Jumays Kinder von -Izumi- (Part 5: Kinder des Wassers - Verloren im Sand) ================================================================================ Kapitel 25: Morikas Erben ------------------------- Choraly schaute das Dorfoberhaupt neugierig an. Sie wollte ihr etwas erzählen? War ja interessant... „Ich bin ganz Ohr.“ Der Blick der Älteren verdunkelte sich. „Möglicherweise könntest du Dinge erfahren, die nicht jeden etwas angehen, also bitte ich dich, mich einfach nur still anzuhören und nie wieder darüber zu reden, okay?“ Das Mädchen nickte. „Nun gut. Alles begann vor etwa 22 Jahren...“ „Das ist nicht euer Ernst, oder?“ Chatgaia, stolze 17 Jahre alt, starrte ihre Eltern über den Küchentisch hinweg entgeistert an. Ihre zwei Jahre jüngere Schwester Tagami,um die es eigentlich ging, saß bloß gleichgültig neben ihr und schien von der großen weiten Welt zu träumen, denn dem Gespräch hatte sie wirklich bloß mit einem Ohr gelauscht. Oder einem Halben, war ihr doch egal, worum es ging. „Warum sollten wir euch beiden Trullas an unserem neuen, noch unbeschädigten Tisch versammeln, wenn wir bloß scherzen wollten? Das könnten wir doch auch im Garten...“ Fehro Magovi, Dorfoberhaupt des Wüstendorfes Thilia und Vater der Mädchen, verschränkte die Arme vor der Brust und musterte die Beiden streng, „Hör gefälligst zu, Tagami, du liebe Güte!“ „Es geht schließlich um deine Zukunft!“, stimmte seine rosahaarige Frau Karadia ihm zu und die Tochter machte ein erstauntes Gesicht. „Zukunft? Ich hab Zukunft?!“, sie zupfte ihrer Schwester an den Haaren, „Hast du gehört, ich hab Zukunft!“ „Heul doch!“, schnappte die Ältere und schlug ihre Hand weg, sich wieder an ihre Eltern wendend, „Bei allem Respekt, das ist die mit Abstand dümmste, lächerlichste und idiotischste Idee, die meine armen Ohren in ihrem ganzen Leben zu hören bekommen haben!“ Sie schlug genervt auf die hübsche neue Tischplatte und ihre Mutter schnappte nach Luft. „Nicht doch, du machst Macken rein!“ „Du verstehst das nicht, Chatgaia.“, begann der Mann da, seine Gemahlin ignorierend, und seufzte, „Als meine Töchter seid ihr auch Töchter unseres wundervollen Dorfes und das müsst ihr ehren. Du tust es, indem du meine Aufgabe übernimmst, nachdem ich von dieser Welt gegangen bin... es wird also Zeit, deiner gelangweilten Schwester auch mal etwas zu suchen, womit sie unsere Heimat ehrt. Und wir sollten uns glücklich schätzen, von Herrn Timaro ein solches Angebot bekommen zu haben.“ Tagami blinzelte, als sei sie gerade aufgewacht. „Wer ist denn Herr Timaro?!“ „Über den reden wir doch schon die ganze Zeit, Kind!“, jammerte die Mutter und Chatgaia schnaubte. „Ach was, Angebot! Der wird für seinen hässlichen, vermutlich vollkommen verblödeten Sohn bloß kein Weib finden!“ „Hässlicher Sohn?“, machte die kleine Schwester wieder blöd und Karadia gab es auf, sie zu tadeln. Der Vater fuhr sich seufzend durch sein grünes Haar. „Du kennst die Geschichte von Thilia und Morika, nehme ich an, meine Tochter?“, fragte er seine Ältere und sie nickte, „Immer wieder gab es kleine Kriege zwischen uns, wir sind zwei verschiedene Völker, das ist normal. Aber in einer Zeit wie dieser, sollten wir dem Frieden einen Namen geben, findest du nicht?“ Sie hob feindselig eine Braue. „Timaro? Na meinetwegen, aber darum geht es mir doch gar nicht!“ Allgemeines Erstaunen. Sie deutete auf ihre Schwester. „Ihr wollt ihr die Zukunft stehlen! Sie soll aus Liebe heiraten und Kinder bekommen und nicht, weil es schick ist, irgendeinen Deppen aus dem Feindesland zu nehmen, Himmel!“ Kurz wurde es still in der Küche. Die junge Frau wusste genau, dass sie Recht hatte, da sollte ihr niemand widersprechen. „Es ist ja auch nur ein Vorschlag, sie muss es ja nicht machen.“, erklärte die Mutter da etwas verschüchtert. Ja, verschüchtert, Chatgaia machte ihr schon seit vielen Jahren ziemliche Angst. Darauf konnte sie allerdings nichts mehr sagen, damit hatte Tagami ja ihre Freiheit. Und eben diese wurde nun von allen Seiten angeschaut. „Was?“, fragte sie verwirrt, „Ich meine, klar mach ich das, ich bin ja voll ehrbar und sowas... aber ich schau mir den Knaben erst mal an, wenn er hässlich ist, will ich ihn nicht!“ Die Eltern atmeten erleichtert aus. „Das ist mein Mädchen!“, machte Fehro Magovi und seine Frau klatschte in die Hände. Die ältere Tochter war weniger begeistert und wandte sich brutal an ihre Schwester, in dem sie sie an den Haaren ein Stück zu sich zog. „Na hör mal, spinnst du jetzt völlig?! Du kannst dich doch nicht freiwillig mit irgendeinem Idioten verheiraten lassen, das ist völliger Wahnsinn!“ Tagami quiekte. „Lass mich los, du Schlampe!“, schimpfte sie, „Ich hab doch so wie so keine Lust, mir selbst einen zu suchen und die Deppen hier hab ich eh fast alle durch!“ Die Eltern taten so, als würden sie weghören. „Außerdem ist dein toller Harata ein größerer Idiot, als der Typ aus Morika es physikalisch sein kann, ja? Du hast mir mal gar nichts zu sagen!“ Das war wahr. „Na dann renne doch in dein Verderben!“ -- Eine Woche später befand sich die Familie dann im sagenumwobenen Nachbardorf Morika. Obwohl es nicht sonderlich weit entfernt war, waren weder die Mädchen, noch die Mutter je dort gewesen und so staunten sie nicht schlecht, als sie die bunten Straßen passieren. „Was ist das für ein Boden? Die haben Steine auf den Boden gelegt!“, wunderte sich Karadia und starrte dabei auf ihre Füße. „Das nennt man gepflastert, ich habe auch ganz schön gestaunt, als ich es zum ersten Mal gesehen habe.“, gab ihr Mann, der neben ihr ging, zu, „Die Mienen sind hier ganz in der Nähe, daher haben die so viel gutes Gestein.“ „Sehr angenehmen Trittgefühl.“, musste auch Chatgaia gestehen und sah sich um, „Als wäre man in einer anderen Welt, seltsam.“ „Und hier würde ich dann wohnen?“, erkundigte sich Tagami derweil bei ihrem Vater und der nickte. „Natürlich. Im prächtigsten Haus als Frau des Dorfoberhauptes. Auch nicht schlecht, oder?“ „Mit dem Gedanken kann ich mich anfreunden!“, war die gut gelaunte Antwort. Das prächtigste Haus war wirklich prächtig. Anders als die Bewohner, dachte sich Chatgaia, als man sie willkommen hieß. Auch ihre anderen weiblichen Familienmitglieder schienen etwas aus der Bahn geworfen. Bloß Fehro Magovi hatte die regierende Familie Morikas bis dahin gekannt und war auf sie gefasst gewesen. „Wie schön, dass ich Sie alle in meinem bescheidenen Heim willkommen heißen darf!“ Divo Timaro, so hieß das Dorfoberhaupt, schien beim Anblick der Gäste völlig auszuflippen, immerhin hüpfte er wie ein kleines Kind auf und ab. Außerdem sah er wirklich unmöglich aus. In eine übertrieben edle Robe gehüllt, aber die rot-braunen Haare in alle Himmelsrichtungen abstehen und unrasiert war er auch noch. Sein Parfum war überdies auch ziemlich aufdringlich, wobei es das seiner Frau noch nicht toppen konnte. Die alte Trulla war ebenfalls aufgebrezelt bis hinter beide Ohren, trug einen Ausschnitt bis auf den Bauchnabel und war... hässlich. So fand die 17-jährige Omola Timaro jedenfalls. War aber auch egal, wie die Eltern aussahen, ankommen tat es ja auf Alhata, ihren Sohn, dessen Frau Tagami werden sollte. Nein, besonders hübsch war er auch nicht, aber ganz ansehnlich und nicht so verdammt übertrieben aufgemacht wie sein Vater und seine Mutter, die sich höflich nacheinander vorstellten. „Und der da?“, erkundigte sich Chatgaia, als auch ihre Familie sich gegenseitig präsentiert hatte, auf einen kleinen blonden Jungen deutend, der ebenfalls im Flur herum stand, ganz unscheinbar und ausgeschlossen. „Den kann man ignorieren.“, antwortete Omola in ihrer arroganten Tonlage, „Sohn meines Mannes, bei einem kleinen Seitensprung entstanden. Leider leider ist seine Mutter bei seiner Geburt drauf gegangen, seit dem hängt er bei uns herum.“ Die Leute in Morika waren Heiden, so versuchte sich das Mädchen diese in ihren Augen unglaublich widerliche Art über den Tod der Mutter des Kleinen zu sprechen, zu erklären. Da kam es nicht so sehr auf die Windgeister an, wie dümmlich... Das Essen in Morika schmeckte im Übrigen auch anders, merkten sie, als sie mit ihren Gastgebern aßen und sich die beiden Dorfoberhäupter über irgendeinen Unsinn unterhielten. Dabei fiel Chatgaia auf, wie ihre kleine Schwester Alhata tatsächlich, scheue, verknallte Blicke zuwarf. Sie fragte sich echt, womit sie das verdient hatte, das war so gestört... Der junge Mann hingegen, und das ärgerte die Schwester besonders, schenkte seiner Fast-Verlobten keinerlei Aufmerksamkeit. Er schien nicht das geringste Interesse an ihr zu haben, dabei kam die dümmliche Idee doch von seiner Familie. Und Tagami war viel zu schön für den Idioten. Da musste etwas passieren. „Habe ich eigentlich das Recht auf ein 4-Augengespräch mit dem zukünftigem Bräutigam?“, wagte sie in die Runde zu fragen und Divo Timaro hob verwirrt beide Brauen. „Die große Schwester?“, fragte er und Fehro Magovi fasste sich an die Stirn. Ja, seine Chatgaia war ein sehr engagiertes Mädchen... „Ich wüsste nichts, was dagegen spräche.“, überlegte das zauselige Dorfoberhaupt Morikas laut, „Alhata, führe unsren Gast ins Nebenzimmer.“ Der Junge tat, wie ihm geheißen. Das Nebenzimmer musste der Einrichtung nach die Stube sein, edel und sauber, sicherlich nicht schlecht. Das Sofa schien bequem. „Willst du mir keinen Platz anbieten?“ Der junge Mann verzog keine Miene. „Wir sind in Morika, Prinzessin, wir haben andere Sitten und legen auf andere Dinge wert. Wenn du dich setzen möchtest, dann tu es doch einfach.“ Sie tat es, Alhata blieb stehen. „Mir gefällt die Art, wie du mit mir sprichst, ganz und gar nicht.“, machte die junge Frau, „Ich bin immerhin älter als du, du solltest mir Respekt zollen.“ Dieser Kerl war so, wie Chatgaia es vermutet hatte. Und alle anderen waren so dumm. Er grinste nur. „Respekt?“, fragte er diabolisch, „Du bist nur ein Weib, vor dir muss ich keinen Respekt haben! Und schon gar nicht vor so einer... Blutschande!“ Sie senkte erzürnt ihre schmalen Brauen. „Dafür wird mein Vater dich in Stücke reißen lassen!“ Sie hatte sich doch geirrt, dieser Mann war noch weitaus abartiger, als sie gedacht hatte! Er lachte. „Kannst du auch nur ein einziges, von mir gesprochenes Wort beweisen?“, entgegnete er scheinbar belustigt und setzte sich ihr nun doch gegenüber, „Ich habe dich beobachtet, dich und deine Familie. Du bist anders als sie, hab ich Recht? Die würden dir nichts glauben, weil du schon schlecht über mich gesprochen hast, ehe du mich kanntest. Na, dumm gelaufen...“ Allerdings, das war wahr. Damit hätte sie aber auch nicht gerechnet. Sie keuchte vor Wut. „Was hast du mit meiner Schwester vor?“ Auch wenn sie oft miteinander stritten, sie liebte ihre kleine Schwester und nahm ihre Aufgabe, sie zu beschützen, sehr ernst. Er tat irritiert. „Was soll ich mit ihr vorhaben? Das, was man von mir erwartet!“ Das war ausreichend, Chatgaia erhob sich. „Ich habe gehört, was nötig war.“, sagte sie, ihm den Rücken kehrend, „Aber ich bitte dich, tu ihr nicht weh. Tu ihr niemals weh!“ 'Sonst werde ich dir weh tun.' „Moment mal!“, ungebeten unterbrach Choraly doch, „Sie meinen, Ihre Schwester hat einfach blind irgendeinen Arsch geheiratet und hat nicht auf Ihre Warnungen gehört?!“ Das Dorfoberhaupt nickte langsam und seufzte. „Sie hat es nur gut gemeint. Sie ist zwar immer das geliebte Nesthäkchen gewesen, aber ich war immer die, auf die man stolz hatte sein können. Und einmal in ihrem Leben wollte sie unsere Eltern auch stolz machen, sie war ein gutes Mädchen, glaub es mir. Deshalb war sie auch taub für meine Warnungen...“ „Tagami, ich schwöre dir, er ist nicht der richtige Mann für dich!“ Die Schwestern saßen am Abend gemeinsam in Zimmer der Jüngeren und machten sich bettfertig. Letztere war ziemlich genervt. „Ach, rede du nur! Ich finde, er sieht ganz nett aus, das ist ja wohl die Hauptsache!“ Chatgaia schlug sich die Hand vor die Stirn. „Es kommt doch nicht nur auf das Aussehen an!“ „Doch, mir schon.“ Ihre Blicke trafen sich. Sie meinten es ernst, beide. Und in dem Moment wurde der Älteren auch klar, dass es ab nun sinnlos war, ihre Schwester von etwas anderem überzeugen zu wollen. Sie waren vom selben Blut, sie hielten bis zum Letzten an ihren Überzeugungen fest. „Es tut mir im Herzen weh...“, meinte sie so nur und fuhr sich durch ihr langes grünes Haar. Lange grüne Haare hatten beide, aber die 17-jährige fand ihre noch etwas schöner als die ihrer Schwester. Sie waren noch länger... „Mach dir keine Sorgen, Häschen.“, entgegnete Tagami da und lächelte überraschend sanft, „Mutter und Vater wollen nur das Beste für mich, die wissen schon, was sie tun. Und ehrlich mal, denkst du, ich würde nicht mit irgendeinem Kerl fertig werden? Das entehrt mich!“ Ja, wo sie Recht hatte... wer wusste es schon, vielleicht ging es ja wirklich gut? Sie war entschlossen... außerdem war sie wirklich nicht ohne, sie konnte sich in der Tat wehren. Das hatte die große Schwester schon oft genug am eigenen Leib erfahren dürfen. „Du hast vermutlich Recht.“, gestand sie so und die Jüngere lachte gut gelaunt. Das hatte sie hören wollen. „Ohne deinen Segen hätte ich unseren Eltern diesen Gefallen nicht tun können.“ Und diesen Segen hatte sie ihr damit gegeben. Da keiner der Angehörigen mehr etwas dagegen hatte, begann man so bald wie möglich in beiden Dörfern die freudige Nachricht zu verbreiten. Darum ging es auch – um das Volk. Es sollte sich freuen, in einer solche friedlichen Zeit zu leben, wo eine solche Eheführung so befürwortet wurde. War natürlich wirklich toll für viele Liebende, hundert Jahre zuvor war man gevierteilt worden, wenn man etwas mit jemandem aus dem Nachbarort gehabt hatte. Den Oberhäuptern ging es, und das wusste Chatgaia sehr wohl, auch wenn es nie jemand auszusprechen wagte, um die Sicherung ihrer Macht. Mit ihrer simplen, aber effektiven Idee gingen sie als Friedensbewahrer in die Geschichte ein. Alle Menschen, egal ob sie erst 5 Jahre alt waren und noch nie einen Krieg miterlebt hatten oder nicht, waren ihnen so für eigentlich nichts und wieder nichts zum ewigen Dank verpflichtet und keiner würde es jemals wagen, die amtierende Dorfoberhaupt-Familie zu stürzen. Für Fehro Magovi war das besonders wichtig, weil nach ihm seine Tochter diesen Platz in Thilia einnehmen würde, als erste Frau überhaupt. Natürlich nicht offiziell, das war gesetzlich nicht möglich, ihr bis dahin sicher Ehemann Harata musste zum Vorzeigen her halten. Aber er war sich sicher, dass Chatgaia keine Hand vor den Mund nehmen würde, wenn es darum ginge, Entscheidungen zu verkünden oder Ähnliches. Und dass darauf nicht alle Dorfbewohner, besonders die vom alten Schlag, ganz so positiv reagieren würden, war bereits abzusehen. Noch nicht einmal übel nehmen konnte der Mann ihnen das. Nicht, dass er frauenfeindlich war, keineswegs, sonst hätte er das ja überhaupt nicht zugelassen, aber seine Tochter hatte sich von Kindesbeinen an nie sonderlich ehrbar verhalten. Mit anderen Worten, sie war ein Flittchen. Und Tagami auch. Er konnte froh sein, dass Herr Timaro in Morika davon nichts wusste und dass dieser dämliche Harata tatsächlich dumm genug war, sich mit Chatgaia einzulassen. Was das betraf, konnte er diesem hohlen Idioten sogar dankbar sein, er hatte seiner Verlobten ganz konsequent verboten, sich je wieder mit anderen Männern einzulassen. Wie genau er das geschafft hatte, war dem Vater ein Rätsel, aber er hatte es gut gemacht. Das war die Hauptsache. Chatgaia selbst waren die Hochzeitsvorbereitungen, die von einem Tag auf den anderen in vollem Gange waren, gruselig. Sie war schon viel länger verlobt als ihre kleine Schwester und trotzdem wurde sie als Erste zur Ehefrau. Wobei, die Verlobung war auch so eine Sache gewesen. Plötzlich hieß es einfach, das Paar sei verlobt, obwohl sie sich seit ihrem ersten Treffen in Morika nie wieder gesehen hatten. War aber auch egal. Chatgaia reichte es, wenn sie diesen Idioten von Alhata auf der Hochzeit wiedertreffen musste. Und die Hochzeit würde auch etwas ungewöhnlich werden. Ein gemeinsames Fest beider Dörfer zusammen, so etwas hatte es noch nie gegeben und nun kam es dank dem sich nicht liebendem Brautpaar, das im Übrigen in der ganzen Hysterie zu Volkshelden mutiert war, zum ersten Mal dazu. Welch Glück, welch Glück... An das Glück glaubte die junge Frau wirklich nicht, so sehr sie sich auch bemühte, am wenigsten am Morgen der Hochzeit, als sie gemeinsam mit ihrer Mutter Tagami herrichtete. „So eine schöne Braut hat es noch nie gegeben!“, freute sich Karadia und die Tochter lächelte stolz. „Das will ich auch meinen, ich rette schließlich die Welt!“ Die Beiden lachten. „Schau doch nicht so bedrückt, Chatgaia, freue dich mit deiner Schwester.“ Sie nickte nur stumm. Sie war besorgt und konnte nicht dagegen tun. Sie wollte ja an die guten Worte glauben, aber sie wusste, dass an den Ahnungen, die die Feuergötter ihr schickten, nicht zu zweifeln war. Spürte es denn sonst niemand? War sie denn die Einzige, die Tagamis Zukunft interessierte? War sie als Dorfoberhaupt vielleicht überhaupt nicht geeignet, weil sie egoistisch handeln und diese Ehe im letzten Moment doch noch unterbinden wollte? Weil das zum Nachteil beider Dörfer und beider Völker gewesen wäre? Und das nur, um ihre eigene Seele zu beruhigen? Wie beschämend! Es klopfte an der Tür. „Chatgaiachen, kannst du mal kurz heraus kommen?“ Harata, ihr eigener Verlobter. Sie hatte überall verbreiten lassen, dass sie ihn nur heiraten wollte, um ihn zu benutzen, um ihrem Ego einen kleinen Kick zu geben, aber in Wahrheit wusste jeder, dass sie ihn aufrichtig liebte. Sie würde ihn zwar trotzdem benutzen, aber sie liebte ihn. Und das war die Hauptsache. Auch wenn sie ihr nicht passte. „Ich hoffe, du hast einen verdammt guten Grund, mich jetzt von meiner Schwester weg zu nehmen!“ Sie trat zu dem jungen Mann hinaus und knallte grantig die Tür zu, ehe sich ihr genervter Gesichtsausdruck entspannte und sie ihr Gegenüber liebevoll auf den Mund küsste. Jenes lächelte in den Kuss hinein. „Immer noch das Selbe.“, kommentierte er, „Ja, ich habe einen verdammte guten Grund... glaub ich zumindest.“ Er fasste sich etwas verunsichert an den Kopf und sie lachte leise und strich ihm zärtlich über die Wange. „Leiser... die da drin müssen ja nicht alles hören.“ Irgendwie ahnte sie, worum es gehen könnte. Oder sie wurde einfach paranoid, weil sie alles auf die Eheschließung Tagamis bezog. Zunächst einmal stellte sie sich ein wenig auf die Zehenspitzen und rieb ihre Wange zärtlich, aber prüfend, gegen die ihres Liebsten, der darauf ungewollt dämlich kicherte. „Test bestanden.“, kam dann und die kleine Frau entfernte sich wieder etwas von ihm, „Du hast dich tatsächlich mal rasiert.“ „Ja, ich bin gut, nicht?“, war die gegackerte Antwort und seine Verlobte verschränkte seufzend die Arme vor der Brust. „Ich würde mich jetzt wirklich liebend gern mit dir in irgendeine Ecke verkriechen und schmusen, aber leider habe ich nicht viel Zeit. Also, schieße los.“ Er nickte. „Meine Götter besorgen mich, ich glaube, es ist nicht gut, wenn Tagami diesen Typen aus Morika heiratet.“ Chatgaia weitete die Augen minimal. Und sie hatte doch Recht. Natürlich, sie hatte immer Recht. Sie hätte auf ihren Instinkt hören müssen! Aber es war schon fast zu spät, was sollte sie jetzt noch tun? „Ich spüre es auch.“, entgegnete sie zunächst gedämpft und zupfte nervös an ihrer aufwendigen Hochsteckfrisur, „Ich habe es die ganze Zeit gespürt, aber ich war nicht energisch genug, meine Überzeugung zu verdeutlichen und durchzubringen. Nun ist es zu spät.“ Er nahm sie ungebeten zärtlich in den Arm und sie seufzte. Sie hasste es, wenn er das irgendwo machte, wo es jemand sehen konnte. Sie waren zwar offiziell verlobt und ein geduldetes Paar, aber keiner sollte ihre zärtliche Seite kennen. Das würde sie als Dorfoberhaupt antiautoritär machen. Nein, das durfte nicht sein, niemand durfte diese Fassette an ihr kennen lernen. Außer ihrem geliebten Harata natürlich. Angesichts des miesen Gefühls, das mehr und mehr Besitz von ihr ergriff und der regen Hetzerei, in der die Meisten im Moment waren, ließ sie es aber zu und schmiegte sich entgegen ihres sonstigen Verhaltens schutzsuchend an ihn. „Soll ich diesen Unwürdigen abschlachten?“, fragte der junge Mann da naiv und die Grünhaarige lachte leise. „Das wäre eine Katastrophe, damit würdest du einen Krieg auslösen. Nein, wir werden die Beiden einfach im Auge behalten, ja? Du musst mir beistehen!“ „Ich werde dir beistehen, meine Königin.“ Und das tat er. Er tat es bei der Zeremonie und der Feier, die im Übrigen in Morika statt fand und danach so oft wie es ihm nur möglich war. In Morika feierte man übrigens ganz simpel dem Paar zu liebe, das schließlich auch seine Hochzeitsnacht hier verbrachte und dann zusammen hier lebte. Während der Zeremonie noch hatte sich Chatgaia gefragt, wie sich ihre Schwester wohl an diesem Tag fühlen musste, hinter ihrer aufgesetzt fröhlichen Fassade. Sie war so stolz und schön und brachte ein solches Opfer für ihre Heimat, das hätte sie dem notgeilen kleinen Mädchen niemals zugetraut. Und doch wurde ihr übel, wenn sie sich nur im Entferntesten vorstellte, mit diesem Alhata ein Bett teilen zu müssen. Natürlich hatte sie schon mit vielen Männern geschlafen, die sie nicht liebte, aber zumindest eine Sympathie für sie hatte sie noch immer empfunden und sie wusste auch nichts davon, dass es bei Tagami je anders gewesen war. Oder mochte die Jüngere diesen arroganten Idioten wirklich? Das war völlig unvorstellbar für die junge Frau, wobei ihre Schwester sie schon so einige Male ziemlich überrascht hatte. Dieses leichte Zittern, das die Braut den ganzen Tag über beibehielt, bestätigten die Vermutung des künftigen Dorfoberhauptes jedoch. Aus welchem Gründen auch immer hatte sie sich dafür entschieden, zu einer ehrbaren Frau zu werden, nach all den Jahren als nutzloses kleines Mädchen. Und da suchte sie sich ausgerechnete den schwersten und aufopferungsreichsten Weg aus. Nein, sie hatte gemusst. Hätte sie diese Ehe abgelehnt, wäre sie ihr Leben lang eine Schande auf zwei Beinen gewesen. Chatgaia erschauderte. Diese Entscheidungsfreiheit war geheuchelt, sie hatte nie welche gehabt und es noch vor ihrer älteren, angeblich klügeren Schwester bemerkt. Musste sie sich jetzt schämen? Sie hatte ihren Fehler zu spät bemerkt. Sie war wirklich ungeeignet als Dorfoberhaupt, wie es schien. -- Tagami traf sie erst eine Woche nach ihrer Hochzeit wieder. Nicht, dass sie vorher weder Zeit noch Lust auf ein Treffen mit ihr gehabt hätte, aber ihre Eltern hatten sie immer wieder davon abgehalten, nach Morika zu gehen. Eines abends hatte sie sogar ein Gespräch belauscht, in dem es darum ging, dass die Beiden befürchteten, sie würde „Alles kaputt.“ machen. 'Ihr macht selbst alles kaputt!', hatte sie sich nur gedacht und es schweigend hingenommen. So hatte sie sich nach 7 Tagen unter dem Vorwand, etwas mit Harata unternehmen zu wollen, weggeschlichen. Unterwegs hatte sie noch befürchtet, gezwungener Maßen auf Alhata zu treffen, doch zu ihrer Freude fand sie ihre Schwester ganz allein im Hause ihres Mannes vor. Nein, das war nicht ganz richtig, Alhatas kleiner Bruder war noch da, aber wie Omola gesagt hatte, den konnte man ignorieren, also tat sie das auch. Mit ihrer Schwester gab es schließlich genug zu besprechen. „Du bist blass.“, war ihre erste Feststellung, als sie sich am Küchentisch niedergelassen hatten. Bis dahin hatte die Jüngere außer einem „Hallo!“ noch kein Wort von sich gegeben. „Ich fühle mich auch blass.“, gab die Jüngere zu, „Hier ist alles so verdammt anders! Besser einerseits... aber fremd...“ Das hatte Chatgaia sich gedacht. Aber das war natürlich und sicherlich nicht ihr Hauptproblem. Als sie sich nach Alhata erkundigen wollte, sprach ihr Gegenüber ungebeten weiter. „Gestern meinte mein Mann so, wir müssten zum Markt einkaufen gehen, ich dachte mir okay, gehen wir zum Markt einkaufen und dann führt er mich so zu einem Gebäude und ich frage 'Und wo ist hier der Markt?' und er ist überrascht und sagt 'Das ist der Markt!' und ich sage 'Aber das kann doch nicht der Markt sein, ein Markt hat Stände und ganz viele Verkäufer!' und er meint, das sei hier nicht so und wir gehen rein und dann ist in diesem Gebäude alles, was man zum überleben braucht! Ich meine alles, Gemüse, Stoffe, Kleidung, Vieh, geschlachtetes Vieh... alles! Und ich bin geschockt und frage meinen Mann, welchem stink-reichen Bauern dieses Haus gehört und er lacht mich aus und erklärt mir, dass das jemandem gehört, der überhaupt gar nichts produziert! Das ist so ein Mann, der kauft alles Mögliche bei den Bauern und Handwerkern ein und sammelt es in diesem Gebäude und dann verkauft er es teurer als zuvor und ich denke mir, 'Das ist doch Betrug!', aber Alhata hat mir gezeigt, wie viel Zeit man spart, wenn man alles zusammen einkaufen kann und Zeit ist schließlich Geld, da spart man also doch etwas und es gibt Mengenrabatt! Und ich denke mir 'Das ist ja doch eine gute Idee!', jetzt bin ich also doch ziemlich begeistert, aber ich meine gewöhne dich mal daran! Es kommt mir suspekt vor, ein solches Leben! Und Geld, überhaupt, Geld, hast du schon mal welches gesehen? Himmel, es ist komplizierter als man denkt, man muss furchtbar viel rechnen, wenn man es nicht passend hat! Und ich weiß ja nicht, wer im Himmel der Geldgott ist, aber mit mir ist er wirklich nicht gnädig, ich habe es wirklich nie passend! Geld ist eine dumme Erfindung, einerseits, andererseits, ohne Geld gäbe es dieses tolle Markthaus ja nicht, aber irgendwie ist es trotzdem doof, oder? Außerdem...“ „Atme!“ Die Jüngere blinzelte. „Was ist?“ Schön. Wer so labern konnte, dem ging es bestimmt nicht sonderlich schlecht, schloss die 17-jährige und lehnte sich seufzend in ihrem Stuhl zurück. Fast hätte sie ihre Sprechanfälle vermisst, fast... „Was ich noch sagen wollte...“, wollte Tagami da weiter machen, stockte aber, als sich ihre Schwester mit einem Mal wieder kerzengerade aufsetzte und sie böse fixierte. „Interessiert mich vermutlich nicht die Bohne, ich bin nicht zum tratschen extra bis hier her gekommen, sondern aus Sorge! Sag, wie kommst du mit deinem Mann aus?“ Sie zögerte mit der Antwort und starrte ihr Gegenüber zunächst einmal seltsam an, worauf dieses prüfend die Brauen senkte. „Stimmt etwas nicht?“ Sie wäre bereit gewesen, auf der Stelle aufzuspringen und diesen Bastard bei lebendigem Leibe zu häuten, wenn es denn sein musste, die frisch gebackene Ehefrau begann zu ihrer Verwirrung jedoch darauf bloß leicht zu lächeln. „Chatgaia.“, machte sie dann, „Mir geht es gut, es ist alles in Ordnung. Wenn etwas nicht stimmen würde, würde ich mich schon bei euch melden, ja? Alhata ist mir ein guter Mann.“ Ihr Lächeln wurde zu einem Grinsen. „Auch des Nachts.“ Nein, so genau hatte sie das nicht wissen wollen. Aus ihrer Antisympathie heraus fand sie den jungen Mann nämlich mehr als nur abartig und wenn sie sich vorstellte.... nein. „Tu mir den Gefallen und geh jetzt nicht ins Detail, ja?“ Sie unterhielten sich den ganzen Nachmittag weiter. Zwischendurch kam Omola Timaro nach Hause, die genau so schlimm aussah wie bei ihrem ersten Treffen und dem Tag der Hochzeit, sich ihrem Gast gegenüber zwar distanziert, aber sehr höflich verhielt und die beiden Schwestern so gut es ging unter sich ließ. Nicht, dass sie etwas interessantes verpasst hätte, Tagami erzählte die ganze Zeit nur von den Merkwürdigkeiten ihrer neuen Heimat und wenn sie über ihren Mann sprach, dann nur Gutes. Also uninteressant für die ältere Schwester. Sie blieb aus Nettigkeit aber trotzdem bis kurz vor Sonnenuntergang, in der Dunkelheit wollte sie nicht nach Hause, auch wenn Tagami ihr das Gästezimmer angeboten hatte. Auf dem Rückweg kam ihr sehr zu ihrem Leidwesen Alhata entgegen. Er grinste seltsam, als er sie sah. „Ich hätte früher mit dir gerechnet.“, war sein Kommentar und sie schnaubte. „Ging nicht. Du scheinst ja noch einmal Glück gehabt zu haben, ich hatte mir schon ein paar unschöne Dinge für dich überlegt.“ Bei diesem Idioten konnte sie das ruhig zugeben. Sie konnte keines seiner Worte beweisen, umgekehrt genau so wenig. „Hört, hört!“, lachte er auch nur, „Da kann ich mich ja glücklich schätzen. Sie hat sich bisher auch ganz nett angestellt, falls es dich interessiert. Aber ihr Himmelsblüter seid ja eh perfekt, wie konnte ich vergessen...“ Es wäre spannend gewesen, zu wissen, was dieser Junge für Probleme mit ihrer Rasse hatte. Auf so jemanden war Chatgaia noch nie getroffen. „Spare dir die Energie deines Spottes und mache damit lieber meine Schwester glücklich, ich will, dass sie strahlt!“ Er hob eine Braue, dann kicherte er blöd. „Tut sie jeden Abend.“ Da die junge Frau kein wirkliches Interesse an einem Gespräch dieser Art hatte, ließ sie ihren Schwager wenig später nach einer knappen Verabschiedung einfach stehen. Sollte der doch schauen, wo er blieb. In den nächsten Wochen und Monaten statteten sich die Schwestern immer wieder Besuche ab und nie gab es für die Ältere etwas nennenswertes zu beanstanden, was sie fast schon ein wenig ärgerte. Interessant wurde es erst nach etwa einem halben Jahr, als Tagami zu ihr kam und klagte, sie fühle sich schon wochenlang schlecht und ausgelaugt. Chatgaia hatte von ihrer Mutter das Heilen gelernt und weil ihrer jüngeren Schwester die Medizinmänner Morikas suspekt waren, wendete sie sich an sie. So richtig eingelebt hatte sie sich schließlich noch immer nicht. Die Diagnose der darauf ernüchterten noch immer 17-jährigen war ziemlich eindeutig und versetzte die Dörfer abermals in rege Freude, so dass man sobald es verkündet wurde wieder ein großes Fest plante. Wie zu erahnen, Tagami war schwanger. Und glücklich. Alhata war nicht glücklich, aber zufrieden, so kam jeder zu Seinem. „Er hat sich nie wirklich ein Baby gewünscht.“, erklärte seine Frau irgendwann während der Feier am Tisch bei ihrer Familie, „Er hat es bloß aus Pflichtbewusstsein gezeugt, aber er hat mir versprochen, sich als Vater anzustrengen.“ Darauf hatte dieser Bastard auch noch von allen Beifall erhalten, weil er für sein Volk ja so etwas auf sich nahm. Nach Tagami fragte niemand, aber die freute sich ja auch auf ihr Kind. „Ich hoffe bloß, dass es ein Junge wird.“, war der einzige Bedenken, den sie in der gesamten Schwangerschaft geäußert hatte, „Dann muss ich nicht nochmal schwanger werden. Nicht, dass ich mir nicht noch mehr Kinder wünschen würde, aber Alhata mag ja Babies nicht so gern...“ -- Je mehr Zeit verging, desto mehr Ehrfurcht hatte Chatgaia vor ihrer kleinen Schwester und sie fragte sich, ob sie sich ihr Leben lang in diesem Mädchen geirrt hatte. Sie war zu der Vorzeigefrau Thilias geworden, und das, indem sie ihre Heimat verlassen hatte, um mit einem fremden Mann eine Familie zu gründen. Dabei fragte sich die ältere Schwester, wie es wohl für das Kind oder möglicherweise die noch ungeplanten Kinder sein würde, wenn die Eltern sich nicht liebten. Oder liebten sie sich inzwischen? Tagami war ihre Schwester, als sie sich nach ein paar Monaten in Morika zum Tee trafen, fragte sie sie einfach danach. „Ob wir uns lieben?“ Die werdende Mutter war überrascht, so etwas gefragt zu werden. Dann senkte sie lächelnd ihr Haupt und streichelte ihren runden Bauch. „Sagen wir, auf unsere Art. Ich habe ihn sehr lieb gewonnen, ich kann nur hoffen, er mich auch... uns auch. Aber...“ Sie schaute grinsend auf. „Immer reden wir von mir, was ist mit dir, große Schwester? Mir ist da so ein nettes kleines Gerücht zu Ohren gekommen, du wolltest demnächst auch zur Ehefrau werden, ja?“ Und sowas kam bis nach Morika? Die Magierin blinzelte empört und konnte nicht verhindern, leicht rosa im Gesicht zu werden. Sie hasste dieses Thema... „Ja, sobald dein Kind auf der Welt ist, damit du mitfeiern kannst. Im kleinen Kreise, versteht sich...“ „Natürlich...“, war die lachende Antwort, „Und dann bekommst du auch ein Baby, damit es mit meinem spielen kann!“ Sie nickte. Ja... sie kam sich in letzter Zeit seltsam und befremdlich vor, denn je runder Tagamis Bauch wurde, umso stärker wurde auch in ihr der Wunsch, ein Kind zu empfangen. Seit dem Tod ihres Bruders vor nun mehr als sieben Jahren hatte sie kein besonderes Interesse mehr an Familie gehabt, aber jetzt wurde die Sehnsucht nach einer eigenen mit jedem Tag dringender. Sie fragte sich, ob sie sich einmal mit Harata darüber unterhalten sollte... „Dein Idiot würde sich sicher freuen, wenn er ein Kind zu verziehen hätte!“, unterbrach ihre Schwester ihre Gedanken passend und grinste doof, „Ich wette, er wird es verziehen, er ist so inkonsequent!“ Chatgaia senkte die Brauen. Inkonsequent? „Willst du damit etwa sagen, Harata sei als Vater weniger geeignet als Alhata?“ „So nicht direkt...“, auch Tagamis Grinsen verschwand, „Aber dir wird wohl klar sein, dass aus meinen Kindern mehr wird als aus deinen, oder?“ Und mit diesem Satz kehrten alle Befürchtungen, die die große Schwester in den vergangenen Monaten zu verdrängen versucht hatte, zurück. Dieser Mann war schlecht für die Kleine! „Überlege dir mal, was du da sagst!“, schnappte sie so gefasst wie möglich, „Weshalb soll aus meinen Kindern denn bitte weniger werden als aus deinen?! Wie kommst du darauf?“ Sie wusste genau, wie sie darauf kam, sie wusste es haargenau. Aber sie wollte ihr die Chance lassen, selbst etwas dazu zu sagen. Bei jeder Anderen wäre sie bei diesen Worten aufgestanden und gegangen, das war unverschämt! Und noch schlimmer, die junge Frau schien überhaupt keine Einsicht zu erlangen, wie sie da saß und sich eingebildet ein paar grüne Strähnen zurückstrich. „Nun ja.“, setzte sie an und nahm noch einen Schluck Tee, „Harata wird sicher gut für dich und eure Kinder sorgen. Er wird den Kleinen Spielzeug bauen und Süßigkeiten schenken, er wird dir den Abwasch machen und dir morgens das Frühstück an dein Bett bringen. Das alles wird Alhata nicht tun. Dafür lehrt er unser Kind, oder Kinder, Disziplin und gutes Benehmen und was es heißt, der Sohn oder die Tochter eines ehrenwürdigen Dorfoberhauptes zu sein. Dazu ist Harata nicht in der Lage, dabei ist es doch viel wichtiger als dieser... Stuss.“ Schweigen. Chatgaia senkte ihr Haupt tief, Tagami hielt ihres erhoben. Sie hatte endlich die Einsicht erlangt, das war ihr in Thilia nie möglich gewesen. Sie war reif und würdevoll geworden und wusste jetzt, worauf es ankam. Dachte sie. „Diesen Stuss nennt man mit Fachbegriff Liebe, Tagami. Vielleicht sagt es dir etwas, du hast es einmal gekannt.“ Die Jüngere hielt im Tee schlürfen inne und blinzelte, als ihr Gegenüber wieder aufsah. „Hältst du mich jetzt für dumm oder was?“ Sie schüttelte den Kopf leicht. „Ich muss dich nicht mehr für dumm halten, du verblödest fast selbstständig. Mit zärtlicher Beihilfe deines gestörten Mannes, herzliche Grüße an ihn. Falls du irgendwann auf die Idee kommen solltest, wieder selbstständig zu denken, dann kannst du dich gern bei mir melden. Ansonsten sehen wir uns wieder in zwei Monaten, wenn du dein diszipliniertes Kind bekommst.“ Sie erhob sich und ging. -- Tagami meldete sich nicht mehr, bis zum Tag ihrer Niederkunft sahen sich die beiden Schwestern nicht. Chatgaia hatte sogar fast nicht zu ihr gehen wollen, weil sie so enttäuscht von ihr gewesen war, aber ihre Mutter hatte darauf bestanden. Und das war dann auch die Gelegenheit, bei der sich die Jüngere zu einer Entschuldigung entschloss. Und das schlauer Weise unter Umständen, bei denen selbst ihre in ihren Augen kaltherzige Schwester sie annehmen musste... „Es tut mir Leid, was ich vor hundert Jahren über Harata gesagt habe, verzeih mir!“ „Halt den Mund und presse mal lieber!“ Die Jüngere tat wie ihr geheißen und schrie erstickt. Geburten waren niemals einfach, besonders nicht, wenn es sich dabei um eine noch so junge Himmelsblüterin handelte. Mit ihren 16 Jahren hinkte sie menschlichen Altersgenossinnen noch immer etwas hinterher, was die Sache auch nicht so ganz ungefährlich machte. Aber Tagami war stark, sie machte es gut. Zur Sicherheit war auch Karadia mit im Raum. Nicht, dass sie Chatgaia nicht zutraute, eine Geburt zu betreuen, sie hatte es schon mehrmals getan... aber es ging ja diesmal doch um ihre zweit-geborene Tochter, die war ihr wichtiger als irgendwelche Frauen aus dem Dorf. Das war unehrenhaft, aber so war sie als Mutter nun mal... „Dauert es noch lange?!“ Jede Stunde fragte Tagami das einmal, schien aber zur positiven Überraschung der Älteren kaum zu ermüden. Sie hatte schon immer unglaubliche Energiereserven gehabt... Ungeduldig wurde sie mit der Zeit verständlicherweise dennoch, so waren alle Beteiligten dann auch um so erleichterter, als es wirklich irgendwann bald soweit war. Harata führte währenddessen ein paar Räume weiter ein seltsames Gespräch mit Alhata. Da es in Morika ausgerechnet an diesem Tag irgendeine mega wichtige Versammlung gab, waren Divo und Omola Timaro nicht im Haus und Fehro Magovi musste in Thilia bleiben, weil er nun einmal das Dorfoberhaupt war. Bei ihnen war bloß noch Alhatas unwichtiger kleiner Bruder, der gelangweilt Fenster putzte. „Aufgeregt?“, wollte Chatgaias Verlobter von dem werdenden Vater wissen und der schaute seinen ungebetenen Gast genervt an. Ja, Karadia hatte tatsächlich gedacht, ihr Schwiegersohn bräuchte seelischen Beistand. Dass es nicht so war, wurmte Harata gerade etwas. Da kam er sich ja blöd vor... „Sollte ich aufgeregt sein?“, fragte Alhata nur zurück und kratzte sich am Kopf, „Ich bin genervt. Können die sich nicht beeilen?“ Beeilen, na der war gut. Der Blauhaarige war empört. „Na hallo? Das ist eine sehr anstrengende und schmerzhafte Sache für so eine Frau, ja? Da kannst du nicht verlangen, dass sie sich beeilen!“ „Ich hab aber noch anderes zu tun, als auf dieses dumme Kind zu warten, klar?“, der Jüngere erhob sich, „Ich werde schon sehr bald das Dorfoberhaupt Morikas sein und bloß wegen diesem dummen Mistkindes verpasse ich die wichtigste Versammlung des Jahres!“ Er ließ seinen Gast allein sitzen und schritt in Richtung des Zimmers, in dem gerade eben in diesem Moment sein Kind geboren wurde. „Noch einmal, Tagamichen, gleich hast du es!“ Sie tat brav, wie verlangt und presste noch einmal mit aller Kraft (und gleichzeitig brach sie ihrer Mutter fast die Hand) und mit einem erstickten Schrei und der Hilfe ihrer Schwester brachte sie ein kleines Mädchen zur Welt. Unmittelbar nachdem es seinen ersten Atemzug genommen hatte, begann es zu glucksen und anschließend im herzallerliebsten Ton der Welt zu schreien. Seine Tante trennte es unverzüglich von seiner Mutter und widmete sich dem angenehmeren Part ihrer Arbeit, den ersten Untersuchungen des Babies, während Karadia nun die frisch gebackene Mutter übernahm. „Es schreit!“, war derer erster freudiger, nun aber doch ziemlich erschöpfter Kommentar, noch ehe sie ihre Tochter gesehen hatte und die neue Oma lachte ebenfalls fröhlich. In dem Moment purer Freude und Erleichterung betrat Alhata den Raum. „Glückwunsch zur gesunden Tochter.“, wurde er von seiner Schwägerin ausnahmsweise einmal grinsend begrüßt und er blinzelte einmal durch das dämmrige Zimmer. An der rechten Wandseite lag seine Frau hundemüde, aber strahlend, neben ihr sammelte Karadia ein paar blutige Tücher zusammen und links an einer Kommode stand Chatgaia, die das jammernde Neugeborene provisorisch in ein (noch sauberes) Tuch wickelte. „Ich hab unser Mädchen auch noch nicht gesehen, Häschen gibt sie mir ja nicht!“, quiekte die stolze Mama da und setzte sich trotz Schmerzen etwas auf, um ihren Mann besser ansehen zu können, „Komm, wir gucken sie gleich zusammen!“ Der frisch gebackene Vater hob eine Braue. „Ein Mädchen?“, machte er und schaute wieder zu Chatgaia, die das noch immer plärrende Kind gerade zu seiner Mutter bringen wollte, „Ich sehe es doch, dazu muss ich nicht zu dir kommen, Weib. Schönes Kind, hast du gut gemacht.“ Er drehte sich um. „Du weißt, heute läuft eine sehr wichtige Besprechung, du verstehst schon, dass ich hier keine Zeit mehr verschwenden kann, wenn ich doch weiß, dass alles in Ordnung ist? Wir sehen uns heute Abend.“ Und damit war er weg. Und die Frauen hielten in der Bewegung inne. Sogar das kleine Mädchen wurde still. „Er ist weg gegangen...“, bemerkte Karadia als Erste perplex, dabei fiel ihr noch nicht einmal auf dass sie die Hälfte der schmutzigen Tücher aus der Hand verlor. Ihre ältere Tochter mit ihrer kleinen Nichte auf dem Arm war da natürlich schon vorsichtiger. „Der hat sich noch nicht einmal die Kleine angesehen...“, stellte auch sie fest und schaute automatisch auf das Kind in ihren Armen. Es hatte einen zarten Flaum von hell-grünem Haar auf dem bildhübschen Köpfchen und schaute die Tante aus unschuldigen blauen Augen an. Tagami hatte ein wunderschönes Kind geboren. „Gibst du mir sie endlich?“, fragte diese da auch und streckte die Arme nach dem Säugling aus. Sie wollte sich jetzt nicht um ihren Mann kümmern, dazu war sie zu glücklich. Wer nicht wollte, der hatte schon, ganz einfach. So freute sie sich allein unter den verwirrten und wütenden Augen ihrer Mutter und ihrer Schwester über ihr erstes Kind. -- Das kleine Mädchen hieß Rahlina. Rahlina hatte das Himmelsblut ihrer Mutter geerbt, entwickelte sich dennoch außerordentlich schnell und gut und war Tagamis ganzer Stolz. Nein, nicht nur Tagamis, auch Alhatas. Denn auch die Nachricht von der Geburt des Kindes war wieder ein Grund zum Feiern gewesen. Und wenn sich das Volk über das Baby des (späteren) Dorfoberhauptes dermaßen freute, konnte das nur ein gutes Zeichen sein. Ja, Rahlina stand in der Gunst ihres Vater, der sie ab und an sogar auf den Arm nahm, ganz von allein, was Chatgaia kaum glauben konnte und ihre kleine Schwester unsagbar glücklich machte. Auch wenn es seltsam war, sie war in diesen Mann verliebt. Und das, obwohl selbst ihre Mutter ihr nach der Geburt derer Enkelin ihr angeboten hatte, diese unheilvolle Ehe wieder auflösen zu lassen und auch ihr Vater dazu bereit gewesen wäre, sie wollte bei ihm bleiben. Aber sie war so wie so schon von Kindesbeinen an schnell verknallt gewesen... So blieb ihrer Familie in Thilia nichts anderes übrig, als sich ihrem Willen zu beugen und Chatgaia erfreute sich dabei schon fast an den Zweifeln ihrer Eltern. Aber bringen tat das niemandem etwas, sie war ja schon etwas berechnend... Aber so lange der Frieden bewahrt wurde und Tagami mit ihrem dummen Mann klar kam, war alles in Ordnung, so redete man es sich ein und lebte einfach weiter. Irgendwann kam dann jedoch der Tag, an dem Divo Timaro in Pension ging. Sehr früh, er war nicht einmal 50 Jahre alt, aber Alhata drängte darauf. „Er ist der Meinung, sein Vater würde das Dorf kaputt regieren.“, erklärte seine Schwiegertochter ihrer Schwester, während sie ihre mittlerweile 18 Monate alten Tochter auf dem Schoß wiegte. Die Ältere hob verwirrt eine Braue und nahm einen Schluck Tee. Ja, zum Tee trinken trafen sich die Beiden noch immer oft. „Kaputt regieren? Morika blüht doch!“ „Dachte ich auch!“, empörte sich die junge Mutter und knuddelte dabei demonstrativ ihr Töchterchen, „Aber er meint nur, ich verstünde nichts davon! Und das, wo ich selbst das Kind eines Dorfoberhauptes bin, hah! Dein Papi hat wiedereinmal keine Ahnung, hab ich Recht, Prinzessin?“ Das kleine Mädchen schüttelte demonstrativ den Kopf und kicherte dann. „Willst du deine Mami verkohlen?“ Sie gackerte weiter. „Nein!“ Während sich Tagami mit ihrem Kind amüsiert, streichelte Chatgaia ihrerseits bloß gedankenverloren ihren eigenen gerundeten Bauch. Ja, auch sie hatte es endlich geschafft, schwanger zu werden. Verheiratet war sie nun schon seit längerem, aber bisher hatte es noch nicht mit dem Kinder kriegen klappen wollen. Aber nun. Doch das war gerade nebensächlich. Sie wollte es nicht aussprechen, wo ihre Schwester mittlerweile tatsächlich ziemlich an ihrem Mann hing, aber sie wagte es, zu bezweifeln, dass sich Alhata besser um das Dorf sorgen konnte als sein Vater. Divo Timaro war zwar ein absolut blöder Idiot, aber Morika war es all die Jahre unter ihm gut ergangen. Es interessierte sie sehr, ob hinter dem Vorwand, er würde den Ort kaputt machen, wirklich etwas Wahres steckte oder ob ihr Schwager letzten Endes einfach nur machthungrig war. Dabei wusste sie noch nicht einmal, ob sie auf ersteres oder letzteres hoffen sollte... Letzten Endes war es aber auch egal, es veränderte sich nichts, weder für das eine, noch für das andere Dorf. Seltsam war bloß, dass Divo und Omola Timaro wenige Wochen nach der Machtübernahme ihres Sohnes von der Bildfläche verschwunden waren und niemals wieder auftauchten. Niemand wollte das Paar gesehen haben und niemand suchte nach ihnen. In Thilias Verantwortung stand das so wie so nicht, doch dass Alhata sich nicht darum kümmerte, war doch höchst verwunderlich. Oder verdächtig, wie eigentlich jeder dachte. Tagami äußerte sich nicht dazu. Und Chatgaia forschte auch nicht nach. Vielleicht hätte sie das tun sollen, dann hätte sie ihrem Schwager möglicherweise eins auswischen können. Doch selbst im Leben der kühlsten Frau gab es Zeiten, in denen sie sich etwas anderem widmen musste. In ihrem Fall war es die restliche Schwangerschaft und schließlich auch die Geburt ihres ersten Kindes. Und sie freute sich allein schon diebisch darüber, ihrem geliebten Mann Harata direkt einen Sohn geschenkt zu haben und dass Alhata noch immer nur Rahlina hatte. Nicht, dass Rahlina nicht gereicht hätte, sie war ein hübsches und schlaues kleines Mädchen, aber es ging ihr darum, dass sich dieser Idiot zwanghaft einen Sohn wünschte und Tagami bis dato nicht wieder schwanger geworden war, obwohl sie es krampfhaft zu werden versuchte. Ihrer Meinung nach wussten die Beiden ihre bezaubernde Tochter nicht richtig zu würdigen, aber das konnte sie ihnen wohl schlecht austreiben. Und wollen tat sie das mit ihrem kleinen Taranii, so hieß ihr Junge, im Moment eh nicht, sie hatte Auszeit. Diese Auszeit dauerte weit über ein Jahr. Später bereute sie es, sich so lange nicht um ihre Schwester geschert zu haben, aber was sollte sie ihr immer hinterher rennen? Bloß weil sie ihrem Mann gefallen wollte und sich von Thilia fern hielt, sah die ältere Schwester es noch lange nicht ein, ihrer Sehnsucht nachzugeben und nach Morika zu laufen. Erst recht nicht, wo man als junge Mutter selbst allerhand zu tun hatte. Und ihr kleiner Sohn lies sie mit der Zeit auch die Sorgen über die Ehe ihrer kleinen Schwester fast gänzlich vergessen. Erst als Tagami nach fast zwei Jahren vor der Tür stand, kehrten ihre Gedanken daran zurück. Ihre Eltern waren an jenem Tage nicht zu Hause, sie gönnten sich sehr viel Freizeit, seit ihre ältere Tochter immer mehr Aufgaben zur Verwaltung des Dorfes übernahm. Harata spielte mit dem kleinen Taranii im Garten, weil er ausnahmsweise auch nichts zu tun hatte und so empfing sie die jüngere Schwester allein in der Küche. Dabei schaute sie natürlich nicht schlecht, als sie so plötzlich einfach da war. Sie hatte sich verändert, sie war ungesund blass und wirkte schwächlich. An ihrer rechten Hand hielt sie die mittlerweile vier Jahre alte Rahlina, die ihre Mama ebenso beunruhigt ansah wie ihre Tante, als die die Tür öffnete, die Linke lag auf ihrem kugelrunden Babybauch. „Tagami...“, war Chatgaias perplexe Begrüßung, „Was verschafft mir die zweifelhafte Ehre?“ Die Jüngere ließ von ihrem Bauch ab und fuhr sich nervös durch ihr Gesicht. „Ich würde dir gerne vieles erklären und mich entschuldigen und was auch immer, Chatgaia, aber ich brauche jetzt deine Hilfe!“, sie sah wieder auf und hatte nasse Augen, „Ich misstraue den Medizinmännern in Morika, die sind nicht sauber! Ich... ich bekomme gleich mein Baby und... ich hab Angst!“ Sie begann überraschend zu weinen und ihre kleine Tochter starrte sie geschockt an. „Ich hab mir ja gedacht, dass das nicht mehr lange dauert...“, bemerkte die Ältere beiläufig, während sie die beiden einließ und dann direkt zur Hintertür deutete, „Rahlina, das ist dir jetzt sicher gruselig, aber geh da raus, ja? Da ist dein Onkel und dein Cousin, mit denen kannst du spielen!“ Das Mädchen nickte artig und verschwand sofort. Als sich ihre Tante wieder zu ihrer Schwester umdrehte, musste sie mit ansehen, wie sie den Boden mit Fruchtwasser besudelte. „Ich habe heute morgen erst geputzt, du Sau.“, war ihr nicht ganz ernst gemeinter Kommentar darauf, Tagami schaute sie bloß verzweifelt an. Ohne auf Anweisungen zu warten, stolperte sie darauf zum Sofa und entledigte sich ihrer störenden Unterhose, ihren Rock behielt sie an. „Äh... du schaffst es nicht mehr bis ins Schlafzimmer?“ Vermutlich war der weite Weg während ihrer Wehen keine ganz so gute Idee gewesen, sie war ja schon todmüde. Aber lange durchhalten würde sie dieses Mal nicht mehr müssen, wie es schien... „Nein, mach schnell was, das kommt doch schon!“ Sie tat wie geheißen und musste fest stellen, dass ihre Schwester tatsächlich Recht hatte. „Na gut, dann bekommen wir halt ein neues Sofa...“ Währenddessen hörten sich Harata und Taranii verwirrt von Rahlina an, wie ihre Mami plötzlich ganz doll schlimme Schmerzen bekommen hatte und sie plötzlich hier her gerannt waren. „Dann ist deine Mama extra hier her gekommen, um dein Geschwisterchen zu bekommen, ja?“, erkundigte sich der Mann und das kleine Mädchen nickte verunsichert. „Muss sie jetzt sterben?“, wollte sie wissen und ihr kleiner Cousin starrte seinen Vater gespannt an. „Nicht doch, Frauen sterben doch nicht beim Baby-bekommen!“ Dass so etwas doch manchmal vorkam, musste er vor den kleinen Kindern ja nicht erwähnen, sonst wären sie ja noch beunruhigter gewesen als ohnehin schon, die Armen. Er sah die kleine Rahlina überrascht Richtung Gartenzaun blinzeln, dann quiekte sie. „Papi!“ Als Harata und sein Sohn ihrem Blick folgten, erblickten sie dort tatsächlich den verwirrten Alhata. „Noch nicht einmal warten konntet ihr!“, begann er da auch schon zu schimpfen, „Warum ist deine Mutter weggerannt, unsere Mediziner sind mindestens genau so gut wie Chatgaia!“ „Das sei mal dahingestellt.“, machte der blauhaarige Mann ebenfalls perplex, „Aber erst einmal willkommen. Deine Frau bekommt gerade ein Baby, wie ich höre?“ Der Andere erbleichte. „Das kann ich nicht verstehen, wie blöd bin ich denn?! Sie hat ihren siebten Monat doch gerade erst begonnen!“ „Ungünstig.“, war das einzige, was Harata darauf einfiel, als er dem Schwager seiner Frau das Gatter öffnete und ihn zum ersten Mal nervös erlebte. „Sie war aber schon ziemlich rund, denkst du, das macht etwas?“ Der kleine Taranii klammerte sich unter der plötzlichen Anspannung überfordert an seine Cousine, die das gar nicht registrierte. Der ältere Mann hob beide Brauen. „Hör mal, ich habe keine Ahnung von Medizin...“ Und obwohl er natürlich besorgt war, freute es ihn innerlich doch ein wenig, Alhata so nervös zu sehen. Bei Rahlina war es ihm so egal gewesen und nun war er so blass, dass man jeden Moment damit rechnen konnte, dass er rückwärts umfiel. Er erfreute sich am Leiden eines andere, wurde er am Ende etwa noch zu einem Sadisten? Chatgaia hatte gerade andere Probleme, während sie einen kleinen Jungen ins Licht der Welt zerrte und ihn sich perplex betrachtete. Ärmchen, Beinchen, alles dran, der Kleine begann unverzüglich zu schreien. Und trotzdem... „Dafür, dass deine Mama so rund war, bist du aber sehr klein...“ „Da stimmt etwas nicht!“, keuchte Tagami da und verzerrte vor Schmerz das Gesicht, „Schau bitte nach, da ist doch...“ Die Ältere hätte vor Schreck fast den Säugling fallen gelassen, als sie nochmal nachsah. „Himmel, da ist noch einer!“, stellte sie geschockt fest und guckte dann blöd auf den plärrenden Jungen in ihrem Arm... „Wohin mach ich den denn jetzt?!“, fragte sie sich verzweifelt selbst, sprang aber auch schon auf, wickelte ihn notdürftig in ein Handtuch und rannte mit ihm nach draußen, um ihn Harata, der als erst Bester da stand, in die Hand zu drücken. „Da ist noch eins!“, erklärte sie kurz angebunden und rannte wieder zurück, um bloß wenige Minuten später einem weiteres kleinen Jungen ins Leben zu helfen. -- Tagami war halbtot. So kam sie sich zumindest vor, als ihr Mann sie, frisch gewaschen und umgezogen, in das Bett ihrer Schwester legte. Der Schock über die plötzliche und unerwartete Zwillingsgeburt saß allen tief in den Gliedern, aber zunächst einmal musste man sich um die kleinen Babies kümmern, die mittlerweile frisch gewaschen und in Strampelanzüge von Taranii gepackt auf einer Decke auf dem Küchentisch lagen und von Chatgaia nachdenklich gemustert wurden. Die Strampler waren ihnen viel zu groß, die beiden würden wohl zunächst Sonderanfertigungen brauchen. „Und?“, wollte Alhata besorgt wissen, während er seiner Schwägerin über die Schulter lugte und diese seufzte. „Die Beiden sind echt winzig, aber ich kann keine Beeinträchtigung feststellen, sie scheinen völlig in Ordnung zu sein...“ „Sehen sie gleich aus?“, erkundigte sich Harata im Hintergrund irgendwo doof und seine Frau verdrehte die Augen. „Sie haben verschiedene Augenfarben!“ „Schade...“ Augenfarben waren dem frischen Dreifach-Vater herzlich egal, als er den etwas größeren Jungen auf den Arm nahm. Nur ganz vorsichtig, die Beiden waren so klein und zerbrechlich... „Du bist der Ältere, hm?“, fragte er den Jungen lächelnd. Er antwortete natürlich nicht, aber seine Tante nickte. „Du wirst mal Morikas Dorfoberhaupt, freust du dich?“ Chatgaia und Harata warfen sich verwunderte Blicke über die Zärtlichkeit, mit der der Mann seinen kleinen Sohn behandelte, zu, entschlossen aber stumm, darauf nicht herum zu reiten. Das war definitiv der falsche Augenblick. Die Frau entschloss sich, das Thema zu wechseln. „Habt ihr denn überhaupt Namen für zwei Jungen?“ Er sah blinzelnd auf. „Oh.. ja, haben wir. Also theoretisch, wie haben uns nicht einigen können, aber da wir jetzt eh zwei Namen brauchen.. .“ „Und wie heißen die jetzt?“, fragte die kleine Rahlina weiter, die neben dem Tisch stand und dem anderen kleinen Bruder zärtlich über seinen winzigen Bauch streichelte. Sie war jetzt große Schwester und sehr stolz... „Also der da...“, Alhata deutete mit dem Kopf auf den Kleinen auf dem Tisch, „Der kann den komischen Namen haben, den deine Mutter so toll fand.“ „Mayora!“ Das kleine Mädchen strahlte und Chatgaia wunderte sich einmal mehr über den guten Geschmack ihrer kleinen Schwester. Jedenfalls würde der Andere sicher einen diskriminierenden Namen bekommen, wenn er von diesem Deppen stammte. „Dann ist das da...“, riet Rahlina, die die Unterhaltungen ihrer Eltern wohl mitbekommen hatte, und zeigte dabei auf den kleinen Bruder, der ihr Vater hielt, „Das ist Imera!“ „WAS?!“ Chatgaia zuckte geschockt zusammen, als Choraly sie plötzlich während dem Erzählen an den Schultern rüttelte. Moment- was erlaubte sich die Göre, sie zu rütteln, war die noch ganz dicht?! „Hast du ein Problem, irgendeinen Anfall oder so?!“ Das Mädchen starrte sie aus großen Augen an, ließ sie dann los und setzte sich wieder ordentlich hin. Dann quiekte es. „Warum hat mir keiner gesagt, dass die Brüder sind?! Warum sind die Brüder, warum machen die sowas?!“ Die Ältere zögerte einen Moment, dann musste sie grinsen. „Erzähl mir nicht, das hättest du nicht gewusst, die beiden haben fast die selben Gesichter...“ Ja, wenn man es wusste, klar. Was sollte das? Warum waren alle einfach davon ausgegangen, dass sie das wusste, das war unverschämt! Das Mädchen rieb sich schnaubend die Schläfen, während Chatgaia neben ihr vor sich hin kicherte. -------- Überraschung! XD Langes Kappi ^^' Hoffentlich hat das mit dem ganzen Kursiven geklappt .__.' Ist hier ja wichtig... XD Das nächste wird noch länger... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)