Wüstenkinder von -Izumi- (Fortsetzung zu "Kinder des Wassers") ================================================================================ Kapitel 8: Bruch ---------------- Der nächste Morgen hätte so sein sollen wie alle, die die Städter seit ihrer Ankunft in der Wüste erlebt hatten. Hätte. Denn irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. Zum einen war Samili doch sehr verändert, als sie mit ihrer Familie am Frühstückstisch saß – das war sie jedoch bereits seit vorangegangenem Abend, wie nach und nach alle bemerkt hatten, als sie viel zu spät zum Essen im Garten erschienen war. Ihre Gesichtsfarbe hatte abwechselnd von leichenblass in tomatenrot gewechselt, sie war unaufmerksam gewesen und hatte ihren Teller kaum angerührt und auch ein paar Stunden später wirkte sie zerstreut und abwesend. Auch Odohri war verwirrt. Teneri hatte ihm doch ziemlich die kalte Schulter gezeigt, so lange er auch versucht hatte, ihr irgendwie näher zu kommen. Egal, was Genda gesagt hatte, er wurde das Gefühl nicht los, dass sie wirklich sehr abgeneigt von ihm war. Korhota seinerseits war äußerst deprimiert, denn Namini mochte ihn noch immer nicht. Anscheinend machte er irgendetwas wirklich sehr falsch, aber was? Man sagte doch, er sei so intelligent, warum konnte er dann keinen Fehler in dem finden, was er tat, obwohl es doch augenscheinlich nicht in Ordnung ging? Er schwor sich, dass sie ihn irgendwann mögen würde... dabei musste er sich wohl oder übel ziemlich beeilen, denn all zu lange würden sie sicherlich nicht mehr hier bleiben, Opa meckerte schon. Das ist wahrlich zu viel für mich, Liebes., hatte er am Vorabend zu seiner Frau gesagt, als sie kurz etwas abseits gewesen waren, In diesem ganzen Ort gibt es wirklich niemanden außer unserer Familie, mit dem ich etwas anzufangen weiß. Dein Neffe Imera ist, mit Verlaub, wirklich strohdumm und versteht von Politik in etwa genau so viel wie ein Sack Mehl, ich bin beschämt, im selben Berufsbereich tätig zu sein wie er! Nicht, dass sein Gemüt mich verwundern würde, Mayora ist ja auch nicht von großer Intelligenz... aber der versucht auch nicht, für ein Dorf zu sorgen! Oma hatte darauf nicht viel zu erwidern gewusst. Sie hatte ihn zum Oberhaupt ernannt und hatte sich auch sicher irgendetwas dabei gedacht – augenscheinlich klappte es ja auch ganz gut, der Ort blühte ja, sofern das in dieser unwirklichen Gegend möglich war, verstand sich. Wobei das mit dem Verstehen ja auch wieder so etwas war, dachte sich der Junge, als er säuerlich in ein Kaliri-Brötchen biss. Er verstand augenscheinlich nichts. Dyami auch nicht, selbst das kleine Mädchen war besorgt und nicht sehr hungrig. Takoda war sehr schlecht gelaunt gewesen und hatte ihr nicht sagen wollen, warum. Das hatte sie sehr traurig gestimmt und sie hatte weinen müssen, denn normalerweise erzählte er ihr alles. Und den Eltern ging es natürlich nicht besser. Ihnen war am Abend zuvor zwar nichts besonderes aufgefallen, aber die Unruhe der Kinder ging natürlich irgendwie auf sie über und so saßen sie sehr unzufrieden und nervös am Frühstückstisch. Serenka seinerseits fand, sein Geburtstag war gar nicht so schlecht gewesen. Seine Mutter hatte sich am Abend noch sehr um ihn bemüht. Vielleicht hatte sie ein schlechtes Gewissen gehabt, weil sie zuvor so abweisend gewesen war, an sich war es ihm jedoch gleich, er war glücklich. Im übrigen auch wegen Kirima, dem furchtbar unterwürfigen und vor allen Dingen sympathischen Mädchen aus der Schneiderei. Bis sie nach Hause gemusst hatte, war sie nicht von seiner Seite gewichen. Er fragte sich ernsthaft, warum. So interessant war er nun wirklich nicht – nun gut, in der großen Stadt war er das schon, er war talentiert und anders, das traf natürlich auf Aufmerksamkeit. Das fing da ja schon bei so simplen Dingen wie seiner Haarfarbe an. Hätte er sie nicht von seiner Mutter geerbt gehabt, er hätte sie gehasst, denn dank ihr sah jeder schon von weitem, dass er vermutlich kein normaler Mensch war. Es nervte ihn, nicht ganz so sehr wie das Muttermal auf seiner Wange, aber es nervte wirklich. An letzteres hatte er sich wohl oder übel gewöhnen müssen, aber in der Kinderkrippe hatte man ihn damit immer aufgezogen – das war im übrigen sehr mies gewesen, man hatte den kleinen Spießerkindern beigebracht, ihn und seinen besten Freund nicht wegen ihrer Haar- und Augenfarbe zu ärgern, aber sein Muttermal hatte niemand beachtet. Eine Zeit lang hatte er sogar ein Pflaster darüber getragen, bis Odohri es ihm wütend abgerissen und mit ihm geschimpft hatte, weil er sich doch nicht schämen brauchte. Das brauchte er wirklich nicht, aber auch Jahre später verstimmte es ihn. Irgendwie war das einfach nicht schick und besonders im Gesicht ein wahres Ärgernis. Aber das war nun gleich, er war im Moment völlig zufrieden und glücklich. Wobei sein kleiner Bruder ihm schon ein Dorn im Auge war. Dieser war nämlich außergewöhnlich schlecht gelaunt, viel schlechter, als man es bei dem simplen, zurückgebliebenen Kind zu vermuten vermochte. „Du hast wohl kaum geschlafen.“, stellte Chatgaia seufzend fest, als sie das Frühstück servierte, „Du hättest noch liegen bleiben sollen, das hätte dir gut getan. Die letzte Nacht war zu lang für dich.“ Takoda warf ihr einen beunruhigend finsteren Blick zu, den allerdings bloß sein Vater bemerkte, weil die Grünhaarige ihm wieder den Rücken kehrte. Der Mann verschluckte sich dabei erschrocken an seinem aus der Station geklauten Kaffee – das kannte er nicht. „Für dich sind doch auch einige Nächte zu lang und offensichtlich bist du ebenfalls wach.“ Serenka, der seiner Mutter etwas planlos zur Hand ging, drehte sich schnaubend um. „Das verbitte ich mir aber! Wie sprichst du denn bitte mit unserer ehrenwerten Mutter?!“ Er wollte noch etwas hinzufügen, als er einen vielsagenden Blick von eben dieser bemerkte. Ja, der altbekannte, „Er weiß nicht, was er sagt“-Blick, darauf verkniff er es sich und wandte sich wieder ab, wie stumm befohlen. „Nun, ich weiß, du hörst es nicht gern, aber deine Mutter ist eine gesunde, starke Frau, der es nichts ausmacht, einmal etwas länger auf zu sein, du jedoch bist ein zu meinem Leidwesen sehr krankes Kind, das viel Ruhe braucht – du solltest dich wirklich noch einmal hinlegen.“ Takoda wollte widersprechen. So schlecht fühlte er sich eigentlich gar nicht, aber er wusste, warum die so darauf herum hackten, er sah wirklich furchtbar aus. Man sah ihm seine Gedanken wohl an, irgendwie zumindest, denn sonst würde es seinem armen Papa nun auch so schlecht gehen wie der armen Lilliann am Vorabend. Sie hatte es zwar zu verdrängen versucht, aber es war ihr wirklich kaum gelungen, denn selbst er hatte ihr Unbehagen bemerkt. Wobei es vielleicht auch einfach daran gelegen hatte, dass er wusste, worum es ging. Er hätte Yivakavi dafür töten können! Hatte er natürlich nicht. Er seufzte leise. „Mir geht es gut, ich sehe bloß doof aus, ich denke. Ich lege mich hin, wenn ich merke, dass es schlecht ist, okay?“ Der Mann grinste und sein Gegenüber erwiderte. Ja, er hatte keine Ahnung. Hoffentlich würde er die auch niemals haben, denn auch wenn der Junge nicht der hellste oder schnellste war, dass ihm das weh tun würde, wusste er mit Sicherheit. Und das wollte er nicht. Lilli hatte das auch nicht gewollt. „Dieser Idiot, ich meine, er hat mich keine Sekunde aus den Augen gelassen!“ Teneri schimpfte ausgelassen, während ihr älterer Bruder sie schallend auslachte. Oh ja, die hatte sicherlich Spaß gehabt – nicht so sehr wie er. Überraschend, wie reif die kleine Grünhaarige unter ihren niedlichen Rüschenklamotten schon war. Sie war eine Frau... wenn sie es bis gestern nicht gewesen war, dann hatte er sie nun zu einer gemacht. Es war etwas länger her, dass er sich derart mit einer Dame vergnügt hatte und noch nie war es vorgekommen, dass er der Erste für sie in diesem Bereich gewesen war. Noch seltsamer jedoch, sie hatte es auch noch freiwillig getan. Das hatte ihm gut getan, wer wusste schon, vielleicht ergab sich da ja noch die ein oder andere gute Gelegenheit... so abgeneigt war die Kleine sicherlich auch nicht, die war doch ziemlich abgegangen, dachte er sich. Er hatte gute, wirklich gute Laune... wie sie sich heute wohl fühlen mochte? Hoffentlich besser als die kleine Ziege neben ihm. Namini ihm gegenüber ignorierte das Gezetere ihrer Schwester und aß versonnen ihr Frühstück. Sollte der Idiot sie doch fett nennen, war ihr ja sowas von gleich. Sie fühlte sich total wohl in ihrer Haut, das ließ sie sich von so einem pseudo-intelligenten Idioten nicht nehmen. Ohnehin, was erlaubte der sich denn? Er hatte zwei verschiedene Haarfarben, der Spinner! „Lache sie nicht aus!“, lachte Imera ebenfalls und sprach damit Genda an, den das jedoch herzlich wenig interessierte. Selbst wenn er seinen Fast-Vater ernst genommen hätte, in dieser Situation so oder so nicht, denn der machte doch selbst mit. Das Mädchen schäumte vor Wut. „Ihr Dummköpfe, alle seid ihr gleich!“ Lilliann am anderen Ende des Tisches widersprach ihr stumm. Ihr Blick lag auf ihrem Mann. Er wirkte ganz normal, kaum verändert...fröhlicher. Jiro war immer fröhlich gewesen, bis auf die letzte Zeit seines Lebens, als er in Sorgen zu ertrinken gedroht hatte. Er war ein guter Mann gewesen... vielleicht nicht ganz so hübsch wie Imera und auch nicht viel intelligenter, aber mit einem durch und durch guten Herz. Er wäre immer für sie da gewesen. Aber er war tot und ihr Gatte lebte. Sie wusste nicht, woran es lag, dass sie plötzlich nicht mehr Mayora, der ihren damaligen Verlobten belauscht und verraten hatte, sondern dessen Tante Chatgaia für seinen Tod verantwortlich machte. Vermutlich lag es einfach an dem tiefen Groll, den sie plötzlich tief in ihrem Inneren gegen sie hegte... oh ja, er war gewaltig, er hatte sie kein Auge schließen, sie verstummen lassen und er war ganz über Nacht zu einer Art stummen Hass gegen die ältere Frau, die einst das Dorfoberhaupt gewesen war, gewachsen... und es tat weh. Es tat verdammt weh. Yivakavi mochte intelligent sein, aber im Leben selbst war sie furchtbar dumm... ihre geistige Behinderung ließ sich auf die Dauer nicht schön reden, so sehr sie das Mädchen auch mochte. Sie konnte nichts dafür. Leider log sie nicht. Manchmal verstand sie Dinge falsch, aber sie sprach immer die Wahrheit, so, wie ihre Augen gesehen und ihre Ohren gehört hatten. Und Takoda, dessen Seele nicht normal, aber gesünder war als die des Mädchens, hatte eine ebenfalls eindeutige Reaktion gezeigt. Scham, Wut, Enttäuschung... er hatte es zu verbergen versucht, aber er hatte es nicht geschafft. In diesem Jungen steckte mehr, als man dachte, auch zurückgebliebene Kinder reiften langsam heran und wurden erwachsen, bei dem kleinen Magier schien es bisher äußerst unbemerkt geblieben zu sein. Er war schon lange nicht mehr so klein, dass er nicht verstand, was um ihn herum geschah, sie vermutete, dass ihm dieses Wissen über das schändliche Tun seiner Mutter ähnliche Schmerzen bereitete wie ihr. Den Rest ihrer Familie ignorierend legte die Frau sich eine Hand auf den flachen Bauch. Die Schwangerschaften hatten ihn etwas gezeichnet, aber er war verhältnismäßig schön flach und ansehnlich, was sie eigentlich stolz machte. Aber im Moment tat er weh, diese traurige Vermutung schlug ihr bereits seit Stunden auf den Unterleib... und es wurde immer schlimmer. „Wie dem auch sei.“, riss ihr Mann sie aus ihren Gedanken und lenkte sie kurz vom seelischen und körperlichen Schmerz ab, „Ich muss arbeiten... hat ja nicht jeder frei wie die lieben Schulkinder... oder Genda – sag mal, willst du dir nicht langsam einmal einen Beruf zum erlernen aussuchen?“ Der Angesprochene biss gelangweilt in eine seltsame rote Frucht, die erst seit wenigen Jahren dank der Station in der Nähe angebaut wurde. Die Frage war berechtigt, das wusste er. „Habe ich versucht. Habe ich echt versucht. Ich war bei jedem erdenklichen Idioten und habe freundlich nach Arbeit gefragt, aber irgendwie wollte mich keiner. Das hat mich so dermaßen deprimiert, dass ich mir geschworen habe, niemals in meinem Leben einen Finger krumm zu machen.“ Oder mit anderen Worten, dachte sich Teneri dumm schauend, er war total mies gelaunt und unhöflich bei zwei bis drei Läden angekommen und hatte irgendwo in einem auslegbarem Satz nach einer kleinen Arbeit, bei der man kaum etwas tun musste, gefragt, und war abgelehnt worden... dieser Kerl war einfach unverschämt faul. Er war weder dumm, noch schwach, aber einfach total unwillig, etwas anderes zu tun, als irgendwelche Mädchen zu belästigen, unschuldige Dorfbewohner zu nerven und seiner Familie zur Last zu fallen. Sie fragte sich, ob das nicht unheimlich unbefriedigend war. Wobei... der hatte wohl keine Ansprüche. Der Vater erhob sich. „Na wir werden ja sehen.“, schnappte er, seinem Sohn einen schiefen Blick schenkend, „Du bist mir zu stark und intelligent, um dich dein Leben lang ausruhen zu können... sei unbesorgt, ich finde etwas schönes für dich.“ Er schenkte dem Rest der Familie ein Lächeln und nickte ihnen zum Abschied zu, dann verließ er den Raum und bald darauf das Haus. Genda wollte ihm folgen. Nicht nur aus Langeweile, sondern auch, um ihn zu überwachen... das Lichtbild, das er gefunden und die Worte, die er von seinen Eltern gehört hatte, hatten ihn äußerst nachdenklich gestimmt. Er wollte Gewissheit... irgendwie machte es ihn unruhig, dass eine Möglichkeit bestand, dass das Dorfoberhaupt nicht so das liebe Familienoberhaupt war, wie es immer tat. Es stimmte ihn zu seinem höchsten Entsetzen sogar etwas traurig, denn letzten Endes wusste er, dass es sein Vater war... zwar nicht sein biologischer, aber sein gefühlter. Er hatte sich immer dagegen gesträubt, aber letztendlich war er es gewesen, der ihn aufgezogen, mit ihm gespielt und ihn geliebt hatte. Diese minimale, natürliche Liebe, die er für ihn empfand, verabscheute der Junge an sich zutiefst, aber sie trieb ihn nun dazu, dem Mann zu folgen, hoffend, dass er mit seiner wagen Vermutung falsch lag. Im Flur wurde er noch einmal zurück gehalten. „Genda?“ Er drehte sich um und sah Namini, die ihn leicht errötend ansah. Immer wenn sie so ankam, wollte sie irgendetwas, er kannte doch seine Schwester. So hob er nur eine Braue. „Was willst du?“ Sie senkte den Blick. Sollte sie wirklich fragen? Ja... ja, nur er konnte ihre Frage beantworten, er war schließlich ein junger Mann, der konnte das beurteilen. „Ich... ich wollte wissen, ob du denkst, ich... wäre zu fett. Bin ich zu fett?“ Sie sah deprimiert auf. Genda blinzelte, dann musste er glucksen. Langsam schien sie ja erwachsen zu werden, erstaunlich. Er kniete sich zu ihr und kniff ihr in den speckigen Bauch. „Das denkst du?“, fragte er zurück, „Nun, ich denke, du bist genau so gut, wie du bist. Du wirst einmal eine sehr schöne junge Frau sein, sei unbesorgt. Ich verspreche es dir... soll ich Korhota alle Zähne ausschlagen?“ Ihr Gesicht flammte weiter auf. Zum einen, wegen seiner ungewohnt lieben Worte, zum anderen, weil er anscheinend bemerkt hatte, was sie für ein Problem mit ihrem Cousin hatte. Das war furchtbar, jetzt wusste er ja, warum sie bei ihm angekommen war! „Nein... der hat keine Ahnung, der kann nichts dafür! Ich frage nur so.“, versuchte sie von dem offensichtlichen abzulenken und ihr Bruder grinste breiter. Er war grob und nicht sehr gefühlvoll, doch sie mochte ihn, denn er war nie böse zu ihr gewesen. Dennoch hatte sie auch irgendwie Angst, er schlug oft zu, auch ihre ältere Schwester hatte er bereits geschlagen und auch die hatte sie lieb, so hatte ihr das natürlich nicht gefallen. Doch sie wehrte sich nicht, als er die Arme um sie schloss und sie hoch hob, klammerte sich sogar an ihn und musste irgendwie plötzlich weinen. Ja, sie war traurig... sie war nicht fett! „Wenn du zu schwer wärst, könnte ich dich nicht heben.“, sprach Genda weiter, der sie unbeeindruckt trug, „Wein doch nicht. Du bist wunderschön.“ Er war auch nur ein Mensch. Jeder Mensch hatte irgendwen, den er mochte, ob er wollte, oder nicht. In seinem Fall war diese Person neben seinen Eltern seine jüngste Schwester. Er hatte keine Ahnung, warum, Teneri hatte er immer verabscheut, aber als er Namini zum ersten Mal angesehen hatte, hatte er gewusst, dass er gut zu ihr sein musste. Er hatte es bisher auch nie bereut, sie war niemand, der ihn deshalb für schwach halten würde. Aber seine Zuneigung zu dem kleinen Mädchen war im Moment nur nebensächlich, jetzt musste er sehen, dass er sich an Imeras Fersen heftete. Er sah ihn nicht mehr und einen der Idioten, die gerade vor seinem Haus auf der Straße waren, würde er sicher nicht nach ihm fragen, so verließ er sich einfach auf seinen kaum vorhandenen Instinkt und folgte ihm in die Richtung, in der das Dorfoberhaupt meistens verschwand. Darauf fand er sich bald in einer leeren Nebenstraße wieder. Hier in der Nähe befand sich eine Art Archiv, es war klar, dass der Mann ab und an hier her musste... ob das auch heute so war, wusste Genda nicht, er hoffte es zumindest. Aus ihm unbekannten Gründen bewegte er sich so vorsichtig, als ginge er auf die Jagd und ärgerte sich darüber, als der Sand unter seinen Füßen dennoch aufstaubte. Er war hier scheinbar sehr fein. So kam er zu dem Schluss, dass es gut war, dass er kein Jäger war. Der Junge hoffte bloß, dass sein Vater nicht wollte, dass er diese Fertigkeit erlernte. Einige Tiere wurden zivilisiert in Höfen gehalten, wie das auch in der großen Stadt Brauch war, aber bei vielen Wüstenbewohnern war das einfach nicht möglich... die Hauptaufgabe einer Menge Menschen im Ort war es, Nahrung für den Rest des Dorfes beizuschaffen, indem sie alle möglichen Tiere jagten. Meist Kleinvieh, aber auch das rannte flink weg, wenn man zu grob war, um sich sanft genug zu bewegen, damit kein Sand aufwirbelte. Und das war der junge Mann wohl oder übel. Ein Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Es waren Stimmen aus einer noch viel versteckteren Gasse hinter einem verwitterten Holztor zu irgendeiner Art Hinterhof, soweit man den kleinen Platz am Ende des Weges als solchen bezeichnen konnte. Er lauschte. „Dieser Ort ist wirklich furchtbar.“, empörte sich eine Frau, die Genda mit großer Sicherheit als Chatgaia ausmachen konnte, „Es ist stickig und schwül... und furchtbar schmutzig!“ Das Lachen, das darauf folgte, gehörte eindeutig Imera. „Die Dame wurde in der großen Stadt zu sehr verwöhnt!“, stellte er fest, „Aber hier kommt niemand vorbei. Die Bewohner dieses Hauses sind lange tot, sie verstarben dummerweise bei der Flucht an jenem dunklen Tag vor vielen Jahren, dabei wurde ihr Heim verschont... das klingt jetzt sicher dumm, aber irgendwie kann ich dazu nur sagen, Pech gehabt.“ Was darauf war, wusste Genda zunächst nicht, er musste sich strecken, um über das Tor hinweg lugen zu können. Die sehr schöne, an sich aber schon recht alte grünhaarige Frau lehnte sich grinsend an die staubige Wand des einen Hauses, während sein Vater sich mit einem Arm neben ihrem Kopf abstützte und ihren Blick erwiderte. Irgendwie... lüstern. „Tragisch.“, schnappte sie dann, „Aber erzähl mir keine Geschichten. Ich will Takoda nicht umsonst allein gelassen haben... eigentlich müsste alles gut sein, ich habe ihn vor ein neues Puzzle gesetzt, aber sicher bin ich mir nicht, heute morgen war seine Laune extrem schlecht.“ Sie sah nachdenklich etwas zur Seite, in Richtung des Jungen, der sich darauf kurz erschrocken duckte und erst wieder aufsah, als er bemerkte, dass der Blick irgendwo auf dem Boden vor der Abgrenzung ins Leere ging und für ihn keine Gefahr bestand. Imera legte den Kopf etwas schief. „Jahaa...“, kam gedehnt, „Es ist sicher schwer mit einem Kind wie ihm, oder? Ich meine... es tut bestimmt weh...“ Er senkte den Blick und Genda fragte sich, wie man so dumm sein konnte, das so einfach auszusprechen. Wenn er der Vater eines kranken Kindes gewesen wäre, dann hätte er sicherlich keine Interesse an einem solchen Gespräch gehabt – wobei, er hätte es vermutlich auch nicht einfach vor irgendein Spielzeug gesetzt und gehofft, dass es sich nicht beschwerte. Das war doch viel zu einfach. So wunderte es ihn kaum, als sie tatsächlich auf darauf einging. „Die Ärzte im Hospital sagen, er wird vielleicht fünfzehn Jahre alt... Mayora sagt, wenn wir gut auf ihn achten, vielleicht sogar etwas älter. Ich genieße die Zeit mit ihm, so gut es geht... es besorgt mich immer, wenn er nicht gut gelaunt ist... sein kurzes Leben sollte voller Freude sein, nicht?“ Der Mann wusste nichts zu erwidern und auch der Junge wandte sich kurz etwas ab. Fünfzehn? Und wie alt war der Kleine? Zwölf? Das war... grausam... Als er wieder aufsah, hatte er Imeras Nicken verpasst. Chatgaia sprach weiter. „Ich frage mich... wenn du ein solches Kind hättest... wenn du Takodas Vater wärst... was würdest du tun?“ Aus unerfindlichen Gründen errötete sie leicht. Ihr Gegenüber musste nicht lange nachdenken. „Ich würde ihm alle meine Liebe schenken, so lange ich noch die Möglichkeit hätte! Und ich wäre natürlich stolz auf ihn... ich meine, speziell wenn es Takoda wäre – er wirkt so fröhlich und unbeschwert!“ Die Ältere sah ihn gequält an. „Imera, er weiß es nicht. Es würde ihn zerstören, er fürchtet sich doch so schon genug.“ Beinahe hätten ihre Worte Mitleid in Genda geweckt, was wirklich sehr, sehr selten vorkam... besonders lange konnte es jedoch auch dieses Mal nicht halten, als das Dorfoberhaupt sich nach vorne beugte und die hübsche Frau, in deren orangenen Augen sich Tränen gesammelt hatten, zärtlich auf den Mund küsste. Er küsste sie mit einer solche liebevollen, zärtlichen Hingabe, dass man das Gefühl hatte, die Beiden seien ein jahrelang auseinander gerissenes Liebespaar, dass sich gerade eben wiedergefunden hatte. Sie schlang die Arme um seinen Nacken und schmiegte sich schutzsuchend an ihn, während seine Hände zu ihrem Hintern glitten... und wenig später zu ihren Seiten, wo sie am Verschluss ihres Rockes zu nesteln begannen. Das reichte. Einen Moment lang überlegte sich der Junge, ob er das Tor aufreißen und dazwischen stürmen sollte, entschied sich dann aber doch dagegen. Er wandte sich ab und verschwand hastigen Schrittes wieder auf die offene Seitenstraße, wo er sich dann selbst gegen eine modrige Mauer lehnte und keuchte. Er wusste, was er wissen musste. Diese widerlichen Ehebrecher taten es tatsächlich... und hatten es während des Besuchs der Städter vermutlich schon einige Male getan. Er fühlte sich so dermaßen im Recht, dass es beinahe schon schmerzte. Er wollte gar kein Recht haben, nicht in diesem Fall! In ihm zog sich etwas zusammen, als er die Augen schloss und sich in seinem Kopf die Szene weiter abspielte... wie er sie auszog, ihren Körper so liebkoste, wie er es nur bei Lilliann tun sollte und sie dann auf dem staubigen Boden nahm... und am Abend würde er fröhlich nach Hause kommen, sich beklagen, wie viel er doch gearbeitet hatte, gut essen, sich baden und danach das Bett mit seiner Frau teilen, während irgendwo ein paar Häuser weiter Maigi unter der Last der doppelten Arbeit zu ersticken drohte. Und sie würde es ähnlich tun... verdammt, sie ließ ihren schwer kranken kleinen Sohn dafür allein?! Das war so widerlich! Er riss die Augen wieder auf. Takoda... dieses furchtbar dumme Kind, das noch viel weniger intelligent war, als Imera, der laut eigener Aussage trotzdem stolz auf ihn gewesen wäre. Vermutlich, weil er selbst kaum schreiben konnte. Das musste es wohl sein. Wie lange trieben die Beiden ihr dreckiges Spiel eigentlich schon?! Er dachte an das abartige Lichtbild, das er gefunden hatte... es war eindeutig ziemlich alt gewesen... vielleicht schon von der Zeit vor dem großen Angriff... ja, danach war die Frau ja in die große Stadt gegangen. Dabei fiel ihm ein, einmal war sie doch wieder zurückgekehrt, um bekannt zu geben, dass sie nun im fernen Land lebte... Er stieß sich von der Wand ab und schwankte ungewollt die Straße in die Richtung entgegengesetzt zu der, aus der er gekommen war. Bei dem Gedanken, der ihm darauf kam, erschauderte er trotz der Hitze. In ihm brodelte es, je länger er seine Vermutung innerlich durchging. Er bemerkte die Leute auf den belebteren Straßen gar nicht, die er nun passierte, gelegentlich rempelte er irgendwen an, um ihn aus Wut umzuwerfen, was eigentlich auch immer ganz gut gelang. Doch Beruhigung verschaffte ihm das nicht, ganz im Gegenteil, es wurde immer schlimmer, sein Hass immer größer... irgendwem wollte er seine berechtigten Gedanken ins Gesicht schreien. Als jemand ihn ansprach, hätte er es beinahe auch getan, entschloss sich jedoch im nächsten Moment, sich das doch für den nächsten Unglücklichen aufzubewahren, denn es war Yivakavi. „Schon wieder du!“, schimpfte sie, „Und ich habe keine Flasche, ach!“ Die wollte er gerade echt nicht sehen. Ansonsten freute er sich, weil er sie gerne berührte, denn das verrückte Mädchen war mit einem wahrlich wunderschönen Körper gesegnet, doch heute hatte er wirklich überhaupt keine Lust auf sie. „Stecke dir deine dumme Flasche sonst wo hin, du dummes Flittchen! Ich habe keine Zeit für dich, behinderte Ziege. Aber nächstes Mal mache ich dir ein Kindlein, wenn du magst, das kannst du dann so hirnlos erziehen wie du es selbst bist.“ Selbst das geistig kranke Mädchen erstarrte über die doch sehr direkte Aussprache seiner Absichten und schlang einen Moment später schutzsuchend die eigenen Arme um seinen Oberleib. Ein Kindlein? Das war nichts für sie! „Widerlich bist du!“, schrie es aufgelöst und rannte weg. Er ergötzte sich etwas an ihrer Verzweiflung, aber seinen eigenen Hass hatte es nicht gestoppt. Im Gegenteil, er loderte weiter, als ihm wieder einfiel, was ihm zuvor so klar erschienen war mit einem Mal... Das Schicksal meinte es wohl gut mit ihm, denn bald fand er jemanden, den seine Worte sicherlich interessieren würden... bald würde er es auch seiner armen Mutter mitteilen müssen, das war ohnehin seine Pflicht. Oh ja, dann würde sie sehen, dass er all die Jahre lang Recht gehabt hatte und es würde ihr Leid tun, ständig mit ihm geschimpft zu haben, weil er Imera nicht mochte und immer nur nach seinem eigenen, bereits toten Vater verlangt hatte. Er war sich sicher, das Jiro Raatati ein wundervoller Mann gewesen war... seine Mutter sprach selten von ihm. Viel zu selten. „Herr Magafi?“ Er verdrängte die Gedanken an seinen eigenen Erzeuger, als er den Mann entdeckt hatte, der nun verwundert auf- und sich in der Menge umsah, weil er nicht ganz zuordnen konnte, wer da nach ihm verlangt hatte. Der Junge bemühte sich um Höflichkeit – er war gespannt auf seine Reaktion, im besten Fall demonstrierte der Senator aus der weit entfernten Stadt einmal seine Macht... nicht, dass Genda davon Ahnung gehabt hätte, aber es hätte seinen Durst nach Rache sicherlich irgendwie befriedigt. „Hier! Genda Timaro, wir sahen uns mehrmals auf Feierlichkeiten.“ Ihre Blicke fanden sich und der Ältere nickte ihm verwundert zu. An sich stach er gar nicht so sehr aus den ganzen Dorfbewohnern heraus, er sah zwar ordentlich aus, war aber nicht auffällig schick gekleidet, anders als sein Sohn. Irgendwie war der junge Mann froh darum... der hatte wohl auch nicht all zu viel zu tun in der Station, wenn er am Vormittag schon wieder zurückkehren konnte... „Ich erinnere mich.“, sprach er, als sie sich gegenüber standen, „Worum geht es?“ Er schien verwundert über die Aufmerksamkeit des seiner Meinung nach außergewöhnlich hässlichen Jungens, was hatten sie denn bitte miteinander zu tun? Vielleicht wollte er sich ja als Laufbursche bewerben, er passte gut in deren Reihen und war kräftig. Wobei... konnte der überhaupt von dieser unterqualifizierten Berufsgruppe wissen? „Ich stehle Ihnen ungern Ihre Zeit, aber ich befürchte, es wäre besser, wenn wir irgendwo anders hingehen könnten, wo nicht so viele andere Menschen sind.“ Der Mann hob beide Brauen, nickte aber. Normalerweise war es nicht seine Art, sich mit pubertierenden Halbstarken abzugeben, geschweige denn deren törichten Worten ernsthaft zu lauschen, aber der komische Kerl erschien ihm nicht so, als würde er ihn mit Unsinn nerven wollen. Einmal davon abgesehen, dass er an sich in einem Haus voller pubertierenden Halbstarken wohnte. Dyami und Korhota waren vielleicht noch zu klein, um sie als solche zu bezeichnen und Takoda musste man gesondert zählen, aber Odohri, Samili und Serenka waren es definitiv. Besonders letzterer entwickelte sich in eine seltsame Richtung... er musste ihn gut im Auge behalten und vor allen Dingen dafür sorgen, dass er sich endlich von seiner Mutter löste, an der er viel zu sehr hing. Aber das war nun irrelevant, als er sich im Schatten eines Kaliri-Baumes an einer kleinen staubigen Mauer wiederfand, ihm gegenüber der seltsame Kerl namens Genda. Er begann unvermittelt zu sprechen und der Ältere fragte sich einen Augenblick, ob es ein Fehler gewesen war, einfach so mit diesem Trottel zu gehen, als sich dessen Gesicht vor Hass verzog und noch hässlicher wurde, als es ohnehin schon war. „Das wird Ihnen nicht gefallen, Herr Magafi.“, er sprach den Namen mit unüberhörbarem Hohn, der gar nicht seinem Gegenüber galt, „Um es auf den Punkt zu bringen – Ihre Frau ist ein widerliches Flittchen und unser Dorfoberhaupt ein Hurenbock.“ Wie erwartet entgleisten dem ehrenwerten Mann die Gesichtszüge zunächst einmal, ehe er sich wenige Sekunden darauf wieder mit eingeübter Mimik fasste und dem Jüngeren fest in die zu schmalen Schlitzen verengten blauen Augen sah. „Ganz richtig bist du mir vom ersten Moment an nicht erschienen, aber dir sollte klar sein, dass diese Unverschämtheit gegenüber meiner geliebten Frau und deren Neffen, der dein Vater ist, nicht ohne Konsequenzen bleiben wird.“ Genda lachte kurz auf. „Nennen Sie diesen Widerling niemals wieder meinen Vater! Gesehen habe ich die beiden, wie sie sich berührten, sich begehrten, wie sie nur ihre Ehepartner begehren sollten. Wie sie Sie und meine Mutter hintergangen haben, Herr Magafi.“ Darauf war wieder einmal Stille, bloß ein leichter Wind, der mit einem Mal aufgekommen war, ließ die Blätter des Baumes leise rascheln. Der Junge beobachtete, wie die Fassade, die der Mann als Politiker besitzen musste, ein weiteres Mal zerbröckelte und er ihn aus entgeisterten Augen anstarrte. Normalerweise erfreute er sich an solchen Anblicken, an Menschen, die litten, für die gerade eine Welt zusammen brach... aber in diesem Moment sollte seine sadistische Ader ruhen. Beinahe fühlte er etwas mit ihm, aber das ließ er sich nicht anmerken. „Du weißt, dass du einen Mann wie mich nicht anzulügen hast! Es könnte dich dein Leben kosten!“, schnappte Uda Magafi da mit ungewöhnlich dünner Stimme. Er hatte anscheinend nicht all zu viel geahnt, schien ihn aus welchen Gründen auch immer innerlich jedoch ernst zu nehmen. Wer wusste schon, was die Dame in der großen Stadt bereits getrieben, wie sie mit ihren weiblichen Reizen gespielt hatte? „Damit ich sicher sein kann, dass meine leider schon etwas älteren Ohren all deine Worte richtig verstanden haben; du dichtest meiner Gemahlin eine Affäre mit ihrem eigenen Neffen an?!“ „Ich habe sie gesehen. Mit meinen eigenen Augen. Ich kann Sie in eine Straße in der Nähe führen, wo Sie beide abfangen können.“ „Nun mal langsam!“, der Mann hob wieder etwas sicherer eine Hand. Sein Blick war skeptisch geworden. „Wir sind erst seit wenigen Wochen hier, wie soll es kommen, dass zwei erwachsene, vernünftige Leute, die beide eine Familie haben, sich auf so eine schändliche Beziehung einlassen? Ganz von dem Ehebruch abgesehen, Genda, deine Worte sind widerlich, meine Frau ist seine Tante! In der eigenen Familie verkehren ist schon seit vielen Jahren nicht mehr üblich – bei uns zumindest, aber das weiß Chatgaia auch.“ Der Junge senkte über die berechtigen Zweifel die Brauen. Es war ein Wagnis, was ihm auf der Zunge lag... wenn er sich als falsch erwies, hatte Imera das Recht, ihm letztere abzuschneiden, damit niemals wieder Unsinn seinen Mund verließ. Er wagte es dennoch. „Ich fürchte, dafür habe ich eine Erklärung.“, wieder wehte ein Wind und er kam ihm eisig vor, obwohl das unmöglich war, „Ihre... Liebe, falls es das ist, wurde neu entfacht, als sie sich wieder trafen. Ich denke...“ Es war nicht von Nöten, weiter zu sprechen, Uda Magafi verstand ihn auch so und strich sich kurz durch sein braunes Haar. Er war stolz darauf, dass es noch nicht ergraut war, wo es ihn an sich schon etwas beschämte, in seinem Alter Vater solch junger Söhne zu sein. „Du denkst, bereits bevor sie zu mir kam, waren die beiden... ein Paar? Das mag ich nicht glauben!“ Seine Frau war doch nicht pädophil oder pervers, ganz davon abgesehen, dass das eine noch wesentlich größere Beleidigung für ihn gewesen wäre, als ein einfacher Seitensprung – dann wäre er der Ersatz gewesen, die zweite Wahl... dabei fiel es ihm schon schwer genug, sich damit abzufinden, dass sie nicht zum ersten Mal eine Ehefrau war. Aber damit konnte und musste er leben, mit allem Weiteren... Himmel, diese Schande! Dieses Kind log ihn an! „Ich will meine Gedanken weiter aussprechen.“, machte letzteres da und senkte gegensätzlich zu seinem Ausdruck den Blick, „Es schwirrt mir seit vorhin im Kopf herum und lässt einige Dinge plötzlich furchtbar logisch erscheinen – aber ich weiß nicht, ob es stimmt. Ich weiß nicht, wie das in der großen Stadt ist, bei uns jedoch handelt es sich dabei um die größte Schande überhaupt, deshalb bitte ich zuvor um Erlaubnis, diese zugegebenermaßen wirklich abartige Mutmaßung aussprechen zu dürfen.“ Um diese Erlaubnis hatte Genda niemals zuvor in seinem Leben gebeten, aber in diesem Moment erschien es ihm angebracht. Er hatte sich zuvor auch nie in einer solchen Situation befunden. Der Mann hob zögerlich beide Brauen. Zustimmen tat er letztendlich wohl bloß, damit er nicht schwächer erschien, als er war. Er tat es mit einem einfachen Nicken, verengte darauf selbst die braunen Augen zu schmalen Schlitzen. Der Jüngere sah ihm nicht ins Gesicht. „Es gibt ein Bild... nun ja, vermutlich mehrere Lichtbilder von ihrer Frau im Besitz von Imera. Sie ist darauf... nun ja, so, wie sie Ihnen vorbehalten sein sollte und sie sind in ihrem Wissen gemacht worden. Scheinbar vor ziemlich langer Zeit. Wie dem auch sei, ihre Gattin ist meines Wissens nach noch einmal zurückgekehrt, als Serenka noch ein Baby war und war für einige Tage hier – meiner Meinung nach war sie Ihnen auch damals bereits untreu.“ Aus seinen Augenwinkeln sah er den verwunderten Gesichtsausdruck seines Gegenübers. „Das ist natürlich nicht schön.“, kam dann, „Aber es erscheint mir angesichts der bestehenden Möglichkeit, dass du tatsächlich Recht hast, der Himmel bewahre, doch etwas irrelevant.“ Er glaubte ja immer noch an einen dummen Jungenstreich des Jüngeren, er traute es seiner Frau, die seinetwegen nicht einmal mehr einen großen Ausschnitt trug, einfach nicht zu. Sie war doch sein. Aber angenommen, er sprach die Wahrheit, dann machte es die Sache kaum schändlicher, als sie es ohnehin schon war. „Ich war auch noch nicht fertig.“, erklärte Genda weiter, „Ich kenne Takodas Geburtstag nicht, aber ich glaube zu wissen, dass er zu dieser Zeit irgendwann entstanden sein muss. Er... sieht Ihnen verglichen mit Serenka nicht sehr ähnlich.“ Noch ehe die gerade wieder aufgebaute Fassade ein weiteres Mal brechen konnte, sprach er weiter. Die Worte sprudelten aus seinem Mund wie bei einem Wasserfall und er hörte erst auf, als er merkte, dass es seinem Gegenüber längst klar war. „Je länger man darüber nachdenkt, desto einleuchtender ist alles! Seine niedrige Intelligenz und eingeschränkte Lernfähigkeit zum Beispiel, oder seine Krankheit – auf solche Weise gezeugte Kinder sind meines Wissens nach oft nicht gesund. Aber allem voran sein Äußeres, ich denke da allein an die blauen Augen...“ Uda Magafi erwiderte nichts mehr. Sein Gegenüber sah wieder auf und entschloss sich, nicht mehr weiter zu sprechen. Er hatte verstanden. Es erboste ihn jedoch sehr, als der Herr ihm ohne weiteres den Rücken kehrte und einfach weg ging, ohne ein weiteres Wort. In „seinem“ Haus war es wie immer. Der Senator sah sich ermüdet im Flur um, er hatte das Gefühl, als hätte er zwei Tage lang durchgearbeitet. Dabei waren es bloß wenige Stunden gewesen, aber das unvermittelte Gespräch mit Genda Timaro saß ihm noch tief in den Gliedern. Er wollte ihm nicht glauben... aber irgendetwas in ihm tat es dennoch. Er erschreckte sich etwas, als sich die Haustüre hinter ihm öffnete und seine besagte Ehefrau das Haus betrat. Chatgaia blinzelte überrascht und errötete, als sie den Mann sah. „Du meine Güte! Du bist aber früh dran.“ Sie wirkte etwas erschöpft und tatsächlich nicht mehr so ordentlich zurecht gemacht wie am Morgen... sie bemerkte seine prüfenden Blicke nicht, als sie ihre sandigen Schuhe auszog. „Für jemanden wie mich gibt es in einer niederen Institution wie dieser tollen Station leider nicht all zu viel sinnvolles zu tun und alles was da war, hat mir Choraly gestohlen.“, hörte er sich selbst antworten, als die Grünhaarige kurz in die Stube lugte. „Ah.“, war die halbherzige Antwort, „Sag, hast du Takoda gesehen? Ich habe ihm ein neues Puzzle geschenkt, er hat es gar nicht fertig gemacht, sehe ich gerade.“ Sie schritt wieder an ihm vorbei, dieses Mal in die Küche, um sich nach einem kurzen Blick aus dem Fenster an ein kleines Mittagessen zu machen. „Wobei Serenka mir noch versprochen hatte, etwas kleines mit ihm zu unternehmen... sie sind sicher zusammen unterwegs, ist okay.“ Er hatte dem Inhalt ihrer Worte eben so wenig gelauscht wie sie ihm zuvor, nur wenig war bis zu ihm hindurch gedrungen. Takoda. Etwas zog sich in ihm zusammen. Vielleicht war es sein zerberstender Stolz. Er wollte es wissen. Ohne seine Schuhe ausgezogen zu haben, folgte er ihr, trat neben sie an die Küchenablage und sah sie von der Seite her ernst an. Sie hielt inne und erwiderte seinen Blick. Ihre orangenen Augen waren stolz... es gab nichts wofür sie sich schämten. Sie waren unverschämt! Noch ehe sie sich nach seinem seltsamen Verhalten erkundigen konnte, brach er das Schweigen. „Woher kommt Takoda, Chatgaia? Wer ist dieses Kind?!“ Darauf weiteten sich die ehrerbietenden Augen minimal, kaum merklich, aber es entging ihm nicht. Etwas in ihm begann darauf zu stechen. „Takoda?“, fragte sie mit kaum veränderter Stimme zurück, „Woher kommt er wohl? Aus meinem Unterleib, so, wie alle Kinder aus dem Unterleib ihrer Mütter kommen. Er ist unser Sohn.“ „Ist er das?“ Sie wich einen Schritt zurück, als er ihr näher trat und sie anfunkelte wie ein Raubtier seine Beute. Das kannte sie nicht von ihm... sie erkannte sein Wissen und verweigerte jegliche Reaktion darauf, doch ihre nun etwas trotzig wirkende Fassade fiel anders als bei ihm zuvor nicht. Er legte ihr sanft eine Hand auf die Wange und sie beugte sich seiner Berührung. „Lüge nicht im falschen Augenblick, Frau.“, warnte er sie mit ruhiger, aber zitternder Stimme und als sie den Blick abwandte, wusste er, dass ihr klar war, wovon er sprach. „Takoda ist unser Kind!“, sprach sie dann, „Das Kind von uns beiden!“ Darauf fing sie sich eine schallende Ohrfeige. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihr zumindest zu seiner Familie voll und ganz zahmer Mann so etwas tun würde und so stolperte sie unvorbereitet und von ihren Göttern im Stich gelassen und landete unsanft auf dem Hintern, sich den Kopf am Küchentisch anstoßend. Letzteres tat jedoch weitaus weniger weh als ihre pochende Wange und die aufgeplatzte Lippe... und ihre Seele, als Uda Magafi ihr den Rücken kehrte und das Haus verließ. -- Genda war sauer. Er war wirklich sauer. Da machte er sich die Mühe, dem guten Mann die ganze Geschichte zu erzählen und dann bekam er überhaupt keine Rückmeldung! Woher sollte er denn jetzt bitte wissen, ob Imera zum Tode verurteilt wurde oder nicht? Ach, wie er es hasste! Er hatte irgendwie Lust, dem dummen Lockenmädchen seine Unschuld auf grausame Weise zu rauben – das war eigentlich nicht seine Art, aber im Moment wollte er einfach möglichst brutal sein und viel Schaden anrichten... und das würde er auch. Er hielt blöd lachend inne, als die nächsten Magafis, dieses Mal ein sehr genervter Serenka und ein schüchtern lächelnder Takoda, in seiner Sichtweite erschienen. Na super, da würde der alte Mann einmal sehen, was man davon hatte, wenn man ihn einfach so stehen ließ... er war nicht weniger wert als diese dummen Stadtgören... Zärtlich begrüßt wurden die Beiden, die ihn zuvor nicht gesehen hatten, als er dem Älteren der Brüder so fest ins Gesicht schlug, dass er sein Gleichgewicht verlor und in seinen edlen Rüschenklamotten im Sand landete. Er war sogar zu geschockt zum Heulen, als er mit gerötetem Gesicht und dröhnendem Schädel zu ihm aufsah. Der Jüngere schlug sich geschockt beide Hände vor den Mund. „Wo-wofür war die denn bitte?!“, keuchte Serenka da und rappelte sich verwirrt über Himmel und Erde wieder auf, Takoda stützte ihn sofort besorgt . „Bloß zur Begrüßung!“, grinste der Ältere und entblößte einer Reihe kleiner Zähne, unterbrochen von einer unästhetischen Lücke vorn oben, „Ich weiß etwas schönes, wollt ihr es wissen?“ Während sein verletztes Gegenüber zu verwirrt war, um überhaupt irgendetwas konstruktives zu erwidern, weiteten sich die Augen des Kleinsten mit einem Mal bedrohlich. „Nein!“, schnappte er, „Wir möchten nichts hören, ich denke!“ Er versuchte seinen Bruder weg zu ziehen, doch der blieb perplex stehen, als Genda wieder lachte. Er konnte definitiv nicht schön lachen, dem kleinen Jungen standen die Nackenhaare dabei zu Berge. „Ich möchte aber sprechen!“, er hob amüsiert beide Brauen, „Nanu, wie viel weißt du denn? Hast du bloß mitbekommen, dass deine Mutter es fröhlich mit Imera treibt oder weißt du sogar bereits, dass du dessen rechtmäßiger Erbe bist?“ Er sah nicht nur den Angesprochenen, sondern auch Serenka aus seinen Augenwinkeln erbleichen und es erfüllte ihn mit einer angenehmen Wärme, dass er sich so abreagieren konnte. Das brauchte er. Auch wenn er sich kurzzeitig fragte, ob er vielleicht doch etwas unüberlegt gehandelt hatte, als Takoda erbärmlich zu zittern und zu wimmern begann, ohne, dass irgendwer einer seiner Laute als Wort hätte erkennen können. „Wovon redest du?“, mischte sich dann auch der Ältere der beiden Brüder – Halbbrüder – wieder ein und Genda warf ihm einen abschätzenden Blick voller Spott und Hohn zu. Ja, die tollen Städter... „Deine ehrenwerte Mami macht es fröhlich mit ihrem Neffen – nicht erst seit kurzem, sondern bereits seit ewigen Jahren und sie hat mit ihm ein Kind gezeugt, dass durch diesen Leichtsinn mit einer jämmerlichen Krankheit gestraft ist und es ihrem bonzigen Ehemann untergeschoben, in der Hoffnung, es würde niemals auffallen!“ Serenka schüttelte entgeistert den Kopf und sein Gegenüber lachte weiter höhnisch. „Das ist nicht wahr...“, schnappte er, „Das ist einfach nicht wahr! DU LÜGST!“ Er schrie es mit einer solch entsetzlichen Hysterie, dass dem Älteren das Lachen im Hals erstickte und Takoda darauf ebenfalls aufschrie. „Wie kannst du es wagen, meine Familie derart in den Dreck zu ziehen?! Wie kannst du es wagen, zu behaupten, mein Bruder sei nicht vom selben Fleisch wie ich?! Sprich! Sag es mir!“ Als ein ungewöhnlich starker Wind aufkam befürchtete Genda einen Augenblick lang tatsächlich, einen Fehler gemacht zu haben, einen Magier derart auf die Palme zu bringen, dann entschied er jedoch, dass es nichts zu bereuen gab. „Ich kann denken!“, war die amüsierte Antwort so einfach, „Ich habe die beiden gesehen! Ich habe Bilder gesehen, alte Bilder! Und ich sehe das Gesicht meines Vaters in dem deines Bruders!“ Der Grünhaarige starrte ihn aus weit aufgerissenen roten Augen an. In ihnen lag etwas wahnsinniges... er wusste es auch. Er hatte es gerade zur Kenntnis genommen, soweit es ohne Beweise möglich war, aber vielleicht war es ihm im hintersten Bereich seines Kopfes sogar selbst schon einmal aufgefallen. Dennoch schüttelte er den Kopf, ehe er ihn langsam zu dem wimmernden kleinen Jungen umdrehte. Er hätte ihn an diesem Tag nicht mitnehmen dürfen. „Sprich...“, forderte er trotzdem von ihm, „Was weißt du?“ Er erwiderte nichts. Er konnte nichts sagen. Auch er war intelligent genug, um die Worte des Älteren verstehen zu können... und er gab ihnen von Anfang an mehr Wahrheit als Serenka es tat, denn er wusste bereits von dem Tun seiner Mutter. Aber dass er da mit drin steckte... dass er ein Teil, nein, das Resultat davon war, das war ihm neu. Er war krank deswegen... er war krank deswegen! Deswegen war er krank?! Er schrie gellend auf, dann wandte er sich ab und rannte weg. Genda war fast schon irritiert von der heftigen Reaktion der Geschwister auf seine dahergesagten Worte... vielleicht hätten sie ihm nicht einmal geglaubt, wenn der kleine scheinheilige Junge nicht zuvor schon so viel gewusst hätte... er unterbrach seine verwirrten Gedanken, als er mit einem Mal selbst eine Faust im Gesicht spürte und er ungewollt ein paar Schritte zurück stolperte, sich empört an die brennende Stelle fassend. Er hatte kaum Zeit zur Reaktion, da blies der Wind ihn zu Boden und kurz darauf war Serenka über ihn, zog ihn unvermittelt brutal an den braunen Haaren etwas hoch. „Was hast du getan?!“, schrie er wie besessen, „Wie soll ich meine Mutter nach deinen Worten und der eindeutigen Reaktion meines Bruders bitte noch lieben, kannst du mir das sagen?! Wie sollen wir heute Abend nach Hause gehen?! Du hast unser Leben zerstört!“ Er ließ von den Haaren ab und schlug ihn abermals... er wusste gar nicht, wie oft er mit aller Kraft, die deutlich höher war, als man seiner schlanken Gestalt auf den ersten Blick zutraute, in sein Gesicht getroffen hatte, das einzige, was er wusste, war, dass der Ältere ziemlich kämpfen musste, um ihn wieder von sicher herunter zu bekommen und dass der Jüngere sich darauf selbst über sein brutal zugerichtetes Antlitz erschreckte. Genda stand blutend vor ihm. „Ich spreche die Wahrheit!“, keuchte er, „Ich spreche die Wahrheit und das ist der Grund, weshalb ihr mich aus eurer Welt voller Lügen ausstoßt!“ Dann verschwand er. Serenka stand alleine da. Wo war Takoda? -- Genda war zu geschockt, um sauer zu sein. Als würde er träumen schleppte er sich zu seinem eigenen zu Hause zurück, das nach seinem Betreten scheinbar leer war. Niemals im Leben hätte er damit gerechnet, dass dieser kleine Halbstarke es wagte, derart an ihn zu gehen, ihm ernsthaft Schmerzen zu bereiten – das war Wahnsinn! Er betrat sein Zimmer und erschreckte sich, als er seinen Kleiderschrank öffnete... an der Innenseite der Tür war ein kleiner Spiegel angebracht und er zeigte ihm, dass sein Gesicht definitiv so aussah, wie es sich anfühlte. Rot und geschwollen... dieser Spinner hatte ihm ein blaues Auge geschlagen! Das würde in den nächsten Tagen ja klasse aussehen, wie ärgerlich, als ob er nicht schon hässlich genug war. Er erschauderte, als er mit einem Mal bemerkte, dass sein unschönes Antlitz ihm eigentlich mehr ausmachte, als er sich selbst eingestehen wollte. Als Imeras leiblicher Sohn wäre er hübscher gewesen... Er schüttelte kurz den Kopf und nahm sich ein neues Hemd, ehe er den Schrank angewidert wieder schloss und sich umzog. Er wollte ins Badezimmer, sein Gesicht kühlen... wenn er es gleich tat, würde es vielleicht nicht zu widerlich werden. Am Ende ekelte Samili sich noch vor ihm... Er schnaubte. Sie war ein bildschönes Mädchen, er hatte ihr die Unschuld geraubt und sie hatte allem Anschein nach viel Spaß dabei gehabt... aber für eine ernsthafte Beziehung war sie wahrlich ungeeignet. Nein, falsch – er war es. Selbst wenn sie ihn gewollt hätte, er hätte lächerlich ausgesehen neben ihr. Er hatte nie eine Freundin gehabt... Mit einem Mal war er deprimiert und als die Badezimmertür sich als verschlossen erwies, wurde er wieder wütend. „Hallo?!“, schnappte er säuerlich, „Ich müsste da hinein!“ Hoffentlich war es nicht Imera, er würde ihn tot schlagen, wenn er jetzt öffnete. Dieser widerwärtige Mistkerl... wie konnte er seiner Mutter so etwas nur antun?! Nichts regte sich. „Wer ist denn bitte da drin? Hallo?!“ Er rüttelte demonstrativ an dem Holz, ehe er nach unendlichen Momenten endlich seine Antwort erhielt. „Ich... bin es...“ Genda hob beide Brauen bei der schwachen Stimme seiner Mutter. Sie zitterte... etwas schlug in ihm Alarm. „Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich, während sich seine Wut verflüchtigte und wieder ließ die Reaktion unnatürlich lange auf sich warten. Es beunruhigte ihn. „Ist schon okay... aber du kannst nicht hier rein... ist es dringend?“ Er ging nicht auf ihre Frage ein. „Was ist los? Sprich! Weinst du?“ Sie ahnte sicher bereits etwas... wer wusste schon, weshalb Takoda bereits so viel gewusst hatte? Sie war seine Lehrerin... „Ich weine nicht!“, kam dann, „Aber du... kannst nicht hier herein, das... wäre nicht gut für dich... gib mir Zeit, ich komme schon klar... ich...“ Ihre Stimme erstickte und der Junge öffnete verwirrt seinen Mund ein Stück. Was war das? Das kannte er nicht, das war nicht normal für seine Mutter! „Irgendetwas stimmt nicht mit dir!“, entschied er einfach und als sie ihm nicht öffnete, brach er die Tür mit Gewalt auf. Fast hätte er sich über den darauf folgenden ziehenden Schmerz in seiner Schulter beschwert... aber nur fast. Er erstarrte. Lilliann sah ihn an, als sei er ein Geist. In ihrem Blick lag so vieles... Verzweiflung, Trauer, Unglauben, Verwirrung... Schmerz. Nicht nur seelischer. Sie saß angelehnt an die gegenüberliegende Wand und der Sohn dachte zunächst beim Anblick der zähflüssigen Blutlache vor ihr am Boden, sie hätte sich etwas angetan, aber dem war nicht so, als er ihren unversehrten Körper mit dem Blick überflog. Sein Mund bewegte sich, aber kein Laut verließ seine Kehle, als er sich die rote Flüssigkeit genauer betrachtete... kein normales Blut... schleimig, unrein mit... Brocken... Sein Gesicht wurde bleich, als er an ihr vorbei stürmte und es gerade noch bis zur Toilette schaffte, um sich heftig zu übergeben. Das riss sie wohl aus ihrer Starre... sie sah ihm besorgt nach, ehe sie mit ungewohnt tadelnder Stimme zu ihr sprach. „Sagte ich dir nicht, dass es nichts für deine Augen ist?“ Sie versuchte, sich zu erheben, brach aber bald wieder zusammen, als der Schmerz in ihrem Unterleib wieder bedrohlich zunahm. Sie keuchte. Genda sah sie keuchend wieder kurz an, ehe er das Gesicht wieder wegdrehte. „Was ist das?!“ Woher kam dieses abartige, widerliche Blut... es stank irgendwie in der Hitze des Raumes... er stürzte die wenigen Schritte auf das Fenster zu und riss es weit auf. Seine Mutter schluchzte leise. „Was soll ich antworten?!“, wisperte sie schwach und fuhr in sich zusammen, als der Schmerz weiter wuchs, ihren Unterleib unangenehm zu verbrennen drohte, „Mein Geist weiß es nicht! Er versteht es nicht! Mein Verstand sagt mir, dass es dein Geschwisterchen war...“ Er wandte sich geschockt wieder zu ihr um, wie sie zusammengekauert in der langsam wirklich eklig riechenden Brühe hockte... sie musste schon eine ganze Weile so hier sitzen, dass man das Zeug schon riechen konnte. Er hatte das Bedürfnis, seinen Magen erneut zu entleeren, unterdrückte es jedoch zunächst einmal noch. „Du warst schwanger?“, fragte er tonlos und war zu geschockt um sich zu schämen, als ihm Tränen in die Augen stiegen, „Du hast... es verloren?!“ Sie musste nicht antworten. -------------------- The Drama. Das Kappi ist komplett entstanden, als Linni bei mir war (ja, so unhöflich bin ich). Komische Widerlichkeiten Schuld by Eiszeitbuch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)