Lost in Time von Shelling__Ford (ShinichixRan) ================================================================================ Kapitel 3: Begegnung ohne Wiedersehen ------------------------------------- Begegnung ohne Wiedersehen Sie genoss die wärmende Röte der morgendlichen Dämmerung, trotz der schweren Regenwolken, die drohend über Tokio schwebten, beherrschte die aufgehende Sonne den Himmel, tauchte ihn in ein sattes Rosé. Endlich wurde es wieder früher hell, die seichten Sonnenstrahlen strichen ihr über die Wange. Der Winter war ihr unendlich lang vorgekommen, sodass sie jetzt kurz stehen blieb und einen tiefen Atemzug der von Feuchtigkeit geschwängerten Luft genoss, ehe sie ihre Schritte weiter in Richtung Arbeit lenkte. Heute Morgen würde die neue Lieferung Obst eintreffen, die sie zu sortieren hatte. Ein kleines Seufzen schlich sich über ihre Lippen. Es war keineswegs das, was sie für sich gewollt hatte, nein bestimmt nicht, denn mit dem von ihr angestrebten Studium hatte die Arbeit in dem kleinen Lebensmittelladen wenig zu tun. Doch sie beschwerte sich nicht und versuchte aus der Situation das Beste zu machen, schließlich war sie dankbar, dass man ihr ein Leben ermöglichte, von dem sie schon geglaubt hatte, es für immer zerstört zu haben. Während sie ihren Weg fortsetze, vernahm sie plötzlich ein heiteres Kinderlachen. Als sie aufsah, erkannte sie einen kleinen Jungen, der an der Hand seiner Mutter vermutlich den täglichen Weg zur Schule antrat. Sie beobachtete die beiden ein paar Sekunden mit einem milden Lächeln, freute sich über die Wärme, die dieser Anblick in ihr ausbreitete, und machte sich auf zur letzten Etappe der Strecke. Ihr Weg führte neben den Schienen einer U-Bahn entlang, die an dieser Stelle überirdisch fuhr. Sie fröstelte, hörte im Hintergrund noch immer die quietschende Stimme des kleinen Jungen, doch nahm ihn kaum noch wahr. Eigentlich hatte sie einen anderen Weg nehmen wollen. Schon seit Tagen hatte sie diese Strecke nicht mehr eingeschlagen, hatte extra einen Umweg eingelegt, um ihre Route zu ändern. Das beklemmende Gefühl, das sie seit Wochen beschlich, wenn sie neben den Gleisen her wanderte, hatte es ihr befohlen. Angst. Aberglaube. Unsicherheit. Wahn. Dies alles hätte sie sich früher eingeredet, wäre der Logik gefolgt und den Weg stur weiter gegangen. Doch die vergangenen zehn Jahre hatten ihre Sichtweise geändert. Sie hatte gelernt, der stillen Warnung in ihrem Inneren zu vertrauen, auf ihren Instinkt zu hören, der sie vor den Schatten warnte, die in der Dunkelheit lauerten. Heute aber hatte sie keine Wahl. Sie hatte verschlafen und konnte es sich nicht leisten zu spät zu kommen, ihr einziger Ausweg war die Abkürzung. Sie spürte wie ihr Herz immer schneller zu schlagen begann, nahm die zarten Schneeglöckchen nicht wahr, die sich am Schienenrand durch den harten Boden gekämpft hatten, sondern ging stur weiter. Der Kies knirschte unter ihren Sohlen, sie musste ihre Schritte im Zaum halten, um nicht einfach los zu rennen - dann endlich tauchte ein bekanntes Licht vor ihren Augen auf. Die U-Bahn raste ihr entgegen, und mit ihr kam meistens auch er. Sie schaute auf und tatsächlich - in gleichmäßigen Bewegungen kam ihr ein Fahrrad entgegen. Ehe sie die Route gewechselt hatte, hatte sie den Briefträger jeden Morgen kurz begrüßt… und er sie. Aus der netten Begrüßung war bald ein kurzes Gespräch geworden, bis er sich dazu durch gerungen hatte sie mit hochroten Wangen zu einem Kaffee einzuladen. Das rasche Schlagen ihres Herzens bekam in diesen Sekunden einen neuen Grund, wie wild gegen ihre Brust zu donnern. Ein verlegenes Lächeln über das wohlige Glücksgefühl in ihrem Inneren begleitete ihren Blick zu ihm. Sie wartete, spürte wie die Angst der Freude über das kurze Wiedersehen wich. Als er sich langsam nährte und sie sein Gesicht erkennen konnte, erwartete sie das erfreute und gute Lächeln auf seinen Lippen. Doch dieses Mal blieb es aus. Sie wartete weiter, lächelte ihm entgegen, in der Hoffnung, dass er nicht beleidigt war, weil sie ihre Route geändert hatte, doch was sie dann in seinen Zügen erkennen konnte, hatte nichts mit Trotz zu tun. Es war Panik. Angst hatte sich wie eine große Narbe in sein fahles Gesicht gebohrt, er gestikulierte wild mit seiner freien Hand, der Lenker wankte bedrohlich unter seiner Bewegung. Sie konnte erkennen, dass er sprach, doch das Rauschen des ankommenden Zuges verschluckte seine Worte. Er starrte ihr entgegen als würde er dem Tode selbst ins Auge sehen. Ihr Herz setzte unweigerlich aus. Sie war unachtsam gewesen. Der Zug rauschte an ihr vorbei, sie wollte sich umdrehen, doch in diesem Moment fiel der Schuss. Der Knall ging beinahe im Rattern der Bahn unter, sie spürte nicht mehr wie ihr Körper auf dem Asphalt aufschlug. Sie nahm sein Rufen nicht mehr wahr, hörte ihn nicht kommen und sah nicht, dass die kleinen Schneeglöckchen mit roten Flecken besprenkelt wurden. Seine Heimat hatte die Tore vor ihm verschlossen. Eine dichte Wolkendecke über der Stadt erlaube Shinichi nicht einen winzigen Blick auf Tokio und trübte so das von ihm heimlich herbeigesehnte Wiedersehen. Verdrossen schob er die kleine Jalousie über das Bullauge des Fliegers. Schon längst hatte er seine Uhr zwei Stunden vorgestellt und auch das Datum auf der kleinen Anzeige um einen Tag nach vorn geschoben, es blieb ihm also nichts weiter zu tun, als auf die herbeigesehnte Landung zu warten. Mit einem genervten Blick sah er zu seinem Sitznachbarn. Schon seit geschlagenen drei Stunden sägte der Kerl ganze Wälder ab, jetzt konnte er sich nicht mal mit einem Blick aus dem Fenster von diesem schnarchenden Ungetüm neben sich ablenken zu können. Stattdessen rutschte er nun unruhig wieder in seinen Sitz, begann aus Langeweile die Brille zu polieren die er unwissend dessen das er sie später einmal würde tragen müssen, zum Accessoire Bells gemacht hatte. Als vor einer Minute die Leuchtanzeige zum Anschnallen begonnen hatte zu blinken und die nach dreizehn Stunden Flug eigentlich etwas zu freundliche Stewardess den Rest seines Mittagessens entfernte hatte, hatte er gehofft, einen Blick auf Tokio werfen zu können, doch das Dunkelgrau, in denen das Flugzeug langsam versank, verkündete nichts als Regen. Die Tatsache, dass er wieder in Japan war, schwappte am Gate dafür umso heftiger über ihn hinweg. Das mulmige Gefühl, das es sich bei der Landung in seinem Magen bequem gemacht hatte, verschwand nun so ruckartig wie die Angst, die man beim Hochfahren einer Achterbahn verspürt, bis diese ins Tal rauscht und man außer seinem pochenden Herzen nichts mehr wahrnimmt. Überwältigt schnappte Shinichi nach Luft. Eine japanische Durchsage dröhnte in der großen Halle wieder, so unverständlich wie auch im Airport der USA und wahrscheinlich auch im Rest der Welt, aber unverkennbar japanisch. Altbekannte Schriftzeichen kündigten neben lateinischen Buchstaben den nächsten Flug an. In dem multikulturellen Gewirr nach dem check out dominierte die japanische Sprache nun unverkennbar, Shinichi glaubte sogar einen Hauch japanischen Essens wahrzunehmen, dessen Duft sich unsichtbar von der Einkaufspassage aus durch die Flure zu ihm schlich. Japan. Er war zu Hause. Wie in Trance wanderte er durch die Menge, schaute sich um und registrierte so gut wie jedes Schild, jedes Wort und jedes noch so kleine Detail, das ihm deutlich sagte, wo er war. Seine Muttersprache nach so langer Zeit wieder zu hören war eine Wohltat, dennoch begleitete ein mulmiges Gefühl seine Magengegend als er die Worte der vorbeirauschenden Menschen gierig in sich aufsog. Es kam ihm vor, als würde er einem alten Freund wieder begegnen, der sich äußerlich zwar nicht geändert hatte, aber einem dennoch sowohl bekannt als auch völlig fremd vorkam. Seine Hände schlossen sich enger um den Griff des kleinen Wagens, auf dem er seine Sachen transportierte. Das, was ihn eben noch geärgert hatte, nämlich das eine der vier Rollen schief war und deswegen nur noch eierte, nahm er nun gar nicht mehr wahr. Er hatte seine Koffer eben eilig von dem schwarzen Gepäckband geholt, ehe irgendjemandem die drei großen Gepäckstücke missfallen konnten, die sonst einsam ihre Runden weiter gedreht hätten. Shinichi spürte, wie sich Schweiß unter der Silikonschicht auf seiner Stirn bildete, als er den Terminal verließ. Am Ausgang wurde er scheinbar von einer wilden Menge erwartet, die, als sie seinen Schatten am trüben Milchglas vorbei gehen sahen, etliche Namen schrien. Erst als er ins Freie trat und die Menge sah, dass es sich bei ihm nicht um den handelte, den sie oder er erwartet hatte, verstummte die Gruppe wieder. Enttäuschung und Bedauern huschte kurz über die Gesichter der Leute ehe sie ihren Augenmerk wieder auf den Ausgang richteten, in der Hoffnung der nächste möge doch der sein, den sie so freudig erwarteten. Während Shinichi an der Absperrung entlang den Ausgang suchte, streife sein Blick das Empfangskomitee. Familien, wahrscheinlich auch Freunde, die mit einem großen Namensschild oder auch nur einem noch größeren Lächeln auf Verwandte und Bekannte warteten. Sein Blick wurde trüb, als er die in freudiger Erwartung lächelnden Gesichter sah. Warum war er eigentlich hier? Was hatte er eigentlich hier zu suchen und warum, warum zum Henker noch eins, war er an diesen Ort zurückgekommen, dem er vor zehn Jahren feige den Rücken zugekehrt hatte. Shinichi schluckte, schob sich nervös die Brille zu Recht und versuchte grade das zynische Lächeln zu unterdrücken, als eine junge Japanerin scheinbar gradewegs auf ihn zugelaufen kam. Verwundert blieb er stehen, wusste nicht recht wie er sich verhalten sollte, doch diese Frage wurde ihm von ihr schnell abgenommen, denn statt weiter auf Bell zuzuhalten, schwenkte sie in der letzten Sekunde ab. Ihre Blicke und ihre zum freudigen Empfang ausgebreiteten Arme galten keineswegs Shinichi, sondern dem jungen Mann hinter ihm, der grade mit einem Strauß gelber Rosen bewaffnet hinter der Milchglasscheibe hervortrat. Das hektische Klappern der schwarzen Pumps auf dem ausgetretenen PVC verstummte augenblicklich als sich die junge Frau in den Armen ihres Geliebten wiederfand, der ihre Freude, wie es schien, nur allzu gern erwiderte. Ihr braunes Haar fiel ihm auf die Schultern, seine Reisetasche war dem Ansturm seiner Freundin offenbar nicht gewachsen gewesen und fand nun unsanft einen Platz auf dem Boden. Allein die Rosen hatte er wohl mit Mühe und Not retten können, ehe sich ihre Lippen begegneten. Das lautlose Niederregnen ein paar vereinzelter gelber Blütenblätter begleitete ihren Kuss. „Ich schätze Ihnen wäre eine derartige Begrüßung wohl lieber als ein alter Pathologe, der Sie mit einem nüchternen Händedruck empfängt... was, Professor Bell?“ Erschrocken drehte Shinichi sich zu dem Mann an seiner Seite um, der nun seinerseits das Paar mit einem milden Lächeln begutachtete. Verlegen rückte er sich die Brille zurecht, bemühte sich, den bitteren Geschmack auf seiner Zunge so gut es ging zu ignorieren. „Mr. Matzudo, nehme ich an?“ Shinichi schluckte kurz, als er hörte wie Bells Stimme den japanischen Satz formte, fuhr jedoch so unauffällig wie möglich fort. „Was hat mich verraten, Doktor?“ Sein Gegenüber grinste verschmitzt, Shinichi erkannte den typisch belehrenden Ton seiner Stimme, der jedoch trotz der unverhohlenen Freude des Pathologen nichts Überhebliches in sich trug. „Lassen Sie mich überlegen…, war es der sehnsüchtige Blick in ihren Augen? Oder die leicht verletzten Gesichtszüge?“ „Nun ja…“ Shinichi spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss, war froh, dass Bells Züge diese Schwäche nicht teilten. „Ich meinte eigentlich, warum Sie wussten, dass ich es bin? Es wäre mir neu, dass ich mit einem Namensschild umher laufe.“ „Nein, das nicht.“ Endlich wandte sich der Mann Shinichi zu, sodass er ihn genauer in Augenschein nehmen konnte. Sofort fielen ihm die klaren grünen Augen auf, die, anders als sein restliches Erscheinungsbild, sein Alter kaum verrieten. Anhand der grauen Schläfen und der zahlreichen Falten, die die Jahre in sein Gesicht gegraben hatten, schätzte er ihn auf etwa 50 … vielleicht auch schon älter. Wenn Matzudo ahnte, was in Bells Kopf bei der Musterung seines Kollegen vorging, so ließ er es sich nicht anmerken, sondern beantwortete seine Frage mit einem freundlichen Lächeln. „Sie tragen zwar keinen Ausweis an ihrer Brusttasche Mr. Bell, aber Ihr Erscheinungsbild und Ihr Auftreten verraten mir schnell genug über Ihre Person, um Sie aus der Menge heraus zu fischen.“ „Mhm?“ Neugierig begegnete Bell dem Blick des Pathologen. Die stumme Aufforderung reichte offenbar, um den Doktor zum Sprechen zu bewegen. „Das Erste, was einem auffällt, ist ihr Gepäck; für einen einfachen Geschäftsbesuch müssen Sie sich ganz sicher nicht wie ein Packesel ausstaffieren, für einen Touristen wiederum schauen Sie sich zu wenig um. Allerdings verrät der silberne Metallkoffer, der wohl ohne Frage isoliert ist, dass Sie Arbeitsgerät, welcher Art auch immer, mit sich herum tragen. Hinzu kommt, dass Sie wahrscheinlich noch die gleiche Hose wie gestern tragen, da ich bezweifle, dass Sie heute Morgen noch eine Vorlesung hatten. Auf dem rechten Oberschenkel des Cordstoffs Ihrer Hose finden sich allerdings noch deutliche Spuren von Kreide, die eigentlich nur auf einen Beruf als Lehrender hindeuten. Die New York Times, die Sie sich als solch schickes Accessoire unter den Arm geklemmt haben, verrät mir außerdem das Sie an dem aktuellen Fall hier in Tokio interessiert sind, denn ich glaube nicht, dass es sich bei den Notizen neben dem Artikel um einfache Kritzeleien handelt. Nach diesen Kriterien war es nicht schwer, Sie zu erkennen, Professor.“ Shinichi schluckte, versuchte ein unverfängliches Lächeln, dabei spürte er jedoch ganz deutlich, dass sich die feinen Haare auf seinem Arm aufgestellt hatten, es war ihm gar nicht wohl bei dem Gedanken, dass dieser Mann ihn so leicht durchschaut hatte. Die Vorgehensweise an sich, mit der der Pathologe ans Werk gegangen war, kam ihm jedoch mehr als bekannt vor, und das breite, abwartende Grinsen, bei dem die sauberen Zähne des Arztes zum Vorschein kamen, schien ihm Recht zu geben. „Da haben Sie mich wohl in der Tat durchschaut Doktor, ganz nach Holmes‘ Methoden, was? Da frage ich mich doch, was ich hier noch soll, wenn mich der Fachmann persönlich vom Flughafen abholt?“ „Na ja, ich gebe zu, dass ich den Fantasien Doyles nicht ganz abgeneigt bin, aber ein Experte bin ich weder in Fragen über Holmes … noch seiner Methoden.“ Mit einem verschmitzten Grinsen zog er ein Foto aus der Tasche seiner hellblauen Jeans, auf dem Shinichi Bells Gesicht entgegen Blickte. Der Pathologe lächelte verlegen, während er das Bild zurück in seine Tasche beförderte. „Wenn man weiß, wonach man suchen muss, ist die Suche nach den Kriterien selbst schließlich kein Problem mehr.“ Shinichi nickte ihm mit einem erleichterten Lächeln zu, schob verlegen die Brille auf seiner Nase wieder zu Recht. „Da haben sie nicht Unrecht, Mr. Matzudo. Aber auch bei mir wird sich noch zeigen, wie profund und vor allem hilfreich mein Wissen in dieser Sache wirklich ist.“ Seine Stimme hatte sich kaum merklich gesenkt, Matzudo merkte schnell, dass das Gespräch der beiden den Grund von Bells Aufenthalt hier in Tokio wieder aufgegriffen hatte. Der Mediziner nickte kurz. „Und die Lage ist seit heute Morgen ernster, als Sie denken Mr. Bell… leider.“ Überrascht zog Bell die Augenbraun nach oben. „Haben Sie denn schon neue Informationen zu dem Fall?“ „Nein, das nicht.“ Traurig schüttelte er den Kopf „Aber?“ „Wir haben ein zweites Opfer.“ Der Mord habe erst vor wenigen Stunden stattgefunden, bei dem Opfer handele es sich diesmal um eine Frau mittleren Alters, erklärte Matzudo. Die Tat ereignete sich wieder im Beika Viertel, berichtete er, während sie Bells Koffer in den silbernen Ford einluden. Er wäre schon vor Ort gewesen, das Morddezernat kümmere sich wahrscheinlich noch um den Tatort. Es handelte sich nicht um dieselbe Waffe, diesmal war es ein sauberer Kopfschuss. Shinichi hörte dem Bericht des Pathologen nur mit einem Ohr zu, er konnte nicht verhindern, dass seine Gedanken abschweiften, während sie mit dem Auto seine alte Heimat durchquerten. Erinnerungen keimten in ihm auf, wurden aber schnell von dem bitteren Bewusstsein unterdrückt, dass er eigentlich nicht hier sein sollte. Shinichi schluckte, fuhr sich in Gedanken unvorsichtig über die Stirn. In seinem inneren fochten zwei Parteien einen Kampf aus, in dessen Kriegsgetümmel er von der einen zur anderen Seite geschleudert wurde. Matzudo schien die Wortlosigkeit Ruhe seines Begleiters nicht zu entgehen, während nur das dumpfe Klacken des Blinkers zu hören war. Er stellte seinen Bericht ein und beobachtete den Mann an seiner Seite, dessen Blick starr auf die Straßen und Häuser Tokios fiel. Seine Augen waren viel zu trüb für den Blick eines einfachen Besuchers. Sein alter Freund York hatte Recht, irgendetwas stimmte mit diesem Mann nicht. Mit einem kurzen Räuspern erkämpfte sich der Doktor die Aufmerksamkeit seines Beifahrers. „Ich kann Sie natürlich auch gerne erst in ihre Unterkunft bringen, Bell. Ich kann gut verstehen, dass Sie sich nach dieser Reise erst einmal-„ „Was?“ Aus seiner Trance heraus gerissen starrte er Matzudo kurz an, verfluchte sich dann dafür, dass er seine Gedanken nicht im Zaun hatte und begann mühevoll zu rekonstruieren, was er eben mit halben Ohr aufgeschnappt hatte. „Nein! Nein, schon gut. Ich würde gerne erst den Tatort sehen, bevor die Spur kalt wird.“ Anerkennend nickte Matzudo ihm zu, während er in die nächste Straße einbog. „Dachte ich mir doch, dass Sie die Fährte aufnehmen möchten, solange sie noch frisch ist. Ich war so frei, die Polizei auch gleich über Ihr Kommen zu informieren. Auch wenn ich leider sagen muss, dass nicht jeder Ihre Mithilfe so zu schätzen weiß.“ Shinichi schluckte, mimte jedoch ein verständnisvolles Lächeln. „Kein Wunder, ich glaube niemand hat es gern, wenn sich ein Fremder in seine Angelegenheiten einmischt.“ „Mhm…“ Mehr sagte er nicht, trommelte stattdessen ein paar Mal kurz auf dem mit Leder umfassten Lenkrad herum. Shinichi sah lange Finger und filigrane Hände, kaum vorstellbar, dass dieser Mann die meiste Zeit damit verbrachte, die Gedärme von Leichen zu durchstöbern. „Alle Achtung.“ Der Doktor nutze die Minute, als er hielt, um ein paar duzend Fußgänger über den Zebrasteifen zu lassen, um Shinichi kurz in die Augen zu sehen, während er sprach. „Ihr Japanisch ist besser als ich zu hoffen gewagt hatte! Selbst ihr Akzent ist kaum vorhanden!“ „W-Was?“ Erschrocken starrte er Matzudo an, der den ertappten Gesichtsausdruck Bells kurz registrierte, um dann den ersten Gang einzulegen und die Fahrt fortzusetzen. Shinichi saß starr vor Schreck aufrecht in dem cremefarbenen Sitz, kleine Schweißperlen sammelten sich unter der Maske. Wenn er sich nicht langsam wieder beruhigte würde die Menge an Schweiß zwischen Haut und Maske bald einen Juckreiz auslösen, dem er kaum standhalten könnte. Shinichi lief es eiskalt den Rücken runter. Das fing ja gut an. Er verfluchte sich im Stillen, erhaschte einen kurzen Blick auf Matzudo, der sich, jetzt scheinbar ruhig und auf eine Antwort wartend, wieder dem Tokioter Nachmittagsverkehr widmete. Wie konnte er nur so blöd sein! Tracy hatte ihm zwar geraten, sich nicht zu sehr zu verstellen, aber er sollte doch auch nicht gänzlich ohne amerikanischen Slang vorsprechen! Egal, jetzt war es zu spät, nach dieser Aussage ein wenig mehr Englisch in seine Worte einfließen zu lassen wäre zu auffällig. Er musste sich was anderes einfallen lassen, wenn dieser Pathologe, den er erst seit ein paar Minuten kannte, schon misstrauisch wurde, durfte er sich bei jemandem, den er kannte, schon gar keinen Patzer erlauben. „Ich muss zugeben, das wundert mich selbst.“, gestand er nach einer Weile. „Die beiden Jahre in Japan haben sich anscheinend mehr als bezahlt gemacht, vielleicht kann ich so ja auch bei den japanischen Kollegen von der Polizei ein paar Punkte wieder gut machen.“ Er hoffte inständig, dass sein Lächeln nicht so zerknirscht und unecht wirkte, wie es sich anfühlte, wartete gespannt auf eine Reaktion Matzudos. Die buschigen Augenbrauen zogen sich kurz zusammen, ehe das Gesicht des Pathologen sich wieder entspannte und er anerkennend nickte. „Das will ich doch hoffen, Mr. Bell. Aber ich denke grade Megure wird darüber wohl erfreut sein, denn sein Englisch ist bei Weitem nicht das Beste und ich bin sicher, der hatte schon mächtig Magenschmerzen bei dem Gedanken, sich mit Ihnen zu verständigen.“ „M- Megure?“ „Ja, Hauptkommissar Megure, er selbst hat sich dieser Sache angenommen. Was ist? Kennen Sie ihn etwa?“ Verwirrt blickte er in das starre Gesicht des amerikanischen Professors, für einen Kriminalisten ließ er sich erstaunlich rasch aus der Fassung bringen. Der erste Zeuge von Veränderung während seiner Abwesenheit hallte in geisterhafter Form von Matzudos Worten in seinem Kopf wieder. Shinichi merkte kaum, wie trocken seine Kehle war als er antwortete. „Ich… k- kann sein, ich denke ich habe seinen Namen in der Zeitung gelesen.“ Fast automatisch kam dieser Satz aus seinem Mund. Shinichi wunderte sich schon lange nicht mehr, wie sehr er sich an diese Lügerei angepasst hatte, er hatte es schon lange satt sich einen Kopf darüber zu machen, schließlich bildeten Lügen schon mehr als zehn Jahre lang sein Leben. Matzudo schien nicht zu ahnen, was hinter Bells falscher Stirn vor sich ging, fuhr ungerührt fort, während er bestimmt schon an der zehnten verfluchten roten Apel anhielt. „Ich schätze, er und seine Truppe müssten noch vor Ort sein, so können wir sie gleich gebührend in den Fall einweisen.“ Bell nickte, sein Blick schweifte jedoch in die Ferne. Das schwarz-gelbe Absperrband flatterte im Wind, riegelte den Tatort großräumig ab, um Reporter und Gaffer fern zu halten. Der Asphalt unter seinen Füßen verriet seine Schritte, vergrößerte das mulmige Gefühl in Shinichis Magen, während er und Matzudo auf die provisorische Grenze zugingen. Zwei Beamten war das große Glück und die ehrenvolle Aufgabe zuteil geworden, zusätzlich vor dem Band Wache zu schieben, ihre gelangweilten Gesichter waren Zeuge von der Muße, mit der sie ihrer Arbeit nachgingen. Matzudo hatte seinen Wagen zwischen die Polizeifahrzeuge manövriert, er nickte den Beamten von weitem zu, als sie auf den unbefestigten Weg neben die Gleise traten. Der Kies knirschte verräterisch unter seinen Schuhen, Shinichi hatte das Gefühl, den Gang zum Schafott angetreten zu haben, das Absperrband, unter dem er sich grade hindurchbückte, wartete wahrscheinlich nur darauf, jede Sekunde wie ein Beil in die Tiefe zu fallen. Er schluckte, schloss kurz die Augen und atmete lange aus. Sein Blick richtete sich auf den grauen Berg, der sich ein paar Meter vor ihnen aufbaute. Er steuerte auf eine voluminöse Gestalt mit Trenchcoat und Hut zu, der kräftige Mann hätte sich nicht erst herum zu drehen brauchen, Shinichi erkannte ihn auch so. „Verdammt noch mal, Kikuja!“ Der hagre Beamte zuckte kurz zusammen als er seinen Namen hörte. „Klären Sie gefälligst ab, wie das passieren konnte und dann sehen Sie endlich zu, dass Sie diesen Mann beruhigen!” Doch statt dem Gebrüll seines Vorgesetzten Folge zu leisten, schielte der junge Beamte über Megures Schulter zu Dr. Matzudo und seinem Begleiter. Sein gegeltes Haar hielt dem Frühlingssturm, der sich über Tokio ankündigte, ohne mit der Wimper zu zucken stand. Die Frage, was der Polizist sich alles auf den Kopf geschmiert hatte, stellte sich Shinichi gar nicht erst, es musste eine Mischung aus Kleister und Superkleber sein, etwas anderes war bei dieser Beton-Frisur gar nicht möglich. Shinichi bemerkte wohl nicht allein, dass die Augen Kikujas zwischen ihnen und Megure hin und her wanderten, denn wie auf Befehl blieb Matzudo stehen und wartet mit Bell auf eine Reaktion des Hauptkommissars. „Was stehen Sie hier noch rum, Kikuja?! Sie sollten doch-” „Ja – ja, aber Herr Hauptkommissar, da sind doch… Ich meine, Sie sollten sich vielleicht…” Mit ungeschickten Bewegungen versuchte er sein Gestammel zu unterstützen, deutete über Megures Schulter hinweg und schaffe es so seinen Vorgesetzten, wenn auch widerwillig, zum Umdrehen zu überreden. Shinichi spürte, wie sein Puls von Adrenalin angetrieben in die Höhe schoss als Megure sich ihnen, nach einem kurzen Nicken zu Kikuja, zuwandte. Er konnte das kurze, missbilligende Zucken der buschigen Augenbrauen sehen, als Megure, nachdem er den Pathologen kurz begrüßt hatte, sich nun ihm widmete. Unweigerlich biss er sich auf die Lippen, er spürte Megures Blick, als dieser ihn wie ein Scanner abtastete und konnte aber auch seinerseits nicht die Augen von seinem alten Freund abwenden. Sein Haaransatz hatte sich weiter unter seinen Hut zurückgezogen, suchte wohl die Sichere Geborgenheit von Megures treuem Begleiter. Ein paar Falten hatten sich in sein Gesicht geschlichen und der prachtvolle Schnauzer, der noch immer unter seiner Nase thronte, wurde von einigen silbernen Strähnen durchzogen, dem sich die graue Farbe seines Outfits, wie es schien, angepasst hatte. Ein kleiner Schauder schlich sich auf leisen Sohlen über Shinichis Rücken, als er die vertrauten Züge unter der Veränderung der vergangenen zehn Jahre erkannte, er konnte nicht verhindern, dass er sich freute, seinen alten Freund wiederzusehen, doch Megures Worte verpassten ihm schnell einem Dämpfer. „Professor Bell, nehme ich an?” Die Stimme Megures riss Shinichi zurück in die Wirklichkeit, seine Worte waren in dem sachlichen Beamten-Ton gesprochen in dem ein Polizist für Gewöhnlich einen Fremden am Tatort willkommen hieß. Ein Fremder. Nichts anderes war er, und nichts anderes würde er auch für all die anderen sein, ein Fremder, der sich in Angelegenheiten einmischte, die ihn eigentlich nichts angingen. Er Schluckte den Kloß hinunter, der es sich in seinem Hals gemütlich gemacht hatte. Doch das stumme Mantra seiner Gedanken konnte das flaue Gefühl in seinem Magen nicht lindern. Die Wiedersehensfreude für ihn würde, egal wen er traf, einseitig bleiben. Aber warum machte er sich Sorgen, das war eigentlich genau das, was er wollte, sie sollte ihn nicht erkennen, denn würden sie es tun, wäre seine ganze Arbeit umsonst gewesen. Shinichi merkte erst jetzt, dass er perplex auf die Hand des zum Hauptkommissar beförderten Freundes schielte, schnell riss er sich aus seiner Starre und ergriff sie zur freundlichen Begrüßung. „Freut mich, Mr. Bell.“ Wenn Megure sich über das Zögern des Amerikaners wunderte, so ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken, schenkte Shinichi stattdessen ein entgegenkommendes Nicken. Kurz atmete Bell auf, er schien die Musterung bestanden zu haben. Eigentlich war er schön blöd gewesen, wer sollte ihn auch in dieser Maskerade erkennen? Geschweige denn ahnen, dass sich Shinichi Kudo dahinter verbarg, wenn er sich doch selbst manchmal im Spiegel fragte, wer ihm da eigentlich entgegen blickte. „Äh ich meine… I- My name is Megure. M-E-G-U-R-E.” „Mhm?” Shinichi schaute ihn nur verwirrt an, während Matzudo neben ihm schon in heiteres Lachen aus brach, das ihm einen bösen und leicht beschämten Blick Megures einbrachte, dessen Gesicht langsam rot anlief. „Sparen Sie sich ihre zweifellos gut gemeinten Bemühungen, Megure, wie ich schon feststellen durfte, sind die Japanischkenntnisse unseres Gastes besser als erhofft, Sie können sich das Wühlen in der verstaubten Vokabelkiste also sparen. Nicht wahr, Professor?” „Was? Ja… ja, natürlich, das sollte kein Problem darstellen.”, bestätigte Bell Megure mit einem kurzen Lächeln, während sich dieser Matzudo zuwandte, wahrscheinlich um nachzufragen, warum er darüber nicht schon vorher informiert worden war, oder ob der Pathologe einfach nur einmal mit eigenen Ohren hören wollte, wie gut das Englisch seines Chefs wirklich war. Shinichi beobachtete die beiden Männer, versuchte das Sehnsüchtige in seinem Innern zu verdrängen, das er verspürte, als er die Vertraulichkeit sah, mit der sich die beiden unterhielten. Er war nicht mehr als ein Fremder für sie … was die Ermittlungen anbelangte sogar ein bei manchen unerwünschter Eindringling. Er schluckte, spürte wie der Wind an seiner Perücke riss. Er war kein Kind mehr, war endlich wieder in einem Alter, in dem man ihn auch ohne Verkleidung einigermaßen erst nehmen würde, er war wieder der Oberschüler, den sie damals gekannt hatten, aber Megures Umgang, sein Blick, und die Art und Weise, wie er mit ihm sprach, machten Shinichi deutlich, dass er nicht Zuhause war. Er war nicht in Japan … Shinichi Kudo gab es nicht. Wenn überhaupt war es Conan, der sich mit Megure in diesem Moment einen schlechten Scherz erlaubte. William Bell sollte hier bei einem Fall helfen, doch statt sich endlich über den Stand der Ermittlungen schlau zu machen, stand er hier rum, starrte einem alten Freund ins Gesicht, einem Teil seiner Vergangenheit, zu dessen Zukunft er vermutlich nie wieder gehören würde. Verdammt, er musste aufhören, alles aus diesem Glaskasten zu sehen, der ihn von allen abschottete; hier zählte nicht seine Vergangenheit oder das was er sich für die Zukunft wünschte, einzig und allein wichtig war jetzt der Fall. „Der Fall.” Die beiden Männer starrten ihn verwundert an, wussten nicht, ob er mit sich selbst geredet oder wirklich sie angesprochen hatte. „Der Fall, Kom- Hauptkommissar, könnten Sie mir erläutern, was vorgefallen ist und wie derzeit der Stand der Ermittlungen aussieht?” „Natürlich.” Mit einem kleinen Räuspern wandte er sich Bell zu. Eins musste Shinichi ihm lassen, auch wenn man Megure anmerkte, dass er nicht erfreut über Bells Eindringen war, so war er doch so fair und versuchte es nicht allzu sehr zu zeigen, auch wenn sein strenger Blick ihn jetzt wieder musterte. „Ich muss Sie wahrscheinlich nicht darauf aufmerksam machen, Herr Professor, dass es sich um einen wirklich vertraulichen Fall handelt, oder? Die Presse hat uns ohnehin schon in der Hand, wir können es uns nicht leisten, noch mehr Informationen an die Öffentlichkeit zu verlieren.” Bell nickte gleichmütig, schob sich korrekt die Brille wieder zu recht. „Ich habe verstanden.” „Mhm… gut, dann kommen Sie mit, ich zeige Ihnen den Tatort.” „Moment noch, Mr. Bell!” „Ja, was ist denn, Doktor?” Verwundert drehte er sich zu Matzudo um, der Shinichi noch ehe er etwas sagen konnte, einen Zettel und einen Schlüssel in die Hand drückte. „York und ich hielten es für das Beste, Sie bei mir unterzubringen. Keine Sorge, Sie müssen nicht bei mir auf dem Sofa für Wochen campieren.”, entgegnete der Arzt Bell, dessen Gesichtszüge Shinichi kurz entgleist waren. „Auf meinen Grundstück befindet sich noch ein Gästehaus, hier sind der Schlüssel und meine Adresse, wenn ich nicht zu Hause bin, finden Sie mich in der Pathologie der Universität ein paar Straßen weiter, das können Sie gar nicht verfehlen. Ich würde Sie ja nachher selbst begleiten, aber meine Arbeit hier ist abgeschlossen. Ich bin eben im Labor nützlicher als in der freien Natur.” Doch dem verlegenen Lachen des Arztes hatte Bell anfangs nicht viel entgegen zu setzen, ganz im Gegenteil, Shinichi lief es eiskalt den Rücken runter. Das war gar nicht gut, so würde er es nie schaffen, Bells Identität vor dem Pathologen zu bewahren. Auf ein Hotel zu bestehen wäre zwar sicherer, aber das würde den Ermittlungen zweifellos nicht helfen. Irgendwie musste er sich da raus manövrieren, vielleicht hatte er noch eine Chance. „K- Kein Problem, Doktor. Ich bin mir sicher, mit Hilfe eines örtlichen Taxis finde ich den Weg schon und wenn ich den Schlüssel verliere, klopfe ich einfach rasch bei Ihnen an.” Der scherzhafte Tonfall schien zu wirken, auf das kurze Lachen Matzudos folgte bald eine leicht tadelnde Antwort. „Na, das will ich doch nicht hoffen, dass Sie den Schlüssel verlieren, denn selbst wenn Sie dann bei mir vor der Haustür stehen, bleiben Ihnen die Türen verschlossen; Sie müssen wissen, dass ich leider keinen Ersatzschlüssel habe. Auf das gute Stück sollten Sie daher schon achtgeben.” Erleichtert über die Tatsache, dass er seine Verwandlung hinter verschlossener Tür vollziehen konnte, nickte er dem Pathologen zu. „Wenn dem so ist, Doktor, werde ich ihn natürlich hüten wie meinen Augapfel. Vielen Dank schon einmal.” „Nichts zu danken, Professor! Sehen Sie nur zu, dass Sie den Fall lösen. Bis später, auf Wiedersehen, Hauptkommissar Megure.“ Mit einem kurzen Winken verabschiedete sich der Pathologe und ging hinter der Absperrung davon. „Also dann Professor, folgen Sie mir bitte.“ „Was? Ja natürlich. Aber eins noch, Hauptkommissar Megure - lassen wir das „Professor“. Bell reicht vollkommen.“ Megure erwiderte das Lächeln Shinichis nur kurz, der erste Versuch, sich das Vertrauen des Hauptkommissars zu erschleichen, trug, wie es schien, noch keine Früchte. „Ist gut, also folgen Sie mir, Mr. Bell.“ Shinichi ging mit langen Schritten neben Megure her, der war dabei, ihn in Tat und Tatort einzuweisen, trotz der Tatsache, dass der Kom- Hauptkommissar einen Fremden nur widerwillig am Tatort herumschnüffeln ließ, weihte er ihn geflissentlich in Fakten und Daten ein. „Bei der Ermordeten handelt es sich um eine Frau, ca. 30 Jahre alt. Soweit wir es bis jetzt in Erfahrung bringen konnten, war sie wohl auf dem Weg zur Arbeit, bis- … sie-. Hat Matzudo Ihnen schon erklärt, wie der Mörder vorgegangen ist?“ Bell nickte ihm beiläufig zu. „Er sagte, es sei ein Kopfschuss gewesen.“ „Ganz recht.“ Leise grummelnd, sei es wegen dem Wind oder dem redseligen Pathologen, zog Megure sich den Hut tiefer ins Gesicht, ehe er fortfuhr. „Der Schuss muss aus ca. fünf Metern Entfernung gefallen sein, soweit sind jedenfalls die vorläufigen Untersuchungen. Das Geschoss hat den Schädel von hinten fast mittig durchbohrt. Laut Zeugenbericht wollte sie sich gerade herumdrehen, als-„ „Moment mal! Zeuge?“ „Nein, Zeugen.“ Unaufgefordert angelte Megure sein Notizbuch aus der Innentasche seines Mantels. „Um genau zu sein, nun… vielleicht zweieinhalb an der Zahl.“ „Wie bitte – ein halber Zeuge?“ „Nun ja.“ Der Hauptkommissar errötete leicht. „Unser dritter Zeuge ist ein kleiner Junge, aber viel kann man auf den Bericht des Kindes ja nicht geben.“ Shinichi nickte, schluckte jedoch, allzu tief schienen Conans Spuren nicht mehr im Gedächtnis der japanischen Polizei zu sein. „Zum anderen haben wir noch die Mutter des Jungen, allerdings waren beide zur Tatzeit ziemlich weit weg, sodass sich ihre Beobachtungen weitestgehend auf den Knall der Waffe belaufen, als der Schuss fiel. Der dritte und wohl wichtigste im Bunde ist Herr Tome, Postbote von Beruf, er hat den Tatverlauf beobachtet… allerdings ist seine Aussage derzeit leider wertlos. Er ist wegen der Tat so aufgewühlt und steht derart neben sich, dass ich Kikuja, einen meiner Leute, damit beauftragt habe, den Polizeipsychologen mit dem Fall zu betrauen.“ Verächtlich schnaubend atmete er aus. „Allerdings meint dieser Seelenklempner, dass, wenn er so kurz nach der Tat nicht reden wollte, er wohl erst ein wenig Zeit und einen Tag Ruhe braucht um alles zu verarbeiten. Tsss… Zeit, als ob wir so etwas je hätten! Jedenfalls haben wir die Zeugen eben nach Hause gebracht. Natürlich unter Bewachung. Um unseren verweichlichten Briefträger kümmert sich Mori, ich hoffe allerdings, dass er nicht Anteil nimmt, sollte der gute Mann seinen Kummer in Alkohol ertränken wollen.“ Auch wenn die letzten Worte Megures nur gemurmelt waren, so schlug der Name in Shinichi alle Alarmglocken an. „Mori? Kogoro Mori?“ „Was? Ja. Sagt Ihnen der Name etwas, Professor?“ „Nun… wenn es sich dabei um den berühmten Schlafenden Detektiv handelt, dann schon.“ Megure nickte leicht, doch seine Augen schauten unbestimmt in die Ferne. „Der und kein anderer… dennoch, Sie greifen sehr weit in die Vergangenheit, mein lieber Mr. Bell.“ Shinichi Schluckte. Beide Männer schwiegen kurz, bis der Hauptkommissar es schaffte, sich von seinen Gedanken los zu reißen, als sein starrer Blick plötzlich auf etwas Lebendiges fiel. „Um die Zeugen kümmern wir uns daher erst morgen, aber vielleicht kann uns Kommissar Sato schon jetzt Genaueres sagen. Sie und Mori waren eben so freundlich, die Betreffenden nach Hause zu bringen.“ Mit einem kurzen Zeichen wies er zum Parkplatz, auf dem eine junge Frau nun energisch die Autotür ihres feuerroten Wagens zuschlug. Shinichi versuchte schon gar nicht mehr zu schlucken, trotz der langsam immer feuchter werdenden Frühlingsluft hatte sich seine Kehle in eine Wüste verwandelt, in der bei dem Anblick von Sato erst recht ein Sandsturm loszubrechen schien. Auf den ersten Blick hatte die junge Polizistin sich kaum verändert. Sie war der im Dienst zweifellos praktischen Kurzhaarfrisur treu geblieben, ihr energischer Gang sprach davon, dass sie auch von ihrem Charakter in den letzten zehn Jahren nicht viel verloren hatte. Einen wirklichen Unterschied erkannte Shinichi erst, als sie vor ihnen stand und er die ersten Fältchen sehen konnte, sie sich in zarten Netzen auf ihre Haut gelegt hatten. „Und Sato, gibt es was Neues, das uns weiterhelfen könnte?“ „Ich fürchte nicht, Chef.“ Genervt blies sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Jedenfalls nicht, wenn Sie das zerrüttete Gebrabbel eines Postboten oder die Fantasien eines kleinen Kindes über Cowboys sonderlich interessiert.“ Während Bell die neuen Informationen mit zusammengezogenen Augenbrauen aufnahm, schien der Hauptkommissar von den ach so spannenden Neuigkeiten tatsächlich eher gelangweilt als angetan zu sein. „Na prima. Aber sagen Sie Sato, haben Sie nicht eigentlich Dienstschluss?“ „Was? Äh, ja natürlich.“ Die Beamtin wurde rot, rieb sich verlegen an der Wange. „Das stimmt schon, aber ich wollte mich wenigstens ordentlich abmelden, außerdem kommt Wataru gleich mit der Kleinen hierher.“ „Ah, verstehe, mal wieder ein fliegender Wechsel was? Aber ich muss schon sagen, ich weiß wirklich nicht ob es so gut ist, wenn Sie die Kleine so oft an einen Tatort bringen, Sato.“ Die Angesprochene tat den guten Rat des Hauptkommissars jedoch mit einer Hand ab. „Ach was, hier gibt es doch sowieso schon nichts mehr zu sehen, machen Sie sich da mal keine Gedanken, Hauptkommissar Megure.“ Ihre Antwort begleitete ein kleines Zwinkern. „Es sei denn natürlich, Sie haben Neuigkeiten bezüglich des Falls?“ Zum ersten Mal während des Gespräches wandte sie sich an Bell. Shinichi, der bis eben nur verwirrt dem offensichtlich vertraulichen Gespräch der beiden zugehört hatte, spürte nun die Augen der Kommissarin auf seiner Haut. Der interessierte, wenn auch leicht skeptische Blick, den er als Conan schon oftmals von ihr zu spüren bekommen hatte, ruhte nun wieder auf ihm. Ehe einer der beiden etwas sagen konnte, wurde sich Megure der Situation endlich bewusst und schaltete sich ein. „Verzeihung, Professor! Wenn ich vorstellen darf, Kommissarin Sato, sie gehört zu den leitenden Ermittlern in dieser Sache. Sato, wenn ich Sie mit Professor Bell bekannt-„ „Nicht nötig, Hauptkommissar.“ Rüde unterbrach sie ihren Vorgesetzten, reichte einem ziemlich verwirrt dreinschauenden Bell dann jedoch freundlich die Hand. „Freut mich, Sie kennenzulernen Professor, sagen Sie … das Happy End auf das wohl mehr als die Hälfte ihrer Leserschaft hofft, wollen Sie uns doch wohl nicht noch ewig vorenthalten, oder?“ Shinichi schluckte; daher wehte der Wind also, sie kannte ihn als Schriftsteller, da war eine große Vorstellung natürlich hinfällig. „Nun, wissen Sie, auch im echten Leben gibt es nicht immer ein Happy End, ich würde mich also an ihrer Stelle nicht allzu sehr darauf verlassen.“ Bells Stimme wohnte, trotz des entschuldigenden Lächelns, eine ernste Nuance inne, sein leicht getrübter Blick veranlasste weder Sato noch Megure dazu, ihm zu widersprechen. Die Kommissarin nickte nur bedauernd, schaute auf den Teil des Weges, in denen sich der der helle Kies scheinbar in kleine rote Steinchen verwandelt hatte. „Ich kann nur hoffen, Sie machen im echten Leben einen besseren Job, Professor.“ Shinichi wollte ihr grade etwas erwidern, als eine helle Stimme ihn noch, bevor ein Laut aus seiner Kehle gekommen war, stoppte. „Mama!!!“ Unter den schnell heran eilenden Kinderfüßen verlor der Kies, welcher unter Shinichis Schritten eben noch laut und verräterisch gewesen war, all seine Geheimnisse. Das kleine, scheinbar nur aus zwei langen Zöpfen bestehende Geschöpf kam so schnell auf die Gruppe zu gerannt, dass, hätte Sato sich nicht hingekniet, um sie aufzufangen, sie bestimmt nicht zu stoppen gewesen wäre. Mit einem vor Freude heiserem Kichern fiel die Kleine ihrer Mutter in die Arme, während ein ziemlich aus der Puste geratener Vater die Verfolgung aufgenommen hatte. „Aber Noriko, du sollt nicht immer einfach weg laufen, du weißt doch, das du allein an einem Tatort nichts zu suchen hast.“ „Jaa, Mama. Aber eigentlich war ich ja gar nicht allein, ich bin direkt zu dir gekommen, außerdem kann ich ja nichts dafür, dass Papa so langsam ist.“ Mit tadelndem Blick schaute die Kleine zu ihrem Vater, dessen Schritte sich nun immer mehr verlangsamten. „Mensch, Nori! Das nächste- nächste Mal wartest du aber!“ Doch sein Töchterchen hatte die Worte ihres Vaters nicht gehört, der noch immer nach Luft schnappte. Munter quasselte die Kleine drauflos und erzählte ihrer Mutter die etwas längere Kurzfassung dessen, was sie heute in der Schule gelernt hatte. Takagi beobachtete seine Frau und seine kleine Tochter ehe sein Blick auf Bell fiel und er mit gesenkter Stimme Megure ansprach. „Das ist er also?“ „Mhm, eben eingetroffen.“ Mit einem kurzen Nicken sah er zu Bell, der noch immer starr dem Treiben Takagis Frau und seiner kleinen Tochter zuschaute. „Haben Sie es ihm schon gezeigt, Hauptkommissar?“ Der seufzte nur, vergrub streng die Hände in den Taschen seines Mantels, ohne den Professor auch nur eine Sekunde lang aus den Augen zu lassen. „Nein… ich ziehe es vor, zu warten bis er hier ist und wir wenigstens auch einen Trumpf vorzuweisen haben, bevor uns der Kerl vielleicht noch sämtliche Karten aus der Hand nimmt.“ „Verstehe…“ taxierend ruhte Takagis konzentrierter Blick noch immer auf Bell, erst die Stimme Satos konnte ihn wieder zurück in das hier und jetzt befördern. „Wataru? Was ist, willst du mich und Noriko nicht verabschieden?“ „Was? Ja doch, natürlich.“ Mit einem entschuldigenden Lächeln ging er auf seine kleine Familie zu, nahm das circa sechs Jahre alte Mädchen auf den Arm und begleitete seine Frau in Richtung Auto. Shinichis blaue Augen verfolgten das Paar zu Satos Wagen, er beobachtete wie Takagi seiner kleinen Tochter zum Abschied einen Kuss auf die Stirn gab während Sato die Szene mit mütterlichem Blick verfolgte. Er schluckte, versuchte das flaue Gefühl in seinem Magen zu verdrängen und dem Platz zu machen, was eigentlich vorherrschen sollte. Freude. Etwas Schöneres hätte er sich für die beiden nicht wünschen können, wenigstens für sie schienen die Luftschlösser, die sie sich erbaut hatten, Wirklichkeit geworden zu sein. Dennoch konnte er en Anblick nicht einfach unverfänglich genießen, es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn er die bittere Stimme in seinem Inneren einfach hätte abstellen können, die ihm mit gespaltener Zunge Enttäuschung und Angst einredete. Denn wie gerne hätte er das kleine aufgeweckte Mädchen früher kennen gelernt, wie gerne hätte er Sato und Takagi zu ihrem gemeinsamen Glück gratuliert. Stattdessen blieb ihm nichts anderes übrig, als so zu tun als würde es ihn nicht kümmern, als hätte er mit all diesen Leuten nichts gemein. Die Veränderung, das scheinbare Happy End, das ihn eigentlich freuen sollte, und natürlich auch freute, machte ihm gleichermaßen Angst. Angst vor den Veränderungen, die ihm sein Besuch in Japan noch offenbaren könnte… Angst vor den Dingen, für die er sich freuen sollte und nicht konnte. Shinichi schluckte. Unfähig brachte er ein kleines Lächeln zu Stande, sah ihnen noch eine Weile nach. Er war nichts weiter als ein unsichtbarer Geist, ein stiller Beobachter, der sich freute, einen Einblick in ein Leben zu bekommen, das schon lange nicht mehr ihm gehörte. Es schüttelte ihn; niemals, nie all die tausend Kilometer entfernt, hatte Shinichi sich je weiter von seinen Freunden und seiner Familie weg gefühlt als heute. Es gab ihn gar nicht. Für sie existierte er nicht, jedenfalls nicht hier, wenn sie ihn nicht sowieso schon längst vergessen hatten. Hallo alle miteinander, diesmal vom Ende der Gesichte, ich dachte ich entlasse euch diesmal gleich in das neue Kapitel. Ich hoffe ihr hattet Spaß beim Lesen, natürlich war dies nur eines von vielen Wiedersehen die Shinichi noch bevor stehen ^.~ Selbstredend würde ich mich wie immer freuen wenn ihr mir eure Meinung hinterlasst, klischeee… ich weiß, aber es ist wirklich schön zu Lesen was ihr von der Story haltet. Das nächste Kapitel folgt am 22.11.13 Bis dahin alles Gute! LG eure Shelling__Ford Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)