Außenwelt von Memphis (Multistabile Separatrizenmatrix) ================================================================================ Schnittmenge ------------ Man könnte jetzt annehmen, dass ich auch die nächste Woche auf Grund dieses Telefonats geschwänzt hätte. Tat ich aber nicht und dafür gab es einen ziemliche banalen Grund, er nennt sich Klassenarbeiten. Ich wusste vage, dass ich in der Woche eine wichtige Arbeit hatte und ich es mir bei der Lehrerin nicht verscherzen sollte, da ich in dem Fach, Englisch übrigens, nie sonderlich stark war. Und als ich dann Montagmorgen mit einem flauen Gefühl im Magen, wie immer, wenn ich solange gefehlt habe, das Klassenzimmer betrat, war ich froh, dass Chris noch nicht da war. Eigentlich war er so gut wie nie vor mir da, also von daher war das nichts besonders, aber es war trotzdem ein gutes Zeichen für mich. Und als er das Klassenzimmer betrat schien er bewusst nicht in meine Richtung zu sehen, anders wie er sonst tat. Eigentlich sollte ich mich darüber freuen, aber natürlich tat ich es nicht. Noch war er für mich der einzige Freund, den ich hatte. Nun ja, zumindest von der Gefühlsebene her. Gedanklich hatte ich mit ihm abgebrochen, als ich ihn in das Buch geschrieben habe. Nur leider war es am Anfang immer etwas schwerer sich emotional und rational auf eine Ebene zu bringen. Aber ich konnte das, dass wusste ich... Ich sollte übrigens doch recht behalten, dass er es mir einfach macht. Er hat genauso angefangen mich zu ignorieren, wie ich ihn. Es war... ein bisschen seltsam. Manchmal sah man sich eben, dass ließ sich nicht vermeiden, wenn man in die gleiche Klasse ging. Die Blicke kreuzten sich kurz und dann wandten wir sie beide ab. Es war eben das, was ich damit meinte, eine Person bewusst nicht zu kennen, von der man eigentlich mehr wusste, dass sie einem viel bedeutet. Naja, es tat zu erst ziemlich übel weh. Ich mein, ich fand es einfach beschissen, dass er mich so schnell aufgab. Sicher, ich hab das selber so gewollt. Aber für das, dass er mich eigentlich mochte, hatte er sich auch keine Mühe gegeben. Nicht das er noch eine Chance gehabt hätte, aber trotzdem... Der Gedanke, dass ich ihm vielleicht doch nicht so wichtig war, wie ich dachte, war unangenehm und brachte die Wut zurück, die Wut auf mich. Und die Tränen. Ich war wütend darüber, dass ich gedacht habe, dass er mich wirklich mochte. Ich war wütend darüber, dass ich deswegen alles kaputt machen musste. Wegen etwas, dass vielleicht gar nicht existiert hat. Und ich war wütend, weil ich wieder alles in Frage stellen musste. Auch unsere ehemalige Freundschaft. Ob er einfach nur einen Depp gebraucht hat, bei dem er seinen Seelenscheiß hat abladen können, ohne Angst haben zu müssen, dass er es jemand weiter erzählt, weil ich doch gar niemanden hatte, dem ich irgend etwas über irgend jemand hätte erzählen können. Es kamen mir auch so lästige Gedanken, dass er sich eigentlich nur immer lustig über mich gemacht hat, wenn ich ihm irgendwas persönliches erzählt habe. Das er es als Anekdote seinen dämlichen Freunden weiter gegeben hat, um mit ihnen dann über mich zu lachen. Eigentlich wusste ich, dass er das nicht getan hat. Ich kannte Menschen gut genug, um zu wissen, wenn man ihnen etwas anvertrauen kann und wann nicht... Aber es waren Gedanken, die ich brauchte, um vom allem los zu kommen und sie erstickten soviel, was mich hätte aufmuntern können. Das war auch wichtig, wenn man sich wieder zurück in sein Schneckenhaus verzieht. Mit der Zeit wurde es dann auch endlich besser... Ich konnte in die Klasse gehen, ohne sofort daran zu denken, ob er schon da sein wird, um mich mit einem kühlen Blick zu durchbohren, bevor er mich wieder ignorierte. Und ich spürte auch nicht mehr den Drang, mich im Unterricht zu ihm umdrehen zu müssen, wenn er etwas sagte oder man hören konnte, wie er gerade irgend einen Scheiß machte. Und ganz langsam fand ich auch gar nichts mehr toll an ihm. Nicht seine Witze, die genau meinen Humor trafen, noch sein Lächeln, das mich früher öfters aufgemuntert hat, auch nicht seine Art mit Menschen umzugehen, für die ich ihn immer bewundert habe. Ich fand es albern, dass er so gut in den mathematischen Fächern war und nichts daraus machte, weil er doch irgendwie ein fauler Hund war. Kurz um, ich hatte es geschafft. Yeah, bin ich nicht toll? Ihr entschuldigt sicher, dass sich mein Triumph und Freude in Grenzen hält. Menschen zu verlieren ist immer beschissen, selbst wenn man selber Schuld dran war. Oder gerade dann. Ich verbrachte jetzt wieder viel Zeit am Computer, schrieb mit irgendwelchen Leuten, die ich nie im Leben wirklich sehen würde und dachte, dass es ein schönes Gefühl war. Ich konnte ihnen viel erzählen... es war alles so sicher... auch für meine Gefühle. Aber hey, wenn man denkt, es läuft alles prima, muss sich das natürlich mal ändern, logisch, nicht? Ich mein, es kann nie immer aufwärts gehen. Nur war der Sturz nach unten diesmal besonders heftig. Aber wenigstens nicht nur für mich... „Wo ist euer verficktes Problem?“ Ich kannte seine Stimme so gut, auch wütend und gerade war er es ziemlich. Verständlich irgendwo... „Hey, Mann, kein Grund dich so aufzuregen... aber du musst auch uns mal verstehen.“, kam es von einem seiner Freunde zurück, dessen Name mir gerade nicht einfiel. Die anderen Typen, die sich um die zwei tummelten nickten nur zustimmend. „Ich soll euch verstehen?! Was soll ich denn verstehen?!“, gab er noch immer aufgebracht zurück. „Weißt du, es is was anderes, ´n bisschen auf schwul zu machen, um ´n paar Mädels rumzukriegen, oder es wirklich zu sein...“, versuchte sich Manu – ha! Ich wusste den Namen wieder – zu erklären. „Und?“ Chris schien ganz offensichtlich ihr Problem wirklich nicht zu verstehen. „Ach, komm, es is nich ganz so einfach wegzustecken, dass du jetzt schwul bist.“ Wieder kollektives Nicken als Zustimmung. „Und deswegen muss es auch ja jeder wissen, oder? Oh, und deswegen nervt ihr mich mit irgendwelchen gefickt, nervigen Spekulation über mein Sexleben? Schon klar, es is verdammt hart für euch. Ich seh schon....“ Mit dem Satz schubste er Manu wütend von sich und stapfte aus dem Klassenzimmer. Na ja, mein Mitleid hielt sich in Grenzen, das hatte man davon, wenn man betrunken irgendwelchen Kumpels erzählt, dass man schwul ist. Selbst ich wusste es am nächsten Tag. Also nicht, dass ich es nicht schon vorher gewusst hatte, aber nun halt offiziell. Es war auch das Klassenthema schlechthin. Seit einer Woche zerrissen die sich über nichts anderes den Mund... Irgendwie hätte ich mehr ablehnende Reaktionen erwartet, aber es hielt sich in Grenzen. Es beschränkte sich meistens auf irgendwelche flachen Witze, bei denen Chris selber manchmal mitlachte und am Anfang schien er gut mit seinem unfreiwilligen Outing klar zu kommen. Naja, bis sie angefangen haben in seinen Beziehungskisten herum zu wühlen, viel mehr in seinen nicht vorhandenen... Derzeit fragten sich wohl die meisten, wie Chris überhaupt zu der Erkenntnis kam, dass er schwul war. Als er betrunken war, hatte er was von einer Person gelabbert, aber keine Namen genannt. War schon klar, wenn er gemeint hatte. Ich konnte mich geehrt fühlen, oder? Hey, immerhin hab ich ihm ohne etwas zu tun, dazu gebracht sich seiner sexuellen Orientierung klar zu werden, krass, ne? Aber ihn nervte das Thema tierisch, generell dass jeder so einen hype darum machte. Für ihn schien sich die Tragik Schwulzusein in Grenzen zu halten. Und ein bisschen bewundere ich ihn dafür. Ich könnte es nicht. Sicher, ich hatte kein Problem damit, auf Jungs zu stehen, aber nur im Stillen, Heimlichen und nicht öffentlich. Irgendwie feige, oder? Aber so war es nun mal. Ich hatte keinen Bock mir so ein Gelaber anhören zu müssen, oder Witze auf meine Kosten ertragen zu müssen. Und ich wäre auch übel am Arsch, wenn meine Eltern etwas davon erfahren würden. Sie sind ja eigentlich recht liberal... aber manchmal halt auch nicht. Ich glaub, sie würden nicht wirklich gut damit umgehen können, wenn sie erfahren würden, dass ihr werter Sohnemann schwul wäre. Ich hab mir das öfter mal vorgestellt... Ein Szenario schlimmer als das andere und leider nicht so unrealistisch, wie ich es manchmal hoffte. Und naja, heimlich ging dieser Beziehungsscheiß meistens nicht, deswegen renne ich vielleicht vor allem weg... aber nur vielleicht... Ich wusste es ehrlich gesagt nicht genau. Nun ja, kommen wir mal zu meinem wichtigen emotionalen Tiefs zurück und der Grund warum Chris Outing auch an mir nicht spurlos vorbei geht. Naja, kurz um, die Leute stellen ehrlich gesagt Spekulationen über uns an. Also mich und ihm. Ihm und mich. Hach ja... wie ich diese Klasse liebte... Die meisten wussten nämlich, dass wir öfter mal was nachmittags unternahmen und uns halt einfach kannten. Auch wenn es den Lehrern nie aufgefallen ist, Schüler kriegen da natürlich mehr mit. Und ihnen ist auch aufgefallen, dass wir dann auf einmal so einen Bruch hatten. So einen krassen, wie es bei Pärchen üblich war, nicht bei Freunden. Und tada, da habt ihr es: Das perfekte Gerücht! Und wer war Schuld? Er, natürlich! Selbst betrunken kann man doch seine Fresse über so einen Scheiß halten, oder? „Der ging ja gerade ab...“ „Hat vermutlich seine Tage.“ Lachen. Wenigstens machten sie solche Witze noch nicht über mich. Ob Chris wusste, wie sie jetzt über ihn dachten? „Hey, willste nicht deinem Liebsten nach, ihn trösten?“, kam es plötzlich in meine Richtung. Args, wie konnte ich auch denken, dass sie es nicht bemerken, dass ich sie die ganze Zeit grimmig beobachte. Grimmig, weil es mich nervte, dass sie mich in die ganze Sache mit reinzogen! „Hä?“ Oh... äh... ja, das war wohl meine eloquente Antwort darauf. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie etwas zu mir sagen würden. „Ach komm, es ist doch so offensichtlich, dass da was zwischen euch gelaufen is...“, mischte sich jetzt auch noch ein Mädchen eine Reihe hinter mir ein, Julia. Aha... war das so? Wäre mir neu. Ich hasse Tratsch. „Schon, kam mir damals schon seltsam vor...“, wieder der Kerl, der mich gerade so scheiße von der Seite angelabert hat. Ich schaute sie immer noch etwas irritiert an. Bis jetzt hatten sie dieses Gerücht vor mir nie offen ausgesprochen. Verdammte Scheiße, wie es mich ankotzte und das alles nur wegen diesem dämlichen Kerl. Ich hätte besser was sagen sollen, aber in dem Moment war ich irgendwie noch nicht ganz darauf vorbereitet. So hab ich dem Gerücht auch noch neues Futter gegeben. Was ich spätestens am nächsten Tag bereute, als ich mir schon am Morgen so ein mistiges Gelaber anhören müsste und mich mit Fragen wie „Na, wie ist Chris so im Bett?“, „Wie lang ging die Sache zwischen euch?“ oder „Wer hat denn oben gelegen?“ rumschlagen musste. Ich mein Hallo, war sich jetzt jeder einig darüber, dass ich auch schwul war? Verfickte Scheiße... ich war so wütend. Die könnten mich auch mal fragen, anstatt so einen Schrott zu labern. Und ich würde ihnen offen und ehrlich ins Gesicht lügen! Ha! Vielleicht wussten sie das ja... „Könnt´ ihr mal mit dem Scheiß aufhören?! Ich bin Gott verdammt noch mal keine verfickte Schwuchtel!“ Huch, okay, sie mussten mich gar nicht danach fragen, ich würde ihnen auch so ins Gesicht lügen. Aber ehrlich, ich war wirklich, wirklich, wirklich sauer. Das war alles was ich vermeiden wollte, warum ich soviele Freundschaften abgebrochen habe. Damit genau das nicht passiert. Und jetzt? Toll, alles umsonst. Sich so gequält für gar nichts. Warum mussten sie mir alles kaputt machen, warum musste er das? Gerade wo es besser lief. Betretenes Schweigen. „Ach, komm schon, vor uns kannst du es ruhig zu geben. Man sieht es dir außerdem schon auf zehn Meter Entfernung an.“, meinte Manu schließlich dazu. Lachen. Ich starrte ihn entgeistert an. Bitte, was? Ich... war kurz davor eine wahnsinnige Identitätskrise zu kriegen. Gut, ich war schwul, dass wusste ich, nervte mich tierisch und das hasste ich ehrlich gesagt auch ziemlich an mir, aber dass man mir das auch noch ansah, gab mir jetzt auch noch den Rest. Das meinte der Kerl, doch nicht ernst, oder? „Ich seh nicht schwul aus! Und ich bin es auch nicht!“ „Schön für Sie, dann können Sie sich ja auch setzen und wir fangen mit dem Unterricht an.“ Lehrer waren Scheiße. Wie Chris auf meinen Ausbruch reagiert hat, weiß ich nicht, ich hab nicht zu ihm geschaut. Im Grunde hab ich ihm gerade entgegen geschleudert, dass ich ihn verabscheue. Und ich hatte auch Grund dazu, der Idiot hatte ja schließlich an allem Schuld. Arschloch. Mit der brodelnden Stimmung kam ich auch nach Hause... Die anderen schienen trotz meiner Beteuerungen nicht von ihrer hervorragenden Idee abkommen zu wollen und machten sich weiter lustig über mich. Und Chris?! Was tat Chris? Er saß nur da und starrte aus dem Fenster. Vermutlich froh darüber, nicht mehr selber im Kreuzfeuer dieser Aasgeier zu stehen. Und hätte mich jemand auf die Situation vorbereiten können, die mich zuhause erwartete, ich wäre dankbar gewesen. Aber leider stampfte ich ohne mein Wissen direkt einer Höllenbieste entgegen, meiner Mutter. Über meine Mutter ist zu sagen, dass sie eigentlich ein lieber, verständnisvoller, intelligenter Mensch ist, der gerne Kontakt zu anderen Leuten hat und mit vielen gut auskommt. Also mir nicht unbedingt ähnlich. Und diese Eigenschaften machten sie im Moment, in dieser Situation gerade zu so einem Monster. Als ich das Haus betrat, ahnte ich es, wie gesagt, noch nicht, aber als ich ihre ernste Miene sah, schwante mir langsam etwas. „Spatz, ich glaub, wir müssen mal reden.“ Args, nein, der Kosenamen, der Tonfall... es würde etwas schreckliches passieren. „Was denn?“, gab ich genervt zurück. Ich war ganz und gar nicht zum Reden aufgelegt. Lieber würde ich jetzt gerne etwas.... zerfetzen. Ich muss zerstören, aber es darf nicht mir gehören. Ihr wisst schon. „Naja, also... mir ist da was zu Ohren gekommen und ich glaub, ich als deine Mutter, sollte mal mit dir darüber reden. Und ich wollte das, bevor ich mit deinem Vater darüber spreche.“ Sie schaute mich weiterhin ernst an, versuchte sich allerdings mit einem kleinen Mama-hat-dich-selbst-als-Monster-mit-Schuppen-und-Klauen-gern-Lächeln. Es half nichts, ich war scheiß beunruhigt. Ich mein, es konnte doch nur DARUM gehen. Wie hat sie jetzt davon erfahren? „Ich hab jetzt aber keine Zeit dafür!“, zischte ich unfreundlich. Nein, das würde ich jetzt wirklich nicht ertragen. In keinster Weise und ich musste Dampf ablassen, aber sowas von. Und zwar an einer Person, die es verdient hatte. Und der Gedanke war ausschlaggebend, dass ich die gerade entledigten Schuhe wieder anzog und aus dem Haus stürmte. Ich hatte noch immer diese Stinkwut in mir. Diesmal keine Wut auf mich selbst und meine Dummheit und all dem Quatsch. Sondern einzig und alleine auf Chris. Meine Mutter wusste ES und wollte auch noch mit mir darüber reden! Ich mein, dass war noch schlimmer, als die dämlichen Witze in der Klasse. Chris wohnte nur ein paar Straßen weiter von mir, leider, sonst hätte ich länger Zeit gehabt, über meine Aktion nachzudenken. Dass ich rannte bemerkte ich nicht, aber ich glaube, dass hat mich auch irgendwie aufgestachelt. Ihr wisst schon, all die kleinen Endorphine, die bei Bewegung freigesetzt werden und aufkratzen. Ich klingelte Sturm, was an und für sich unhöflich ist, mir aber in dem Moment sowas von egal war. Einmal durfte man sich das erlauben, wenn einem das Leben auch schon fickte. Geöffnet wurde mir von Chris kleiner Schwester, die mich abwertend anstarrte und dabei auf ihrem Kaugummi kaute. Vierzehn war sie, soweit ich mich erinnern kann, schreckliches Alter. Ehe ich ihr eine Unfreundlichkeit entgegen schleudern konnte, ließ sie mich auch schon in der Tür stehen, um die Treppen hochzubrüllen. „Hey, Chrissy, dein Lover steht vor der Tür.“ Args, dieses Kind wird heute auch noch sterben. Ich glaub, dasselbe hat sich Chris auch gedacht, als er seine Zimmertüre aufriss und die Treppe runtergepoltert kam. Er schien auch gerade zu einer aufgebrachten Antwort anzusetzen, als er mich in der Tür stehen sah. Da war es ja, mein Opfer! „Weißt du eigentlich, was du für ein Scheiß Wichser du bist?“, brüllte ich ihm dann auch schon entgegen. Yeah, normalerweise sollte man sich ja nicht auf so ein niedriges Niveau hin hab begeben und mit Schimpfwörtern um sich schmeißen, aber genau das hatte ich jetzt bitternötig. „Ach, und das sagst gerade du mir?!“, gab er nicht minder laut zurück. „Uhm... Brüderchen, so interessant eure Unterhaltung auch ist... ich glaub nicht, dass sie die Nachbarn am Ende der Straße auch mitverfolgen wollen.“, mischte sich diese dämliche Göre auch noch ein. Allerdings hatte sie recht... die Tür war noch immer offen und eigentlich war streiten zwischen Tür und Angel auch nicht gerade das, was ich wollte. Ich konnte ihn ebenso in seinem Zimmer zur Schnecke machen. So etwas ähnliches schien sich Chris auch gedacht zu haben, denn er stampfte wieder die Treppe hoch in sein Zimmer. Ich folgte ihm. Gerade als ich die Tür hinter mir zu geschlagen habe und weiter brüllen wollte – meine Wut war nicht im mindesten gelindert. Eigentlich ist sie sogar noch gewachsen! Der Kerl benahm sich so, als hätte ich Schuld an dem ganzen Scheiß und nicht er. - unterbrach er mich. „Was zum Henker willst du plötzlich hier?! Ich dachte wir hätten uns nichts mehr zu sagen.“, seine Stimme zitterte vor Wut. Es war keine verzweifelte, hoffnungslose Wut, sondern eine ganz normale verärgerte, wie meine auch. „Du Depp hättest auch nicht irgend einen Schrott erzählen müssen, als du betrunken warst!“ Hätte er die Klappe gehalten, wäre jetzt alles bestens. „Ich hab keinen Scheiß erzählt, ich bin schwul! Das weißt du!“ Er schien sogar noch eine Spur verärgerter zu sein, als vorhin. Ihn schien meine Reaktion aber mehr als nur anzupissen. Gut so. „Das ist doch kein Grund es jemand zu erzählen, ich hab es auch nicht getan!“ Und hab damit jedem viele Unannehmlichkeiten erspart – im Gegensatz zu ihm. „Nun ist es eh schon zu spät! Ich kann es auch nicht rückgängig machen und ich wüsste auch nicht, was es dich angehen würde.“ Fassungslos starrte ich ihn an. „Es geht mich ´ne ganze Menge an, wegen dir tratscht jetzt jeder, dass ich auch schwul wäre!“ Ist ihm denn nicht klar, wie schrecklich das ist?! „Wo ist das Problem, du bist es doch auch, oder?“ Nein, er verstand es wirklich nicht. Idiot. „Das geht aber niemand irgendwas an!“ Es reichte schon ganz alleine, dass ich es überhaupt selber wusste. Ich hatte ziemlich lange gebraucht, um das einigermaßen zu verdauen... und eine Lösung dafür zu finden. „Du bist so feige... Warum kannst du nicht einfach dazu stehen?“ Und es brannte, wie abwertend seine Worte klangen. Er war mehr als nur enttäuscht. Es tat immer noch weh. Was waren auch fünf Monate des Ignorierens... die Gefühle waren so schnell wieder da, vor allem, wenn man in der Zeit niemand gehabt hatte zum Reden und jetzt... der Person, der man zuletzt etwas anvertraut hat, die einem als letztem so nahe gestanden hat... Was hatte ich auch erwartet, ich wusste doch, dass ich ihn enttäusche und es schon die ganze Zeit getan habe. Aber ich glaube, so direkt damit konfrontiert zu werden war noch mal ein Stück härter für mich. Und das wiederum schürte wieder meine Wut, die Wut, die in mir und gegen mich brodelt. „Weil ich es hasse! Ich wollte nie schwul sein!“ Es ist frustrierend, einsam, unnötig und so unsicher. Das war alles, was ich an mir hasste. Und niemand hätte es wissen sollen und niemand hätte darüber nachdenken sollen. Es war so verdammt unfair. Das ich jetzt auch noch anfing zu heulen, übrigens auch. Ich war so eine beschissene Heulsuse... „Aber...“, perplex schaute mich Chris an. Ich sah ihn nur verschwommen, wegen den dummen Tränen, aber man hörte es ihm auch an. „Du hast doch geschrieben... dass du... dass es dir egal ist.“ Wenigstens er war nicht mehr wütend... War er aber noch nie, wenn ich heulte. War vermutlich ganz fürchterlich herzzerreißend... Wundervoll, ich wollte sein verficktes Mitleid aber nicht. „Ist es aber nicht! Es is daran schuld, dass immer alles so scheiße läuft!“ Wenn ich nicht schwul wäre, gäbe es nichts, was ich vor anderen verstecken müsste. Könnte offen auf alle zugehen, weil ich nichts zu verheimlichen hätte. Könnte andere an mich ranlassen... wäre glücklich. Aber so... ich konnte ja nicht mal einfach nur mit jemand befreundet sein. „Hey, nicht heulen, du weißt genau, wie sehr mich das immer mitnimmt.“ Seine Stimme klang so widerlich mitleidig. Ich wollte kein dämliches Mitleid, ich wollte... was eigentlich? Bevor ich mich mit der Frage aber gedanklich näher befassen konnte, spürte ich, wie er seine Hand auf meine Schulter legte und mich in eine Umarmung ziehen wollte. Was dachte er sich eigentlich?! Wütend stieß ich ihn weg vor mir. „Lass den Scheiß! Damit machst du sowieso alles noch schlimmer!“ „Ich wollte dir doch bloss helfen.“ Okay, jetzt war er auch wieder aufgebracht. Dachte der etwa, ich lass mich einfach so von ihm umarmen?! „Wer hatte behauptet, dass ich deine Hilfe will!“ Ich war hier, um ihm zu zeigen, was für ein Arschloch er war. Dass er mir mein Leben kaputt macht. Ich wollte sicher keine Hilfe von ihm! Für was auch? Ich hatte ein tolles Leben, bevor er daran dachte, alles kaputt zu machen! „Und überhaupt, ich brauch´ gar keine Hilfe! Schon gar nicht von so einer Schwuchtel, wie dir.“ Das nächste was passierte, hätte ich sowas von nicht erwartet. Ich kenne ihn jetzt über zwei Jahre, aber diese Reaktion war... völlig untypisch für ihn. Er schlug mich und zwar mit voller Wucht in den Magen. Und ich sag euch, dass tat aber übelst scheiße weh. Mein Magen zog sich zusammen und schien irgendwas gemeines, heimtückisches vorzuhaben. Keuchend ging ich in die Knie. Ich wurde noch nie in meinem ganzen Leben geschlagen, von niemanden! „Bloss weil ich dich mal mochte, ist das kein Grund so auf mir rumzutrampeln!“ Anscheinend konnte man auch mal bei ihm einen Bogen überspannen. Aber ich war in keinsterweise gewillt, sowas auf mir sitzen zu lassen! Der Schmerz war auch wieder einigermaßen abgeflaut, so hart war der Schlag wohl doch nicht gewesen. Ich erhob mich und sprang ihn an. So peinlich das jetzt klingen mag, aber ich wüsste es nicht anders zu bezeichnen. Sinn und Zweck der Sache war zum einen ein sehr ungemütlicher Aufprall für ihn und die Möglichkeit für mich ihn ohne größeren Widerstand sein Gesicht zu bearbeiten. Dieser dämliche mitleidige Blick wollte ich da nie wieder drin sehen, oder so ein verständnisvollen Leuchten. Auch nicht dieses schockierte Starren, bevor meine Faust sein Gesicht traf. Eigentlich wollte ich gar nichts mehr an ihm sehen. Er hat mir doch alles kaputt gemacht. Der Schlag selber schien ihn auch aus so etwas wie einer Starre zu lösen. Denn schließlich fühlte ich mich von ihm gepackt und nun meinerseits auf den Boden gedrückt und wie etwas mein Gesicht traf. Dafür rammte ich ihm mein Knie dorthin wo es scheußlich weh tat. Hatte allerdings nicht die Möglichkeit viel Kraft darin zu legen, da er so knapp über mir war. Überrascht war er trotzdem, so dass ich wieder die Oberhand gewann. Nun ja, jedenfalls rollten wir wohl so eine Weile schlagend über seinen Boden. Wobei sich mir mal irgendwas spitzes richtig übel in den Rücken bohrte, was aber auch nicht sonderlich schlimm war, da es auch nicht mehr weh tat, wie die Schläge. Oh, und einmal knallte ich äußerst unsanft gegen einen Bettpfosten, wie es mir gerade im Nachhinein einfällt, also das hat wirklich mehr getan wie ein Schlag. Ein Zimmer war wohl auch nicht fürs Prügeln gemacht. Wir hätten beim Anschreien bleiben sollen, was wir allerdings auch weiterhin taten, allerdings auf einem eher niedrigen Niveau, dass heißt, wir beschimpften uns eigentlich nur. Aber ich mein, Männer sind ja angeblich nicht multitaskingfähig, und sich prügeln ist immerhin eine Sache, die volle Konzentration erfordert. Irgendwann ging uns wohl mal die Puste aus und wir lagen beide nebeneinander auf dem Rücken und starrten schwer atmend die Decke an. Eigentlich... also irgendwie... mir tat zwar alles weh und ich konnte spüren, wie gerade mein linkes Auge, in dem es unangenehm pochte, langsam zu schwoll und generell meine Haut im Gesicht unangenehm spannte... ich fühlte mich trotzdem allem gut. Nicht das ich Gewalt in irgend einer Weise gut hieß, aber vielleicht hatte ich gerade so was mal bitter nötig gehabt. Und meine Wut war weg. Auch die Wut auf mich. Keine Ahnung... es war grad alles okay. „Hey, kennst du denn schon?“, kam es von Chris mit leicht amüsierter Stimme. „Wie nennt man eine Prügelei unter Schwulen?“ Kurzes Schweigen, als erwarte eventuell eine Antwort. Aber nein, ich kannte den Witz wirklich noch nicht. „Vorspiel.“, meinte er mit einem leicht rauen Lachen. Und ich musste sagen, gerade in dem Moment fand ich es lustig. Es tat so gut, endlich mal wieder zu lachen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich es so vermisst hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)