Jumays Kinder von -Izumi- (Part 5: Kinder des Wassers - Verloren im Sand) ================================================================================ Kapitel 37: Entscheidung ------------------------ „Was war das?“ Choraly sah ihren Freund aus nassen Augen an. Dieser starrte selbst in die Richtung, aus der die unheilvollen Geräusche gekommen waren und zog scharf die Luft ein. „Du warst doch sicher schon bei Maigi, was hat er gesagt?“ Sie sollten in drei Tagen zur Abenddämmerung von Süd-Osten kommen... sie kamen schon heute in der Morgendämmerung von Nord-Westen... er hatte sich anlügen lassen. -- Die Station war beunruhigend leer, als Maigi sie betrat, zielsicher auf den Funkraum zusteuernd. Er hatte ein ungutes Gefühl im Nacken und beeilte sich, um die ganze Sache schnell über die Bühne zu bringen. Irgendetwas gefiel ihm hier überhaupt nicht... Schneller, Maigi! Er blinzelte. Sein Kopf schmerzte kurz bei der ungewöhnlichen Stimme, er schenkte ihr jedoch keine weitere Beachtung, sondern bemühte sich einfach, ihrem Befehl nachzukommen. Recht hatte sie schließlich, besser zu früh, als zu spät... Dabei hatte er an den Funkraum überhaupt keine guten Erinnerung, als er das letzte Mal versucht hatte, nach Wakawariwa zu funken, war Jiro Raatati gestorben. Jiro... das war jetzt schon ziemlich lange her. Der junge Mann versuchte den Gedanken an den längst Toten zu verdrängen und rannte schneller. Er musste sich jetzt konzentrieren, irgendetwas lief hier schief, das sagten ihm die Stimmen in seinem Kopf und er ahnte auch bereits, was es war. Als er den gesuchten Raum betrat, war er zu seinem Leidwesen und trotz der offensichtlichen Unterbesetzung der Station bewacht. Zuerst zögerte er, als sich der unschuldige Idiot zu ihm drehte und nichts ahnend ein Wurstbrot aß, dann erinnerten ihn seine Götter wieder an die Eile, in der er sich doch befand. Verzeiht mir mein Handeln... „Fräulein Tebettra, guten Mor...“ Weiter kam der Mann nicht. Maigi war etwas entsetzt darüber, dass er ohne schlechtes Gewissen den Kerl erschlagen, ihm einfach seine schwere Teganby über den Schädel gezogen hatte, obwohl er ihm nie etwas getan hatte. Ja... vielleicht hatte Choraly irgendwo Recht, Himmelsblüter waren wirklich tief im Inneren grausame Monster... na ja, es musste ihm im Moment gleich sein, Zeit sich darum zu sorgen, hatte er später... Er trampelte mit seinen Absätzen, die er gezwungenermaßen noch tragen musste, unbarmherzig über den leblosen Körper und verteilte daraufhin das Blut, dass aus der Platzwunde am Kopf austrat, mit seinen Schuhen quer durch den Raum bis hin zum Funkgerät. Jetzt wurde es ernst. Einen Moment zögerte er. Sollte er wirklich seine Cousine verraten? Sie war jahrelang sein ganzes Leben gewesen! Aber sie war eine ganz miese Intrigantin... Der Junge fasste auf den Gedanken hin schnaubend das Sprechgerät und wählte die verheißungsvolle Nummer. Er hatte sie auswendig gelernt, extra für diesen Anlass... schon vor Monaten. Hoffentlich brachte das etwas. -- „Wohin willst du? Mayora, wo willst du hin? Warte doch, Missgeburt!“ Choraly setzte ihrem Freund entsetzt nach, als der einfach aufstand und in die Richtung rannte, aus der die seltsamen Geräusche kamen. „Nachsehen, was sonst?“, war seine entnervte Antwort darauf und das Mädchen schnaubte entrüstet. Moment – was sagte er? Er wollte jetzt einfach so weg gehen und schauen, was da los war? Na ja, klar, er war vertretendes Dorfoberhaupt und vermutlich war das eine gute Idee, aber... „Deine Tante liegt sterbend auf der Straße, du Arsch!“ Er hielt inne und schenkte der Jüngeren einen grantigen Blick. Ja, sollte sie doch, na und? Das hatte er eigentlich auch beabsichtigt! „Das weiß ich.“, entgegnete er deshalb auch simpel und das Mädchen starrte ihn aus immer größer werdenden Augen an. Das war nicht sein Ernst... „Mach sie wieder gesund!“, verlangte sie mit mehr Elan weiter und ballte die Hände zu Fäusten, „Tu es für mich, ich hab sie inzwischen gern, bitte!“ Sie wunderte sich selbst etwas darüber, dass ihr Herz im Moment so dermaßen schmerzte, wenn sie an den Verlust der Frau dachte, empfand es aber als in Ordnung, denn in den letzten Monaten hatte sie die Ehre gehabt, sie kennen zu lernen; sowohl die negativen, als auch die positiven Seiten an ihr. Und sie hatte sie sehr zu schätzen gelernt. Etwas erinnerte sie sie an ihre Mutter Naputi Magafi, die zwar nach außen hin eine tüchtige, kühle Frau gewesen war, die für ihre Familie (die am Ende eigentlich nur noch aus ihrer Tochter bestanden hatte...) aber alles gegeben hätte. Ja, Chatgaia hatte ihre Fehler, vielleicht sogar jede Menge, aber genau so hatte sie auch ihre Qualitäten, die man unbedingt würdigen musste! Und sie hatte sie gern, verdammt, sie sollte nicht sterben! Mayora sah das zu ihrem Leidwesen ja plötzlich völlig anders. Er schnaubte. „Ich möchte dich sicherlich nicht bekümmern, aber ich wünsche mir, dass dir Hexe stirbt. Tut mir Leid.“ Und damit hatte sich die Sache für ihn, er hatte jetzt bedeutend wichtigere Dinge zu tun, als sich um seine gestörte Tante zu kümmern. Und als ein weiteres Mal ein seltsamer Knall ertönte, fuhr er zusammen, weil zeitgleich auch seine Freundin hysterisch aufschrie. Sie hatte es satt, dass alles um sie herum verging! Sie kam sich vor, wie ein Kaktus, inmitten von verdorrenden Blumen, sie wollte nicht mehr! Und erst recht nicht, wenn der Vater ihres Kindes daran Mitschuld war! „Mach sie gesund!“, forderte sie abermals heulend, „Mach sie gesund, oder ich bringe mich und mein Baby auch um und dann bist du Trottel völlig allein auf der Welt! Nicht, dass du das nicht verdienen würdest, aber... verdammt, mach sie gesund!“ Auf ihr Weinen zog sich in ihm irgendetwas schmerzhaft zusammen. Ja, er hatte eigentlich zu seiner Freude auch bemerkt, dass sich seine Prinzessin und seine Tante in den letzten Wochen gut verstanden hatten. Er hatte es schön gefunden und so gern er Chatgaia tot gesehen hätte, er brachte es nicht über sich, seine Liebste derart zu verletzen. Nein, am Ende erlitt sie tatsächlich noch eine Fehlgeburt oder dergleichen, dieses Risiko konnte er nicht eingehen, auf keinen Fall! Er wollte dieses Baby, es würde ihn und Choraly verbinden und sie zu einer eigenen, kleinen Familie machen, die er für nichts auf der Welt eintauschen wollte. So vergaß er kurzzeitig die Sorge um das Dorf und unterdrückte den Hass auf dessen Oberhaupt, als er kehrt machte und sich wieder neben der älteren Frau niederließ. Ja, er war Heiler und seine Ausbildung war beinahe abgeschlossen, aber Brüche konnte er auf die Schnelle nicht heilen. Das Einzige, was er tun konnte, war den tödlichen Fluch von ihr zu nehmen und dann (für seine Freundin) zu hoffen, dass alles gut ging. Kaum zu glauben, dass er das wirklich getan hatte... Choraly konnte ihrerseits gar nicht ausdrücken, wie sie sich fühlte, als ihr Liebster ihrer Bitte endlich nachkam. Sie hatte solche Angst gehabt... „Ich tu es nur für dich.“, machte der junge Mann da auch, „Nur für dich, hörst du? Ich will nichts mehr mit ihr zu tun haben, nie wieder.“ Er murmelte ein paar Worte in alter Sprache um so einen Film von blau leuchtendem Wasser um seine Hand erscheinen zu lassen, den er Chatgaia an die Stirn hielt. Es war nicht schwer, es tat ihm bloß irgendwie Leid um die vergeudete Kraft zuvor... „Vielen Dank...“, schnappte seine Freundin im Hintergrund darauf nur und fuhr zusammen, als ein weiterer, dumpfer Knall ertönte und darauf weit entfernte Schreie folgten. Gruselig... Die Magierin am Boden begann nach wenigen Sekunden, Blut zu husten, worauf ihr Neffe von ihr abließ und sich erhob. Sie war so schwach, es wäre gerade so furchtbar einfach gewesen, sie doch noch zu töten, ihr einfach die Enatiri in die Brust zu rammen, aber er tat es nicht, einzig für seine Prinzessin riss er sich zusammen. Und das, obwohl es in ihm nur so kochte, wenn er in das massakrierte, aber dennoch hübsche Gesicht der Frau sah. „Mehr kann ich nicht tun im Moment.“ Er zwang sich, zu Choraly zu sehen, die nervös von einem Fuß auf den anderen wechselte. Bei dem Anblick seiner Tante wurde ihm schlecht... „Ihre gebrochenen Knochen lassen sich auf die Schnelle und ohne irgendwelche Mittel nicht heilen, wenn sie dir ja so wichtig ist, würde ich dir raten, sie irgendwie ins Haus zu bekommen – ich fasse sie sicher nicht noch einmal an und außerdem muss ich jetzt endlich einmal schauen, was dahinten los ist. Pass auf dich auf.“ Es tat ihm irgendwo weh, seine Freundin einfach so allein zu lassen, aber er hatte seine Pflichten und die musste er über seine eigenen Interessen stellen, anders als es Chatgaia getan hatte, diese Hexe. Er wandte sich unmerklich seufzend ab. „Mayora, ich... liebe dich!“ Ja, das wusste er. Und das hatte ihn furchtbar stark gemacht. Er liebte sie auch... -- Maigi lehnte sich keuchend gegen die Tür des Funkraumes. Himmel, er hatte es wirklich getan. Er hatte sie alle verraten, einfach so. Er hatte genau so gleichgültig geklungen wie die Frau am anderen Ende der Leitung. Er hatte sich mit Maigi Tebettra gemeldet, zum ersten Mal seit Jahren nicht mit dem Namen seiner Schwester, Dafi. Und verdammt, es hatte sich gut angefühlt. Ihm fiel ein, dass er doch eigentlich jetzt ein Problem hatte, wegen des toten Funkmannes, es würde schließlich schon ein paar Stunden dauern, bis die Leute aus Wakawariwa hier sein würden, mindestens. Wenn sie denn überhaupt kamen... ach, er hatte alles, was ihm möglich war, getan. Einmal davon abgesehen, dass seine Götter ihm schon längst gesagt hatten, dass es an sich egal war, ob herauskam, dass er ein Verräter war, weil seine Cousine ihn eh belogen hatte und es im Dorf bereits drunter und drüber ging. Hoffentlich war da überhaupt noch etwas zu retten... ansonsten hatte er immerhin dem Rest der Welt einen Dienst geleistet. Ja... und dabei hatte er der Dame aus der großen Stadt doch schon erzählt, dass er Choraly Magafi kannte, hoffentlich geschah seiner besten Freundin nichts... Mit einem Mal fuhr er abermals keuchend zusammen, als es ihn wie ein Blitz traf. Tainini, Tainini war im Dorf! Und sein Baby, verdammt, er war im Begriff ein zweites Mal seine Familie zu verlieren, dieses Mal sogar, bevor er sie überhaupt richtig hatte, das konnte er nicht zulassen! Der Junge schnappte noch einmal nach Luft, dann stieß er sich von der Wand ab und rannte aus dem Raum. Ins Dorf, er musste nach seinem Mädchen sehen! Oder wollte es zumindest, denn als er um die nächste Ecke bog, hielt er abrupt inne. Moment – das ergab keinen Sinn. Das tolle Projekt wurde gerade zum ersten Mal getestet, warum war Pinita dann hier? Und guckte ihn blöd an? Als ob er die jetzt hätte gebrauchen können... „Was denn, du bist nicht im Dorf?“ Er versuchte, möglichst hart zu klingen, denn wenn sie bemerkte, wie nervös er war, hatte sie leichtes Spiel mit ihm. So wie so – sie hatte schon grausames mit ihm angestellt... Die junge Frau ihrerseits stand einfach nur da und starrte ihn doof an. Sie trug ihre Uniform und zeigte dabei eindrucksvoll, dass sie tatsächlich wieder auf dem besten Weg war, ihre alte Figur zu bekommen. Ja, sie war eng und sah gut aus, aber ein Kompliment wollte der Junge ihr dafür trotzdem nicht machen. Nein, er würde nie wieder etwas nettes zu ihr sagen! „Was denn, hat es dir die Sprache verschlagen?“ Er ärgerte sich darüber, dass seine Stimme zu zittern begann und sie so wohl doch bemerkte, dass sie ihn nervös machte, gerade, weil sie nichts sagte. Warum war sie still, sonst war sie doch immer am reden! Und dennoch erschreckte er sich, als sie plötzlich etwas erwiderte. „Warum sollte ich in Thilia sein?“, sie strich sich durch ihr etwas länger gewordenes blondes Haar, dann begann sie wissend zu grinsen, „Ja, ich habe dich angelogen, aber bloß, weil du es auch getan hast. Du hast dich bei deinen Freunden ausgeheult, das habe ich dir sofort angesehen! Also war ich auch nicht ganz ehrlich.“ Sie klang erstaunlich gefasst und ruhig, überhaupt nicht wütend. Maigi hob unsicher eine Braue. Und wieder musste er sich verarschen lassen,... oder? Pinita war eine normale Menschenfrau, ihr fehlte die Intuition, die ihr Cousin hatte. Aber sie war doch scharfsinnig... irgendetwas war hier falsch. „Wir sind quitt.“, erklärte sie weiter, „Und ich habe dich gesucht, damit wir zusammen zum Dorf gehen können. Du hast schließlich die ganze Zeit an meinem Projekt mitgearbeitet, wenn auch unwissentlich, wir sollten diesen Tag zusammen feiern und nicht in einem fort wütend aufeinander sein. Ich hab dich doch lieb...“ Sie lächelte und brachte ihn zum Erschaudern. Die Ältere konnte einen ganz leicht um den Finger wickeln, es war schrecklich! Und gefährlich in diesem Falle... Tainini erinnert ihn wieder an den Ernst der Lage. „Nein!“, schnappte er kopfschüttelnd, „Meine Verlobte hat mich lieb, du nicht! Und ich werde auch ganz sicher nicht mitkommen und zuschauen, wie du meine Heimat zerstören lässt, nur, um zu sehen, dass dein doofes Projekt, dass der Welt nur Leid bringen wird, funktioniert!“ Innerlich freute er sich kurz, als er bemerkte, dass seine Worte sie etwas aus der Fassung brachten. Ja, seine Verlobte, er hatte eine. Apropos, wo war eigentlich ihr Freund mit seiner Tochter? An sich hatte sie ihn ja vorwarnen lassen, aber wohin hatte sich der Kerl versteckt? Beziehungsweise, hatte er ihr Angebot überhaupt angenommen? Hatte er seine Familie und seine Freunde wirklich im Stich gelassen? Tafaye war ein guter Kerl, wenn, dann nur aus Vaterinstinkt... „Und...“, riss die Blonde ihn da aus seinen Gedanken, „Was willst du stattdessen machen? Mit deiner Verlobten...? Wer zum Geier ist das überhaupt?!“ Das würde er ihr ganz sicher nicht verraten. Am Ende sorgte sie noch dafür, dass ihr absichtlich etwas geschah, nein, dieses Risiko ging er ganz sicher nicht ein! So schnaubte er nur und schritt ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen an ihr vorbei. Er war ein Mann, verdammt, er wurde bald Vater, er war erwachsen und er ließ sich nicht mehr von irgendeinem dummen Weib unterbuttern! Die würde bald Augen machen... „Geht dich nichts an!“, schnappte er noch, „Kümmere dich lieber um deinen eigenen Kerl.“ Dann ging er und ließ sie einfach stehen. Und zum ersten Mal in seinem Leben hatte er das Gefühl, stark gewesen zu sein... Pinita schaute ihm empört schnaubend nach. Was bildete der sich denn bitte ein? Dabei war sie immer so gut zu ihm gewesen, na toll, schöner Dank. Und die Versöhnung war von ihr ausgegangen, wie frech von ihm! Na gut, das war sein Pech. Da er ja sein dummes Maul nicht hatte halten können und es anscheinend, wie seine angebliche Verlobte vermuten ließ, ein paar Leute gab, die über ihn Bescheid wussten, würde sie ihn nach ihrem Triumph einfach verraten und dann würde er seine gerechte Strafe bekommen, so einfach war das. Sie brauchte ihn nicht mehr, sie hatte alles, was sie brauchte. Bloß wegen ihres durch und durch guten Charakters hatte sie sich noch einmal mit ihm versöhnen wollen, aber wer nicht wollte, der hatte schon. Pech für seine Verlobte. In einem hatte er allerdings durchaus recht; bevor sie sich gleich erfreut das Spektakel im Ort ansah, musste sich sich um Tafaye kümmern. Oder besser um Karna, der hatte den Auftrag gehabt, dafür zu sorgen, dass ihm und Kirima nichts geschah. Sie musste ihn fragen, wie das jetzt überhaupt gelaufen war und wo sich ihre Familie befand. Sie bekam nämlich langsam Sehnsucht... Am besten machte sie sich gleich auf, um nach dem Deppen zu suchen. -- Schmerzen und Dunkelheit. Das war alles, was Chatgaia im ersten Moment wahrnahm, als sie langsam begann zu erwachen, diese seltsame Welt zwischen Leben und Tod zu verlassen, in der Götter und Dämonen gleichermaßen zu ihr gesprochen hatten. Ja... sie kam wieder... so leicht war sie nicht bereit, aufzugeben. Zumindest nicht, ehe sie sich bei Choraly bedankt hatte. Was sie betraf hatte Mayora immer Recht gehabt, all die Monate lang. Das Mädchen aus der großen Stadt hatte ein gutes Herz. Sie hatte sie gerettet, auch wenn die Magierin nicht verstand, weshalb. Warum hatte sie nicht gewollt, dass sie griesgrämige Kuh einfach starb? War sie denn jemals wirklich gut zu ihr gewesen? Schmerzen und Licht, das nahm sie dann als nächstes wahr, denn es war mit einem Mal unsagbar grell, als besonders ihr Arm schlagartig schlimmer geworden war und sie laut aufstöhnen ließ. „Tut mir Leid!“, vernahm sie dumpf eine nervöse Stimme, die sie als die des brünetten Mädchens ausmachte, „I-ich versuche, dir irgendeinen... stützenden Verband umzulegen... damit dein Arm nicht so ungeschützt ist! Ich... will dir nicht weh tun...!“ Sie schluchzte, weil sie annahm, nicht vorsichtig genug gewesen zu sein, aber Himmel, sie kannte sich doch wirklich überhaupt gar nicht in der Medizin aus! Und dabei wollte sie doch nur helfen... Und irgendwie war sie abgrundtief enttäuscht von ihrem Freund, er war so kaltherzig gewesen, dieser Mistkerl! Natürlich hatte sie Verständnis dafür, dass er nachsehen musste, was da geschehen war, aber hatte er Chatgaia nicht zuvor ordentlich versorgen können? So lange hätte das sicher auch nicht gedauert! Oder immerhin nicht so lang, wie bei ihr jetzt und er hätte es auch ordentlich hinbekommen, so nützte das sicherlich nicht viel, bei allen gut gemeinten Versuchen... „... wein... doch nicht...“ Sie schnappte leicht nach Luft, als die brüchige Stimme des Dorfoberhauptes sie aus ihren Gedanken riss. Die stolze, schöne Königin klang so schwach... aber dennoch ehrwürdig, fand sie. Sie hatte einfach so etwas an sich, dass einem direkt zeigte, dass man ihr Respekt zollen musste. Sie verdiente ihn einfach. Und es tat der Jüngeren weh, mit ansehen zu müssen, wie sie sich in einer solch unwürdigen Lage befand. Das... war nicht gerecht. „Ich mag aber weinen, ich mache mir Sorgen!“, entgegnete sie so unglücklich und die Frau ließ ihren vernebelten, starren Blick zu ihrem Gesicht schweifen. Dabei bemerkte sie, dass sie sich im Haus befand, auf ihrem Sofa, wie es schien. Sie hatte sie also allein herein geschleppt, dabei musste sie sich doch schonen... dieses Baby war ja wohl wichtiger, als irgendeine alte Frau! Sie wollte sicher gehen, dass die Freundin ihres Neffen das auch wusste... „Hör zu...“, bat sie deshalb und versuchte, die grausamen Schmerzen, die sie nun mehr in ihrem Kopf spürte, als sie ihn zu der Braunhaarigen wandte, zu ignorieren, „... sei... sei Mayorachen nicht böse, ja? Er hatte seine Gründe...“ Sie hatte verstanden, was er gemeint hatte und er hatte völlig Recht. Auch wenn es ganz nett gewesen wäre, wenn er sich auch die Mühe gemacht hätte, auf sie einzugehen und sie zu verstehen. Er wusste ja gar nicht, wie grausam der Kinderwunsch sein konnte, wenn es einfach nicht klappen wollte und wie sehr man sich dann freute, wenn plötzlich der kleine, gerade einmal acht Jahre alte Neffe ins Haus kam...! Wie auch immer, das musste sie unbedingt noch mit ihm klären. Und das würde sie auch noch. Zumindest entschuldigen musste sie sich auf jeden Fall, nicht nur für seine unfreiwillige Umfunktionierung zum Ersatzsohn, sondern auch für das, was danach war, die Zeit, in der sie ihn aus Trotz einfach als Werkzeug benutzt hatte. Trotz... wie peinlich, sie war doch kein kleines Mädchen mehr. Choraly hatte sich derweil mit einiger Mühe wieder fassen können. „Na ja, das hoffe ich auch schwer für ihn.“, erwiderte sie etwas säuerlich, „Aber ich werde trotzdem mit ihm schimpfen, ich meine... das geht doch nicht!“ Sie schnaubte, dann senkte sie den Blick. „Er war so anders, ich habe ihm überhaupt nicht wiedererkannt.“ Chatgaia schloss die Augen wieder. Ja, sie auch nicht. Sie hatte schon seit einiger Zeit gespürt, dass da etwas in ihm war, etwas, das nicht normal war, aber mit dem, was sie letztendlich in ihm erkannt hatte, hätte sie nicht gerechnet. Niemals in ihrem Leben, sie hatte noch nicht einmal geglaubt, dass so etwas in der heutigen Zeit überhaupt noch möglich wahr. Vielleicht war ihr Neffe der einzige Magier auf der ganzen Welt, der so wahr...? Sie sprach ihre Gedanken angesichts des aufgelösten Mädchens nicht aus. Nachher wurde sie noch so besorgt, dass dem Baby tatsächlich etwas geschah und das hätte sich die Frau niemals verzeihen können. Einmal davon abgesehen, dass der dumpfe Schmerz sie fast lähmte und sie im Moment einfach unsagbar müde war. Sie musste ihre bloß in geringem Maße vorhandene Kraft jetzt für etwas anderes verwenden. „Irgendetwas stimmt... hier doch nicht, oder?“, sie öffnete die Augen wieder. Irgendetwas hatte sie mitbekommen und die Stimmen in ihrem Inneren waren beunruhigt. Ja, irgendetwas hatte Mayora doch auch gemeint... aber sollte das nicht erst in ein paar Tagen sein? Er hatte sich doch anlügen lassen! Wenn auch anders, als sie gedacht hatte, aber immerhin. Vermutete sie zumindest spontan, soweit es ihre trägen Gedankengänge zuließen. „Ich weiß es nicht so genau.“, entgegnete die Jüngere darauf und erschauderte vor Beunruhigung, als sie an die Schreie dachte, „Ja, ich glaube schon. Ich denke, die haben das Dorf früher angegriffen, als geplant. Oder als man uns gesagt hat...“ Oder besser Maigi, denn sie traute ihm nicht zu, sie absichtlich belogen zu haben. Schließlich lebte hier alle seine Freunde, einschließlich seiner schwangeren Verlobten, da hätte er sicher dafür gesorgt, dass zumindest die in absoluter Sicherheit ist. Dachte sie sich zumindest. -- Als Pinita um die nächste Ecke bog, stellte sie erfreut fest, dass Karna da gerade herumstand. Prima, der kam ja wie gerufen. „Hey du!“, machte sie so auch entsprechend gut gelaunt und war etwas irritiert, als er nicht reagierte und bloß verstrahlt in den Funkraum starrte, dessen Tür anscheinend offen stand. Moment, war diese blöde Kammer interessanter als sie? Sie sah viel besser aus, echt mal... Ja, sie war gut gelaunt, denn sie würde gleich mit eigenen Augen mitansehen können, wofür sie sich jahrelang eingesetzt hatte und das war eine gute Vorstellung. Genau so wie die, ihre dümmlichen Cousin demnächst einfach entsorgen zu können. Sie brauchte ihn nicht mehr, demnächst würde er gemeinsam mit den baldigen Kriegsgefangenen auf seine Hinrichtung warten könne. Geschah ihm Recht! Dabei war sie doch immer so gut zu ihm gewesen... „Karna, du Hornochse, ich rede mit dir!“ Der junge Mann schreckte endlich aus seiner Starre und schaute die Blonde erschrocken an, als diese mit verschränkten Armen auf ihn zutrat. „Ich wollte mit dir reden, du Träumer. Was ist denn jetzt eigentlich mit...“ Sie hielt inne, als sein Blick wieder in das Zimmer mit dem Funkgerät abschweifte und sie ihm unwillkürlich folgen musste und ebenfalls kurzzeitig einfror. WAS zum Geier war das?! Da war Blut. Blut neben diesem toten Mann, der für das Funkgerät verantwortlich gewesen war. Blut, dass sein halbes Wurstbrot beschmutzt hatte. Und Blut, dass ihren größten Traum, für den sie so viel geopfert hatte, den sie seit ihrer frühen Kindheit geträumt hatte, mit einem Mal zerstört hatte. Warum war ihr nicht aufgefallen, in welchem Gang sie auf Maigi getroffen war? Diesen elenden, schmierigen, abartigen Verräter?! Diesen Hundsarsch, der ihr Leben mit einem Mal zerstört hatte und dafür augenscheinlich sogar über Leichen (oder eine Leiche) gegangen war?!! „... ich... habe ihre Cousine vorhin hier in der Nähe beobachtet...“, ahnte auch der Angestellte anscheinend richtig und die Jüngere schlug sich zitternd die Hand vor den Mund. Wie hatte er ihr das nur antun können, dieses miese Schwein?! Warum nur?! „Es ist... alles vorbei...“, stammelte sie aufgelöst und ließ sich vor dem perplexen Mann auf die Knie sinken, weil ihr schwarz vor Augen wurde. Ja, sie hatte alles verloren, alles, wofür sie gekämpft hatte, ihr Leben lang! Alles, wofür ihre Vorfahren gekämpft hatten, durch einen einfachen Funkspruch vernichtet! Sie versuchte sich einen Moment lang zusammen zu reißen, schaffte es aber nicht und ließ ihrer Verzweiflung mit einem hysterischen Aufschrei einfach freien Lauf, worauf Karna erschrocken einen Schritt zurück sprang. Jetzt war ihm die Tussi gruseliger denn je... Sie schenkte ihm einen vernichtendem Blick und er hob eine Braue. „Schau nicht so dumm!“, fuhr sie ihn lauernd an und atmete schwer, „Weißt du, was das heißt? Wir werden nicht nur unsere Berufe, nein, sondern auch unsere Freiheit und möglicherweise sogar unser Leben verlieren! Verstehst du das? Unser gesamter Kontinent kommt wegen unseres aufgeflogenen Plans in riesige Schwierigkeiten, er wird nie wieder, verstehst du, NIE WIEDER die Chance haben, zu dem Rum zu kommen, den er auch verdient! Vermutlich wird der Rest der Welt uns zeitlebens unterdrücken oder was auch immer, uns schlimmer behandeln, als mancher Orts die Himmelsblüter! Und das alle bloß, weil mein Cousin, der nicht meine Cousine ist, uns verraten hat, für irgendwelche primitiven Dorfdeppen und für den armen Rest der Welt, um ja diesen nutzlosen Frieden zu wahren, der niemanden voran bringt! Ich hasse ihn!“ Nach ihrem Redeschwall stützte sie sich schwer atmend an der Wand neben der offen stehenden Türe ab, um sich wieder hinzustellen. Sie war diesem Idioten schließlich nicht unterwürfig oder gar unterlegen, so etwas wollte sie gar nicht demonstrieren, auch wenn sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand und sich kaum aufrecht halten konnte. Und vor lauter Wut schlug sie auch Karnas Hände weg, als sie nach ihren Schultern griffen, um sie irgendwie fest zu halten. Nein, das schaffte sie noch alleine... „Um ehrlich zu sein, bin ich gerade ziemlich überrumpelt...“, machte der Mann bleich, wie er geworden war und kratzte sich stattdessen am Kopf. Na toll, jetzt verlor er doch seinen Beruf, dass er aber auch nicht so weit hatte denken können... „Also... sie denken, ihre Cousine... die ein Kerl ist... hat uns da gerade verraten? Und dabei diesem armen Kollegen erschlagen?! Und dabei sieht sie so lieb aus...“ Pinita schlug ihm ins Gesicht. „Nenne den kleinen Wichser gefälligst nie, NIE wieder in deinem Leben „lieb“!“ Ja, okay, diesem Befehl würde er artig gehorchen. Und er wagte es auch nicht, sich über ihre grobe Reaktion zu beschweren, als er sich über seine schmerzende Wange rieb und seufzend weiter sprach. „Und... was machen wir jetzt? Dem Chef Bescheid sagen?“ Ja, das war auch der erste Gedanke der jungen Frau gewesen. Aber was würde der dann tun? Zunächst einmal nach Maigi suchen lassen, dann die ganze Aktion abblasen und sich schließlich bei den Idioten in Wakawariwa einschleimen. Zumindest ging sie stark davon aus, dass ihr Cousin sie in Noboka angeschwärzt hatte, die waren schließlich am einflussreichsten. Und dass er sie überhaupt verraten hatte... na ja, das lag angesichts der Tatsachen außer Frage, fand sie. „Nein.“, entschied sie dann gezwungen gefasst und versuchte, ihre Atmung etwas zu regulieren, „Unser Chef wird alle Arbeit zunichte machen, noch mehr, als Maigi es getan hat. Willst du in Ehre sterben oder lieber den Rest deines Lebens in Schande verbringen, Karna?!“ Er ersparte sich eine Antwort, denn vermutlich würde er sich dafür eh bloß wieder eine fangen. So zuckte er nur mit den Schultern, was die Jüngere getrost ignorierte. Nein, sie würde sich an ihrem Cousin rächen, sie hasste ihn! Sie würde dieses Dorf zerfetzen, nein, diese ganze verfluchte Oase mit jedem einzelnen Lebewesen, welches sie bevölkerte, er sollte zusehen, wie alle seine Freunde starben, jämmerlich verbrannten oder einfach von irgendwelchen Trümmern erschlagen wurden! Und sie würde herausbekommen, welche kleine Hure seine Verlobte war, sie würde ihr das Herz aus dem Leibe reißen und es ihrem Cousin vor die Füße werfen und ihn schallend auslachen, denn das konnte und wollte sie sich nicht gefallen lassen! Sie hatte ihren Stolz! „Und... was machen wir stattdessen?“, fragte der Angestellte da weiter und riss sie damit aus ihren wahnsinnigen Gedanken. Dabei ließ er seinen Blick wieder zu dem toten Kollegen im Funkraum schweifen. Das war ein guter Kerl gewesen, verdammt. Warum hatte diese Ziege das nur getan, was hatte sie davon? Beziehungsweise er... Maigi?! „Wir... wir machen weiter! Ich sorge dafür, dass wir alle Reste aus dem Waffenlager nehmen, alles, was einem Menschen oder einem Magier auch nur den ansatzweise Schmerzen zufügen kann, werden wir benutzen und wir heben diese bekloppte Beschränkung auf den dünn besiedelten Dorfrand auf, ich will ganz Thilia brennen sehen! Unsere Strategien lasse ich auch streichen, einfach alles, was jetzt sinnlos geworden ist, ich will bloß Rache an diesem Kaff voller Vollidioten!“ Sie keuchte wieder schwer und als sie zu schwanken begann, ließ sie sich doch in die Arme des Älteren sinken, der sie skeptisch musterte, als sie sich zitternd und kraftlos an ihn lehnte. Ja, das waren wohl klare Worte gewesen. Und wegen solcher klaren Worte hasste er dieses Weib. Na ja, vielleicht hasste er sie nicht ganz, aber er fand sie abartig. Wie konnte man aus reiner Machtgier, oder jetzt, weil der persönliche Stolz verletzt worden war, bloß kaltherzig Leute töten lassen? Familien zerstören? Obdachlos machen? Das war echt grausam! Und deshalb hatte er sich schweren Herzens auch dazu entschlossen, grausam zu sein. Sie hatte ihn gebeten, nach ihrem Freund Tafaye Alhatfa und ihrer Tochter Kirima zu sehen und ihnen Bescheid zu geben, damit sie sich rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten. Er hatte es nicht getan. Und ja, er hatte ein schlechtes Gewissen, der Schneider war ein guter Kerl und das kleine Mädchen gewiss zuckersüß, aber in Thilia gab es sicherlich noch viel mehr gute Kerle und zuckersüße kleine Mädchen, warum sollten ausgerechnet diese beiden eine Chance bekommen, bloß weil Pinita sie mochte? Nein, das sah er nicht ein. Tat ihm zwar Leid, aber die Blonde konnte ruhig am eigenen Leib spüren, wie es war, wenn man jemanden verlor, den man wirklich liebte. Davon, dass sie ihre Eltern geliebt hatte, ging er nicht wirklich aus... „Ich werde sie alle vernichten...“, stammelte die Frau da wieder wie wahnsinnig und stieß sich von ihm ab, ein paar Schritte den Gang hinauf torkelnd. „Sie sollen bluten, für das, was sie mir angetan haben...! Und Maigi werde ich zerfetzen, in der Luft und dann werde ich ihn auslachen...!“ Karna seufzte. Und da erzählte man sich, Shakki Kaera sei nicht ganz dicht... ------------------- Ja, ihr habts wohl gemerkt, letzte Woche kam kein Kapitel. Liegt daran, dass ich nur welche hochlade, wenn ich mit dem aktuellen Kappi fertig geworden bin oder zumindest fast fertig bin und das war letzte Woche einfach nicht der Fall, sorry úû War ein sehr schweres Kapitel... Na ja, jetzt habt ihr eins. So just for Info, ich schreibe jetzt an Kapitel 43, es werden vermutlich 45 werden. Ich habs also bald Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)