Jumays Kinder von -Izumi- (Part 5: Kinder des Wassers - Verloren im Sand) ================================================================================ Kapitel 15: Monster ------------------- „Bitte mach die Tür auf!“ Mayora stand verzweifelt vor Choralys Zimmertür, hinter der man das Mädchen hemmungslos schluchzen hören konnte. „Geh weg, du blöde Missgeburt!“, schrie sie das Holz von innen an, „Ich hasse dich, ich bleibe jetzt hier drin und verhungere, so!“ Sie wusste eigentlich, wie dumm und kindisch sie sich verhielt, aber irgendwie kam ihr das als die angenehmste Lösung vor. Er hatte ja Recht, verdammt. Aber hatte er ihr das so gemein ins Gesicht sagen müssen? Das hatte weh getan, irgendwie... So wie so, alles tat weh. Da war dieser tiefe Schmerz in ihrem Inneren, den sie so gut es ging verdrängte, der aber mit jeder Sekunde, die verging und sie ihn nicht durchließ, größer wurde und sie wahnsinnig zu machen drohte. Er schien sie zu erdrücken und ihr wurde schlecht, als sie sich apathisch an ihr Kissen klammerte. Sie vermisste ihre Mutter und Atti. Und ihren Vater und ihren Großvater. Und ihren lieben großen Bruder Semera. Und die große Stadt Wakawariwa, die schon im Kleinkindalter ihr zu Hause gewesen war. Sie vermisste ihre eingebildeten adligen Freundinnen und ihre Angestellten, die hässlichen dürren Laufburschen ihres Vaters so wie die Putzmädchen. Und sie vermisste den Jungen, der wegen ihr irgendwo ganz weit weg in einem Kerker saß und in seinem ganzen Leben vermutlich kein Tageslicht mehr zu Gesicht bekommen würde. Langsam aber sicher wurde ihr klar, dass sie sich in keinem Alptraum befand. Das hier war das Leben. Und sie hasste es. „Bitte verzeih mir! Ich bin wirklich eine verdammt blöde Missgeburt, du hast Recht! Bitte weine nicht mehr!“ Der Junge raufte sich verzweifelt die matsch-grünen Haare. Oh nein, was hatte er nur angerichtet? Man durfte doch keine Mädchen zum Weinen bringen! Und erst recht keine wie die kleine Prinzessin, was sollte er jetzt bloß machen? „Geh einfach weg, du misslungenes Stück Leben! Du Götterschande!“ Ihm klappte der Mund auf. Er wusste nicht genau, woher sie, als Mädchen aus der großen Stadt, dieses Wort kannte, aber anders als alles andere, was sie ihm so an den Kopf warf, machte es ihm wirklich etwas aus. 'Götterschande' war so ziemlich das Allerschlimmste, was man zu einem Himmelsblüter sagen konnte, eine größere Beleidigung gab es nicht. Und mit einem Mal zweifelte er mehr an ihrer Glaubhaftigkeit als je zuvor. „Das muss ich mir nicht bieten lassen.“, war alles, was er noch von sich gab, ehe er sich abwandte und nach unten ging. Das Mädchen ließ er heulend zurück. -- „Meine Güte.“ Chatgaia musterte ihren Neffen mit hochgezogenen Brauen, während sie in der Stube saßen und Tee tranken. Er war zu ihr nach unten gegangen und fühlte sich augenscheinlich ziemlich mies, was ihre innere Wut auf ihren Gast weiter schürte. „Was hat sie dieses Mal zu dir gesagt?“, erkundigte sie sich so und trank einen Schluck. Er sah sie nicht an. „Du würdest sie töten, wenn ich es dir sagen würde.“, grummelte er nur leise und sie seufzte. Sie hatte ihm dieses Mädchen anvertraut. Verständlich gesagt hatte sie sie ihm geschenkt. Es lag nicht in ihrer Befugnis, sein Geschenk kaputt zu machen. Aber der Junge war nicht dumm, er wusste, was gut für ihr altes Herz war. Sie durfte sich nicht zu sehr aufregen... wo war ihre sensationelle Selbstbeherrschung nur hin? Ach... was sollte es schon...? „Mayora.“, sprach sie leise und bedacht in ihre Tasse blickend, „Ich will mich schon lange einmal mit dir unterhalten.“ Er sah zu ihr. „Was? Worum geht es?“ Sie hielt kurz inne und dachte nach. „Um dich, Neffe. Ich sorge mich ein wenig...“ Es war an der Zeit, mit ihm zu reden. Er blinzelte. „Was fällt dir ein, wenn du an deine ehemaligen Klassenkameraden denkst? Was ist aus ihnen geworden?“, begann sie da und er kratzte sich am Kopf. „Wenn du mich das so spontan fragst... weiß nicht. Die Meisten haben irgendeinen Beruf gelernt oder haben sich einen Partner gesucht. Manche...“, er unterbrach sich etwas geschockt selbst, als er kapierte, worauf sie hinaus wollte, „Manche haben auch schon Kinder... ach so...“ Die Magierin nickte. Gut, dass er sie so leicht verstand. „Magst du es nicht noch einmal mit Shakki versuchen? Sie schaut dir so hinterher, dieses Mal würde es sicher klappen!“ Er erschauderte. Oh Himmel, bloß nicht. „Ich will nicht noch einmal etwas mit Shakki anfangen. Ich meine, ich will schon, sie ist so schön und ich... ich liebe sie ja. Aber... nein, lieber nicht.“ Er zog eine Schnute und die Ältere erhob sich. Ihr Tee war leer. „Du bist doch ein hoffnungsloser Fall.“, gab sie noch zu hören, ehe sie in die Küche verschwand. Der Junge vergrub sein Gesicht in den Händen. Ach war das alles kompliziert... Ein Klopfen riss ihn aus den Gedanken. Warum kamen die Leute seit kurzem immer zu so unmöglichen Uhrzeiten?! Ach, was sollte es schon, er öffnete. „Guten Abend!“, er blickte in Jiros grinsendes Gesicht, „Ich muss zu Choralychen, es ist gaaanz wichtig!“ Er war so hyper-gut gelaunt, wie demotivierend. Der Ältere senkte resigniert den Kopf und ließ ihn ein. „Ich bring dich zu ihr, komm mit.“ „Hast du eine tolle Laune.“, gackerte der andere Junge, als er dem Grünhaarigen über die Treppe folgte und dieser verkniff sich einen Kommentar. Ach, der hatte ja keine Ahnung. Der Depp hatte es ja so gut, mit seiner Fast-Frau und seiner Schwester und seinem ungeborenen Baby. Und seinen Freunden... An die Sorgen, die er sich machte, dachte der Grünhaarige natürlich nicht. Er hielt ihn wohl für zu gedankenlos. Im Obergeschoss war es still geworden und Mayora deutete auf die Tür des Gästezimmers. „Da.“, seufzte er, „Ihr geht es nicht besonders gut, also sei nett zu ihr...“ Dann wandte er sich ab und verschwand in seinen Raum. Es wäre nicht besonders vorteilhaft gewesen, wenn er nun bei dem anderen geblieben wäre, vermutlich hätte die Prinzessin dann ihre Tür noch nicht einmal geöffnet. Und wenn es ja so wichtig war... Moment, was konnte denn so wichtig sein? Zum Glück waren die Wände nicht besonders dick... -- „Choralychen, es gibt gute Neuigkeiten!“ Jiro hämmerte voller Elan auf dem dunklen Holz herum und hätte dem Mädchen als es öffnete fast ins Gesicht geschlagen, wäre es nicht im letzten Moment noch einmal zurückgewichen. „Oh!“, machte der andere erschrocken, „Entschuldigung. ... wie siehst du denn aus?“ Ihr ging es schlecht und das sah man auch. Andererseits, was wunderte es ihn? Mayora hatte ihn doch vorgewarnt, das hatte sie hören können... „Ach...“, seufzte sie nur und strich sich ein paar wirre Strähnen hinter die Ohren, „Mir wird das hier alles zu viel. Ich kann bald nicht mehr... du hast gute Neuigkeiten?“ Sie wollte jetzt irgendwie kein Mitleid. Es war komisch, früher hatte sie es genossen, immer für jeden Mist bedauert zu werden, aber jetzt, wo sie es wirklich verdient hätte, kam ihr das abartig vor. Entweder war man stark oder schwach, man konnte nicht kämpfen und jammern gleichzeitig. Das hatte sie nun gemerkt. Atti wäre stolz auf sie gewesen. „Ja, es gibt super Neuigkeiten!“, grinste Jiro da und riss sie so aus ihren dämmrigen Gedanken, „Ich habe Dafi für uns gewonnen und die hat voll die Peilung!“ Choraly blinzelte. Dafi? Sie ist wohl doch meine beste Freundin... Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, als er weiter sprach. „Jedenfalls haben wir voll den guten Plan! Und, aber... wir können halt irgendwie nicht dahin funken wie normal und irgendwie... äh... brauchen wir jetzt eine Nummer von dir, ja?“ Der Junge kratzte sich am Kopf. War das denn noch normal? Vergaß er einfach die Hälfte seines super tollen Heldenplans! Das ging doch nicht! Also echt... Die Jüngere kicherte. Sie wusste, was er meinte. „Du willst unsere Privatnummer.“, stellte sie richtig fest und sah sich kurz im Raum um, bis sie das entdeckte, was sie gesucht hatte, „Ach ja, Papier, genau. Ich notiere sie dir schnell.“ Sie eilte zu ihrem kleinen Schreibtisch und kritzelte mit einem seltsamen Kohlestift, der total schwer zu handhaben war, wie sie fand, auf einen dicht daneben gelegenen Zettel die Nummer und reichte sie schließlich ihrem Freund, der so viel für sie tat. „Hier.“, lächelte sie, „Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll. Tut mir Leid für die Unannehmlichkeiten.“ „Ach was.“, er steckte das Papier ein, „Das tu ich doch gern für ein liebes Mädchen wie dich. Und...“ Er senkte den Blick. „Erinnerst du dich an deinen ersten Tag hier? An das Gespräch, das wir geführt haben, als ich dich zum ersten Mal zu diesem Haus geführt habe, um dir Mayora vorzustellen?“ „Verschwommen.“ Ein Seufzen entrann seiner Kehle. „Da hab ich gelogen, du hast nicht so ausgesehen, als wärst du tot. Du hast bloß sehr sehr traurig ausgesehen...“ -- Lilli fühlte sich mit jeder Minute, die verging, immer schlechter. Sie wusste nicht, woran es lag, aber sie hatte einfach Angst um ihren Liebsten. „Schau doch nicht so traurig.“, bat dieser sie und zog eine Schnute, als sie am Abend in ihrem gemeinsamen Zimmer waren und er sich auszog. Die junge Frau saß bereits nur noch mit einem kurzen Nachthemd bekleidet auf dem Bett. „Und was ist, wenn du doch ins Gefängnis kommst?“ Er verdrehte grinsend die Augen und sie stand auf. „Oder wenn irgendein Verrückter kommt und dich verkloppt. Vielleicht wirst du ja auch überfallen? Oder ein Wüstendämon kommt und frisst dich auf!“ „Lilliann!“ Er schaute seine Verlobte, die nun völlig verängstigt vor ihm stand, erschrocken an. „Lilli...“, wiederholte er, „Ganz ruhig, alles ist gut! Sonst bist du doch nicht so... Mäusschen...“ Er umarmte sie und sie schluchzte. „Seit ich schwanger bin, bin ich komisch...“, heulte sie und Jiro musste unwillkürlich grinsen. Ja, das war wahr... „Geht doch in Ordnung, Süße.“, beruhigte er sie dennoch und streichelte ihr liebevoll über den Rücken, „Das ist ganz normal. Bei meiner Mutter ist es glaube ich auch so gewesen, als sie mit Tainini schwanger gewesen ist... ist zwar sehr lange her, aber ich erinnere mich ein ganz klein bisschen. Und außerdem...“ Er schob sie etwas von sich und musterte sie eine Weile. Sie blinzelte sich überrascht die Tränen aus den Augen. „Kann es sein...“, begann er da strahlend, „...dass dein Bäuchlein schon wieder runder geworden ist? Du siehst ja so süß aus!“ Sie errötete ein wenig. Sie fand ja, die Schwangerschaft stand ihr nicht so besonders... „Das sagst du nur so...“, tat sie es so bloß ab und ließ sich wieder aufs Bett plumsen. Er folgte ihr grinsend. „Kuscheln?“, fragte er gut gelaunt und sie musste unwillkürlich auch grinsen, auch wenn ihre Hormone ihr noch immer ein flaues Gefühl bereiteten. „Natürlich, was denn sonst?“ -- Am Morgen war Choraly sehr nervös. Die Zeit bis zum Sonnenuntergang schien noch so lang und es war so verdammt langweilig, denn schon als sie aufgewacht war, war sie ganz alleine im Haus gewesen. Zu Jiro wollte sie irgendwie nicht, sie befürchtete, sie könnte die Familie nerven und das war bei allem, was sie für sie auf sich nahmen das Letzte, was sie wollte. Sie hatte in der Wüste die Dankbarkeit kennen gelernt. Und so beschloss sie am Vormittag, etwas sehr unangenehmes hinter sich zu bringen. Wenn alles glatt ging war sie so wie so in ein paar Tagen weg von hier und dann musste es erledigt sein. Sie wollte sich mit Imera unterhalten. Und so fand sie sich schon bald vor dem doch recht schäbigen kleinen Haus ihres Freundes wieder. Sie hatte ein seltsames Gefühl dabei und musste komischer Weise noch nicht einmal anklopfen, denn nach kaum einer Minute kam der junge Mann von selbst nach draußen. Sie hatten sich verhältnismäßig lange nicht gesehen. Er wirkte verändert. „Choraly.“, machte er und seine Stimme klang brüchig, „Du willst Schluss machen.“ Sie nickte langsam. „Ja... wir haben ja den Göttern sei Dank schnell gemerkt, dass wir nicht so gut zueinander passen, wie zunächst angenommen. Es ist besser so.“ Es tat ihr nicht weh, es zu beenden. Sie wusste nicht genau, warum es so war; als sie sich gezwungener Maßen von ihrem ersten Freund hatte trennen müssen, hatte es weh getan. Aber bei Imera war es anders. Er senkte den Blick tief. „Weil ich dich dummes Huhn genannt habe.“, kam dann leise und sie schüttelte den Kopf. „Nein. Nicht deswegen. Du bist komisch. Ich kann nicht mit jemandem wie dir zusammen sein, tut mir Leid.“ Er schwieg eine Weile und fuhr sich dann durchs Haar. „Natürlich.“, schluchzte er darauf schließlich und sie weitete die Augen angesichts dessen, dass er tatsächlich begann, wegen ihr zu weinen, „Mit mir will ja nie jemand zusammen sein, weil ich immer irgendwie komisch bin. Weil ich ein Verräter bin, obwohl ich noch nie jemanden verraten habe und weil ich dumm bin...! Ich... du gehst jetzt besser...“ Nun tat es ihr doch weh, aber nicht, weil sie ihren Liebsten verloren hatte, sondern weil er ihr Leid tat. Mitleid, noch etwas, das sie erst hier kennen gelernt hatte. „Imera...“, sie kam sich schäbig vor, „Du wirst eine andere finden, die dich besser ergänzt! Ich bin mir ganz...“ „Du kannst dir nicht sicher sein!“, unterbrach er sie aufgelöst, „Ich muss immer alleine sein! Das ist so gemein, ich... ach..“ Er drehte sich um und ging. -- Dafi war nervös. Eigentlich war sie ja die Heldin, wenn man es genau nahm. Oder auch nicht, noch war es nicht soweit. Das größte Problem stellte der Wachmann in der Funkkammer dar. Was sollte sie ihm erzählen? Und wenn er sich nicht vertreiben ließ? Niederschlagen? Aber er würde sie dann doch melden. Oder gar... töten? Auch dumm, irgendwann würde ja auffallen, dass einer fehlt. So etwas blödes aber auch. Verdammt. Sie seufzte. „Musst du eigentlich nicht arbeiten?“, sie schenkte ihrer ahnungslosen Cousine einen bösen Blick, „Und den ganzen Tag isst du Eis. Weißt du eigentlich, wie schwer das zu importieren ist? Du fängst schon an, pummelig zu werden, und das nur, weil du was mit der Küchenhilfe hast...“ Die Blonde schaute sie blöd an. „Stimmt, ich hab zugenommen.“, gab sie offen zu, „Aber was soll es, ich fühle mich ja gut und ich finde, es steht mir.... was hast du für ein Problem?“ Sonst freute sich das kleine Ding doch immer so, wenn sie bei ihm blieb. Und dabei hatte sie gewiss besseres zu tun, als sich in ihrem kleinen hässlichen Zimmer aufzuhalten... „Ich hab schlechte Laune!“, fauchte die Jüngere ungehalten und regte sich zusätzlich auf, als ihr ihre Stimme abermals entsagte. Das war so ungerecht! Die fette Kuh sollte jetzt abhauen, sie musste sich konzentrieren... „Danke, ich liebe dich auch!“, fauchte Pinita angesäuert zurück und schritt zur Tür, „Du veränderst dich gerade in eine völlig falsche Richtung, das gefällt mir gar nicht...“ „Ich werde erwachsen!“, antwortete die Andere, „Du kannst dir gar nicht vorstellen, was ich wegen dir durchmachen muss, also stell dich nicht so an, wenn es mir einmal schlecht geht!“ Sie wollte nicht deutlicher werden, es war in diesem Moment so wie so nur eine dumme Ausrede. Sie konnte sie schließlich unmöglich einweihen, die Bekloppte würde sie ja aufspießen. Aber wer wusste, was man mit ihr machte, wenn etwas schief ging... sie musste das alles genau festlegen, verdammt. So viel Verantwortung bekam ihr gar nicht. -- Lilli hingegen fühlte sich besser als am Abend zuvor. Sie konnte nicht sagen, was es war, aber in den letzten Wochen verstand sie sich so wie so selbst nicht mehr. Was sollte es, das ging vorbei. Ihr Verlobter hingegen wurde mit voranschreitender Zeit doch immer nervöser. Es war jedoch kein negatives nervös, irgendwie war er einfach aufgeregt. Das war das Spannendste, was er bisher je gemacht hatte, fand er. Ein gewisses Risiko war ja schließlich schon dabei. Wenn das klappte, würde er sich von seinem Mädchen ordentlich belohnen lassen, genau. Er war glücklich, einmal etwas wirklich nützliches tun zu können. Über Dafis Part an der Sache machte er sich überhaupt keine Gedanken, war ja nicht sein Problem. Fertig und basta. Zu viel wollte er sich dann doch wieder nicht vornehmen, dann wäre die Wahrscheinlichkeit, dass etwas schief lief, wesentlich größer gewesen und das musste ja nicht sein. So war auch gut, fand er. „Ich bin aufgeregt!“, es war Tainini, die zu ihm in sein Zimmer gekommen war und sich zu ihm gesellte. Lilliann war in der Küche. „Ich auch.“, gab er zu und tätschelte seiner kleinen Schwester den Kopf, „Wird sicher lustig.“ Die Kleine nickte. „Choraly freut sich bestimmt sehr, das ist schön. Und knuddel Dafi mal von mir, ja? Ich hab sie ja schon lange nicht mehr getroffen, sie hatte so viel zu tun...“ Er lachte. Schlechte Idee. „Du weißt doch, wie es ist, wenn ich jemanden knuddele, sie würde doch in der Mitte durchbrechen! Aber ich grüße sie von dir, ja?“ Sie lachte auch. -- Ursprünglich hatte Pinita ja vorgehabt, ihre Cousine dazu einzuladen, an der großen Besprechung teilzunehmen. Als Koordinatorin war sie schließlich auch nicht so ganz unwichtig und eben weil sie gerade erwachsen wurde, hätte sie sie gern dabei gehabt. Aber mit ihrer Laune hätte sie sie vermutlich bloß blamiert. Sie seufzte, während sie sich ihre Uniform anzog. In letzter Zeit war sie so empfindlich und leicht zu reizen. Wie sie die Tage, an denen sie ohne nachzufragen einfach alles, was man ihr gesagt hatte, freudestrahlend gemacht hatte, vermisste... Aber Recht hatte sie schon, langsam aber sicher begann die Situation echt brenzlig zu werden. Sie wusste ehrlich gesagt selbst noch nicht, wie es weiter gehen sollte. Im Zweifel musste sie ihre Cousine zum Kündigen drängen, nicht, dass sie noch Schande machte und... Sie schrie schrill auf. „Mein Rock ist zu eng!“ Nicht, dass sie das nicht bemerkt hätte, wenn sie es nicht ausgesprochen hätte, aber das war so gruselig, dass es schon fast unglaubwürdig war. Jahrelang hatten sie alle Weiber um ihre annähernd perfekten Proportionen beneidet und jetzt wurde sie plötzlich dick? „Küchenhilfe, es ist aus!“ Dafi beobachtete unterdessen vom Dach aus das Gelände, wie alle sich langsam zum Haupthaus begaben. Gut so. Sie hatte beschlossen, einfach einmal abzuwarten, wie der Depp bei dem Funkgerät auf sie reagieren würde und dann erst zu handeln. Sie durfte nichts überstürzen, vielleicht würde der Kerl auch überhaupt nicht misstrauisch werden, wer wusste es schon? Und ohne Risiko ging ja auch der Spaß verloren... Sie seufzte. Die Sonne stand schon recht tief, es wurde Zeit für sie. Von ihren Kollegen war kaum noch einer zu sehen, wie vermutet. Also los. Die Gänge waren leer, niemand begegnete ihr auf dem Weg zu besagtem Raum. Und selbst wenn, bis auf ihre wertvollste Waffe, die Teganby ihres Vaters, ihre letzte Erinnerung an ihn, sah sie ganz normal aus. Und so war der Herr im Funkraum bei ihrem Anblick auch nicht so überrascht, wie man hätte vermuten können. „Fräulein Tebettra!“, begrüßte er sie bloß, „Was verschafft mir die Ehre?“ „Ein Spezialauftrag.“, log sie, ohne eine Miene zu verziehen, „Ich muss an das Funkgerät. Du kannst gehen.“ Er hob beide Brauen. „Bei Spezialaufträgen werde ich normalerweise vorher aber immer benachrichtigt. Ich will Ihnen ja nichts unterstellen, aber... lügen Sie?“ Misstrauischer Idiot. Es hätte doch so leicht sein können. „Ich lüge natürlich nicht. Es wäre besser für dich, wenn du jetzt gehen würdest.“ Ohne es kontrollieren zu können, umklammerte sie den doch recht langen Stab ihrer Waffe fester. Jetzt wurde es spannend. Ob er wohl verstand, was sie meinte? „Ich glaube meine Karriere nicht in Gefahr zu wissen, bloß weil ich dir kleinem Mädchen nicht traue. Tss... Himmelsblüter...“ Er wandte sich grinsend ab und zündete sich unerlaubter Weise eine Zigarette an. Nein, er hatte es definitiv nicht verstanden. Als sich der Mann ihr wieder zudrehte, fand er seinen Kopf zwischen zwei der 3 langen spitzen Zacken wieder und er keuchte bei dem funkelnden Blick aus den giftgrünen Augen seines Gegenübers. „Du hast es nicht anders gewollt, Schwachkopf. Wenn dir dein Leben lieb ist, setzt du dich gleich einfach auf diesen Stuhl dahinten und hältst die Klappe, bis ich dir etwas anderes sage, ja?“ Ihr Ausdruck duldete eigentlich keinerlei Widerrede, doch als sich der Wachmann von seinem ersten Schock erholt hatte, verhärteten sich auch seine Züge wieder und langsam aber sicher ließ er seine Hände zu seiner Pistole in seiner Tasche wandern. „Wage es nicht!“, warnte die Jüngere ihn vor und er grinste, „Du nimmst mich wohl nicht ernst?!“ Verarschen ließ sie sich nicht und so trat sie ihm unerwarteter Weise mit ihren hochhakigen Schuhen in den Bauch und er keuchte auf und hätte sich beinahe selbst aufgespießt, als er in sich zusammensackte. „Mistkuh!“, fauchte er, „Was hast du vor? Was soll der Unsinn?!“ „Es ist für einen guten Zweck.“, sie trat wieder nach ihm und traf diesmal seinen Kopf, was dazu führte, dass er sich nun endgültig auf dem Fußboden wieder fand, „Du hättest besser daran getan, gleich auf mich zu hören.“ Er verlor die Zigarette aus dem Mund und sie erlosch, als das Mädchen ihr einen mahnenden Blick zuwarf. In ihrer Gegenwart durfte nichts brennen... „Ich bringe dich um, im Namen des Kontinents Mon'dany und der Stadt Fides!“ Kaum war man für einen Moment abgelenkt, schon wurde eine Pistole auf einen gerichtet. Die Wache verzog das Gesicht vor Schmerz, hielt die Schusswaffe vom Boden aus aber dennoch zielsicher auf die Jüngere gerichtet und die seufzte. „Soll ich dich grillen?“, erkundigte sie sich, ohne es wirklich ernst zu meinen und richtete die Teganby wieder auf den längst geschlagenen Mann. Sie würde ja niemals jemanden verbrennen... alles andere, aber nicht das... „Ich bring dich um.... du Hure...!“ Er wollte den Abzug drücken doch sie kam ihm zuvor und schlug ihm die Stabrückseite auf den Kopf, was ihn endgültig in die Ohnmacht beförderte. Immerhin, das hatte sie schon einmal. Ihr Blick schweifte aus dem kleinen Fenster. Jiro würde bald kommen. -- „Ich mach mich jetzt auf den Weg!“ Der Junge grinste seine Familie stolz an, als sie alle zusammen um den kleinen Küchentisch saßen. Sogar seine kranke Mutter war dabei, ihr Zustand hatte sich sehr zur Überraschung, aber vor allen Dingen zur Freude aller, innerhalb der letzten Tage noch einmal stark verbessert. Heute hatte sie Lilli sogar wieder ein wenig beim Haushalt geholfen und alle hatten dementsprechend gute Laune. „Mein Junge wird zu einem Helden...“, machte die Frau so verträumt, „Du machst deine Mama stolz, nicht wahr?“ Er lachte. „Ja, ich bin ja sowas von gut, ey!“, er erhob sich und seine Verlobte stand ebenfalls auf und knuddelte ihn noch einmal. „Lass dich nicht erwischen, du verpeilter Idiot!“, mahnte sie ihn, „Und hast du den Zettel?“ „Jaja!“ „Und pass auf, dass sie dich nicht ins Gefängnis werfen!“ Auch Tainini umarmte ihren großen Bruder noch einmal. Kurzzeitig fragte sie sich, warum sie sich alle so anstellten, aber dann fiel es ihr wieder ein. Jiro war der erste in dieser Familie, der etwas bewegte und das machte sie stolz. Ja, sie war eine stolze kleine Schwester und sie freute sich wahnsinnig, dass Choraly bald wieder glücklich sein würde, auch wenn sie sie sicher sehr vermisste. Aber es war sicher besser so. „Ich geh jetzt, aber wirklich. Ich kann Dafi ja nicht ewig warten lassen!“ Thilias Straßen waren fast leer, als er sich auf den Weg zur Forschungsstation machte. Erst in der Nähe des Friedhofes am Ende der Oase traf er überraschend auf jemanden. „Oh.“, war sein Kommentar darauf, „Hallo. Ich hätte nicht erwartet, dich hier zu treffen!“ „Konnte ich mir denken.“, machte der Andere, „Ich weiß bereits, was du vorhast.“ Der Junge guckte blöd. Okay, das war natürlich dumm jetzt. „Ich weiß zwar nicht, wie du darauf gekommen bist, das wundert mich...“, seufzte er und kratzte sich hinter seinem Kopf. Sein Haar war im Übrigen frisch gewaschen, zur Feier des Tages. „Aber ich muss jetzt gehen, ich bin schon spät dran. Bitte verrate mich nicht, wir können uns ja später vielleicht über... eine Gegenleistung oder so unterhalten, wie du möchtest. Aber du kannst mir glauben, für das Dorf besteht keine Gefahr!“ Das war so nicht geplant gewesen und irgendwie wirkte sein Gegenüber heute seltsam auf ihn. Es glaubte ihm wohl nicht, dabei war alles so schön geplant gewesen... „Du denkst nicht wirklich, dass ich mich von dir bestechen lasse, Jiro Raatati. Außerdem interessieren mich deine Angelegenheiten ganz sicher nicht so sehr, dass ich nach recherchiere, was du wie für Choraly Magafi machst. Nein, ich habe diese Information von Chatgaia persönlich.“ Er legte seinen Kopf schief. Von Chatgaia?! „Aber woher weiß die das denn?!“ Sein Gegenüber grinste seltsam. „Du hast eine laute Stimme und Mayora Timaro gute Ohren. Kannst du dir denken, was dir jetzt blüht? Das ist Hochverrat.“ Wie? Wer war denn der Verräter?! Er verzog das Gesicht. Dafür würde er diesem verblendeten Idioten einmal kräftig die Fresse polieren, mit Sicherheit. Für so einen Arsch hatte er ihn echt nicht gehalten. Oder hatte er bloß Angst gehabt, dass er das Mädchen verlor? Lilli hatte gesagt, er hatte ihr Blumen geschenkt, vielleicht war er ja unglücklich in sie verliebt oder so... aber trotzdem. „Ich hab doch noch überhaupt nichts gemacht, also ist es auch noch kein Hochverrat.“, rechtfertigte er sich so mürrisch, „Und was machst du jetzt hier? Willst du mich warnen? Wieso erzählt die Hexe dir das eigentlich? Geht dich doch gar nichts an...“ Die andere Person kam ein paar Schritte auf ihn zu. „Das geht mich sehr wohl etwas an, du Hohlkopf. Merkst du es nicht? Weißt du nicht, wer ich bin?!“ Was für eine dumme Frage, natürlich wusste er das, sie kannten sich ja schon ewig. Da ging er gar nicht weiter drauf ein... „Und was willst du jetzt genau? Ich meine, ich stehe unter Zeitdruck! Die Sonne ist längst hinter den Dünen, ey...“ Der junge Mann durfte seinen Heldenauftritt doch nicht versauen, bloß weil ihn irgendwer aufhalten wollte. Schließlich zählten alle auf ihn. „Ich habe einen Auftrag, Jiro.“, erklärte ihm der Andere da und zog ein aufwendig verziertes Kurzschwert aus dem Gürtel, „Ich bedaure zutiefst, diese schöne Waffe, die mir das Dorfoberhaupt übrigens persönlich geschenkt hat, zu solch niederen Zwecken verwenden zu müssen...“ Gefährliche Augen fixierten den Jungen und der schnappte nach Luft. Moment. Nein. Das konnte nicht sein, oder? Das war doch ein Missverständnis! „Du bist nicht wirklich das, wofür ich dich gerade halte?“, fragte er stimmlos, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten, „Kann sie mich denn nicht anders bestrafen? Irgendwie, ich meine, das willst du doch nicht wirklich tun?! Lilli bekommt doch ein Baby!“ Sein Gegenüber senkte den Blick voller Reue. „Ach, wenn du wüsstest...“ -- „Ich dreh ihm den Hals ja sowas von um, das kann er sich gar nicht vorstellen...“ Dafi saß entnervt auf einem Hocker im Funkraum. Er hätte schon längst da sein sollen, verdammt. Oder hatte der Idiot ihren Plan etwa schon vergessen?! Dann war er so gut wie tot. Diese komische Versammlung dauerte bloß noch etwa eine halbe Stunde, wenn er bis dahin nicht aufgetaucht war, mussten sie alles abblasen und die arme Choraly musste noch wochenlang warten, bis sie ihre nächste Chance bekam. Das war echt so gemein. „Und was wird aus mir?“ Das Mädchen schaute entnervt zu dem Wachmann, der gefesselt auf dem Boden herum saß. Sie war so freundlich gewesen, ihm seine Wunde am Kopf zu verarzten und jetzt war der Depp halt einfach da und sie wusste nicht so recht, was sie mit ihm anstellen sollte. „Du hältst mal schön die Klappe, ja? Wenn ein falsches Wort deinen Mund verlässt dann...“ Er verdrehte die Augen. „Dann tötest du mich, schon klar.“ „Nein.“, die Jüngere grinste, „Dann erzähle ich der notgeilen Putzfrau von Flügel 2 du würdest auf sie stehen.“ „Oh nein....“ Die Tür öffnete sich und Dafi wollte erleichtert ausatmen, da schlug man ihr auch schon mit der flachen Hand ins Gesicht. Da war nicht Jiro, sondern Pinita, die sie wutentbrannt anstarrte. „Was fällt dir dreckigem Stück ein, so eine Scheiße zu bauen?! Weißt du, was hätte passieren können?! Du verrätst eine Weltmacht, du Schlampe! Du blöde Kuh!“ Sie schlug abermals zu und der Wachmann in seiner Ecke grinste. Gut so, das hatte sie verdient. „Ich wollte nur helfen!“, verteidigte sich die die Jüngere, deren Nase zu bluten begonnen hatte und fuhr auf, „Ich wollte bloß das tun, was ich für richtig hielt und meine Freunde sind mir wichtiger als mein Beruf!“ Die Blonde blinzelte und lachte dann laut auf. „Ihr Beruf, sagt sie!“, grinste sie mit einem Ausdruck, der die Mischung aus Spott und Ungläubigkeit war, „Mädchen, wenn es um deinen Job ginge, wäre es mir völlig egal! Ist ja schließlich deine Sache, was du mit deinem Leben anstellst! Aber das ist auch der Punkt, in Mon'dany gibt es so eine nette kleine Sache, mit der man zurecht kommen muss, wenn man des Verrates schuldig gesprochen wird... wie hieß es noch gleich? Ach ja, Todesstrafe war glaube ich das Wort, du Arschkuh!“ Die Blonde rang nach Luft. Hoffentlich hatte sie niemand gehört. Unwahrscheinlich, die Besprechung war ja noch nicht zu Ende... „Hättest du nicht auf dieser komischen Versammlung sein sollen...?“, erkundigte sich die Kleinere da und versuchte durch ahnungsloses Betasten ihre Nase vom bluten abzubringen. „War ich auch.“, die Ältere seufzte, „Aber plötzlich hat es an der Tür geklopft und so ein kleiner Depp aus Thilia, ich kenne ihn vom Sehen, hat nach mir verlangt. Und der hat mir dann erzählt, was du und Jiro vorhabt.... und da bin ich natürlich sofort hier hin.“ Na toll, dann hatte Jiro es also versaut? Klasse, ganz super. Und sie hatte er wohl auch noch verraten, wenn man Pinita ja Bescheid gesagt hatte... Wie sollten sie Choraly denn jetzt noch helfen? So etwas konnten sie sich schließlich nicht nochmal erlauben, das wäre nicht nur unvorteilhaft, sondern obendrein auch ziemlich dumm. Verdammt... „Fräulein Ferras?“, der Typ am Boden guckte bedeppert, „Würden sie die Gütigkeit besitzen...?“ „Ah... ja.“ Seufzend wurde der Mann befreit und als er wieder mehr oder minder sicher auf zwei Beinen stand, grinste er. „Und was bekomme ich, wenn ich euch nicht verrate?“ Sein Gegenüber verdrehte die Augen. „Schweigegeld oder... keine Ahnung.“, machte es gelangweilt. „Was will ich in der Wüste mit Geld?!“, empörte er sich darauf und sie begann am Träger ihres BH's herum zu zupfen. „Ah ja!“ -- Choraly hatte in der Nacht nicht gut geschlafen. Zum einen war sie aufgeregt gewesen und zum anderen hatte sie ein seltsames Gefühl wach gehalten. Im Übrigen war sie Mayora und Chatgaia den ganzen Tag lang nicht begegnet, was doch ziemlich abnormal war. Erst spät in der Nacht hatte sie ihre Schritte auf den alten Holzdielen vernommen. Aber immerhin konnte sie mittlerweile selbst kochen, auch wenn es ungenießbar war, so war sie nicht mehr so abhängig von den Beiden. Als sie am Morgen dann durch die Strahlen der aufgehenden Sonne aus ihrem leichten Dämmerschlaf geweckt wurde und missmutig aufstand, musste sie schnell feststellen, dass die beiden auch am heutigen Tag verschwunden waren. „Unverschämtheit!“, murmelte sie, als sie in der leeren Küche stand und noch nicht einmal einen unlesbaren Zettel vorfand. Wäre einer da gewesen, hätte ihr das zwar nicht viel gebracht, aber zumindest der gute Wille wäre bewiesen gewesen und Atti hatte immer gesagt, das war es, was zählte. Aber anscheinend war sie den Pseudo-Menschen ja plötzlich egal. Sie schnaubte. Was hatte Mayora eigentlich? War es wegen diesem einen Wort gewesen, Götterschande? Sie wusste noch nicht einmal so genau, was es bedeutete, was stellte der sich so an? Er war schließlich zuerst gemein gewesen, auch wenn er im Prinzip Recht gehabt hatte. Aber in diesem Fall ging es nun einmal nicht ums Prinzip... Sie seufzte. Sie musste zu Jiro. Auf der Straße war es still an jenem Morgen, was das Mädchen ziemlich verwunderte, denn sie hatte die Wüstenbewohner als sehr lautes Völkchen kennen gelernt, dass sich hauptsächlich schreiend unterhielt und mit allem Krach machte, was auch nur irgendwie ein Geräusch von sich geben konnte. Aber heute gingen alle langsam und behutsam ihrer Arbeit nach und unterhielten sich leise, fast flüsternd, als würden sie Geheimnisse untereinander austauschen. Und die ganzen alten Omas gafften schon wieder so. Was denn? Heute hatte sie keinen Blumenstrauß dabei, die sollten bloß nichts falsches denken. Sie brummte und es hob ihre Laune auch nicht besonders, als sie Imera entdeckte. Oder schlimmer noch, entdeckte, dass er sie entdeckt hatte. Er stand im Schatten eines seltsamen Baumes und fixierte sie aus seinen großen blauen Augen irgendwie schockiert. Selbst schockiert war sie, als er nach kurzem Zögern auf sie zukam und sie einfach umarmte. „Imera?“, machte sie perplex, „Wir haben uns gestern getrennt, weißt du noch? Ich liebe dich nicht mehr!“ Sie befreite sich und er guckte sie groß an. „Klar weiß ich das noch, aber wir sind doch trotzdem Freunde... und ich dachte...?“ Sein hübsches Gesicht war ziemlich blass, stellte sie fest. Er hatte sicher keine schöne Nacht gehabt... aber das hatte sie auch nicht, was sollte es? „Klar sind wir noch Freunde.“, seufzte sie so, „Aber die meisten Freunde stürzen sich nicht jeden morgen aufeinander und umarmen sich innig wie ein Ehepaar, oder irre ich mich da?“ Er blinzelte. „Natürlich nicht, du hast schon Recht, aber heute ist doch wohl eine Ausnahme, denke ich...?“ War sie etwa so kalt? Der Junge schloss die Augen kurz. Ihm war schwindelig. „Wieso? Weil wir heute eintägiges Jubiläum unserer Trennung feiern oder was?“ Sie verstand ihn nicht, aber dafür wurde ihm nun klar, weshalb sie aneinander vorbei sprachen. „Oh nein...“, jammerte er und fasste nach seiner Stirn, ihm war nicht nur nicht besonders gut, sondern viel mehr gar nicht gut, „Choraly, es ist so, ich.... ich zeig es dir!“ Er nahm sie an der Hand und zog sie hinterher. „Wohin bringst du mich?“ Sie hatte sich nicht gewehrt, denn er hatte sie neugierig gemacht. Sein Verhalten war echt nicht sehr Imera-mäßig... „Zu... einem Tempel.“ Sie blinzelte. Ein Tempel? „Was wollen wir da?“ „Das siehst du ja dann... wir sind da.“ Sie hatten das Dorf verlassen und befanden sich nun an einem Fleck, der weder fruchtbares Land, noch Wüste war, aber sie waren den Dünen sehr nah. Vor ihnen lag nahezu unbemerkt ein kleines, seltsam verziertes Gemäuer. „Ist der Tempel unterirdisch?“ Der Junge nickte und sie trat ein paar Schritte auf das Gebäude zu. „Und was sind das für Viehscher?“ Er trat neben sie und das Mädchen deutete auf die Figuren, die in den Stein geschlagen waren. „Wüstendämonen und Windgeister. Komm mit.“ Ihr Weg führte durch den Eingang eine lange steinerne Treppe hinab, die mit Fackeln beleuchtet war und endete in einer großen, düsteren Halle mit Altar. Auch hier waren Fackeln und ähnliche Verzierungen wie schon draußen. „Hier war ich doch schon einmal!“, stellte die junge Frau erschrocken fest und drehte sich einmal um ihre eigene Achse. „Das ist nicht möglich.“, machte der Ältere perplex und sie kam zum Stillstand. „Ich habe einmal von diesem Ort geträumt...“ Es war der Traum gewesen, in dem Mayora Atti getötet hatte, sie wusste es genau. Sie hätte nicht geglaubt, dass es diesen Ort wirklich gab, es erschreckte sie. „Ist ja auch egal.“, seufzte Imera da und ging wieder weiter, auf eine kleine Tür hinter dem Altar zu, „Komm mit.“ Sie folgte ihm und hielt mit ihm vor dem unscheinbaren Holz inne. Er starrte die Klinke an. „Was denn?“ „Ich zögere.“ Er sah in ihr Gesicht und schien noch blasser als zuvor. „Ich untertreibe, wenn ich behaupte, das, was sich hier hinter befindet, würde dir nicht gefallen. Aber soweit ich weiß, hast du schon sehr schlimme Dinge gesehen, deshalb.... ich öffne jetzt einfach.“ Sie erschauderte. Er machte ihr Angst und plötzlich überkam sie ein so unglaublich ungutes Gefühl, dass sie befürchtete, sich an Ort und Stelle übergeben zu müssen. Sie war sensibel. Und dieser Ort setzte eine ganz düstere Energie frei. Es kam ihr so vor, als würden Stunden vergehen, bis ihr Ex-Freund die Tür komplett geöffnet hatte und sie starrte einfach nur in den kleinen Raum dahinter und fühlte sich, je mehr sie sehen konnte und je mehr sie die Situation wahr nahm, in den Tag des Absturzes zurück versetzt. Da war Chatgaia, in ein langes, wertvolles Kleid gehüllt, das locker aus Naputi Magafis Kleiderschrank hätte stammen können und schaute sie so eiskalt an, dass sie einen Moment dachte, gleich würde alles um sie herum gefrieren. „Imera.“, hörte sie ihre herrische Stimme irgendwo weit weg, „Du kennst die Regel, nur ein Angehöriger!“ Das Mädchen spürte Mayoras Blick, der, in normaler Kleidung, an der Seite seiner Tante stand und dessen Ausdruck so monoton war, dass es sich noch viel unangenehmer anfühlte als von dem Dorfoberhaupt persönlich angeschaut zu werden. Er blieb stumm. Sie keuchte. „Bring sie weg!“, verlangte Chatgaia in der Ferne und Imera schnaubte. „Sie soll sehen, wozu du im Stande bist.“ Die junge Frau begann zu schreien. Böser Traum, ganz böser Traum. Warum spielten ihr ihre Sinne immer so böse Streiche?! „Es ist doch nicht deine Schuld, Choraly.“, Sie verstummte. Die Stimme war leise, übertönte aber doch alles andere und durch einen Schleier aus Tränen erkannte sie Lillianns bitter lächelndes Gesicht. Oh Himmel nein. „Ji..-ro...“, wimmerte die Jüngere nur und sah zu dem Jungen, den man erst auf den zweiten Blick überhaupt noch erkannte. Wer war das gewesen? Sie stolperte mit zittrigen Knien nach vorne sackte vor ihm am Boden zusammen. Er sah so furchtbar aus, oh nein. Sein ansehnliches Gesicht war zerkratzt und wirkte blutig, obwohl es bereits gewaschen war und seine Augen waren so dunkel unterlaufen wie die des Herrn Piloten. Viel mehr war von ihm auch nicht zu sehen, sein Körper war in eine schwarze, befremdliche Robe gehüllt, die nichts weiteres von ihm Preis gab. „Was ist mit dir passiert...?“ Sie strich durch sein frisch gewaschenes Haar. Nein. Nein! „Geh weg von ihm.“, forderte Chatgaia sie auf und Mayora zog sie unsanft wieder auf die Beine. „Du verärgerst die Götter!“, zischte er ihr feindselig zu und schupste sie zu Imera, der sie auffing. „Jetzt weißt du, was los ist in dieser Hölle.“, machte er mit bösartigem Unterton, der jedoch nicht dem Mädchen galt. Choraly wurde nach seinem Satz plötzlich seltsam klar und sie sah auf und blinzelte sich die Tränen aus den Augen. Ihr Blick schweifte zu dem Dorfoberhaupt. Sie hatte ihn umgebracht. Sie hatte ihn auf dem Gewissen. Sie war das Monster. Sie sah zu ihrem Neffen. Er hatte sie gehört, es musste so sein. Verräter. Mörder. Wegen ihnen war Lilli jetzt allein! Und wegen ihr. Aber damit musste sie sich später befassen. Sie grinste die beiden Himmelsblüter verzerrt und von ihr unbemerkt apathisch an. „Ich werde euch töten.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)