Jumays Kinder von -Izumi- (Part 5: Kinder des Wassers - Verloren im Sand) ================================================================================ Kapitel 6: Wege des Schicksals ------------------------------ „Hör mir zu, mein Sohn, ich möchte dir etwas erklären.“ „Was erklärst du mir, Vater?“ „Ich erkläre dir, dass es die Menschen gibt und die so genannten Kinder des Himmelsblutes. Und es gibt dich. Fällt dir etwas auf?“ „Du hast mich einzeln genannt, Vater.“ „Richtig. Und weißt du, warum?“ „Nein, Vater. Das weiß ich nicht.“ „Damit du dich aus den Angelegenheiten der Menschen und denen der Himmelsblüter heraus hältst. Tu das, was dein Bruder oder ich dir sagen, auf deine Mutter und deine Schwester musst du auch hören. Du kannst alleine sowieso nichts, nehme ich an, so nutzlos, wie du bist. Also arbeite lieber, damit deine Familie wenigstens das von dir hat.“ „Werde ich, Vater.“ Choraly blinzelte in die Dunkelheit. Seit sie hier war, träumte sie andauernd Mist, fiel ihr auf. Aber immerhin gab es heute Nacht keine abgetrennten Körperteile, dafür bloß einen Vater, der seinen kleinen Sohn anscheinend nicht besonders lieb hatte. Vater... Sie hatte ihn besuchen wollen, damit sie ihren 16. Geburtstag zusammen hätten feiern können. Sie, ihr Vater, ihre Mutter und die liebe Atti. Aber daraus wurde jetzt wohl nichts mehr. Naputi Magafi und ihr geliebtes Kindermädchen waren tot und sie bezweifelte auch stark, dass sie es in den nächsten zwei Tagen schaffte, zu ihrem Papa zu kommen. Verletzt kuschelte sich das brünette Mädchen in die helle Decke und ließ ihren Blick aus dem Fenster schweifen. Der zart-grüne Windmond tauchte die Landschaft in ein sanftes Licht und so sahen noch nicht einmal die hohen Sanddünen, die sie in der Ferne erahnen konnte, gefährlich aus. Viel mehr wirkte die Welt... resigniert. Als ob sie genau so wie Choraly gegen ihren Willen festgehalten wurde und alles, was ihr lieb und wichtig war, verloren hatte. Es war nicht gerecht, warum ließen die Götter sie bloß so leiden? Nach der Mythologie besaßen alle vier Monde verschiedene Eigenschaften. Die des Windmondes waren die der wachen Lebens- und Windgeister. Er gab allen Lebewesen der Welt Energie und war dann zu sehen, wenn die Sonne am wärmsten war (man könnte auch im Sommer sagen...). Besonders sensible Menschen wie Choraly reagierten auf den Windmond mit unruhigem Schlaf und seltsamen Träumen, doch das war dieser nicht bewusst. So etwas lernte man in Wakawariwa nicht. Allein war sie damit dennoch nicht, denn auch Menschen mit Sorgen hielt er wach, wie zum Beispiel Jiro. Seine hübsche Verlobte Lilli lag mit einem dünnen Nachthemd bekleidet eng an ihn gekuschelt in ihrem kleinen Bett und schlummerte friedlich vor sich hin, während der junge Mann, ebenso wie das Mädchen aus der großen Stadt, den Mond durch sein Fenster betrachtete. Die Götter meinten es einfach nicht gut mit seiner Familie. Erst nehmt ihr mir den Vater, dann das Augenlicht meiner Schwester und nun bald auch noch meine Mutter, was haben wir euch getan?, dachte er ärgerlich, „Und warum muss Lilli ausgerechnet jetzt ein Baby bekommen? Ach, was mache ich mir Gedanken, die Windgeister nehmen es uns wahrscheinlich wohl gerade dann, wenn wir es richtig lieb gewonnen haben...! Er schüttelte sich kurz. Nein, an so etwas durfte er nicht denken. Er würde sich irgendetwas nützliches beibringen und ein guter Vater werden, seine Frau und sein Kind würden gesund und glücklich bei ihm leben. Naga würde endlich Dafi abbekommen und auch seiner armen kleinen Schwester Tainini würde sich ein lieber Kerl erbarmen. Der Brünette wusste, dass das alles bloß Wunschdenken war, aber die Vorstellung war wesentlich angenehmer, als das, was ihm realistisch erschien... Aber nicht nur Choraly und Jiro hatten so ihre Probleme, auch Mayora lag, immerhin mit normaler Körpertemperatur, wach und sorgte sich. Er träumte seltsame Dinge und tötete Seelen, das war nicht gut. Aber das war nicht das Einzige schlechte Zeichen... Er vergrub sein Gesicht im Kissen und seufzte gedämpft, sich durch sein zerzaustes grünes Haar streichend. Er murmelte oft in alter Sprache. Seltsam, hatte er sich gedacht, als er es zum ersten Mal bemerkt hatte, ohne größer darauf einzugehen. Aber mittlerweile erwischte er sich immer öfter dabei, in alter Sprache zu denken und das war nicht seltsam, sondern schlicht und ergreifend völlig krank und abnormal. Noch nicht einmal Chatgaia hatte er davon erzählt, so ungewöhnlich war es. Und seine Götter gaben ihm keine Antworten, stellten sich stumm oder ratlos. Er fürchtete sich inzwischen sogar schon vor sich selbst. Am Ende hatte Choraly Recht mit ihrer Meinung über Himmelsblüter. Was konnte er nur tun? Verzweifelt schweifte sein Blick zu seinem Fenster, durch das der Windmond sein zart-grünes Licht schickte... Dafis Zimmerfenster war leider in die falsche Himmelsrichtung ausgerichtet, so konnte sie dieses Schauspiel nicht verfolgen. Dennoch war sie genau wie viele andere wach. Choraly hatte ihre Mutter verloren und ihr allem Anschein nach einzig lebender Verwandter (Dafi konnte von ihrem alten Großvater ja nichts ahnen) war ihr Vater, der nun weit weg von ihr war, unerreichbar für seine Tochter. Sie fragte sich, was sie wohl getan hätte, wenn jemand sie von Pinita hätte ferngehalten. Vermutlich wäre sie durchgedreht. Pinita war ihr Licht im Dunkeln gewesen, dabei hatte ihre Cousine sie damals noch nicht einmal leiden können. Damals, bevor ihre Welt untergegangen war. Ja, als kleine Kinder war Dafi ihr regelrechter Sklave gewesen, der alles hatte machen müssen, was sie wollte. ...und wenn nicht, gibt’s Dresche! Sie grinste bitter in die Finsternis. Prügeln hatte sie schon immer gut drauf gehabt. Besonders gut bei ihrer kleinen zierlichen Cousine, die nicht nur durch ihr Himmelsblut wesentlich zerbrechlicher, sondern auch noch zwei Jahre jünger war als sie und sich eh nie wehrte. Und dann waren sie plötzlich allein gewesen. Und Pinita traurig, genau so wie sie selbst. Für das Lächeln der Älteren hatte sie quasi ihr Leben, ihre Existens aufgegeben und litt nun jeden Tag darunter. Und ihre Cousine? Die scherte es einen Dreck. ...du hast mir das Angebot doch damals selbst gemacht! Wenn du nicht weit genug hast denken können, Pech gehabt! Es war furchtbar, sich wie eine Gefangene zu fühlen... Aber auch eine schlaflose Nacht hatte einmal ein Ende und so graute schon bald der Morgen. Chatgaia verließ das Haus und mit dem Sonnenaufgang begann das geschäftige Treiben im Dorf. „Frühstücken!“ Keine Antwort. „Es gibt Frühstück!“ Noch immer nichts. Mayora trottete die Treppe hinauf. Sonst war die Göre doch immer so früh auf gewesen, was war denn los? Nicht gut geschlafen? Oder einfach zu wenig, dachte er sich, als er ihre Zimmertür öffnete und sie im Tiefschlaf vorfand, alle Viere von sich gestreckt. Er schmunzelte. „Choraly, es gibt Essen.“, sagte er dann in normaler Zimmerlautstärke, aber ihre einzige erkennbare Reaktion war eine kurze Zuckung im rechten Bein, ehe sie seelenruhig weiter schlief. „Na gut.“ Er zog beide Brauen hoch, als er zum Kopfende schritt und sich über sie beugte. Er war Wassermagier... Eine Handbewegung und ein schriller Schrei, Problem gelöst. „Ich bin ganz nass!“, quiekte das tatsächlich pitschnasse Mädchen, auf seinem ebenso nassen Bett kniend, „Was hast du Spasti mit mir gemacht?“ Der Angesprochene grinste bloß. „Es gibt lecker Frühstück!“ Für „lecker Frühstück!“ durchnässte der Idiot sie und ihr Bett? Hatte der noch alle Tassen im Schrank?! Sie schnaubte und sprang auf. „Ich geb dir gleich lecker Frühstück, du Missgeburt, ich hab so schön geschlafen!“ Schreiend und fluchend machte sie von ihrem Recht Gebrauch und verhaute ihn so gut es ihr möglich war, auch wenn seine einzigen Reaktionen darauf demotivierender Weise zwischendurch ein gelangweiltes „Au...“ oder „Wie schmerzhaft.“ war. „Gleich trete ich dir dahin, wo es wirklich weh tut, du Arsch!“, fauchte sie dann irgendwann, noch immer triefnass und am frühen Morgen schon völlig außer Puste, zu ihm nach oben sehend. Hochsehen musste sie nicht, weil er so groß war, denn das war er als Himmelsblüter sicherlich nicht, sondern eher, weil sie etwas kurz geraten war. Aber größer als Tainini, immerhin. „Das wäre aber echt gemein.“, machte er blinzelnd, sich über eine besonders liebevoll behandelte Stelle am Oberarm reibend. Mit ihrer Kraft und ihrem Charakter konnte er sich wirklich vorstellen, dass sie ihrer armen Mutter den Arm ausgerissen hatte, aber das sagte er ihr sicherlich nicht. Schön blöd... „Aber verdienen würdest du es, du 5-Sinnesbeleidigung!“, schnaubte sie unterdessen erbost. Ziemlich nachtragend war sie wohl und Mayora schluckte. 5-Sinnesbeleidigung? „Zusammenfassung.“, machte er etwas irritiert, „Ich sehe scheußlich aus, ich stinke, ich habe eine hässliche Stimme, fühle mich widerlich an und... schmecke nicht gut?“ „Erfasst!“ Das Mädchen verschränkte beide Arme vor der Brust und sah ihn hochnäsig an. Zumindest verbal war sie unschlagbar! Auch wenn sie den Kerl bisher noch nicht gebissen hatte... „Du bist echt völlig nutzlos!“ Sie kam sich kurz so vor wie der Vater aus ihrem Traum, aber es war Mayora, den sie da fertig machte und keinen süßen kleinen Jungen. Aber er schien es ebenso gefasst aufzunehmen wie der, Bub, inzwischen musste er das ja auch gewohnt sein... Kurz herrschte Schweigen, dann verließ er ihr Zimmer. „Frühstück ist unten.“, wiederholte er abermals, ehe er verschwand. -- Ganz so nutzlos war er doch wieder nicht, dachte sich Choraly beim Essen dann. Er konnte allem Anschein nach kochen und so wie es aussah kam er auch mit dem Haushalt ziemlich gut zurecht, schließlich war alles ordentlich und sauber, obwohl Chatgaia den ganzen Tag außer Haus war. Schon ein seltsamer Kerl. Während sie so sein liebevoll zubereitetes Frühstück verzehrte, stand Mayora am Küchenfenster und starrte hinaus. Auch tagsüber war der Mond zu erkennen, doch sein sanftes Licht ging in den grellen Sonnenstrahlen komplett unter. Deshalb mochte er auch die Nacht lieber... wenn alles leise war und die Stimmen seiner Götter verständlicher wurden... und es niemanden gab, der es schlecht mit ihm meinte... „Wenn man gerade erst wieder gesund ist, sollte man auch ordentlich speisen.“, hörte er seine Mitbewohnerin irgendwann altklug sprechen, bevor sie einen großen Schluck Schmodder-Saft ansetzte. Wie nett, aber das war er auch. „Ich warte lieber, bis du fertig bist; nicht dass mein erbärmliches Aussehen und mein widerlicher Gestank dich am Essen hindern.“ Er meinte das, was er sagte, nicht böse. Vielleicht war es sogar ein bisschen ernst gemeint... „Und nachtragend ist er auch noch...“, grummelte Choraly unterdessen blödsinniger Weise vor sich hin. So furchtbar schlimm war er nun auch wieder nicht und das wusste er doch auch. Sie mochte ihn halt einfach nicht und Ende. So war sie und das würde sich auch ganz bestimmt nicht ändern. „Ich habe es eigentlich wirklich so gemeint, wie ich es gesagt habe.“, machte der Grünhaarige unterdessen, ihr weiterhin den Rücken kehrend. Sie verdrehte die Augen. Erwartete er jetzt, dass sie vor ihm auf die Knie ging und sich entschuldigte? Dass sie ihm sagte, wie schön und attraktiv er war und wie betörend er duftete? Da konnte er aber lange warten. Er war vielleicht nicht abartig hässlich, aber auffallend hübsch sicher auch nicht, das Selbe galt auch für seinen Geruch. Er roch irgendwie nach Kräutern oder so... passend zu den Haaren, dachte sich das Mädchen und gluckste einen Moment unbemerkt leise. „Setzte dich hin, ich werde es schon überstehen!“ Sie klang von ihren Gedanken ein wenig belustigt und grinste zunächst seinen Rücken an, ehe er sich zu ihr umdrehte und ihren Blick monoton erwiderte. „Man sollte bloß Dinge sagen, die man auch wirklich so meint, Mädchen aus der großen Stadt.“, belehrte er sie dann leise und sie blinzelte. „Ich drücke mich vielleicht anders aus als du, aber im Großen und Ganzen habe ich kein einziges Wort gesprochen, das nicht wahr wäre.“, machte sie dann und er senkte den Blick. „Dann findest du giftige, Fleisch-fressende Kakteen also wirklich attraktiver als mich?“ Im ersten Moment musste sie lachen, dann errötete sie leicht. Das hatte sich ihm also so eingeprägt? Seltsam, dabei hatte es eher so gewirkt, als hätte er ihrem Redeschwall kein bisschen gelauscht... doch aufmerksam, was? „Na ja, attraktiver vielleicht nicht direkt...“, antwortete sie dann etwas peinlich berührt, „Aber sympathischer. Offen gesagt kann ich deine Art nicht leiden. Du bist mir viel zu... keine Ahnung, du bist abnormal!“ Er sah nicht auf und sie schnaubte, eher wütend über sich selbst als über ihn. Giftiger, Fleisch-fressender Kaktus, was hatte sie sich denn dabei gedacht...? „Komisch.“, machte er dann, „Das hat mein großer Bruder früher auch immer zu mir gesagt, bevor er mir kräftig die Fresse poliert hat.“ Er kam auf den Tisch zu, griff sich aus einem kleinen Körbchen ein Brötchen-ähnliches Gebäck und ging zur Tür. „Ich hab noch zu tun und komme erst heute Mittag wieder. Denk bitte an den Garten und deine Kleidung.“ Dann war er weg und Choraly gaffte ihm perplex nach. Er hatte mal einen großen Bruder gehabt, der ihm die Fresse poliert hatte...? Chatgaia hatte ihr Kleidung von sich ins Badezimmer gelegt, wie die Brünette feststellte, als sie es betrat. Einen schwarzen Rock und eine dunkelgrüne Bluse, mitsamt frischer Unterwäsche, die ihr, wie sich recht schnell zeigte, ziemlich gut passten. Aber das hatte sie bereits geahnt, sie und die Magierin waren in etwa gleich groß und beide ziemlich schmal, obwohl zuletzt Genannte viel älter war als sie. Jedenfalls kam sich die 15-jährige reichlich seltsam vor in den düster wirkenden Klamotten. Normalerweise trug sie bloß rosa, rot oder hellblau, machte doch gleich viel freundlicher. Aber zumindest besser als Mayoras Klamotten ist es!, dachte sie sich dann dennoch, während sie im Garten stand und die Kräuter ihrer Gastgeberin etwas lieblos goss. Irgendwie begann sie sich schon fast an diesen furchtbaren Ort zu gewöhnen, merkte sie geschockt. Dabei wollte sie doch nichts lieber als nach Hause. Sie wollte keine neue Kleidung und auch nicht zu diesem fummelnden Schneider-Freak. Den Einzigen, den sie überhaupt irgendwie mochte und wollte war Imera, weil der sie verstand. Vielleicht begegneten sie sich ja wieder zufällig...? Sie seufzte. Ein bisschen krank, sich unmittelbar nach dem Tod von geliebten Menschen zu verlieben war es ja schon... obwohl. Warum eigentlich? Sie fühlte sich so allein und machtlos, jemand an ihrer Seite würde ihr sicher helfen. Also wollte sie Imera unterbewusst bloß ausnutzen...? Verwirrt von ihren eigenen Gedanken und nicht gewillt sich weiter um dieses dumme Grünzeug zu kümmern, warf sie die Gießkanne einfach weg und machte kehrt, Richtung Dorf. Wohl oder Übel, sie brauchte Klamotten... -- Imera war ihr auf dem Weg zu Tafaye nicht begegnet, dafür war sie über die Schneiderkunst des zuletzt Genannten sehr positiv überrascht. „Wow...“, machte sie, über den Haufen von Kleidern, Blusen und Röcken sehend, „Die sind echt schön geworden. Und meine Farben haben sie auch...“ Sie strahlte. Egal, was geschah, mit neuer Kleidung hatte man sie noch immer aufheitern können. Wie hatte sie bloß denken können, dass sie keine wollte...? „Probiert sie doch einmal an, meine Dame.“, machte Tafaye grinsend ihrem Blick folgend. Er war schon ziemlich stolz auf sich, auch wenn sein Vater am vergangenen Abend wieder tausend Kleinigkeiten zum Nörgeln gefunden hatte. Egal, Hauptsache, sie gefielen Choraly. „Es war ganz schön schwer, so viel Kleidung in so kurzer Zeit herzustellen und reichen tut es noch immer nicht. Kommt am besten zwischendurch immer einmal wieder vorbei, dann gebe ich euch etwas. Ach ja, frische Unterwäsche liegt auch bei.“ Das Mädchen nickte fröhlich, sich ein dunkel-rosanes Kleid schnappend und in einer Umkleidekabine, oder zumindest etwas ähnlichem, verschwindend, um eine Minute später fröhlich heraus gehüpft zu kommen und sich zu zeigen. „Ich werde dich mit nach Wakawariwa nehmen und dann wirst du mein privater Schneider und mein Vater gibt dir sehr viel Geld!“, versprach sie aufgeregt und er hob eine Braue. „Was will ich denn mit Geld? Geld macht aus guten Menschen schlechte Menschen, das muss nicht sein...“ Die junge Frau ging nicht weiter darauf ein, schnappte sich nach einem kurzen Monolog ihre Kleidung, die der Blonde ihr freundlicher Weise in eine Stofftasche gestopft hatte, und verschwand. Ihr neues Kleid lies sie gleich an. Sie wusste nicht, wohin sie gehen sollte, bloß „nach Hause“ wollte sie nicht, denn da war sie allein und dann kamen ihr wieder die widerlichen Gedanken an den Absturz, das musste sie nicht haben. Sie brauchte jemanden, der sie ablenkte und dem sie sich präsentieren konnte. Zunächst kam ihr Jiro in den Sinn, aber in seinem Haus war es so stickig und er selbst war vermutlich noch immer staubiger als die Wüste selbst, da hatte sie keine wirklich Lust drauf. Konnte sich Lilli nicht einmal um ihren Verlobten kümmern? „Was stehst du so nachdenklich auf der Straße herum?“ Eine bekannte Stimme riss sie aus den Gedanken und sie fuhr herum und erstrahlte ein weiteres Mal. „Imera!“ Er nickte ihr grinsend zu. „Du siehst schön aus, Tafaye versteht sein Handwerk tatsächlich.“ „Ja, nicht?“, machte auch Choraly und drehte sich einmal um ihre eigene Achse, kam direkt vor ihm wieder zum Stillstand und lächelte ihn süß an; er hob beide Brauen, sehr zur Überraschung des Mädchens leicht errötend. „Du suchst meine Nähe ja von selbst...“, kam dann leise und er lächelte mindestens genau so zuckrig wie sie, „Wie schön...“ Imera war ein wirklich bildhübscher Junge, dachte sich die noch immer 15-jährig bezaubert. Er hatte himmelblaue Augen und dunkelbraunes kurzes Haar, dass sein Gesicht malerisch umrahmte. Davon abgesehen war er immer ordentlich gekleidet und roch auch noch gut. Irgendwie nach Wald... das Mädchen wurde fast schon nostalgisch, als sie einen Moment lang an den vor den Toren von Wakawariwa dachte. Ja... an diesen Duft erinnerte es sie... „Du schaust mich so verträumt an...?“, hörte sie seine angenehme Stimme leise und lächelte noch lieber. „Ich hab mir gerade gedacht, wie hübsch du bist.“, gab sie zu und errötete ebenfalls, „Und dass dein Duft mich an meine Heimat erinnert.“ Er schaute kurz zur Seite und blinzelte angenehm überrascht, dann suchte sein Blick ihre braunen Iriden wieder und schließlich streichelte er ihr sanft durchs Haar. „Wenn ich nicht wissen würde, dass der Köter in drei Sekunden hinter mir steht, würde ich dich jetzt küssen.“, flüsterte er leise und sein warmer Atem streifte ihr Gesicht und lies sie erschaudern. „Lass sie sofort in Ruhe, oder ich werde ungemütlich.“ Imera verdrehte die Augen und als Choraly über seine Schultern linste, erstarrte sie. Mayora war tatsächlich da! Woher kam der so plötzlich und woher hatte ihr Liebster gewusst, dass er gleich auftauchen würde? „Vielleicht will sie das selbst?“, machte Zuletztgenannter, die monotone Art des Grünhaarigen nachahmend und dieser schnaubte. „Das Mädchen aus der großen Stadt kennt dich überhaupt nicht und lässt sich von dir blenden. Sie weiß nicht, worauf sie sich einlässt und was das Beste für sie ist.“ Die junge Frau wollte protestieren, da hatte sich der Braunhaarige auch schon umgedreht und den Anderen mies gelaunt anvisiert. „Mach sie nicht dümmer als sie ist und tu nicht so, als hätte ich jemals einer Frau etwas getan, du Volldepp! Bloß weil du mich nicht mehr leiden kannst, musst du mich nicht schlechter machen als ich bin und jetzt hau ab, sonst setzt es was!“ Die 15-jährige war etwas überrascht, was das impulsive Verhalten des Älteren anging, aber Recht gab sie ihm schon. Mayoras Wachhund-Gehabe war wirklich nervig, das zerstörte die ganze kitschige Romantik... „Ach, es setzte was?“, grummelte der Angesprochene unterdessen bloß leicht grinsend und seine blutroten Augen funkelten bedrohlich, „Ohne, dass du dein tolles Kurzschwert dabei hast? Da bin ich aber mal gespannt...“ Aus seinem Gürtel zog er eine Art gespitzten und geschärften Dolch und Choraly fuhr kurz zusammen, als sie erkannte, dass es genau der Selbe war, mit dem er in ihrem Traum auch Atti getötet hatte, Imera seufzte nur. „Dass du alles so kompliziert brauchst. Stecke das Enatirí weg und kämpfe wie ein richtiger Kerl, oder wenn du so auf Waffen bestehst, ich hab noch ein Taschenmesser dabei. Dann können wir ja wieder „Wer schlitzt das schönere Muster?“ spielen. Du verlierst eh...“ Aus dem Gesicht des Himmelsblüters wich das Grinsen und in das des Anderen kehrte es zurück. Die junge Frau verstand nicht ganz, was ihr Liebster da meinte, aber es reichte, um seinen „Feind“ erbleichen zu lassen, das war erst mal gut. Sie würde ihn später fragen. „Du bist echt widerlich und völlig geschmacklos!“, keuchte der Grünhaarige währenddessen völlig fassungslos und lies die Waffe zunächst sinken, steckte sie dann wieder weg, „Wenn du auch nur ein klein wenig Verstand hast, Mädchen aus der großen Stadt, dann halt dich fern von ihm und komm jetzt mit mir zurück nach Hause. Ansonsten dürftest du auch mit Chatgaia Probleme bekommen...“ Er wandte sich ab und der Brünette kicherte. „Oh, Chatgaia, rette sich, wer kann!“ „Ich hab aber echt Angst vor der Frau...“, gab die Jüngere bloß zerknirscht zu, streckte sich dann zu dem 17-jährigen und küsste ihn sanft auf die Wange. „Ich gehe jetzt lieber.“ -- Mayora schwieg eisern auf dem Heimweg und auch Choraly hatte keine Lust, mit ihm zu sprechen. Immer musste er ihr alles versauen! Es war so romantisch gewesen! Aber allem Anschein nach hatte es wohl wirklich nicht an ihr, sondern an Imera gelegen. Vermutlich hatte er ihren Liebsten schon so oft mit so etwas genervt, dass dieser schon im Voraus gewusst hatte, dass er gleich erscheinen würde, wenn es ernster wurde. Woher hatte der Himmelsblüter überhaupt davon Wind bekommen? „Imera wird dich bloß benutzen, glaub mir oder nicht. Ich meine es bloß gut mit dir!“ Sie schrak empört aus ihren Gedanken, den Rücken des Grünhaarigen wütend anvisierend. „DU meinst es gut mit mir? Soll ich jetzt lachen? Es gibt tausend Gründe, die dagegen sprechen, du Missgeburt! Ich hasse dich!“ Er zeigte zunächst keinerlei Reaktion auf ihre Worte, ging einfach stumm weiter und das schürte den Zorn der Jüngeren bloß weiter. „Zum Beispiel wärst du absolut völlig gestört, wenn du es tatsächlich gut mit mir meinen würdest, wo ich dich doch noch nicht einmal als intelligente Lebensform akzeptiere und zweitens willst du bloß vermeiden, dass Imera und ich glücklich werden, weil du so verdammt neidisch bist! Du bist neidisch auf ihn, weil du keine Frau abbekommen wirst und du bist neidisch, dass er hübsch ist und du bist neidisch, weil er eine eigene Meinung hat und schlagfertig ist!“ Sie schrie es einfach aus sich heraus und wie am ersten Tag in Thilia hatte sie plötzlich das Gefühl, dass sie eine große Last damit los wurde. Die Menschen auf der Straße schenkten ihr kaum Beachtung, da sie solches Verhalten von Pinita bereits gewohnt waren und tolerierten es. Vermutlich waren alle Leute von fremden Kontinenten so drauf... Mayora hingegen blieb endlich stehen und drehte sich halb um, ihr einen seltsamen Blick zuwerfend und sie atmete nach ihrem Redeschwall einmal tief durch. „Du hast Recht, wenn ich ehrlich bin. Ich bin unglaublich neidisch auf Imera. Aber nicht, weil ich nicht so hübsch oder schlagfertig bin wie er, ich beneide ihn einzig um seine Menschlichkeit. Seinen Charakter möchte ich niemals haben. Und über solche oberflächlichen Dinge wie Aussehen mache ich mir keinerlei Gedanken, dann würde ich ja zerbrechen. Ich bin froh, nicht in einer großen Stadt leben zu müssen.“ Er senkte den Blick „Weißt du überhaupt, was Hass bedeutet? Oder erahnst du annähernd das Ausmaß deiner Worte?“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schnaubte verächtlich. „Natürlich, ich bin ja nicht blöd.“ Wieder aufsehend begannen die zu schmalen Schlitzen verengten roten Augen des jungen Mannes bedrohlich zu funkeln und ein kalter Schauer überkam das Mädchen in dem Moment, in dem er wieder den Mund auftat. „Dann bist du ein ganz furchtbarer Mensch und die Dinge, die du zu mir sagst, werde ich ab diesem Moment kein bisschen Ernst mehr nehmen. Jemanden zu hassen, obwohl man ihn überhaupt nicht kennt, ist echt widerlich!“ Er kehrte ihr wieder den Rücken und ging schnellen Schrittes weiter, ohne auf sie zu warten. Sicher, ob es richtig gewesen war, sich von seiner Wut leiten zu lassen und so etwas zu ihr zu sagen, war er sich zwar nicht, aber wenn sie tatsächlich dumm genug war, sich auf Imera einzulassen, brauchte sie auf jeden Fall eine Zurechtweisung! Sie kannte ihn nicht, sie wusste nicht, wie er war und was er getan hatte, man musste doch auf sie aufpassen und sie von ihm fern halten. Oder reagierte er wirklich über, weil er ihn hasste...? -- Zur selben Zeit, sehr weit weg, hatten die Menschen ganz andere Probleme, von denen Mayora nichts ahnte. Eine junge Frau in roten Designer-Kostüm und streng hoch gestecktem Haar stand in dem riesigen Büro ihres Arbeitgebers und schenkte diesem, wie er haareraufend an seinem Schreibtisch saß, monotone Blicke. „Ich möchte ihr Handeln ja nicht in Frage stellen, Herr Magafi, aber ist Ihnen klar, dass ihr überstürztes Abreisen aus Palbuflor, und ich möchte betonen, dass sie Ihre Arbeit dort nicht zu Ende geführt haben, ernsthafte Konsequenzen für die Partnerschaft der Kontinente Noboka und Kamake haben kann?“ Er fuhr auf. „Stelle mein Tun niemals in Frage, du ehemalige Straßennutte! Tu nicht so, als seist du intelligenter als ich, bloß, weil du dir jetzt Kleidung leisten kannst, die mehr als deinen Intimbereich bedeckt, du Schlampe! Ich hab dich von der Straße geholt!“ (Obszön ist der Herr ja nicht)(Muppa errötet!) Die Dame blinzelte unbeeindruckt. „Ich dachte ja nur, Weltkriege sind immer so ungemütlich...“ „Ach, Sie nerven!“, schluchzte ein weiterer Mann, weniger schick angezogen auf einem Sofa sitzend. In seinen Armen lag ein etwa 3 Jahre alter Junge und schlief. Uda Magafi nickte ihm zu. „Wenn Kamake wegen so etwas einen Krieg beginnt, war es so wie so bloß noch eine Frage der Zeit, bis es eskaliert! Ich habe Frau und Tochter verloren! Dem Mann und dem Jungen dort fehlen nun Frau und Mutter und ein paar Straßen weiter erfahren gerade eine weitere Frau und ihre beiden Kinder, dass ihr Mann und Vater tot ist! Kannst du dich überhaupt in diese Situation herein denken, Weib?!“ Sie seufzte. „Nein, Herr Magafi. Es tut mir Leid, ihr Handeln in Frage gestellt zu haben. Wenn sie erlauben, entferne ich mich jetzt.“ „Ja, hau nur ab!“, fauchte er und ließ sich wieder in seinen Schreibtischstuhl sinken, während die Dame verschwand. „Meine arme Atti...“, jammerte der Mann auf dem Sofa unterdessen und knuddelte zum Trost seinen schlafenden Sohn, der deswegen immer mal wieder missbilligend grummelte. „Ja...“, machte Uda Magafi bloß, sich wieder durch sein dunkelblondes Haar streichend. Etwas schlimmeres hatte nicht passieren können. Wie sollte er bloß den ganzen Organisationen, in denen seine Frau tätig gewesen war, von deren Ableben berichten? Wer würde die Familientradition fortsetzen, wenn nicht seine Choraly? Wie würde Opas Herz auf die schreckliche Nachricht reagieren? Und am wichtigsten... was sollte er denn tun, jetzt, so ganz allein? Sich eine neue Frau suchen und einen neuen Erben machen? Nein, das war nicht das Selbe. Er seufzte abermals. Nein, das ist nicht das Selbe!, war auch der erste Gedanke gewesen, als sein Vater gemeint hatte, dass die kleine Choraly seinen Posten irgendwann übernehmen müsse, da sein Sohn Semera es nicht mehr gekonnt hatte. Semera... Fast zehn Jahre war es nun her. Sein Blick schweifte zu dem Lichtbild auf seinem Schreibtisch, das seinen kleinen Jungen fröhlich lachend zeigte. Jetzt bist du wenigstens nicht mehr so allein im Himmelreich, Semerachen... dachte er deprimiert. Er war erschossen worden, als unschuldiges, 10-jähriges Kind. Oft genug hatte man ihm und seiner Schwester verboten, dass große Grundstück ganz allein zu verlassen, doch an diesem Tag hatten sie einfach nicht gehört. Die Eltern hatten viel zu tun gehabt und in der Stadt hatte es eine Parade gegeben, am großen Fluss, die die Kinder unbedingt hatten sehen müssen. So hatten sie sich fort geschlichen und Semera war Opfer eines Attentats geworden. Man hätte den Kindern klar machen sollen, dass sie nicht „normal“ waren, wie andere Kinder ihren Alters, dann wären sie vorsichtiger gewesen. Solche Gedanken hatten Uda und Naputi Magafi im Nachhinein oft gehabt. Es gab eine ganze Untergrundorganisation, deren einziges Ziel es war, die einflussreichen Politikerfamilien zu entmachten und das taten sie vorrangig, indem sie sie ihrer Erben beraubten. Dass die Familie Magafi nach Semeras Ableben aber alles auf die Tochter setzen würde, hatten diese Verbrecher jedoch nicht geahnt und so war das kleine Mädchen verschont gewesen. Wenn man seinem Bruder beim Sterben zusehen denn als verschont bezeichnen konnte. Seit diesem Ereignis hatte Choraly ihr Zuhause nie wieder unbeaufsichtigt verlassen. Das hätten zum Einen ihre Eltern nicht erlaubt und zum Anderen hätte sie das nach dem Blutbad auch überhaupt nicht mehr gewollt. Aber letzten Endes hatte man sie doch nicht beschützen können. „Es muss der Wille der Götter sein...“, murmelte der Mann resigniert vor sich hin und Attis Witwer sah auf und nickte. „Ja, muss es wohl...“ Es klopfte an der Tür und ohne abzuwarten trat die Dame im Designer-Kostüm wieder ein, sich leicht verneigend. „Man hat das Wrack nun gefunden.“, teilte sie monoton mit und die Herren sahen auf. „Und?“, fragte Attis Mann ungeduldig und die Dame hob eine Braue. „Was und? Mehr weiß ich auch nicht!“ Uda Magafi grummelte. Wenn sie nicht mehr wusste, hätte sie sich den Weg auch sparen können. Was brachte ihnen ein Wrack? „Herr Magafi!“ Im Gang ertönte eine schrille Stimme und wenige Sekunden später stolperte ein kleiner Junge, höchstens zwölf Jahre alt, spindeldürr, mit zerzaustem rot-blondem Haar und nahezu schneeweißer Haut völlig außer Puste in den Raum. „Herr Magafi!“, machte er wieder, schwer atmend, „Sie haben... sie haben jetzt sterbliche Überreste gefunden! Ich weiß nicht wie viele und ich weiß nicht von wem, jedenfalls wurden welche entdeckt! Ich... ich bin von der Wachzentrale bis hier her gerannt und... und ich kann nicht mehr...!“ In dem Moment verfärbte sich sein eben noch weißes Gesicht in dunkel-violett und er kippte rückwärts um und war ohnmächtig. Dabei war er fast auf die Dame im Designer-Kostüm gefallen, die allerdings im rechten Augenblick noch elegant einen Schritt zur Seite machen konnte und nun ein wenig blöd auf den Kleinen hinab sah. „Soll ich ins nächste Armen-Viertel gehen und ihnen einen neuen Laufburschen besorgen?“, fragte sie bloß. Uda Magafi verdrehte entnervt die Augen. „Nein, diesmal nehmen wir einen aus dem Waisenhaus. Die sind besser ernährt und haben mehr Ausdauer.“ ------- Herr Magafi ist lustig "XD Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)