Wüstenkinder von -Izumi- (Fortsetzung zu "Kinder des Wassers") ================================================================================ Kapitel 4: Kästchen im Schrank ------------------------------ „War diese Arbeit nicht unter unserer Würde, liebe Mama?“ Serenka überflog stirnrunzelnd den kleinen Zettel, den er in den Händen hielt, während er mit seiner Mutter reichlich früh am Morgen durch das erwachende Dorf schritt. Zum Schneider wollten sie. Ungewohnte Sache, der Junge hatte bisher nie in eine Schneiderei gemusst, die guten Leute waren immer in sein Anwesen gekommen, um Maß zu nehmen und die fertigen Klamotten zu bringen, hier in der Oase war das leider anders. Genau so wie die Zeit, in der es galt, das zumindest halbwegs bequeme Bett zu verlassen. Die Wüste erwachte früh, hatte er sich sagen lassen müssen. So war er artig aufgestanden und hatte seiner Mama geholfen, die ganze Familie zu vermessen und hatte sich gewundert, dass scheinbar auch in dem anderen Haus, in dem sein bester Freund wohnte, die selbe Moral herrschte. Alle waren früh auf den Beinen, sein eigener Vater hatte sich an diesem Tag auf den Weg zur Station gemacht, um irgendwie zu arbeiten und so mussten sie sich etwas beeilen, damit Takoda nicht zu lange allein war. Ja, der war einmal mehr die Ausnahme, Takoda durfte immer so lang schlafen, wie er wollte und der große Bruder durfte es ihm noch nicht einmal übel nehmen. Krankheitsbedingt hatte er starke Schlafstörungen und so musste man ihm jede mögliche ruhige Minute lassen. Schlafstörungen... der Junge war insgesamt etwas sehr gestört. „Das hat nichts mit Würde zu tun, Serenka.“, antwortete seine Mutter da und er sah zu ihr auf. Aussehen war gut gesagt, sie waren beinahe gleich groß. „Es hätte einfach viel zu lang gedauert, den Herrn Schneider uns alle vermessen zu lassen. Er hat schließlich noch andere Kunden, das würde den ganzen Betrieb aufhalten.“ Das klang einleuchtend. Er seufzte bezaubert. „Deine unendliche Weitsicht wundert mich immer wieder, liebe Mama.“, lächelnd ergriff er ihre Hand, „Du hast natürlich völlig Recht. Wie immer.“ Sie erwiderte nichts darauf. Abstreiten hatte ohnehin keinen Sinn, zumal er doch irgendwie Recht hatte. Nein... natürlich nicht, aber dennoch, davon war er nicht abzubringen. Sie hatte es aufgegeben. Es war ihr einfach eine Ehre, dass er so an ihr hing, mehr nicht. Als sie die kleine Schneiderei erreichten, ließ sie ihn jedoch los, nicht zuletzt, da sie sich beim Betreten im Angesicht eines jungen Mädchens befanden. Noch etwas müde lehnte es an der Theke und blinzelte bei den ihr völlig unbekannten Kunden. Wie seltsam, normalerweise kannte sie die Leute aus dem Ort doch? „Guten Morgen!“, machte es dennoch höflich und stellte sich gerade auf, „Wie kann ich helfen?“ Chatgaia erwiderte ihren Gruß sachlich. „Guten Morgen. Kleidung brauchen wir, wie du dir vielleicht bereits denken kannst. Mein Sohn hat eine Liste mit allen Familienmitgliedern. Das ganze Programm ist benötigt, wir kommen aus der Stadt und haben fast nichts aus Kaliri-Stoff, das ist problematisch.“ Die Jüngere nahm den Zettel von Serenka irritiert an, sah nach einem kurzen Blick darauf wieder auf. „Das wird etwas dauern, fürchte ich.“ Für so viele Personen genügend Klamotten anzufertigen war eine wirklich heftige Aufgabe. Sie hoffte, dass ihr Vater noch ein paar Sachen in angegebenen Maßen auf Lager hatte, ansonsten war das bloß schwer in annehmbarer Zeit zu schaffen. Auf ihre Feststellung bekam sie bloß eine eher sehr unpassende Frage von dem fremden Jungen. „Musst du nicht zur Schule?“ Sie blinzelte. „Bitte was? Äh... nein, muss ich nicht, ich bin gerade fertig geworden...“ Chatgaia wollte gerade dazu ansetzen, ihrem Sohn zu erklären, dass Menschen hier bloß bis zu ihrem 14. Lebensjahr zur Schule gingen, da kam der Schneider persönlich in seinen kleinen Laden und staunte unverzüglich nicht schlecht bei dem Anblick seiner Kundschaft. Natürlich hatte auch er mitbekommen, dass da jemand aus der großen Stadt gekommen war und sicherlich hatte auch er gehofft, dass es sich um die ausgerissenen Thilianer handelte, dass sie es wirklich waren, hatte er aber kaum für möglich gehalten. Wer kehrte schon in die Wüste zurück, wenn er in einer tollen Stadt leben konnte? Nicht, dass er je in einer gelebt hätte... Tafaye Alhatfa hatte sich kaum verändert, stellte das ehemalige Dorfoberhaupt grinsend fest, als er auf sie zutrat und sie mit einem ehrfürchtigen Handkuss begrüßte. „Ich bin zutiefst überrascht Euch noch einmal hier wiedersehen zu dürfen! Aber erfreut, so viel Schönheit in meinem bescheidenen Laden...“ An sich war es als Himmelsblüterin ja nicht schwer, die Schönheit im Alter zu wahren, aber dennoch war es erwähnenswert. Magier sein machte schließlich nicht automatisch hübsch, die grünhaarige Frau war es jedoch. Und ihr Respekt zu zollen war garantiert nicht schlecht, sie war immerhin noch immer sehr mächtig. Wobei es ihn wirklich zum Lachen gebracht hatte, als er vor einigen Jahren erfahren hatte, dass sie sich ausgerechnet in der von ihr verhassten großen Stadt in den Vater der lieben Choraly verliebt und diesen auch geehelicht, ihm ja sogar ein Kind geschenkt hatte. Er schielte zu dem Jungen, der mit etwas Fantasie tatsächlich ein wenig Ähnlichkeit mit dem Mädchen von damals hatte. Sehr amüsant. „Nun einmal nicht so förmlich.“, bestimmte das ehemalige Dorfoberhaupt da und er nickte grinsend, „Ja, wir sind eine Weile da, das Leben in der Stadt ist für uns im Moment zu riskant, um es kurz zu machen. Ich habe Kirima bereits einen Zettel zukommen lassen mit den Maßen der Meute, wir brauchen deine guten Klamotten in der Zeit hier.“ Das Mädchen erschreckte sich etwas, weil die fremde Frau ihren Namen kannte, wurde aber beiläufig von dem etwa gleichaltrigen Jungen diesbezüglich aufgeklärt. „Meine Mutter ist einmal Oberhaupt dieses netten kleinen Ortes gewesen.“, er lächelte ihr höflich zu, „Chatgaia... Setari, ich nehme an, Ihr habt bereits von ihr gehört, meine Teuerste?“ Ja, das hatte sie. Auch wenn ihr Vater nicht viel von der Zeit vor ihrer Geburt erzählte, so hatte sie von Chatgaia durchaus gehört. Eine fabelhafte Feuermagierin und Heilerin sollte sie gewesen sein... oder war es auch noch, sie hatte ja keine Ahnung. An einer Antwort darauf hinderte seine Art zu sprechen. Der war fein und adlig und so etwas, am Ende sagte sie noch etwas, was ihn verärgerte... Tafaye seinerseits war ebenso überrascht. „Meine Güte!“, machte er an den Jungen gewandt, „Und da werde ich gebeten, nicht so förmlich zu sein!“ Serenka errötete, erwiderte jedoch nichts. Er war anders, das wusste er. Seiner Meinung nach war sein Verhalten allerdings das einzig Richtige. Einerseits töricht, sich derart gegen die Masse zu stellen, aber was war schon dabei, wenn er in Worten sprach und die Kleidung trug, die seinem Stand entsprach? Und vor allen Dingen, wenn er etwas tat, was an sich jeder tun sollte; seine Mutter ehren? Oh ja, er lag ihr zu Füßen und war stolz darauf, sie war einfach so eine wundervolle Frau, sie verdiente es! Und so verteidigte sie ihn in seinen Augen auch. „Mein Sohn ist nun einmal etwas speziell, ich weiß nicht so genau, weshalb. Er meint es nicht so hochgestochen, wie er spricht, nicht?“ Zur Antwort strahlte er seine Mama beinahe verliebt an. Sie war so toll! Der Schneider und seine Tochter schenkten sich dabei bloß unauffällig vielsagende Blicke, wobei der Vater unabsichtlich darauf an das jetzige Dorfoberhaupt denken musste – aber so krank schätzte er den Jungen dann auch wieder nicht ein. Was daraus wohl geworden war...? -- Choraly hatte gerade andere Probleme. So lange sie damals auch in Thilia gelebt hatte, nie hatte sie Bekanntschaft mit dieser Person gemacht, dabei war es gar nicht so abwegig gewesen. So saß sie nun zum ersten Mal auf der anderen Seite des Schreibtisches des Schulleiters des Wüstendorfes, allein, im Übrigen. Mayora wollte sich aus welchen Gründen auch immer mit den anderen Heilern im Ort beraten und ihre Kinder... hatten keine Lust gehabt. Diese Fiesen. Lillianns Vater war ihr gruselig, als er sie unfreundlich musterte. Irgendwie schien er furchtbar unzufrieden zu sein, weshalb auch immer. „Ist Ihnen unsere kleine, schäbige Dorfschule etwa wirklich gut genug für Ihre werten, adligen Kinder?“ Ein Schwall von Hohn und Spott schwang in seiner Stimme mit, als er sie das fragte und sich etwas über seinen alten, morschen Schreibtisch beugte. Sie saß regungslos auf ihrem Stuhl. Himmel, bei diesem Herrn war sie sich wirklich nicht so sicher, ob es ernsthaft eine gute Idee war, ihre armen Kleinen hier hin zu lassen... Ihr Vater würde darauf jedoch schimpfen, es gab keinen Rückzieher, wie alt war sie denn? „Es wäre uns eine Ehre, wenn unsere Kinder hier unterrichtet werden könnten, mein Herr.“, machte sie so gefasst und ihr Gegenüber nickte und schob ihr darauf schnaubend eine Liste vor die Nase. „Gut, dann tragen Sie die entzückenden Kleinen doch bitte gleich da ein.“ Na der war gut, sie konnte diese Schrift kaum noch. Jetzt schrieb sie sicher die Namen ihrer eigenen Kinder falsch... Himmel, die würden es auch nicht leicht haben hier... Dabei fiel ihr noch etwas ein. Natürlich, ihre Stiefmutter hatte sie ja noch um etwas gebeten! Und das bei diesem grantigen Kerl, na gut... „Eine Sache noch.“, sprach sie so tapfer und ihr Gegenüber hob seltsam schauend eine Braue, „Mein jüngster Bruder, Takoda, ist nicht so, wie die anderen Kinder... also er ist krank. Und etwas zurück, fürchte ich, wenn sie verstehen, was ich meine... ich glaube, er wird im normalen Unterricht nicht klar kommen, zuhause wurde er auch separat unterrichtet, denken Sie, da gibt es irgendwelche Möglichkeiten?“ Zumindest war sie zuversichtlich, dass der arme Junge sich hier nicht in Lebensgefahr befand, wenn er einen Lehrer hatte. Der Ältere musterte sie eine Weile und ließ sich dann im Stuhl zurücksinken, kratzte sich dann nachdenklich am Kopf. „Wenn ich das als Bitte verstehen darf, dann kann ich das jemandem wie Ihnen wohl kaum abschlagen, wie? Nun ja... fragen sie Lilliann, sie kann sich um den Jungen kümmern. Wenn sie nicht will... dann haben Sie Pech, so Leid es mir auch tut.“ -- Takoda seinerseits war gleichermaßen sauer, wie auch stolz. Ganz allein war er gewesen, als er aufgewacht war, niemand war im Haus gewesen! In dem fremden Haus, im übrigen, daran gewöhnt hatte er sich noch lange nicht. Aber er war sehr erwachsen gewesen, fand er. Er konnte sich nämlich allein anziehen und kämmen, im Gegensatz zu seinem großen Bruder, der gar keinen Antrieb zur Selbstständigkeit besaß. Der Jüngere verstand das nicht. Warum verließ er sich immer so sehr auf die Hilfe von Anderen? Er seinerseits hasste es, in vielen Bereichen auf eben diesen Beistand abgewiesen zu sein und daran nie etwas ändern zu können. Krank... warum ausgerechnet er? Alle anderen waren gesund! Das war doch gemein... Er starrte deprimiert auf seine Füße, während er durch die Hitze des Wüstendorfes schritt und bemerkte gar nicht, dass er auf jemanden zurannte und im Begriff war, in ihn herein zu rennen. „Vorsicht!“, lachte eben dieser Jemand gerade noch rechtzeitig und fing ihn mit den Händen ab. Der Junge errötete, als er aufsah. „Ich bin so ein Trottel, ich denke!“, schimpfte er darauf dann über sich selbst und der Mann tätschelte ihm den Kopf. „Entweder das und ich bin auch einer, weil mir sowas auch gelegentlich passiert, oder du warst einfach etwas unachtsam. Macht doch nichts.“ Er lächelte. Takoda war wirklich froh, dass er keinen völlig Fremden getroffen hatte, seinen anderen Cousin kannte er zumindest vom Vorabend aus flüchtig. Imera hieß er... Moment einmal. Er blinzelte verwundert. „Musst du nicht König sein, ich denke?“ Ja, genau, so etwas hatte man doch erwähnt? Er war König von Thilia oder so etwas... Scheinbar lag er falsch, denn der Ältere lachte verwirrt. „König? Ähm – nö. Dorfoberhaupt, wenn überhaupt. Auf mich hört hier eh niemand, aber hey, nur wegen mir ist es hier so schick.“, er hielt einen Moment inne, „Na gut, also schick im Sinne von dem, was ich kenne, da wo du herkommst ist es sicher noch viel schicker. Aber sag, wo sind denn die Anderen?“ Er konnte sich nicht vorstellen, dass Chatgaia ihren Sohn ganz allein auf die Straße gelassen hatte. Nun ja, Serenka vielleicht schon, aber Takoda war doch, wenn er das richtig verstanden hatte, anders...? Was wäre denn, wenn er zufällig zu den Klippen liefe? Von grausigen Erinnerungen gepackt verschwand das Grinsen des Mannes einen Moment. Das war wirklich extrem unvorsichtig, fand er. Der Junge schenkte ihm darauf einen etwas verzweifelten Blick. „Die sind alle einfach nicht da! Ich wollte sie suchen!“, er seufzte etwas, „Auf dem Tisch lag ein Zettel, der war für mich, ich denke. Ich konnte ihn aber nicht lesen. Ich kann fast gar nicht lesen... ich bin nämlich etwas dumm, ich denke.“ Fast gar nicht lesen? Na, das kannte er doch irgendwo her. Oh ja, er verstand den armen Kerl. „Ich glaube, es ist nicht gut, wenn du so ganz allein durch einen dir völlig fremden Ort rennst, Takoda.“, sprach er so ernst, „Magst du vielleicht etwas zu mir kommen? Ich meine, ich habe noch ein bisschen etwas zu tun, aber das wäre mir wirklich lieber... ich denke, wenn ich an deiner Stelle wäre, wäre es mir gruselig, ohne jemanden, den ich kenne, durch Thilia zu rennen.“ Der Grünhaarige blinzelte. Das war aber ein sehr nettes Angebot, fand er. So ein lieber Kerl. Er mochte den Wüstenkönig! „Das finde ich aber viel lieb von dir! Du bist nett, ich denke.“ Imera gluckste, als er nach seiner Hand griff und fröhlich vor sich hin kicherte. Nanu? Man merkte ihm seine zwölf Jahre wirklich kaum an, der Arme... „Woher hast du denn die hübschen blauen Augen?“ Der Mann fragte beiläufig, als er dem Kind seine Haustüre offen hielt und dieses sich wieder in dem vom Vorabend bekannten Gebäude befand. Moment, hier wohnte doch auch dieser komische Kerl, der immer so gruselige Sachen sagte? Himmel, der war wirklich unsympathisch... „Na ja, also soweit ich mich erinnere, waren die schon immer da. Also, seit ich ein Baby-Takoda war, ich denke.“ Folglich war er also damit zur Welt gekommen. Was war das eigentlich für eine doofe Frage, hatten nicht alle Leute automatisch Augen? Imera lachte bloß. „Ja, okay, das ist wohl wahr, da hast du sicher Recht.“ Er hatte eigentlich die Farbe gemeint, die nicht ganz in den Familienzweig passte, aber er kannte ja nicht die Vorfahrenschaft der Magafis, war an sich auch egal. Viel wichtiger war, was machte er jetzt mit dem Jungen? Allein lassen kam nun wirklich nicht in Frage, aber er hatte echt noch zu tun. Er hatte in den letzten Wochen wirklich zu viel auf Maigi abgewälzt... Maigi arbeitete für ihn. Mit Papierkram kannte er sich gut aus, auf Grund seiner vorherigen Karriere, in die er für nichts auf der Welt zurück kehren hatte wollen. Zu viele Erinnerungen... schlechte Erinnerungen. Das hatte ihm jeder nachgesehen. Mittlerweile gehörte er zu Thilia wie die Kaliri-Bäume, er war nicht mehr wegzudenken. Dabei hatte er es so schwer gehabt. Das Dorfoberhaupt dachte seufzend an den Jüngeren, den er inzwischen als seinen Freund bezeichnen konnte, als er gefolgt von Takoda sein kleines Arbeitszimmer betrat. Zunächst einmal hatte es sehr lange gedauert, bis er überhaupt wieder belastbar gewesen war. Pinita hatte ihn damals wirklich heftig getroffen, er hatte noch lange Zeit danach an den Spätfolgen gelitten. Außerdem war er ja zeitgleich Vater geworden und seine damalige Verlobte, heutige Ehefrau, war blind und brauchte dementsprechend von Beginn an viel Hilfe bei der Umsorgung des Kindes. All das war ihm gelungen und langsam war er genesen, doch vor dem Spott der Dorfleute hatte es auf Dauer nicht geschützt. Seine Vergangenheit war zu abstrus, um sie geheim zu halten, jeder hatte „Dafi“ gekannt und hatten ihr wirkliches Ich darauf nur mehr als lächerlich gefunden. Er hatte sich an den Spott gewöhnen müssen. Inzwischen genoss er durch seine nicht zu verachtende Intelligenz aber bei den meisten höchsten Respekt, obgleich man hinter seinem Rücken noch immer über ihn sprach. Damit konnte er leben. Musste er. War an sich aber auch gleich. Imera seufzte, als er sich an seinen Schreibtisch setzte. Schreiben, furchtbar. „Ich muss jetzt etwas arbeiten, Kleiner... gibt es irgendetwas, was du gern tun würdest?“ Vermutlich fiel dem Guten jetzt nichts ein. Klar, welches Kind in einem beinahe völlig fremden Haus konnte darauf auch anständig antworten? Takoda. „Hast du ein Puzzle für mich?“ Er drehte sich einmal im Kreis, um das Arbeitszimmer genau anzusehen. Das seines Papas war viel größer und edler. Das Leben in der Wüste war so arm, fand er. Und trotzdem waren die Leute glücklich, das war schön. Er mochte es hier auch, in kleineren Häusern war die Familie viel mehr zusammen, hatte er bemerkt. Er liebte seine Familie. „Spontan... nein, lass mich nachdenken.“ Das Dorfoberhaupt seinerseits war überrascht. Na, an sich war das gut, der Kleine machte ja wirklich keine Probleme. Dabei hieß es immer, Kinder wie er würden viel mehr Arbeit machen, so etwas aber auch... Die Frage war bloß, wo bekam er ein Puzzle er? Die leider etwas knarrende Holztreppe verriet ihm, dass jemand nach unten kam und die Uhrzeit auch, um wen es sich dabei handeln musste. Kaliri-Holz knarrte im übrigen immer, das lag nicht an der schlechten Qualität. Für seine Familie das Beste! Das Beste in der Wüste, verstand sich... Er trat in den Flur und fing seinen Sohn, der eigentlich gar nicht seiner war, ab. „Genda?“ Man warf ihm einen tödlichen Blick zu. Imera verkniff sich ein Seufzen. „Mein kleiner Cousin ist hier, Takoda... du weißt nicht zufällig, ob wir sowas wie ein Puzzle haben?“ Und selbst wenn, wie konnte er darauf hoffen, dass der ihm half? War ja lustig... Ach, er hatte es versucht. Der Jüngere grinste dreckig. „Ich hatte mal eines mit einem Kamel darauf. Deine Töchter haben die Einzelteile im Haus verteilt, die Hälfte habe ich wiederfinden können, sie befindet sich in meinem Schrank. Die andere Hälfte... viel Glück beim Suchen.“ Ehrlich war Genda bloß, wenn es um etwas negatives ging. Wundervoll. Und damit kehrte er seinem Vater, der nicht wirklich sein Vater war, den Rücken zu und verschwand aus der Haustüre. Imera seufzte. Was hatte er bloß für Gören? Die würden ja etwas zu hören bekommen... Takoda sah das seinerseits nicht ganz so negativ. „Ich suche sie, ich denke, ja?“, strahlte er und der Mann stutzte. Das wollte er nicht echt? „Na ja, wenn du das magst, tu dir keinen Zwang an.“ Das tat er nicht. Als er in den Schränken in der Stube herum suchte, konnte er sich ein etwas fies angehauchtes kichern nicht verkneifen. Er war dumm, aber nicht völlig auf den Kopf gefallen! Wie gut, dass das die Meisten nicht ahnten, so konnte er das ganze Haus ungestört erkunden. Er war doch so furchtbar neugierig! Und dieses Gebäude war echt toll... -- „Wein doch nicht!“ Mayora saß seufzend am Boden vor seiner jüngsten Tochter Dyami. Er hatte die Kleinste zu einem Kollegen mitgenommen, mit dem er an sich abklären hatte wollen, wo er denn im Ort gebraucht wurde. Er hatte immerhin keine Lust, wochenlang völlig sinnlos vor sich hin zu gammeln, auch wenn es seine Familie gefreut hätte. Er war sehr vielbeschäftigt. So war er jetzt bei einem Bekannten, den er noch aus der Schulzeit kannte und der den selben Beruf ausübte wie der Grünhaarige. Auch wenn er nicht hatte studieren können und sein Wissen von daher doch sehr begrenzt war. Vielleicht konnte man ja etwas lernen... Jedenfalls hatte man sich noch etwas unterhalten über die letzten Jahre, die Stadt, das Dorf und die Kinder und dabei hatte das kleine Mädchen mitbekommen, dass es in der Wüste keine Kinderkrippen gab. Und das war äußerst dramatisch, sie wollte doch mit anderen Kindern spielen! „Fräulein Tahavi!“, jammerte sie so den Namen ihrer Erzieherin, die sie scheinbar sehr vermisste. War ja auch eine nette Frau, das war wahr... „Mausi, du siehst sie doch wieder in ein paar...“ „JETZT!“, sie weinte bitterlich. „Kann ich etwas machen?“, fragte der Gastgeber beiläufig, wurde aber vorerst ignoriert, als der Magier seine Tochter seufzend aufhob. Etwas verzogen war sie dann doch, jedoch dennoch wesentlich einfacher als Samili oder Korhota, wo auch immer die heute steckten... Gute Idee, die Kleine liebte ihre Geschwister! „Sollen wir die Großen einmal suchen gehen? Vielleicht wollen die ja mit die spielen?“ Sie nickte und drückte sich schluchzend an Papas Brust, während er sie trug. Ach, die Ärmste. Er wandte sich an den anderen Mann. „Danke für die Gastfreundschaft, es hat mich gefreut, dich noch einmal wiedergetroffen zu haben. Ich gehe jetzt, du siehst ja...“ Dyami war totunglücklich. Sein Gegenüber nickte gezwungen lächelnd. „Natürlich, wenn es der kleinen Dame hilft. Man sieht sich, denke ich.“ Wenigstens all zu lange suchen mussten sie nicht, denn als der nun etwas gestresste Mayora mit seiner Jüngsten durch den Ort spaziere, kam ihm Korhota entgegen. Und nicht nur das... „Lass mich los! Lass... du bist völlig bescheuert, lass mich los verdammt!“ „Aber ich habe noch nie jemanden getroffen, der so viel über die Botanik seiner Heimat weiß! Ich will jetzt mit dir zu den Kaliri-Plantagen, damit du mir alles erklären kannst!“ Himmel, das durfte doch nicht wahr sein... Da zog der Junge, anscheinend eindeutig gegen deren Willen, seine Cousine Namini durch die Gegend. Sie trug noch ihre Schultasche, vermutlich hatte er sie vor der Schule zufällig getroffen und sich mit ihr unterhalten... und dabei gemerkt, dass sie irgendwovon Ahnung hatte. Und dann hatte er das getan, was er in solchen Fällen immer tat, er hatte sie entführt. Er war einfach unbelehrbar... „Korhota!“, empörte der Vater sich laut und der Junge hielt inne und sah grinsend auf. Woher kam der denn plötzlich...? Er lachte gut gelaunt. „Papa! Wusstest du schon, was für ein schlaues Ding die Namini ist? Wusstest du es?“ Er seufzte. Nein, aber geahnt hatte er es, obgleich es ihn doch sehr verwunderte. War Lilliann da etwa untreu gewesen oder so? Von ihrem Vater hatte das Mädchen sein Wissen sicherlich nicht, zumindest wenn ihr Intellekt über die Fähigkeit des Kopfrechnens hinaus ging... „Das ist ja sehr schön für sie, aber denkst du nicht...“ Das Mädchen versuchte es selbst. „Ich will jetzt heim und zu Mittag essen, so hilf mir doch, Onkel!“ Sie versuchte sich zu befreien, doch der stärkere Junge lachte bloß. Sein Vater ahnte, was nun kommen würde... wenn es etwas gab, was Korhota fehlte, dann war es das nötige Feingefühl. „Ach was, ich finde, du bist sehr speckig, du kannst problemlos eine Weile von deinen Fettreserven leben! Komm, zeig mir doch bitte deine schöne Heimat!“ Sie erstarrte. Dyami schaute ihren Vater schräg an, als der die Augen entnervt verdrehte. Das konnte nicht wahr sein... und da hatte er gedacht, er sei unsensibel... Aber zumindest bemerken tat der Sohn das Fettnäpfchen, in das er getappt war, als er seine erbleichende Cousine ansah. „Du meine Güte!“, er lachte verlegen, „Also ich finde es ja gut, dass du so speckig bist! Wenn du erst einmal beginnst, eine richtige Frau zu werden, dann wird dich das sehr kurvig und schön machen, bestimmt! Und bis dahin ist es auch nicht so schlimm, dass du etwas pummelig bist, finde ich...“ „Ich werde nie wieder etwas essen!“, unterbrach sie ihn und schaffte es hysterisch, sich los zu reißen. Sie wusste ja, dass sie speckig war, verdammt, warum musste der das in aller Öffentlichkeit sagen, dieser miese Kerl?! „Heißt das, du zeigst mir jetzt die Kaliri-Plantagen?“, freute der Junge sich da tatsächlich doof und wunderte sich, als er sich eine Ohrfeige fing, worauf er dann entsetzt zu seinem Vater blickte. „Sie... hat mich geschlagen!“, stellte er weinerlich fest und Mayora hustete. „Ja, das hast du dir auch verdient, du kannst doch nicht einfach...“ „Das sag ich Mama!“ Er rannte weinend weg. Und genau darum fand er Dyami viel einfacher, sein gutes Mädchen. Odohri so wie so, der war ja eine richtige Missgeburt, ganz der Papa, sagte Choraly immer. Hatte sie vielleicht auch Recht. Korhota war es hoffentlich nicht. Zumindest erinnerte sich der Grünhaarige nicht daran, jemals zu einer Frau gesagt zu haben, sie sei fett... Himmel, was ein schrecklicher Junge! Namini weinte auch. „Mach dir nichts daraus, er ist eben sehr ungehobelt. Ich finde nicht, dass du besonders... speckig bist.“ Doch, eigentlich schon etwas, aber das sagte er ihr natürlich nicht, ehe er das kleine Mädchen noch in die Magersucht trieb. Bei allen Göttern, sie war doch wirklich noch ein Kind! „Geh heim, sonst wird das Essen noch kalt, das möchtest du doch nicht?“ Sie nickte traurig und wandte sich ab. Das tat doch weh, verdammt... -- So viel geschickter war der etwas missgeburtige älteste Sohn jedoch auch nicht. Zumindest unbegabt in neue Bekanntschaften machen war er wirklich. Aber woher sollte er das auch können, in der großen Stadt war er in einer Klasse mit superreichen adligen Spasten gewesen, von denen er sich fernhalten sollte, weil er noch viel toller war als sie und die selbst wiederum nichts von ihm wissen wollten, weil... er grünes Haar hatte. War aber nie schlimm gewesen, er hatte seinen besten Freund Serenka ja. Serenka war an sich mehr als sein Freund, sie waren wie Brüder aufgewachsen. Sie hatten sich lieb. Dass sagten sie sich natürlich nicht mehr, aus dem Alter waren sie heraus... zumindest nicht, wenn jemand anderes dabei war, was keiner hörte, konnte ja keinen interessieren... Jedenfalls hatte sein Vater am Abend zuvor gemeint, die Leute im Dorf seien sehr nett und er solle sich doch einmal umschauen, ob er jemanden fand, mit dem er sich gut verstand. Das war an sich keine schlechte Idee, wie er fand, aber Serenka, der Trottel, hatte darauf bestanden, den Morgen mit seiner Mutter zu verbringen und so konnte er ganz allein durch den staubigen Ort irren. Fremde Leute ansprechen war ihm zudem zuwider, so hatte er sich nach einer Weile einfach entnervt und völlig überhitzt unter einen Schatten spendenden Baum gesetzt und schmollend den Dorfbewohnern zugeschaut. Was an sich schon Erlebnis genug war. Auch wenn es hier natürlich lange nicht so zuging wie in der großen Stadt, aus der er stammte, er hatte hier zum ersten Mal die Möglichkeit, ungestört das Treiben zu beobachten. Zuhause war das unmöglich für ihn. Als Sohn seiner Eltern war er ohnehin schon sehr gefährdet, zudem signalisierten seine grünen Haare nichts anderes als „Erschieße mich!“, immerzu musste er beschützt werden, es war wirklich nervig. Wenn man es genau nahm war er heute zum ersten Mal ganz alleine außerhalb seiner sehr geräumigen Vierwände unterwegs. Das sollte eigentlich gefeiert werden. Gekommen war es so, dass irgendwann die Schule von Thilia, die er auch bald besuchen würde müssen, zu Ende gegangen war und er eine Menge Schulkinder an sich hatte vorbei ziehen sehen. Und ein Junge hatte ihn überraschenderweise erkannt, obwohl der Grünhaarige ihn selbst zuvor noch nie gesehen hatte. „Ich kenne dich aus Erzählungen meiner Eltern.“, erklärte er ihm, als er sich ebenfalls in den Schatten gesetzt hatte, „Nun ja, also ich kenne deine Eltern aus diesen Erzählungen, meine Eltern kennen dich nämlich auch nicht. Aber mein Vater hat als ihr angekommen seid von dir und deinen Geschwistern und Cousins erfahren. Wir wollten euch übrigens noch alle einmal besuchen, kannst ja zuhause vorwarnen.“ Er strich sich grinsend durch sein dunkelblondes Haar. Odohri blinzelte überrascht. Er musste ebenfalls Magier sein, das spürte er, aber das einzig auffällige diesbezüglich waren seine unnatürlich scheinenden grünen Augen. Wobei er insgesamt doch ein eher seltsamer... Kerl war. „Und wie heißt du, wenn ich das fragen darf? Wenn du schon so viel über mich weißt...“ Es war ungewohnt, so ungezwungen zu reden. Normalerweise achtete man doch so auf höflichen Ausdruck... wobei er da eh nie so geschickt drin gewesen war, da kam er sich des öfteren reichlich dämlich vor. Besonders neben Serenka, er beneidete ihn um seine ausgeprägte Gabe zur gepflegten Artikulation, obgleich es manchmal etwas zu übertrieben für ihn klang. War ja auch nicht so wichtig... Der Fremde grinste etwas errötend und schüttelte ihm dann ein wenig grob die Hand. Dabei sah der so zart aus, also echt... „Semiry Tebettra heiße ich, freut mich. Dein Name war...?“ „Odohri Timaro.“, er musterte den Jungen skeptisch, Etwas sehr auffallend, wie er bemerkte, als dieser etwas verlegen wurde, aber hey, er war adlig, er durfte das... auch wenn der Andere seine Meinung da nicht ganz teilte. „Stimmt etwas nicht?“, erkundigte er sich verwirrt, „Ich meine... du schaust mich an wie ein Raubtier ein Stück Fleisch... oh Himmel, du stehst doch nicht auf Jungs, oder?!“ Er rückte erschrocken ein Stück weg und blinzelte unsicher. Wer wusste schon, wie diese Städter tickten? Er hatte da ja ohnehin immer Pech! Ach, wie ärgerlich, dabei hatte er dem Neuen doch bloß nett etwas helfen wollen, weil der so einsam da gesessen hatte! Der Grünhaarige errötete empört. „Natürlich nicht, was denkst du dir? Bloß weil ich dich anschaue, meine Güte, ich gucke grundsätzlich, wenn meine Augen offen sind!“ Aber nicht unbedingt auf diesen Semiry, so wandte er sich aufgesetzt hochnäsig ab. Unverschämtheit, also wirklich. „Ich war bloß etwas verwundert...“, sprach er da dann doch gespielt arrogant weiter, „Ich habe zuerst gar nicht gewusst, ob du Junge oder Mädchen bist.“ Ja, das hatte gesessen. Und zudem war es noch ehrlich gewesen, er hatte weder die Figur, noch das Gesicht eines Jungen, lediglich seine Art zu sprechen und zu reden erinnerte an einen. Und nun starrte er seinen Nebenmann hochrot an. War vielleicht doch etwas sehr direkt gewesen... „Ich bin ein Kerl, ich kann es beweisen, verdammt!“, jappste er vor Verlegenheit der Ohnmacht nahe und der Jüngere pfiff durch die Zähne. „Na, jetzt kommst DU mir aber so vor, als würdest du auf Jungs stehen! Also da vertrau ich dir dann lieber, so misstrauisch bin ich dann auch wieder nicht...“ Na immerhin, er vertraute ihm. Semiry faltete verklemmt da sitzend die Hände. „Ich höre das öfters, ja? Meine Güte, ich komme eben nach meinem Vater, ist doch egal, wie man aussieht!“, er machte eine kleine Pause und der Grünhaarige schielte ihn wieder von der Seite an, „Meine Mutter ist schon sowas von auf ihr Aussehen versessen, es ist grässlich, dabei sollte sie am besten wissen, dass es darauf nicht ankommt!“ Er schnaubte und schien etwas sauer darüber zu sein. Nein, das war kein schlechter Kerl, auch wenn er etwas komisch erschien. Vielleicht konnte man sich ja etwas anfreunden? Das ging sicher nicht so leicht, wie man es sich vorstellen konnte, aber einen Versuch sollte man wagen... nicht? „Weißt du...“, sprach er da weiter, „Meine Mutter ist nämlich blind.“ -- „Ungezogenes Gör, das kann doch nicht wahr sein!“ Serenka rannte erbost schnaubend neben seiner Mutter durch den Ort, sah sich um und schaute in jede Seitengasse. Als sie nach Hause gekommen waren, war von Takoda keine Spur zu finden gewesen, er war einfach weg. Dabei hatte man ihm doch extra einen Zettel mit genauen Anweisungen hinterlassen, dieser Torfkopf! „Sei ihm nicht böse.“, unterbrach Chatgaia seine aufgebrachten Gedanken jedoch besorgt, „Du weißt doch, wie er ist, an einem Tag kann er lesen, am nächsten hat er alles wieder vergessen. Er wird es wohl wieder verlernt haben, er hatte ja schließlich schon eine etwas zu lange Zeit keinen Unterricht mehr.“ Der Junge erwiderte nichts. Ja, so musste es sein, wie immer hatte sie Recht. Der große Bruder verstand nicht, wie es sein konnte, dass der Jüngere immer wieder alles, was man ihm beibrachte, vergaß, das ergab kaum Sinn für ihn. Wahrscheinlich hatte sein Vater da wohl Recht, sein Gehirn funktionierte einfach anders... Takoda machte sich weniger Gedanken. Imera auch, im übrigen. „Ich meine, es ist wirklich süß von dir, dass du den kleinen Mann aufgesammelt hast, aber meinst du nicht, du solltest deine Tante mal suchen und ihn ihr zurückgeben?“ Das Dorfoberhaupt blickte genervt von seiner Arbeit auf zu seiner Frau, die mit einem Kochlöffel in der Luft herum fuchtelte. „Und überhaupt, wo bleibt Namini? Teneri ist längst da, sie meinte, sie sei ohne ihre Schwester losgegangen, bloß kommt die kleine Dame hier einfach nicht an!“ Tante hier, Tochter da, schiebe nicht alle Arbeit auf Maigi ab, mach das doch ordentlicher... Der Mann schenkte ihr einen leichten Mörderblick. „Vielleicht hatte sie heute so viel Spaß beim Lernen, dass sie sich an einer Schulbank festgekettet hat? Und... ach, die soll ihn abholen kommen, wenn sie ihn vermisst, meine Fresse...“ Er erhob sich und schritt an seiner schnaubenden Gattin vorbei an die Tür des Arbeitszimmers. „Takoda?“, rief er, „Hast du Spaß?“ „Jahaa, ich denke!“ Den hatte er. Oh ja, es war spaßig, alles zu durchsuchen, das machte viel, sogar sehr viel Spaß, hatte er festgestellt. Er machte sich keine Gedanken darum, dass das doch unhöflich war... nein, er durfte das. Fertig. Er war ein Magafi. Ja, damit rechtfertigte er sich gern. Und was hatte er schon alles schönes gefunden! Bücher zum Beispiel, bei denen es gar nicht schlimm war, dass er so schlecht in Sprache war, denn die waren komplett in lustigen Kritzeleien geschrieben! Was sich die Autoren dabei wohl gedacht hatten? War an sich aber auch egal, jetzt wusste er zumindest, dass hier in der Wüste selbst er einen eigenen Roman schreiben konnte. Worüber denn? „Über die Ziege Be!“ Er lachte und räumte weiter. Ja, das würde er heute Abend doch gleich einmal versuchen, schlafen konnte er so wie so nicht. Unter einem Haufen sehr alter und staubiger Krakel-Bücher machte er unterdessen eine noch sehr viel interessanterer Entdeckung, nämlich eine kleine Kiste. Sie musste schon sehr lange da stehen, ohne, dass sie jemand jemals wieder angerührt hatte, hätte er weiter gedacht, hätte es dem Jungen beinahe so erschienen, als sei sie unter dem ganzen Papier gewollte versteckt worden. Vor ihm war sie dennoch nicht sicher gewesen, so wie es schien und so öffnete er sie neugierig. Darin befanden sich Lichtbilder und nun erkannte sogar er ihr Alter, denn heute war die Qualität doch sehr viel besser. Er und sein Bruder wurden nämlich ständig abgelichtet, alle wollten immer viele Bilder von ihnen haben, der Junge wusste überhaupt nicht weshalb. So hübsch waren sie nun auch wieder nicht und Serenkas Klamotten fand er dämlich und unbequem, obgleich er den Älteren zutiefst verehrte. Auf den Bildern jedenfalls waren scheinbar Teneri, Namini und Genda, als sie noch klein waren. Fiel schwer, zu glauben, dass dieser eine komische Kerl wirklich mal so unschuldig und niedlich gewesen war. Aber irgendwann musste auch er mal ein Genda-Baby gewesen sein und Babies waren immer süß und niedlich, das hatte ihm seine große Schwester Choraly beigebracht. Egal, er schaute weiter. Baby-Genda, Baby-Teneri, Baby-Namini... dann kam etwas anderes. Dumm wie er nun einmal war brauchte er erst eine Weile, um das Motiv für sich zu verstehen und als es dann geschah, wünschte er sich, nicht so verdammt neugierig zu sein. „Ah... uiuiui!“ Vor Schreck landete er auf dem Hintern und warf die restlichen Lichtbilder von sich, dass sie im ganzen Raum verteilt waren. Er keuchte. Das war ja das mit Abstand gruseligste, was er jemals gesehen hatte! Er konnte sich nicht erklären, wie diese Lichtbilder dorthin gekommen waren, dafür hatte er auch keinen Kopf, viel zu erschrocken war er. „Takoda?“, hörte er da Lillianns Stimme von irgendwo, „Möchtest du gleich mit uns essen?“ Ihre Frage ignorierend erstarrte er zur Salzsäule. Langsam! Lilliann war Imeras Frau, vielleicht war das ja ein Geheimnis... aber von wem? Von Imera? Letztendlich war es egal, er rappelte sich geschockt auf und begann die im ganzen Raum verteilten Bilder wieder einzusammeln. Dabei begann er ärgerlicherweise zu zittern... wie er es hasste, warum ausgerechnet er? Auf dem Gang hörte er Schritte. „Oh Himmel!“, schnappte er und suchte schneller, packte den Stapel angewidert wieder in das Kästchen und warf es in den Schrank, den er unsanft zuknallte. Einen Moment später stand die Frau seines Cousins verwundert in der Tür. „Takoda, was machst du hier?“ Er lief hochrot an und schnappte nach Luft. Oh nein, sie hatte sicher etwas bemerkt... „Ich suche Puzzleteile, ich denke!“, log er und wusste, dass man es ihm nicht wirklich abkaufte. Lilli schüttelte bloß lächelnd den Kopf. „Komm mit, das wird dir schmecken.“ ------------------------------- Tja, sehr mysteriös, kann sich jetzt keiner denken, was das wohl für Bilder sind XD Ich mag den Titel ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)