Jumays Kinder von -Izumi- (Part 5: Kinder des Wassers - Verloren im Sand) ================================================================================ Kapitel 13: Sandkasten ---------------------- Choraly hatte bei Tai geschlafen. In dem kleinen Haus gab es kein Gästezimmer, aber das Bett der Jüngeren war recht groß, so dass das schon in Ordnung ging. Außerdem war es ganz lustig, bei jemandem zu übernachten, fand die 16-jährige. Sie hatte, als sie noch klein gewesen war, oft bei Atti geschlafen und dabei viel mit ihr herumgealbert. Mit Tai ging das auch gut, wie sie festgestellt hatte, auch wenn die Kleine etwas übervorsichtig mit ihr war. Das Stadtmädchen war am Abend nach all den Eindrücken fast ohnmächtig geworden und hatte eine ziemliche Weile gebraucht, um sich wieder zu fassen und so waren alle ziemlich besorgt um sie gewesen, was ihr irgendwie peinlich war. Früher hatte sie sich bei jedem Schnupfen von allen verhätscheln lassen und hatte es genossen, im Mittelpunkt zu stehen, aber hier war alles anders. Die Menschen hier hatten andere Probleme und waren nicht so eingenommen wie die in Wakawariwa, es war furchtbar, wenn man sie auch noch zusätzlich belastete. Und es war furchtbar, dass sie es so empfand, überlegte sie sich. Das grenzte an Identitätsverlust. Na ja, so lange sie nicht auch noch damit begann, Mayora sexy zu finden, ging es ja noch in Ordnung... „Hattest du eigentlich genügend Platz?“, erkundigte sich Lilli dann beim Frühstück und ihre Fast-Schwägerin schnaubte. „Natürlich, ich bin ja nicht fett!“ „Bist du dir da sicher?!“, machte ihr Bruder lachend und sie verzog das Gesicht. „So sicher, wie ihr gestern Abend unanständig wart...“ Choraly nickte zustimmend, die Wände in dieser Hütte waren nicht besonders dick, sehr zu ihrem Leidwesen. Lilliann gackerte gut gelaunt und Jiro errötete. „Dann hört doch weg, verdammt!“, fuhr er sie verlegen an und fuhr sich durch sein gruseliger Weise sauberes Gesicht. Wenn er das Haus verließ würde er aber wieder genauso sandig sein wie immer, dachte sich die Brünette. Wäre Tainini nicht so lustig gewesen, hätte sie in dieser Nacht wirklich Angst bekommen, es war gut gewesen, dass sie nicht allein hatte schlafen müssen. Alles hatte gerattert, gescheppert und sonstige gruselige Geräusche gemacht, die sie unschön an den Absturz erinnert hatten und sie hatte sich echt gefragt, wie es draußen wohl ausgesehen haben musste, denn die Nacht war dunkel gewesen. Wo ist der Mond?, hatte sie Tai irgendwann gefragt und diese hatte ihr ehrfürchtig geantwortet Hinter dem Sand! Es verursachte noch immer eine Gänsehaut bei ihr, auch wenn es so ganz anders gewesen war, wie sie es sich vorgestellt hatte. Wie eine Schlechtwetterfront, bloß eben ohne Regen, sondern mit Sand. So ganz anders und doch so ähnlich. Wie das Wetter in der großen Stadt jetzt wohl war...? -- In der großen Stadt regnete es schon seit Tagen, obwohl Sommer war. Aber zu Uda Magafis Stimmung passte es sehr gut, denn die politische Lage spitzte sich von Tag zu Tag zu. Kamake und Mon'dany stürzten sich nur so auf die Fehler des Mannes und warteten bloß noch auf die entsprechenden Formalitäten, um die Waffen zu ziehen, sie wollten den Frieden gar nicht wahren. Und das wegen so einem Unsinn! Konnten die ihm denn nicht nachempfinden, es war um seine Familie gegangen. Apropos Familie, Choraly war ja vielleicht noch immer da draußen. Und er kam nicht dazu, sie zu suchen. Aber vielleicht fand jemand anderes sie? Und half ihr? Aber vielleicht war es jemand böses, der seinem Mädchen schlimme Sachen antat?! Verdammt, das half ihm nicht weiter... „Du musst ruhig bleiben.“ Femeese Magafi für seinen Teil war noch immer ganz ausgeglichen. Er hatte sich in seiner Amtszeit in schwierigeren Situationen befunden, das konnte ihn nicht mehr schocken. Mehr Gedanken machte er sich um seine Enkelin, doch das sprach er dem Gemütszustand seines Sohnes zu Liebe nicht aus. Er hatte es schon schwer genug in letzter Zeit, fand er. Und in die Wüste konnte man im Moment eh nicht, das würde die Lage bloß verschlimmern. Es war schon recht so, dass der Jüngere sich mehr um den Frieden seiner Heimat sorgte. Der letzte Krieg zwischen den Kontinenten lag schon viele hundert Jahre zurück, obwohl sich die Mächte untereinander immer wieder in den Haaren lagen. Noch immer hatte die Vernunft gesiegt und der alte Mann zweifelte auch nicht daran, dass es letzten Endes wieder so kommen würde. Alles andere war doch Unsinn. „Was hat Mon'dany uns schon entgegen zu setzen? Wir sind viel größer, haben stärkere Truppen und mächtigere Waffen, uns anzugreifen wäre ein Himmelfahrtskommando!“, stellte er aufmunternd grinsend fest. Uda Magafi grummelte. Sie befanden sich im Salon des Magafi-Anwesens und immer wieder kamen irgendwelche Diener vorbei, die Tee brachten, leere Tassen wegnahmen oder auch einfach nur den großen Kaminsims abstaubten, da konnte man sich kaum konzentrieren und so kam er auch erst nach ein paar Sekunden auf den Denkfehler seines alten Vaters. „Du hast Kamake vergessen.“, sagte er dumpf, „Die haben fast genauso viel wie wir, wenn sich die Südkontinente verbünden, stellen sie eine Übermacht dar.“ „Oh.“, machte der Ältere und kratzte sich am Kopf, „Wäre aber trotzdem dumm.“ -- „Mayora, du hirnloser Nichtsnutz!“ Der Junge stand schuldbewusst vor seiner aufgebrachten Tante, deren hübsches Gesicht sich vor Wut ganz rot verfärbt hatte. „Was hab ich dir gesagt? Fensterrahmen stärken, die Dinger sind alt! Und zufällig bist du ausgerechnet bei dem in meinem Zimmer zu blöd gewesen, um es anständig zu machen! Wolltest du mich umbringen?! Ich bin heute morgen in meinem Sandkasten von Schlafzimmer fast erstickt!“ Wenn man es genau nahm, war eigentlich noch immer Morgen, aber da die Magierin normalerweise gegen 5 Uhr aus dem Haus verschwand war 8 Uhr für sie schon fast Mittag. Auch egal, ihr Neffe hatte Mist gebaut. „Es war keine Absicht.“, murmelte er beklommen. Blöder Weise hatte er, als er für seinen Teil ungewöhnlich früh aufgestanden und sein Zimmer verlassen hatte, einen Lachanfall bei Chatgaias Anblick bekommen, was die nicht so besonders berauschend gefunden hatte. Sie war total eingestaubt gewesen, überall hatte sie Sand gehabt, sogar in ihrem Dekolleté, wie er nach einem flüchtigen Blick registriert hatte. Aus ihrem langen grünen Haar war das pulverige Zeug nur so gerieselt, es hatte toll ausgesehen, im amüsanten Sinne. Nützte aber alles nichts, jetzt bekam er gehörig was auf den Deckel, wie es schien. „Wäre ja noch schöner gewesen! Ich würde dir am liebsten den Hintern versohlen, aber dazu erscheinst du mir ein wenig zu alt, ich...“ Sie überlegte. Wie konnte man einen 17-jährigen Jungen bestrafen? Ausgangssperre? Lustig, der Kleine ging ja nie weg. Ich will keine Mädchen mehr kennen lernen, hatte er ihr irgendwann einmal gesagt, als sie ihn darauf angesprochen hatte, Das mit Shakki hat mir gereicht, das war schon schmerzhaft genug, auf eine sehr unangenehme Weise... Dann such dir halt einen Kerl, hatte sie geseufzt, ohne es wirklich ernst zu meinen, Du kannst doch nicht dein Leben lang allein bleiben. Dafür bist du viel zu hübsch. Obwohl du deinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten bist, übrigens. Er hatte bloß gegrummelt. Es war wirklich schwer, jemanden zu bestrafen, dem an nichts etwas lag, fand die Ältere und senkte schließlich den Blick. War es eigentlich ihre Schuld, dass er so geworden war? Nein, beantwortete sie die Frage in Gedanken selbst, als sie sich daran erinnerte, wie er sich verhalten hatte, als er noch klein gewesen war. Schon damals hatte er keine wirklichen eigenen Interessen gehabt und war den ganzen Tag lang Imera nachgerannt, um ihn irgendwie zu kopieren, dabei hatte er gar nicht gemerkt, was für einen Idioten er sich zum Vorbild genommen hatte. Aber sie hatte ihm ja Himmel sei Dank die Augen öffnen können. Normaler hatte ihn das aber leider auch nicht gemacht. „Gibt es eigentlich irgendetwas, was du wirklich magst?“, erkundigte sie sich so monoton und sah wieder auf. Er blinzelte. „Was ich mag?“, machte er erstaunt, „Willst du mich etwa belohnen?“ „Nein, ich will wissen, was ich dir wegnehmen soll.“ „Könnte schwierig werden.“, er grinste, „Ich mag alles, was mit Wasser zu tun hat, natürlich. Und ich mag Shakki und Maragi. Und dich natürlich.“ Und Choralychen, fügte er in Gedanken hinzu, hielt es aber für vorteilhafter, das nicht auszusprechen. „Shakki mag mich aber nicht mehr und mit Maragi verhält es sich bekanntlich ein bisschen schwierig, da kann ich dir nicht weiterhelfen.“ Sein Grinsen verschwand und sein Ausdruck wurde seltsam. Seine Tante hätte in dem Moment viel darum gegeben, seine Gedanken zu kennen, aber mit einer Seherin wollte sie dennoch nicht tauschen, diese Leute waren nur bedauernswert. „Ich bin irgendwie wirklich eine Missgeburt, kann das sein?“, fragte er da und sie musste glucksen. „Diese Stadtgöre ist wirklich nicht gut für dich!“, stellte sie kopfschüttelnd fest und tätschelte ihm das grünhaarige Haupt. Er hielt es für besser, darauf nichts zu erwidern und sie fuhr weiterhin gedankenverloren durch sein Haar. „Meine Güte.“, kam dann irgendwann, „Du bist verdammt schnell groß geworden.“ Er zuckte nur mit den Schultern und hielt still, bis sie wieder von ihm abließ. „Als du zur Welt gekommen bist, hattest du braune Haare, hast du das gewusst?“ Er blinzelte. „Nein, hab ich nicht. Ehrlich?“ Sie nickte. Er hatte ziemlich wenig Peilung von seiner ersten Lebenszeit, das war ihr schon öfter aufgefallen. Andererseits war es ja auch nicht weiter wichtig, aber man konnte es ja einmal ansprechen. Der Junge legte seinen Kopf leicht schief. Da war er wieder, der „Ich hab ja keine Ahnung“-Blick, den Chatgaia so amüsant fand und sie konnte nicht anders, als ihre Wut zu vergessen. „Na gut.“, seufzte sie, „Ich lass es dir noch einmal durchgehen, aber beim nächsten Mal pass etwas besser auf. Oder willst du mich etwa um die Ecke bringen, damit du endlich das Sagen hast?!“ Sie grinste und ihm klappte die Kinnlade nach unten. „Tante!“, keuchte er entsetzt und sie wandte sich grinsend ab. Er war niedlich, er sollte endlich Shakki heiraten. Seit er bei ihr war, wollte sie das schon. Der Vater der kleinen Seherin war auch immer der Meinung gewesen, es sei eine gute Idee, die beiden zusammen zu bringen und als sich die Zwei ganz von selbst ineinander verliebt hatten, waren alle zufrieden gewesen, doch dieses selbstsüchtige Mädchen hatte ihnen ja einen Strich durch die Rechnung machen müssen. Bloß weil es sie nervte, ständig zu wissen, was ihr Freund dachte, Himmel. Dabei wären sie doch so ein schönes Paar gewesen. Die Frau dachte seufzend an den Tag zurück, an dem man ihrem Neffen das Herz gebrochen hatte. Sie hatte in der Küche gestanden und Frühstück gemacht, genauso wie in diesem Moment übrigens, und hatte überhaupt nichts böses geahnt, da war die Welt untergegangen. „Ich hasse alles!“ Die Haustür fiel scheppernd ins Schloss und die Magierin zuckte überrascht zusammen, als ihr Neffe die hölzerne Treppe hinauf stampfte und irgendetwas in der alten Sprache vor sich hinschimpfte. Nicht gerade ein typisches Verhalten für den ruhigen Jungen und für seine Tante Grund genug, sich nach ihm zu erkundigen. „Was ist denn in dich ge... oh.“ Sie betrat sein Zimmer und verstummte, als sie ihn schluchzend auf seinem Bett kauern sah und er vergrub sein Gesicht in seinem Kissen, als er sie bemerkte. „Geh weg!“, jammerte er gedämpft und sie setzte sich gegen seine Anweisung einfach zu ihm, ihn perplex musternd. „Was ist los?“, erkundigte sie sich ruhig, „Hat Imera dich wieder geärgert?“ „Imera!“, er fuhr mit der bloßen Erwähnung dieses Namens auf und strich sich ein paar störrige Haarsträhnen aus dem Gesicht, „Nein, er hat mich nicht geärgert, der Idiot... der nicht.“ Er versuchte einen Moment dagegen anzukämpfen, begann dann jedoch abermals zu schluchzen und vergrub sein noch recht kindliches Gesicht in den Händen. „Sie hat Schluss gemacht...“, brachte er gequält hervor und die Ältere schaute ihn mitleidig an. Ach herrje, der arme Junge. „Warum denn?“, fragte sie behutsam und zog ihn in ihre Arme. Er mochte es normalerweise nicht, wenn man versuchte, ihn zu knuddeln, aber das war wohl eine Ausnahme und so ließ er es zu. „Weiß ich nicht.“, gab er bekümmert von sich, „Sie wollte mich einfach nicht mehr. Sie hat gesagt, ich würde... sie nerven.“ „Wie gemein.“ Dabei hatte die kleine bildhübsche Shakki immer so lieb gewirkt, seltsam. Aber da lag wohl der brennende Punkt. Auch wenn sie für das Dorfoberhaupt die Traum-Schwiegertochter gewesen wäre (auch wenn der Junge bloß das Kind ihrer Schwester war), es hatte sie sehr verwundert, dass sie zusammen gefunden hatten. Shakki war als Seherin schon sehr viel weiter als Mayora, geistig sowie körperlich, das hatte irgendwie ja nicht gehen können. Aber trotzdem, dem Kleinen so das Herz zu brechen, das ging doch nicht... „Was hab ich nur falsch gemacht?!“, fragte er laut, wohl wissend, dass seine Tante ihm diese Frage kaum beantworten konnte. Er war verletzt. Er war schon oft verletzt worden, aber das war ganz anders, das war einfach nur furchtbar und tat in seinem Herzen so weh. Er hatte immer Hoffnung gehabt, wenn man gemein zu ihm gewesen war, aber Shakki hatte von einem Tag auf den Anderen alles im Keim erstickt. „Ich will dich nicht mehr sehen, klar?“, hatte sie gesagt, „Du bist total unreif und gehst mir mit deinem kindischen Getue sowas von auf die Nerven, such dir doch eine neue Freundin auf dem Spielplatz!“ Sie war immer so nett und zärtlich zu ihm gewesen, sodass es für ihn so plötzlich gekommen war, wie ein Stein, der ohne Vorwarnung von oben auf seinen Kopf knallte und ihn tot schlug. Obendrein waren die Dinge, die sie geteilt hatten, ja so etwas von überhaupt nicht kindisch gewesen, aber darüber wollte er sich mit Chatgaia nicht unbedingt unterhalten. So wie so, das ging sie nichts an, sie hatte genügend andere Sorgen. „Ist schon gut, Tante, geh ruhig, ich komme alleine klar.“ Er befreite sich aus ihrer Umarmung und senkte den Blick. Sie strich durch sein Haar. „Wirklich?“, fragte sie sicherheitshalber noch einmal nach, denn eigentlich hatte sie an diesem Tag wirklich noch viel zu tun. Er nickte und so ließ sie ihn wieder allein, mit dem Gedanken, dass ein Kind in dem Alter sich schnell von so etwas erholte. Doch sie sollte sich irren, ihr Neffe tat sich sehr schwer daran, auch wenn er stets versuchte, tapfer zu sein. Aber er veränderte sich, aß fast nichts mehr und war noch ruhiger als zuvor und als sich auch nach über einem Monat keine Besserung zeigte, suchte sie noch einmal das Gespräch mit dem Kleinen, wie sie ihn nannte, denn so besonders groß war er nicht. „Mir geht es gut, ich denke schon gar nicht mehr an du weißt schon wen.“, meinte er bloß gleichgültig und stierte sie dabei seltsam aus seinem aschfahlen und so überhaupt nicht gesund wirkendem Gesicht an. Er war sehr dünn geworden. „Aber du isst nicht.“, brachte sie es deshalb auf den Punkt und er zuckte mit den Schultern. „Ich hab halt keinen Hunger.“ Die Frau fuhr sich durch ihr langes Haar, welches sie zu dieser Zeit gern in einer lockeren Hochsteckfrisur getragen hatte und seufzte. „Du bringst dich noch um.“, machte sie ernst, „Du weißt, dass du schon seit du klein bist krank bist, irgendwie, du musst dich richtig ernähren!“ Wieder bloß ein Schulterzucken. Das Angst machen nützte wohl nichts. „Wäre doch nicht schlimm.“, meinte er da, „Mich braucht doch eh niemand.“ Ob Shakki überhaupt wusste, was sie Mayora damals angetan hatte? Wohl kaum, auch wenn ihre Götter ihr alles verrieten. Aber Gefühle übermitteln konnten sie nicht. Wenn sie ehrlich war, war sie mit ihrer Antwort, die sie von ihr vor wenigen Wochen erst nach der Frage des Trennungsgrundes von damals bekommen hatte, nicht wirklich zufrieden. Konnte es denn so schlimm sein, zu wissen, was in seinem Partner vorging? „Ich bin nicht mehr besonders hungrig, ich hab vorhin schon etwas gegessen.“ Sie schreckte aus ihren Gedanken und drehte sich zu ihrem Neffen, der sie monoton ansah. „Ich will sehen, wie es im Dorf aussieht. Außerdem muss ich doch nach dem Mädchen aus der großen Stadt suchen, ich bin sehr besorgt. Sie war in letzte Zeit immer so lieb und ich hatte so wenig Zeit für sie, das will ich wieder gut machen. Außerdem läuft es zwischen ihr und Imera im Moment nicht so toll, wie ich gestern Abend noch in Erfahrung hab bringen können.“ Die Frau nickte. Er war so vernünftig geworden. „Wie gesagt, mach mit ihr, was du möchtest... hast du denn schone eine gute Verwendung für sie?“ Zu ihrer Überraschung lächelte er, während er den Kopf schüttelte. „Nein. Aber es reicht mir, wenn sie da ist und wir uns unterhalten können.“ Und das war ihr auch nicht geheuer. Irgendetwas lief da doch falsch, dieser plötzliche Sinneswandel der kleinen Prinzessin kam ihr nicht so ganz glaubwürdig vor. Sie konnte den Jungen doch nicht am einen Tag hassen und am nächsten mögen, das ging doch nicht. Dieses Mädchen war absolut hinterlistig, da war sie sich sicher und ihr Freund war es auch, womöglich täuschten sie selbst ihre Krise nur vor, das traute sie ihnen alles zu. Aber so einfach war es nicht, Mayora hatte nicht genügend Macht, um das Dorf zu verraten, dafür hatte sie schon gesorgt... hoffte sie zumindest... -- „Pinita, hilf mir!“ Dafi saß an ihrem kleinen Schreibtisch, rechts und links neben ihr jeweils ein riesiger Berg von Akten. Ihre Cousine stand an den Türrahmen gelehnt da und aß ein Eis. „Ich mache deine Arbeit nicht, du faules Stück.“, entgegnete sie nur gleichgültig und ein paar wirre blonde Strähnen fielen ihr ins Gesicht, „Hast du eigentlich mein Haarband gesehen? Irgendwie ist es weg und ich hab das Bedürfnis, mir die Haare schon wieder abzuschneiden...“ „Nicht!“, machte die Jüngere, „Ich weiß nicht, wo es ist, aber bitte die Haare nicht noch kürzer, du siehst aus wie ein Kerl mit Brüsten!“ Sie wandte sich todernst wieder ihrer Arbeit zu und die Andere spuckte ein Stück Eis, das sie gerade abgebissen hatte, wieder aus. „Bitte?!“, empörte sie sich, „Und das sagst gerade du zu mir?! Du siehst aus wie ein Kerl mit langen Haaren, so! Mieses Stück Dreck, ey...“ Sie trat nach einem kleinen Schrank, der darauf ein unschönes Geräusch von sich gab und die 16-jährige sah wieder auf. „Das war mit Abstand das Lustigste, was man je zu mir gesagt hat.“, seufzte sie und die Ältere gackerte darauf blöd. Ihren Bruder hatte man immer ausgelacht, weil er ausgesehen hatte wie ein Mädchen, dachte sie sich. Letzten Endes waren sie sich bloß ähnlich gewesen und das hatte keinem von Beiden einen Vorteil gebracht. Echt blöd. „Nicht schmollen, arbeiten!“, forderte Pinita sie wieder auf, als sie sich wieder zusammen gerissen und ihr Eis zu Ende gegessen hatte, „Ich geh jetzt ins Dorf und frag Tafaye, ob er ein neues Stirnband für mich hat, sonst passiert wirklich noch ein Unglück mit den Fransen...“ Sie pustete sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht und wandte sich schon zum Gehen, als die Andere mit ihrer noch immer komischen Stimme quiekte. „Nein, ich will mit!“, forderte sie, „Ich hab gesagt, ich will Choralys beste Freundin sein und bloß wegen eurem blöden Krieg bin ich schon ewig nicht mehr zu ihr gekommen! Ich muss doch nach ihr sehen!“ Sie war aufgestanden und zu ihrer Cousine getreten. Man nannte ihren Beruf Koordinatorin und das klang so, als würde sie irgendwelche ominösen Dinge koordinieren, doch dem war irgendwie nicht so. Vielmehr halste man ihr irgendwelchen blöden Schreibtischkram auf. Gut, sie verdiente nicht schlecht, aber was nützte einem Geld in der Wüste? Und nach Hause kam sie auch nur einmal im Jahr und so toll war es da auch wieder nicht. Das Mädchen war schließlich hier draußen aufgewachsen und die Stadt, aus der sie kam, war ziemlich groß und doch recht modern, sie kam da kaum zurecht. Außerdem kannte sie dort niemanden, es zog sie nichts dorthin. „Und was ist mit deiner Arbeit?“, wollte die Größere da wissen und sie seufzte. „Ich will weg hier, ich will ins Dorf.“ -- Der Sandsturm war nicht so schlimm gewesen, wie befürchtet. Die meisten Dinge und Gebäude waren heil geblieben und niemand war zu Schaden gekommen. Ein größeres Problem stellte der Sand dar, der ins Dorf geweht worden war und nun so ziemlich alles teilweise sogar meterhoch bedeckte. Und die windstille Luft, die noch immer orange schimmerte und die einem das Atmen furchtbar schwer machte, weil die voll von winzigen Staubpartikeln war So stand der kleine Wirtschaftskreislauf des Ortes an diesem Morgen still, denn alle waren irgendwie damit beschäftigt, den Sandkasten wieder bewohnbar zu machen. Die einen mussten sich dabei mehr Mühe geben, die anderen, besonders die Windmagier, weniger, denn die konnten mit ein paar kleinen Zaubern die Straßen frei fegen. Zumindest manche, nicht jeder war gleich talentiert in der Magie. Warum das so war, konnte niemand sagen. Ursprünglich war man einmal davon ausgegangen, dass verschiedene Familien stärker waren, als andere, aber mit der Zeit hatte man bemerkt, dass das damit überhaupt nichts zu tun hatte. Bestes Beispiel waren die Geschwister Shakki und Kinai. Aber gut, man konnte nicht alles haben. Das waren auch Mayoras Gedanken, als er so durch die inoffizielle Hauptstraße des Dorfes ging und sich aufmerksam umsah. Die Leute kamen zurecht, wunderbar. Aber wo war Choraly hin? „Ich hab sie nach Wakawariwa geschickt, wie du wolltest.“ Er schreckte auf und sah zur Seite, wo Imera an einer Hauswand lehnte und ihn wissend angrinste. „Das war es doch? Du suchst sie, oder?“ Er schnaubte und schaute einfach wieder weg. Er hatte keine Zeit für diesen Primitiven, auch bei ihnen zu Hause gab es zu tun. Zum Beispiel Chatgaias Zimmer freischaufeln... „Bist du unhöflich heute morgen.“, hörte er den Älteren gespielt entsetzt sagen und der Himmelsblüter ging rasch weiter, merkte aber, dass er ihm folgte. Hatte der nichts besseres zu tun? „Du nervst.“, knurrte er so ärgerlich, als der Braunhaarige neben ihm erschien und der schwieg eine Weile und schaute sich genau so interessiert um wie der Andere zuvor. „Ich will aber auch wissen, wo sie hin ist. Sie ist schließlich meine Freundin... und ich liebe sie.“ Der Jüngere hielt inne. Was sagte er? „Was denn?“, auch Imera hatte halt gemacht. „Du weißt doch gar nicht, was Liebe bedeutet! Noch nicht einmal im Ansatz!“ Es machte ihn wütend, wenn ausgerechnet er von Liebe sprach, diese unnötige Erscheinung des Lebens. „Und du weißt es auch nicht, vermutlich noch weniger als ich, also reg dich nicht so künstlich auf, du Feigling.“ Er hatte anscheinend gute Laune und ließ sich von dem Kleineren nicht reizen. Warum auch, das verschwendete nur Energie bei der schlechten Luft... „Na gut.“, schnappte der Grünhaarige so, „Aber dann solltest du dich einmal ernsthaft mit ihr unterhalten, wenn sie dir SO wichtig ist.“ Gut, er konnte verstehen, dass er an ihr hing, hatte er bei den einheimischen Mädchen doch so gut wie keine Chance, obwohl er nicht hässlich war. Keine wollte einen so talentfreien und dummen Mann wie ihn haben. Nein, falsch. Das war es nicht. Jiro war weder viel schlauer, noch in irgendetwas talentierter als er, aber trotzdem liebte Lilli ihn bedingungslos. Und das lag einfach an seinem guten Herz und seinem lieben Charakter, etwas, was er Imera weit voraus hatte. Choraly schien ihn tief in ihrem Inneren bereits durchschaut zu haben, wenn sie ihm ein „Dummes Huhn“ so lange so übel nahm; sie hatte es wohl bloß noch nicht so recht registriert. „Was meinst du?!“, erkundigte sich der Ältere nun auch etwas säuerlich. Er sollte sich nicht in seine Angelegenheiten einmischen, verdammt. Mayora grinste bitter. „Na ja, wenn ihr heiraten solltet, denkst du nicht, dass das Mädchen aus der großen Stadt irgendwann einmal das Bedürfnis bekommt, Mutter zu werden? Was willst du ihr dann sagen?“ Er hob beide Brauen und blinzelte. „Was soll ich ihr denn sagen? Ich kann gesunde Kinder zeugen, die sicherlich auch keine Missgeburten sind!“ Der Jüngere seufzte, wandte sich ab und ging weiter. Er war zu dumm. „Hey!“, rief der Andere ihm empört nach, „Weißt du etwas, was ich nicht weiß?“ -- „Choralychen ist bei uns.“ Jiro grinste. Die Menschen hatten wohl Recht, Chatgaias Neffe war irgendwie wirklich einfältig, konnte das sein? Oder er dachte bloß von hier, bis zum nächsten Kaliri-Baum, war ja auch möglich. „Warum ist sie nicht nach Hause gekommen?“, wollte der überraschte Ältere wissen, der nach einer halben Stunde des ahnungslosen Umherrennens auf den werdenden Vater getroffen war, der irgendwie etwas besseres zu tun hatte, als bei der „Entsandung“ zu helfen. Jiro seinerseits dachte im letzten Moment an die Worte seines Gastes zurück und war ganz schön stolz auf sich, als er sich nicht verplapperte. „Sie hat es gestern Abend nicht mehr geschafft.“, erklärte er so ruhig und kicherte innerlich wie ein kleines Kind, „Aber sie hat sich Vorwürfe gemacht, weil sie nicht bei euch Bescheid sagen konnte, wo sie war. Sie wollte nicht, dass du dich sorgst.“ Das hatte er gut gemacht, er verdiente sich eine Belohnung, fand er. Aber nein, kam ihm dann im nächsten Moment, er tat es ja für einen guten Zweck. Ich bin sehr stolz auf dich., hatte Lilli ihm in der vergangenen Nacht liebevoll zugeflüstert, Du weißt, was das Richtige ist, du bist vernünftiger als alle anderen hier! Vielleicht hatte sie Recht, wer wusste es schon? Er sollte sich Mühe geben, vor allem, weil er so auch bei seiner niedlichen Verlobten Eindruck schinden konnte. Und bei seiner lieben Schwester, die das Mädchen auch sehr gern hatte. Ja, er tat das Richtige, auch wenn er log. „Sie wollte wirklich nicht, dass ich mich sorge?“, wollte Mayora da überrascht wissen und der Jüngere nickte grinsend. Oh, war er gut. Er musste sich in nächster Zeit bloß ganz weit von Shakki entfernt halten, nicht, dass die ihnen noch einen Strich durch die Rechnung machte. Oder er musste sie miteinbeziehen, mal sehen, was sich ergab. Würde schon gehen. „Das hätte ich nicht gedacht... ich meine, dass sie das sogar zugibt!“ Er war überraschter als sie angenommen hatten, war das noch im Rahmen? Nach dem Frühstück hatten sie noch einmal alles besprochen und man hatte Choraly noch einmal ausdrücklich, aber behutsamer als am Tag zuvor gewarnt, nicht zu weit zu gehen. Wenn der Idiot jetzt aber schon so drauf war, musste das nicht unbedingt von Vorteil sein. Ach, was sollte es, da konnte er ja wirklich nichts für. „Sie mag dich halt.“, gab er so nur noch von sich und ging dann weiter ihm noch ein Grinsen zuwerfend, „Ich hab noch zu tun!“ „Sie mag mich?“ Mayora guckte dem Jüngeren ein wenig blöd nach. Also log sie wirklich nicht? Er lächelte. Das war ja wunderbar! Und das, obwohl er sie so vernachlässigen hatte müssen. Sie schien wirklich ein kluges Mädchen zu sein. Das musste er unbedingt seiner Tante erklären, sie hatte ja keine so gute Meinung von ihr, wie schade. Sie hatten halt einen schlechten Start gehabt, sei es darum, das war der jungen Frau aber nun wirklich nicht zu verübeln! Am liebsten wollte er sich sofort schon wieder bei ihr entschuldigen, auch wenn er keine Peilung davon hatte, wofür, Hauptsache irgendwie Einschleimen, hätte Imera wohl gegackert. -- Und wie er das tat. Choraly und Lilli starrten ihn gleichermaßen blöd an, als er in der Haustür stand und Tai, die auch dabei war, schnupperte verwirrt. „Hier duftet etwas.“, stellte sie richtig fest und ihr Fast-Schwägerin warf ihr ein seltsames Lächeln zu. „Ja.“, machte sie und wandte sich wieder an den Besucher, „Wo hast du die denn ausgebuddelt? Himmel...“ Er lachte verlegen und hielt dem braunhaarigen Mädchen einen wunderhübschen und sehr selbst gepflückten Blumenstrauß entgegen. „Geheimnis. Ich wollte mich entschuldigen, weil... ich mich halt entschuldigen wollte, ja.“ Er streckte das Grünzeug noch mehr in ihre Richtung und hätte sie fast im Gesicht getroffen, hätte sie es nicht endlich entgegen genommen. „... wie?“, fragte sie bloß und Tainini kicherte ein wenig. Was die dachte, wollte sie nicht wissen, bei allen Göttern... „Na ja, ich hatte nicht viel Zeit für dich und wir hatten keinen guten Start und so...“ Er wurde ganz verlegen und das Stadtmädchen auch, wie konnte man so peinlich sein? Und das vor Lilli und Tai! Sie hatte irgendwie das Bedürfnis, ihm ganz doll weh zu tun, aber damit machte sie vermutlich alles kaputt. Also immer schön lächeln, sie war eine Magafi, sie konnte das. „Danke.“, presste sie so hervor und grinste verzerrt, während Lilliann die Jüngste in die Stube schob, weil sie nicht mehr aufhören konnte, zu gackern. Kleines Kind! „Gehen wir?“, fragte er freundlich und sie verstand ihn zunächst falsch und wollte ihm trotz guter Vorsetze eine in die Fresse hauen, da sprach er weiter, „Ich weiß nicht, ob du schon gegessen hast, aber meine Tante wollte noch etwas zubereiten.“ „Ich bin satt.“, seufzte sie erleichtert und hatte sich im letzten Moment noch einmal zurück halten können, „Aber ich komme trotzdem mit.“ Nicht, dass sie so besonders scharf darauf war, wieder in der Gegenwart von Himmelsblütern vor sich hin faulen zu müssen, aber bei den beiden Tussis konnte sie jetzt ja wohl kaum noch bleiben, wo er sich so eine Nummer geleistet hatte. Ach, er war echt primitiv. -- „Weißt du, wo Jiro hin wollte?“ Während sie so durch den Ort spazierten, versuchte die sehr zu ihrem Leidwesen recht rosa angelaufene Choraly so gut sie nur konnte, den hübschen Blumenstrauß zu verstecken. Viele alte Omas begannen zu kichern und tuscheln wie kleine Kinder, als sie sie die Beiden sahen, das war alles, wovon sie mitbekam. Dass so ziemlich alle anderen sie ignorierten, bekam sie nicht mit. Auch nicht, dass der Ältere sie etwas gefragt hatte. „Chorilein?“ Okay, das hatte sie gehört. „Wie hast du mich genannt?!“ Als sie empört zu ihm herum fuhr, grinste er sie an. Das lief irgendwie aus dem Ruder, was hatte man dem denn erzählt? „Chorilein!“, wiederholte er ohne böse Gedanken und dem Mädchen klappte der Mund auf. Sie mochte wohl keine Kosenamen? Er selbst hätte immer gern einen gehabt, aber sein Vorname war so schlecht abzukürzen gewesen. Ihn nannte man bloß Missgeburt oder Kräuterheini... na ja, nicht mehr. Aber im Stillen hatte er es eigentlich ganz lustig gefunden. Auch egal. „Du Missgeburt!“ Wenn man daran dachte. Er musste lachen. Ach, das Leben war schön. Choraly fand das ja nicht, aber das wusste er ja nicht. Dieser eingebildete, hässliche, dumme, zurückgebliebene, naive Arsch! Man durfte den Namen einer Dame wie ihr doch nicht so zerstückeln, verdammt! Am liebsten hätte sie ihn in Hackfleisch verarbeitet, aber sie riss sich zusammen und atmete ein paar Mal tief durch. Er hatte ja nicht wissen können, dass das in ihren Kreisen einer Beleidigung glich. Außerdem war sie es ja selbst Schuld, wenn sie so gütig zu ihm war. Irgendwie bezweifelte sie, dass dieser Idiot wirklich dazu in der Lage war, sie von hier wegzubringen. Er war so verdammt leichtgläubig. „Bist du jetzt sauer?“, fragte er da und riss sie so aus ihren Gedanken. „Nein.“, war alles, was sie antwortete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)