Lost in Time von Shelling__Ford (ShinichixRan) ================================================================================ Kapitel 30: Voices ------------------ Voices Die Gläser voll mit Eistee klirrten sanft, als sie das Tablett auf den Tisch stellte, die bernsteinfarbene Flüssigkeit wippte stürmisch hin und her, drohte kurz über den Rand zu treten, ehe sich der Sturm wieder legte. Grade aber als sie nach einem der Gläser, greifen wollte, hallte der Klingelton ihres Handys durch den Raum. „Wenn das jetzt wieder Paps ist…“ Mit einem Seufzen ging Ran zu der kleinen Kommode, auf der ihr Handy lag. Sie hatte das Telefon ausgesteckt, nachdem ihr Vater zum gefühlt tausendsten Mal versucht hatte, sie zu erreichen. Sie wollte nichts hören, keine Entschuldigung, keinen Ratschlag, keinen Zuspruch, nichts. Er hatte es gewusst und sie außen vor gelassen, der Gedanke nagte zu sehr an ihr, als dass sie seine Stimme jetzt ertragen konnte. Als Rans Blick jedoch auf das Display ihres Mobiltelefons glitt, bildete sich eine kleine ratlose Falte zwischen ihren Augenbrauen. Sie kannte die Nummer nicht. Ihr Vater konnte es also nicht sein, wenn hätte er wohl versucht seine Nummer zu unterdrücken als sich gleich ein anderes Telefon zu leihen, dasselbe galt für ihre Mutter. Allzu viele Leute hatten ihre Handynummer sowieso nicht, sie musste es also darauf ankommen lassen. „Mori, Hallo.“ Doch auf der anderen Leitung blieb es still. Ran stutzte, presste das Handy ein wenig fester an ihr Ohr doch das Rauschen der vermeintlich unbesetzten Leitung blieb das Einzige, was sie hörte. „Hallo?“ Die Stille begann sich auf ihre Haut zu legen und ließ einen Schauer über ihren Rücken laufen. Noch ehe er auch nur ein Wort gesagt hatte, begann sich ihr Herzschlag zu beschleunigen. Sie hörte jemanden ausatmen, ihn ausatmen, um dann krampfhaft nach Luft zu schnappen, ehe seine trockne Stimme endlich ihr Ohr erreichte. „Ran.“ Ihr Name aus seinem Mund ließ sie zusammenzucken. Hätte Ran das Telefon nicht so eng an ihre Wange gepresst, wäre es ihr in diesem Moment vermutlich aus den zitternden Fingern geglitten. Sie hörte ihn schlucken, konnte beinahe seinen Atmen auf ihrer Wange spüren, während er sie mit geduldigem Schweigen strafte. Rans eigener Atmen stockte, ihre Finger zuckten in dem Impuls einfach aufzulegen, doch die feinen Muskeln in ihren Fingerspitzen ließen es nicht zu. Es dauerte, bis sie sich dazu zwingen konnte zu sprechen. Ihre Zunge klebte förmlich an ihrem Gaumen, während das Einzige was Ran hörte, ihr eigener pochender Herzschlag war. „Was willst du?“ Sie brachte kaum mehr als ein Flüstern zustande. Dennoch reichten ihre wenigen Worte aus, um den Schalter in Ran erneut umzulegen. Alles, was sie versucht hatte gestern Abend und in den letzten Stunden zu bewältigen, kochte nun wieder in ihr hoch. Wut, Verrat und bittere Enttäuschung formten ihre Sätze, von dem jeder einen Nagel in sein Herz hämmerte. „Willst du mir vielleicht sagen, dass ich dein Geheimnis nicht ausplaudern soll? Dass ich mich nicht einmischen soll? Nicht aufregen? Dass es nichts Persönliches ist? Denn keine Sorge, das ist es nicht...“ Die junge Frau holte Luft, bemerkte, wie ihr Atem zitterte, während ihre Blicke Löcher in den cremefarbenen Teppichboden ihres Apartments brannten. „Was willst du?“ Ran hatte die Augen geschlossen, in jedem ihrer Worte schwang mehr Enttäuschung mit, als in ihrer ganzen Predigt zuvor. „Ran.“ Seine Stimme war rau und dennoch konnte sie sich nicht dagegen wehren, dass dieses eine Wort von seinen Lippen ausgesprochen ihr die Haare zu Berge stehen ließen. Sie fluchte, wehrte sich gegen ihren beschleunigten Herzschlag, das Kribbeln unter ihrer Haut und die Tränen, die er ihr in die Augen trieb. „Ich… Ran. Es tut-„ „Wage es ja nicht!“ Sie wollte es nicht hören. Er schluckte und sie sah ihn vor sich, so verletzt, so hilflos, wie er sie gestern angesehen hatte und konnte doch sie ihre Zunge nicht im Zaum halten. Es gab einfach zu vieles, das unausgesprochen zwischen ihnen Stand. „Glaubst du wirklich, eine Entschuldigung kann die letzten zehn Jahre wieder gut machen? Alle dachten, du wärst tot. Ich- glaubst du, sie könnten die Sache mit „Conan“ ungeschehen machen?“ Sie schluckte, bei dem Gedanken an ihren „kleinen Bruder“ rollte unweigerlich eine Träne über ihre Wange. All die Erklärungen, die man ihr für sein Verhalten damals gegeben hatten, verblassten hinter seiner neuen Lüge. „Deine Entschuldigung kommt zehn Jahre zu spät.“ Ihre Worte waren sanft, streiften seine Wange kaum mehr als ein Windhauch und doch rissen sie sein Herz in Stücke, während Shinichis Hände am anderen Ende der Leitung immer kälter wurden. Ran hörte dem singenden Rauschen der stillen Leitung zu, hörte ihn atmen. Unregelmäßig, stockend, fast so als würde er nicht genug Luft bekommen. Doch ihr eignes Herz hatte mit dieser Stille noch viel mehr zu kämpfen, sodass sie nicht verhindern konnten, wie ihre Lippen einen Funken Hoffnung in ihren nächsten Satz hinein pflanzten. „Wenn du mir nicht mehr zu sagen hast, lege ich jetzt auf.“ Er schnappte nach Luft, griff nach diesem Strohhalm in dem Wissen, dass es vermutlich seine letzte Chance war. „Ran, ich-…“ „Shinichi, darling? Könntest du mir hier kurz behilflich sein?“ Die glockenklare Frauenstimme aus dem Hintergrund ließ Rans Welt zu Eis gefrieren. Diese zuckersüße Stimme gehörte gewiss nicht Yukiko und doch lag etwas in ihr, das Rans Herz zusammenschrumpfen ließ. „Lass gut sein…“ „Was? Aber Ran? Warte, das war nicht-„ Doch sie hörte seine hektische Stimme nicht mehr, denn Shinichi sprach schon längst in eine Tote Leitung. Aufgelegt. Ihm blieb nicht viel Zeit sich von dem Besetztzeichen des Telefons hypnotisieren zu lassen, denn nur kurz nachdem Ran aufgelegt hatte, erschien die Amerikanerin selbst im Türrahmen. „Tracy.“ Doch die FBI-Agentin stockte bei seinem Anblick, seine raue Stimme und das Handy in seiner Hand verrieten ihr vieles. Sein Blick aber machte deutlich, dass es noch zu früh war, um darüber zu reden, also ließ sie das Thema ruhen und kam lieber gleich zur Sache. „I need to take a few pictures of your face. Your Mum and I are still figuring out how to cover that new scar of yours.” Shinichi seufzte, nickte dann und “posierte” für Tracys Handykamera, sodass die Amerikanerin schon bald zufrieden mit den Ergebnissen war. „Fine. We need you in… well, maybe an hour for the first fitting. If you don´t have anything better to do, would you mind looking after Stue? He is with the Professor since breakfast and I´m a little bit worried about the old man.” Der Geist eines Grinsens huschte über das junge Gesicht und ließ die Agentin für einen kurzen Moment aufatmen. „No problem at all. But I´m sure both of them are fine.” Tracy nickte dankbar und verschwand schon mit dem Blick auf die Fotos aus dem Raum. Seine Stimme allein war es, die die einsame Stille durchbrach. „Everything is fine.“ Nicht eine Träne in ihren glasigen Augen rührte sich, die junge Frau gab keinen Mucks von sich, wehrte sich nicht, als man ihr das Telefon abnahm und sie sanft zurück auf die Couch steuerte. Erst das kühle Eisteeglas, das man Ran in die Hand drückte und die besorgte Stimme ihrer Freundin beförderten sie in die Wirklichkeit zurück. „Das war Shinichi, oder?“ Kazuhas Stimme war sanft, ihre Augen lagen ungeduldig auf ihr, ehe Ran ein kurzes Nicken zustande brachte. Doch noch ehe sie dazu kam, weiter zu erklären, donnerte eine andere Stimme durch den Raum. „Ich kann es wirklich nicht fassen! Dieser miese kleine Egoist!“ Sonokos Nasenflügel bebten. Ran aber blieb stumm, während sie Kazuha seufzen hörte, gerade erst hatten sie die Suzuki-Erbin zur Ruhe gebracht. Sonokos Wut schwappte über Ran hinweg und hüllte sie in den dichten Nebel scheinbarer Gerechtigkeit und Genugtuung. „Was bildet der sich überhaupt ein! Hier anzurufen. Nach allem, was passiert ist, einfach bei dir durchzuklingeln?!“ Sonokos braune Augen huschten unruhig über die Gestalt ihrer Freundin. Der Eistee schaffte es die Blässe von ihrer Nase zu waschen, sie sah zwar nicht gut aus, aber bei Weitem besser als gestern. Die Miene der Konzerntochter wurde düster. Noch allzu lebhaft hatte sie die Bilder des gestrigen Tages vor Augen. Nie, niemals wieder wollte sie Ran so sehen. Was passiert war… was er ihr angetan hatte, war einfach unmenschlich. Für die Sache mit Conan hatte sie noch Verständnis aufbringen können, schließlich hatte er so gehandelt, um sie zu schützen. Aber wahrscheinlich war er in der schimmernden Rüstung, die man ihm auf den Leib geschmiedet hatte, mittlerweile genauso verrottet und faul wie die Typen, die er jagte. Er hatte keine Ahnung, was er angerichtet hatte. Hätte er gesehen… Sie stockte, spülte das Bild mit einem Schluck Tee hinunter. Hätte er sie gestern gesehen, hätte er ganz bestimmt nicht angerufen. Noch im Nachhinein bewunderte Sonoko die Stärke ihrer Freundin. Ihn einfach so stehen zu lassen, nach all den Jahren, in denen sie sich nichts sehnlicher gewünscht hatte, als ihn wieder in die Arme zu schließen. Ihn einfach zu ignorieren. Ihm das zu geben, was er sich selbst ausgesucht hatte, Einsamkeit. Und doch war es genau diese grausame, beinahe herzlose Art und Weise, die Sonoko bis ins Tiefste erschütterten. Denn so war Ran nicht. Sie hatte ihm schon so vieles verziehen, war so oft an seine Seite zurückgekehrt, obwohl er es gar nicht verdient hatte. Gestern aber war das Maß übergelaufen. Gestern war die Welt aus den Fugen geraten, Ran war aus den Fugen geraten. Sonoko wusste nicht mehr, wie weit sie gekommen waren, was sie bis dahin alles zu Ran gesagt hatten, ehe sie bemerkten, wie die Knie ihrer Freundin mit jedem Schritt immer wackeliger wurden. Kazuha und ihr war schnell klar gewesen, dass sie es nicht mehr zu ihren eigenen Autos schaffen würden. Also hatte sich Sonoko vor das nächstbeste Taxi geschmissen, das ihnen in die Quere kam, und einen mehr als erschrockenen und leicht erbosten Taxifahrer dazu gebracht, stehen zu bleiben. Der Zorn des Fahrers, der in Sonokos Erinnerungen nur noch aus einem einzigen großen Schnurrbart bestand, war jedoch schnell verraucht, als er einen Blick auf die junge Frau geworfen hatte, die zwischen den beiden Furien stand. Der Schnauzer zuckte kurz und hatte die drei Frauen ohne eine weitere Bemerkung einsteigen lassen. Kaum hatten sie die sichere Dunkelheit des Autos erreicht, brach der Damm unter ihren Tränen. Eine nach der anderen fand ihren Weg über Rans Wange, stets begleitet von dem heiseren Singsang ihres stummen Schluchzens. Kein Wort kam über Rans Lippen und im Nachhinein betrachtet war Sonoko klar, dass auch keines ihrer Worte an ihre Freundin heran gedrungen war. Dem starken Verkehr und einigen roten Ampeln waren es zu schulden, dass Ran sich noch im Taxi beruhigt hatte, soweit sogar, dass sie die beiden hatte überzeugen können, sie allein zu lassen in ihrer Wohnung. Wenigstens für heute. Und auch wenn Ran heute tatsächlich besser aussah, war es der trübe, nahezu leere Blick in ihren Augen, der Sonoko den Magen umdrehte und sie dazu brachte, diesem Widerling von Kudo alles Mögliche an den Hals zu wünschen. Ran hatte ihm alles verzeihen können. Aber die Tatsache, dass er sie dermaßen vorgeführt hatte, sich scheinbar nicht um ihre Gefühle scherte, das war zu viel gewesen. Von dem Shinichi Kudo, den sie kannten, schien nichts mehr übrig zu sein. Der Mann, der für Ran immer einen sicheren Pfad in dieser Welt dargestellt hatte, hatte sie einmal zu oft in die Irre geführt. Sie hatte sich verirrt. Ran hatte sich verloren. Seine Füße hatten ihn über den Rasen zur Hintertür des Professors getragen, während seine Gedanken noch immer woanders waren. Zum Glück aber hatte sein Instinkt Recht behalten und die schmale Balkontür war nur angelehnt. „Professor? Stuart?“ „Hier drüben, Shinichi.“ Mit einem müden Lächeln auf den Lippen trat der junge Detektiv zu den Erfindern in Agasas Werkstatt, wobei man dem alten Mann eigentlich zugestehen musste, dass das Wort „Werkstatt“ sich vor Ai schlichtweg auf das ganze Haus bezog. Wo man nur hinsehen konnte, waren Erfindungen, Werkzeug, oder Dinge, die „man ja noch mal brauchen kann“ verstreut gewesen. Wobei Shinichi vor allem bei Letzterem die Trennung zwischen Bauteil und Schrott schwergefallen war. Ai hatte nicht nur in das Leben des Professors ein wenig mehr Ordnung rein gebracht, sondern auch in seinen Haushalt und was den anbelangte, schien der alte Mann die Regelung noch immer umzusetzen. Er fand die beiden mit Lupenbrillen, Vergrößerungsgläsern und Mikroskopen bewaffnet am Arbeitstisch des Professors vor, der über beide Backen strahlte, als er zu Shinichi aufsah. „Stuart erklärt mir gerade, wie es ihm gelungen ist, den Remitter auf diese erstaunliche Größe zu reduzieren.“ Shinichi seufzte, schüttelte wortlos den Kopf, während seine Finger über die Antenne von was auch immer strichen. „Ich bin sicher, das ist für sie beide spannend, but Tracy is not so amused, I think she demands your company.” Der Erfinder des FBIs sah auf, blinzelte mit viel zu großen Augen durch die Lupenbrille, ehe er sie auf die Stirn zog. “Is that so?“ Shinichi seufzte nur, doch der Erfinder schien schon längst erkannt zu haben, dass hinter seinem Verhalten noch mehr steckte. “You talked to her.” Der Detektiv blinzelte ertappt, erkannte kurz, wie nun auch der Professor überrascht aufsah, ehe sich seine Blicke senkten. Shinichi schluckte, presste unweigerlich die Lippen zusammen. Stuart aber seufzte nur, schüttelte dann mit einem zynischen Grinsen auf den Lippen den Kopf. „Maybe we should work on an invention against the anger of woman?“ Der Detektiv zuckte nur hilflos mit den Schultern, ehe sich ein kurzes Lächeln auf seine Lippen schlich. “I think such a thing already exists. It´s called credit card.” Doch das Lachen des Oberschülers klang hohl in den Ohren des amerikanischen Wissenschaftlers. Sie beide wussten nur zu gut, dass selbst die ultimative Geheimwaffe der Männer in Shinichis Fall nichts ausrichten konnte. Ein drückendes Schweigen hatte sich über die drei gelegt, ehe sich der Amerikaner mit einem Räuspern wieder zu Wort meldete. „Sill… do not worry about me, Shinichi. The anger of woman is like boiling water. You can get burned pretty hard, but the water needs to cook, because once the steam is off there is no hot water left.” Die Augen des Erfinders trafen die Shinichis nur kurz und doch schaffte es der Oberschüler, ihm ein dankbares Lächeln zuzuschustern, ehe er die beiden wieder ihrer Bastelei überließ. „Fine, but don´t say I didn´t warn you.” Während er Stuart in seinem Rücken etwas davon murmeln hörte, wie nett man manchmal mit dem erwähnten heißen Wasser kochen konnte, war das Lächeln auf Shinichis Lippen schon längst wieder verblasst. „EINE FRAU?“ Sonokos Lautstärke ließ Ran zusammenzucken. „Und du sagst, sie hat ihn „Darling“ genannt? Dieser miese, falsche-…“ Doch die ruhige Stimme Kazuhas ließ das Ende von Sonokos Beschimpfung offen. „Und du bist dir sicher, dass es nicht seine Mutter war?“ Die Lehrerin aber nickte nur, knetete das mittlerweile leere Eisteeglas in ihren Händen. „Ja, seine Mutter klingt anders. Diese Frau, sie ist Ausländerin … glaube ich.“ Kazuha sah ihre Freundin lange an, schluckte kurz, ehe sie stumm nickte. „Ich kann es einfach nicht fassen! Da traut sich dieser Mistkerl wirklich anzurufen, obwohl seine-…“ „Ich glaube nich, dass es seine Freundin war, Sonoko.“ Die unsichere Stimme der jungen Mutter aus Osaka ließ die anderen beiden aufschauen. Doch während Ran sie nur überrascht musterte, begann die Ader unter dem etwas zu dick aufgetragenen Make-up auf Sonokos Stirn erst recht zu pochen. „Und wie kommst du darauf! Es ist ja wohl eindeutig, was dieser Idiot sich geleistet hat.“ Kazuha aber schaute sie nicht an, rieb sich unwohl über den Unterarm, während sie sprach. „Ich mein ja nur. Es muss ja nichts heißen das ´se ihn so gerufen hat.“ Doch die scheinbar pure Ignoranz der Osakanerin brachte das Blut von Sonoko erst recht in Wallung. „Was zum Henker ist los mit dir! Du nimmst diesen Kerl doch nicht etwa noch in Schutz!“ Kazuha zuckte nur, blieb aber stumm. „Kazuha.“ Rans Stimme ließ die junge Frau aufsehen, die blauen Augen ihrer Freundin blickten sie durchdringend an, ihr Tonfall aber war weich, beinahe schon fürsorglich. „Du warst schon den ganzen Tag so still. Was ist los?“ Die Lehrerin sah, wie ihre Freundin kurz schluckte und auch Sonoko hatte sich beruhigt und wartete nun auf eine Erklärung. Ihre Hände lagen unruhig in ihrem Schoß, Kazuha bemerkte, wie ihre Augen zu brennen begannen. Sie musste sich zwingen, aufzusehen und mit dem Sprechen zu beginnen, ehe der Kloß in ihrem Hals ihr es gänzlich unmöglich machte. „Ich… ich denke, es gibt da ein paar Dinge, die du wissen solltest, Ran.“ Er erinnerte sich nicht mehr daran, diese Entscheidung getroffen zu haben, seine Füße hatten Shinichis nebligen Verstand wie von selbst in diesen Raum gelenkt. Wahrscheinlich, weil dies schon früher sein Zufluchtsort gewesen war. Grade jetzt könnte er ihre Hilfe mehr als gut gebrauchen … Eine Gänsehaut schlich sich über seinen Rücken, während er einen tiefen Zug der leicht modrigen Luft ihres Labors nahm. Seine Finger glitten zum Lichtschalter, Shinichi blinzelte nicht, während die Deckenlampe, nach kurzem Flackern aufleuchtete. Nichts hatte sich verändert. Ein trauriges Lächeln zeigte sich auf den Lippen des Oberschülers, als er weiter in den Raum eintrat. Er spürte, wie das Herz in seiner Brust immer schwerer zu schlagen begann. Es war so leicht, die Erinnerung von Ai in ihrem Labor abzurufen, sodass sich Phantasie und Realität auf unnatürliche Weise mischten und immer wieder geisterhafte Phantome der Chemikerin im Raum, vor seinem inneren Auge aufflackerten. Shinichi schluckte schwer, ließ seinen Blick über die vom Staub getrübten Reagenzgläser und Kolben schweifen. Die Chemikalienbehälter waren so verstaubt, dass man die Aufschrift kaum noch entziffern konnte. Er musste den Professor dringend daran erinnern, die Stoffe zu entsorgen, bevor sie ihm durch eine chemische Reaktion der zerfallenden Substanzen noch um die Ohren folgen. In den kleinen - und Gott sei Dank leeren - Mäusekäfigen lag nur noch ein verwaistes Stückchen Brot, das wahrscheinlich nicht einmal die Zähne der kleinen Nager noch klein kriegen würde. Shinichis Füße führten ihn zu ihrem Schreibtisch, nur zögernd zog er sich den Stuhl heran und spürte, wie sich sein Magen mit Eiswürfeln füllte, während sich seine langen Beine bei dem viel zu niedrigen Stuhl beinahe unter dem Schreibtisch verhedderten. Der Computermonitor starrte ihn kalt und grau entgegen, die dünne Staubschicht hatte alles konserviert und war ein stummer Zeuge ihrer letzten Anwesenheit. Ais letzten Arbeiten lagen vor ihm, schon längst hatte das Papier einen ungesunden Gelbstich angenommen. Analysetabellen irgendwelcher Stoffe, Thermokurven, Formeln und Zusammensetzung alles matt und verblichen, doch nicht minder lesbar. Shinichis Blick aber galt weniger den ausgedruckten Daten, als vielmehr den handschriftlichen Notizen, die über die verschiedenen Papiere verstreut waren. Ihre Schrift war klar lesbar, für Schnörkeleien hatte sie nicht viel übrig gehabt und dennoch verliehen die eng aneinander gepressten Buchstaben der Schrift der Wissenschaftlerin einen feinen femininen Touch. Er ließ die Augen über die verschiedenen Anmerkungen schweifen, versuchte aber nur kurz ihren Gedanken zu folgen. Keine dieser Aufzeichnungen würde ihm die Antwort liefern, die er jetzt brauchte. Er schluckte, merkte nicht, dass er begonnen hatte mit ihrem Kugelschreiber zu spielen, während seine Augen noch immer in ihren Notizen eine Antwort suchten. Ein bitterer Geschmack hatte sich auf seine Zunge geschlichen. Die Wahrheit war, dass all diese Fragen wohl nur in eine andere mündeten. Den Grund, warum alle Antworten unausgesprochen blieben… Wie? Wie hatte sie ihn damals gefunden? Wie hatte sie von dem Brief erfahren? „Wie?“ Die Frage hallte einsam in dem leeren Laboratorium wieder. Er würde ja doch keine Antwort bekommen, auf keine seiner Fragen. Mit einem Seufzen ließ sich der Detektiv tiefer in den Stuhl sinken, sein Blick schweifte über den Tisch, ehe seine Augen erneut an etwas hängen blieben. Sollte sie etwa…? Shinichi schluckte, griff nach dem kleinen Gerät und für einen kurzen Moment schwebten seine Finger über der Play-Taste des Diktiergerätes, ehe er es einschaltete. Sein Herzschlag beschleunigte sich, unter seiner Haut begann es zu kribbeln, während er in die Stille des Labors hinein lauschte. Rauschen. Rauschen und das leise Rattern der altmodischen Kassette im Recorder war das Erste, was er für eine lange Zeit hörte. Doch die unsichtbare Stimme, die nach wenigen Minuten mit ihm zu sprechen begann, ließ den Detektiv zu Eis erstarren. „Meine kleine Shiho… nun so klein bist du wohl jetzt gar nicht mehr... Der Gedanke daran, dass dies die letzte Kassette ist, die ich dir mit auf den Weg gebe, bricht mir beinahe das Herz.“ Ein heiseres Keuchen drang aus seiner Kehle, noch immer ruhte seine Augen auf dem Diktiergerät und beobachteten, wie die kleinen Spulen langsam im Kreis liefen. Elena Myano. Ais- Shihos Mutter. Bei der Kassette handelte es sich um eine von den zwanzig, die ihre Mutter für sie aufgenommen hatte, genauer gesagt, um die Letzte, allem Anschein nach. Shinichi schluckte, biss sich auf die Lippen, während die Stimme der fremden Frau weiter mit ihm redete. „Ich hoffe, du bist mir mittlerweile nicht mehr ganz so böse. Glaub mir Shiho, nichts liegt mir ferner als dich und deine Schwester allein zu lassen, aber ich wusste, worauf ich mich einlasse und dies ist die Strafe, die ich nun zu zahlen habe. Ich bin mir sicher, ihr werdet es auch ohne mich schaffen, ein schönes Leben zu leben.“ „Shinichi?“ Die Stimme in seinem Rücken ließ ihn zusammenzucken. Er drehte sich um und erkannte Tracy, die ihn mit leicht sorgenvollem aber auch fragendem Blick ansah. Er schluckte, wandte ihr erneut den Rücken zu und sah sie aus dem Augenwinkel neben sich treten, während sie das Diktiergerät musterte. „Shinichi, wer…?“ Doch Elena brachte die Amerikanerin zum Schweigen. „Wahrscheinlich hast du in diesem Alter ohnehin schon einen netten Freund an deiner-“ Shinichi hatte dem Geist der Vergangenheit mit einem Knopfdruck ein Ende bereitet. Diese Worte waren ohnehin nie für seine Ohren bestimmt gewesen. Doch sein Blick klebte förmlich an dem kleinen Tonträger, während er Tracy antwortete. „Shihos Mutter, Elena Myano. Sie hat ihr diese Kassetten aufgenommen, als Erinnerung und um… an ihrem Leben teilzuhaben.“ Die Chemikerin nickte stumm, trat näher an ihn heran, lehnte sich an den Schreibtisch und sah sich in dem kleinen Laboratorium um, ehe auch ihr Blick wieder auf dem Diktiergerät zur Ruhe kam. Sie kannte die Geschichte von Elena Myano nur flüchtig, es gab ohnehin nicht viel, was man über die Eltern von Sherry wusste. Die warme Stimme der liebenden Mutter warf ein Bild auf das Organisationsmitglied, dessen volles Ausmaß das FBI wohl niemals begreifen würde. Sie schluckte, benetzte sich flüchtig die Lippen, ehe sie zu sprechen begann. „Sie muss gewusst haben, was passieren wird.“ Shinichi schaute sie nicht an, nickte aber. „Ich wage mir nicht mal vorzustellen, wie es sich anfühlt… zu wissen, dass man seine Kinder schutzlos zurücklässt, in dieser Organisation. Allerdings frage ich mich, warum sie nicht versucht hat, es zu verhindern, warum sie nichts getan hat…“ „Das hat sie doch…“ Seine Stimme war rau, noch immer bohrte Shinichi mit seinem Blick Löcher in den Schreibtisch. „Sie hat etwas getan. Sie hat ihrer Tochter diese Kassetten bespielt.“ Die FBI-Agentin schluckte hart, presste den unausgesprochenen Kommentar wieder in ihre Kehle zurück. Ein Kloß formte sich in der Kehle der Chemikerin, während ihr Blick zu dem Oberschüler an ihrer Seite schweifte, der ihren Gedanken offenbar auch gefolgt war, ohne dass sie sie hatte aussprechen müssen. Shinichis Magen hatte sich mit Steinen gefüllt, er hörte das Blut in seinen Ohren rauschen und merkte gar nicht, wie sein Mund Dinge aussprach, die er nie zur Sprache bringen sollte. „Manchmal erscheint so etwas eben als der einzige Ausweg,… wenigstens noch das ein oder andere ins rechte Licht zu rücken und in die Dinge einzugreifen. Wenn man zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht nicht mehr kann.“ „Shinichi…“ Seine Worte hatten die kleinen Härchen auf ihren Armen elektrisiert, sein Tonfall füllte ihren Magen mit Steinen und ließ mehr als nur Unruhe in ihr zurück. Der Detektiv schien die Spannung im Raum zu merken, sah zu ihr auf und zuckte nur mit den Schultern. „Wahrscheinlich werden wir sowieso nicht erfahren, warum sie so gehandelt hat.“ Sein Blick fiel auf die Uhr in Tracys Rücken, ehe er die Stirn runzelte, natürlich war das dumme Ding längst stehen geblieben. „Aber sag mal Tracy, was machst du eigentlich hier? Ich dachte du und meine Mutter bringen Bell wieder auf Vordermann?“ Die Amerikanerin blinzelte kurz, schluckte dann den bitteren Geschmack auf ihrer Zunge hinunter, vergessen würde sie das Gespräch zwischen ihnen ganz sicher nicht so schnell, wie er es sich vielleicht wünschte. Ein blasses Lächeln erschien auf ihren Lippen. „Shinichi, das war vor fast zwei Stunden. Wir haben nach dir gesucht, als du nicht aufgetaucht bist, ehe der Professor bemerkte, dass die Tür zum Keller offen stand.“ „Zwei Stunden?“ Seine Augen wurden kurz groß, ehe er den Blick zu Boden gleiten ließ. Er hatte die Zeit hier unten wirklich aus den Augen verloren, sein benebelter Verstand hatte ihm eine Zeitlupe vorgegaukelt, während die Uhren außerhalb des Labors normal weiter gelaufen waren. Alles nur, weil er sich einen Rat erhofft hatte… Alles nur wegen ihr. „Du musst es weiter versuchen, Shinichi.“ Ihre Stimme war sanft, sie fing seinen Blick mit ihren braunen Augen auf. Shinichi aber seufzte nur. „Wozu denn? Es führt uns doch nirgendwo hin, nicht, solange…“ Die bezeichnende Geste hätte es gar nicht gebraucht, Tracy wusste auch so, wovon er sprach, ihr Ton legte eine Spur an Würze zu. „Wenn du so denkst Shinichi, hättest du schon vor Jahren aufgeben können. Aber das hast du nicht. Oder glaubst du etwa nicht mehr daran, nach dem Sturz der Organisation an das Gift heranzukommen?“ Er schluckte, fuhr sich zweifelnd durchs Haar. „Ich… Keine Ahnung. Ich hoffe einfach-…“ Doch ihre beinahe herrische Stimme unterbrach ihn. „Ganz genau! Du hoffst. Ein Teil von dir vertraut noch immer darauf. Und ich weiß genau, dass du nicht der Einzige bist.“ Sie seufzte lautlos, ließ ihren Ton wieder weich werden, wartete, bis er ihr endlich wieder in die Augen sah. „Warum glaubst du wohl, hat sie zehn Jahre lang gewartet, Shinichi? Versuch es noch einmal. Erklär ihr, was passiert ist und lass sie dann eine Entscheidung treffen. Die Wahl, die sie momentan getroffen hat, ist ungerecht euch beiden gegenüber … auch wenn Ran es nicht weiß, oder besser gerade, weil sie es nicht weiß.“ Ihre Hand fand seine Schulter, drückte sie leicht ob der vielen Zweifel, die sie in seinen blauen Augen erkennen konnte. „Rede noch einmal mit ihr… Versuch es einfach noch einmal.“ Shinichi schluckte, nickte dann stumm. Ein Lächeln schlich sich zurück auf die Lippen der Chemikerin. „Gut und jetzt seh zu, dass du zu deiner Mutter kommst. Yukiko wartet nämlich schon auf dich.“ Sie sah, wie er seufzte, sich dann aber ohne weitere Diskussion vom Schreibtisch erhob und aus dem Raum ging, während sie in dem kleinen Labor zurückblieb. Tracy holte tief Luft, sah sich ein weiteres Mal in dem Arbeitszimmer Sherrys um, ihre Blicke fielen auf Notizen und Daten, ehe sich die FBI-Agentin auf die Lippe biss. Sie hatte es ihm versprochen … Nach etlichen Hoffnungen, Versuchen, Fehlschlägen und quälenden Enttäuschungen hatten sie letztendlich aufgegeben und er hatte ihr das Versprechen abgerungen, es dabei bleiben zu lassen, noch mehr hatte er damals nicht ertragen können. Aber mit dem, was ihr Sherrys Labor an Daten liefern könnte… Shinichi musste ja nicht gleich etwas davon erfahren, solang sie nicht wusste, ob die Unterlagen sie zu einem Ergebnis führen würden. Nachdenklich verschränkte sie die Arme vor der Brust, ehe Tracy mit festem Blick nickte. Endlich war dieser Tag vorbei. Die Maske passte wieder und Tracy würde Bell morgen früh noch den letzten Schliff verpassen, es lag an ihm sich auszudenken, wo sich der Professor sich seine neue Verletzung zu gezogen hatte. Es war vorbei, zumindest fast… Er lag auf seinem Bett, hörte seine Mutter unten das Abendessen vorbereiten, während sie mit seinem Vater diskutierte. Aber er war längst zu müde um den Willen aufzubringen, der Unterhaltung zu folgen. Außerdem interessierte es ihn schlichtweg nicht. Sein Kopf war wie in Watte gehüllt, nichts war an diesem Tag so wirklich an ihn herangekommen. Shinichi hatte das Gefühl, dass er gar nicht wirklich anwesend war, dass er sich selbst nur zugeschaut hatte, bei dem, was heute gewesen war. Allein ihre Stimme war heute zu ihm durchgedrungen. Jedes einzelne ihrer Worte steckte noch tief in seinen Knochen. Shinichi schluckte, ließ sich tiefer in sein Kopfkissen sinken, doch das tat ihm nicht den Gefallen, sich endlich von dem Stein in seinen Nacken wieder zurück in etwas Weiches zu verwandeln. Er sollte das Abendessen einfach schwänzen, eine große Bereicherung würde er am Esstisch ohnehin nicht darstellen. Vielleicht würde der Schlaf ihm helfen, wenigstens einen Teil dieses nebligen Tages ganz zu vergessen. Doch grade, als der Oberschüler die Augen schließen wollte, ließ der Signalton seines Handys ihn aufschauen. Mit einem Seufzen tastete er nach dem kleinen Gerät auf seinem Nachttisch. Die Helligkeit des Displays blendete ihn, nachdem er den Monitor entriegelt hatte. Erst als sein Blick auf die Nummer des Absenders fiel wurden seine Augen groß. Mit kalten Fingern öffnete er die Nachricht. „Ich habe Morgen in der großen Pause Aufsicht. Komm, wenn du Zeit hast. Ran“ Der Kloß in seinem Hals hatte sich festgesetzt, während ihre kühle Art ihm erneut einen Schlag in die Magengrube verpasst hatte und sein Herz heftig gegen seinen Brustkorb hämmerte. Doch allen Widrigkeiten zum Trotz hatte sich ein müdes Lächeln auf seine Lippen geschlichen. Hallöchen ihr Lieben ^.^ Ich freue mich euch im neuen Jahr mit einem neuen Kapitel von „Lost in Time“ begrüßen zu dürfen! Ich hoffe ihr seid alle reich beschenkt worden und gut ins neue Jahr gekommen :3 Wie immer möchte ich mich an dieser Stelle für die liebe Kommentare und eure treue bedanken ^_^ jeder einzelne hat meinen Jahreswechsel versüß! Vielen vielen Dank! Natürlich bin ich jetzt, wo es mit Ran und Shinichi nun endlich ein wenig mehr zur Sache geht besonders gespannt auf eure Meinung ^///^ und würde mich deswegen über das ein oder andere Kommi nur noch mehr freuen! Bis bald, alles liebe eure Shelling PS: Ja! Beim nächsten mal ist es so weit und bei beiden treffen endlich wirklich aufeinander, ein ganzes Kapitel nur für die beiden ;) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)