Blatt im Regen von Passer (oder: Versteck mich!) ================================================================================ Kapitel 5: Fünf --------------- Titel: Blatt im Regen Autor: -Scarecrow- Disclaimer: Die gehören alle mir *_________* Teil: Fünf Email: kyubimon1@gmx.de Warnung: Evt. lemon/lime, auf jeden Fall sap Kommentar: Joa, der nächste Teil, ne? Den hatte ich schon seit ungefähr 'ner Woche fertig, aber war zu faul, ihn hochzuladen xD Viel Spaß beim Lesen ^______^ ____________________________________________________________________________ Stimmungsschwankungen. Wie er sie hasste. Und doch konnte er nichts dagegen ausrichten, er trug keine Schuld an dem, was ihm widerfahren war, was sie ausgelöst hatte. Kein Stück. Nicht mal einen Krümel hatte er Schuld – und trotzdem hatte er so darunter zu leiden wie die wirklichen Schuldigen, die sich übrigens keinen Hehl daraus machten. So viele waren ja auch nicht mehr übrig. Diese Wellen der Launen, auf denen er trieb, mal hoch in die Luft geschleudert, mal fast am Abtauchen, waren mittlerweile so steil und unterschiedlich, dass er bald nicht mehr wusste, wie er sich wirklich fühlte. Er spürte seine wahren Gefühle nicht mehr; zu Anfang war es noch nicht so schlimm gewesen, da hatte er sie nicht nach außen hin zeigen können. Das taten viele Menschen, die Unnahbaren, wie man sie insgeheim nannte, von daher war es nicht sonderlich aufgefallen. Aber dann hatte sich eine weitere Schicht darum gelegt: Jetzt blieben auch ihm selbst seine eigenen Gefühle verschlossen. Er war taub geworden. Ein wenig atemlos kam ich mit Umbrella heim. Die Schlüssel fielen mir zu Boden, ich hob sie wieder auf und legte sie auf dem kleinen Schuhschrank im Flur ab. Ich schnaubte in ein Taschentuch und ging dann in die Küche, um mir einen Tee zu kochen. Es waren noch fünf weitere Tage vergangen, in denen Cain nicht aus seinem Zimmer gekommen war, und draußen fielen die ersten Schneeflocken. Leicht routiniert klopfte ich jetzt jeden Morgen an seiner Tür und fragte, ob er herauskommen wollte. Die Antwort klang jedes Mal gleich. Ich hatte Angst, ihn bis Weihnachten nicht mehr hinaus bewegen zu können. Dabei feierte man dieses Fest doch mit seiner Familie... Ich würde nach Hause fahren, in eine Stadt, die drei Stunden von hier entfernt lag, und dort wie immer über die Feiertage bleiben. Aber nun war der Junge hier... Ich schluckte. Erst einmal gab es das Problem, wie ich Cain aus dem Zimmer bekam. Dann musste ich mir überlegen, wie ich ihn meinen Eltern und meiner Schwester erklären sollte... Ein langgezogenes Seufzen. Eine Tür knallte zu, und ich horchte auf. Hatte er eben sein Zimmer verlassen? Ich sprang von meinem Stuhl auf, ließ den Teebeutel, den ich gerade in die Tasse hatte tun wollen, fallen, und ich stürmte hinaus. Die Tür war geschlossen, aber man konnte sie öffnen. Das Zimmer dahinter war leer. Das Fenster sperrangelweit offen. Nachdem ich meinen ersten Schock überwunden hatte, hüpfte ich in Jacke und Schuhe, schnappte mir Regenschirm und Schlüssel und ließ die Haustür achtlos ins Schloss fallen. Erst sah ich mich auf der Straße um, dann lachte ich sarkastisch. Der Wind hatte die Tür zufallen lassen, doch auf der Fensterbank hatten ein paar Gingkoblätter gelegen; ein Zeichen dafür, dass er schon länger weg war. Meine Augen waren eng zusammengekniffen, es goss wie aus Eimern. Warum musste er sich immer so ein Sauwetter aussuchen? Die Straßenlaternen gingen an, es musste ungefähr sechs sein. Der Himmel war wolkenverhangen, der Wind fegte mir orkanartig ins Gesicht. Ich ließ mich davon nicht beirren, klappte hoffnungslos den Regenschirm zu, und rannte durch das gesamte Dorf, kämmte Gassen und Gärten durch, verjagte wilde Krähen, die sich an Mülleimern zu schaffen machten, klingelte an Häusern. Keine Spur von Cain. Irgendwann, nach ein paar Stunden, so kam es mir vor, ließ ich mich einfach auf einen Zaun fallen. Mit gebeugten Beinen hockte ich darauf und grübelte, wo er denn noch hätte hin laufen können! Er musste sich doch irgendwo in der Nähe aufhalten, so weit hatte er nicht kommen können! Oder vielmehr: Er hätte nicht so weit kommen dürfen... Es war sinnlos, bei dem Fadenregen weiter zu suchen, und so schlenderte ich resigniert und mit gesenkten Schultern zurück nach Hause. Abrupt blieb ich wieder stehen. Dort, am anderen Ende des Dorfes, gab es einen Wald... Ohne weiter nachzudenken rannte ich in selbige Richtung. Es dauerte seine Zeit, durch den dichten Regen zu laufen, und als ich endlich die ersten nahe beieinander stehenden Bäume erreichte, war ich so durchnässt, wie wenn ich mit Kleidung geduscht hätte. Ich ließ mich davon aber nicht beirren; das Einzige, was in diesem Moment zählte, war Cain. Mir war egal, was er von mir hielt, wenn er mir ins Gesicht sehen würde und fragte, warum ich nach ihm suchen gegangen war, würde ich ihm die Wahrheit sagen. Es ging nur langsam vorwärts, da ich mühsam Sträucher und Äste aus dem Weg schieben musste, die sogleich hinter mir wieder zuschnappten wie eine Falle. Mittlerweile war es dunkel geworden, nur noch ein bis zwei Stunden, bis es nachtschwarz sein würde. Ich musste ihn finden. So bahnte ich mir den Weg, schaute unter jedem Pilz nach, drehte jeden Steine einzeln um – natürlich nur im buchstäblichen Sinne. Es wird alles wieder gut, du wirst schon sehen... Als ich mich erschöpft, nachdem ich den halben Wald abgesucht hatte, auf einem Baumstumpf niederließ, verließ mich der Mut. Wie lange sollte ich noch nach ihm vergebens suchen, nur um danach wieder vollkommen enttäuscht nach Hause zu gehen? Was dachte ich mir eigentlich dabei, ihn suchen zu gehen? Schließlich war ich nicht für ihn verantwortlich... Ich schüttelte heftig den Kopf. Ich hatte mir eigenwillig die Verantwortung für ihn aufgeladen. Ich ließ ihn bei mir schlafen, bei mir essen; ich hatte ihm sogar Kleidung gekauft! Warum tat er das, verdammt?! Oder hing das Ganze mit seinem Geheimnis zusammen...? Ich seufzte schwer, ungeachtet des Wetters. Der Geruch von Moder hing in der Luft, meine Augen starrten regungslos auf den mit Moos bewachsenen Stamm, auf dem ich hockte. Ich machte mir selbst Vorwürfe. Zum wahrscheinlich hundertsten Mal fragte ich mich, warum er das getan hatte, warum war er so einfach abgehauen... Mich schmerzte der Gedanke, dass er es einfach so getan hatte, ohne vorher nachzudenken, dass ich ihm gar nichts bedeutete. Es tat weh. Das Rascheln der Blätter erinnerte mich wieder an das Lied... Dieses Lied, das fast deckungsgleich auf Cain zu passen schien. Wer hatte ihm diesen Namen gegeben? Es war kein gewöhnlicher Name... Wer hieß schon Cain? Eben: niemand. Nicht einmal einen Amerikaner hatte ich mit so einem Namen je gesehen, geschweige denn einen Deutschen, Wenn er denn einer war. Dieser Name kam doch höchstens in Fantasyfilmen oder Büchern vor... Ein Geräusch, das nicht so zur Waldkulisse passen wollte, ließ mich aufhorchen. War das ein... Tier? Ich stand auf und sah mich um – natürlich konnte man nichts sehen, es war aus einem Reflex heraus, wie es jeder Mensch zuerst tat. Vielleicht sah man ja doch etwas. Aber da war nichts. Noch einmal verklang der Laut, diesmal lauter. Ich suchte den Boden vor mir ab, wie ein Vogel auf Wurmjagd. So naiv konnte ja wirklich nur ich sein. Erst dann hob ich den Blick und suchte den Himmel ab; eher gesagt, die Baumkronen, die ihn verdeckten. Wassertropfen spritzten mir ins Gesicht, erschwerten mir die Sicht noch. Und endlich, als ich es ein drittes Mal hörte, konnte ich es zuordnen; und mir fiel ein unendlich schwerer Stein vom Herzen. Es war ein Schluchzen. Preisfrage: Wer kletterte bei strömendem Regen auf einen Baum, um zu weinen? Wer jetzt auf Charlie Chaplin tippt, hat falsch geraten. Es gibt einfach nur einen Jungen auf dieser Welt, der so etwas tat. Unüberlegt. Mit einem weiteren, lautlosen Seufzer auf den Lippen versuchte ich, möglichst genauso lautlos auf der anderen Seite des Baumstammes hinauf zu gelangen, damit er mich nicht vorher weder sah noch hörte. Eines jedenfalls war mir klar, als ich oben war: Er musste unglaubliche Kraft und Geschick haben. Meine Knie hätten unter mir bei dem Anblick nachgegeben, wenn ich gestanden hätte. Cain saß auf einem dicken Ast, die Beine herunter baumelnd, das Gesicht in den Händen vergraben. Man hätte ihn glatt für ein Mädchen halten können. Andere hätten jetzt gedacht: Mann, was für eine Lusche! Aber ich wusste, dass er eine harte Vergangenheit hinter sich haben musste, weshalb man ihn dafür nicht verurteilen durfte. Langsam und vorsichtig kam ich näher, machte jetzt absichtlich ein paar knackende Geräusche, damit er nachher nicht vor Schreck vom Baum fiel. Als ich fast neben ihm angelangt war, schloss ich ihn wie aus einem Reflex heraus in meine Arme. Er hob den Kopf, sah sich panisch nach beiden Seiten um; seine geröteten Augen weiteten sich, als er mich erkannte. Auch sein Haar war klitschnass und hing ihm in nassen Strähnen herunter. Er hatte Angst, so eine Angst wie schon lange nicht mehr. Plötzlich schien alles auf einmal auf ihn einzustürzen, die Bilder, die er so lange verdrängt hatte, verschlossen im hintersten Raum seines Gedächtnisses, aber immer noch vorhanden. Er bemerkte selbst nicht, wie die Tränen seine Wangen hinunter rollten; erst, als sich zwei warme, fast beschützende Arme um ihn legten, schrak er auf, bemerkte die Nässe auf seiner Haut. Eine unendliche Erleichterung erfasste ihn, als er Adrian erkannte – wie sehr hatte er gehofft, dass er kam, um ihn aus seiner Gedankenwelt zu befreien! Zitternd und aufschluchzend lehnte er seine Stirn an Adrians Brust, sog seinen Geruch ein. Es war ihm egal, dass die Regenjacke so nass war. Die Angst wich ein wenig aus ihm, hinterließ aber Spuren, wartete nun in einer dunklen Ecke wie ein lauerndes Raubtier, um ihn später wieder einzuholen. Die Arme schlangen sich nur noch fester um ihn, diese Wärme beruhigte ihn so. Ich konnte nicht davon ablassen, immer wieder beruhigend über seinen Rücken zu streichen. Immer und immer wieder. Es war wie ein Drang, ein Bedürfnis, das mich dazu trieb; und, ehrlich gesagt, war ich glücklich darüber. Nie hätte ich mir erträumen lassen, dass die Nähe eines anderen Jungen so angenehm sein konnte. Wieder stieg das flammende Gefühl in mir auf, ihn beschützen zu wollen. Seine Tränen wollten nicht aufhören zu fließen, seine Hände krallten sich in meine Jacke, als suchten sie Halt, als hätte er Angst, jeden Moment vom Baum zu stürzen. Mein Blick schweifte über seine Schulter hinweg, hinein in den dunklen, regennassen Wald; und plötzlich vernahm ich unter seinen Schluchzern seine ungewohnt hohe Stimme. „Warum nur... Warum hast... du mich nicht m-mitgenommen... Scar...“ Ich wandte den Kopf leicht in Richtung des seinen und streifte sein braunes, strähniges Haar mit der Nasenspitze. Er roch unheimlich gut... „Viel... lieber wäre ich j-jetzt – bei dir als hier... Alles ist besser als hier...“ Ein Stich durchfuhr mich, und unwillkürlich zuckte ich zurück. Was war das? Cain schaute auf, hob den Kopf sanft und schloss die Augen. Es war, als realisierte erst jetzt, wo und in welcher Lage er sich befand. Erst, als sich sein Atem beruhigte und er seinen Kopf wieder gegen meine Brust sinken ließ, wurde mir bewusst, wie erschöpft er sein musste. Es war ein schwieriges Unterfangen, ihn heil vom Baum herunter zu bringen, ohne ihn dabei zu wecken. Die Aktion kostete mich ganze fünfunddreißig Minuten. Meine Muskeln taten weh, ich benutzte sie nicht oft, aber ich riss mich zusammen. Schließlich musste ich ihn noch nach Hause tragen. Den Weg zurück dachte ich darüber nach, was jetzt eigentlich aus Cain werden sollte... Ich konnte ihm zwar eine Unterkunft geben, ihm ein Leben anbieten, aber er konnte nicht allein von mir abhängig sein. Es war kein Problem des Geldes – die Mittelmeiers, die Besitzer des Ladens, in dem ich arbeitete, waren großzügig, außerdem bekam ich monatlich einen Zuschuss meiner Familie, der allein schon gereicht hätte. Aber wollte Cain so weiterleben? Mit einer Last auf dem Herzen, mit der er sich keinem anvertrauen konnte? Es würde ihn stets in Träumen und Gedanken verfolgen, bis es ihn innerlich zerfraß und nur noch eine Hülle übrig blieb. Er musste sich dem stellen oder sich wenigstens davon ablenken; aber was sollte man schon tun, wenn er genau das nicht zuließ? Mein Marsch kam mir bei weitem nicht so lange vor wie der Hinweg. Vielleicht lag es daran, dass der Regen jetzt nicht mehr so dicht war, vielleicht aber auch, und das war mir wahrscheinlicher, weil er in meinen Armen lag und schlief, mit einem so friedlichen Gesichtsausdruck, dass man ihm nichts Schlimmes zutrauen konnte. Das ausgeklappte Sofa federte leicht, als ich Cain darauf niederließ. Er verzog leicht die Augen, wachte aber nicht auf. Ich zog ihn bis auf seine Boxershorts aus, darauf bedacht, seinen dünnen Körper nicht zu lange zu begutachten. Ich deckte ihn zu und wollte schon den Raum verlassen, bis ich noch einmal zurückkehrte. Ich hockte mich davor, beugte mich leicht über ihn. Meine Finger strichen ihm wie von selbst das Haar aus der Stirn. Meine Lippen berührten ihn sanft auf der Stirn, brannten immer noch, als ich den Raum wieder verließ und mich fragte, was in mich gefahren war. Fortsetzung folgt... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)