Pirat Jean Stath von TommyGunArts (Short storys) ================================================================================ Kapitel 3: Hexe! ---------------- Nur sie. Nur sie liebte ich. Ihre ganze Gestalt: So einzigartig! Sie war das schönste und kostbarste, das ich je hatte. Für sie hätte ich alle Schätze der Welt stehen lassen. Sie war wahrlich ein Wunder, dass mir gesandt wurde und welches ich definitiv nicht verdient hatte. Doch sie war da. Ell. Meine liebe, wundervolle Ell. Ich sah sie an und spürte wieder dieses wohltuende Kribbeln im Bauch. Ihre tiefblauen Augen strahlten in die Meinen und ihr langes rotes Haar wehte im seichten Wind. Wir saßen an Deck und sahen in die weite Ferne des Meeres. »Bald werden wir ankommen«, sagte ich und küsste sie. Ell lächelte und deutete auf die Insel am Horizont. »Dann werde ich mir neue Kleider kaufen und Proviant holen können, für unsere weite Reise.« Zärtlich streichelte ich ihre Hand. Ihre Haut war weich und fühlte sich unendlich gut an. Ich erinnerte mich an den Tag, als ich sie zum ersten Mal traf. Sie war ausgehungert und übersät mit Wunden. Am Strand habe ich sie entdeckt, wie sie im Wasser lag. Sie konnte sich an nichts erinnern, doch ich nahm an, dass sie angespült worden sei. Vielleicht war sie von einem Schiff gestürzt und im Wasser gelandet, sodass die Strömung sie bis zum sicheren Ufer geleitet hatte. Aber das waren nur Vermutungen. Ich nahm sie auf und gab ihr die Chance, weiter zu leben, anstatt von dem Nächstbesten gefunden, geschändet und getötet zu werden. Und jetzt war sie hier, meine liebe Ell, und segelte mit meiner Crew und mir Richtung Insel. Wir wollten bloß einen kurzen Stopp einlegen und danach Richtung Osten segeln, um ein paar Schiffe zu kapern, die wertvolle Schätze an Bord haben sollten. »Wir legen an!«, hörte ich plötzlich eine raue Stimme brüllen. Ich erschrak und zuckte instinktiv zusammen. »Das nächste Mal sagst du vorher Bescheid, John, wenn du mir ins Ohr schreien willst!«, meinte ich barsch und sah auf die Insel, die sich mit all ihrer Pracht und den vielen Häusern und Schiffen vor mir erstreckte. »Jean«, flüsterte Ell und blickte zur Insel, »Irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl dabei, diesen Ort zu betreten.« »Erinnerst du dich an etwas?«, wollte ich wissen, doch sie schüttelte bloß den Kopf. Dann lächelte sie matt und meinte: »Vielleicht waren wir einfach zu lange auf See, sodass ich kein Festland mehr gewohnt bin.« Inzwischen hielt der Anker mein Schiff an Ort und Stelle und wir konnten mit den Ruderbooten das letzte Stück bis zum Land zurücklegen. Auf der Insel angelangt, verabschiedete ich mich mit einem Kuss von Ell, die sich nach Kleidern umschauen wollte. John und ich hatten vor, uns zum Waffenhändler zu begeben, weil John unbedingt eine neue Klinge brauchte. Die alte war schon rostig und stumpf. Im Nachhinein hätte ich mich für diese Dummheit erschlagen können, mit John zusammen den Waffenhändler aufzusuchen. Es war immer eine Qual, mit diesem Kahlkopf etwas kaufen zu gehen. Erstens konnte er sich nie entscheiden, welche Ware ihm nun mehr beliebte und zweitens war er zu geizig um überhaupt etwas dafür zu zahlen, wenn er sich denn endlich entschieden hatte. Zeit war in jedem Fall ein riesiger Begriff, wenn es darum ging, mit John einkaufen zu gehen. Es war mehr als ein halber Tag vergangen, als John sich endlich eine Klinge ausgesucht hatte und mit dem Händler zu feilschen begann. Meine Geduld war mehr als nur am Ende. »200 Goldmünzen?«, fragte John entgeistert und schüttelte unablässig den Kopf. »Nein! Nein, nein, nein! Ich gebe Euch nicht einmal hundert für dieses Stück!« Und dann begann er alle Nachteile des Schwertes aufzuzählen und sie mit Beispielen zu verdeutlichen. Er redete und redete. John war wahrlich der einzige Mensch, den ich kannte, der jemanden in Grund und Boden reden konnte. Ob das jetzt gut oder schlecht war, das bleibt dem Betrachter überlassen. Ich für meinen Teil rieb mir die brennenden Augen. Die Müdigkeit war über mich gekommen. Nachdem die Sonne untergegangen war und John immer noch (über)redete, merkte ich, dass es dem Händler nicht anders ging als mir. Er war nicht nur völlig verwirrt von Johns vieler Rederei, sondern auch sehr angestrengt, dem Ganzen überhaupt noch zu folgen. Schließlich verkaufte er das Schwert, welches seine 200 Goldmünzen durchaus wert war, für 55. Anscheinend wollte er bloß, dass wir endlich verschwanden. Und auch ich war erleichtert, als wir den Laden verließen. Während wir zurück zum Schiff gingen hörte John nicht auf, sich über den Händler zu beschweren. »55 Goldmünzen?! Pa! Da ist ja mein altes, rostiges Schwert mehr wert! Dieses hätte ich für 30 kaufen sollen, mehr Wert hat es nicht!« »John...«, versuchte ich müde ihn zum Schweigen zu bringen, doch er unterbrach mich. »55 Goldmünzen?! Ich hätte nicht zustimmen sollen! Der Händler hat mich doch übers Ohr gehauen! Verdammt noch mal, warum bin..« »John!«, sagte ich nun energischer. »Jetzt hast du das, was du haben wolltest!« Ich sah, wie er Luft holte und zu einer Predigt ansetzte, doch die erwartete Standpauke blieb aus. Stattdessen stockte er urplötzlich und blieb stocksteif stehen. Ich ging weiter, ohne ihn zu beachten und prallte sogleich gegen eine Gruppe von Menschen, die hastig zum Marktplatz eilte. Dabei rannten sie mich regelrecht um und stießen mich mit ihren breiten Oberkörpern zu Boden. John kam zu mir gelaufen und half mir zurück auf die Füße. »Was bitte ist hier los? Wo kommen all diese Leute her?«, fragte er, während ich mir die Kleidung säuberte. Mein Hemd hatte bei dem Sturz einen Riss am Ellenbogen erhalten und genau das gefiel mir nicht sonderlich. Wütend und genervt betrachtete ich den zerfetzten Ärmel. »Das ist mir gleich! Vielleicht wird jemand gehängt, was interessiert mich das?«, entgegnete ich erbost. John jedoch düngte es zu erfahren, was vor sich ging und sprach schließlich mehrere Leute an, die vorbei schnellten. In der Zwischenzeit hob ich mühselig meine Ringe vom Boden auf, die abgefallen waren und säuberte sie gründlich an meinem Hemd. Dabei traten mir immer wieder welche von diesem Abschaum von Menschen auf die Füße und stießen mich beiseite. Schließlich steckte ich die Ringe wieder auf und verpasste dem Nächsten, der mich anrempelte einen Schlag ins Gesicht, dass er taumelte, rittlings zu Boden fiel und das Bewusstsein verlor. Selbst schuld, Dummkopf!, dachte ich und spuckte auf ihn hinunter. »Jean!«, rief John plötzlich und bedeutete mir mit einer Handbewegung , zu ihm zu gehen. »Es wird eine Hexe verbrannt, Jean! Wollen wir uns das Schauspiel nicht ansehen, wenn wir schon einmal die Gelegenheit dazu haben?« »Ich bin müde!« »Aber es liegt ohnehin auf unserem Weg zurück zum Schiff!« Eigentlich war mir nicht danach, eine Hexe brennen zu sehen. Schließlich hatte ich etwas mit ihnen gemeinsam was die Kirche und Gott betraf: Wir verabscheuten es! Dennoch zuckte ich mit den Schultern und sagte: »Wir gehen nur daran vorbei und wenn du nichts sehen kannst, dann ist es nicht mein Problem! Zumindest werden wir nicht anhalten!« Somit gelangten wir in das Gedränge, das auf dem Marktplatz in vollem Gange war. Diese Gaffenden, welche gierig nach einem leidenden Opfer Ausschau hielten, waren erbärmliche Kreaturen. Sie wollten alle die arme Frau sterben sehen, leidend unter Qualen, brennend auf dem Scheiterhaufen, nur damit sie etwas zu glotzen hatten. Damit sie mal etwas spannendes und neues aus ihrem jämmerlichen Alltag holte. Lächerliches Volk! Dümmliches Volk! Lautes Geschrei war zu hören, welches sich über den gesamten Marktplatz erstreckte. »Brenne, Hexe!«, riefen diese Narren wild durcheinander, mit dem Finger auf das Weib zeigend. »Schmore in der Hölle, denn du hast schon genug Unheil über uns gebracht!« Mir war diese Gier nach Blut zuwider. Lieber starrte ich während ich ging zu Boden, um bloß nicht in ihre hässlichen Gesichter blicken zu müssen. »Jean!«, hörte ich Johns Stimme plötzlich hinter mir. »Sieh nur, Jean!« »Halt den Mund! Ich sagte doch wir werden keinen Halt machen!«, brummte ich und ging weiter. »Sieh nur auf den Scheiterhaufen!« I Ich hatte das Gefühl, etwas in seiner Stimme zu hören, das Entsetzen ausdrückte. Ruckartig drehte ich mich um und warf einen Blick zurück. John deutete zwischen den Köpfen der Leute hindurch auf ein Podest, auf welchem ein Scheiterhaufen entstanden war. Dieser lag noch in der Ferne, doch ich konnte die Umrisse gut erkennen, und auch das Weib, welches das Opfer der heutigen Nacht sein sollte. Jemand betrat das Podest, hob die rechte Hand und das kreischende Volk verstummte. »Dieses Weib tat Heilung an einem Pestkranken!«, schrie der Mann auf der Anhöhe und deutete auf den Scheiterhaufen. »Sie ist eine Hexe sage ich euch! Sie vergiftet unsere Kinder und stiehlt uns unser Leben! Brennen muss sie, bevor sie uns alle mit ihrer schwarzen Magie verflucht!« Das Volk jubelte. Mein Blick blieb starr auf der Frau haften. Ich konnte es nicht fassen. »Sie wird uns ausrotten und vom rechten Weg abbringen. Zwingen wird sie uns Gott, den Heiligen Schöpfer, zu verraten. Sie, die elende Hexe, hat ihn bereits verraten, den Heiligen Vater!« Ich strich mir durch die langen, braunen Haare. Das war unmöglich! »Wir müssen dies verhindern! Brennen muss sie, die Hexe! Brennen!« In diesem Moment betraten drei Gestalten mit Fackeln den Schauplatz. »Wer ist das Hexenweib?«, fragte John eine Bauernfrau neben sich. »Das ist Johanna, das Weibstück, das einen Pestkranken heilte und ihn mit ihrer schwarzen Magie zu einem Untoten machte! Wir wussten schon immer, dass sie eine Ausgeburt der Hölle ist, wegen ihrem teufelsrotem Haar und ihrem seltsamen Verhalten. Doch sie ist geflohen und wir konnten sie nicht mehr verbrennen. Und Ihr werdet es nicht glauben, aber genau heute bei Sonnenaufgang traf sie hier ein, stolzierte unbehelligt in unserer Stadt herum und tat, als wisse sie nicht mehr wer sie sei! Sie sagte, sie wäre niemals hier gewesen, doch wir wissen es besser! Dieses Gesicht vergisst man nicht!«, sagte die Alte und lachte grausam. Ell, dachte ich nur und rannte ohne zu zögern los. Bitte nicht du, liebe Elloine! Bitte nicht du! Beim Laufen stieß ich die Leute brutal beiseite, die mir den Weg versperrten und ich spürte nicht einmal, dass ich dies tat. Jetzt konnte ich sie sehen. Wie sie dort auf dem Scheiterhaufen stand. »Ell!«, schrie ich so laut ich konnte und rannte weiter. Doch sie behielt den Kopf zu Boden gerichtet. Ich hatte es fast geschafft. Es fehlten nur noch wenige Schritte bis zum Podest. Nur noch wenige Schritte, bis ich sie retten konnte. Die Fackelträger richteten ihre flammenden Stöcke auf das aufgeschichtete Holz und Heu. Ich hatte es fast geschafft! Mit einem Male spürte ich, wie mich jemand am Kragen meiner Weste packte und stoppte. Ein Ruck durchzog meinen Körper und ich stürzte zu Boden. Mein Hintermann ebenfalls. »Bist du jetzt völlig übergeschnappt?«, schrie John mir ins Gesicht, der sich aufgerappelt hatte und nun auf mir hockte. Mit festem Griff umklammerte er meine Arme, sodass ich unfähig war, mich zu bewegen. »Du kannst sie nicht retten, Jean! Dein närrischer Versuch würde und beiden bloß den Galgen bescheren, sonst nichts! Das Volk glotzt schon!« Seine Worte waren mir egal. Sein und mein Schicksal waren mir egal. Unsere Leben waren mir egal. Für mich zählte nur eines. Blitzschnell schleuderte ich ihn von mir herunter und erhob mich, um meinen Weg weiter zu bestreiten. »Elloine!« »Und nun, Hexe, schmore in der Hölle!«, zischte der Mann auf dem Podest und bedeutete den Fackelträgern zu tun, wofür sie existierten: Sie zündeten das Geäst des Scheiterhaufens an. In diesem Moment umklammerte John mich, drückte mir mit der linken Hand den Mund zu und verdrehte mir die Arme mit der Rechten, um mich an Ort und Stelle zu bewahren. Ich wand mich, brachte all meine Kraft auf, um mich zu befreien, doch John gab nicht nach, sondern hielt mich fest in der Umarmung. Mein Blick wanderte hinauf zu Ell. Die rotorangen Flammen züngelten sich totbringend um ihre zarten Beine. Ich spürte, wie mir die Tränen kamen. Das Feuer erreichte ihre Hüfte, dann ihre dünnen, zierlichen Arme. Es bewegte sich aufwärts und begann an Elloines Schultern zu lecken. Meine schöne, wundervolle, liebe Ell… Sie hob den Kopf, auf den die Haare zu brennen begonnen hatten und öffnete langsam die Augen. Ihre Augen… Ihre wunderschönen, glänzenden und fröhlichen Augen… Doch ich erkannte etwas Neues, Unbekanntes in ihnen. Was es Angst? Nein, es was Gelassenheit, die sie ausstrahlten. Akzeptanz und ein Funken Trauer. Stillschweigend ließ sie das Leid über sich ergehen, ohne zu schreien, ohne zu weinen, ohne um Hilfe zu betteln. Es war, als würde sie keinerlei Schmerz empfinden. Ich wollte ihren Namen rufen, zu ihr laufen und sie in meine Arme schließen, sie vor diesem Feuer bewahren. Doch… Ihre Augen starrten ins Nichts, bevor die Flammen ihr Gesicht erreichten und es hinter einer brennenden Wand verbargen. Ich hörte das Rufen der Leute nicht mehr, hörte nicht ihre zustimmenden Schreie, hörte nicht mehr den Mann auf dem Podest, der seine Reden schwang und sah nichts mehr außer sie, hinter der Wand aus Feuer. In mir zerbrach eine ganze Welt. Auch mein Herz schien aufzuhören, zu schlagen. Und eine Welle der Verzweiflung überkam mich und drückte mich hinunter in einen tiefen, dunklen Abgrund aus kalter Leere. Ich konnte nichts tun. Nur zusehen, wie sie brannte. Wie sie starb. Meine schöne, liebevolle Elloine. Dicke Tränen liefen unweigerlich meine Wangen hinab, über Johns Hand, die einen bitteren Aufschrei verhinderte, und mündeten am Boden. Meine Knie wurden schwach. Ich fühlte mich so unendlich weit weg, als wäre ich nicht einmal mehr Herr meines eigenen Körpers. Weder spürte ich, wie John mich losließ, noch wie ich auf dem steinernen Grund zusammensackte. Ell... Elloine. Ich hatte es doch fast geschafft… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)