Außenwelt von Memphis (Multistabile Separatrizenmatrix) ================================================================================ Diffusion --------- Aber jetzt war ich ratlos. Ich wusste nicht, ob sich irgendwas geändert hatte, bis auf meine Hautfarbe um mein Auge herum, die leuchtete vermutlich wunderbar rot und lila. Denn eigentlich hatten wir uns nicht ausgesprochen, ich hab ihn nicht wirklich zur Sau gemacht. Ich kam immer noch nicht wirklich damit klar, schwul zu sein. Und er... naja, er hat auch kein Liebesgeständnis von mir bekommen. Ich wusste nicht mal, ob er überhaupt noch eines wollte. Also nicht, dass ich ihm jetzt eines geben würde... aber vielleicht... naja, eventuell irgendwann mal... ein kleines, leises. Aber irgendwie... möglicherweise wollte er wirklich nichts mehr von mir. Ich erinnerte mich an den Satz, nach dem er mich zum ersten Mal geschlagen hatte. „Bloss weil ich dich einmal mochte...“ Das war ziemlich klar die Vergangenheit. Hieß das, er mochte mich nicht mehr? Was ihm nicht zu verdenken war. Ich würde auch nichts mehr von einem Typ wollen, der mich nach einem Zuneigungsgeständnis – was für ein dummes Wort! - monatelang ignorierte. „Ich hol uns mal was zum Trinken, okay? Und nicht weglaufen solang... bin gleich wieder da.“ Damit erhob er sich und humpelte aus dem Zimmer. Er sah übrigens auch ziemlich lädiert aus. Jetzt tat es mir sogar ein bisschen Leid. Ich mein, ich hatte eigentlich gar keinen Grund ihn zu schlagen und ich konnte mich auch nicht mehr erinnern, warum ich es überhaupt getan habe. Ich hatte meine Augen geschlossen, aus dem einen sah ich eh kaum noch was raus, und lauschte mir beim Atmen, dann den Schritten, die die Treppe hoch kamen und den Flur entlang gingen. Hier hörte man viel... vermutlich auch unseren Streit. Aber das war mir im Moment egal. Ich hörte, wie er die Türe öffnete und das Zimmer betrat. Erst dann machte ich auch meine Augen auf – soweit es eben ging. Verdammtes Veilchen, dass das so schnell gehen würde... Ich setze mich auf grinste ihm kurz entgegen. Er hatte ein Tablett in der Hand, auf dem Gläser, ein Krug mit Saft stand und... Kühlbeutel?! „Oh man, Mütter sind so schrecklich...“, meinte er mit einem Augenverdrehen und ließ sich neben mir nieder, um uns gleich darauf Saft einzuschenken. Ich nickte nur zur Bestätigung und nahm das gefüllte Glas, um gierig daraus zu trinken. Meine Kehle war auch ganz trocken von dem ganzen Schreien. Für so was war ich einfach nicht gemacht! „Ein Kühlbeutel is übrigens für dich... oh, und das nächste Mal sollten wir doch bitte... leiser sein.“, bei dem Satz war er etwas rot um die Nase. So als hätten wir wirklich etwas gemacht, dass sich nicht gehörte. Naja, also eigentlich sollte man sich ja auch nicht schlagen... Ich grinste ihn nur wieder an. Vielleicht ist es euch ja noch nicht aufgefallen, aber ich bin nicht so der gesprächige Typ. „Also naja... das Veilchen tut mir leid.“, meinte er schließlich. „Auch wenn du es verdient hast!“ Fügte er noch mit einem Stirnrunzeln hinzu. Ich nickte nur und griff dann nach dem Kühlbeutel. Zu hause hatten wir so was auch. Sie waren einfach nur Plastikbeutel, die mit so einem seltsamen, blauen Zeug gefüllt war, das Kälte gut speichern konnte. Ich mochte das Zeug, es tat auch verdammt gut, wenn man es auf verheulte Augen legte. Uh ja... genau das, was ich jetzt wollte. Gott segne Chris Mutter für ihre Gastfreundschaft. Diese Kühlbeutel waren ein wahres Wunder. „Danke.“, meinte ich schließlich schlicht. Irgendwie... er war noch immer der nette Kerl, wie vor fünf Monaten. Aber was hatte ich auch erwartet? Ich war ja auch noch immer das selbe Arschloch... „Für das blaue Auge? Ja, das steht dir wirklich vorzüglich.“ Er grinste nur, als er mich dann in die Seite knuffte. Ich lachte. Normalerweise wäre ich weggerutscht, oder so was, aber im Moment... ich war nur froh, dass er keine Stelle erwischt hat, die weh tat. „Natürlich, mir steht alles!“ Hey, ich war im Moment irgendwie glücklich, da darf man auch ein bisschen arrogant sein! Schweigen, aber diesmal war es ein angenehmes Schweigen. Ich kühlte mein Augen, er seine angeschwollene Lippe und rechte Wange. Langsam wurde auch der Saftkrug geleert und naja... ich glaub, wenn die Welt immer so wäre, könnte ich vielleicht doch mal glücklich werden. Meine Gedanken taten diesmal auch nichts, was für sie typisch war. So was wie lästige Fragen stellen, oder mir irgendwas einzureden. Nein, sie waren einfach fluffig... wie Wattebällchen. Ich weiß, nicht ob ihr dieses Gefühl kennt, ich kannte es bis dahin in jedem Fall noch nicht und ich genoß es. „Magst du mich eigentlich immer noch?“ Die Frage war mir nur in den Sinn gekommen und eigentlich stelle ich solche Fragen nie laut. Nie. Aber hier und jetzt... ich denk, es war okay. Es fühlte sich immer noch fluffig an. Eventuell waren das auch nur irgendwelche Stoffe, die mein Körper freisetzte, um den Schmerz zu betäuben. Vielleicht stand ich ja auch einfach noch unter Schock von... äh... dieser plötzlichen Gewalt. „Ich weiß nicht genau... Du hast dich schon ziemlich scheiße benommen und naja...“ Er blickte jetzt unsicher zu Boden, fuhr mit seiner Hand durch seine Haare. Was er immer tat, wenn er irgendwie nervös war. „Ich ... ich weiß... aber...“ Ich wollte mich erklären. Es war wirklich... also, wenn er meine Gründe verstand, dann... ja, was eigentlich? „Nein, ist schon okay... ich hab dich damals wohl auch ziemlich damit überfallen... Ich hätte es ja eigentlich besser wissen müssen. Aber weißt du, als ich das gelesen habe... da hatte ich auf einmal irgendwie Hoffnungen. Ich war zwar auch sauer... weil du so schlecht über dich denkst, aber ich dachte halt, dass ich das ändern könnte.“ Er schaute mich jetzt direkt an und auch wenn ich ihn nur aus einem Auge sah, bemerkte ich, dass ihn die Geschichte immer noch ziemlich mitnahm. Er wandte den Blick wieder ab, konnte meinen Anblick vielleicht nicht mehr ertragen. „Ich hatte wirklich gedacht, dass unsere... Freundschaft stark genug für so was gewesen wäre, dass du mich nicht abblocken würdest. Es war irgendwie... ein ziemlicher Schock für mich, dass es doch nicht so war.“ Wieder Schweigen. Wir hingen wohl beiden unseren Gedanken nach... ich tat es in jedem Fall. Dachte an den Streit zurück, das Telefonat und all den Scheiß, den ich meiner Freundschaft und Chris angetan habe. „Und jetzt?“ Ich weiß nicht genau, zu welchen Schlüssen mich diese Gedanken gebracht haben, vielleicht zu gar keinen, aber mir kam diese Frage wichtig vor. Weil eigentlich ihre Antwort alles weitere zeigen würde. „Kommt drauf an, was du willst.“ „Ich?“ Ja, genau, so was haben wir gerne. Immer nur alle Verantwortung auf mich abschieben, schon klar! „Hey, mir ist mittlerweile klar, dass man dir nichts aufzwingen kann. Also von meiner Seite aus können wir wieder befreundet sein... aber es liegt an dir, ob du das willst.“ Er schaute mich ernst an. Ich war froh, dass ich ihm kein Veilchen verpasst habe, ich glaub, mich hätte es enorm gestört, in nur einem Auge lesen zu müssen, was in ihm vor ging. Obwohl, im Moment konnte ich auch nicht in beiden etwas lesen. Er war einfach ernst, gefasst und in keinster Weise verunsichert, als hätte er sich schon mit dieser Situation auseinander gesetzt. Im Gegensatz zu mir. Ich hatte nicht angenommen, dass ich nochmal länger mit ihm reden würde und schon gar nicht über so was. „Befreundet?“ Langsam kam ich mir auch etwas doof vor, wie ein dümmlicher Papagei, der immer nur einzelne Worte nach krächzen konnte. Er schnaubte kurz, es wirkte verbittert. „Du hast mir doch deutlich genug gezeigt, dass wir nie mehr sein werden.“ Das war ein Schlag ins Gesicht, mental versteht sich. So schnell legte ich es auch nicht auf eine erneute Prügelei an. Aber er hatte recht.. „Eine Entschuldigung bringt wohl nichts mehr, oder?“ Irgendwie... es tat mir alles so leid. Ich kam mir so dumm vor. „Nein, ich denke nicht...“, seine Antwort war nur ein Flüstern. Sie dröhnte aber auch so in meinem Schädel. Klartext: Ich hatte alles versaut. Ja, gut, ich hatte es selber so gewollt, aber anderseits... ach, verdammt. Aber befreundet könnten wir wieder sein... vielleicht. Ich weiß nicht, ob das einfach ist, wenn mir Chris nicht verzeihen will und ich mir gerade Sorgen um mein letzten, kümmerlichen Verstand machte. Warum wollte ich selbst, dass das ganze Ignorieren ein Ende hatte? Gestern noch hatte es mich nicht gestörte, dass wir zu Fremden geworden waren und jetzt? Aber ich glaube, mir fehlte einfach ein Freund. Es tut selbst mir nicht gut, ständig alleine zu sein. Eigentlich fand ich nach ein paar Wochen immer jemand, mit dem ich zumindest ab und zu rumhängen konnte. Aber diesmal nicht... es war einfach zu schwer in der Klasse noch jemand zu finden, der nicht wirklich integriert war... Es ist gut eine Erklärung zu haben, dass machte alles ein Stück sicherer. Übrigens eine gute Erklärung bräuchte ich auch für meine Mutter. Und zwar jetzt! Ich stand mitten in der Küche. Irgendwie hatte ich nicht daran gedacht, dass sie dort auch sein würde. Sie war gerade dabei etwas zu schneiden, als sie sich zu mir umdrehte. „Wie siehst du denn aus?“ „Wie man halt aussieht, wenn man sich gerade geprügelt hat.“, gab ich unwillig zurück. Für eine Ausrede war ich wirklich zu unkreativ, das einzige was mir als Ausrede eingefallen wäre, wäre eine handgreifliche Diskussion mit einer Straßenbahn. Sorry, Mama... die ist irgendwie einfach so grundlos auf mich losgegangen, die Straßenbahn. Das klang selbst für mich dumm! Args. Ich glaub, Chris hat mir ein paar Gehirnzellen zu viel rausgeprügelt. „Seit wann schlägst du dich denn mit anderen?“ Oh, jetzt war Mama aber definitiv schockiert. Vielleicht vergaß sie darüber die Sache mit dem Schwulsein. „Geht dich nichts an...“ Was musste sie auch so neugierig sein. Mütter waren manchmal wirklich schrecklich. „Natürlich geht es mich was an, wenn sich mein Sohn mit jemand prügelt! Oder wurdest du geschlagen?!“ Plötzlich ein völlig entsetzter Ausdruck in dem Gesicht meiner Mutter. Nein, ich wollte gar nicht wissen, was sie jetzt dachte. Ich wollte es wirklich nicht wissen! Immer wenn sie so schaute, dachte sie an etwas, dass für mich ganz fürchterlich sein wird. „Die haben dich doch nicht geschlagen, weil du schwul bist, oder?“ Ich hab es euch gesagt, ich wollte es nicht wissen! Sie war total bleich und die Besorgnis selbst. Wenn das jetzt nicht diese Situation gewesen wäre, hätte ich vielleicht darüber gerührt sein können, dass sich meine Mutter solche Sorgen machte. „Mama, ich bin nicht schwul!“ Hey, ich sagte euch bereits, das mir Lügen leicht über die Lippen gehen, diese besonders. „Aber... Bist du sicher?“ Sie schien irgendwie... erleichtert. „Ja! Woher hast du überhaupt den Unsinn?!“ Meine Mutter schnappte definitiv zu schnell, zu viel Tratsch auf. „Also Anita, Julias Mutter, hat mir da so was erzählt. Also Chris hat sich ja vor der Klassen geoutet und naja... ich hab mich halt an euren Streit erinnert...“ „Ich bin nicht schwul, okay?“ Sie schien es schneller zu schlucken, als ich es zu erst befürchtet hatte. Aber vielleicht wollte sie es mir auch einfach glauben. „Dann ist ja gut.“, sie lächelte mich an und machte sich wieder weiter daran, für uns zu kochen. „Ich bin dann unter der Dusche.“, murmelte ich noch, um dann aus der Küche zu schleichen. Ich suchte mir in meinem Zimmer, einigermaßen saubere Klamotten zusammen und ging dann damit ins Bad. So machte ich es immer, ich mochte es nicht, halb nackt durchs Haus huschen zu müssen oder mich erst in in meinem Zimmer umzuziehen. Als ich mich meiner Klamotten entledigt hatte, schaute ich noch mal kurz in den Spiegel, bevor ich in die Dusche stieg. Das lag jetzt sicher nicht an meinem übermäßigen Ego, aber es war einfach Gewohnheit. Und herrlich, nicht nur mein Gesicht sah so aus, als wäre ich wirklich gegen eine fahrende Straßenbahn gelaufen, nein, auch der Rest von mir. Lauter blaue Flecken, naja, wirklich blau waren sie nicht, eher grün und gelb, ein paar lila. Sehr sexy... Aber es gab nichts, dass irgendwie nach Blut aussah, das fand ich gut. Ich hasste es offene Wunden zu haben. Ich konnte einfach kein Blut sehen. Args, das klang so tuntig. Aber es war nun mal so... ich hab keine Ahnung an was das lag. Das warme Wasser tat extrem gut auf meinem Körper. Duschen war eine tolle Sache, wenn da nicht das leidige Abtrocknen danach war... Naja, in jedem Fall fühlte ich mich jetzt fast wieder menschlich und irgendwie... freier. Was aber nicht nur an der Dusche lag. Ich hatte mit Chris gesprochen. Und es war okay... wir könnten einfach wieder Freunde sein, zumindest es probieren. Meine Mutter hatte ich auch wieder von ihren aberwitzigen Idee, ich könnte schwul sein abgebracht und ich sah aus, als hätte ich mich wie ein echter Kerl geprügelt. Was ich ja auch getan habe, glaube ich. Ich kenn mich mit Prügeln nicht wirklich aus. Vielleicht sah das stilvoller aus. Und hey, ich konnte mir wieder über so unwichtiges Zeug Gedanken machen und fühlte mich toll dabei. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)