Lost in Time von Shelling__Ford (ShinichixRan) ================================================================================ Kapitel 11: Verräterische Zeilen -------------------------------- Verräterische Zeilen In der kleinen Küche sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Kaffeeränder waren unter Zeitungen, Büchern und Notizen verschwunden. Ein halb aufgegessener Toast hatte seine Krümel über den Tisch verteilt und wartete nun immer noch darauf, dass sich sein Schicksal erfüllte. Gebettet in dieses Chaos saß mittlerweile nicht mehr Shinichi Kudo, der noch vor einer Stunde Herr dieses Schlachtfelds gewesen war, sondern William Bell. Selbst unter der Schicht aus Silikon sah man ihm an, dass er die Nacht weitestgehend an dem kleinen Küchentisch verbracht hatte, den Shinichi kurzerhand zu seinem Arbeitsplatz ernannt hatte. Doch die Kritzeleien in den Zeitungen, die Nachschlagewerke und die Notizen waren nichts weiter als eine geschickt gelegte falsche Spur, mit der er nicht zuletzt versuchte, sich selbst auszutricksen. Er sollte an dem Fall arbeiten, die Rätsel entschlüsseln und neue Opfer verhindern. Shinichi seufzte, ließ sich ein wenig tiefer in den Stuhl sinken. Er sollte. Aber er konnte nicht. Seine in Amerika mühevoll hochgezogene Wand aus Arbeit bröckelte nicht nur, nein, seit gestern stand zwischen ihm und allem, was er dahinter eingeschlossen hatte, nichts weiter als eine baufällige Ruine, aus dessen Schutt sich nichts Neues mehr zusammen fügen ließ. Langsam schloss Shinichi die Augen, versuchte sich auf den heutigen Tag zu konzentrieren, auf den Fall, auf einen Mörder. Doch an seiner verzerrten Miene hätte jeder Außenstehende erkannt, dass ihm das nicht gelang, denn alles, was er vor sich sah, waren sie. Bilder, die ihn eine halbe Nacht lang wach gehalten und die andere Hälfte im Traum gequält hatten. Eisuke und Ran. Ran und Eisuke. Zusammen. Verliebt. Ein Paar. Der junge Detektiv stöhnte auf, fuhr sich mit beiden Händen durch das aschblonde Haar Bells. Tracy hatte eine gute Perücke ausgesucht, die Haare fühlten sich echt an, waren es wahrscheinlich auch. Er hätte diesen blöden Fall gar nicht erst annehmen sollen! Schön, er wusste nun, dass es ihnen gut ging, vielleicht tat sich sogar unverhofft eine Spur zur Organisation auf, aber war es das wirklich wert? War es richtig, sie alle zu belügen? Sich erneut falsche Freunde zu schaffen und noch falschere Feinde? Müde griff er nach dem Kaffeebecher, schielte über Bells Brille hinweg kurz hinein und setzte das Porzellan an seine Lippen. Kalt und bitter. Doch er nahm einen kräftigen Schluck, ignorierte den vom Eckel hervorgerufenen Schauer, der ihm über den Rücken rann. Gestern Abend hätte er vermutlich eine ganze Kanne kalten Kaffees leeren können ohne dass er sich hätte schütteln müssen. Er hätte vermutlich nicht mal was geschmeckt, geschweige denn gefühlt. Es war blöd, das wusste er nur zu gut, aber irgendwie wünschte sich Shinichi dieses „Nichts“ zurück, diese Leere, die Gestern Abend in seinem Kopf geherrscht hatte. Doch bei dieser Ruhe, war es nicht lange geblieben, denn nachdem er es in einem tranceartigen Zustand gestern irgendwie nach Hause geschafft hatte und sich ins Bett fallen hatte lassen, war es mit der Stille aus und vorbei gewesen. Je weiter sich sein Puls senkte, desto mehr Emotionen und Gefühle holten ihn ein. Enttäuschung, Eifersucht, Wut und Trauer hatten ihre Gefährten und Gespielinnen gleich mitgebracht und seine Gedanken von dort an beherrscht. Sie alle waren in Begleitung des größten Poltergeistes von allen gekommen, seinem Gewissen. Denn Shinichi wusste genau, er sollte nicht so fühlen, nicht, wenn er in all den Jahren ehrlich zu sich gewesen war. Ein bitteres Lächeln huschte über seine Lippen, er schwenkte sinnlos seine Kaffeetasse im Kreis und beobachtete, wie inmitten der dunklen Brühe ein schwarzer Strudel seinen Schlund auftat. Shinichi schickte ein ersticktes Lachen voraus ehe er den Rest des widerlich kalten Zeugs allein um des Koffeins Willen hinunter spülte. In seinem Nacken hört er die Küchenuhr ticken, die ihn mit bitterer Beständigkeit daran erinnerte, dass er diesem neuen Tag nicht entkommen konnte. Die Hoffnung, ihr heute nicht über den Weg zu laufen, hatte er längst begraben, doch Shinichi musste sich eingestehen, dass es ihm grade recht wäre, wenigstens Hondo nicht mehr zu begegnen. Es reichte ihm schon, dass er sich mit ihm befassen musste, wenn er herausbekommen wollte, was sie hier zu suchen hatten. Die schlaftrunkenen Augen des Detektivs wurden mit einem Mal schmal. Mit einem kurzen Stöhnen rappelte sich Shinichi von dem Stuhl hoch, wollte grade anfangen, die wenigen Ideen und Ergebnisse für die Besprechung aus seinem Wust heraus zu sortieren, als er zum ersten mal die Klingel des kleinen Gästehauses hörte, um nur wenige Sekunden später dem eigentlichen Eigentümer die Tür zu öffnen. „Guten Morgen Dr. Matzudo, kommen sie nur rein, ich bin gleich soweit.“ In der Annahme, dass der Pathologe ihm folgen würde, ging Shinichi in Richtung Küche davon. Er spürte Matzudos Augen in seinem Nacken und auch wenn er in New York selten Besuch empfing, wusste Shinichi, dass er in Sachen Bell instinktiv gründlich war, sodass trotz Müdigkeit keine Gefahr für ihn bestand. In der Küche angekommen beseitige Shinichi notdürftig Toast samt Teller sowie seine Kaffeetasse, indem er alles in der Spüle deponierte. Erst jetzt wurde sich Shinichi der Unordnung bewusst, die er innerhalb einer einzigen Nacht in das Anwesen gebracht hatte, doch noch ehe er sich rechtfertigen oder gar entschuldigen konnte, ergriff sein Gastgeber selbst das Wort. Die Augen des Doktors studierten den zugepflasterten Kaffeetisch akribisch, während er sprach. „Wie es scheint, haben Sie die Nacht nicht ungenutzt gelassen Professor, irgendwelche neuen Erkenntnisse?“ Matzudo war dabei, ein mit Notizen bekritzeltes Ballt aufzuheben, bis sich Bell ihm mit einem höflichen Blick zuwandte und es den filigranen Fingern des Arztes entzog. „Nichts Weltbewegendes, fürchte ich.“ Mit diesem Geständnis begann Shinichi das wenige Brauchbare einzusammeln, klemmte das Zettelchaos in ein Buch und selbiges unter seinen Arm. Trotz all der Freundlichkeit, die der Pathologe ihm entgegenbrachte, hatte er nicht vor, sich von diesem Mann in die Karten schauen zu lassen. Doch als Shinichi wieder aufsah, prangte ein ehrliches Lächeln auf den Lippen des Arztes. „Sie haben vor, den Fall zu lösen.“ „Mhm?“ Shinichi blinzelte kurz, ob der seltsamen Feststellung, ehe sich ein aufgewecktes Grinsen auf seinen Lippen wiederfand. „Allerdings.“ Der Pathologe lachte erfreut, klatsche dabei in die Hände und richtete sich danach den Ring an seinem Finger, während er Bell fröhlich zunickte. „Ich bin wirklich froh darüber, dass York sie zu dieser Entscheidung überreden konnte. Sie sind gewiss eine Bereicherung für den Fall und die Polizei.“ Shinichi erwiderte das Lächeln, ging Matzudo voran in Richtung Flur und nahm noch während er sprach Bells Jackett von der Garderobe. „Das hoffe ich, Doktor.“ Doch hinter der Maske lag dieses Lächeln nicht. Diesmal waren sie nicht zu spät dran, außer einem genervten Hauptkommissar und einem noch etwas verschlafenen Pärchen hatte noch keiner am Konferenztisch Platz genommen. Bell begrüßte die kleine Gruppe flüchtig, die bei seinem und Matzudos Eintreten augenblicklich still geworden war und setzte sich Takagi gegenüber an den großen Tisch. Sein Blick glitt dabei sehnsüchtig zu dem beiden Weit geöffneten Fenstern; er wusste nicht ob es unbedingt die beste Idee gewesen war, die drückende Wärme von draußen mit der gedrückten Stimmung im Inneren des Raums zu mischen. Auch wenn sich derzeit kein Wölkchen über Tokio blicken ließ konnte man spüren, dass ein Unwetter im Anzug war. Während Sato und Takagi darüber debattierten, wie sehr Miwakos Mutter ihre kleine Enkelin verwöhnte, unterhielten sich Megure und Matzudo offenbar über einen gemeinsamen Bekannten, sodass Shinichi nichts weiter übrig blieb, als seine schnell zusammengesuchten Unterlagen zu sortieren. Erst als ein offensichtlich viel zu gut gelaunter Heiji Hattori das Zimmer betrat, schaute Shinichi über die Brille hinweg von seinen Unterlagen auf. „Guten Morgen, allerseits!“ Man grüßte zurück, und während Matzudo Megure die neusten Ergebnisse in die Hand drückte und verschwand, fand Heiji einen Platz neben Takagi und beäugte Bell mit einem scheinheilig aufgesetzten mitleidvollen Blick. „Na Professor, Sie schaun ganz aus, als hätten se ne schlechte Nacht gehabt?“ Genervt schaute Shinichi in das unverhohlen erfreute Gesicht Hattoris. Der Osakaner ärgerte sich zwar, dass Bell nicht halb so verschlafen aussah, wie er es erwartetet und erhofft hatte, aber der trübe Blick und das ausgiebige Gähnen des Amerikaners, waren Anlass genug zu dieser kleinen Stichelei. Shinichi antwortete nicht direkt, legte zuerst die Zeitung samt zwei unwichtigen Notizen zurück in sein Notizbuch. Es ärgerte ihn, dass er nur grade so ein weiteres Gähnen unterdrücken konnte, ganz zu schwiegen davon, was er Heiji gern an den Kopf geworfen hätte. So faltete er genügsam die Hände über seinen Unterlagen und sah den Detektiv des Westens mit einem lammfrommen Blick über seine Brille an, seine Stimme war ruhig, während er sprach. „Verzeihen Sie Kommissar Hattori, anscheinend bin ich einer der wenigen, die nicht seelenruhig ausschlafen können, während ein Mörder, den wir, nebenbei bemerkt, schon lägst geschnappt haben sollten, immer noch frei herum läuft.“ Shinichi konnte erkannte, wie der Mundwinkel seines Freundes entgeistert zuckte - diese Partie gewann Bell, der den Satz mit einem ruhigem Lächeln beendet hatte, welches sich jetzt dennoch zu einem Grinsen erweiterte. < 1:0 für mich, mein Freund.> Heiji aber erwiderte den Gesichtsausdruck des Amerikaners, auch wenn in seinen Augen noch immer Ärger glomm. Doch ehe das nonverbale Duell der beiden in die nächste Runde gehen konnte, griff Megure mit einem lauten Räuspern ein, sodass die beiden Streithähne ihm ihre Aufmerksamkeit schenkten. „Schön, also was habt ihr gestern rausgefunden, Hattori? Irgendwelche Neuigkeiten?“ Heiji wand wiederstrebend den Blick von Bell ab, erklärte dann jedoch ausführlich zu welchen Ergebnissen bzw. Fragen sie der gestrige Tag gebracht hatte. „Zu allererst kann ich sie beruhigen, Megure. Ihre Leute haben sich keinesfalls nen Fehler erlaubt. Sie ham nich vergessen, nach nem weiteren Verwandten zu fragen. Man könnte eher sagen, dass es einfach keine gibt.“ „Wie bitte?“ Gelassen klärte der junge Kommissar die versammelte Gruppe auf, erläuterte den Vorfall, die Liebe samt ihrer Konsequenzen. „Ein Mord an einem Mörder also?“, murmelte der Hauptkommissar am Ende von Heijis Vortag nachdenklich. „Habt ihr rausbekommen, um was für ein Verbrechen es sich genau gehandelt hat?“ Bevor Heiji Megure sagte, was er gestern Abend noch herausgefunden hatte, nachdem er die halbe Nacht die Datenbank durchwühlt hatte, schwenkte sein Blick zu Bell, abwartend, ob der Professor ihm nicht vorgreifen wollte. Mit Bell im Augenwinkel begann er zu erklären. Der Mord war über zwölf Jahre her, damals hatten sich das Opfer und seine Freundin grade kennengelernt, aber es gab ein Hindernis. Die damalige Ex-Freundin hat die Finger nicht von ihm lassen können, war ihm gefolgt, hatte ihn beobachtete und sogar bedroht. Sie ging bis zum Äußersten und das Ganze hatte in einem Streit geendet. Sie hatte ihn nicht hergeben wollen, ihn als Besitz, als Eigentum gesehen und gedroht, seiner großen Liebe etwas anzutun, als es mit ihm durchging. „Deswegen hat das Gericht ihn nur zu einer Haftstrafe verurteilt. Soweit gehen zumindest meine Recherchen, da ich hier und nicht in Osaka bin, habe ich natürlich nich ausreichend Zugriff auf alles.“ Der Hauptkommissar verstand den Wink ganz offenbar und nickte Takagi auffordernd zu. „Wenn das so is, müssen wir noch Akten über den Fall haben. Bestimmt findet sich auch was im Pressearchiv. Takagi!“ „Schon notiert, Hauptkommissar.“ „Gut und apropos Presse, Sie haben doch den Fotografen überprüft, nicht wahr, Sato?“ Miwako nickte, steckte sich eine lose Haarsträhne hinter das Ohr fest, ehe sie mit Blick in die Runde ihre Ermittlungen erläuterte. Der Name des 28-jährigen Reporters laute Otuchi Kiraba, er bewohne ein kleines Appartement nicht weit vom Beka-Bezirk und wittere mit den Fotos ganz offenbar seine große Chance. Ihm sei es reichlich egal, was die Polizei über sein Vorgehen denke, erläuterte die Kommissarin gerade mit leicht säuerlicher Stimme, als ein Klopfen an der Tür sie rüde unterbrach. Als sich die Tür nach Aufforderung des Hauptkommissars öffnete, schwappte der Geruch von frischem Kaffee zu den Ermitteln herein und milderte die Tatsache der Verspätung etwas ab, als die Anwesenden die vielen braunen Pappbecher sahen, die den Raum betraten. Dennoch erschien ein ziemlich zerknirschter und durchaus genervter Kogoro Mori im Türrahmen, der, während er mit Megure sprach, immer wieder einen hitzigen Blick auf sein „Anhängsel“ fallen lies. „Verzeihen Sie Megure, aber Ran und die Kinder haben mich beschwatzt, sie mitzunehmen und da sie unbedingt noch Kaffee besorgen wollten, hat es etwas länger gedauert.“ Megure stieß nur ein entnervtes Seufzten aus, was waren schon ein paar graue Strähnen mehr gegen einen frischen Kaffee, erst Recht um diese Uhrzeit und bei diesem Fall. Er winkte den Inspektor an den Tisch und begrüßte nun auch Ran in ihrer Runde. Er stöhnte kurz und ertränkte statt einem, gleich zwei Päckchen Zucker in seinem Kaffee. Doch statt zu lächeln, nahm der Hauptkommissar nur einen kräftigen Schluck seines übersüßten Kaffees. Sein Herz hatte schon beim Klopfen an der Tür aufgehört zu schlagen. Er hatte genau gewusst wer draußen war. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte die Tür eigenhändig verbarrikadiert, obwohl ein Sprung aus dem Fester wohl auch noch eine nette Alternative gewesen wäre. Er stöhnte innerlich, ließ sich ein Stück tiefer in den Sitz gleiten. Selbst seine Gedanken beherbergten einen verzweifelten Ton, aber woher sollte sie wissen, wie sehr sie ihn allein mit ihrer puren Anwesenheit quälte, geschweige denn mit ihrer Nähe. Sie wusste ja noch nicht einmal, wer er war. Sie wusste es doch nicht. „Guten Morgen, Professor!“ Ihre Stimme riss ihn zurück in die Wirklichkeit, aber als er Rans strahlendes Lächeln vor sich sah, wusste Shinichi nicht mehr, ob die Hölle seiner eigenen Gedanken nicht die erträglichere gewesen war. Sie musterte den Professor nun ihrerseits, wurde leicht nervös, als das zu erwartende Lächeln auf den Lippen des Amerikaners ausblieb. Der graue Anzug, den er heute trug, ließ ihn irgendwie blass wirken und seine blauen Augen schauten durch sie hindurch als wäre sie Luft. Ihr Lächeln wurde unsicher, doch sie behielt es tapfer auf den Lippen, während sie ihm einen der beiden Kaffeebecher reichte. „Kaffee?“ „Mhm?“ Unsicher schielte er zu ihr herüber, und kam nicht umher, Ran eingehend anzusehen. Sie hatte sich die Haare heute hochgesteckt, sodass nur einzelne Strähnen ihr Gesicht umschmeichelten und das zarte Rot auf ihren Wangen besser zur Geltung kam. Unweigerlich kroch ein saurer Geschmack seinen Rachen hoch, ganz sicher hatte sie sich extra für ihn so fein heraus geputzt. Shinichis Zähne trafen knirschend aufeinander und er konnte nicht verhindern, dass einer seiner Mundwinkel zu zucken begann, ehe er ihr mit einem hervorgepressten Danke den Pappbecher aus der Hand nahm. Ran entging das merkwürdige Verhalten des Professors keineswegs, der grade die Plastikabdeckung entfernte seinen Kaffee jedoch nicht anrührte, sondern nur anzustarren schien. Bis gestern war er doch ganz redselig gewesen und heute? Heute sah er sie nicht einmal wirklich an. Sie schluckte, nervös knetete sie ihren eigenen Kaffeebescher in den Händen, ehe sie einen neuen Versuch startete, mit dem schweigsamen Amerikaner ins Gespräch zu kommen. „Wenn- wenn Sie möchten, Professor, kann ich Ihnen heute Abend die Stadt ein wenig zeigen. Ich meine… sich ein wenig auszukennen, ist bei einem Fall wie diesem doch sicher wichtig, oder?“ Doch statt sie endlich an zu sehen, lehnte der Amerikaner ab. „Ihr Angebot ist wirklich sehr freundlich Miss Mori, aber ich denke nicht, dass es die Mühe wert ist. Außerdem… haben Sie und Ihr Freund heute Abend bestimmt besseres zu tun.“ „Mein Freund?“ Rans Stimme klang vor lauter Überraschung fast heiser, verwirrt und unsicher schaute sie Bell an, dessen Blick galt aber noch immer den Tiefen seines Kaffeebechers. Für einen kurzen Moment wurde Ran heiß, sie hatte wenn auch nur flüchtig daran gedacht, Bell meinte ihn. Aber das konnte nicht sein, es war nicht möglich…, schließlich war er- schließlich waren sie nie ein paar gewesen. Woher sollte der Kriminalist wissen, dass ihr nur ein Name in den Sinn kam, wenn man von ihrem „Freund“ sprach. Die junge Frau schluckte, ihre Wangen brannten, während sie mit kaum wahrnehmbarer Stimme sprach. „W- Wen meinen Sie denn, Professor?“ Sie hörte nur, wie dieser laut die Luft einsog und für einen kurzen Moment glaubte Ran zu erkennen, wie sich Bells Miene minimal verzog. Shinichi nahm die Brille ab, führ sich über die Augen, um den Anblick des jungen Paars im Restaurant aus seinem Kopf zu bekommen. Abschätzend, doch nicht wirklich fähig, auch nur ein Wort zu lesen, fiel sein Blick auf seine Unterlagen, während er scheinbar ganz belanglos weiter sprach. „Na, der junge Mann von gestern Abend.“ Der bittere Klang von Bells Stimme verwunderte Ran, die nun langsam begriff, wen der Amerikaner meinte. Shinichi aber hatte Mühe, normal zu sprechen, unter gar keinen Umständen wollte er laut werden. „Sie hatten bestimmt einen netten Abend zusammen, und ich denke ihm käme ein Stadtbummel weit aus gelegener.“ Ran blinzelte verwundert, sie hätte über die Tatsache Lachen müssen, dass Bell Eisuke für ihren Freund hielt, wenn sie der kühle Ton des Professors nicht so verletzt hätte. So aber blieb ihr nichts übrig, als sich mit einem verlegenen Rotton zu erklären. „Aber Professor Bell, Eisuke ist-„ „Ran!“ Die Angesprochene fuhr aufgrund der etwas lauteren Stimme Megures herum. Der Hauptkommissar konnte seinen genervten Gesichtsausdruck nicht verbergen, währen der sie um Ruhe ersuchte. „Es freut mich wirklich, dass du dich mit unserem Gast so gut verstehst, aber ich wäre dir sehr dankbar, wenn ich die Ermittlungen fortführen könnte.“ Aus den Augenwinkeln heraus schwenkte Shinichis blick auf Ran, die nun beschämt nickte und still ihre Finger in ihrem Schoß knetete. Schuld nagte an ihm und fraß sich immer weiter in sein Gewissen. Er hatte sich ja wirklich gut angestellt! Ein toller Schauspieler wirklich, das er eifersüchtig war, merkte man wohl auf drei Kilometer Entfernung. Es war unfair, er sollte sich für sie freuen, aber so sehr er sich auch bemühte, wenn er an Ran in Hondos Armen dachte, kam ihm die Galle hoch! Megure schien von alldem jedoch nichts zu bemerken, nickte Ran stattdessen dankbar zu, ehe sein Blick wieder in die Runde glitt. „Also, wo waren wir? Ach ja, die Presse. Was halten sie also von dem Kerl, Kommissar Sato?“ Die Polizeibeamtin schob ihre Unterlagen zu einem ordentlichen Stapel zusammen, ehe sie mit leicht säuerlichem Tonfall antwortete. „In jedem Fall sollten wir auf ihn achten, ganz koscher ist der sicher nicht. Aber wir haben weder Beweise, ein Motiv, noch irgendeine Verbindung zu den Opfern.“ Der Hauptkommissar nickte nachdenklich, kurzum, sie hatten gar nichts. Bisher waren all ihre Ermittlungen ins Leere gelaufen und dieser Irre befand sich noch immer auf freiem Fuß. „Gut. Behalten Sie ihn im Auge. Weiter, wie sieht es aus mit Opfer Nummer zwei? Aus Dr. Matzudos Ergebnissen lassen sich keinerlei Auffälligkeiten erkennen. Was habt ihr raus gefunden, Heiji?“ Der Angesprochene schob dem Hauptkommissar seinen Bericht zu, ohne sich lange mit Einzelheiten aufzuhalten. „Die Befragung lief größtenteils ergebnislos ab, dennoch lieferten uns die Angehörigen endlich eine erste Verbindung zwischen den Opfern.“ Ein kurzes triumphierendes Lächeln erschien auf seinen Lippen. „Sie erkannten das erste Opfer auf dem Foto, das wir ihnen zeigten und berichteten uns dass ihre Tochter den Mann öfter mal in einem Café in der Nähe begegnet sei, wir haben also eine erste Spur.“ Der Hauptkommissar holte schon aufgeregt Luft, um Heiji mit weiteren Fragen zu löchern, doch Bell funkte ihn mit sachlichem Ton dazwischen. In den Worten des Amerikaners war nicht ein Hauch von Euphorie zu hören, die sich bei den anderen nach Heijis Erklärung breit gemacht hatte. „Ich denke, wir haben mehr als „nur“ das Café.“ Sein Blick fiel fragend zu den Detektivboys, streifte Ran unwillkürlich ebenso. „Kam euch an den beiden nichts seltsam vor?“ Die Oberschüler sahen ihn verdutzt an. „An den Eltern?“ Genta sah aus als hätte man ihm grade gestanden, dass Aal auf Reis ausverkauft sei, doch auch die anderen Mitglieder der Detektivboys taten sich mit einer Antwort schwer. „Nun, sie waren ein wenig… durcheinander.“ „Und traurig, natürlich.“, fügte Ayumi an, ihr Blick blieb dabei auf ihrem mittlerweile leeren Becher geheftet. Shinichi aber seufzte nur, es war das gleiche wie mit seinen Studenten, die drei hatten sich gestern von dem ganz oberflächlichen Verhalten täuschen lassen. Genau diese Reaktion erwartete man von jemandem, dessen Tochter grade ermordet worden war. Aber da steckte noch mehr dahinter. Er wusste zwar noch nicht was, aber er wusste, dass die beiden gestern nicht ganz ehrlich zu ihnen gewesen waren. Als Antwort auf die Vorschläge der drei schüttelte der Detektiv nur den Kopf. „Nein, nein, ich meine eher das-„ „Mr. Bell.“ Der raue Ton, in dem Megure ihn unterbrach, ließ sogar Shinichi zusammenzucken. Langsam drehte er sich zu dem Hauptkommissar um, der sich um einen neutralen Blick bemühte, doch an dem Zucken seines Schnurrbartes konnte Shinichi erkennen, dass es ihm gar nicht passte, dass der Ausländer jetzt vom Thema abwich. „Die beiden haben grade ihre Tochter verloren, da ist es jawohl nicht weiter verwunderlich, dass sie ein wenig neben sich stehen, oder?“ Shinichi wollte ihm grade widersprechen, als Heiji ihm ins Wort fiel. „Ich denke, wir sollten uns jetzt erst mal darauf konzentrieren, vielleicht erfahren wir so auch etwas über den Täter, oder ham se vielleicht etwas dagegen, Professor?“ Bell kam dem auffordernden Blick seines Kollegen nach, für eine kurze Zeit begegneten sich die Blicke der beiden Detektive, ehe Bells blaue Augen sich schließlich ergeben senkten. Er konnte ja verstehen, das Megure jetzt erst mal auf Heijis Zug aufgesprungen war, zum einen war er eigentlich nicht wirklich Teil der Mannschaft und zum anderen hatte Hattori dem Hauptkommissar einen Funken Hoffnung beschert. Kein Wunder, dass er sich den nicht so einfach wieder ausreden lassen wollte. Doch Shinichis Blick blieb unbemerkt, der Kommissar aus Osaka war schon längst dabei, dem Hauptkommissar die Fakten über das kleine Café zu unterbreiten, allerdings mit ziemlich ernürchterndem Ergebnis. Bei so einem Fall war die Untersuchung des Café leider nicht so einfach wie manch ein Laie es vielleicht aus den Detektivromanen kannte. Sie konnten nicht einfach dort auflaufen und Gäste sowie Inhaber befragen, ohne dass es jemand mitbekommen hätte und ein solches Etablissement mit einem Mord in Verbindung gebracht wurde. Dies würde nicht nur das Interesse der Medien nach sich ziehen, sondern auch eine Anklage seitens des Inhabers wegen Rufmords und einen Termin mit dem Gericht mit sich bringen. Beides waren Termine, die die Polizei im Allgemeinen nicht schätzte und denen der Hauptkommissar unter allen Umständen aus dem Weg gehen wollte. So schnell würde es also nicht zu einem Besuch des Cafés kommen. Sie verloren Zeit. Zeit, die sie dringen brauchten. Zeit, in der sich der Mörder ein neues Opfer suchen konnte. Für ihn galten diese Regeln jedoch nicht. Shinichi konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen, es hatte von jeher einen Grund gehabt, dass er sich nicht der Polizei untergeordnet hatte. Gegen einen harmlosen amerikanischen Touristen konnte schließlich niemand etwas haben. Einige Häuserblocks vom Polizeirevier entfernt brachte ein etwas zerstreuter Wissenschaftler keinen Bissen seines morgendlichen Rühreis hinunter. Zum Einen, weil seine ehemalige Mitbewohnerin eine derartige Cholesterinbombe bestimmt nicht gut geheißen hätte, zum anderen, weil sein Magen bereits randvoll mit Zweifeln und Selbstvorwürfen gefüllt war. Aus dem, was Vorgestern noch Erleichterung und Freude gewesen war, wurde nun Sorge, die wie ein blutrünstiger Moskito alle Standhaftigkeit aus Professor Agasa hinaus sog. Der alte Mann seufzte, rutschte unruhig in seinem Stuhl hin und her, während sein Blick erneut auf sein Foto in der Zeitung fiel. Namen waren zwischen ihnen beiden genauso wenig gefallen wie irgendein Versprechen und doch wusste Agasa genau, dass es ihm wahrscheinlich lieber war, wenn er keinem etwas sagte. Genau wie damals. Aber genau wie damals wurde der Professor von der treue zweier Parteien hin und her gerissen. Natürlich war es nicht richtig, etwas zu sagen, aber genauso falsch schien es ihm, in diesem Moment zu schweigen. Wenigstens ihnen gegenüber, seinen Eltern. Der Professor schluckte, für einen kurzen Moment blieb sein Blick abermals an seinem Bild hängen. Seinem falschen Bild, mit falschem Gesicht, falschem Alter und falschem Namen. Zumindest ihm musste er es erzählen, vielleicht hatte er eine Idee, wie sie alle mit diesem Geheimnis umgehen sollte. Mit verkrampfter Miene stand der Professor vom Küchentisch auf, verfrachtete nun gänzlich appetitlos das mittlerweile kalte Rührei in die Mülltonne und stellte den Teller in die Spüle. Außerdem war es vorerst besser, wenn er es nur ihm erzählte, Yusaku konnte dann immer noch entscheiden, ob es für Yukiko gut war, Bescheid zu wissen, oder eben nicht. Trotz seines ach so tapferen Entschlusses, dauerte es bemerkenswert lange, bis der Professor sein Nachbarhaus erreichte und sein Finger in Richtung Klingel wanderte, doch grade in diesem Moment riss jemand von innen die Tür auf, als hätte man sein Kommen erwartet. „Guten Morgen, Hiroshi!“ Yukiko blieb abrupt vor ihm stehen, sah ihn überrascht, wenn auch freundlich an. „Wenn du zu Yusaku willst, der hat sich mal wieder in der Bibliothek verbarrikadiert, sag ihm, dass ich sein Auto zum Einkaufen nehme, es steht günstiger.“ Agasas Reaktion belief sich auf ein kurzes Blinzeln während Yukiko sich von ihm verabschiede. Ihre Locken wippten rauf und runter während sie zum Wagen lief, die Schauspielerin hatte es ganz offensichtlich eilig. Der Professor hörte, wie der Wagen aufheulte und schloss langsam und noch immer ein wenig paralysiert die Tür hinter sich. Schweren Schrittes ging der Professor durch die Räume der Kudo’s, eigentlich hätte er sich freuen sollen, dass langsam wieder Routine im Leben seiner Nachbarn eingekehrt war, aber das Gefühl ließ ihn nicht los, dass sich diese Ruhe bald wieder ändern sollte. Yusaku erwartete ihn in der großen Bibliothek des Anwesens. Der Autor schaute nicht auf, als der Professor den Raum betrat, seine Finger hämmerten ununterbrochen auf die Tastatur seines Laptops ein, während die Asche seiner Zigarette, die er zwischen die Lippen gepresst hatte, langsam dahin schmorte, ohne dass er auch nur einen Zug Nikotin nahm. Da der Professor Yusaku gut genug kannte, wusste er, dass er ihn sehr wohl gesehen hatte und so war es auch. Nur kurz, nachdem der Professor den Raum betreten hatte, verstummte das Klappern der Tastatur und Agasa hörte, wie der Laptop sich langsam in den Stand-by-Modus verabschiedete und die beiden alleine ließ. Noch ehe Yusaku aufschaute, drückte er den kümmerlichen Rest seiner Zigarette in einen leeren Aschenbecher, der Professor wusste, dass dieser ohne Yukikos Abneigung gegen den Zigarettengestank wahrscheinlich heute morgen schon überlaufen würde. Als der Autor nun endlich zu einer Begrüßung aufsah, bemerkte er die ungewohnte Blässe auf den Wangen seines Nachbarn, der nun langsam auf ihn zu ging und sich auf den Stuhl gegenüber Yusaku nieder ließ. „Guten Morgen Professor, was gibt‘s?“ Doch der Angesprochene überging die Frage mit einem Lächeln, während seine Hände nervös in seinem Schoß miteinander rangen. „Yukiko ist grade in die Stadt um ein paar Besorgungen zu machen, ich soll dir ausrichten, dass sie dein Auto nimmt, sie hatte wohl keine Lust, die Wagen noch umzuparken.“ Auch wenn Yusaku der Gedanke gar nicht recht war, dass seine Frau den armen alten Motor seines Wagens nun wieder auf Hochtouren brachte, ging er nicht auf das Manöver des Professors ein, hob stattdessen eine Augenbraue und unterlegte seine Frage mit einem leicht skeptischen Ton. „Was ist los, Hiroshi?“ Ertappt sog der alte Mann die Luft ein, wich den Augen von Shinichis Vater aus, während er mehr mit seinem Bart sprach als mit seinem alten Freund. „Hast du schon mal was von William Bell gehört, Yusaku?“ Da die Augen des Professors immer noch auf seinen Händen ruhten, hatte er keine Gelegenheit, auf eine Reaktion des Autors zu achten, und wenn, hätte er außer einem leichten Zucken der filigranen Hände nichts weiter gesehen. Erst als es eine Weile dauerte, ehe sich Yusaku erneut regte, blickte der Professor auf. Das kurze Zischen, das er statt einer Antwort gehört hatte, kam von Yusakus Feuerzeug, mit dem er sich grade die nächste Zigarette entzündete. Besorgt schaute Agasa über die Tischplatte hinweg zu ihm, dass Yusaku so viel rauchte, war meist ein Anzeichen von Stress. Doch noch ehe der Professor etwas sagen konnte, stand Yusaku auf, entfernte sich langsam vom Schreibtisch, ehe er mit dem Rücken zu seinem Freund vor einem der vielen Regale stehen blieb. „Was ist mit ihm?“ Agasa schluckte, merkte wie seine Kehle mit einem mal trocken wurde. „D- Du weißt sicher, dass er an dem „Holmes-Fall“ hier in Japan beteiligt ist.“ Der Professor konnte nicht sehen, dass sich die kleinen Haare in Yusakus Nacken bei seinem Namen aufstellten, der Autor konnte nicht verhindern, dass sich sein Herzschlag langsam beschleunigte, als er seinem Nachbarn grummelnd Recht gab. „Mhm… ich habe in der Zeitung was über ihn gelesen. Und außerdem-„ Er zog ein Buch aus dem Regal, vor dem er stand, ging damit gemächlich zurück zum Tisch und legte es Agasa vor die Nase. „Außerdem ist er mir, wie Sie sehen, auch sonst nicht ganz unbekannt. Also, was ist mit ihm, Professor?“ Der Schriftsteller hatte sich leicht nach vorn gebeugt, stützte sich mit der einen Hand auf der Schreibtischplatte ab, während er mit der anderen seine glimmende Zigarette hielt. „Also?“ Unweigerlich musste Agasa schlucken, er erschrak beinahe selbst vor seiner nun rauen Stimme, als er unsicher zu erklären begann. „Ich bin ihm begegnet, vor- vorgestern erst.“ Wieder sah der Professor die Szene vor seinem inneren Auge ablaufen, das Ganze kam ihm so real vor, dass sogar Yusakus Zigarette anfing, wie die Räucherstäbchen vom Friedhof zu riechen. Wie sollte er dem Schriftsteller klar machen was er glaubte? Wie sollte er es Yusaku erklären? Er konnte es ich ja noch nicht einmal selbst erklären. In Wahrheit hatte der Professor keine Ahnung wie Shinichi das angestellt hatte, er wusste ja nicht einmal, wie dieser unter der Maske des Amerikaners aussah, wenn es denn eine Maske war. Das Einzige, was er mit Bestimmtheit wusste, auch wenn er nicht erklären konnte wieso und erst Recht nicht wie, war, dass er nicht nur William Bell, sondern auch Shinichi Kudo vor ein paar Tagen getroffen hatte. „Es- es ist Shinichi. Bell, er ist Shinichi.“ Der Professor hatte die wenigen Worte geradezu aus sich heraus gepresst. Ohne Erklärung, ohne Drumherum, nur diese eine Wahrheit, die jetzt ausgesprochen nur noch unglaubwürdiger in seinen Ohren klang. Agasa kniff die Augen zusammen und wartete auf eine Reaktion Yusakus. Doch es kam nichts. Auch als sich sein Puls langsam wieder im Normalbereich befand, herrschte um ihn herum noch immer Stille. Nur langsam erlaubte sich Agasa, wenigstens eins seiner Augen wieder zu öffnen und etwas unsicher zu seinem Nachbarn aufzusehen. Was er dann jedoch sah, ließ ihn das Atmen für ein paar Sekunden vergessen. Yusaku hatte sich nicht von ihm abgewandt, er stand noch immer ruhig vor ihm, die grauen Überreste seiner Zigarette bildeten einen fragilen grauen Turm an der Spitze des Filters. Über den dunkelblauen Augen des Schriftstellers lag ein düsterer Schatten. Der Professor wurde leicht blass um die Nase, er konnte spüren, wie kleine Schweißtropfen ihm den Nacken herunter rannen. Ungläubig starrte er zu seinem alten Freund hinauf, konnte nur gerade so verhindern, dass ihm der Mund offen stehen blieb. Der Schriftsteller schluckte, wandte sich abrupt vom Professor ab, als er dessen Blicke spürte, und begann sich in steifen Schritten von ihm zu entfernen. Agasa aber teilte die Ruhe seines Freundes nicht länger, dem Wissenschaftler dämmerte, was hier los war, dieses Verhalten war typisch, sowohl für Vater als auch Sohn. „Yusaku!?“ Die nun strenge Stimme von Professor Agasa ließ ihn mitten in der Bewegung stoppen, sein Puls raste und der Wissenschaftler konnte hören, wie sein Freund schwer ausatmete. Yusaku wartete nur darauf, dass Agasa ihn zur Rede stellen würde, doch für eine ganze Weile herrschte Stille zwischen den beiden Männern. Es dauerte lange, bis der Professor seinen Atem wiederfand. „Du- du wusstest es? Yusaku, du hast es gewusst!?“ Yusaku, der die raue und leicht anklagende Stimme Agasas hörte, biss sich unweigerlich auf die Lippen, er kniff die Augen zusammen und ballte seine Hände zu zittrigen Fäusten, um sich irgendwie im Griff zu behalten. Es musste ja so kommen. Er schluckte, lehnte den Kopf leicht in den Nacken und starrte an die Decke. Er hatte schon geahnt, was Agasa von ihm wollte, als der, leicht blass im Gesicht, die Bibliothek betreten hatte. Er hätte sich besser im Griff haben müssen, als der Professor anfing, über ihn zu reden, aber es ging einfach nicht, nicht, wo ihm Agasa bestätigte, was er schon so lang glaubte, aber nie wirklich zu hoffen gewagt hatte. Der Schriftsteller seufzte lautlos, er hatte sich verraten, den Professor jetzt noch zu belügen hätte keinen Sinn gehabt, außerdem brachte er es einfach nicht fertig. Yusaku konnte es nicht. Ein trübes Lächeln bildete sich kurz auf den Lippen des Autors. Er seufzte, schluckte kurz ehe er sich dem Professor zuwandte, der noch immer abwartend vor ihm stand. Die Haltung und der ihm ausweichende Blick des berühmten Schriftstellers sagte dem Professor genug, Agasas Augen weiteten sich ein weiteres Mal, er konnte einfach nicht glauben, was hier grade passierte. „Du hast es also gewusst, die ganze Zeit über. Und du hast nichts gesagt! Verdammt Yusaku, du hast es gewusst und wir alle dachten er-„ „Hiroshi, bitte.“ Mit ruhiger Stimme unterbrach Yusaku seinen Freund, dessen noch am Anfang geflüsterten Worte schnell zu einer lauten Anklage geworden waren. Der alte Mann schüttelte nur den Kopf, ließ sich erschöpft wieder in den Sessel sinken und massierte sich müde die Schläfen. „Ich- ich kann das einfach nicht glauben.“ Der Schriftsteller schluckte, ging zurück zum Tisch setzte sich jedoch nicht, sondern drückte endlich die Zigarette aus, welche er allenfalls gekostet, aber nicht geraucht hatte. „Ich habe es nie wirklich gewusst.“ „Aber du hast doch-…“ Yusaku blockte Agasa, der nun wieder zu ihm sah, mit einer Handbewegung ab. „Ich habe es geahnt, ja, aber gewusst- gewusst habe ich es bis eben nicht.“ Seufzend ließ sich der Schriftsteller nun ebenfalls wieder in seinen Stuhl sinken, fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Noch immer sah er den Professor nicht an, Agasa aber schluckte nur, schüttelte noch immer ungläubig den Kopf. Er konnte es nicht verstehen. „Aber wie, Yusaku? Wie um Himmels willen… oder- hat er es dir etwa gesagt?!“ „Nein-“, der Autor seufzte, lehnte sich im Stuhl zurück und starrte der Deckenleuchte entgegen. „Ich sagte doch, ich habe es nicht wirklich gewusst.“ Als sich seine Augen senkten, erkannte der Professor einen Hauch von Schmerz, der ihm bestätigte, dass Shinichi selbst seinem Vater nichts erzählt hatte. Yusaku aber überging die Situation, klärte den Professor über seine Schlussfolgerungen auf. „Hier.“ Er richtete sich auf, schob Agasa mit einem auffordernden Nicken das Buch zu, welches er eben aus dem Regal genommen hatte. „Er hätte mir gleich einen Fingerabdruck schicken können, es wäre das gleiche gewesen.“ Der Schriftsteller lachte freundlos, schüttelte nur den Kopf. „Der Stil, die Art und Weise des Schreibens und die Wortwahl geben immer Rückschlüsse auf den Autor. Für einen Fremden existieren diese Dinge nur als Wiedererkennungswert eines Schriftstellers, für jemanden, der den Autor kennt und sich ein wenig interessiert, ist das eine persönliche Unterschrift, die man jedes Mal, gewollt oder nicht, hinterlässt.“ Für einen kurzen Augenblick strichen die filigranen Finger des Schriftstellers über den in Gold geprägten Namen des Autors, ein kleines Lächeln flackerte über Yusakus Lippen, während seine Augen auf dem Namen hängen blieben. Doch je länger die Augen des Vaters auf dem falschen Namen Shinichis ruhten, desto rascher verschwand das blasse Lächeln auf seinen Lippen auch wieder. „Wie geht es ihm?“ Agasa blinzelte kurz, sah hinüber zu Yusaku, der ihn ebenfalls mit strengen Blick musterte, doch nicht nur in seinen Worten, sondern auch in seinem Gesicht war nun Sorge zu erkennen. Seit zehn Jahren hatte er nichts mehr von seinem Sohn gehört. Der alte Mann schluckte kurz, zupfte sich unbeholfen am Kragen, doch leichter schien im dadurch weder das Atmen, noch die Antwort zu fallen. „Oh… ich-, ich weiß nicht genau. Soweit ich das beurteilen kann würde ich sagen es geht ihm gut. Auch wenn er aufgrund der Umstände ein wenig mitgenommen aussah.“ Yusaku merkte gleich, dass der Professor in Gedanken wieder vor Shinichi stand, die trüben Augen seines Nachbarn schweiften in Erinnerungen zur Seite, sodass sich der Schriftsteller erst bemerkbar machen musste, um eine Antwort zu bekommen. „Mhm?“ Der Professor schluckte, rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. „Also, unser Treffen- wir, ich bin ihm auf dem Friedhof begegnet.“, begann der Professor drucksend, ein kurzer Blick zu Yusaku reichte jedoch, um zu wissen, das dem Autoren diese Antwort nicht reichte. „Ich war bei ihr, ich denke- ich weiß nicht ob er danach gesucht hat. Er schien jedenfalls ein wenig geschockt zu sein.“ Yusaku nickte, schluckte, doch der Kloß in seinem Hals bewegte sich nicht. „Also hat er es noch nicht gesehen…“, murmelte der Schriftsteller mehr zu sich selbst, als zu seinem Besuch, während er sich nachdenklich über den Bart strich. Der Professor aber wurde nun wieder aufmerksam, er ahnte, was Yusaku meinte und schaute ihn nun leicht verwirrt an. „Wie? Was meinst du Yusaku? Er- Shinichi muss doch wissen-“ „Nein. Nein, Hiroshi.“ Die Tonlage, mit der Yusaku den Professor unterbrach, war nicht laut, aber dennoch sehr bestimmt, genauso wie seine Augen, deren scharfer Blick nun wieder auf Agasa gerichtet war. „Ich denke, er weiß es nicht.“ „Ja- Aber?!“ Doch der Schriftsteller überging den Professor mit einer hektischen Handbewegung. „Nicht so wichtig, und auch alles nur Vermutungen.“ Ohne dass Agasa noch mal hätte einhaken können, sprach Yusaku weiter. „Sie haben doch sonst keinem davon erzählt, oder?“ Doch der leicht angehobenen Augenbraue Yusakus konnte der Professor nur mit einem Kopfschütteln begegnen. „Nein, natürlich nicht.“ „Gut. Das muss auch so bleiben Professor, es ist besser so.“ Der aber machte ein Gesicht, als hätte man ihm grade Zitronen pur serviert, das Ganze schmeckte dem alten Mann ganz und gar nicht. „Aber Yusaku, vielleicht braucht er unsere-„ „Hilfe?“ Yusaku schluckte kurz, schüttelte dann aber bestimmend den Kopf. „Wenn er sie braucht, kann er sie gerne bekommen. Aber wir kennen uns mit dem Fall mittlerweile nicht mehr gut genug aus, Professor. Glauben Sie nur, mir passt das genauso wenig wie Ihnen, aber wenn wir jetzt eingreifen, richten wir vermutlich mehr Schaden an, als dass wir ihm helfen.“ So gelassen Yusakus Stimme im ersten Moment auch wirkte, als er seinen Satz beendete, hatte der Professor das untrügliche Gefühl, dass ein „Tut mir leid“ unausgesprochen auf den Lippen des Autors lag. Denn genauso sah Yusaku in diesem Moment aus. Es tat ihm leid. Es tat ihm leid, dass er einfach nichts tun konnte. Yusaku musste Shinichi jetzt weiter gewähren lassen, ob ihm das nun passte oder nicht. Der Professor schluckte, nickte aber und verfolgte Yusaku, der nun wieder den Laptop aufklappte, um seinem Nachbarn so mittzuteilen, dass das Gespräch fürs Erste zu Ende war, doch der Wissenschaftler hatte immer noch was auf dem Herzen. „Was ist mit Yukiko?“ Die Hände des Autors stoppten augenblicklich, blieben eingefroren auf der Tastatur liegen. Der Professor hätte diese Frage nicht stellen müssen, das wussten sie beide, dennoch, und aus Höflichkeit vor seinem Gegenüber, tat er es doch. „Weiß sie es?“ Die Antwort des Schriftsellers kam zögernd. „Nein…, nein sie weiß es nicht.“ „Aber Yusaku, sie muss ja denken, dass-„ Der Autor nickte nur, holte beschwerlich Luft und schaute dem Professor in die von Falten umrandeten Augen. „Es ist sicherer für sie, wenn sie es nicht weiß, Professor. Sie ist seine Mutter, Yukiko würden keine zehn Pferde davon abhalten, ihrem Sohnemann zur Hilfe zu eilen. Vernunft hin oder her… sie ist seine Mutter.“ „Aber-„ „Bitte, Professor. Bitte.“ Yusaku schaute auf, er konnte dem Professor ansehen, dass ihm nicht wohl bei der Sache war, überhaupt hatte der alte Mann in den letzten Jahren viel mitmachen müssen und er hatte viel verloren. Dennoch nickte Agasa jetzt und verließ den Raum. Der Schriftsteller schaute seinem alten Freund besorgt nach, auch wenn das Wissen um Shinichi ihn erleichterte, so musste sich der Professor nun mit den gleichen Fragen quälen, die auch ihn selbst schon lange plagten. Sein Blick fiel zu dem Buch, das noch immer am Rande der Tischplatte lag, an dem Einband konnte man erkennen, wie gut Yusaku es wirklich studiert hatte. Immer wieder waren ihm Zweifel gekommen, nun endlich hatte er seinen Beweis. Ein trauriges Lächeln huschte unter dem grau melierten Bart hervor. „Passen Sie auf sich auf… Professor Bell.“ Hallöchen ihr Lieben, ich hoffe das Kapitel hat euch trotz des Füller-Charakters gefallen. Im nächsten geht’s dafür wieder Rund und der gute Bell verliert zum ersten Mal sein Gesicht ;D Vielen Dank fürs Lesen und vor allem auch ein RIESEN Dankeschön an alle Kommentatoren/innen. Helau, Alaaf bis zum nächsten Mal, Liebe Grüße, eure Shelling Ford Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)