Jumays Kinder von -Izumi- (Part 5: Kinder des Wassers - Verloren im Sand) ================================================================================ Kapitel 21: Blut ---------------- „Hör auf, mir hinterher zu rennen, du perverse Missgeburt!“ Choraly rannte laut fluchend ziellos durch das Dorf, dicht verfolgt von Mayora. Nicht, dass er ihr hätte hinterherrennen müssen, aber er ließ sie schließlich nicht gern allein. Wer wusste schon, welcher Wahnsinnige etwas gegen sie hatte und ihr das auch demonstrieren wollte? Er musste unweigerlich an seine Ex-Freundin denken... wenn die noch einmal auf das Stadtmädchen treffen würde, wäre das sicherlich sehr unvorteilhaft... für beide. Außerdem hatte er noch immer Schonfrist und er langweilte sich. Selbstverständlich war ihm der 'Vorfall' von vergangener Nacht im höchsten Maße peinlich, aber rückgängig machen konnte er es ja nicht. Und er hatte Spaß gehabt... Aber dass seine Mitbewohnerin ihn jetzt für einen widerlichen Perversling hielt, störte ihn schon. Er war nicht pervers, verdammt. Widerlich vielleicht, aber doch nicht pervers! Er hatte geschlafen und geträumt... er erwischte, wie sein Blick auf ihrem hübschen Hintern klebte. Er hatte von ihr geträumt. Na sowas. Er war doch pervers. „Sag mal, hörst du schlecht?!“, die Jüngere drehte sich empört zu ihm um und er schreckte auf und sah ihr wieder ins Gesicht, „Ich will nicht, dass du abartiger Wichser mir nachrennst! Wenn du nicht auf der Stelle zurück gehst, such ich mir bakterienfeste Handschuhe und schlag dir dann in deine verseuchte Fresse, du Lüstling!“ Der Junge schaute sie traurig an. „Der Anblick tut mir ja Leid für dich...“, entschuldigte er sich leise, „Aber musst du jetzt so dermaßen böse zu mir sein? Wir haben uns in den letzten Tagen so gut verstanden!“ Verstanden. Gutes Stichwort. Und er verstand gar nichts. Natürlich ging es nicht nur um sein ekelhaftes Verhalten. Aber das fiel ihr schwerer auszusprechen. Wie konnte man bloß so ein Idiot sein? Sie schnaubte und verschränkte die Arme. „Es geht nicht nur um den Anblick.“, belehrte sie ihn dann doch gezwungen ruhig, „Es geht darum, dass ich mir Sorgen um dich gemacht habe. Dein Stöhnen hat echt ungesund geklungen...“ Sie blickte verlegen und noch immer leicht angeekelt zur Seite und er blinzelte positiv überrascht. Sie hatte sich um ihn gesorgt? Sie sprach weiter. „Auf dich Idioten muss man doch aufpassen wie bescheuert, du könntest schließlich jeden Moment tot umfallen. Und das wäre doch sehr schade, schließlich hast du noch keine kleinen Missgeburten gezeugt, oder? Zumindest noch keine überlebensfähigen mit einer Missgeburten-Frau...“ Mayora lächelte selig. Sie sorgte sich um ihn. Er konnte gar nicht in Worte fassen, wie sehr ihn das freute. Nicht, dass es ihn freute, dass sie besorgt war und es ihr folglich schlecht ging, natürlich nicht! Aber es freute ihn, dass er ihr nicht egal war. Das war wirklich toll. Ihm fiel etwas auf. „Du betonst das 'Missgeburt' vor Frau so.“, stellte er stirnrunzelnd fest, „Ich muss nicht zwingend eine andere Himmelsblüterin heiraten, ich kann mit Menschenmädchen genau so gut Kinder bekommen, falls du das jetzt angenommen hast. Mein Vater war auch ein Mensch.“ Okay, das hatte sie nicht gewusst. Sie hob erleuchtet beide Brauen. Sie hatte sich noch nie besonders für die Magier ihrer Welt interessiert, in der Schule waren sie auch kaum erwähnt worden. Bloß im Geschichtsunterricht, wo von der erfolgreichen Vernichtung dieser Monster berichtet wurde. Aber das hatte sich ja auch nicht wirklich mit der Rasse selbst beschäftigt. „Das geht? Kommen dann nicht Mischlinge raus oder so?“, erkundigte sie sich so interessiert und verdrängte die Gedanken an die widerlichen Bildern der letzten Nacht ein wenig. Er schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein, man kann nur das eine oder das Andere sein. Bloß das Aussehen der Eltern vermischt sich manchmal auf komische Weise...“ Er zupfte grinsend ein einer seiner Haarsträhnen. Jetzt hatte er ihr sogar noch etwas beibringen können, er war richtig stolz. Und sie schien sogar vergessen zu haben, dass sie böse gewesen war. Obwohl... „Jetzt hab ich noch mehr Angst vor dir!“, schnappte sie, „Am Ende willst du noch mit mir... bääh, nein, das würdest du nicht im Ansatz denken?“ Choraly schaute ihm ehrlich angegruselt in die roten Augen. Er antwortete ihr, ohne nachzudenken, das, was sie hören wollte. „Selbstverständlich nicht, das könnte ich dir doch nicht antun.“ Jetzt war es gesagt und sie nahm ihn beim Wort, als sie ihm erleichtert seufzend den Rücken kehrte. „Ich dachte schon... das wäre nämlich ganz schön grausam gewesen, nicht?“ Er sagte nichts mehr dazu und ging an ihrer Seite weiter. Sie entschied, wo sie hingingen. Mayora maßte sich nicht an, die Führung zu übernehmen, wo er ihr doch ursprünglich nachgerannt war. Dennoch kam in ihm nach einer Weile die berechtigte Frage auf, wo ihr Weg sie denn eigentlich hinführte. Deshalb erkundigte er sich. Sie hob nur unbeeindruckt eine Braue. „Keine Ahnung.“, war die glorreiche Antwort und er hustete, „Ich renne doch andauernd einfach so durch die Gegend, hab ja kaum was zu tun.“ Wenn ihm das nicht passte, konnte er sie ja gern in Ruhe lassen, überlegte sie schnippisch und beschleunigte ihren Schritt automatisch ein wenig. Der Wichser... „Ja, aber...“ Sie rannte ihm zu schnell, in diesem Zustand mit ihr zu reden war ihm zu anstrengend. So kam es, dass er etwas ganz böses tat. Er hielt sie an der Schulter fest. Mit seiner schlimmen Hand. Der Junge merkte es zu spät, erst als sie schon panisch zu quieken begann, wurde ihm klar, wo das Problem war und er zog sie wieder weg. Sie hüpfte hysterisch vor ihm auf und ab. „Du Ekel, wie konntest du nur? Du willst mich doch umbringen!“ Das wollte er ganz sicher, wie gemein! Was machte sie denn jetzt?! „Ich will dich nicht umbringen!“, verteidigte er sich empört. Er verstand sie schon, aber man konnte ja auch irgendwie übertreiben... „Du tust ja so, als hätte ich mit der Hand in irgendwelchen Eingeweiden herum gewühlt oder so! A-aber das war doch... natürlich und nicht giftig oder so, stell dich mal nicht so an!“ Sie beharrte auf ihrer Meinung. „Mordversuch, rede es nicht schön!“ Mayora setzte schon zu einem weiteren Besänftigungsversuch an, da ließ ihn eine leise Stimme in seinem Kopf inne halten. Du bist eine Persönlichkeit, erniedrige dich nicht! Nicht vor ihr! Da war irgendwie etwas Wahres dran, fand er. Respekt kam Erniedrigung nicht gleich. Er erinnerte sich nicht mehr daran, wer das einmal zu ihm gesagt hatte, es war wohl sehr lange her... er schien es komplett vergessen gehabt zu haben... Er schnaubte. „Na gut, denk doch, was du magst, ist mir doch gleich!“ War es ihm eigentlich nicht, er wollte, dass sie ihn gern hatte und sie sich gut verstanden, aber er musste auf die Stimmen hören, das war schließlich seine Bestimmung. Und die Stimmen hatten immer Recht. Er drehte sich um und verschwand in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Choraly guckte ihm blöd nach. „Missgeburt?“ Er hörte sie nicht mehr. Moment, war der etwa beleidigt? Wie konnte er es wagen...?! Sie wollte gerade Luft holen, um laut zu fluchen, da fiel ihr wieder dieser gewisse Unterschied zwischen der großen Stadt und der Wüste ein. Hier war alles viel unzwanghafter. Zuhause erwartete man eine entsprechende Reaktion einer Adligen auf solches Verhalten, aber hier? Sie atmete wieder laut aus und seufzte. Was würde es bringen, wenn sie sich jetzt künstlich aufregte? Er würde es eh nicht mehr mitbekommen, sie machte sich bloß lächerlich und wurde müde. Nein, sie verzichtete. Aber nachrennen tat sie ihm sicher nicht, sie hatte schließlich ihren Stolz! Und den Widerling musste sie auch nicht zwingend dabei haben... Das Mädchen ging schnaubend weiter, in die ursprüngliche Richtung. Aber was sollte sie tun, wenn sie dieser Wahnsinnigen wieder begegnete? Mayoras Ex, wenn man es genau nahm... seltsame Vorstellung. Sie konnte sich die Beiden nicht unbedingt als richtiges Paar vorstellen. Dazu waren die doch irgendwie.... ach, was wusste sie schon, die passten nicht und fertig. In Gedanken versunken, fand sich das Mädchen wenige Minuten später mitten im Ödland wieder, außerhalb des Dorfes, aber noch nicht in der Wüste. Es war heiß, die Sonne knallte unbarmherzig auf ihren Kopf und die rot schimmernden Dünen in nicht all zu weiter Ferne blendeten sie. Sie erschauderte, obwohl ihr heiß war. Dieser Ort kam ihr bekannt vor. Ihre Füße trugen sie eine Weile weiter, bis der steinige Boden in den reinen Sand überging. Sie blinzelte. Auf manchen Brocken konnte man seltsame dunkle Flecken erkennen. Das Mädchen bückte sich, um zu erkennen, um was es sich dabei handelte und blinzelte. Dann keuchte sie, fuhr zurück und stolperte, so dass sie zu Boden fiel. „Blut...!“ Sie starrte erbleicht auf die Steine vor ihr. Sie wusste wieder, woher sie diesen Ort kannte, sie hatte von hier geträumt. Hier war Jiro gestorben. Sie ließ sich auf den Rücken fallen und schlug die Hände vor den Mund. Hier, genau an dieser Stelle der Welt hatte der Junge seinen Tod gefunden, das war sein Blut. Die Erinnerungen an den Tag und den darauf folgenden Traum, die beide nicht all zu lange Zeit zurücklagen, trafen sie mit einem Schlag wieder in voller Härte. Es war noch immer ihre Schuld, dass er nicht mehr lebte. Und sie hatte es einfach verdrängt und gedacht, es ginge in Ordnung, bloß weil Lilli und Tai ihr nicht böse waren! Sie war so verabscheuungswürdig, wie konnte sie nur?! „Ich wünschte, irgendwie würde man mich bestrafen...“ Einen Moment später bereute sie es, diese Worte geäußert zu haben, denn man erfüllte ihr ihre Bitte prompt, als sie einen brennenden Schmerz in ihrem rechten Unterschenkel wahr nahm. Das Mädchen fuhr keuchend auf und sah gerade noch ein ekliges schwarzes Vieh wegkriechen, dann schrie sie aus vollem Hals. Das tat ja so schrecklich weh! Es brannte und pochte und die kleine Wunde war nach wenigen Sekunden völlig blutig, hätte sie nicht gerade so gelitten, hätte Choraly den Anblick vermutlich im höchsten Maße eklig gefunden. Aber im Moment war ihr das Aussehen ihres Beines egal, sie kreischte sich einfach nur die Seele aus dem Leib und bekam gar nicht mit, dass Mayora längst bei ihr war und sie rüttelte, damit sie wieder zu sich fand. Erst nach einer schallenden Ohrfeige riss sie wieder die krampfhaft zusammengekniffenen Augen auf und realisierte ihr Gegenüber bloß langsam. „Missgeburt...“, wimmerte sie gezwungen gefasst, denn eigentlich schickte es sich nicht für eine Dame, auf offener Straße vor Schmerzen zu schreien, „Es tut so furchtbar weh...“ Er nickte bloß. „Man darf sich hier doch nicht auf den Boden legen, dummes Huhn!“, fuhr er sie da ungewohnt grantig an, griff umständlich um und unter sie und hob sie hoch auf seine Arme. War gar nicht so einfach, sie war zwar sehr leicht, aber er, als fieberkranker Himmelsblüter hatte es nicht so mit der körperlichen Kraft. Aber da musste er jetzt die Zähne zusammenbeißen, das war wirklich dumm gelaufen. Kaum war er ein paar Meter gegangen gewesen, hatte ihm eine Stimme zugeflüstert, dass er das Mädchen aus der großen Stadt dennoch nicht aus den Augen lassen dürfte und er hatte artig gehorcht. Zum Glück. Das war nämlich höchst gefährlich, hoffentlich war es noch nicht zu spät... Er sah ihr beunruhigt in das fahle Gesicht, während er so schnell wie möglich mit ihr nach Hause rannte. Sie wimmerte und atmete schwer, hoffentlich war seine Tante da. Ansonsten... nein, er wollte nicht daran denken. „Hey!“ Der Junge schnaubte. Musste das jetzt sein? „Was geht denn mit euch ab?“ Es war Imera, der ihm keuchend hinterher rannte und der mittlerweile bewusstlosen Choraly einen besorgten Blick schenkte. Was hatte die Missgeburt denn mit der Armen angestellt? „Irgendein Vieh hat sie gestochen und sie vergiftet!“, erklärte Mayora nur kurz angebunden, „Tante muss so schnell wie möglich nach ihr sehen!“ „Tante?!“ Der Ältere hielt abrupt an. „Chatgaiachen ist doch gar nicht daheim, du Volldepp!“ Als ob die jemals zu dieser Zeit zuhause war, das hätte der kleine Blödmann aber auch wissen können. Er hielt ebenfalls kurz inne. „Dann ruf sie!“, verlangte er nur, ehe er weiter rannte und der Brünette wagte nicht, zu widersprechen. Schließlich ging es hier um das Wohlbefinden der armen Choraly! Als der Grünhaarige ankam, hatte er das Gefühl, seine Arme würden ihm jeden Moment abfallen, so erschöpft war er. Dennoch schleppte er die junge Frau tapfer die Treppe hinauf und in ihr Bett, wo er sich erst einmal ganz egoistisch einen Moment zu ihr setzte, um zu verschnaufen. Hätte er sofort weitergemacht, wäre es sicher schief gegangen. Außerdem wusste er so wie so nicht so genau, was nun zu tun war. Auf eine solche Situation hatte ihn seine Tante leider noch nicht vorbereitet. Und er selbst war nicht schlau genug dafür. Verdammt, der Idiot sollte sich beeilen! Und das tat der Idiot auch, denn kaum zehn Minuten später stand er samt Chatgaia auf der Matte. Die Frau eilte sofort ohne ein Wort der Begrüßung zu dem Mädchen, um nach einer kurzen Untersuchung ungehalten zu fluchen. „Verdammter Dreck!“, machte sie, „Hätte sie sich nicht von einem ungiftigeren Tier stechen lassen können?! Und ich war so erfreut darüber, wieder neues Blut in unserem Dorf zu haben...“ Sie seufzte bedauernd und ihr Neffe schnappte erschrocken nach Luft. „Du wirst doch noch etwas für sie tun können?!“ Die Frau zuckte mit den Schultern. „Weiß ich nicht, mal sehen.“ „Du machst sie gesund, Chatgaia!“, mischte sich auch Imera ungewohnt düster ein und Mayora hob eine Braue, als die Frau darauf die Augen einen Moment verengte und dann zischend, aber tatsächlich gehorsam nach unten ging, um irgendein ekliges Zeug zusammen zu mischen. Wow. „Einer von euch ist jetzt noch so gut und legt ihr einen kalten Lappen auf die Stirn, sie wird gleich Fieber bekommen!“, hörte man sie noch und der Grünhaarige erbarmte sich. Das Dorfoberhaupt kannte sich wirklich aus, nur wenige Minuten später war das bewusstlose Mädchen tatsächlich fiebrig. Die Jungen wachten ihrerseits schweigend bei ihr am Bett, während die Hausherrin beschäftigt war. „Seit wann kannst du Tantchen herumkommandieren?“, erkundigte sich der Jüngere irgendwann und Imera zuckte mit den Schultern. „Was heißt herumkommandieren?“, fragte er nur zurück, „Ich hab sie bloß vor einer Dummheit bewahrt!“ Da war etwas dran. „Und du nennst sie 'Chatgaiachen'. Gestört?“, machte der Andere dennoch weiter und erntete dafür einen empörten Blick. „Und du sagst 'Tantchen', doppelt gestört!“ Was fiel ihm ein? Mayora schnaubte. „Das ist etwas ganz anderes, immer einmal gestörter als ich!“ „Das ist gar nichts anderes, immer fünf Mal gestörter als ich!“ Die beiden stierten sich feindselig an. „Ihr seid beide gestört, zufrieden?“ Chatgaia konnte gerade keine stänkernden Halbstarken gebrauchen, die Lage war schließlich ernst. Nicht, dass ihr wirklich etwas an Choraly Magafi gelegen hätte, aber den Jungen war sie scheinbar mehr oder minder wichtig, da konnte sie sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen, das ging nicht. Außerdem hatte sie Pflichtbewusstsein, sie war schließlich nicht nur das Dorfoberhaupt, sondern auch die Heilerin des Ortes. Also erledigte sie einfach ihre Arbeit, als sie dem Mädchen mit sanfter Gewalt ein übel riechendes Gesöff einflößte. „Das entgiftet sie... hoffe ich zumindest. Ich bin mir nicht ganz sicher, was sie da gestochen hat, aber die Wunde ist übel. Ich verspreche mal nichts.“ Damit wandte sie sich ab und schritt zur Tür. Mayora starrte ihre Kehrseite geschockt an. „Wie, du versprichst nichts? Tante, mach sie gesund, du kannst jeden gesund machen!“ Die Frau hielt inne. „Wenn ich jeden gesund machen könnte, würdest du nicht bald sterben.“ Eine unangenehme Stille legte sich über den Raum, die bloß ab und an von einem Keuchen des kranken Mädchens durchbrochen wurde. Das hatte allerdings gesessen. Der Grünhaarige senkte sein Haupt beschämt über die eisigen Worte und Imera räusperte sich verlegen. „Und du kommst mit!“, fuhr die Frau ihn darauf an, „Wir haben noch zu tun.“ Er nickte stumm und verließ mit ihr den Raum. -- Mayora war enttäuscht von seiner Tante. Sie hatte sich nicht genügend Mühe gegeben, fand er, hatte ihn stattdessen mit seiner Schwäche abgewimmelt. Er wollte sich nicht so abspeisen lassen, anders als sie hatte er Choraly inzwischen sehr gern. Und allein aus Trotz dem Dorfoberhaupt gegenüber würde er fast alles für sie tun, dachte er sich, als er ihre Wunde reinigte. Sie hatte eben nicht alles getan, was möglich war... Das Mädchen zuckte stark, als er ihr Bein behandelte und er hielt einen Moment inne und blickte bedauernd in ihr Gesicht. Sie hatte sich letztes Mal so lieb um ihn gekümmert und sich um ihn gesorgt, jetzt würde er auch für sie da sein. Dabei fragte er sich, wie ein einzelner Mensch in so kurzer Zeit eigentlich so viel Pech haben konnte. Das war doch abnormal. Gab es da keine physikalischen Regeln gegen oder so? „Etwas sanfter... bitte...“ Er schreckte auf. Sie regte sich zwar nicht, schien aber wach zu sein, wie es schien. „Kann das nicht lieber Atti machen?“ Mehr oder weniger, zumindest. Er erhob sich und setzt sich zu ihr an die Bettkante. „Atti ist nicht hier.“, erklärte er behutsam und strich ihr durchs Haar, „Aber ich werde mich um dich kümmern, ja?“ Sie öffnete ihre glasigen Augen ein wenig. „Auf den Steinen war Blut...“, begann sie plötzlich zu erklären, „Jiro ist da gestorben.“ Er verstand, was sie meinte. „Deshalb hast du da gelegen, hm? Du warst geschockt...“ Dann war es ja auch noch seine Schuld. Jiro war schließlich wegen ihm tot. Au... das brannte ihm noch immer auf der Seele. Choraly nickte. „Ich kann mein Bein nicht spüren...“, machte sie leise und er streichelte ihr weiter durchs Haar. „Das wird wieder.“, versicherte er ihr, „Das ist normal. Aber hör mal...“ Vielleicht war es nicht gerade gut, sie jetzt darauf hinzuweisen, aber lieber etwas unpassend als erneut zu spät. „Die Oase mag friedlich erscheinen, aber wir leben hier in der Wüste, Mädchen aus der großen Stadt. Im Sand lauernd unsagbar viele unbekannte Gefahren. Manche Alten glauben auch an die Sanddämonen, von den Sagen um die hast du sicher auch schon gehört...“ Sie nickte erneut schwach. „Deshalb gilt immer, vorsichtig zu sein. Du darfst dich nie am Wüstenrand auf den Boden legen, da könnte noch viel schlimmeres passieren als mit dir jetzt! Unser Land ist ein Land des Todes, du musst immer auf der Hut sein, hier ist es nicht so schön wie in Wakawariwa und das weiß ich auch...“ Einen Moment lang fragte er sich, ob er sie jetzt zu hart angegangen war, aber es war schließlich die Wahrheit und sehr wichtig zu wissen. Sie schloss die Augen. „Darf ich etwas fragen?“, kam dann schwach und er nickte. Obwohl sie es nicht sehen konnte, sprach sie weiter. „Wenn dieses Land so schrecklich ist, weshalb lebt ihr dann hier? Es wäre doch sicher möglich, von hier wegzukommen ... irgendwie...“ Da hatte sie schon Recht, aber eigentlich zeugte ihre Frage nur von Dummheit. Der Junge nahm die Hand von ihren Haaren und drehte stattdessen ihr Gesicht mit sanfter Gewalt so, dass sie ihm genau in die Augen schauen konnte, was sie auch prompt tat. „Ich bin Wassermagier.“, begann er erstaunlich düster, „Ich liebe Wasser. Und als Kind habe ich immer davon geträumt, irgendwann am Meer zu leben. Aber das wird mir niemals vergönnt sein, Choraly. Sobald meine Füße festen, gepflasterten Boden berühren würden, wäre ich des Todes. Das ist schließlich auch der Grund, weshalb Thilia niemals von anderen Menschen entdeckt werden darf! Wir wollen nicht sterben, wir wollen in Ruhe leben! Und wenn wir dafür 45° im Winter auf uns nehmen müssen, dann sei es nun einmal so. Hat das deine Frage beantwortet?“ Es tat ihm gut, sich darüber auszulassen. Aber vielleicht nicht in diesem Moment, kam ihm, als sie darauf leise zu schluchzen begann und er seufzte und strich ihr entschuldigend wieder durchs Haar. „Tut mir Leid, das ist eine dumme Situation, um dir das zu erklären. Schlaf lieber ein wenig.“ Jetzt speiste er sie auch ab, so kam es ihm vor. Aber das war wirklich das Beste für sie, wenn sie zumindest das Fieber loswerden wollte. Da hatte er schließlich genügend Erfahrung mit. „Mayora?“ „Hm?“ Er erhob sich und sie drehte den Kopf wieder weg. Verlegen, aber das bemerkte er nicht. „Ich fürchte mich.“, gestand sie, „Ich will nicht alleine bleiben.“ Und dabei untertrieb sie noch. Sie hatte Todesangst, wie sie sie zum letzten Mal beim Absturz gehabt hatte. Am liebsten hätte sie auch genau so geschrien, aber dazu war sie im Moment einfach zu schwach... „Du musst nicht allein bleiben.“, hörte sie ihren Mitbewohner da behutsam sagen und sah aus den Augenwinkeln, wie er sich einen Stuhl nahm und neben das Bett stellte, um sich darauf zu setzen. „Ich pass auf dich auf...“ Und das würde er die ganze Nacht tun, dachte er sich, als das Mädchen zufrieden die Augen wieder schloss. -- Als Choraly erwachte, war es hell. Wieder hell, dachte sie sich, denn als sie eingeschlafen war, hatte die Sonne schon recht tief gestanden. Also war die Nacht vorbei. Und sie lebte noch, irgendwie. Sie fühlte sich mies, völlig ausgelaugt und schwach. Aber sie hatte wohl tatsächlich kein Fieber mehr. Sie drehte den Kopf müde zur Seite und keuchte zunächst einmal gehörig geschockt auf, dann lächelte sie verwirrt. Dieser Vollidiot. Er war tatsächlich die ganze Zeit bei ihr geblieben und musste irgendwann eingeschlafen und vom Stuhl gefallen sein, jedenfalls lag sein Kopf auf der Bettkante und der Rest seines Körpers verrenkt auf dem Boden, sah ziemlich schmerzhaft aus. „Ey Missgeburt, wach auf!“ Er schnarchte leise und sie konnte sich trotz ihres schlechten Befindens ein leises Lachen nicht verkneifen. Besonders hohe Ansprüche schien der Typ ja echt nicht zu haben, wenn es um einen Schlafplatz ging... „Mayora, du brichst dir noch das Genick!“ Das war vielleicht etwas übertrieben, aber viel fehlte nicht, dachte sie sich, als sie ihm vorsichtig über den Kopf strich. Aus purer Neugierde, im Übrigen, sie fragte sich schon seit Ewigkeiten, wie sich seine hässlichen Haare wohl anfühlten. Ganz furchtbar weich, stellte sie überrascht fest, weicher als ihre eigenen. Tse, ihre waren trotzdem schöner. „Wirst du jetzt mal aufwachen?“ Statt ihn weiter zu streicheln, schlug sie ihm nun sanft auf sein Haupt und er grummelte missmutig, ehe er verwirrt blinzelte und müde zu ihr sah. „Was...?“, kam dann leise und er schaute sich müde im Raum um, ehe er sich umständlich erhob und sich streckte, als hätte er in dem bequemsten Federbett gelegen. Dann lächelte er gut gelaunt. „Dir geht es wieder besser?“ Sie richtete sich auf und seufzte dann. „Zumindest hab ich kein Fieber mehr, ja.“ „Na immerhin.“, er grinste, „Kann ich was für dich tun?“ Durstig war sie. „Bring mir Wasser!“ Sie konnte wieder befehlen, das war ja so wunderbar. Und er hatte gedacht, seine Tante hätte absichtlich versagt! Nein, die Prinzessin würde bald wieder gesund sein. Und das freute ihn sehr. Er beschloss, etwas zu wagen und streckte die Hand aus. Sie hob beide Brauen, als er eine schwabbelnde Wasserkugel erscheinen ließ. „Sag ah!“, machte er und sie erschauderte. DAS sollte sie trinken? Das war sicher nicht gesund! „Das ist eklig!“, beschwerte sie sich deshalb und verschränkte die Arme vor der Brust, aber er ließ sich nicht so leicht abwimmeln, wie erhofft. „Trink es!“, bat er sie weiter und kam dabei näher, hielt ihr die Flüssigkeit unter die Nase, „Ich verspreche dir, das ist das beste Wasser auf der ganzen weiten Welt! Und es ist sehr gesund, es wird dir gut tun!“ Er war als Magier sehr begabt und beherrschte sein Element annähernd perfekt, so hatte er sich manch ungewöhnliche Dinge beigebracht. Er wollte den Beruf des Heilers seiner Tante übernehmen, da ließen sich viele Dinge unglaublich schön mit seiner Magie verbinden. Anders als das zerstörerische Feuer war das Wasser sanft, das hatte er ihr auch seit jeher voraus. Choraly schnaubte. „Du willst mich sicher vergiften oder so!“ Irgendwie sprach sie immer das Selbe, fiel dem Jungen auf. Er musste sich bei Gelegenheit mal erkundigen, weshalb sie immer so misstrauig war. Er seufzte. „Ich hab dich lieb, ich würde dir niemals etwas böses wollen. Bitte trink!“ Im Übereifer hätte er ihr die schwabbelnde Flüssigkeit fast ins Gesicht geplatscht, aber sie konnte noch einmal zurückweichen, worauf sie ihn aus zu Schlitzen verengten Augen anschielte. „Wenn du mich so lieb hast... aber wehe, du machst mich nass, dann bist du des Todes, klar?“ Der Junge nickte glücklich. „Mach einfach den Mund auf.“ Sie tat, wie ihr geheißen und er ließ die Flüssigkeit in angenehmen Schlücken einfach in ihren Mund gleiten, ohne, dass etwas daneben ging. Wäre ja noch schöner gewesen. Und sie musste einsehen, dass er Recht hatte, so tolles Wasser hatte sie noch nie getrunken. Sie konnte nicht sagen, was so besonders daran war, aber es hatte etwas einmalig Gutes an sich. Aber sollte sie das wirklich zugeben? Tse, sie war eine Magafi... „Und? Lecker, nicht?“ Irgendwie war ihm klar, dass sie ihm nicht zustimmen würde, aber dass er trotzdem Recht hatte. Er hatte schon richtige Erfahrung mit ihr... „Schmeckt ganz normal, aber danke.“ Immerhin. -- Chatgaia war ein wenig beschämt. Sie hatte das Mädchen aus der großen Stadt ehrlich etwas lustlos therapiert und um sich vor dem einen Funken schlechtem Gewissen in ihr abzulenken, hatte sie die Nacht dann auch noch mit ihrem Liebsten verbracht. Der im Übrigen völlig friedlich neben ihr lag und friedlich wie ein Baby schlief. Na toll, jetzt musste sie ihn wieder aus dem Fenster werfen, damit es keinem auffiel. Eine Affäre schickte sich schließlich nicht für das Dorfoberhaupt. Aber... war ja nicht ihr Problem, so lange er schön vorsichtig war. Sie tätschelte ihm seufzend den Kopf und er schnarchte als Reaktion bloß einmal etwas, was sie schmunzeln ließ. Sie musste später unbedingt nach Choraly sehen und sie gegebenenfalls noch weiter behandeln, wenn ihr Neffe ihr nicht bereits zuvor gekommen war. Mayora war schließlich besser, als er dachte, wenn er sich wirklich Sorgen machte, war er zu vielem fähig. Das hatte Maragi auch schon öfters das junge Leben gerettet... Ja, sie musste nach dem Mädchen sehen. Unbedingt. Frisches Blut tat dem Dorf gut. Sie würde sich um sie kümmern. Aber sie lag gerade so bequem. Verdammtes Pflichtbewusstsein! „Du... wach auf, Süßer!“ Sie rüttelte ihren Liebhaber, bis es träge die Augen öffnete und erst einmal ausgiebig gähnte. „Du muss jetzt gehen.“, erklärte sie, „Ich muss arbeiten.“ „Immer Arbeiten, nie ich.“, beschwerte er sich, stand aber gehorsam auf und begann, sich anzuziehen. Während sie es ihm gleich tat, konnte sie sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er hörte artig auf sie, wie alle anderen auch. In diesem Moment kam es ihr so vor, als sei die ständige Angst vor dem Kontrollverlust völlig unbegründet und alles wunderbar. Aber dem war nicht so, fiel ihr wieder ein. Sie hatte dem armen Mayora eiskalt gesagt, dass er nicht mehr lange hatte, wie gemein von ihr. Nicht, dass sie es nicht schon oft genug angedeutet hätte, nein, und er wusste es auch selbst, aber in diesem Kontext war es einfach nur verletzend gewesen. Das gehörte sich nicht. Sie erinnerte sich an ihre Schwester. Ein ursprünglich so liebes Mädchen, das mit der Zeit immer verblendeter und kälter geworden war. Zu ihr hätten solche Worte gepasst. „Du zweifelst an dir selbst.“, ihre nun angezogene Liebschaft umarmte sie liebevoll von hinten, „Dabei bist du das allerbeste Dorfoberhaupt der Welt, du solltest es langsam wissen!“ Sie musste leise lachen. „Ach, ich werde alt...“ -- Zumindest zu alt für ihre Arbeit war sie nicht, wie sich wenig später herausstellte, als sie Choraly untersuchte. „Die Entgiftung war nicht ideal, aber verhältnismäßig gut geklappt hat sie. Du musst heute unbedingt noch im Bett bleiben.“ Wenn es weiter nichts war, dachte sich die Angesprochene, wagte aber nicht, es laut auszusprechen. Chatgaia war ihr noch immer gruselig und mehr als suspekt. Und wegen ihr war Jiro auch tot. Und vermutlich auch noch viele andere Unschuldige, die sie nie hatte kennen lernen dürfen. Aber daran denken, während die gruselige Frau direkt bei ihr war, wollte sie nicht. Die merkte ihr das sicher an und dann wäre sie noch mehr bei ihr unten durch als ohnehin schon. Und das musste nicht wirklich sein, sie wollte schließlich noch immer die bestmöglichen Bedingungen für ihre imaginäre Flucht haben, die vermutlich nie stattfinden würde. Was für tolle Aussichten. „Da das ja ganz gut gelaufen ist, werde ich mich jetzt wieder meiner regulären Arbeit widmen.“, sprach die grünhaarige Frau da und wandte sich zum Gehen, „Ich werde dich vermutlich nicht bitten müssen, Mayora, bei ihr zu bleiben, oder? Falls irgendetwas unerwartetes in negativer Richtung geschieht, kannst du mich ja rufen, du weißt, wo du mich findest.“ Sie verschwand. ---- War in dem Kappi echt nur einmal kursiv? oô XD Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)