der Meinung ist, die Welt würde ohne sie untergehen, aber das ist wohl nur ihr ausgeprägter Selbsterhaltungstrieb.“ Das Mädchen nickte. „Aber jetzt muss ich wirklich gehen!“ -- Imera war in manchen Bereichen wirklich kaltherzig, stellte Choraly traurig fest. Natürlich konnte sie seine Abneigung den Himmelsblütern gegenüber verstehen, aber dass er deren Aussterben so positiv sah, erschreckte sie schon. Auf das Thema Tod war sie momentan so wie so nicht gut zu sprechen... eigentlich ja nie, wer war sie denn? So klopfte sie ein wenig deprimiert an die Holztür der Familie mit dem Ausschlag-Mädchen und erschreckte sich dennoch, als eine junge Frau ihr die Tür öffnete und sie überrascht ansah. „Hallo!“, machte sie perplex, „Ein neues Gesicht! Also stimmen die Gerüchte wirklich!“ Sie hielt ihr die Hand hin, die die Jüngere bloß etwas abgeneigt ergriff und ihr höflich zunickte, von ihrer Aura ein wenig mitgenommen. „Mein Name ist Choraly Magafi.“, stellte sie sich tapfer vor und deutete dann auf den Korb, „Ich bringe Medizin!“ Die Frau lächelte leicht und fuhr sich mit der nun wieder freien Hand durch ihr zart-violettes Haar. „Ich heiße Hawi Beviri und ich glaube, meine Tochter wird gleich sehr enttäuscht sein...“ Wie auf ein Stichwort erschien neben der Frau ein kleines Mädchen, dass Choraly entsetzt musterte. „Das ist nicht Mayorachen!“, machte es böse. Sein schulterlanges geflochtenes Haar war ebenfalls violett, allerdings dunkler als das der Mutter und ihre Augen waren himmelblau. Auch wenn sie kein Mensch war, Mayorachen hatte Recht gehabt, sie war wirklich süß. Moment, Mayorachen? „Das ist Choraly!“, stellte die Frau unterdessen das perplexe Mädchen vor, „Choraly, das ist meine Tochter Maragi!“ „Freut mich...“, machte sie, auf die Kleine herabsehend, die sie vernichtend ansah. „Wo ist mein Mayorachen?!“ „Er ist krank...“, antwortete die Ältere überrumpelt und bemühte sich um ein Lächeln. Himmel, was ging denn in der vor?! Als hätte die Mutter ihre Gedanken erraten, antwortete sie belustigt lächelnd. „Sie ist ein bisschen sehr verliebt in ihn, weißt du?“ Choraly lachte und Maragi wurde rot bis hinter die Ohren. „Mama!“, fauchte sie, „Das darfst du doch nicht sagen, das ist doch nicht wahr!“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Am Ende erzählt sie es noch weiter und dann hätte sie gelogen!“ Nun lachte sehr zum Leidwesen der Kleinen auch die Mutter. Wie ungerecht! „Keine Sorge!“, machte die Braunhaarige nach kurzer Zeit nach Luft schnappend, „Ich verrate nichts. Aber ist er nicht ein bisschen alt für dich?“ Sie grinste weiterhin. Eigentlich war an der Tatsache, unglücklich verliebt zu sein, nichts zu lachen, aber sie fand den Gedanken so unglaublich lustig, dass diese Liebe ausgerechnet Mayora galt, diesem absoluten Ober-Freak! Ein bisschen Geschmacksverirrung musste da schon dahinter stecken, aber das sprach sie natürlich nicht aus... „Bloß sieben Jahre, das macht gar nichts!“, fauchte Maragi sie an, sie wie so oft auch andere aus ihren Träumereien reißend. Moment, sieben Jahre? „Dann bist du schon zehn?!“ Auch wenn so etwas vermutlich außerordentlich unhöflich war, ihren entsetzten Gesichtsausdruck konnte sie nicht unterdrücken. Die Kleine sah aus wie höchstens sechs! Was waren diese Himmelsblüter bloß für komische Dinger?! Die Mutter kicherte bloß. „Du wirst dich an uns gewöhnen, keine Sorge.“ Da war sich das Mädchen nicht so sicher, aber ihr gutes Elternhaus brachte sie tapfer zum Nicken. Sie musste hier weg, ganz schnell, sonst verlor sie jeglichen Durchblick in der Welt... „Ich möchte Mayorachen besuchen!“, bestimmte Maragi unterdessen an ihre Mutter gewandt, die daraufhin seufzte. „Du weißt doch, dass kranke Leute viel Ruhe brauchen, du solltest ihn nicht stören.“ „Aber Choraly darf ihn stören!?“ Sie streckte der Älteren die Zunge heraus. Oh ja, und wie die 15-jährige ihn stören würde, er hatte ihr schließlich ein zuckersüßes Mädchen versprochen! Außerdem hatte sie ja die offizielle Erlaubnis, ihn zu verhauen, wenn sie Dampf ablassen musste... irgendwie gefiel ihr der Gedanke. „Hat er schon wieder Fieber?“, fragte Hawi Beviri da und sie nickte. Anscheinend war es Dorfgespräch, dass der Depp andauernd wie eine Leiche im Bett herum hing und vor sich hin kochte... er verdiente es nicht anders. Immerhin hatte sie von Anfang an das Gefühl gehabt, es mit einem Arsch zu tun zu haben... das würde sich sicher bald bewahrheiten, sie bereitete sich innerlich schon einmal sicherheitshalber darauf vor... Während sich die Brünette um die Zukunft mit diesem Freak unter einem Dach sorgte, bestimmte Maragi energisch, mal gaaa~nz kurz bei ihrem Süßen vorbei schauen zu dürfen und die Mutter gab sich schwacher Weise schließlich geschlagen. „Aber nur ganz kurz!“, ermahnte sie sie und die äußerlich erfreut lächelnde Choraly würgte innerlich, bei dem Gedanken, das kleine Miststück den ganzen Weg nach Hause an der Backe zu haben. Hatte sie da etwa gerade „zuhause“ gedacht...? Diese abartige Hütte würde niemals ihr zuhause werden! Dafür würde sie den Salatkopf gleich noch viel mehr verprügeln! -- „Mal unter uns, Choraly.“, flötete das violetthaarige Mädchen nun bester Laune auf dem Weg zu Chatgaias Haus und die Ältere verdrehte entnervt die Augen. Allein die Stimme war eine Beleidigung für jedes Ohr! „Mayorachen ist ja eigentlich total hübsch und so, aber er guckt immer so böse, deshalb merkt das niemand. Aber er ist der liebste Junge auf der Welt! Und er ist hübsch, hab ich das schon einmal gesagt?“ Nein, nur hunderttausend Mal. Die Braunhaarige antwortete schon gar nicht mehr; sie hatte gerade einen gewaltigen Würgereitz, aber das lag sicher nicht an der nicht vorhandenen Aura der kleinen Göre... sie schreckte auf. „Du bist gar kein Himmelsblüter!“, stellte sie nahezu geschockt fest und starrte die Kleinere an, die daraufhin blinzelte. „Ich dachte, wie sprechen von Mayora.“, machte sie bloß, „Warum soll ich denn keiner sein? Man sieht es mir doch an, oder nicht?“ Ein etwas gemeines Grinsen schlich sich auf ihre Lippen und Choraly legte perplex den Kopf schief. „Oder warst du mit zehn so klein wie ich? Dann hättest du aber mein vollstes Mitleid, Menschen die in meinem Alter so Aussehen wie ich leiden entweder an einer Krankheit oder sind einfach total gestört und zurückgeblieben!“ Wollte sie sie beleidigen? Bei ihren letzten Worten war sie etwas lauter geworden und ihre Augen funkelten seltsam... wütend? Warum war sie wütend auf sie? „Warum bist du sauer auf mich?“, fragte sie einfach, ihrer Abneigung in ihrem Tonfall nun ein bisschen freien Lauf lassend und Maragi schnaubte. „Und das wagst du noch zu fragen?!“, machte sie außer sich, „Du kommst einfach hier her, kein Mensch kennt dich, du bist unhöflich, doof und hässlich und trotzdem darfst du bei dem süßesten und hübschesten Jungen der Welt leben! Wo bleibt da die Gerechtigkeit?!“ Die Ältere grinste. Sie hätte sich rechtfertigen können. Sie hätte sagen können, dass sie gewiss nicht freiwillig hier war, dass sie, wenn man es genau nahm, wie Mayora bei Chatgaia lebte, der das Haus gehörte und dass sie den Grünhaarigen obendrein total abartig fand, aber nun hatte das kleine schwer verliebte Mädchen ihre sadistische Ader geweckt. „Ach daher weht der Wind.“, gackerte sie stattdessen, „Ja, das Glück ist nun mal mit mir. Wobei ich Mayora ein wenig aufdringlich finde, ich bin schließlich erst ein paar Tage hier und er war schon zwei Nächte lang bei mir... ich kann dir nur sagen, dass...“ Sie brach ab, als sie sah, wie die himmelblauen Augen ihres Gegenübers zunächst tellergroß wurden , dann bedrohlich glänzten und es schwer zu atmen begann. Oh weh, sie glaubte das...? „Das ist nicht wahr!“, sie wandte sich ab und rannte weg, wieder in Richtung ihres Hauses und die Brünette blinzelte. „Du lügst!“ „... ich kann dir nur sagen, dass das wirklich nicht wahr ist.“, beendete die junge Frau ihren Satz dann perplex. Na wenigstens war sie die kleine Ober-Missgeburt jetzt los. Wenn schon ein verdammter Himmelsblüter, dann richtig! Keine Aura, tse... -- „Nicht, dass ich etwas gegen Kunden hätte, aber schon wieder ihr beiden? Ihr habt echt zu viel Freizeit....!“ Tafaye lehnte sich entnervt über den Tresen der kleinen Schneiderei seines Vaters. Zu dieser Zeit kümmerte eben dieser sich meistens um die Garnherstellung, da die ersten Kaliris nun reif waren und so musste sein Sohn, mit 20 Jahren gewiss erwachsen, sich um den Laden und die Kundschaft kümmern. So war das nun mal, aber die beiden Damen nervten wirklich... „Sei gefälligst dankbar, du Arsch!“ Ein groß gewachsenes Mädchen mit kurzem blondem Haar beugte sich von der entgegengesetzten Seite über den hölzernen Verkaufstisch, genau vor den jungen Mann, der durch den weiten Ausschnitt ihres ansonsten wenig aufreizenden T-Shirts einen grandiosen Ausblick auf ihre Oberweite hatte. „Nicht schlecht...“, machte er, interessiert schauend, ihre Beleidigung gekonnt ignorierend. Sie war eben ein Schandmaul, er kannte sie ja. Und sie kannte ihn und rollte auf seine Bemerkung hin bloß entnervt mit den Augen. „Als ob du die nicht kennen würdest... außerdem kann ICH nichts dafür, wenn mein Cousinchen andauernd alles kaputt macht!“ „Hey!“, machte ein weiteres Mädchen, wesentlich kleiner und spindeldürr empört, „Die Hose ist doch gerissen, als du sie anziehen wolltest!“ „Bla bla, egal, mach das Ding wieder heile, du Pseudo-Schneider!“ Sie knallte ihm eine schwarze Hose auf den Tisch, so klein, als gehöre sie einer Anziehpuppe, am Hintern unschön eingerissen und der „Pseudo-Schneider“ konnte sich ein Glucksen nicht unterdrücken. „Was bist du auch so klapprig?!“, fuhr die Blonde unterdessen ihre jüngere Cousine an, die darauf bloß frech grinste. Eigentlich war die Frage ja berechtigt, dachte sich Tafaye ernüchtert, das Mädchen mit dem hellbraunen Zopf musternd. An ihrem Körper war kaum etwas weibliches, mit viel Fantasie hatte sie vielleicht eine Taille, aber das war es auch schon. Und SO viel Fantasie hatte nicht jeder, in seinen Augen sah sie eher aus wie ein kleiner Junge. Nicht wie ein kleines Mädchen, dafür grinste sie viel zu frech. „Das mach ich nicht mit Absicht...“, rechtfertigte sie sich unterdessen für ihre Figur weiter grinsend und während er sich an die Puppen-Hose machte, fiel ihm etwas auf. „Sag mal...“, er wandte sich an die Kleinere, „Hat jemand deine Stimmbänder geschmirgelt oder so? Du hörst dich ja grausam an...“ Tatsächlich war ihre Stimme rau und krächzend und sie errötete beschämt zu Boden sehend. „Sie hat eine Stimmbandentzündung, du Dampfnudel, du weißt doch wie anfällig sie auf Krankheiten ist!“, rechtfertigte ihre größere Cousine sie freundlicher Weise. „Himmelsblüter haben es nicht leicht...“, antwortete der Blonde bloß kopfschüttelnd, weiter an dem hosenähnlichen Teil flickend, „Mann, solche fremdartigen Stoffe mit Kaliri-Garn zu reparieren ist nahezu unmöglich!“ „Stell dich nicht so an, du Null...“ Beide Brauen hebend, schwang sich die Große auf den Tresen und schaute ihm bei seiner Arbeit zu; die Kleine blieb stehen und starrte weiterhin eingeschüchtert zu Boden. „Wenn du jetzt brav bist, erzähl ich euch was schönes...“, murmelte der Schneider darauf leicht angesäuert und die Mädchen warfen sich einen raschen Blick zu. „Klatsch und Tratsch aus dem Dorf? Immer raus damit!“ Er sah auf und grinste, seine Arbeit unterbrechend. „Wir haben ein neues Gesicht in Thilia. Choraly Magafi aus einer großen Stadt namens Waka-Irgendwie. Oder so...“ „Wakawariwa!“, brach das Mädchen mit den Zopf trotz der seltsam klingenden Stimme, „Das ist die größte Stadt auf der ganzen Welt!“ „Rede keinen Scheiß!“, machte die Ältere an Tafaye gewandt, nicht weniger verblüfft wie ihre Vorrednerin, die gerade dabei war, aus allen Wolken zu fallen und dieser setzte seine Arbeit fort. „Sie sieht ziemlich hübsch aus und hat ganz angenehme Maße, muss ich sagen. Aber du hast die schönere Oberweite...“ Er unterbrach sich selbst, als er bemerkte, dass die Mädchen, untereinander redend , ihn völlig ignorierten und seufzte kaum hörbar. „Wie cool, jemand richtig zivilisiertes!“ „Magafi? Hieß so nicht irgendein Politiker?“ „Seit wann kennst du dich denn mit Politik aus?!“ „Wollt ihr wissen, wo ihr sie findet?“, mischte sich Tafaye irgendwann wieder ein, von der Hose aufsehend und die jungen Frauen nickten heftig. „Auf jeden Fall!“ „Bei Chatgaia und Mayora!“, grinste er. Gesicht verziehend fuhr sich die Blonde durchs Haar. „War ja klar. Aber ich hab schon lange niemanden aus „der anderen Welt“ mehr getroffen. Außer den Leuten in der Station, aber die Spastis gelten nicht...“ „Ja, ich will sie unbedingt kennen lernen!“, krächzte die Kleinere voller Elan, „Am besten jetzt gleich, wo wir doch schon einmal im Dorf sind!“ Ihr Gegenüber nickte. „Mach mal hinne, du Sack, du hörst doch, dass wir noch etwas vorhaben!“ Der „Sack“ rollte ein weiteres Mal die Augen. „Ich bin schon seit Ewigkeiten fertig, meine Damen. Wenn man euch denn so bezeichnen kann...“ Die Blonde nahm die Hose unsanft entgegen. „Ach halts Maul, sonst sagen wir deinem Papi, dass du dich nicht schickst und dann gibt’s Dresche!“ „Der soll es wagen...!“, zischte der Ältere bloß, die Arme vor der Brust verschränkend, „Na los, haut schon ab!“ Noch bevor er den Satz zu Ende gesprochen hatte, war das blonde Mädchen schon aus der Tür verschwunden, die Kleinere hielt davor noch einmal inne und verneigte sich höflich vor dem Schneider. „Danke, dass du das so schnell reparieren konntest!“ Dann verschwand auch sie. ---- Kappi 6 hat eigentlich einen anderen Namen "XD Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)