Jumays Kinder von -Izumi- (Part 5: Kinder des Wassers - Verloren im Sand) ================================================================================ Kapitel 5: Wüstenbewohner ------------------------- „Pinita, du machst die Tür kaputt!“ Das zierliche Mädchen mit dem Zopf starrte ihre Cousine mit großen Augen an, während diese den Eingang zu Chatgaias Haus demolierte, oder wie sie es bezeichnete, „anklopfte“. „Ich weiß doch genau, dass mindestens einer dieser Freaks zu Hause ist!“, schnaubte diese darauf, von dem Holz ablassend und nun hoch sehend, zu den Fenstern der oberen Etage. „DÜRFEN WIR MAL REINKOMMEN?!“ Sie schrie so laut, dass alle Menschen, Himmelsblüter, Tiere, Pflanzen, Elemente, Götter, Geister, Monster in einer Entfernung von etwas 20 Kilometern, jeder Stein und jedes einzelne Sandkorn der Wüste davon einen Tinitus bekommen hätten, wären sie das Verhalten des Mädchens nicht gewohnt gewesen und ihre jüngere Begleiterin schüttelte den Kopf. „Du weckst noch die Toten!“, kommentierte sie das bloß, ihre Arme vor ihrer ziemlich flachen Brust verschränkend und die Blonde grinste. „Warum kommt ihr beiden eigentlich immer, wenn euch keiner gebrauchen kann?“ Auf die bekannte Stimme reagierend, folgte nun auch die Kleinere dem Blick zum oberen Stockwerk, wo Mayora aus einem der Fenster seinen Kopf streckte und überraschend genervt nach unten schaute. Er hatte geschlafen, verdammt... „Wo ist Choraly?“, fragte Pinita ohne Rücksicht auf Verluste einfach grinsend an den Jungen gewandt und ihre Cousine erschreckte sich zunächst über sein furchtbares Aussehen. Schon wieder Fieber? „Weg... was weiß ich... irgendwo ist sie schon...“ Er lehnte sich schlaff über das Fensterbrett und fuhr sich durch das strubbelige grüne Haar. Ob die Medizin wohl bei Maragi angekommen war? Sie war sicher enttäuscht gewesen, dass er das Zeug nicht persönlich gebracht hatte... „Du musst doch wissen, wo sie ist!“, fuhr die Ältere ihn weiterhin seinen Zustand ignorierend an und ihre Cousine legte ihr beschwichtigend eine Hand auf die Schulter. „Lass gut sein, wir suchen sie einfach.“ „Er verheimlicht uns sicher nur, wo sie ist, damit wir durch dieses schreckliche Kaff rennen, bis unsere Füße qualmen!“ Pinita verteidigte ihren Standpunkt voller Elan. Das war einer der Gründe, weshalb sie niemals einfach so an Mayora vorbei kam, ohne mindestens eine Bemerkung zu machen oder ihm sonst irgendwie eins reinzuwürgen, denn im Gegensatz zu ihr hatte der junge Mann scheinbar keinerlei Meinung. Dadurch, dass er Chatgaias Neffe war, hatten alle Respekt vor ihm, aber hinter seinem Rücken schüttelte man bloß die Köpfe. Vermutlich wusste er das sogar, aber das war ihm egal, genau so wie alles andere, was seine Tante nicht für wichtig befand. Die 16-jährige fand das traurig, aber so war es ja schon immer gewesen. Sie kannte ihn, seit er fünf Jahre alt gewesen war und schon damals hatte er immer jemanden gehabt, dem er wie ein Hündchen nachgerannt war, um die Drecksarbeit zu erledigen. Scheinbar brauchte er das einfach... „Sucht ihr mich?“ Die beiden Mädchen drehten sich erschreckt um, standen so der Fremden gegenüber, die sie perplex musterte. „Choraly Magafi?“, quiekte Pinita voller Freude und die Angesprochene nickte. „Hat Maragi ihre Medizin bekommen?“ Mayora wollte eine schnelle Antwort, denn lange würde er sich nicht mehr auf den Beinen halten können. Wie er dieses verfluchte Fieber hasste! Zu wenig Schlaf, ein paar Minuten zu lange in der Sonne, den Teller nicht ganz leer gemacht... einmal der Norm abweichen und direkt war er todkrank. Oder fühlte sich zumindest so... es war furchtbar, so nutzlos zu sein! „Ja, aber ich glaube, sie ist jetzt suizidgefährdet.“, machte die junge Frau dann unbekümmert und widmete sich wieder den anderen Beiden, „Und wer seid ihr?“ „Pinita Ferras und Dafi Tebettra!“, stellte die Blonde sich und ihre Cousine voller Elan vor und grinste, „Und wir freuen uns, dich kennen zu lernen!“ Die Brünette lächelte überrascht, als auch die Kleinere sich fröhlich vor ihr verneigte. Sie war ein Himmelsblüter, eindeutig, doch war ihre Aura ganz anders als die von Chatgaia oder Mayora; sie war zwar da, aber sie störte nicht. Zuletztgenannter hatte sich mit der ernüchternden Antwort seiner Mitbewohnerin übrigens zufrieden gegeben und sich wieder in sein Bett geschleppt, wo er mies gelaunt liegen blieb und den Willen der Himmelsgötter, als er geboren wurde, verfluchte. Warum nur er? ... „Und ihr wohnt auch in Thilia?“, fragte Choraly unterdessen neugierig. Dieses Mal musste sie niemanden abspeisen, weil sie zu Tun hatte; der Chef hatte ihr schließlich den Rest des Tages frei gegeben und das war auch besser so für ihn. Wo sie gerade dabei war, sie wollte ihn eh noch verhauen und in Grund und Boden stampfen... was für angenehme Tagesaussichten! Nach den Ereignissen der letzten Tage konnte sie das auch einmal gebrauchen... hatte sie nicht demnächst auch noch Geburtstag? „Nein, in so einem miesen kleinen Assi-Kaff würde ich echt zu Grunde gehen!“, antwortete Pinita währenddessen lachend und noch ehe sie den Satz ganz verarbeiten konnte, wurden die Augen des Stadtmädchens auch schon tellergroß. Nicht in Thilia...? Imera hatte doch noch etwas erwähnt... „Dann wohnt ihr in Morika?“ Aus der Bahn gerissen sah sie mit an, wie sich nun auch Dafi ein Kichern mit ihrer komischen Stimme nicht verkneifen konnte und deren höchst amüsierte Cousine schüttelte den Kopf. „Nein, wir leben und arbeiten in einer Forschungsstation von Mon'dany, etwas außerhalb der Oase. Als wir noch ganz klein waren, haben unsere Eltern uns hier her geschleppt, weil zuerst sie ihren Job hier hatten, aber vor vier Jahren sind sie ums Leben gekommen und da Dafichen und ich mit einem anschaulichen Intellekt gesegnet sind, vertreten wir sie nun!“ Sie erzählte völlig unbekümmert und die momentan ohnehin ziemlich instabile Choraly erbleichte. „Eure Eltern sind gestorben? Das... das tut mir so Leid...!“, machte sie mit brüchiger Stimme und das Mädchen mit dem Zopf winkte nur ab. Pinita grinste. „Dafis Bruder ist auch gestorben damals! Es war ein furchtbarer Brand...“ Die Braunhaarige wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Der Größeren schien das, was sie sagte, völlig egal zu sein, dabei hatte sie alle näher stehenden Verwandten verloren! Oder war sie so locker, weil sie ja noch Dafi hatte? Die wirkte nicht ganz so unbekümmert, jedoch gefasst. Dann fiel ihr etwas ein. „Ihr wohnt in einer Forschungsstation?! Dann habt ihr doch sicher Funkgeräte!“ Sie strahlte. Die beiden Mädchen schickte der Himmel, doch zu ihrer (negativen) Überraschung verdunkelte sich das Gesicht der Blonden. „Vergiss es! Wir funken nur an die militärische Zentrale in Fides! Und auch nur, wenn es sehr wichtig ist oder unsere Futterlieferungen nicht eintrödeln! In einen fremden Kontinent zu funken ist streng verboten!“ Pinita schnaubte und ihre Cousine lächelte entschuldigend. Die verstanden wohl nicht... „Hallo?!“, fauchte die Jüngste, „Ich werde von lauter Bekloppten hier gegen meinen Willen festgehalten! Mein Vater denkt, ich sei tot! Ich bin ganz alleine hier, ich habe niemanden, keine Mutter, keine Atti...!“ Sie unterdrückte ein Schluchzen, vor diesen Weibern wollte sie sich keine Blöße geben! Aber es war so schwer... es tat doch alles so weh... sie wollte doch nur heim, so schwer konnte das doch nicht sein! Sie schreckte auf, als jemand sie sanft von hinten umarmte und auch die beiden anderen schauten überrascht, jedoch, das galt besonders für Pinita, ziemlich abgeneigt. „Du bist doch nicht allein, Choraly, du hast doch mich! Und verzeih mir bitte, dass ich dich einfach so berührt habe, aber ich konnte nicht anders...“ Sie kannte die Stimme und mit einem Mal stieg ihr die Röte ins Gesicht und ein angenehmer Schauer überkam sie. „Imera...“, flüsterte sie andächtig und spürte seinen warmen Atem in ihrem Nacken. „Imera.“, machte auch Pinita stirnrunzelnd, „In der Liste meiner meist geliebten Personen teilst du dir mit Mayora Platz 1.“ „Ehrlich?!“, krächzte Dafi, doch niemand beachtete sie. (Dafi: Wie gemein, ich will einen Keks!) „Wir müssen uns einen Platz teilen... wie gemein.“, antwortete der Junge bloß unbekümmert und schmiegte sich fester an das hübsche Mädchen vor ihm, das zwar zur Salzsäule erstarrt, aber sicherlich nicht abgeneigt war. „... als ob du es dir leisten könntest, dich zu den Meinungen anderer Leute über dich zu äußern!“ Der Blick der Gruppe schweifte zum Hauseingang, an dem sich nun Mayora mit Müh und Not lehnte und schwer atmete. „Himmel...“, machte Dafi wiederum leise, doch auch jetzt schenkte ihr niemand Beachtung. „Und als ob du es dir leisten könntest, dein Bett zu verlassen!“, schnatterte Pinita darauf verächtlich und verschränkte die Arme vor der Brust, Imera grinste altbekannt. „Dein cooler Auftritt ist voll daneben gegangen, du Flamme auf zwei Beinen. Würde man von einem Wassermagier nicht erwarten...“ Die Blonde gluckste und Choraly wusste noch immer nicht so recht, wo sie dran war, als der braunhaarige Junge begann, über ihren Bauch zu streicheln. „Was ihr von mir haltet ist mir vollkommen gleich.“, machte der Grünhaarige unterdessen bloß mit zittriger Stimme und noch zittrigeren Knien, „Lass Choraly sofort los, oder dir passiert etwas!“ Während die Älteste unter ihnen an einem Lachanfall zu ersticken drohte und Dafi beleidigt war, weil sie vermutlich noch zwanzig Mal irgendetwas unnötiges gesagt und niemand ihr zugehört hatte, hob Imera bloß verwirrt glucksend eine Braue. „Du willst mir etwas antun, und das, ohne dass Frauchen dir den Befehl dazu gegeben hat? DAS würde ich wirklich gerne sehen...!“ Er setzte dem brünetten Mädchen vor sich einen leichten Kuss in den Nacken und sie quiekte, die Brauen des Himmelsblüters zuckten daraufhin einmal bedrohlich. „Meine Tante hat von mir verlangt, immer gut auf das Mädchen aus der großen Stadt aufzupassen, egal was passiert und mit welchen Mitteln. Wenn ich dich als Gefahr für sie wahrnehme, und das tue ich, kann ich also mit dir machen, was ich will...“ Der andere Junge grinste ein paar Sekunden frech, dann lies er die völlig perplexe Choraly los und trat einen Schritt zurück. „Du bist echt die allerletzte Missgeburt...“, machte er dann, noch immer grinsend, aber sich seine „Niederlage“ wohl eingestehend, „Man hätte dich gleich töten sollen, als man erkannte, was du bist, du widerlicher Hurensohn!“ Die roten Augen des Angesprochenen weiteten sich minimal und der andere lachte kalt. „Du kannst mir nichts tun, ich bin keine Gefahr mehr!“ „Wie kannst du es wagen, zu sagen, sie sei eine Hure...?!“, stammelte der „Gewinner“ bloß fassungslos, „Wie kannst du nur??!“ „Ach heul nicht, Muttersöhnchen!“, mischte sich Pinita wieder ein, die sich inzwischen wieder gefangen hatte und ihre Cousine räusperte sich, wurde aber ignoriert. Mayora spürte seine Schüttelfrost zurück kehren und noch ehe er sich weitere Gedanken hätte machen können, war er schon auf die Straße gestolpert, hatte Choraly an der Hand gepackt und ins Haus gezerrt, die Tür zuknallend. Das Mädchen quiekte abermals geschockt. „Du hast meine Hand berührt, wie konntest du nur?!“ Der Ältere keuchte und ihm schwindelte es, so antwortete er erst, als sein Gegenüber sich mit den Worten „Ich gehe wieder zu den Anderen, du Idiot!“ von ihm abwenden wollte. „Du musst dich unbedingt von Imera fern halten! Er ist kein guter Umgang für dich!“ Er lies sich kraftlos auf den Boden sinken, noch immer schwer atmend und sah zu ihr auf. Es wirkte so schwach... „Den Umgang mit jemandem lasse ich mir, wenn überhaupt, nur von meinem Vater verbieten und der bist du ganz sicher nicht! Wenn du dich so sehr um mein Wohl sorgst, dann mach, dass ich hier weg komme!“ Sie musste sich beherrschen, um nicht in der plötzlich aufkommenden Wut nach ihm zu treten; das wäre dann aber doch so erniedrigend gewesen, dass sie sich vor seiner Reaktion gefürchtet hätte. Der Grünhaarige erkannte ihr Vorhaben jedoch und seufzte. „Mach doch, ich bin es gewohnt. Außerdem hast du doch eh die offizielle Erlaubnis dazu!“ „Nein, an dir mache ich mir meine Schuhe nicht dreckig!“ Sie fauchte und wandte sich endgültig ab; doch verließ sie nicht das Haus, sondern rannte die Treppe hinauf. Sie hatte auf ihn gehört. -- „Aber zu mir muss er was sagen!“ Imera verschränkte die Arme vor der Brust und starrte die verschlossene Tür an. Dieses miese Arschloch musste ihm auch immer alles versauen. Aber irgendwann würde der Tag seiner Vergeltung kommen, seiner Rache an Mayora Timaro und sie würde grausam sein. Beginnen würde sie mit dem Tag, an dem die Rache des Himmelsblüters an ihm selbst enden würde und wenn er seiner Intuition vertraute, würde der mit Chatgaias Tod kommen. Nach ihrem Ableben würde die Sorge um das Dorf schließlich ihrem allerliebsten Neffen obliegen, aber wenn dieser der oberste Chef wurde, würde er zerbrechen. Dann hatte er schließlich niemandem mehr, der ihn herumkommandierte und er würde eine eigene Meinung brauchen. Da er die aber nicht hatte, musste er sich wohl wieder jemanden zum Nachrennen suchen... und wer würde dann lachen? Er gluckste jetzt schon verstohlen vor sich hin und Dafi bemerkte es. „An seiner Stelle würde ich sie auch nicht zu dir lassen.“, bemerkte sie, ihn musternd und er grinste fies. „Was hast du denn verschluckt?“ „Sie hat eine Stimmbandentzündung, du Volltrottel!“, mischte sich auch Pinita wieder ein und ballte bedrohlich die Fäuste, „Pass bloß auf, was du sagst, ICH habe nämlich eine Meinung und Thilias Regeln scheren mich einen Dreck!“ Er seufzte. Der Eine hatte zu wenig Meinung, die Andere zu viel. So ein Mist aber auch... „Ist ja gut, meine Liebe. Gute Besserung, Dafi... ich werde Choraly trotzdem bekommen.“ Er drehte sich grinsend um und verschwand in die Richtung, aus der er gekommen war. „Jetzt konnten wir Choraly gar nicht richtig kennen lernen.“, bemerkte das zierliche Mädchen deprimiert an ihre Cousine gewandt, deren Kehle darauf ein Seufzen entfloh. „Wir werden sie sicher wieder sehen, dann haben wir noch genügend Gelegenheit dazu.“ -- Choraly selbst rannte zeitgleich in dem kleinen Zimmer, das sie von Chtgaia freundlicherweise zur Verfügung gestellt bekommen hatte, auf und ab, um sich wieder zu beruhigen. Wie hatte diese Missgeburt es wagen können, sie einfach von den Anderen wegzuzerren? Und wie konnte er nur dem lieben Imera drohen?! Oder diese dumme Pinita... sie und ihre verhungerte Cousine waren allem Anschein nach die Einzigen, die ihr helfen konnten, aber anstatt erst einmal nachzufragen, ob man bei der Tochter eines der wichtigsten Politiker Nobokas einmal eine Ausnahme machen könnte, fauchten sie sie sofort an, als hätte sie etwas unmögliches verlangt! Sie wollte doch nur nach Hause... Wie konnten diese ganzen Schwachmaten ihr nach allem, was sie hatte erleben müssen, so etwas antun?! Sie fühlte sich plötzlich schwach und lies sich auf ihr Bett sinken, als sich ihre Augen mit Tränen zu füllen begannen. Warum hatten ihre Mutter und Atti sie bloß allein gelassen? Was hatte sie denn verbrochen, dass man ihr so etwas antat? Sie vermisste die Beiden doch so... Bei den Gedanken an den Absturz wurde dem Mädchen schlecht und es musste sich kurzzeitig eine Hand vor den Mund halten. Noch nicht einmal würdevoll bestatten hatte man die Toten können... sie würden sicher wütende Windgeister werden! Ob es vielleicht sogar sie selbst gewesen waren, die ihr und Mayora diesen Traum geschickt hatten? Egal, sie verstand ihn trotzdem nicht. Vor Allem der erste Teil mit den kleinen Jungen verwirrte sie, diese Szene war doch für alles weitere völlig sinnlos gewesen, oder? Dem Salatkopf schien allem Anschein nach auch noch nichts Gescheites dazu eingefallen zu sein... Salatkopf... sie gluckste leise. Imera nannte ihn immer so. Was hatten die Beiden eigentlich für ein Problem miteinander? Schon, Choraly verstand alle Menschen, denen Himmelsblüter nicht geheuer waren, aber bei dem Braunhaarigen war das schon ziemlich extrem, fand sie. Ihn lies ja sogar Mayoras Tod kalt, so wie es aussah und er legte es außerdem immer darauf an, dem Grünhaarigen irgendwie eins reinzuwürgen, so oft sie sich auch trafen. Anders als bei ihr selbst war Chatgaias Neffe bei Imera auch nicht sonderlich tolerant, wie es aussah. Besonders liebevoll sprach er schließlich nicht mit ihm. Und diese Pinita mochte keinen von beiden.... schon ein seltsamer Haufen. Hätte sie gewusst, dass ihr Vater sie nach einer gewissen Zeit findet, dann hätte sie sich vermutlich daran gemacht, die Geschichten dieser seltsamen Persönlichkeiten, die sie hier Tag für Tag so traf, zu erkunden. Aber wie sollte sie hier irgendein zivilisierter Mensch finden?! Ob Thilia überhaupt auf irgendeiner Landkarte verzeichnet war...? -- „Du bist sehr früh zurück.“ Mayora blinzelte seine Tante überrascht an, die gerade dabei war, irgendeine Medizin zusammen zu mischen. Mittlerweile fühlte er sich auch wieder ein klein bisschen besser und so saß er in der Küche und trank Schmodder-Saft. „Ich habe geahnt, dass du wieder Fieber bekommst.“, antwortete sie gelassen ohne aufzusehen, während sie irgendwelche Kräuter aus einem Glas in den Medizin-Behälter gab, „Und in letzter Zeit weiß man ja nie, wie schlimm es wird, da bin ich lieber auf Nummer sicher gegangen.“ Er nickte und starrte in seinen Becher, unterdessen suchte sie aus einem großen Regal ein weiteres Glas mit getrockneten Beeren, deren Inhalt sie ebenfalls in das Gebräu schüttete und umrührte. „Tut mir sehr Leid für die Umstände und dass ich schon wieder einen Tag lang ausfalle.“, machte er bloß resigniert und die Ältere drehte sich zu ihm um und seufzte. „Macht nichts, ich hatte eh noch hier zu tun. Aber wenn ich mir dich so ansehe, geht es mir gleich mit schlecht.“ Er sah auf. „Weshalb das?“ „Ich bin weder eine besonders gute Medizinerin noch Ärztin. Lapalien kann ich heilen und ich kann Frauen helfen, wenn sie Kinder bekommen, aber...“, sie wandte sich wieder ab und starrte monoton in ihr Gemisch, „... du bist krank und ich muss zusehen. Das tut mir sehr Leid und zeigt mir immer öfter, wie unfähig ich bin.“ Der Grünhaarige blinzelte überrascht. Selbstkritik bekam man von Chatgaia nicht besonders oft zu hören; niemand wagte es auch, die Autorität der obersten Chefin des Dorfes in Frage zu stellen. Warum auch, sie tat ihre Sache sehr gut! „Du bist nicht unfähig, liebe Tante, das hast du schon oft genug bewiesen. Du hast schon so vielen Leuten geholfen, ohne dich wäre dieses Dorf nichts!“ Er war aufgestanden und hatte sie kurz von hinten umarmt; ähnlich wie Imera bei Choraly, nur nicht so anzüglich. Sie lächelte nur. „Du bist noch immer das Kind, das einen Helden braucht, um zu überleben, nicht wahr?“ Er zuckte bloß mit den Schultern und sie sah ihn nun an. „Denk doch einmal an die Familie Raatati. Tado Raatati war ein junger Mann, als er plötzlich krank wurde und ich ihm nicht helfen konnte. Ich musste einfach zusehen, wie er gestorben ist und ehrlich gesagt habe ich selbst heute noch nicht den Hauch einer Ahnung, was das für eine Krankheit war. Oder seine Frau, Nemati, das selbe Spiel. Ich vermute, innerhalb der nächsten Wochen ist es auch für sie soweit. Oder Tainini! Mit vier wurden ihre Augen immer schlechter und jetzt ist sie blind, ich konnte nichts tun! Fehlt nur noch, dass mit Jiro etwas passiert...“ Sie fuhr sich deprimiert durchs Haar und zum ersten Mal bemerkte ihr Neffe, wie nah ihr so etwas wirklich ging. Sie war so seriös, da ging das Emotionale schon einmal verloren... „Aber da konntest du doch nichts dafür...“, flüsterte er bloß, sie ebenfalls deprimiert ansehend. „Vielleicht schon...“, sie verengte ihre Augen zu schmalen Schlitzen und starrte ins Leere, „Und deshalb will ich so etwas auf keinen Fall noch einmal erleben müssen! Und dabei hat es schon wieder begonnen... du merkst ja selbst, dass es schlimmer und schlimmer wird... und wieder muss ich zuschauen.“ Sie schwiegen. Mayora wusste nicht, was er darauf sagen sollte, sie hatte schließlich Recht. Aber das änderte doch nichts daran, dass sie eine gute Medizinerin war! Wenn die Windgeister Seelen zu sich nehmen wollten, dann taten sie das, egal, was Chatgaia oder sonst jemand dagegen tuhen wollte. So war es nun einmal und so würde es auch immer bleiben, egal, was die Zukunft brachte. „Vielleicht sollte ich dich in eine große Stadt schicken, nach Palbuflor vielleicht...“ Ihre Worte rissen ihn aus seinen Gedanken und er starrte die Frau entsetzt an. Das konnte nicht ihr ernst sein! „Du weißt, dass dann alles verloren wäre! Unsere Heimat wäre dem Untergang geweiht und in einer so großen Stadt würde ich schon allein wegen der völlig anderen Umstände sterben, das weißt du doch!“ Sie schaute ihm seltsam in die Augen. „Früher oder später ist es so wie so vorbei mit Thilia. Und in großen Städten gibt es gute Ärzte...“ „Dann sterbe ich lieber!“ Wegen ihm würde das Dorf Thilia nicht kaputt gehen, es hatte ihm schließlich selbst einmal das Leben gerettet und das Schicksal konnte man eh nicht ändern. Was den jungen Mann allerdings überraschte, war, dass seine Tante tatsächlich dazu bereit gewesen wäre, jemanden ausreisen zu lassen; das grenzte schließlich an Wahnsinn. Nicht nur, dass ihr sicherer kleiner Zufluchtsort für ihre Rasse zerstört worden wäre; sich als Himmelsblüter in eine so große Menschenmetropole zu begeben, grenzte an Selbstmord. Natürlich, Menschen, die von Himmelsblütern abstammten, hatten gelegentlich auch seltsame Haar- und Augenfarben, aber Choraly war ja nicht der einzige sensible Mensch auf der Welt. Egal, was geschah, er würde auffallen und er war sich sicher, dass die Bewohner von Palbuflor nicht gerade besonders nett zu ihm sein würden, davon abgesehen galt das Gleiche natürlich auch für Ärzte dort. Es war also ein sinnloses Unterfangen. Entweder würde er bald sterben oder eben einfach gesund werden, aber beides würde in Thilia geschehen, dem Dorf, das er seit nun mehr neun Jahren seine Heimat nannte! -- „Mayora!“ Ohne Rücksicht auf Verluste brüllte Choraly irgendwann nach dem Jungen, der auch unverzüglich zu ihr eilte. Beziehungsweise, er kam zur Badezimmertüre und hielt dann inne. Man wusste ja nie, was man zu sehen bekommen würde, wenn man es zu eilig hatte... „Was denn, junge Dame?“, fragte er höflich und hörte sie schnauben. „Ich hasse eure Dusche!“ Und euer Haus, euer Dorf, eure Wüste... man hätte die Liste beliebig fortsetzen können, aber im Moment war das größte Problem der jungen Frau, dass man dieses duschenähnliche Teil nicht richtig regulieren konnte. Es bestand übrigens bloß aus einem Abfluss am Boden, einer Art Duschkopf an der Decke und zwei Seilen, die ebenfalls von der Decke ausgingen. Bei beiden war am Ende ein Holzknauf angebracht, bei dem Einen war ein roter Punkt aufgemalt, bei dem anderen ein blauer. Jeder Volldepp hätte wohl verstanden, dass rot für „heiß“ und blau für „kalt“ stand, bloß hatte man hier anscheinend nur die Wahl zwischen kochend-heiß oder eiskalt, etwas dazwischen war nicht vorhanden. „Was hast du denn für ein Problem mit der Dusche? Die ist ja wohl toll, ich hab sie ganz allein gebaut!“ Der Grünhaarige verschränkte beide Arme vor der Brust. Die Dusche war ein Meisterwerk! „Ja, so sieht sie auch aus! Du hättest lieber ein Küchengerät daraus machen sollen, kochen und tief kühlen, 2 in 1!“ Das Mädchen erschauderte und schlang schützend beide Arme um seinen nackten Oberkörper. Wie konnte man in der Wüste frieren? „Zieh mal an beiden Seilen gleichzeitig!“, er verzog beleidigt das Gesicht, bevor er leise für sich weiter sprach, „Hohle Strunzkuh...“ „Oh!“, hörte er es da aus dem Badezimmer, während wieder Wasser rauschte, „Geht ja doch!“ Er verdrehte die Augen. Klar ging das, er hatte das Ding schließlich gebaut. „Wo du schon mal hier bist...“ Choraly seifte sich wohlig seufzend ein. So schnell kam er noch nicht davon. „Ich besitze immer noch bloß dieses eine Kleid von Tainini, ich bräuchte bis morgen noch etwas anderes. Unterwäsche wäre auch ganz fein.“ „Schön.“, antwortete er, „Und was kann ich da machen?“ Sie verdrehte die Augen. „Na, mir was zum Anziehen besorgen, du hohler Köter!“ Die Vorstellung von Mayora, der von seiner Tante an einer Leine spazieren geführt wurde, hatte sie einfach nicht mehr los gelassen und so hatte sie sich diesen Kommentar auch nicht verkneifen können. Was hatte Imera bloß mit ihr angestellt? „Was du nicht sagst.“, machte er da, „Aber wehe, du beschwerst dich, weil es dir nicht gefällt...“ „Jaja...“ Fertig geduscht, Haare gekämmt und abgetrocknet, streckte sie wie abgemacht ihre Hände aus der Tür und der Ältere gab ihr seufzend Kleidung. Und sie sollte sich ja nicht beschweren! „Das ist Kleidung von dir.“, hörte er es überraschend monoton von hinter der Tür und er kratzte sich am Kopf. „Tut mir Leid, aber an Tante Chatgaias Kleiderschrank darf ich nicht.“ „Jaja, schon gut.“, brummte sie nur, „Ich verlasse das Haus eh nicht mehr so schnell.“ Mayora wollte sich abwenden, als sie abermals die Stimme erhob. „Es geht mich zwar nichts an, aber was machst du mit einem pinken BH?“ „Das... geht dich wirklich nichts an.“ -- „Hab ich Chancen bei ihr?“ Der schwarzhaarige Junge strahlte sein Gegenüber an. „Eher nicht, sie ist ziemlich... speziell.“, Jiro grinste, „Außerdem bist du doch eh heiß auf Dafi, denke ich?!“ Der Kleinere seufzte und lies sich rückwärts ins Gras fallen. „Vergebliche Liebesmühe. Irgendwie findet sie mich nicht attraktiv. Und dabei würde ich ihr die Sterne vom Himmel holen...“ Er seufzte und der Jüngere setzte sich neben seinen besten Freund, glucksend auf ihn herab sehend. „Mal umgekehrt, Naga, was findest du an ihr attraktiv? Die vielen heraussteheden Knochen?!“ „Rede nicht so verächtlich über mein Engelchen!“, flötete er, mit großen blauen Augen nach oben sehend, „Sie ist halt einfach süß. Ich weiß ja auch nicht!“ „Ich aber...“ Auch Jiro legte sich nun auf den Boden und schaute in den blauen Himmel. Neben der Sonne sah man den blass-grünen Schein des Windmondes, der zu dieser Zeit besonders nahe am Planeten war... „Jedenfalls ist Choraly Magafi nicht besonders süß, die passt gar nicht zu dir, Naga. Viel zu verwöhnt und wenn du nicht machst, was sie will, reißt sie dir einen Arm aus!“ „Himmel!“, machte der Angesprochene entsetzt und setzte sich auf, „So stark ist sie?!“ „So aussehen tut sie nicht, aber sie hat es bei ihrer eigenen Mutter getan...“, berichtete der Brünette unterdessen bitter und der andere seufzte. „Wo wir gerade von Müttern reden, wie geht es eigentlich deiner?“ „Ganz schlecht.“ Er drehte dem Schwarzhaarigen den Rücken zu und seufzte verbittert. „Bald ist sie auch nicht mehr da. Ich hab keine Ahnung, wie es weiter gehen soll... ich musste immer von Laden zu Laden springen und überall aushelfen, damit man meiner Familie auch gab, was sie brauchte, ohne dass wir betteln mussten, ich habe keinen Beruf erlernt. Tainini wird nie arbeiten und sich selbst versorgen können und dann gibt es ja auch noch Lilli. Ihre Eltern drängen uns zum heiraten, weil wir wahrscheinlich bald ein Baby bekommen werden... aber ich kann doch nicht für alle sorgen!“ Naga hob beide Brauen und starrte den Boden vor sich an. „Ich... werde Tai zu mir nehmen, ja?“ -- „Hatschi!“ „Gesundheit!“, Lilli schaute belustigt zu der kleinen Tai, die sich die Nase kratzte, „Da denkt wohl jemand an dich.“ „Oder ich werde krank...“, machte die Blonde bloß schulterzuckend und die Ältere kicherte. „Ich fände es aber romantischer, wenn irgendein gewisser Herr an dich denken würde...“ Lilliann wohnte schon eine Weile im Haus der Raatatis, da Jiro arbeiten musste und seine Mutter inzwischen viel zu schwach war, um aufzustehen und sich um ihre blinde Tochter zu kümmern, die im Übrigen aber auch überraschend gut allein zurecht kam. So stand die junge Frau jeden Tag in der Küche und kochte, Tai half ihr dabei, soweit sie konnte. Heute saß sie am Tisch und schnitt Gemüse für eine Suppe klein; sie hatte ihrer Fast-Schwägerin erfolgreich klar machen können, dass sie sehr wohl auf ihre kleinen Finger acht geben konnte und diese freute sich umso mehr über die Hilfe des süßen Mädchens. Tainini war sehr hübsch, fand sie. Sie war klein und zierlich und wirkte zerbrechlich wie Porzellan, war dabei aber nicht so unappetitlich dünn wie Dafi und besaß durchaus Rundungen, die zuletzt genannte sicherlich nicht hatte. Die arme Dafi aß und aß und nahm nicht zu und wenn man sie sah, hatte man das Bedürfnis, sie zu füttern. Aber ob es wirklich keine Absicht war, dass sie so dürr war, bezweifelte die junge Frau im Stillen; vielleicht litt sie ja an irgendeiner psychischen Krankheit oder so. Grund genug hätte sie schließlich, bei den Verlusten, die das arme Mädchen hatte erleiden müssen; nicht jeder steckte so etwas so einfach weg wie Pinita. Vielleicht wusste die sogar um ihre Cousine Bescheid, war aber zu stolz, um irgendjemanden um Hilfe zu bitten? Lilli seufzte. Oder es war ganz einfach so, wie Dafi sagte, und es lag in ihrer Natur. Möglicherweise hatte sie aber auch ein körperliches Leiden...? „... sie sollte zu einem Arzt.“ „Wer? Ich?“ Tais trübe blaue Augen fixierten die Richtung, in der die Ältere stand und vor sich hin kochte. „Was? Nein, ich war in Gedanken...“ „Das bist du in letzter Zeit so oft...“, stellte die Kleine mit seltsamem Unterton fest, „Denkst du an dein Baby...?“ Die Andere errötete. „Woher weißt du davon...?“ Tainini lächelte. „Meine Ohren hören alles.“ -- „Dafi, zum letzten Mal, nein!“ Ohne Rücksicht auf Verluste fuhr Pinita ihre Cousine auf dem Hauptflur der Forschungsstation, auf dem reger Menschenverkehr herrschte, an. Die Anderen warfen den beiden jungen Frauen bloß einen kurzen Blick zu, waren die Beiden schließlich hier aufgewachsen und so kannte man sie gut genug, um sich über so etwas nicht mehr zu wundern. Die Kleinere schnaubte nur. „Aber sie ist doch ganz allein hier! Sie hat ihre Mutter verloren, sicherlich hat sie furchtbare Schmerzen!“ Die Blonde verdrehte die Augen, die Arme in ihre Seiten stemmend. „Sie kam aber recht locker herüber, oder?“ „Natürlich kam sie das!“, fauchte die Jüngere nun auch ungehalten mit ihrer noch immer seltsam klingenden Stimme, „Sie kennt hier niemanden! Es ist ein ganz normaler Prozess, in einer solchen Situation stark zu sein, aber glaub mir, wenn sie abends im Bett allein ist, weint sie bittere Tränen!“ „Bittere Tränen, bla bla...!“ Ihre Cousine spöttisch nachäffend wandte sich Pinita ab und ging erhobenen Hauptes weiter. „Dass du auch jedem Penner helfen musst, echt erbärmlich...“ Dafi wollte noch etwas sagen, irgendetwas, aber vor Wut zitternd brachte sie schließlich überhaupt nichts mehr heraus, musste der Älteren einfach nachsehen, wie sie durch eine Tür verschwand. Nie konnte sie sich wehren, immer wurde gemacht, was die tolle Königin wollte! Sie hatte ihr Leben für die Blonde aufgegeben, hatte alles, was ihr nach dem Brand geblieben war einzig für das Lächeln ihrer letzten lebenden Verwandten aufgegeben, aber nie bekam sie etwas zurück, noch nicht einmal ein Danke. Natürlich war ihr klar, dass es aus logischen Gründen streng verboten war, einfach in einen fremden Kontinent zu funken, aber man hätte doch fragen können! Nur fragen, dass hätte das Gewissen der 16-jährigen schon ein klein wenig beruhigt, auch wenn es vermutlich eh nichts gebracht und der armen Choraly sicher nicht weiter geholfen hätte... aber in letzter Zeit ging es so wie so oft um das Prinzip. Sie wurde erwachsen und kam sich von ihrer Cousine, die sie doch so lieb hatte, mehr und mehr veräppelt vor. Und das tat nun einmal weh. Ente geklaut, scheiß Dieb --------------- Jaja, heul doch, Dafi XD Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)