Jumays Kinder von -Izumi- (Part 5: Kinder des Wassers - Verloren im Sand) ================================================================================ Kapitel 43: Thilias Sonne ------------------------- Als Maigi erwachte, war es um ihn herum angenehm kühl. Er lag auf etwas weichem... und es war recht dunkel, dort, wo er sich befand. Zumindest zu Beginn, nach einigen Malen blinzeln kam es ihm plötzlich nur noch dämmrig vor. Er war in einem seltsamen Raum, an manchen Stellen blinkten Lichter und irgendwo brummte etwas leise. Nach einem gescheiterten Versuch, sich aufzusetzen, registrierte er eine Bewegung. Irgendwo hier musste noch jemand sein. „Aufgewacht?“, hörte er da auch schon eine fremde Stimme und erkannte über sich plötzlich eine junge Frau in Uniform. Einen Moment lang hielt er sie mit dem kurzen blonden Haar für seine Cousine Pinita, dann erkannte er an ihrem leichten Lächeln, dass sie es sicher nicht sein konnte. „Du bist der Junge, der zu uns gefunkt hat, nicht?“ Moment, eine Frau aus Noboka? Ach ja, richtig. Er schaffte es zu seinem Bedauern jedoch nicht, zu nicken. Er hatte Schmerzen... „Nicht bewegen.“, mahnte ihn auch die Dame und setzt sich irgendwie neben ihn, „Keine Sorge, du musst dich schonen, dann wird das wieder alles gut. Wir sind gerade hier angekommen, eine erstaunliche Frau mit grünem Haar hat uns gebeten, dich irgendwohin zu bringen, wo du dich erholen kannst. Du wurdest angeschossen.“ Richtig, er erinnerte sich. Seine Cousine hatte ihn töten wollen und er war fest davon überzeugt gewesen, dass ihr das auch gelingen würde. Er hatte gemerkt, wie die Götter mit langen Armen nach ihm gegriffen hatten, die Worte gehört, die ihn zum Loslassen aufgefordert hatten. Aber er hatte es nicht getan. Er war noch jung, er hatte noch zu viel zu tun in der Welt. Und bald würde er ein Baby haben... hoffte er zumindest. Aber Zeit darüber nachzudenken war später. Er keuchte. „Ich... bin im... Inneren einer Flugmaschine, nicht?“ Mit jedem Wort zog sich etwas in seiner Brust schmerzhaft zusammen und wollte verhindern, dass er sprach, so bat er seine Götter, ihn kurzzeitig von seinem Schmerz zu befreien. Ja, er ließ es wieder zu, dass er zu den Feuerkindern gehörte. Und er war stolz darauf. Und das bekam er gedankt. Als die Frau nickte und er spürte, wie sich die Region um seine Verletzung etwas entspannte, sprach er weiter. Er hatte schließlich nicht mehr viel mitbekommen, ehe er sein Bewusstsein verloren hatte... „Pinita Ferras ist tot, nicht? Was ist noch geschehen,? Was ist mit Mayora, geht es ihm gut? Ich meine, er wurde auch angeschossen, nicht?“ An sich lag Maigi nicht viel an dem grünhaarigen Wassermagier, aber zum einen wäre es für Choraly, die er sehr mochte, sehr schlimm, wenn ihm etwas ernsthaftes zustieße und zum anderen wollte er diesen seltsamen Typen noch unbedingt danach fragen, was mit ihm los war. Er hatte eine sehr seltsame Aura gehabt in dem Moment, in dem der Jüngere ohnmächtig geworden war... Die angesprochene Dame blinzelte einen Moment überfragt. „Du meine Güte, dass du in deiner Verfassung so viel fragen kannst!“, sie wunderte sich und spielte an ihrem Kragen herum, während sie nachdachte. Erst jetzt fielen dem Jungen die Unterschiede zwischen der nobokaer und der mondanischen Uniform auf. „Nun ja.“, machte die Ältere da weiter, „Bei Frau Ferras handelt es sich wohl um diese geschlachtete Frau, nicht? Die ist definitiv tot, ja. Und... wie sagtest du? Mayora? Nun, der Name sagt mir nichts, aber ich kann dich beruhigen, du bist der Einzige mit Schussverletzung.“ Aus einer Ecke ertönte ein lautes Piepen, das wohl von einem Funkgerät stammen musste. Die Frau erhob sich lächelnd. „Entschuldige mich kurz.“ Maigi schaute ihr nur kommentarlos verwirrt nach. Wie, der Einzige mit Schussverletzung?! Mayora war angeschossen worden, mit Sicherheit! Oder wurde er jetzt verrückt? Nach allem, was er in den letzten 48 Stunden hatte erfahren müssen, wäre das wohl kein Wunder... Dennoch, er war sich beinahe sicher, Pinita hatte nach ihm geschossen und Mayora war zusammengebrochen, das konnte doch nicht sein! Scheinbar musste er ihn danach ebenfalls selbst fragen... -- „Fräulein Magafi, wir entschuldigen uns demütigst, Sie so lange diesen erniedrigenden Zuständen ausgesetzt zu haben! Wir schwören aber, alles menschenmögliche getan zu haben, um Sie zu finden!“ Angesichts dem halben Dutzend uniformierter Männern, das sich vor ihr in den Sand warf, wurde es Choraly mit einem Mal unheimlich flau im Magen. Die kamen aus ihrer Heimatstadt. Und wollten sie natürlich mitnehmen. Was sollte sie ihnen sagen? „Na... also war jetzt nicht wirklich ein Problem.“ Sie lächelte wohlwollend, verschluckte sich aber, als sie die empörten Blicke der Herren sah. Himmel, ja, sie hatte die gehobene Sprache verlernt. Aber was sollte sie jetzt auch lügen? Der Anfang war zwar sehr hart gewesen, aber sie hatte hier ihren Mann gefunden! Was sich jetzt als ziemliches Problem herausstellte. „Nun ja.“, zunächst einmal sah sie sich angesichts der geschockten Blicke gezwungen, ihre leichte Antwort zu erläutern, „Natürlich waren die ersten Wochen sehr schwer für mich und die Umstellung hart, aber ich habe hier sehr nette Leute kennen lernen dürfen, die sich gut um mich gesorgt haben. Das hat die Zeit hier durchaus erträglich gemacht.“ So, das passte eher, wie sich auch an den wieder entspannteren Mienen erkannte. Glück gehabt. Aber vor ihrem Vater würde sie sich sicher nicht verstellen. Ob er wohl überhaupt noch mit ihr klar kommen würde? Sie kam sich vor, wie ein anderer Mensch... „Das ist äußerst erfreulich.“, erwiderte da ein anderer Mann, der nun ebenfalls dazu kam. Die Uniform ließ seinen höheren Rang erahnen. „Aber ich denke, es ist dennoch sehr erfreulich für die junge Dame, wieder zurück nach Hause zu kehren, nicht?“ Sie vermochte nicht, ehrlich zu antworten. Natürlich, sie wollte zu ihrem Vater, den sie monatelang hatte vermissen müssen, aber was war mit ihrem Freund? Sie schielte zu ihm, während er sich ein paar Meter entfernt mit seinem Bruder unterhielt. Mehr oder weniger. Imera stand unter Schock. Er war es gewesen, der Pinita getötet hatte. Und ein paar Soldaten auch, aber bei der blonden Frau war es anders gewesen. Er hatte sie regelrecht zerfetzt in seiner blinden Wut, die mit einem Mal in ihm aufgekommen war. Und nun bereute er es zutiefst. „Was mache ich jetzt nur?“, wollte er immer und immer wieder wissen, raufte sich die braunen Haare und merkte gar nicht, dass der Stein, auf dem er saß, an sich kochend heiß war und ihm eigentlich den Hintern verbrannte. Mayora stand seufzend bei ihm. Idiot hin oder her, das war eine Ausnahme. Er wusste schließlich, wie sich das gerade anfühlte... „Gar nichts...“, erwiderte er leise, „Du hast der Welt einen Gefallen getan, niemand nimmt es dir übel.“ Der Ältere keuchte. „Tafaye! Und seine kleine Tochter! Hast du ihn dir einmal angesehen? Er... er ist am Ende! Das ist alles meine Schuld, Missgeburt!“ Er sah starr den staubigen Boden vor seinen Füßen an. Jeder Blick in ein Gesicht schmerzte ihn. Er fühlte sich dreckig und völlig abartig, wie hatte er bloß so etwas tun können? Er hatte sie zerfleischt! „Tafaye ist so fertig, weil seine Freundin ohne, dass er es wusste, die ganze Zeit so ein Monster war. Das ist ja wohl erschreckend. Ich glaube nicht, dass er dir den Mord übel nimmt.“ Dem kleinen Bruder war bewusst, dass seine Worte wohl nichts erreichen würden, aber irgendetwas musste er doch tun, nicht? Eigentlich lachhaft, er konnte diesen Kerl noch nicht einmal leiden und das beruhte auf Gegenseitigkeit, aber es war nun einmal in dem ganzen Chaos gerade kein anderer da, der sich um die labile Psyche des schlimmen, vollkommen bösen Mörders kümmern konnte. Ach herrje. Zugegebener Maßen kam es ihm aber ganz Recht, dann musste er nicht so viel über sich selbst nachdenken. Sein fremdes Ich. Kurzzeitig hatte er sogar befürchtet, dass er das, was ihn eigentlich ausgemacht hatte, dieses missgeburtige eben, völlig verloren hatte, aber wenn er tief in sich hinein hörte, wusste er nun, dass das nicht so wahr. Also gab es doch kein Problem... oder? Doch, seine Tante. Früher hätte er es niemals geschafft, lange wütend auf sie zu sein, jetzt hasste er sie abgrundtief. Nein, er verabscheute sie. Er wollte sie tot sehen. Allein aus Liebe zu seiner Prinzessin hielt er sich zurück. Wenn es sie nicht gäbe, hätte es das Dorfoberhaupt längst hinter sich. Nein, er würde dieser Hexe niemals verzeihen. Und er würde nie wieder etwas für sie tun. „Ich fühle mich aber trotzdem furchtbar...“ Er seufzte, dann klopfte er dem Älteren auf die Schulter. Tat ihm zwar Leid, aber er musste mit seiner Freundin sprechen. „Unsinn. Entschuldige mich.“ Choraly hatte noch eine Entscheidung zu treffen. Diese Leute wollten sie schließlich mit Sicherheit mitnehmen. So ignorierte er einfach den empörten Blick seines Zwillings in seinem Rücken und die etwas feindseligen Blicke der nobokaer Soldaten, als er bei seiner Prinzessin ankam gekonnt und forderte sie zu einem 4-Augen-Gespräch auf. Imera seinerseits war noch immer verzweifelt. Prinzipiell hatte sein kleiner Bruder ja Recht, aber dennoch, was war in ihn gefahren? Es war weniger, unter welchen Umständen es geschehen war, sondern eher die Tatsache, dass er zu einer solch grausamen Bluttat überhaupt in der Lage war. Und dabei hatte er gedacht, er sei kein schlechter Mensch... oder es sich zumindest einzureden versucht. Und immer wieder flimmerten diese Bilder vor seinem inneren Auge wieder. Der Moment, in dem sein Denken ausgesetzt hatte, als er sich einfach auf sie gestürzt hatte. Als er plötzlich nur noch wollte, dass sie Schmerzen hatte. Seine schreiende Mutter... seine zusammenbrechende Schwester... Taranii... Mayora. Er keuchte und schlug sich eine Hand vor den Mund, als eine ungeahnt heftige Übelkeit ohne Vorwarnung in ihm aufstieg. Er wollte, dass es aufhörte. Er hasste es. Er wollte am liebsten sterben. „Imera...“ Als jemand ihm seine Hand auf die Schulter legte, sah er geschockt auf. Dabei wusste er noch nicht einmal so genau, was ihn schockte... aber er ahnte es. Vor ihm stand Vembaci Kaera, selbst leicht angeschlagen, aber weitgehend in Ordnung. Der Blick aus seinen violetten Augen ließ den Jüngeren unwillkürlich erschaudern. Überall sah er Gespenster... „Hör mal.“, begann der Mann da, „So wie du da sitzt geht es dir ziemlich dreckig, nicht? Lass mich raten, du hast dich über dich selbst erschreckt, nicht?“ Er erwiderte nichts, errötete nur ertappt. Der Schwarzhaarige lächelte darauf bitter. „Ich... ich habe mit meinem Sohn oft darüber gesprochen, Imera. Er hat, vor allem für seine Schwester, oft Dinge getan, die er sich selbst niemals zugetraut hätte, nicht einmal im Ansatz. Und die er von selbst niemals getan hätte. Aber er hat sie getan, weil er sich vor den Konsequenzen gefürchtet hat. Verstehst du, worauf ich hinaus möchte?“ Fast hätte er damit gerechnet, dass der Junge den Kopf schüttelte. Er war eben nicht besonders intelligent. Und wollte vermutlich auch gar nicht so genau darüber nachdenken. Er konnte es ihm nicht übel nehmen. „Kinai hat sich davor gefürchtet, von seiner Schwester be- ... er wollte sie nicht enttäuschen, davor hatte er Angst. Und wenn du in dich hinein hörst, weißt du, dass auch deine Reaktion das Resultat aus Furcht und Wut war.“ In sich hinein hören? Darin war er nie gut gewesen. Genau so wenig, wie er darin gut war, seine Gefühle zu verstecken, anders als sein Zwilling, war er ein sehr direkter Mensch. Er war überhaupt ein Mensch und kein Magier. Oder gar noch mehr. „Da waren viele Leute, die dir etwas bedeutet haben in den Nähe, Imera, du hast um ihre Leben gefürchtet. Und du warst wütend, weil Mayora bereits verletzt wurde. Und durch die Ungerechtigkeit, die Maigi widerfahren ist. So ist es doch, nicht?“ Vembaci Kaera erhielt keine Reaktion. Das brauchte er auch nicht. „Führe dir das vor Augen. Dir wird niemand helfen können, wenn du das nicht tust. Du hast Recht getan und ich hoffe, in ein paar Jahren denkst du mit Stolz an diesen Tag zurück.“ -- „Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, dass wir zum letzten Mal normal miteinander gesprochen haben.“ Choraly strich sich seufzend eine Strähne aus dem Gesicht, als sie im Schatten einer Flugmaschine vor ihrem Freund stand. Anders als zunächst gedacht war nicht die Wüste, sondern die Ortung der mondanischen Soldaten das Problem gewesen. Der leitende Offizier hatte verlegen angemerkt, dass sie zunächst einmal minutenlang reichlich verwirrt durch die Ruinen Morikas geirrt waren, bis ihnen aufgefallen war, dass sie da irgendwie falsch sein mussten. War letzten Endes aber auch egal, sie waren angekommen und hatten die übrigen, von Pinita aufgestachelten Soldaten erfolgreich und ohne große Mühen festgenommen. Es waren nicht mehr viele übrig geblieben, die Meisten waren bereits im Kampf gegen die Thilianer umgekommen und noch mehr hatten sich nach dem ersten Angriff auf das Dorf in die nächstbeste Flugmaschine gesetzt und waren klammheimlich in die Heimat geflüchtet. Es hatte nicht lange gedauert, bis sich herum gesprochen hatte, dass ihr Einsatz nichts mehr mit dem ursprünglichen Projekt zu tun gehabt hatte und so hatten es die Meisten so gar nicht einsehen wollen, sich für die Launen der blonden Unteroffizieren müde zu machen. Recht so, die hatten es jetzt bedeutend leichter als diese Hand voll Idioten, die so loyal gewesen waren, da zu bleiben. Aber das war jetzt egal, es ging sie nichts mehr an. Sie hatte anderes vor sich. „Nun ja, so kommt es mir auch vor, du hast Recht.“, erwiderte ihr Freund da und griff beiläufig nach ihren Händen, nahm sie in seine und streichelte sie etwas, „Ich nehme an, ohne Vorwarnung wäre es nicht vorteilhaft, wenn ich dich jetzt küssen und in den Arm nehmen würde, nicht? Auch wenn ich das jetzt sehr gern täte.“ Sie nickte. Ja, diese Idioten. Verdammt, dabei war die Sehnsucht nach Berührung gerade so groß... „Du wolltest mit mir reden.“, fiel ihr da wieder ein. Das war im übrigen sehr praktisch, sie musste schließlich ebenfalls noch viel mit ihm klären. Aber zuerst er. „Nun ja, es ging um folgendes...“, er blinzelte sich etwas Sand aus den Augen, „Verzeihung – also deine Leute sind ja jetzt hier und ich bin mir sicher, du möchtest gerne mit ihnen gehen, weil du deinen Vater vermisst hast, nicht?“ Als sie nach kurzem Zögern leicht nickte, verfestigte sich sein Griff um ihre zierlichen Hände unmerklich. „Ich weiß nicht, in wie fern das möglich ist, aber ich würde gerne mit dir kommen. Wenn es für diese Leute da in Ordnung geht. Ich liebe dich und hier hält mich nichts mehr. Ich habe für diese Leute hier mehr als genug getan, oder?“ Das war wohl war und dennoch verblüffte das Mädchen sein Vorschlag. Zum Positiven, denn so wäre es natürlich ideal... oder eben die bestmögliche Lösung, denn an das, was noch an Überzeugungsarbeiten auf sie zukam wollte sie gar nicht denken... „Nun, meinetwegen, aber bist du dir auch völlig sicher? Das ist ein gewaltiger Schritt, Mayora...“ Der Junge verengte die hübschen roten Augen minimal, dann seufzte er leise. „Eine Alternative gibt es ohnehin nicht.“ Ihm fiel zumindest nichts besseres mehr ein. Und ihn hielt wirklich nichts mehr in diesem verfluchten Kaff. Imera hatte doch Recht, alle sprachen schlecht über einen, wenn man ihnen auch nur ein einziges Mal den Rücken kehrte... „Na ja, doch, sicherlich.“, widersprach sein Gegenüber ihm da überrascht, „Ich könnte ja vorerst allein mitgehen, ein paar Wochen bei meinem Papa bleiben und dann wieder zurückkehren? Dürfte doch kein Problem sein, euer Dorf ist der Außenwelt nun ohnehin bekannt. Außerdem...“ Er unterbrach sie zischend. „Halte mich nicht für dumm, Choraly Magafi! Uns beiden dürfte dann ja wohl klar sein, dass...“ Der junge Mann wollte nicht weiter sprechen. Das klang so, als würde er ihr nicht vertrauen. Dabei war sie doch seine Prinzessin und er vertraute ihr mehr als allen anderen Leuten auf der Welt. Nicht, dass er alle kannte, aber so prinzipiell... „Sprich den Satz zu Ende, Mann!“, verlangte das hübsche Mädchen da trotzig, erinnerte aber nicht ansatzweise an ihre Anfangszeit in der Wüste, „Was ist uns beiden angeblich klar?“ Sie war vollkommen rein. Und dennoch, sie würde nichts dagegen tun können. „Ich denke, du würdest nicht mehr zurückkehren, Prinzessin. Dieses Risiko kann und will ich beim besten Willen nicht eingehen, ich brauche dich.“ Sie zog ihre Hände aus seinen. Was traute der ihr bitte zu? Das war demütigend! „Na danke auch, jetzt weiß ich es ja.“ Niemals würde sie nicht zu ihrem Wort stehen, nie im Leben! Sie liebte diese verdammte Missgeburt und daran hielt sie fest. Sie war eine Magafi, verdammt! „Natürlich nicht, es ist nicht so, wie es im ersten Moment für dich klingen mag, meine Liebste!“ Sein schuldbewusster Hundeblick erweichte sie nun auch nicht, da hatte er Pech. „Aber denkst du, dein Vater lässt dich zu einem wie mir zurückkehren? Zu einem Himmelsblüter? Einer Blutschande?! Tut mir Leid, aber wenn ich so daran denke, wie du warst, als du hier gelandet bist, dann habe ich einfach gewisse Vorurteile gegenüber diesem Mann. Ich halte es wirklich für besser, wenn ich mich ihm vorstellen und er sich selbst ein Bild von mir machen kann. Bitte, versteh mich nicht falsch, ich liebe dich doch.“ Ihm war klar, dass sie wusste, dass er Recht hatte. Nicht, dass er irgendetwas schlechtes über Herrn Magafi dachte, gewiss nicht, aber ihm war durchaus bewusst, was wohl seine ersten Gedanken sein würden, wenn er von dem Mann erfuhr, der seine einzige Tochter im zarten Alter von 16 Jahren geschwängert hatte. Und dass er nichts dafür konnte. Genau wie Choraly war er schließlich in einer Gesellschaft aufgewachsen, die seine Rasse als äußerst suspekt wahrnahm, wenn man es dezent ausdrücken wollte, er konnte nichts dafür. Und genauso wie sein Mädchen war er sicherlich auch zur Vernunft zu bringen. Hoffte der Junge zumindest. „Aber...“, wisperte seine hübsche Freundin da, „Mir soll es ja Recht sein, nur... was wird aus Chatgaia? Ich meine... wir können sie doch nicht allein lassen... so verletzt in diesem Chaos... oder?“ Als sie zu ihm aufsah, hatte sich sein Blick schlagartig verfinstert. Nein, sie konnte einfach nicht verstehen, weshalb er diese Frau mit einem Mal so verabscheute. War das Fass jetzt tatsächlich dadurch übergelaufen? Irgendwie schmerzte der Gedanken sie. „Sie ist mir egal, Prinzessin. Von mir aus kann sie hier verrotten, ist mir gleich. Die Frau ist für mich gestorben, in meiner Welt existiert sie überhaupt nicht mehr.“ Zu viel hatte sie ihm über die Jahre angetan, als dass er ihr das verzeihen könnte, das würde er niemals tun. Nein, jahrelang hatte sie ihn ausgenutzt, er wollte nicht mehr. Und damals hatte er blind vor Liebe gar nicht bemerkt, wie ihm geschah, was man mit ihm gemacht hatte. Heute hatte er die Augen endlich geöffnet. Nach so langer Zeit. Nein, er war kein dummes Kind mehr. Er war nun selbst ein Mann und würde bald Vater werden, das musste er sich nicht mehr bieten lassen. „Aber mir ist sie nicht egal, Missgeburt!“ Choraly verstand ihn ja, aber... nein, das war nicht gut, irgendetwas zog sich bei dem Gedanken daran, das Dorfoberhaupt einfach so zurück zu lassen schmerzhaft in ihr zusammen. Sie hatte beinahe das Gefühl, als würde sie der grünhaarigen Frau die Familie ausspannen... „Sie hat sicherlich Fehler gemacht... viele Fehler, sowohl mit dir, als auch was ihre Art zu regieren angeht. Sie hat den Befehl gegeben, Jiro umzubringen... Jiro, der mich seiner Zeit gerettet hatte und sein Leben wenn man es genau nimmt für mich gegeben hat...“ Die junge Frau dachte schwermütig an den Jungen, dem sie an sich so viel zu verdanken hatte, zurück. Es kam ihr vor, als sei es Jahrtausende her, dass sie an jenem verheißungsvollen Tag bei ihm in der Küche gesessen und er ihr das Angebot gemacht hatte, das ihn sein Leben hatte kosten sollen. Und sie merkte mit einem Mal, wie die Erinnerungen an ihn verblasst waren, fast so sehr wie die an ihre eigene Mutter oder Atti. Es war vorbei. Die Welt drehte sich zu schnell weiter, als dass man den Verlorenen lange hinterher sehen konnte. „Letztendlich gehört das, was sie getan hat, so hart es auch klingt, einfach zur Politik. Ich heiße es keinesfalls gut... aber ich kenne diese Fehler aus erster Hand, vertrau mir. Willst du ihr nicht noch eine Chance geben? Ich meine... es ist nicht gut, im Streit auseinander zu gehen... du weißt schließlich nicht, ob du sie noch einmal wiedersehen wirst, so hart es klingt, und dann tut es dir sicher Leid.“ Das musste ihm klar sein. Alles war vergänglich. Auch Leben. Viel zu schnell... „Du verstehst mich nicht.“, machte er nur eisig, völlig unpassend zur unbarmherzig scheinenden Sonne, „Chatgaia Setari gibt es für mich nicht mehr. Mir ist völlig gleich, ob sie hier im Dorf vor sich hinvegetiert oder in der großen Stadt sitzt und einen Kräutergarten pflegt, es gibt sie für mich nicht mehr.“ So einfach war das. Ihm war es recht gleich, was seine Freundin von seiner Tante dachte, wenn sie sie mochte, freute ihn das für sie, aber sie sollte ihn gefälligste damit in Frieden lassen, das war doch echt penetrant. Ein leichter Windhauch wehte ihm abermals Sand in die Augen und wieder musste er empört blinzeln. Was sollte das denn? Also echt! „Na schön.“, schnaubte Choraly im selben Moment, „Mir ist sie nicht völlig gleich und ich schaue jetzt erst einmal nach ihr, ehe ich diesen Idioten eröffne, dass du mit mir mitkommen wirst!Schließlich verschwinden nicht bei allen Leuten die Wunden ohne Grund mit einem Schlag.“ -- „Und Sie... entschuldigen Sie, wenn Sie meine ganze Fragerei als unverschämt empfinden, aber Sie können echt... zaubern? So richtig?! Mein Vater hat immer gesagt, es sei nur ein Märchen, dass es Leute wie Sie gibt, meine Oma hingegen war der Meinung, sie hätte sogar welche von Ihrer Sorte gekannt...“ Chatgaia dachte ihrerseits im Moment recht wenig an ihren Neffen, viel mehr war sie damit beschäftigt, den strohblonden, noch sehr sehr jungen Mann zu belächeln, der so freundlich war, ihren Arm richtig zu schienen. Er war ziemlich nervös in ihrer Gegenwart, wie es schien. Wie niedlich. Nun, sie verstand ihn, denn besonders viel anders ging es ihr nicht, wenn sie sich in dem komischen Innenraum der Flugmaschine umsah. Das hatte sie im Leben ja noch nie gesehen... Dank der seltsamen Tablette, die man ihr vor ein paar Minuten gegeben hatte, waren auch ihre Kopfschmerzen etwas abgeklungen und so war sie endlich wieder in der Lage, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Was ihr prompt neue Kopfschmerzen einbrachte. Verdammt, ihr schönes Dorf... Bis zum Oaseninneren war aber keiner von diesem Abschaum mehr gekommen, alle, die den ersten Angriff weitgehend unbeschadet überstanden hatten, waren noch am leben. Das war die Hauptsache. Allein wenn sie an die ganzen kleinen Kinder dachte.... Ihr fiel etwas ein. „Ja, ich kann zaubern, wenn du magst, zeige ich es dir nachher, aber zunächst würde mich interessieren, wo ihr Tafaye und Kirima hingebracht habt? Also der junge Mann mit dem weißblonden Haar und das Baby.“ Sie erinnerte sich daran, dass er ohnmächtig gewesen war und Choraly das kleine Mädchen in den Armen gehalten hatte, direkt darauf waren die Leute aus der großen Stadt angekommen und sie hatte irgendeine Frau gebeten, sich um Maigi zu kümmern, als die Schwärze sie selbst überkommen hatte. Als sie erwacht war, hatte sie sich in den Händen des netten Kerls hier befunden. Der im übrigen jetzt etwas überfragt schien. „Nun, ich habe die Flugmaschine noch nicht verlassen, man sagte mir, es sei zu gefährlich, ich sei noch zu jung. Wenn er verletzt war hat man ihn sicher auch in irgendeine Flugmaschine gebracht und das Baby... tja, tut mir Leid, da kann ich Ihnen nicht helfen. Aber ich bin mir sicher, es ist alles in Ordnung. Wenn Sie...“ Er wurde durch ein zaghaftes Pochen an der stählernen Außentür der Flugmaschine unterbrochen. Nanu? Dabei war er doch sicher gewesen, dass die Dame hier ihre Ruhe hatte... So wollte er es zunächst ignorieren, nach einem weiteren Klopfen entschloss er sich dann etwas irritiert, doch zu öffnen. Sollte er an sich nicht, aber wenn es wichtig war... Er erkannte die Person, die darauf vor ihm stand, sofort. Er hatte sie noch nie zuvor getroffen, aber er kannte sie von hunderten Lichtbildern und es irritierte ihn etwas, sie einmal ohne die Aufschrift „Findet meine Tochter!“ über ihrem Kopf zu sehen. Durfte er jetzt zu Uda Magafi rennen und laut „Gefunden!“ schreien? Nun ja, zuerst einmal höflich sein. „Guten Tag, Fräulein Magafi. Wie kann ich Ihnen helfen?“ Er verneigte sich leicht und das Mädchen erwiderte die Begrüßung lächelnd. „Guten Tag. Ich suche Chatgaia Setari, ich glaube, sie ist hier, nicht?“ Der Mann blinzelte. Wer hatte ihr das gesagt? Verletzte brauchten doch Ruhe! Lag vielleicht daran, dass sie so reich war oder so... „Hat mir niemand gesagt, ich gehe einfach davon aus.“, sprach sie da weiter und drängte sich an dem darauf hüstelnden Typen vorbei in den Innenraum. Sie war sensibel, noch immer. Und unbemerkt von allen um sie herum hatte sie eben diese Sensibilität gezähmt, sie steuern und für sich benutzen gelernt. Und kam sich ziemlich gut dabei vor, aber das musste ja niemand wissen. Für sie zählte nun bloß, dass sie Chatgaia gefunden hatte. Sie saß auf einem Untersuchungstisch und schaute nun überrascht zu ihr herüber. Und vor allen Dingen, sie schien mit einem Mal wesentlich gesünder und stärker, das war beruhigend. Sie musste lächeln. „Hallo Mama.“, der seltsame blonde Typ schnappte irritiert nach Luft, „Dir scheint es besser zu gehen, das freut mich sehr. Ich war besorgt, muss ich sagen. Und ich will mich noch mit dir unterhalten.“ Angesichts des hohen Ranges, den das Mädchen mit einem Mal wieder hatte, besaß es die Unverschämtheit, sich einfach auf eine kleine Kiste vor den Tisch zu setzen und den Kerl ignorierend eine Unterhaltung mit der Magierin zu starten. Das musste jetzt sein, wenn es diesen Wurm störte, sollte er eben verschwinden. Chatgaia schien ihrer Meinung zu sein, denn sie störte sich ebenfalls nicht an dem dumm schauenden Kerl. „Ja, es geht mir wirklich wieder besser. Gut, dass du da bist.“, sie grinste etwas verlegen, „Du... weißt, wie du mich glücklich machst, freches Ding.“ Ja, das wusste sie wirklich. Und jedes Mal wenn sie daran dachte, wie Mayora momentan von seiner Tante sprach, hatte sie das Bedürfnis, das auch zu tun. Wie auch immer. „Nun ja, ich will nicht lange um den heißen Brei herum reden, vorweg, Maigi konnte man noch helfen, man sagte, du hättest gute Vorarbeit geleistet. Wie dem auch sei, ich habe vorhin mit Mayorachen geredet...“ Sie wurde unterbrochen. „Was wurde aus seiner Verletzung?“ Das war eine berechtigte Frage. Und obwohl sie die meiste Zeit bei ihm gewesen war, konnte sie sie beim besten Willen nicht beantworten. „Ich... habe genau so gesehen wie du, dass er von dieser Kugel getroffen wurde... und... sein Hemd ist verblutet und hat ein Loch... aber hinter diesem Loch... ist nichts, nichts besonderes. Einfach nur seine Haut, keine Schramme hat er da! Ich verstehe es nicht, die Verletzungen, die ihm die Soldaten zugefügt haben, hat er doch auch noch...“ Es ergab keinen Sinn, es verängstigte sie einfach. In dem Moment, als er getroffen worden war, hatte sich seine Aura beunruhigend verändert... sie war unruhig geworden... Die Grünhaarige war zu ihrer Verwunderung nicht wirklich überrascht. „Hör mir zu, ich will dir etwas über deinen Freund sagen.“, begann sie bloß ernst, „Mayora ist etwas, das es eigentlich schon seit langer Zeit nicht mehr gibt... oder zumindest geben sollte. Man nennt es Götterkind, wobei diese Bezeichnung nicht ideal ist, da wir das an sich alle sind,die Götter sorgen für uns alle, selbst für Ungläubige wie Imera. Nun, egal, ich verstehe auch nicht, weshalb die Götter des Wassers gewollt haben, dass Mayora so wird, es ergibt für mich keinen Sinn...“ Als sie eine Pause machte, hakte Choraly nach. „Weshalb, was bedeutet das?“ Die Ältere hoffte bloß, dass sie mit ihrem Wissen wirklich richtig lag. „Nun ja, Götterkind heißt an sich nichts anderes als Kind zweier Götter und das läuft wohl darauf hinaus, dass eben dieses Kind auch nichts anderes sein kann. Man sagt, Götterkinder vertreten ihren Stamm auf unserer Welt, um irgendetwas wichtiges zu erreichen. Früher, als unser Planet noch jung war, gab es... viele ist übertrieben, aber öfters solche Kinder, die unbemerkt unseren Lebensraum und letztendlich auch uns nach dem Willen ihrer Ahnen geformt haben. Es ist ganz typisch für diese Kinder, ihre gesamte Kindheit und Jugend gar nichts davon mitbekommen zu haben und mit ihren Wünschen und Sehnsüchten dennoch das zu tun, was von ihnen verlangt wird... irgendwo, auf einer anderen Ebene. Sobald sie es merken, und das ist nun mit meinem Neffen geschehen, kann es gefährlich werden – letztendlich wohnen diese mächtige Geister in normalen Magierkörpern und haben auch ganz normale Bedürfnisse und Wünsche. Zum Beispiel nach Liebe. Oder aber nach Macht. Letzteres schließe ich bei Mayora aus, aber er ist verwirrt und leicht zu reizen, fürchte ich, wenn er richtig sauer wird, könnte er ganz fürchterliche Dinge tun. Obwohl... er ist ein guter Junge.“ Die Jüngere hatte aufmerksam gelauscht und war nun tatsächlich etwas überrascht. Ihre Missgeburt war so ein toller Hecht? Na sowas! Was das genau bedeuten wollte, erschloss sich ihr jedoch nicht. „Und das heißt im Klartext? Ich meine... ich kenne mich in eurer Geschichte nicht aus, das erschließt sich mir nicht ganz.“ Die Ältere seufzte, dann sprach sie ganz leise weiter. „Ich bin mir nicht sicher... und wenn es stimmen sollte, dann garantiere ich dir, dass er es nicht mit Absicht getan hat, sondern einfach aus einer tiefen Sehnsucht heraus, von der er vermutlich überhaupt nichts gewusst hat ... aber ich denke, er hat gewollt, dass du zu uns kommst.“ Das waren klare Worte gewesen und es tat dem Dorfoberhaupt Leid, mitansehen zu müssen, wie ihr Gegenüber erbleichte, als ihm klar wurde, was das hieß. Der blonde Kerl kratzte sich derweil bloß perplex am Kopf. Er kam echt nicht mehr mit... Choraly schon. Sie senkte ernüchtert ihren Blick und musste zunächst einige Male schwer schlucken, ehe sie etwas erwidern konnte. „Er wollte, dass zwei der wichtigsten Menschen in meinem bisherigen Leben sterben, bloß, damit ich bei ihm bin und er was zum lieb haben hat, das... ist der Egoismus der Jahrhunderts.“ Sie fragte sich, was sie nun tun sollte. Er hatte sie an sich gebunden, sie liebte ihn und irgendwie konnte sie ihm noch nicht einmal wütend sein, zu unwirklich war das Ganze. Chatgaia legte ihr ihre gesunde Hand auf die Schulter. „So darfst du das nicht sehen.“, bat sie, „Wie gesagt, er hat es wenn überhaupt aus einer ganz tiefen Sehnsucht heraus getan. Irgendwo in sich wusste er, dass nur du zu ihm gehörst und er hat dich gebraucht, denke ich. Götterkinder bestimmen das Schicksal, wenn du jetzt sauer auf ihn wärst, wäre es das selbe, als wenn du die Götter verfluchst, weil ein 15 Jahre alter Hund gestorben ist. Es sollte einfach sein. Egal, was er unbewusst tut, es ist Recht. Unrecht wird es bloß, wenn er es durch sein sterbliches Denken tut. Es ist schwierig, aber ich finde, auch wenn du ein Recht hast, das zu wissen, solltest du es ihm nicht sagen. Er weiß es mehr oder minder selbst, wenn er mitbekommt, dass du dir darüber zusätzlich Gedanken machst, verunsichert ihn das nur.“ Sie wollte nichts weiteres mehr dazu sagen. Man konnte mit dieser Gewissheit so verdammt weit denken, man konnte sich vorstellen, dass der Junge unterbewusst vielleicht sogar wollte, dass dieses Gespräch in diesem Moment statt fand, aber das war beängstigend. Unwissenheit in diesem Gebiet konnte wirklich angenehmer sein. Choraly riss sie aus ihren Gedanken, als sie ihr wieder ins Gesicht sah. Keineswegs traurig oder verunsichert, es war ein neutraler, standhafter Blick. „Ich danke dir dafür, dass du mir das gesagt hast. Ich werde damit leben können... und ich werde deinem Rat nachkommen und mein Wissen für mich selbst behalten. Ich liebe diesen verdammten Kerl, Himmel!“ Sie lächelte. Chatgaia tat es auch. Es war Recht so. Und mit einem Mal kam dem Mädchen wieder, weshalb es eigentlich hier angetanzt war. Wegen ihres Gesprächs mit der Missgeburt, genau. „Was ich eigentlich sagen wollte...“, setzte sie so wieder an und griff nach einem Stift, der neben ihrem Gegenüber gelegen hatte, um unbewusst damit herumzuspielen. Es war ein anständiger Stift, kein dummes Kohleteil, wie man es hier in der Wüste üblicherweise hatte. „Ich werde nach Wakawariwa zurückkehren. Und Mayora wird mitkommen, auch auf die Gefahr hin, dass mein Vater nicht so begeistert von ihm sein wird. Ich denke mal, wenn sein Geist sich weitgehend unterbewusst steuert, wird er meinen Vater nicht einfach manipulieren können, oder? Wie auch immer, er wird mitkommen, weil er meinte, hier würde ihn nichts mehr halten und du... seist für ihn gestorben.“ Sie wandte den Blick etwas verlegen ab. Irgendwie hatte sie das Gefühl, als mische sie sich in etwas ein, was sie gar nichts anginge, aber hey, es ging hier um die Leute, die so viele Monate ihre Familie gewesen waren... „Ich kann das nicht akzeptieren.“, gab sie so zu, „Ich meine... irgendwann wird er dir sicher verzeihen können, und dann könnt ihr euch nicht mehr einigen, ich... ich will das nicht.“ Sie wollte eine heile Familie, warum machten ihr es bloß immer alle so schwer? Ähnliche Gedanken hatte auch ihr Gegenüber, dessen Blick sich auf dem seltsamen Stift in Choralys Hand festgefahren hatte. „Ich werde ihn nicht aufhalten können.“, erwiderte es unterdrückt deprimiert, „Auch wenn es mir ebenfalls besser ginge, hätten wir eine Gelegenheit, diese Sache aus der Welt zu schaffen. Aber ich habe es bereits geahnt... ich wusste, dass es irgendwann irgendwie so kommen würde.“ Ja, wenn sie ehrlich war, hatte sie bereits in dem Moment, in dem sie Choraly zum ersten Mal in ihrem Leben gesehen hatte, gewusst, dass diese das Dorf irgendwann wieder verlassen würde... und kurz darauf hatte sie auch gewusst, mit wem. Und es verdrängt, der Einfachheit halber. Mit dem, was die junge Frau daraufhin erwiderte, hätte sie jedoch nicht gerechnet. „Chatgaia, ich möchte, dass du mitkommst und das klärst, damit wir alle unseren Frieden haben!“ Sie blinzelte verwirrt und die Jüngere knallte den Stift ungeahnt heftig wieder auf den metallenen Tisch neben ihr Gegenüber. „Was?“ „Egal, wie wir es drehen, Mayora hat doch Recht mit seiner Wut auf dich! Was mich nervt ist bloß, dass er im Moment einfach so ein verdammt sturer Bock ist! Du musst einsehen, dass du dich entschuldigen musst und er muss einsehen, dass es am besten für alle ist, wenn er diese Entschuldigung annimmt. Aber es ist zu viel geschehen, als dass so kurzfristig eine wichtige Entscheidung getroffen werden könnte, also müssen wir einen Kompromiss finden, nicht? Ich werde auf jeden Fall mitgehen und die dafür eigens angereiste Flugmaschine wird sicher keine halbes Jahr warten, bis mit euch beiden wieder alles im Reinen ist, also wäre es am einfachsten, wenn du vorerst mit uns kommst. Nicht für immer, nur, bis alles wieder klar ist mit euch beiden, wenn du dann zurückkommst ist das Dorf vermutlich auch wieder halbwegs schön, die guten Leute von zuhause wollen nämlich beim Wiederaufbau helfen.“ Choraly fand, das klang logisch. Und es war die einzige Lösung, die ihr für die ganze Problematik einfiel, sie wollte einfach Gerechtigkeit und kam nicht damit klar, dass zwischen Tante und Neffe Unfrieden herrschte. In Chatgaias Augen war das nicht ganz so simpel. „Das klingt alles sehr einfach, wie du das da sagst.“, machte sie ernst, „Aber vergisst du nicht ein paar Kleinigkeiten? Ich bin das Oberhaupt dieses Dorfes, ich kann es in einer solchen Krise doch nicht einfach verlassen, wie scheint denn das?“ So gern sie ihr Angebot angenommen hätte, das brachte nur Schande. Die Jüngere schnaubte empört. „Wie scheint denn das?“, äffte sie die Ältere mit verstellter Stimme nach, „Ich sage dir etwas, ich habe mein ganzes Leben nach dem äußeren Schein gelebt, ohne zu merken, wie sehr ich es doch eigentlich hasse, denn der Schein ist nichts wert! Es gibt wichtigere Dinge und die Familie gehört eindeutig dazu! Natürlich bist du Oberhaupt dieses Dorfes, dann suche dir halt so lange eine Vertretung oder so, es ist ja nicht für ewig! Von mir aus lass verbreiten, dass du irgendetwas politisches klären musst, oder so, aber sei für deinen Neffen da!“ Sei für ihn da, ja, das war gut gesagt. Sie war für ihn da gewesen, auf eine Weise, die er nicht gemocht hatte und jetzt sollte sie ihm beweisen, dass sie es auch so konnte, wie sie es eigentlich sollte? Das klang schwierig... und logisch. Ebenso schwierig, wie es war, den Schein aufzugeben. Choraly hatte von einem Kompromiss gesprochen. „Angenommen, ich würde mit dir kommen... du hast gerade gemeint, ich solle verbreiten lassen, ich hätte politisches zu klären. Wenn man es genau nimmt habe ich das sogar. Vielleicht kann ich ja dafür sorgen, dass man uns weiterhin in Ruhe lässt? Dann wäre ich bereit, mit dir zu kommen, denke ich. Aber du musst mir schwören, dass ich wieder zurückkehren kann, denn ich fürchte, in der großen Stadt werde ich auf Dauer sterben...“ Sie senkte von ihren eigenen Worten verunsichert den Blick, bemerkte so gar nicht, wie ihr Gegenüber erstrahlte. Eine Magafi bekam eben immer ihren Willen. Aber eine Magafi war auch nicht mehr als ein Mensch. Sie erhob sich, um sich darauf tief zu verneigen. „Ich danke dir!“ Chatgaia blinzelte nur irritiert. Mit einem einfachen „Bitte“ war es nicht getan, so erhob sie sich selbst und war überrascht, dass das Schwindelgefühl, das sie mit einem Mal überkam, wesentlich geringer war, als sie je vermutet hätte. Diese Medizin war wahrlich ein Höllenzeug. „Wir wollen diese guten Leute nicht zu lange warten lassen, so will ich gleich für die Wahrmachung meiner Worte sorgen, indem ich mich mit jemanden unterhalte, der sich um alles Weitere hier kümmern kann. Regel du das mit deinen Leuten und mit Mayora, wir sehen uns nachher wieder – ich nehme an, du findest mich eh.“ Sie schritt langsam Richtung Tür, die der schwer verwirrte junge Mann ihr geistesgegenwärtig öffnete. Gedankt bekam er es damit, dass sie kurz mit einer brennenden Hand vor seinem Gesicht herum wedelte. Sie stand zu ihrem Wort. -- „Ich bin froh, dass es dir wieder besser geht.“ „Das Selbe kann ich doch zu dir sagen. Du wolltest mit mir reden?“ Das Dorfoberhaupt hatte sich etwas erschrocken, als sie mitbekommen hatte, wie ausgezehrt Imera gewesen war. In ihren Augen war er das noch immer, aber laut Vembaci Kaera hatte sich seine Verfassung bereits stark verbessert. Sein Glück, sie brauchte ihn gerade. Ihn ging die ganze Sache schließlich auch etwas an. Möglicherweise sogar mehr, als er ahnte. „Ja, wollte ich.“, begann sie so, „Ich will auch gleich auf den Punkt kommen, es ist so, dass Mayora und Choraly gemeinsam in die große Stadt gehen wollen. Und ich werde vorerst mitgehen.“ Er weitete seine blauen Augen minimal. Mitgehen? Was sagte sie da, sie konnte doch nicht einfach so verschwinden, das ging doch nicht, sie war das Dorfoberhaupt! Und sie erriet seine Gedanken. „Ich werde wieder zurückkehren, so schnell wie möglich. Ich... brauche etwas Zeit mit deinem Bruder, damit sich das ganze wieder etwas einpendelt... ich denke, du hast das mitbekommen? Außerdem ist unser Dorf jetzt der Welt bekannt und das ist verdammt gefährlich, ich muss dafür sorgen, dass man uns in Ruhe lässt... mach dir keine Sorgen, ich komme wieder, ich brauche die Sonne über Thilia.“ Sie zwang sich zu einem leichten Lächeln und er kratzte sich am Kopf und sah sich um. Sie waren etwas in das zerstörte Dorf hineingegangen, niemand außer ihnen war hier... irgendwie erschien es ihm an diesem Ort gerade gruselig, obwohl er ganz in der Nähe viele Jahre lang gelebt hatte. Aber da hatte es ja auch noch anders ausgesehen... „Na gut...“, lenkte er sich selbst von seinem Umfeld ab, „Damit werde ich wohl leben können und müssen, aber was machen wir hier?“ Die Frau lächelte weiter. „Zunächst einmal habe ich noch eine Bitte an dich, Imera.“, aus dem Lächeln wurde ein Grinsen, „Halte mich nicht für verrückt und verstehe mich nicht falsch, aber so lange ich weg bin möchte ich, dass du auf diesen Ort aufpasst, okay? Vergesse den Papierkram, den mache ich, wenn ich zurückkomme, es geht einfach darum, dass du die Leute hier etwas im Zaum hältst.“ Sie hatte geahnt, dass ihm seine Gesichtszüge dennoch entgleisen würden und sollte Recht behalten. Ja, sie verstand ja auch, weshalb und sah sich berechtigt gezwungen, ihre Bitte weiter zu erläutern. „Die Leute hier haben im Moment einen ziemlichen Respekt vor dir, Imera. Du hast ihnen eindrucksvoll bewiesen, dass du kein Nichtsnutz bist. Außerdem ist dieses Dorf seit jeher immer in der Hand meiner Familie, ich kann nicht zulassen, dass sich das ändert, auch nicht bloß für ein paar Wochen, so einfach ist das. Bitte, tu mit den Gefallen, ich weiß, du kannst das. Du bist nicht dumm.“ Einige Momente vergingen, in denen er sie darauf bloß stumm anstarrte. Der Wind wehte ihm den widerlichen Geruch von verbranntem Fleisch zu und er erbleichte, als er zur Antwort ansetzte. „Ich kann einer Königin wohl kaum einen Wunsch abschlagen, oder?“ Das konnte er wirklich nicht und so konnte er sich wenigstens an ihrem erleichterten Gesicht erfreuen. Er mochte es nicht, wenn sie gestresst war. Und er mochte den Gedanken nicht, dass sie ihn eine Weile hier allein ließ. Dabei hätte es ohne Mayora und Choraly so einfach sein können... Er senkte den Blick seufzend. „Ich... werde dich sicher sehr vermissen, Königin.“ Es schmerzte ihn, wenn er an ihre Abwesenheit dachte. Sie fehlte dann doch so. Und sie lächelte nur etwas errötet. „Ich werde dich auch sehr vermissen, aber wir sehen uns ja wieder, das verspreche ich dir. Außerdem kommt es doch ganz gut gerade... dann kannst du dich besser auf Lilli konzentrieren, nicht? Ich würde es sehr gut heißen, wenn du sie zur Frau nehmen würdest, sie hat es gewiss nicht leicht, aber das ist dir ja nicht unbekannt, wie ich annehme.“ Ja, da hatte sie Recht. Er war ja schon eine ganze Weile ziemlich verliebt in sie und jetzt bekam er endlich mal die Chance, die ihm schon seit Ewigkeiten zustand, wie er fand. Auch wenn er noch immer das Gefühl hatte, Jiro die Frau auszuspannen, aber der polierte ihm sicher nicht mehr die Fresse dafür... Und dennoch... „Trotzdem werde ich dich vermissen, es ist zu viel passiert, als dass ich das einfach abstellen könnte.“ Das war ihr auch klar, aber sie musste ihn doch auf die positiven Seiten ihrer Abwesenheit hinweisen, nicht? „Natürlich, das ist mir auch klar.“, machte sie so auch nur leise und trat einen Schritt auf ihn zu, „Ich denke, wir sollten uns schon einmal inoffiziell voneinander verabschieden, nicht?“ Er verstand, was sie meinte und nickte leicht, sie einen Moment einfach nur ansehend. In genau diesem Augenblick versuchte er sich alles einzuprägen, ihre hübschen, orangenen Augen, ihr zartes, blasses Gesicht und ihre sanfte Stimme, die kurz zuvor noch zu ihm gesprochen hatte. Wer wusste schon, wie lange sie in der großen Stadt bleiben würde? Immerhin hatte er Lichtbilder... Ihr leises Wispern riss ihn aus den Gedanken an die Entstehung Letzterer. „Wir sehen uns wieder.“ Dann reckte sie sich langsam, fast schon andächtig, bis ihre Lippen seine mit ungeahnter Sanftheit berührten und in ihm ein bekanntes Kribbeln auslösten, dass er bald so sehr vermissen musste. -------------------- Linnis Kappi Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)