Blatt im Regen von Passer (oder: Versteck mich!) ================================================================================ Kapitel 8: Acht --------------- Titel: Blatt im Regen Autor: -Scarecrow- Disclaimer: Die gehören alle mir *_________* Teil: Acht Email: kyubimon1@gmx.de Warnung: Evt. lemon/lime, auf jeden Fall sap Kommentar: Nur eine Sache noch... Bei diesem Kapitel hab ich mit nem megatraurigen Lied von Rosenstolz im Hintergrund mit den Tränen gekämpft u____û Bitte keine traurigen Lieder dabei hören, ja? xD ____________________________________________________________________________ Die Aussage hatte mir schlicht die Sprache verschlagen. Dieser Typ da, der sich Kill nannte, war Cains Bruder? Mein Verdacht hatte sich also bestätigt. „Du darfst mir ruhig glauben, auch wenn ich dir kein Familienverzeichnis zum Beweis vorzeigen kann“, grinste er amüsiert, als er meinen starren Blick sah. „Aber jetzt weißt du, dass ich dir und vor allem Cain nichts Böses will.“ „Eine Frage“, unterbrach ich das klärende Gespräch. „Wie, verdammt noch mal, kam diese Nummer in mein Telefon?“ „Weil ich vor ein paar Tagen mit Cain telefoniert habe. Er hat mich auf meinem Handy angerufen, um mir von seiner jetzigen Lage zu berichten.“ Jetzt war ich ein wenig verwirrt. War Cain ein so anhänglicher Junge mit Bruderkomplex, dass er denselben jederzeit über seinen Standort informierte? Die ganze Situation kam mir so langsam vor wie in der Mafia. Niemand kannte niemanden, alles war geheim und jeder war verdächtig. Naja, vielleicht nicht ganz so extrem. „Keine Sorge, das hat er zum ersten Mal gemacht. Das mit der Lage.“ Kill legte eine kurze Pause ein. „Es ist nur so... Ach was, am besten fange ich von ganz vorn an. Lehn dich zurück, Adrian. Es wird ‘ne lange Geschichte.“ Er warf mir noch einen undefinierbaren Blick zu, dann hob ich die Tasse Cappuccino an meine Lippen und lauschte aufmerksam. „Wie gesagt hatten sowohl ich als auch er eine schwierige Kindheit, ich bezeichne sie jetzt einfach mal als schon beendet. Unsere Mutter – sie war damals noch Kindergärtnerin – war eine seltsame Persönlichkeit, schon immer. Sie hatte nie wirklich Freunde gehabt, und ihr eigener Lebenswille bestand eigentlich nur noch aus ihrem Arbeitsleben, bis sie unseren Vater kennenlernte. Er war ein einflussreicher Mann, und brachte schon aus seiner Familie ein riesiges Vermögen mit. Aber Geld ist ja buchstäblich nicht alles. Ich habe keine Ahnung, wie und ob sie sich überhaupt je geliebt haben, aber schlussendlich setzten sie uns in die Welt – erst mich, und als ich acht war, meinen jüngeren Bruder. Die beiden waren so gut wie nie zu Hause; Mutter war mit dem Kindergarten beschäftigt, wobei ich mir stets immer wieder die Frage stellte, warum sie sich mehr um fremde Kinder sorgte als um ihre eigenen. Vater war Tag und Nacht in der Firma seiner Familie, um ‚Geld zu verdienen‘; bei ihm stellte ich mir die Frage, warum er noch arbeiten ging, obwohl wir meiner Meinung nach viel zu viel von dem goldenen Zeug hatten. Kurz gesagt, beide Elternteile kümmerten sich mehr um ihre Arbeit als um ihre Kinder.“ Er hielt kurz inne, um Luft zu holen. „Ich ersetzte Cain als großer Bruder beide von ihnen. Ich holte ihn seinerzeit vom Kindergarten ab, ein anderer als der unserer Mutter. Ich war schon alt genug, um zu begreifen, dass ich meinen Eltern nur ungern begegnete. Wir sahen weniger von ihnen als vielmehr unsere Nachbarn. Eines Abends, es war schon recht spät geworden, kam Vater heim. Wir lagen schon in unseren Betten im eigenen Zimmer; ich war noch wach. Zu dem Zeitpunkt war Cain sieben Jahre alt, ich dreizehn. Sexualkunde hatten wir in der Schule bereits durchgenommen.“ Er wartete auf dieses Wort hin meine Reaktion ab. Ich saß ihm weiterhin starr gegenüber; bei dem Wort hatte sich in mir alles verkrampft. Ich ahnte bereits, was folgen würde. Kill nickte. „Du ahnst bereits, was ich dir sagen will. Und es ist genau das eingetreten.“ Ich kniff kurz die Augen zusammen, um die Fassung zu wahren. „Cain wurde von unserem Vater vergewaltigt. Fünf Jahre lang.“ Dieser schlichte Satz war... unbegreiflich. Ich konnte ihn nicht fassen; es war wie ein nasses Stück, das einer Zunge ähnelte. Er sickerte nur langsam zu mir durch. „Alles in Ordnung?“, hörte ich Kill sanft sprechen. „Ich habe ihn umarmt...“ Jetzt wurde mir alles klar. Natürlich! Er hatte gezittert vor Angst. Vor Erinnerungen. „Hey.“ Er legte mir eine Hand auf die Schulter. „Hör zu. Vielleicht sollten wir dieses Gespräch ein andermal fortse -“ „Nein!“ Fest sah ich ihn an. „Nein. Ich möchte es wissen. Tut mir Leid.“ Einen Moment lang sah er mich noch nachdenklich an, dann nickte er. „Nach fünf Jahren... Da war er zwölf...“ Kill zögerte sichtlich, offensichtlich wollte er mir wieder etwas... nun ja, Unangenehmes begreiflich machen. „Da hat er... es einfach nicht mehr ausgehalten. Er hat mehrere Fluchtversuche gestartet, aber alle sind gescheitert. Er ist höchstens bis auf zwei Kilometer von zu Hause entkommen, dann hat ihn Vater wieder eingeholt. Am Ende... Ja, am Ende ist er auf ihn losgegangen. Und er ist nicht wieder aufgestanden.“ Diesmal war ich einigermaßen darauf vorbereitet gewesen, aber ich konnte mich nicht entscheiden, was schlimmer war: dass Cain von seinem Vater vergewaltigt worden war, oder dass er diesen umgebracht hatte. „Er hatte nie Freunde, selbst in der Schule nicht. Aufgrund dem Verhalten unserer Eltern schloss er sich selbst aus und scherte sich nicht um die Meinung anderer. Nach dem Tod unseres Vaters wusste er nicht, was er tun sollte; er konnte nicht davonlaufen. Wohin denn? Ich habe ihn schließlich aus seinem Schlammloch herausgezogen und ihn mit zu meinen Freunden genommen. Wir waren eine Art Straßengang, aber eine von der ruhigen Sorte; wir zogen nur um die Häuser, demolierten weder Autos noch klauten wir wehrlosen Frauen ihre Handtaschen.“ Er lachte. „Und weißt du was? Cain und Kill sind nicht unsere richtigen Namen. Jeder von uns Vieren hatte eine unangenehme Vergangenheit und wollte sie am liebsten unter den Tisch kehren – wir fingen mit neuen Namen unser neues Leben an. Ich kenne meinen richtigen Namen gar nicht mehr, es ist einfach zu lange her. Um genau zu sein, vier Jahre, aber diese vier Jahre reichen schon, sich mehr an einen falschen Namen zu gewöhnen und den anderen zu vergessen. Dafür aber erinnere ich mich an den meines Bruders umso besser.“ „Verrätst du ihn mir?“, platzte es aus mir heraus. Kill lächelte und schüttelte den Kopf. „Tut mir Leid, aber wir haben uns geschworen, unsere richtigen Namen niemals wieder preiszugeben. Die Vergangenheit würde uns wieder einholen. Wenn Cain möchte, dass du seinen Namen weißt, wird er ihn dir selbst sagen.“ Er schwieg eine Weile, wollte mir ein wenig Zeit zum Nachdenken geben. In meinem Kopf tobten Tausende von Fragen... „Was ist mit eurer Mutter passiert? Wissen andere Leute von euch, Nachbarn, Verwandte...?“ „Unsere Mutter ist in der Psychiatrie gelandet“, entgegnete Kill ruhig. „Nachdem wir abgehauen waren und sie die Leiche unseres Vaters fand, veränderte sie sich völlig – so habe ich jemals gehört. Ich habe so meine Spione.“ Ein leises Grinsen huschte über sein fahles Gesicht. „Und ich wüsste nicht, dass jemand anders davon noch weiß... Nachbarn haben es wohl durch die Zeitung erfahren, dass in dem Haus nebenan niemand mehr wohnt, aber richtig Gedanken hat sich niemand gemacht. Nun waren wir also zu viert; Ich, Cain, Scar und Road.“ Bei dem dritten Namen horchte ich auf. „Wer... ist Scar?“ „Warum willst du das unbedingt wissen?“ „Weil... Er... Cain hat von ihm gesprochen.“ „Was genau hat er gesagt?“, fragte Kill weiter und runzelte die Stirn. Er schüttelte den Kopf. „Das war unhöflich. Scar ist Cains bester Freund gewesen, der einzige, den er je gehabt hat. Sie hielten zusammen... Ja, sie hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Aber durch einen Vorfall... Lass mich fortfahren.“ Ich nickte zustimmend und schluckte etwas von meinem Cappuccino, der mittlerweile etwas abgekühlt war. „Road war derjenige unter uns, der nie länger als einen Monat an einem Ort bleiben konnte. Er hat Kfz-Mechaniker gelernt und ist ständig mit seinem Auto unterwegs gewesen. Wir waren nicht lange zu viert, aber es genügte. Er... Road verliebte sich in Scar. Es war völlig in Ordnung. Es beruhte auf Gegenseitigkeit. Es war das erste Mal, dass Scar richtig verliebt war, und er schwärmte Cain vor, wie toll er doch sei.“ Kill rollte grinsend mit den Augen. „Und was ist mit ihm?“, fragte ich. „Kommt noch“, mahnte er mich streng. „Cain freute sich mit ihm für sein Glück. Wie sollte er auch anders, Scar war schließlich sein Freund. Es war eine tolle Zeit – weder ich noch Cain hatten etwas dagegen. Zwar ließen ihn die Berührungen, die die beiden austauschten, immer wieder zusammenzucken, aber im Großen und Ganzen war es gut. Doch es kam wie es kommen musste – und wir hatten es alle schon geahnt. Road war kein Stubenhocker. Er verspürte das Bedürfnis, weiterzufahren, er wollte uns verlassen. Er war schon viel zu lange hier, sagte er wortwörtlich. Und er bat Scar, mit ihm zu kommen. Daraufhin befand sich Scar in einer misslichen Lage; er war hin- und hergerissen zwischen bester Freundschaft und erster Liebe. Letztendlich jedoch entschied er sich für ersteres und blieb bei uns. Ich war furchtbar erleichtert. Road konnte den Verlust verkraften, er war ständig wechselnde Bindungen und Kontakte gewohnt, aber ob Cain das überwunden hätte? Ich weiß es nicht. Ich glaube, es hätte ihm auch den letzten Nerv geraubt. Es vergingen Tage und Wochen, in denen Scar dem anderen geradezu hinterher heulte, aber nur in solchen Momenten, in denen Cain nicht hinsah. Cain war fünfzehn, als Scar endlich begriff, dass er sich mehr als nur richtig entschieden hatte. Hm, ihm passierte das Gleiche wie Road bei ihm... Er verliebte sich. In Cain.“ Die Situation zwischen Scar und Cain erinnerte mich stark an mich selbst. Meinen ersten Freund hatte ich mit vierzehn gehabt – wir waren unser ganzes Leben lang schon eng befreundet gewesen. „Scar schleppte das Gefühl lange Zeit mit sich herum, weil er wusste, dass Cain Angst vor Liebe zwischen zwei Männern hatte. Er wollte ihm keine Angst einjagen. Aber – wie der Zufall es wollte, natürlich – entglitt ihm dieser eine Satz in einem Streit zwischen ihnen. Ich sehe es noch genau vor mir. Was keiner von uns genau gewusst hatte, war Cains Reaktion gewesen. Er hat ihn nicht wirklich abgewiesen, aber auch nicht akzeptiert. Er hat sich von Scar distanziert, weil er – Angst hatte. Scar hat das nicht ausgehalten.“ Kill legte wieder eine Pause ein. Wahrscheinlich hatte er bemerkt, wie sehr mir die Geschichte zu Herzen ging, vor allem, da sie wirklich passiert war. Es klang wie ein Märchen, ein gute oder schlechtes Buch, wie ein Film, aber es war wirklich geschehen. Und ich konnte nicht glauben, dass all dies ausgerechnet Cain, dem Jungen, der bei mir zu Hause im Zimmer hockte und den Gingko beobachtete, getroffen hatte. Ein trauriges Lächeln legte sich auf Kills Lippen. „Scar hat sich das Leben genommen.“ Ich sah zu ihm auf und blickte ihm in die Augen. Vielleicht ist es doch nicht so gut, dass er weitererzählt... Aber ich unterbrach ihn nicht mehr. „Er hatte eine Schwester, die genauso zu ihm hielt wie ich zu meinem Bruder. Sie war unsagbar enttäuscht, traurig und noch viel mehr. Und sie hegte einen Hass auf Cain, denn sie wusste, dass Scar in ihn verliebt gewesen war. Gleich nachdem sie davon erfahren hatte, dass Cain und ihr Bruder allein waren, hat sie die Polizei gerufen. Sie kannte Cain; sie wusste, dass er schon von früheren Erinnerungen gestört war. Die Wehrmänner fackelten nicht lange – sie brachten meinen Bruder in die Psychiatrie. Er landete genau da, wo meine Mutter ebenfalls geendet hatte. Ich hatte von all dem erst viel später erfahren.“ Kill hatte den Blick starr auf sein Glas gerichtet und schien nur noch mit dem Gegenstand vor sich zu reden. „Ich weiß nur ganz grob, dass Cain irgendwie aus der Psychiatrie geflohen ist, um sich in Sicherheit zu bringen, denn für ihn waren die Ärzte nichts anderes als Leute, die ihm an den Kragen wollten. Natürlich, was soll eine solche Person auch schon von ihrer eigenen Situation denken?“ Erst jetzt fiel mir auf, dass seine Augen feuchter waren als vorher. Ich biss mir auf die Unterlippe und legte einen Arm um Kill. „Du musst nicht weitersprechen, wenn du nicht kannst.“ Er schenkte mir einen dankbaren Blick, schüttelte aber seltsam lächelnd den Kopf. „Es ist sowieso gleich zu Ende. Von seinem Anruf vor ein paar Tagen auf meinem Handy bekam ich die ganze Geschichte erst mit. Ich konnte von Glück reden, dass ich schon vorher gewusst hatte, dass er in der Psychiatrie gelandet war. Er berichtete mir, wie du ihm geholfen hast, vor den Sicherheitsleuten der Einrichtung zu fliehen und ihn zu verstecken. Er schien unsagbare Angst vor ihnen gehabt zu haben. Und es freut mich, dass er bei dir anscheinend ganz, ganz langsam, aber stetig wieder zu sich selbst findet.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)