Blatt im Regen von Passer (oder: Versteck mich!) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Titel: Blatt im Regen Autor: Keema-chan Disclaimer: Die gehören alle mir *_________* Teil: Prolog Email: kyubimon1@gmx.de Warnung: Evt. lemon/lime, auf jeden Fall sap Kommentar: Huhu^^ Das Kee meldet sich mal. Die Idee zu der Story kam mir, als es drauße fürchterlich geregnet hat und im TV ein Film über's Amoklaufen lief. Tja, und außerdem wollte ich schon immer mal was Eigenes zum Thema Shônen-Ai schreiben... *lol* Hoffe auf viele Kommis^^ ____________________________________________________________________________ Es kam mir vor wie ein Traum. Der Regen strömte in seidenen Fäden aus den Wolken und hinterließ silberne Spuren auf der geteerten Straße. Die Bäume bogen sich sacht im kräftigen Schubs des Windes, der die Regenschirme nutzlos machte. Ein paar Mädchen liefen lachend und schutzsuchend unter Unterführungen hindurch, sich stets vor dem Nass versteckend. Tropfen versperrten mir die Sicht. Doch das tat nicht zur Sache. Ich drehte mich um und blickte dem Mann starr in das schmale, schöne Gesicht. Die Hand mit dem Revolver zeigte auf seine eigene Brust. Genau auf die Stelle, wo sich das Herz befand. Ich konnte nicht denken. Genau in diesem Moment durchlebte ich noch einmal die Eindrücke der letzten Tage im Zeitraffer. Die vogelförmige Wolke. Die sanfte Hand. Weiche Lippen. Herz an Herz. Der plötzliche Schmerz... Ein lauter Knall ließ mich zusammenfahren. Meine Lider zuckten nur einen winzigen Augenblick, bevor meine Katzenlinsen das Geschehene erfassten. Er lag reglos auf dem Boden. Blut floss ihm aus Ohren, Mund und Brust. Langsam bildete sich eine Pfütze um ihn herum, ich wagte es nicht ihn zu berühren, spürte aber doch die Kälte, die von ihm ausging. Der verlorene Stolz. Wichtig bist nur du, Cain... Es kamen mir vor wie Stunden, die ich einfach nur dastand und auf ihn herabblickte. Ich fühlte mich leer. Leer und ausgelaugt. Und schrecklich müde. Ein grausames Dröhnen drang an meine Ohren, als die Tür aufschlug und eine Schar Menschen in die verlassene Halle stürmte. Ihr Keuchen, ihr schneller Atem und der aufgewühlte Puls ließen mich rasend werden. Ich versuchte, das Bedürfnis zu schreien zu unterdrücken. Mit mäßigem Erfolg. Zwei Paar Arme packten mich an den meinen, und ich wehrte mich nach Leibeskräften. Die Sinneseindrücke machten mich schier wahnsinnig, wenn ich das nicht schon längst war. Sie führten mich die Treppe auf die verregnete Straße hinunter. Meine Beine waren taub. Ich stand auf dem Pflaster, hing nur noch an den Armen, als mir jemand hart ins Gesicht schlug. Ich blickte auf und lächelte. Sie stand nur dort und sagte nichts, Tränen sammelten sich in ihren Augen und flossen lautlos an ihren Wangen hinab. Jemand führte sie weg. Mit Genugtuung und der letzten Würde, die ich besaß, ließ ich mich auf den Autositz drücken. Meine Augen schlossen sich automatisch. Ich wollte nicht mehr sinnieren. Ich hielt mir die Ohren zu, um wenigstens diese Lautstärke regulieren zu können. Doch der metallische, salzige Geruch des Blutes – seines Blutes – lag noch immer in meiner Nase. Es roch bis hierher. Kapitel 1: Eins --------------- Titel: Blatt im Regen Autor: Keema-chan Disclaimer: Die gehören alle mir *_________* Teil: Eins Email: kyubimon1@gmx.de Warnung: Evt. lemon/lime, auf jeden Fall sap Kommentar: Tjoa, hier also das erste Kapitel. Ich habe mir diesmal Mühe gegeben, Personen und Umgebung zu beschreiben, und ich weiß, dass ich darin nicht perfekt bin... Nyo ^.~ Hoffe, es gefällt euch trotzdem einigermaßen TT ____________________________________________________________________________ Der Regen prasselte nur so gegen das Fenster und ich seufzte auf. Seit Tagen saß ich nun schon hier fest, ohne Auto oder Freundin, ohne Job, mit einem Stück Nichts in der Hand. Den Kopf hatte ich in die Arme auf die Fensterbank gestützt und beobachtete das Geschehen auf der Straße. Mach dir keinen Kopf drüber, Adrian... Klar, jeder steht irgendwann einmal am Anfang seines neuen Lebens, aber dass es so schwer sein würde, hätte ich niemals gedacht. Mein Name ist Adrian, ich bin fünfundzwanzig Jahre alt und bin gerade mit meinem Kunststudium fertig geworden. Ich lebe in dem Haus, das ich von meiner Großmutter geerbt habe, und das – im wahrsten Sinne des Wortes – am Arsch der Welt steht. Hier läuft absolut nichts. Keine Disko, kein Kino, nicht einmal eine Bar oder etwas Ähnliches gab es hier. Und das Wort ‚Spaß‘ schien hier sowieso niemand zu kennen. Und doch hatte ich keine andere Möglichkeit gesehen, mich einigermaßen von meinen Eltern abzuseilen, als in mein Erbstück zu ziehen, wenn es hier auch noch recht leer wirkte. Richtig wohnen tat ich nur in Räumen: meiner Küche, dem Schlafzimmer mit dem kleinen Fernseher(Antennenempfang), dem Bad und – meinem Atelier. Es war kein riesiges Atelier für richtig professionelle Künstler, das war ich ja schließlich noch nicht, aber schon ganz gut ausgestattet, wie ich mir eingestehen musste. Sämtliche Farbtöne hatte ich sowohl in Aquarell als auch in Acryl, sowie einen kleinen Vorrat an Leinwänden und speziellem Zeichenpapier. Die Tische waren verschmutzt, die Wände kahl bis auf ein einziges Bild, für das ich mich durchgerungen hatte, einen Rahmen zu kaufen. Doch alles in allem fühlte ich mich hier am wohlsten. Wenn ich mich vor den Spiegel stellte, erkannte man einen relativ dünnen, aber sportlichen Mann mit stets zerzaustem, schulterlangem schwarzen Haar, dessen leuchtend grüne Augen geradezu hervorstachen. Eigentlich war ich mit meinem Aussehen zufrieden, wäre da nicht die Narbe, die von der rechten Schulter bis zum Gesäß über den Rücken ging; die hatte ich von einem Unfall, als ich mit vierzehn jungen Jahren noch wie ein Wilder mit dem Motorrad durch die Gegend gerast war – klein und dumm. Auf den freundlichen Hinweis meiner im Sterben liegenden Großmutter hatte ich schließlich, statt mich weiterhin meiner Rockerkarriere zu widmen, das Kunststudium begonnen, da ich schon immer etwas begabt in diesem Gebiet gewesen war, und ich liebte es. Bereuen tat ich nichts. Außer vielleicht die schlechten Erinnerungen an meine Jugend. Seufzend hockte ich mich auf einen Stuhl in der Küche und rätselte vor mich hin. Was sollte man schon bei diesem bescheuerten Mistwetter anfangen? Mein klappriges Rad würde ich ganz bestimmt nicht aus dem baufälligen Verschlag, das sich Scheune nannte, holen. Ein klägliches Winseln klang aus dem Schlafzimmer nebenan. Ich seufzte. Hatte ich doch tatsächlich vergessen, mit Umbrella raus zu gehen. Ich erhob mich von dem Stuhl und griff nach Leine, Regenschirm und zog mir die Schuhe an, ehe ich die schwarze Setterdame aus dem abgeschlossenen Schlafzimmer holte, nicht ohne vorher die Tür zum Atelier geschlossen zu haben. Ich musste die Hündin zu meinem größten Bedauern immer einsperren, damit sie mir nicht die Leinwände zerrupfte. Umbrella gehörte zu meinem Erbe, und ich muss gestehen, dass sie mir ein bisschen lästig war. Aber was tat man nicht alles, um den verstorbenen Geistern seiner Verwandten Frieden zu bereiten? Im Grunde mochte ich Hunde ja, schon, nun, aber... Lassen wir das. Also stand ich zwei Minuten später vor der Tür und sah mich kurz um. Niemand zu sehen. War ja klar, bei diesem Sauwetter traute sich niemand aus dem Haus. Alles Naturfeinde. Warum lebten sie dann hier? Umbrella zog ungeduldig an der Leine und schleifte mich die nächste Viertelstunde geradezu hinter sich her. Was für ein Zufall, dass ich ausgerechnet an einem verregneten Tag mit Regenschirm und einem schwarzen Hund namens Umbrella spazieren ging. Am Ende war ich dann doch froh, niemandem zu begegnen, denn keiner meiner Nachbarn konnte mich richtig gut leiden. Alles Schein. Sie hatten mir nie verziehen, seit ich mit dem Motorrad ihre kostbare Statue des Bürgermeisters demoliert hatte – frag mich einer, warum die so etwas überhaupt hatten, bei diesem Dorf mit nicht mehr als zweihundert Einwohnern. Überhaupt mochte ich diese Gegend nicht. Aber eine andere Möglichkeit gab es einfach nicht, selbstständig zu leben. Umbrella hob ihr Bein und markierte das Revier, wie jeden Tag. Und wie jeden Tag blickte ich die Straße hinab. Wir befanden uns hier fast am Ende der Hauptstraße, der so ziemlich einzigen, die man hier so bezeichnen durfte, alles andere waren nichts mehr als Kieswege und vor Jahrzehnten einmal gepflasterte Gassen. Halb verdorrte Bäume sollten die Straße zieren und dem Durchfahrer einen netten Eindruck hinterlassen, aber irgendjemand hatte vergessen, den Einwohnern zu sagen, dass sie die Pflanzen auch pflegen mussten. Ich redete immer von denen. Mich selbst zählte ich niemals dazu, weil ich wusste, irgendwann, wenn ich einmal genügend Geld zusammen hatte, wieder in die Großstadt ziehen würde, um meinen Namen ein wenig bekannter zu machen. Dieses Dorf war nur ein Aufenthaltsort auf kurze Zeit, bis ich mir etwas Besseres leisten konnte. Jedenfalls konnte man von diesem Ende der Straße den nahen Wald sehen, in dem sich schon oft Wanderer verirrt hatten wie in einem Labyrinth. Schon von hier aus sah er unheimlich aus, und wie jeden Tag auch lief mir ein Schauer über den Rücken. Umbrella zwang mich, weiterzugehen, und ohne auf den Weg zu achten, suchte sie sich ihre Ziele. Irgendwie schaffte sie es, mich so weit zu verwirren, dass ich völlig orientierungslos an einer Kreuzung stand, mit einem hechelndem Hund an der Leine, mittlerweile klatschnass vom vielen Regen. Dass mir so etwas passieren konnte, war mir ein Rätsel. Immerhin hatte dieses Dorf doch nur eine richtige Straße, wie konnte ich da an eine Kreuzung geraten?! Ich seufzte zum zweiten Mal an diesem Tag und blickte mich suchend um. Kein einziger Anhaltspunkt. Kein Straßenschild, kein Mensch, keine wandelnde Karte. Wahrscheinlich gab es diesen Ort amtlich gar nicht. Wütend knurrte ich und verfluchte dieses Tier innerlich. Aber irgendwie hatte ich ja auch selbst Schuld daran. Warum, zum Teufel, konnte ich nicht auf den Weg aufpassen?! Litt ich schon jetzt an mangelndem Orientierungssinn? Mittlerweile hatte es aufgehört zu regnen und ich klappte den Regenschirm zusammen. Meine Sneaker waren durchweicht. Sauer riss ich an der Leine und holte damit Umbrella zu mir, die gerade dabei gewesen war, ausgiebig an einem Mülleimer zu schnüffeln. Man sollte meinen, sie mutierte zu einem Drogenhund. Obwohl man so etwas in diesem Kaff wahrscheinlich gar nicht brauchte. Hinten, am Garten eines Einfamilienhauses, das auf der anderen Straßenseite lag, regte sich etwas. Umbrella hob den Kopf und blickte mit neugierig aufgestellten Ohren hinüber. Ein Rascheln durchfuhr die Hecke, die den Zaun bildete. Und gleich darauf stürzte ein Junge daraus hervor. Erschrocken zog ich noch einmal an der Leine, worauf der Setter ebenfalls verschreckt zur Seite sprang. Ich rührte mich nicht, starrte den Jungen auf der anderen Seite an, der die Hände auf die Oberschenkel gestützt hatte und keuchte. Er musste gerannt sein. Aber warum? Er hatte hellbraunes, kurzes Haar und eine zierliche, geradezu knochige Gestalt. Die Kleidung hing ihm schlabberig vom Körper; diese bestand nicht mehr und nicht weniger aus einer viel zu großen, schwarzen Jeans, einer sichtlich schnell übergeworfenen Regenjacke und einem Paar verwaschener Turnschuhe, von denen sich die Sohle abzulösen begann. Diese ganzen Details prägten sich mir ein, vom ersten Augenblick an, als ich ihn sah, und ich hätte sie niemals vergessen, auch wenn ich ihn nie wieder gesehen hätte. Keine Ahnung, warum. Irgendwie faszinierte mich dieser Junge, vielleicht acht Jahre jünger als ich. Unwillkürlich begann er wieder loszulaufen, und – wie es kommen musste – wollte Umbrella hinterher. Und ich verlor natürlich die Leine. Zwei, drei Sekunden starrte ich auf die leere Hand, die sie eben noch festgehalten hatte, dann dem Hund hinterher. Sie hatte noch nie einer Verfolgung widerstehen können. Leise fluchte ich und rannte ihr dann hinterher. Ich sah gerade noch die beiden Hundebeine, die in einer Seitengasse verschwanden, bevor ein lauter Aufprall und ein unterdrückter Schrei erklangen. Erschrocken blieb ich vor der engen Gasse zwischen zwei Wohnhäusern stehen. Umbrella hockte auf dem zu Boden gestürzten Jungen und wusch ihm das Gesicht mit ihrer langen Zunge. Nur mit Mühe konnte er sie weg drücken, griff dann an die große Mülltonne, die an der roten Ziegelmauer des einen Hauses stand und geradezu überfüllt war, und stand, noch immer keuchend, auf. Umbrella stand vor ihm und wedelte hechelnd und fröhlich mit dem Schwanz. Erst dann fiel sein Blick auf mich. Sofort verengten sich seine Augen – sie waren rehbraun, genau wie sein Haar. Er versuchte, an mir vorbei zu stürzen, aber erstens war da immer noch die Hündin, die jetzt eng an ihn gepresst blieb, und zweitens griff ich wie aus einem Reflex heraus nach seinem Arm. „Was–“, stieß er aus, weiter kam er nicht, denn ich drängte ihn zurück in die schummrige Gasse. Mein Körper hatte mal wieder schneller geschaltet als mein Hirn, nur kurze Zeit später liefen drei Gestalten auf der Straße an uns vorbei, natürlich blieben wir unbemerkt. „Fuck“, fluchte einer von ihnen, „Wir haben ihn verloren!“ „Der Chef macht uns fertig!“, sagte ein anderer, und nach und nach entfernten die sich streitenden Stimmen wieder. Die hatten ja wirklich schnell mit ihrem Opfer abgeschlossen. Wäre ich einer von ihnen gewesen, hätte ich das halbe Dorf auf den Kopf gestellt, wenn nicht sogar das ganze, war ja nicht gerade groß. Was dachte ich da eigentlich wieder für einen Mist? „Lass mich los“, knurrte eine Jungenstimme, und irgendwie erschrocken ließ ich ihn los. Seine Augen blitzten wütend und sollten wohl einen einschüchternden Eindruck machen, aber ich lachte nur kurz. „Was hast du denn? Angst vor mir?“ Ich blieb weiterhin freundlich, wollte ich es mir doch nicht gleich schon am Anfang mit ihm versauen. Das Einzige, was ich wusste war der Gedanke, dass ich ihm helfen wollte. Warum? Das blieb mir selbst ungewiss. „Was willst du von mir?“, fauchte er zurück. Mein Lächeln blieb standhaft. „Die Frage ist ja wohl eher, was du hier willst, oder?“ Er wandte sein Gesicht ab; er wollte definitiv nicht darüber reden. „Na gut, Schluss der Gegenfragen. Wo wohnst du?“ Als Antwort erhielt ich nur ein unverständliches Brummen. „Gut, dann nehme ich dich mit zu mir. Du hast sicher Hunger nach so einer kleinen Verfolgung. Und etwas Neues zum Anziehen brauchst du auch“, fügte ich mit einem Blick auf seine Kleidung hinzu. Nur widerwillig ließ er sich von mir mitschleifen. Mein Verstand hatte wohl endgültig ausgesetzt, was, zum Teufel, bildete ich mir überhaupt ein, einen wildfremden Jungen mit nach Hause zu nehmen?! Vielleicht interessierte mich ja einfach nur, warum er vor diesen Leuten geflohen war. Ein bisschen Ablenkung eben vom langweiligen Dorfleben. Umbrella schnupperte an der Jacke des Braunhaarigen. Dieser zuckte zurück und wich ihr aus. „Du hast doch nicht etwa Angst vor Hunden?“, fragte ich, amüsiert grinsend. Mein Gegenüber erwiderte nichts darauf und ließ es bei einem gleichgültigen Blick bleiben. Ich zog Umbrella von ihm weg und nahm wieder die Leine in die Hand, diesmal fester. Man konnte ja nie wissen, was noch so auf einen zukam. Womöglich entdeckte sie das nächste Mal ein entflohenes Kaninchen. Die Folgen wollte ich mir gar nicht vorstellen. „Kommst du nun oder nicht?“, fragte ich in die dunkle Gasse hinein, als ich auf der Straße stand. Nur zögerlich kam der Andere heraus und sah sich um, als würde er etwas suchen. „Keine Angst, die Typen sind über alle Berge. Und wenn sie wiederkommen, hetze ich ihnen Umbrella auf den Hals.“ Das war das erste Mal, dass ich etwas anderes als Ignoranz oder Wut in seinen Augen sah, und der Blick gefiel mir irgendwie. Fortsetzung folgt... Kapitel 2: Zwei --------------- Titel: Blatt im Regen Autor: Keema-chan Disclaimer: Die gehören alle mir *_________* Teil: Zwei Email: kyubimon1@gmx.de Warnung: Evt. lemon/lime, auf jeden Fall sap Kommentar: Sou, hier nun das zweite Kapitel. Joa, was soll ich noch sagen... Ich habe das gesamte dritte Kapitel auf meinem Schulblock geschrieben, weil mir in der Schule langweilig war «' Jetzt muss ich es nur noch abtippen und uploaden. Aber ich glaube, ich behalte es mir vor, bis mindestens 5 Kommis da sind xP Von 5 verschiedenen Leuten, versteht sich uû ____________________________________________________________________________ Den Weg hatten wir schweigend zurückgelegt, und immer wieder hatte er sich umgesehen. Er schien wirklich unter Verfolgungswahn zu leiden. Als wir schließlich bei meinem Haus ankamen, staunte er nicht schlecht. Er ließ zwar kein Wort darüber verlauten, aber seine Augen sagten alles. Ich wunderte mich, dass der Junge nicht schon gleich davongelaufen war, als ich ihm angeboten hatte, mit zu mir nach Hause zu kommen. Ich schloss die Tür auf, nicht ohne Umbrella vorher die Pfoten an dem Fußabtreter einigermaßen vom Dreck befreit zu haben. Ihre tapsenden Schritte klangen auf den Fliesen wieder, wenn auch nicht unbedingt melodisch. Ich zog mir die Schuhe aus und wies dem Jungen an, es mir gleich zu tun. Nachdem ich ihm auch die nasse Regenjacke abgenommen und ins Bad gehängt hatte, setzte ich ihn auf einen Stuhl in der Küche und deutete ihm, auf mich zu warten, sobald ich etwas Anderes zum Anziehen gefunden hatte. Im Schrank in meinem Schlafzimmer fand ich schließlich eine, natürlich viel zu große, Bluejeans und einen beigefarbenen Pullover mit Rollkragen. Dazu ein Paar Socken. Nach der unfreiwilligen Dusche im Regen war ihm sicher kalt. Mit der Kleidung verzog er sich ins Bad, um sich umzuziehen. Derweil stand ich in der Küche und kochte – noch so ein leidenschaftliches Hobby von mir. Meine gesamte Verwandtschaft war in vielen Dingen gleichzeitig begabt. In dem Top duftete es wunderbar nach Tomatensoße, in dem anderen blubberten die Spaghetti fröhlich vor sich hin. Ich probierte von der Soße und seufzte. Was er wohl dazu sagen würde...? Ich war wirklich gespannt auf seine Reaktion. Denn ich hatte schon lange nicht mehr gekocht, das lohnte sich für eine Person alleine einfach nicht. Gut, hin und wieder gab es warme Kartoffeln mit Quark, oder ich machte einen Nudelsalat, der für einige Tage reichte, aber sonst hatte ich die Küche eigentlich nie in Betrieb. Außer wenn jemand zu Besuch kam, so wie jetzt. Gerade als ich den Tisch deckte, tauchte er im Türrahmen auf. Ich bemerkte ihn erst, als ich mich umdrehte, um die Nudeln aufzutun. Ich lächelte, er hingegen hatte wieder seinen Scheißegalblick aufgesetzt. „Warum tust du das für mich?“, fragte er leise und runzelte die Stirn. „Was?“ „Na, das.“ Er zog an dem Pullover, der an ihm so viel besser aussah als an mir. Er war niedlich. Dann deutete er mit einer Hand anklagend auf die dampfenden Töpfe. Nun runzelte ich die Stirn. „Würdest du einem Jungen, der im Regen halb erfroren ist und noch dazu von irgendwelchen miesen Männern verfolgt wird, einfach so auf der Straße sitzen lassen?“ „Würdest du einen wildfremden Jungen einfach so bei dir aufnehmen, ohne zu wissen, was er angestellt hat?“, konterte er. „Womöglich hat er gemordet.“ Erschrocken blickte ich ihn an. „Hast du?“ Sogleich schüttelte er den Kopf, einen Sekundenbruchteil lang schlich sich ein blitzartiges Lächeln auf seine Lippen. Schließlich ließ er sich am Tisch nieder, ich ihm gegenüber. Schweigend begannen wir, die Spaghetti mit Gabel und Löffel aufzuwickeln und in unseren Mund zu befördern. Am Ende sahen wir aus wie zwei Clowns. „Wohl doch nicht die feine Art italienischer Restaurants“, schmunzelte ich, um die Situation ein wenig aufzulockern. „Naja, nicht jeder Mensch kann Tischmanieren haben...“, erwiderte er, und ich musste lachen. Ich griff nach meinem Glas und trank von der Apfelschorle. „Sag mal... Verrätst du mir deinen Namen?“ Sofort verschloss er sich, antwortete aber, etwas leiser vielleicht als zuvor: „Wenn du mir deinen auch verrätst...“ „Adrian.“ Ich lächelte und zeigte mit dem Finger auf mich. „Cain“, erwiderte er und tat das Gleiche bei sich. „Gut“, sagte ich und stand auf. Stapelte die Teller aufeinander und trug sie zur Spülmaschine. „Dann zeig ich dir jetzt wohl mal, wo du schlafen kannst.“ Cain wunderte sich, wie nett dieser Mann zu ihm war. Er hatte ihm nichts getan – noch nicht – aber trotzdem hatte er erwartet, diese Person hätte ihm ebenso gleichgültig hinterher gesehen als all die Passanten, denen er begegnet war, zuvor. Nach außen hin gab er sich für seine Verhältnisse fröhlich und mit sich und der Welt zufrieden, doch in seinem Innern stimmte etwas ganz und gar nicht. Sein Herz hatte von dem Moment an, als er Adrian das erste Mal gesehen hatte, einen schnelleren Rhythmus angenommen, und seitdem hatte es nicht mehr geruht. Das machte ihm Angst. Lass es darauf beruhen... Das hat nichts mit Liebe zu tun... Unwillkürlich überkam ihn ein Schauer und er schüttelte den Gedanken ab. Adrian war so viel netter als er. Dennoch fühlte er sich etwas unangenehm, als er dem jungen Mann in ein Zimmer führte, welches geradezu nach Aufräumen schrie. Überall standen voll bepackte Tüten und Kisten herum, Regale und Schränke drängten sich an den Wänden, verdeckten das Fenster beinahe ganz. „Hm“, machte Adrian und versuchte, sich einen Weg durch das Chaos hindurch zu wühlen. „Irgendwo hier gab es doch mal ein Sofa...“ Er schmunzelte angesichts dieser offensichtlichen Verpeiltheit, beschloss aber, ihm sein Lächeln nicht zu zeigen. Wer weiß, wie lange er hier noch blieb? Man soll den Tag bekanntlich nicht vor dem Abend loben. „Ah, da ist es ja!“ Glücklich über sich kramte Adrian die Couch und den Boden davor frei und klappte das Schlafsofa aus. Wie lange hatte Cain nicht mehr auf etwas Weichem geschlafen? „Tut mir Leid, aber das ist das Einzige was ich dir bieten kann“, sagte Adrian betreten und fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut. „Kein Problem“, sagte Cain mehr als froh. „Nun... Ich lass dich dann mal allein“, sagte er noch, dann verließ er das Zimmer. Steckte aber den Kopf noch einmal herein. „Wühl mal im Bad nebenan ein bisschen in den Schränken herum, da müsste noch eine neue Zahnbürste rumliegen.“ Cain nickte und streckte sich erst einmal auf dem Sofa aus. Atmete tief durch. Es war schon lange her, seit er eine ruhige Nacht gehabt hatte. Ständig hatten ihn diese Leute, deren Namen er nicht kannte, nachts aus dem Bett geholt und zu irgendwelchen wissenschaftlichen Tests geführt. Als wäre er ein Versuchsobjekt. Er machte sich im Bad frisch, fand sogar die Zahnbürste und eine Urlaubstube Zahncreme, dann legte er die Kleidung ab und legte sich, mit Boxershorts bekleidet, auf das Sofa. In der Zwischenzeit hatte Adrian ein Laken darüber ausgebreitet und eine Federdecke plus Kissen dagelassen. Seufzend ließ er sich in das provisorische Bett fallen und deckte sich bis zur Nasenspitze zu. Durch das Fenster konnte er den dunkelblauen Himmel mit den leuchtenden Sternen sehen. Er war zwar nicht der Typ, der auf romantische Dinge stand, aber mittlerweile dankte er dem Nachthimmel aus tiefstem Herzen; er hatte begonnen, den Tag zu hassen, da konnte ihn jeder sehen. Da fühlte er sich beobachtet und nackt. Als letztes, bevor er einschlief, stellte er zufrieden fest, dass er hier wohl eine Weile sicher verborgen bleiben würde. Keine Tests mehr. Er seufzte zufrieden. Am Morgen darauf wachte ich mit dem Sonnenaufgang auf. Umbrella winselte mir ins Ohr und schlabberte an meiner Wange herum. Gähnend drehte ich mich auf die andere Seite und warf einen Blick auf den Wecker. Halb fünf. Ich seufzte. „Lass das, Hund“, stöhnte ich, als sie fortfuhr, mein Gesicht zu waschen. Als ich sie aus dem Zimmer gescheucht hatte, konnte ich jedoch nicht mehr einschlafen und stand genervt auf. Das war ja mal wieder ein klasse Tagesbeginn. Müde tapste ich in die Küche und stellte die Kaffeemaschine an. Ich ging nach draußen und holte die Zeitung aus dem Briefkasten. Über Nacht musste es wieder geregnet haben, auf den Autos lagen Wassertropfen und die Teerstraße war dunkler als normal. Mit der Zeitung ging ich ins Bad, das sehr groß war, wie der Rest der Räume. Wäre auch nur ein Raum kleiner gewesen, wäre ich hier gar nicht erst eingezogen. Ich bin extremer Neurotiker. Nach der Morgentoilette setzte ich mich gemütlich im Morgenmantel mit Kaffee und Zeitung an den Tisch und begann zu lesen. Dabei hatte ich die Lesebrille aufgesetzt. Die Küchenuhr tickte vor sich hin, und als die Zeiger auf viertel nach Fünf standen, tat sich auch langsam etwas in Richtung des Abstellzimmers, wo Cain schlief. Als der Junge, in einem von meinen Morgenmänteln gehüllt, ebenfalls die Augen reibend in der Küche auftauchte, sah ich auf. „Ah, die Schlafmütze wird auch mal wach“, neckte ich ihn sanft. Er murmelte etwas Unverständliches und setzte sich scheu auf den anderen Stuhl. Ich stand auf und machte ihm einen Becher Kakao. Kaum hatte ich die Tasse abgestellt, klingelte das altmodische Telefon im Flur, das ebenfalls noch aus der Zeit meiner Großmutter stammte. Ich hob den Hörer ab und meldete mich mit meinem Namen. „Guten Morgen, Adrian, entschuldigen Sie bitte, Sie so früh stören zu müssen...“ Ich lächelte bei der Stimme. „Keine Sorge, Frau Mittelmeier, ich bin schon seit einer Dreiviertelstunde wach.“ Ein erleichtertes Seufzen am anderen Ende der Leitung. „Da bin ich aber froh. Mein Mann fühlt sich heute nicht so gut und wollte Sie bitten, Ihre Schicht heute etwas früher zu beginnen... Natürlich erhalten sie den Lohn ausgezahlt...“ „Gerne doch“, nickte ich und fummelte an dem geringelten Kabel des schmutzig gelben Telefons herum. „Vielen Dank! Sie haben ja den Schlüssel. Auf Wiederhören!“ Sie legte auf. Ich ließ den Hörer auf die Gabel fallen und kam zurück in die Küche. Cain wich meinem Blick wie so oft schon aus, aber ich spürte seine Verwirrung. „Meine Arbeit. Du weißt schon, Geldeinnahmequelle. Von irgendetwas muss man ja leben.“ Er sah auf, musterte mich einen Augenblick, und nippte an seinem Kakao. „Jedenfalls muss ich etwas früher weg als geplant...“ Damit ging ich ins Schlafzimmer und zog mich um, kämmte mir im Bad die Haare und tupfte mir etwas von dem blöden Parfüm auf, das meine drei Jahre jüngere Schwester mir letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hatte, mit den Worten Damit du auch mal eine abkriegst. Die Flasche musste ich unbedingt bis zum nächsten Geburtstag leer kriegen, bevor sie wieder kam und sich beschwerte, dass ich ihr Geschenk ja gar nicht mochte. So sind Frauen eben. Um viertel vor Sechs zog ich die mittlerweile getrockneten Sneakers an und vergaß nicht, den Regenschirm einzustecken. Noch einmal kam ich in die Küche, wo Cain noch immer mit der Zeitung saß. „Ach ja, könntest du mit Umbrella ein wenig spazieren gehen? Normalerweise nehme ich sie immer mit, aber wenn ich die Aufräumarbeiten von meinem Chef übernehme, stört sie nur... Und lass die Tür zu dem Zimmer ganz hinten immer geschlossen, ja?“ Ich will nicht wissen, was Umbrella dort veranstalten würde, sobald die Tür zum Atelier auch nur einen Spalt offen stand. So verließ ich das Haus, nachdem ich ihm auch noch einen Hausschlüssel hinterlassen hatte, den ich sonst immer für den Notfall in meinem Portemonnaie trug. Zehn Minuten später stand ich vor dem Geschäft mit der Graffiti-Aufschrift „Farbwolke“ und schloss die Eingangstür auf und gleich wieder zu, nachdem ich eingetreten und die Rollos hochgezogen hatte. Dann machte ich mich ans Sortieren der Akten und Abrechnungen, ordnete neue Lieferungen in die Regale ein und wischte über die Verkaufstheke. Das „Farbwolke“ war ein Kunstshop, und so ziemlich das einzige Geschäft, das nicht nach Imbissbude aussah. Ich fragte mich schon seit Langem, warum Herr Mittelmeier ausgerechnet hier so ein Geschäft eröffnet hatte, doch es lief nun schon seit Jahren gut; es hatte einen guten Ruf, auch über das Dorf hinaus, und gerade hier in der Nähe wohnten viele Künstler, wegen der idyllischen Landschaft. Ausschließlich ältere natürlich. Außer mir. Über den Vormittag kamen Kunden herein gerauscht, suchten zielstrebig ihre Ecke oder ließen sich von mir beraten(allerdings nur wenige, da ich den meisten zu unerfahren wirkte), zückten die Portemonnaies und ließen die Kasse klingeln. Es war eigentlich so wie immer, abgesehen davon, dass ich halt noch zusätzlichen Papierkram erledigen musste, wie die eigenen Kassenbons gleich in den Ordner zu heften, um das nicht später am Abend erledigen zu müssen. Gegen Mittag war ich so fertig, dass ich mal zu Hause vorbeischaute. Kaum hatte ich den Schlüssel ins Schloss gesteckt und die Tür geöffnet, kam mir wütendes Gebrüll entgegen. Mir flogen die Ohren geradezu ab. „KOMM ENDLICH HER, DU VERDAMMTER KÖTER!“ Ich erstarrte und versuchte, mich von dem Schrei zu erholen, der durchs ganze Haus gehallt war und bestimmt die Nachbarn beim Mittagessen gestört haben musste. Dennoch lächelte ich, seine Stimme so laut zu hören. „WO BIST DU, MISTVIEH?!“ Vorsichtig setzte ich einen Fuß hinein und streifte mir Schuhe und Jacke ab. Kurz darauf kam Cain herein gestürzt, keuchend, jedoch erstarrend, als er mich entdeckte. Augenblicklich wandelte sich sein Gesichtsausdruck von wütend in schuldbewusst. Sein Blick wanderte zu Boden. „Tut mir Leid“, knirschte er. Ich lachte nur. „Schon okay!“ Ungläubig sah er mich an – seine schokobraunen Augen brannten sich in die meinen. Momentan hätte man nicht glauben können, einen entlaufenen, vielleicht sträflichen Jungen vor sich stehen zu haben. Auch dass jetzt tiefe Stirnrunzeln sein Gesicht überzogen war eigentlich schon zu viel Äußerung für seine Verhältnisse; soweit ich das beurteilen konnte. „Ich jage deinen Köter durchs Haus und du sagst, es ist okay?!“ Ich achtete nicht auf die Worte, nur auf den melodischen Laut. Ich freute mich, dass er endlich nicht nur leise, murmelnde Sätze von sich gab, sondern sich wie jeder andere Junge in seinem Alter benahm: Laut und sich über jede Kleinigkeit aufregend. Ich nickte nur, ging in die Küche und ließ mich auf einen Stuhl fallen. Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen und atmete tief aus. Dann kam auch schon Cain wieder herein. Als ich ihn wieder ansah, hatte er die Hände in die Hüften gestützt wie eine Mutter, die etwas ganz Bestimmtes wissen will. „Du bist echt komisch“, sagte er. „Du auch“, erwiderte ich. Er sagte nichts darauf und setzte sich ein wenig scheu mir gegenüber. Vor sich hin drucksend starrte er auf seine Hände, die er auf den Beinen liegen hatte. Neugierig betrachtete ich ihn. Sein magerer Körper brauchte dringend etwas zu essen. Ich klatschte in die Hände und stand wieder auf, worauf er fragend aufsah. Ich ließ aber im Unklaren, holte nur zwei Teller und Besteck heraus, Butter, Käse und Wurst aus dem Kühlschrank. Dazu zwei Gläser und die übliche Flasche Apfelschorle. „Iss was“, nickte ich ihm zu. Er schüttelte den Kopf und lief rot an – warum? „Keinen Hunger, danke.“ Ich hatte gute Laune. „Woah, der junge Herr lässt sich dazu herab, sich zu bedanken. Trotzdem darf ich den jungen Herrn darauf hinweisen, dass er dringend etwas essen sollte?“ Mit einer Handbewegung schloss ich seinen gesamten Körper ein, was als Antwort genügen sollte. „Aber – ich esse dir doch alles weg...“ Die letzten Worte kamen nur zischend und kaum verständlich aus seinem Mund, aber wie durch ein Wunder hörte ich schon aus seinem Ton heraus, was er sagte. „Nix da! Jetzt wird reingehauen, einkaufen kann man nachher immer noch!“ Er wurde wieder schweigsam und begann, langsam zu essen. „Nun erzähl doch mal“, wollte ich ihn zu einem Gespräch bewegen. „Woher kommst du? Und wer waren diese Leute?“ Augenblicklich hörte er mit dem Essen wieder auf. Seine groß gewordenen Augen sahen mich eindringlich an, und ich glaubte, etwas Feuchtes in ihnen zu sehen. Ich bereute meine Frage sofort. „Entschuldigung, ich woll–“ Weiter kam ich nicht, dann war er aufgesprungen und aus der Küche gelaufen. Ich hatte mich eben erhoben um ihm zu folgen, aber der Knall der Tür war eindeutig. Ich seufzte. War ich mal wieder zu weit gegangen? Fortsetzung folgt... Kapitel 3: Drei --------------- Titel: Blatt im Regen Autor: Keema-chan Disclaimer: Die gehören alle mir *_________* Teil: Drei Email: kyubimon1@gmx.de Warnung: Evt. lemon/lime, auf jeden Fall sap Kommentar: Puh, genau eine Woche nach dem letzten Kapitel xD Okay, ich geb's zu, ich konnte euch das neue Kapitel nicht vorenthalten u.u' Gut, aber ich bitte euch, wenigstens einen Kommi zu hinterlassen, von wegen "Gefällt mir" - das reicht doch schon T^T Ich würd nur gern wissen, wer das hier alles liest, weiß ja nicht, ob alle die FF auf ihrer Favoliste haben... *sfz* Nya, das nächste Kapitel könnte evt. etwas länger als eine Woche dauern, schon mal ne Warnung ^^' ____________________________________________________________________________ „Cain“, bat ich. „Cain, hör mir doch zu. Wenigstens nur eine Minute.“ Nichts. Kein einziges Geräusch, keine Regung war zu hören. Ein letztes Mal versuchte ich es noch, dann sagte ich leise: „ein letztes Mal, es tut mir Leid, Cain. Nur, dass du es weißt. Ich muss jetzt wieder zurück. Wenn du Hunger hast, nimm dir einfach etwas...“ Dann entfernte ich mich von der Tür des Abstellzimmers, kehrte aber noch einmal zurück. „Ach ja, ich nehme Umbrella mit, du brauchst dir also keine Sorgen zu machen, ihr über den Weg zu laufen oder mit ihr spazieren gehen zu müssen...“ Also schnappte ich mir, noch immer mit einem sehr schlechten Gewissen, Leine und Hund und verließ das Haus. Die Sonne strahlte auf die immer noch vom Nachtregen feuchte Straße herab und spiegelte so gar nicht wieder, was sich in meinem Inneren abspielte. Zum Einen wollte ich Cain nur zu gern erklären, dass es mir so unendlich Leid tat, ich ihm nicht zu nahe hatte treten wollen, aber ich hatte es doch schon versucht. Zum Anderen aber war ich ein wenig sauer, dass er alles die Goldwaage legte und sich dermaßen sehr zu Herzen nahm. Ich wusste, ich war eigentlich der Letzte, der ihn so ausfragen durfte, schließlich kannte ich ihn erst seit einem Tag oder weniger. Aber ich wüsste doch schon gern, wer die Leute waren, die ich rettete und bei mir wohnen ließ. Was war nur so Schlimmes geschehen, dass er solche Qualen erlitt, wenn man ihn danach fragte? Seufzend zog ich Umbrella in das Geschäft und hängte das Schild, das vorher das Wort „Geschlossen“ gezeigt hatte, um, sodass nun „Geöffnet“ darauf zu lesen war. Den Hund brachte ich in den hinteren Teil des Shops, wo ich auch meine Kleidung ablegte. Dann begrüßte ich den nächsten Kunden, dem ich bei der Auswahl von einem Starterset Aquarell helfen sollte. Nach zwei Stunden bereits begann mein Magen wieder zu knurren. Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr – ebenfalls ein Geschenk meiner aufmüpfigen kleinen Schwester. Es war kurz nach Vier. Kein Wunder, dass ich Hunger hatte, schließlich hatte ich, nachdem Cain aus der Küche gerannt war, keinen Bissen mehr anrühren können. Erst jetzt fiel mir ein, dass das Geschirr samt Nahrung noch auf dem Tisch stand, daneben die Flasche Apfelschorle, die sich langsam erwärmte. Ich verscheuchte den Gedanken und konzentrierte mich wieder auf das Gesamtverzeichnis der Haarpinsel, das ich immer zu Rate zog, wenn niemand im Geschäft war und ich mich ablenken wollte. Weitere zwei Stunden später wuselte Umbrella im Laden herum, und ich schloss die Tür von außen ab. Ich atmete tief ein – diese Regenluft tat einfach nur gut. Auf dem Weg nach Hause ging ich absichtlich langsam und nahm sogar einen Umweg. So war ich noch unterwegs auf einem kleinen Schaufenstertrip, stand aber wohl oder übel irgendwann auf der Stufe vor der Haustür. Ich öffnete den Briefkasten und holte die Post heraus. Vorsichtig steckte ich den Schlüssel ins Türschloss. Ich zögerte. Quatsch, Adrian, dachte ich, das hier ist dein Haus! Warum gehst du nicht einfach rein? Also schloss ich auf, Umbrella stürmte einem Wirbelwind gleich in die Küche, wahrscheinlich dem Geruch der vor sich dahin vegetierenden Salami hinterher. Aber als ich mich von Jacke und Schuhen befreit hatte, erlebte ich eine Überraschung: Der Tisch war ordentlich aufgeräumt, es stand sogar eine kleine Glasvase mit Blumen in der Mitte. Und die Setterdame umsprang niemand anderen als – Cain. Er blickte mich mit geradezu schüchternen Augen an und hatte sich an die Theke gelehnt. Er lächelte unsicher. „Hallo... Adrian.“ Bei seiner Stimme lief mir unwillkürlich ein Schauer über den Rücken. Doch so leicht wollte ich ihm sein Lächeln nicht abnehmen. „Hallo, Cain“, erwiderte ich zögerlich. „Schön, dass du den Tisch frei geräumt hast. Danke.“ Er winkte ab – eine ungewöhnliche Geste, die nicht zu seiner gespielt lässigen Körperhaltung passen wollte. „Kleinigkeit.“ Schweigend schob ich eine Tiefkühlpizza in den Ofen – zum Kochen war ich nicht in der Laune. Das hätte ganz sicher grauenvoll geschmeckt, und das wollte ich dem Jungen nicht zumuten. So saßen wir dann am Tisch und knabberten stumm an unserem Pizzastück herum. Der Käse klebte zäh in meinem Mund, die Oliven schmeckten lasch und ohne jeglichen Geschmack. „‘Tschuldigung“, platzte es schließlich aus Cains Mund heraus. Ich sah auf. „Für was?“ „Na, dass ich mich so blöd benommen habe...“ Eine kurze Pause. „Ich würde dir wirklich gern erzählen, was passiert ist...“ Eine glatte Lüge. „Ich brauche nur etwas Zeit.“ Ich nickte. „Verständlich.“ Ich wollte nicht gekränkt sein – aber ich konnte es einfach nicht verhindern. Als die Pizza aufgegessen und die Gläser geleert waren, erhob sich Cain und streckte sich ausgiebig. Er blinzelte, und ich sah ihn fragend an. „Ich dachte mir, ich könnte wieder gutmachen, was ich heute Vormittag verbockt hab...“ Sein absolut unschuldiges Lächeln ließ mich erschaudern, und ich wandte schnell den Blick ab, war nicht imstande, den Blickkontakt zu halten. Ein unangenehmes Zwicken in der Brustgegend machte mich darauf aufmerksam, dass ich wahrscheinlich mehr von ihm wollte als den bloßen Kontakt... Cain sah mich noch einmal an, dann fing er an, durchs Haus zu stromern, um nach Umbrella zu suchen. Ich blieb sprachlos am Tisch sitzen und starrte den leeren Teller vor mir an, legte die Hände an die Schläfen, als hätte ich Kopfschmerzen. Ich hätte es fast vergessen zu erwähnen. Ich war schwul. Ich hasste dieses Wort, es klang so aussätzig und grauenvoll; ich hatte es noch nie gewagt, es in den Mund zu nehmen. Und doch konnte ich mir selbst die Wahrheit nicht verleugnen – der Grund, warum meine Schwester stets besorgt um mich war, immer nachfragte, wie es meiner Freundin gehe, die ich doch noch nicht einmal hatte, der Grund, warum ich nie in ‚normale‘ Bars gegangen war – er war schlicht und einfach der, dass ich mich nur in Jungen verliebte. Die Erkenntnis, dass ich womöglich ‚etwas von Cain wollte‘ – schon wieder so ein blöder Ausdruck – schwebte momentan noch sehr unsicher in mir herum. Und machte mir beinahe Angst. Ich hatte mich schon oft zu Jungen hingezogen gefühlt, mit anderen Typen in der Gaybar über sie geschwärmt, aber solche Schmetterlinge hatte ich noch nie gespürt. Ein lautes Bellen und Cains Geschrei hallten durch das Haus. Abrupt sprang ich auf und folgte den Geräuschen. Ich fand die beiden im Abstellzimmer; Cain hatte sich in einem Winkel hinter dem Schlafsofa verkrochen, nur der Hügel, der von der Wolldecke verhüllt wurde, zeugte von seiner Anwesenheit. Umbrella versuchte mit lautstarkem Winseln, an ihn heranzukommen. Lachend kam ich herein und packte die Hündin am dunkelroten Lederhalsband, zog sie sanft aber bestimmt zu mir heran. „Du kannst rauskommen“, kicherte ich, die eine Hand vor dem Mund. Kurz regte sich der Hügel, dann ertönte die Stimme des Jungen: „B... Bist du dir sicher?!“ Aber ohne eine Antwort abzuwarten, kam er hervor und lehnte sich leicht gegen das Sofa, atmete schneller als sonst. Umbrella versuchte sich loszureißen, aber ich hielt sie eisern fest. „D – Dieses Vieh!“ Anklagend zeigte er mit dem Finger auf den Hund neben mir. „Dieses Vieh hat mir aufgelauert!“ Sein Zittern war mir wohl aufgefallen. Ein leises Lächeln huschte über meine Züge, von ihm unbemerkt. Zum Glück. „Sie mag dich“, sagte ich unnötigerweise. Ein unwilliges Grummeln seinerseits. Dann forderte ich ihn mit einer Geste auf, sich von der Decke zu befreien; ich hörte, wie er mir folgte. „Ich glaube, ich komme besser mit“, schmunzelte ich, und wir zogen uns im Flur an, wobei Cain regelmäßig den Sicherheitsabstand zu Umbrella überprüfte. Auf der Straße herrschte, wie so oft, Einsamkeit. Langsam wurde es mir unheimlich. Warum kamen die Leute nie heraus, wenn die Sonne gerade mal nicht so viel für dieses Dorf übrig hatte? Umbrella lief leinenlos ein paar Meter vor uns, beschnüffelte hin und wieder eine der gerade angehenden Straßenlaternen. Ein Auto fuhr die Straße entlang, mit den Rädern die Pfützen aufspritzend. „Kann es sein, dass du wirklich Angst vor Hunden hast?“, fragte ich Cain. Ohne den Blick von seinen Füßen zu nehmen, nickte er. „Schon immer, eigentlich...“ „Warum wolltest du dann allein mit ihr rausgehen?“ „Naja...“ Er murmelte kaum verständlich. „Schließlich muss ich mich ja irgendwie revanchieren...“ Ich lächelte und winkte ab, aber er ließ sich davon nicht beeindrucken. Die nächsten Minuten gingen wir schweigend nebeneinander her. Die eine Hand hatte ich in der Hosentasche, in der anderen hielt ich die Leine. Cain hob seinen Blick nicht einmal. Ich hätte zu gerne gewusst, was in ihm vorging... Plötzlich hielt Cain an, ich blieb zwei Meter vor ihm stehen. Knapp vor uns untersuchte Umbrella etwas und stieß es mit der Pfote an. Ihre Nase hing tief über dem Boden. Mit einem lauten Schrei, der mich erschrocken zusammenfahren ließ, stürzte der Junge auf die Hündin zu, die sogleich etwas verängstigt zurückwich und die Ohren leicht nach hinten legte. Cain hockte sich dorthin, wo sie gerade geschnuppert hatte, und hob etwas sehr vorsichtig, als wäre es zerbrechlich, mit beiden Händen hoch. Vorsichtig ging ich zu ihm hin, hielt Umbrella auf Abstand von uns. Erst dann öffnete er seine Hände und ich konnte sehen, was sich darin befand. Dort, auf seinen Handflächen, lag ein winziger Vogel. Er war ganz nass, als hätte es eben erst geregnet, und fiepte schrill. Ich schaute nach oben, aber neben uns stand kein Baum, von dem er hätte fallen können. Ich runzelte die Stirn. „Ich nehme ihn mit“, sagte Cain leise und mit einer solchen Entschlossenheit, die ich noch gar nicht von ihm kannte. „Ähm...“, wollte ich einwenden, doch ich erntete nur einen blitzenden Blick und schwieg lieber. Langsam aber sicher tauschten wir die Rollen. So kam es, dass wir wieder nach Hause gingen, er den Vogel in den Händen, ich mit der angeleinten Umbrella hinterher, und ich die Tür wieder aufschloss. Er stürmte geradezu hinein, nachdem er die Schuhe achtlos draußen stehen gelassen hatte, und gleich ins Bad, um was weiß ich mit dem Tier anzustellen. Derweil deckte ich den Tisch für das Abendessen. Als Cain wiederkam, trug er ein großes Handtuch auf den Armen, in dessen Tiefen vermutlich irgendwo der Vogel stecken musste. Jedoch regte sich nichts. Ich wies ihn an, sich zu setzen. Wohlbehütet legte er das Bündel neben seinen Teller und begann schweigsam zu essen. Hin und wieder warf er einen prüfenden Blick auf das Pack. Ich war erstaunt, mit was für einer Fürsorge sich der Junge um das winzige Tier kümmerte. Andere hätten das Ding überhört und wären weitergegangen, weil es ohnehin nicht viel Hoffnung auf ein Überleben gegeben hätte; Cain aber kümmerte sich darum. Er schien eine Kämpfernatur zu sein. „Äh... Cain?“ Er schaute zu mir auf. „Was hast du jetzt vor mit dem Kleinen?“ Lebt er überhaupt noch? wollte ich hinzufügen, aber das wäre dann doch etwas taktlos gewesen. Einen Moment schwieg Cain, rang sich dann aber doch zu einer gemurmelten Antwort durch. „Ein Freund hat immer gesagt... man solle unschuldiges Leben retten, egal, was es kostet.“ „Das war keine Antwort auf meine Frage“, erwiderte ich sanft. „Na, nach was sieht’s denn aus“, fauchte er plötzlich. „Ich werde den Vogel aufpäppeln und wieder ins Freie bringen.“ „Tut mir Leid, wenn ich dir zu nahe getreten bin...“ Wieder ruhte die Stille wie ein großes Tuch über uns. Man konnte die Uhr an der Wand ticken hören, und die Anzeige an der Mikrowelle blinkte immer noch. „War nicht deine Schuld. Ich muss mich entschuldigen.“ Er seufzte schwer und starrte die Holzmaserung des Tisches an. „Aber so bin ich nun mal. Es ist, als hätte ich zwei Seiten...“ Irgendwie wirkte er zerknirscht. „Ist kein Problem“, zögerte ich. „Jeder hat mal... kritische Phasen.“ Obwohl sie bei ihm ganz besonders oft vorkamen, fügte ich in Gedanken hinzu. Cain stand auf und nahm vorsichtig wieder das Handtuch mit dem Vogel darin an sich. „Ich gehe dann mal schlafen...“ „Gute Nacht“, sagte ich nur. Er war schon halb aus der Küche verschwunden, als ich ihn noch einmal zurückrief. „Ach, Cain? Morgen Vormittag habe ich mir frei genommen. Du brauchst dringend neue, eigene Kleidung, wenn du weiterhin bei mir wohnen willst.“ Ich grinste. Fortsetzung folgt... Kapitel 4: Vier --------------- Titel: Blatt im Regen Autor: Keema-chan Disclaimer: Die gehören alle mir *_________* Teil: Vier Email: kyubimon1@gmx.de Warnung: Evt. lemon/lime, auf jeden Fall sap Kommentar: ... Okay, ich weiß, dass ich mir so ziemlich viel Zeit gelassen habe... Aber ich hatte ne Zeit lang das Gefühl, dass sich niemand dafür interessiert, und dann war ich auch noch im Urlaub - gestern bin ich erst wieder gekommen. Dennoch hab ich da weitergeschrieben und gleich gestern aufn PC gebracht :3 Ich mag das Kapitel, da wird zum ersten Mal klar, warum ich ausgerechnet diesen Titel gewählt habe xD Viel Spaß ^____^ ____________________________________________________________________________ Der Sitz unter ihm vibrierte fürchterlich. Der Bus war eine dieser uralten Klapperkisten, bei denen man schon von ihrem Aussehen Angst bekam. Cain hatte diese Transportmittel nie gemocht. Überhaupt hasste er die technische Fortbewegung, ja, die gesamte Technik widerte ihn an. Sie war schuld. Sie hatte ihm sein Leben genommen. Alles. „Alles in Ordnung mit dir?“ Da war es wieder – dieses unglaublich freundliche Gesicht des Mannes. Adrian. Der Name kam ihm immer noch fremd vor. Er deutete ein Nicken an und schaute wieder aus dem Fenster. Die Landschaft rauschte nur so an ihm vorbei, weite Rapsfelder und Baumschulen säumten das Land. Laub bedeckte den Boden und wurde von den Reifen des Busses aufgewirbelt. Einige verfingen sich in den Radkappen des Fahrzeugs und erzeugten ein kaum hörbares Knistern. Aber Cains Sinne waren geschärft. Wir verließen den Bus, und das erste Mal seit der Dreiviertelstunde wagte ich es, meinen Blick wieder auf Cain zu richten. Der Junge war weiß wie ein Leichnam, dunkle Schatten lagen unter seinen Augen. Ich zweifelte immer noch, dass es ihm gut ging. Trotz seiner Aussage. „Hey.“ Ich pikste ihm in die Seite. „Genieß den Tag, ja?“ Seine Augen richteten sich auf mich, und wieder nickte er andeutungsweise. Ich war nicht sehr überzeugt. Die Straße war von der Sonne beschienen – ein seltener Anblick in dieser Jahreszeit. Zum Glück war zu dieser Stunde am Vormittag noch nicht so viel los, erst am Nachmittag zog es die meisten Leute in die Stadt. Wir befanden uns in der nächsten größeren Stadt, in der es eine Einkaufsmeile gab; in dem kleinen Dorf hätte man noch nicht einmal ein Paar anständiger Socken gefunden. Auch wenn man diesen Ort nicht als riesengroße Stadt bezeichnen konnte, so genoss sie doch einen gewissen Ruf in der Umgebung. Ich steuerte als erstes einen großen Laden an, in dem es so ziemlich alles an Klamotten gab. Irgendjemand hatte vergessen, dass es bereits Herbst und nicht mehr Sommer war – die Klimaanlage lief nämlich auf Hochtouren. Ich zog meinen Schal höher. Die Ständer und Regale mit der Kleidung wurden regelrecht von mir überfallen. Ich wühlte und suchte, bis ich nachher sowohl mich als auch Cain mit in Frage kommenden Klamotten eingedeckt hatte. Dann ging ich voraus, um eine Umkleidekabine aufzusuchen. Cain hielt sich die ganze Zeit diskret im Hintergrund; anscheinend wagte er es nicht, meinen Kaufrausch zu unterbrechen. Und dabei war es noch nicht einmal für mich, außerdem hatte ich ein nicht gerade großes Budget, das uns zur Verfügung stand. Er sollte sich freuen. Ich konnte seine rot angehauchten Wangen sehen, als wir die Hosen und Pullover hinein hängten. Ich konnte es ihm nicht verdenken; bei den misstrauischen Blicken der anderen Leute mussten die uns regelrecht für verrückt erklären. War hier etwa schon eine ordentliche Auswahl an Kleidung verboten worden, ohne dass ich es mitbekommen hatte?! Es dauerte eine Weile, bis wir endlich halbwegs passende Klamotten gefunden hatten, denn Cain war so dünn, dass es schon an mehr als nur Untergewicht grenzte. Wir mussten die Kleidung der Größe S sogar noch in die Änderungsschneiderei bringen, damit sie ihm nicht ständig um Arme und Beine schlabberte. Ich hörte ihn etwas erschöpft durchatmen. „Was denn, schon müde?“, grinste ich. Er warf mir einen glühenden Blick zu. Bis in den Mittag hinein waren wir mit der Shoppingtour beschäftigt. Am Ende trugen wir fünf vollbepackte Tüten mit Hosen, Pullovern, Socken, Unterwäsche, Mützen, Schals und dergleichen. Außerdem ein schwarzer Parka mit Gürtel, den ich mir nicht hatte nehmen lassen können. Er sah einfach wundervoll in dem Teil aus. Er hatte dieses Kompliment mit einem Schulterzucken angenommen. Nun saßen wir in einem Café und schauten in die Speisekarte. Natürlich gab es hier kein großes Mittagessen, dafür hätte mein Geld auch gar nicht mehr gereicht. Ein Snack musste genügen. Nach ein paar weiteren Minuten hatte jeder von uns ein kleines, überbackenes Baguette vor sich stehen. Herzhaft biss ich in meines hinein, während Cain seines nicht einmal eines Blickes würdigte. Überhaupt war er den Vormittag über sehr schweigsam gewesen, mehr als sonst; das mochte schon etwas heißen. „Hey... Was ist denn nur los?“, fragte ich sanft. Er sah mich mit seinen durchdringenden Augen an. Wieder musste ich daran denken, dass er kein netter Nachbarsjunge war, dem man eben so ein paar Geschenke machte. „Du fragst mich, was los ist?“, erwiderte er sarkastisch. „Nichts ist los.“ Sein Gesichtsausdruck war unbeschreiblich in diesem Moment. Ich war am Verzweifeln. Es dämmerte bereits, als wir wieder zu Hause ankamen. Die Arme hingen uns schwer herunter vom Gewicht der Tragetaschen; ich stellte mein Gepäck ab und schloss die Tür auf. Mit einem leisen Klicken sprang das Schloss auf, und wir betraten hintereinander das Haus. Sofort sprang uns Umbrella entgegen, Cain wich ihr geflissentlich aus, ließ seine Tüten achtlos zu Boden fallen und stürzte geradezu in die Abstellkammer, die sein improvisiertes neues Zimmer darstellte. Ich schüttelte, lächelnd über meine eigene, viel zu große Gutmütigkeit, den Kopf. Warum, verdammt, hatte ich diesen Jungen bei mir aufgenommen? Eines stand jedenfalls fest: Wenn ich je in einem Krankenhaus würde arbeiten wollen, was sowieso nie passieren wird, sollte ich schleunigst mein Gluckenbedürfnis ablegen. Anhänglichkeit zu Fremden bekam mir anscheinend nicht gut – es handelte nur unnötigen Ärger ein. Ich brachte die Einkäufe ins Wohnzimmer und stellte sie auf den Boden neben das Sofa. Fröhlich bellend kam die Setterdame in den Raum getrabt und verlangte, gekrault zu werden. Daraus sollte jedoch nichts werden. Ein lauter Schrei gellte durch das Haus, und sowohl ich als auch die schwarze Hündin fuhren erschrocken zusammen. Nur eine halbe Minute später stand ich, an den Türrahmen gelehnt, im Abstellzimmer. Das Lächeln war mir vergangen; Cain hockte mit eingezogenem Kopf und aufgestützten Ellbogen auf der Sofalehne, raufte sich die Haare, während leise, kaum zu vernehmende Schluchzer zu hören waren. Neben ihm lag das Handtuchbündel. Ich wusste fast sofort, was passiert war. Meine Vermutung bestätigten einige, bereits getrocknete Flecken einer Flüssigkeit auf dem Boden. Rostbraun. „Oh Mann“, murmelte ich, ging zu Cain hinüber und nahm ihn kurzerhand in den Arm. Einen Moment lang verharrte er so, dann begann er zu zittern wie ein kaputter Kühlschrank; er riss sich aus der Umarmung und starrte mich mit seltsam leerem Blick aus seinen geschwollenen, geröteten Augen an. Ich trat einen Schritt zurück und musterte ihn besorgt. Verdammt, dieses Schlottern! Was habe ich ihm getan? Oder ist es etwas Anderes? Nach einem unmessbaren Augenblick stand er auf, packte das Bündel und hielt es mir vor die Nase. Es war leer. „Siehst du, was das ist, Adrian?“ Erst jetzt erkannte ich, dass auch auf dem Handtuch einige Blutspuren zu sehen waren. „Siehst du es? Zögernd wandte ich den Blick davon ab, ließ ihn über die Flecken am Boden wandern. Stoppte abrupt unter der Heizung. Dort lag – wie zu erwarten war – der tote Jungvogel. Seine Flügel waren ausgebreitet, der Schnabel leicht geöffnet. Die Augen waren aufgerissen, als habe er in den letzten Momenten seines viel zu kurzen Lebens Todesangst durchgestanden. Ganz langsam, um niemanden zu erschrecken, ging ich auf die Heizung zu. Meine Augen weiteten sich vor Schreck. Dort, wo das Messgerät an der Heizung befestigt war, welches den Verbrauch der Heizflüssigkeit anzeigte, befand sich ein kleines Büschel Fellhaare. Schwarzer Fellhaare. Ganz gewiss, ganz gewiss hatte er jetzt einen Schock erlitten. Da war ich mir so ziemlich sicher. Auch wenn es außerhalb meiner Vorstellungskraft lag, warum jemand wegen eines verstorbenen Wildtiers so niedergeschlagen, depressiv werden konnte. Traurig, ja – aber nicht so, dass man nur noch aus dem Bett kam, wenn man auf die Toilette musste. Oder Hunger hatte. Was ich jedoch nicht bemerkte, weil er sich wahrscheinlich am Kühlschrank bediente, wenn ich arbeiten war. Bald würde ich depressiv werden, da ich schon alles Mögliche versucht hatte, um ihn wieder an die frische Luft zu kriegen. Aber am meisten hatte er wahrscheinlich Angst vor Umbrella. Der großen, schwarzen, bärbeißigen Umbrella. Einerseits tat sie mir sehr Leid. Sie hatte wohl bemerkt, dass sie von nun den absoluten Nullpunkt auf dem Sympathiethermometer von Cain erreicht hatte. Sie wagte es zwar nicht mehr, so wie vorher, bellend und winselnd vor seiner Tür zu hocken und ihre Krallen an dem weiß gestrichenen Holz zu wetzen, aber nun saß sie stumm am Boden, den Kopf zwischen den Vorderpfoten, vor sich hin starrend. Und das oft stundenlang. Die Freundschaft zwischen Cain und dem Hund, wenn sie überhaupt jemals bestanden hatte, war nun endgültig zerstört. Daran konnte ich auch nichts ändern. „Verkauf die Töle!“, hatte ich schon mindestens achtunddreißigmal als Antwort auf meine vielen Aufmunterungsversuche bekommen. Ich seufzte. Umbrella verkaufen? Sie war ein Erbstück meiner Großmutter... Entschieden schüttelte ich den Kopf. Niemals könnte ich ihr so etwas antun. Sicher nicht. Und überhaupt... Warum verließ er nicht das Haus? Wenn ihn alles so sehr störte, warum ging er nicht einfach? Lodernde Wut stieg in mir auf. Ich ließ das Glas, aus dem ich gerade hatte trinken wollen, aus Versehen fallen. Nein, nicht aus Versehen. Vor Zorn. Hatte sich jetzt die gesamte Welt gegen mich verschworen? Wäre ich doch bloß nie auf diesen Jungen gekommen... Nachdenklich, mit einem neuen Glas Wasser in der Hand, setzte ich mich auf die Fensterbank und atmete die frische Luft ein, die durchs weit geöffnete Fenster herein strömte. Ich nahm einen Schluck und fühlte mich gleich etwas besser. Die Blätter an dem Gingko, der am Straßenrand stand, wanden sich unter der Kraft des Windes, raschelten dabei leise. Ich trank noch etwas und wunderte mich, warum der Baum sein Grün noch nicht verloren hatte. Als einziger in dem Dorf musste er noch so grün wie im Frühling sein. Ich holte aus meiner Hosentasche den MP3-Player heraus, den ich fast immer dabei hatte, aber nie benutzte. Ebenfalls ein Geschenk meiner Schwester. Diesmal zu Weihnachten. Ich steckte mir die Stöpsel in die Ohren und drehte auf volle Lautstärke. Hörst du der Winde Schreie? Der Bäume Knurren? Des Grases Fauchen, der Pilze Winseln? Lausche gut, hör hin, denn bald Verstummt das Lied Das Lied des Regens. Der Wolken Löcher Der Stämme Knarren Horche den Tropfen, Die Welten erstarren Er lässt keine Ruhe Der Regen. Mein Blick hing an den Blättern des Gingkos fest, wie gebannt starrte ich auf die gewaltige Pflanze. Das Lied einer nicht allzu bekannten Band weckte in mir eine leise Wehmut. Siehst du das Blatt? Das sich windet im Fadenspiel? Dessen Versuche, zu entkommen So kläglich scheitern? Es gibt kein Zurück The Rain is holding. Kein Entrinnen, nichts ist leicht Doch gib nicht auf – Du musst nur deinem Schicksal entgegentreten. Die letzten Worte waren nach Wiederholung der ersten Strophe gesprochen worden, und sie waren es, die etwas in mir lösten. Etwas in meinem Kopf machte Klick, und plötzlich war sie da: die Gewissheit, dass mit Cain etwas ganz und gar nicht stimmte. Ich wusste, er verbarg etwas, ein Geheimnis, und bis jetzt hatte er noch nicht so viel Vertrauen zu mir gewonnen, dass er mir davon hätte erzählen können. Vermutlich hatte er es noch niemandem gesagt. Keiner wusste davon, und der Junge wollte es auch dabei belassen. Er verkroch sich in seiner eigenen Wut, Trauer, oder was auch immer es war, vielleicht auch Angst, und ließ sich wie das Blatt im Regen treiben. Aber Cain war kein Blatt! Er war ein Mensch, und er hatte zwar nicht die Gabe, dieses – schreckliche – Geheimnis seiner Vergangenheit zu vergessen oder rückgängig zu machen, aber er konnte ihm entgegentreten, sich seiner Vergangenheit stellen; er sollte beweisen, dass er kein hilfloses Blatt war. Noch trieb er im Regen – doch ich wusste, dass er das ändern konnte. Genau wie jeder andere auch. Fortsetzung folgt... Kapitel 5: Fünf --------------- Titel: Blatt im Regen Autor: -Scarecrow- Disclaimer: Die gehören alle mir *_________* Teil: Fünf Email: kyubimon1@gmx.de Warnung: Evt. lemon/lime, auf jeden Fall sap Kommentar: Joa, der nächste Teil, ne? Den hatte ich schon seit ungefähr 'ner Woche fertig, aber war zu faul, ihn hochzuladen xD Viel Spaß beim Lesen ^______^ ____________________________________________________________________________ Stimmungsschwankungen. Wie er sie hasste. Und doch konnte er nichts dagegen ausrichten, er trug keine Schuld an dem, was ihm widerfahren war, was sie ausgelöst hatte. Kein Stück. Nicht mal einen Krümel hatte er Schuld – und trotzdem hatte er so darunter zu leiden wie die wirklichen Schuldigen, die sich übrigens keinen Hehl daraus machten. So viele waren ja auch nicht mehr übrig. Diese Wellen der Launen, auf denen er trieb, mal hoch in die Luft geschleudert, mal fast am Abtauchen, waren mittlerweile so steil und unterschiedlich, dass er bald nicht mehr wusste, wie er sich wirklich fühlte. Er spürte seine wahren Gefühle nicht mehr; zu Anfang war es noch nicht so schlimm gewesen, da hatte er sie nicht nach außen hin zeigen können. Das taten viele Menschen, die Unnahbaren, wie man sie insgeheim nannte, von daher war es nicht sonderlich aufgefallen. Aber dann hatte sich eine weitere Schicht darum gelegt: Jetzt blieben auch ihm selbst seine eigenen Gefühle verschlossen. Er war taub geworden. Ein wenig atemlos kam ich mit Umbrella heim. Die Schlüssel fielen mir zu Boden, ich hob sie wieder auf und legte sie auf dem kleinen Schuhschrank im Flur ab. Ich schnaubte in ein Taschentuch und ging dann in die Küche, um mir einen Tee zu kochen. Es waren noch fünf weitere Tage vergangen, in denen Cain nicht aus seinem Zimmer gekommen war, und draußen fielen die ersten Schneeflocken. Leicht routiniert klopfte ich jetzt jeden Morgen an seiner Tür und fragte, ob er herauskommen wollte. Die Antwort klang jedes Mal gleich. Ich hatte Angst, ihn bis Weihnachten nicht mehr hinaus bewegen zu können. Dabei feierte man dieses Fest doch mit seiner Familie... Ich würde nach Hause fahren, in eine Stadt, die drei Stunden von hier entfernt lag, und dort wie immer über die Feiertage bleiben. Aber nun war der Junge hier... Ich schluckte. Erst einmal gab es das Problem, wie ich Cain aus dem Zimmer bekam. Dann musste ich mir überlegen, wie ich ihn meinen Eltern und meiner Schwester erklären sollte... Ein langgezogenes Seufzen. Eine Tür knallte zu, und ich horchte auf. Hatte er eben sein Zimmer verlassen? Ich sprang von meinem Stuhl auf, ließ den Teebeutel, den ich gerade in die Tasse hatte tun wollen, fallen, und ich stürmte hinaus. Die Tür war geschlossen, aber man konnte sie öffnen. Das Zimmer dahinter war leer. Das Fenster sperrangelweit offen. Nachdem ich meinen ersten Schock überwunden hatte, hüpfte ich in Jacke und Schuhe, schnappte mir Regenschirm und Schlüssel und ließ die Haustür achtlos ins Schloss fallen. Erst sah ich mich auf der Straße um, dann lachte ich sarkastisch. Der Wind hatte die Tür zufallen lassen, doch auf der Fensterbank hatten ein paar Gingkoblätter gelegen; ein Zeichen dafür, dass er schon länger weg war. Meine Augen waren eng zusammengekniffen, es goss wie aus Eimern. Warum musste er sich immer so ein Sauwetter aussuchen? Die Straßenlaternen gingen an, es musste ungefähr sechs sein. Der Himmel war wolkenverhangen, der Wind fegte mir orkanartig ins Gesicht. Ich ließ mich davon nicht beirren, klappte hoffnungslos den Regenschirm zu, und rannte durch das gesamte Dorf, kämmte Gassen und Gärten durch, verjagte wilde Krähen, die sich an Mülleimern zu schaffen machten, klingelte an Häusern. Keine Spur von Cain. Irgendwann, nach ein paar Stunden, so kam es mir vor, ließ ich mich einfach auf einen Zaun fallen. Mit gebeugten Beinen hockte ich darauf und grübelte, wo er denn noch hätte hin laufen können! Er musste sich doch irgendwo in der Nähe aufhalten, so weit hatte er nicht kommen können! Oder vielmehr: Er hätte nicht so weit kommen dürfen... Es war sinnlos, bei dem Fadenregen weiter zu suchen, und so schlenderte ich resigniert und mit gesenkten Schultern zurück nach Hause. Abrupt blieb ich wieder stehen. Dort, am anderen Ende des Dorfes, gab es einen Wald... Ohne weiter nachzudenken rannte ich in selbige Richtung. Es dauerte seine Zeit, durch den dichten Regen zu laufen, und als ich endlich die ersten nahe beieinander stehenden Bäume erreichte, war ich so durchnässt, wie wenn ich mit Kleidung geduscht hätte. Ich ließ mich davon aber nicht beirren; das Einzige, was in diesem Moment zählte, war Cain. Mir war egal, was er von mir hielt, wenn er mir ins Gesicht sehen würde und fragte, warum ich nach ihm suchen gegangen war, würde ich ihm die Wahrheit sagen. Es ging nur langsam vorwärts, da ich mühsam Sträucher und Äste aus dem Weg schieben musste, die sogleich hinter mir wieder zuschnappten wie eine Falle. Mittlerweile war es dunkel geworden, nur noch ein bis zwei Stunden, bis es nachtschwarz sein würde. Ich musste ihn finden. So bahnte ich mir den Weg, schaute unter jedem Pilz nach, drehte jeden Steine einzeln um – natürlich nur im buchstäblichen Sinne. Es wird alles wieder gut, du wirst schon sehen... Als ich mich erschöpft, nachdem ich den halben Wald abgesucht hatte, auf einem Baumstumpf niederließ, verließ mich der Mut. Wie lange sollte ich noch nach ihm vergebens suchen, nur um danach wieder vollkommen enttäuscht nach Hause zu gehen? Was dachte ich mir eigentlich dabei, ihn suchen zu gehen? Schließlich war ich nicht für ihn verantwortlich... Ich schüttelte heftig den Kopf. Ich hatte mir eigenwillig die Verantwortung für ihn aufgeladen. Ich ließ ihn bei mir schlafen, bei mir essen; ich hatte ihm sogar Kleidung gekauft! Warum tat er das, verdammt?! Oder hing das Ganze mit seinem Geheimnis zusammen...? Ich seufzte schwer, ungeachtet des Wetters. Der Geruch von Moder hing in der Luft, meine Augen starrten regungslos auf den mit Moos bewachsenen Stamm, auf dem ich hockte. Ich machte mir selbst Vorwürfe. Zum wahrscheinlich hundertsten Mal fragte ich mich, warum er das getan hatte, warum war er so einfach abgehauen... Mich schmerzte der Gedanke, dass er es einfach so getan hatte, ohne vorher nachzudenken, dass ich ihm gar nichts bedeutete. Es tat weh. Das Rascheln der Blätter erinnerte mich wieder an das Lied... Dieses Lied, das fast deckungsgleich auf Cain zu passen schien. Wer hatte ihm diesen Namen gegeben? Es war kein gewöhnlicher Name... Wer hieß schon Cain? Eben: niemand. Nicht einmal einen Amerikaner hatte ich mit so einem Namen je gesehen, geschweige denn einen Deutschen, Wenn er denn einer war. Dieser Name kam doch höchstens in Fantasyfilmen oder Büchern vor... Ein Geräusch, das nicht so zur Waldkulisse passen wollte, ließ mich aufhorchen. War das ein... Tier? Ich stand auf und sah mich um – natürlich konnte man nichts sehen, es war aus einem Reflex heraus, wie es jeder Mensch zuerst tat. Vielleicht sah man ja doch etwas. Aber da war nichts. Noch einmal verklang der Laut, diesmal lauter. Ich suchte den Boden vor mir ab, wie ein Vogel auf Wurmjagd. So naiv konnte ja wirklich nur ich sein. Erst dann hob ich den Blick und suchte den Himmel ab; eher gesagt, die Baumkronen, die ihn verdeckten. Wassertropfen spritzten mir ins Gesicht, erschwerten mir die Sicht noch. Und endlich, als ich es ein drittes Mal hörte, konnte ich es zuordnen; und mir fiel ein unendlich schwerer Stein vom Herzen. Es war ein Schluchzen. Preisfrage: Wer kletterte bei strömendem Regen auf einen Baum, um zu weinen? Wer jetzt auf Charlie Chaplin tippt, hat falsch geraten. Es gibt einfach nur einen Jungen auf dieser Welt, der so etwas tat. Unüberlegt. Mit einem weiteren, lautlosen Seufzer auf den Lippen versuchte ich, möglichst genauso lautlos auf der anderen Seite des Baumstammes hinauf zu gelangen, damit er mich nicht vorher weder sah noch hörte. Eines jedenfalls war mir klar, als ich oben war: Er musste unglaubliche Kraft und Geschick haben. Meine Knie hätten unter mir bei dem Anblick nachgegeben, wenn ich gestanden hätte. Cain saß auf einem dicken Ast, die Beine herunter baumelnd, das Gesicht in den Händen vergraben. Man hätte ihn glatt für ein Mädchen halten können. Andere hätten jetzt gedacht: Mann, was für eine Lusche! Aber ich wusste, dass er eine harte Vergangenheit hinter sich haben musste, weshalb man ihn dafür nicht verurteilen durfte. Langsam und vorsichtig kam ich näher, machte jetzt absichtlich ein paar knackende Geräusche, damit er nachher nicht vor Schreck vom Baum fiel. Als ich fast neben ihm angelangt war, schloss ich ihn wie aus einem Reflex heraus in meine Arme. Er hob den Kopf, sah sich panisch nach beiden Seiten um; seine geröteten Augen weiteten sich, als er mich erkannte. Auch sein Haar war klitschnass und hing ihm in nassen Strähnen herunter. Er hatte Angst, so eine Angst wie schon lange nicht mehr. Plötzlich schien alles auf einmal auf ihn einzustürzen, die Bilder, die er so lange verdrängt hatte, verschlossen im hintersten Raum seines Gedächtnisses, aber immer noch vorhanden. Er bemerkte selbst nicht, wie die Tränen seine Wangen hinunter rollten; erst, als sich zwei warme, fast beschützende Arme um ihn legten, schrak er auf, bemerkte die Nässe auf seiner Haut. Eine unendliche Erleichterung erfasste ihn, als er Adrian erkannte – wie sehr hatte er gehofft, dass er kam, um ihn aus seiner Gedankenwelt zu befreien! Zitternd und aufschluchzend lehnte er seine Stirn an Adrians Brust, sog seinen Geruch ein. Es war ihm egal, dass die Regenjacke so nass war. Die Angst wich ein wenig aus ihm, hinterließ aber Spuren, wartete nun in einer dunklen Ecke wie ein lauerndes Raubtier, um ihn später wieder einzuholen. Die Arme schlangen sich nur noch fester um ihn, diese Wärme beruhigte ihn so. Ich konnte nicht davon ablassen, immer wieder beruhigend über seinen Rücken zu streichen. Immer und immer wieder. Es war wie ein Drang, ein Bedürfnis, das mich dazu trieb; und, ehrlich gesagt, war ich glücklich darüber. Nie hätte ich mir erträumen lassen, dass die Nähe eines anderen Jungen so angenehm sein konnte. Wieder stieg das flammende Gefühl in mir auf, ihn beschützen zu wollen. Seine Tränen wollten nicht aufhören zu fließen, seine Hände krallten sich in meine Jacke, als suchten sie Halt, als hätte er Angst, jeden Moment vom Baum zu stürzen. Mein Blick schweifte über seine Schulter hinweg, hinein in den dunklen, regennassen Wald; und plötzlich vernahm ich unter seinen Schluchzern seine ungewohnt hohe Stimme. „Warum nur... Warum hast... du mich nicht m-mitgenommen... Scar...“ Ich wandte den Kopf leicht in Richtung des seinen und streifte sein braunes, strähniges Haar mit der Nasenspitze. Er roch unheimlich gut... „Viel... lieber wäre ich j-jetzt – bei dir als hier... Alles ist besser als hier...“ Ein Stich durchfuhr mich, und unwillkürlich zuckte ich zurück. Was war das? Cain schaute auf, hob den Kopf sanft und schloss die Augen. Es war, als realisierte erst jetzt, wo und in welcher Lage er sich befand. Erst, als sich sein Atem beruhigte und er seinen Kopf wieder gegen meine Brust sinken ließ, wurde mir bewusst, wie erschöpft er sein musste. Es war ein schwieriges Unterfangen, ihn heil vom Baum herunter zu bringen, ohne ihn dabei zu wecken. Die Aktion kostete mich ganze fünfunddreißig Minuten. Meine Muskeln taten weh, ich benutzte sie nicht oft, aber ich riss mich zusammen. Schließlich musste ich ihn noch nach Hause tragen. Den Weg zurück dachte ich darüber nach, was jetzt eigentlich aus Cain werden sollte... Ich konnte ihm zwar eine Unterkunft geben, ihm ein Leben anbieten, aber er konnte nicht allein von mir abhängig sein. Es war kein Problem des Geldes – die Mittelmeiers, die Besitzer des Ladens, in dem ich arbeitete, waren großzügig, außerdem bekam ich monatlich einen Zuschuss meiner Familie, der allein schon gereicht hätte. Aber wollte Cain so weiterleben? Mit einer Last auf dem Herzen, mit der er sich keinem anvertrauen konnte? Es würde ihn stets in Träumen und Gedanken verfolgen, bis es ihn innerlich zerfraß und nur noch eine Hülle übrig blieb. Er musste sich dem stellen oder sich wenigstens davon ablenken; aber was sollte man schon tun, wenn er genau das nicht zuließ? Mein Marsch kam mir bei weitem nicht so lange vor wie der Hinweg. Vielleicht lag es daran, dass der Regen jetzt nicht mehr so dicht war, vielleicht aber auch, und das war mir wahrscheinlicher, weil er in meinen Armen lag und schlief, mit einem so friedlichen Gesichtsausdruck, dass man ihm nichts Schlimmes zutrauen konnte. Das ausgeklappte Sofa federte leicht, als ich Cain darauf niederließ. Er verzog leicht die Augen, wachte aber nicht auf. Ich zog ihn bis auf seine Boxershorts aus, darauf bedacht, seinen dünnen Körper nicht zu lange zu begutachten. Ich deckte ihn zu und wollte schon den Raum verlassen, bis ich noch einmal zurückkehrte. Ich hockte mich davor, beugte mich leicht über ihn. Meine Finger strichen ihm wie von selbst das Haar aus der Stirn. Meine Lippen berührten ihn sanft auf der Stirn, brannten immer noch, als ich den Raum wieder verließ und mich fragte, was in mich gefahren war. Fortsetzung folgt... Kapitel 6: Sechs ---------------- Titel: Blatt im Regen Autor: -Scarecrow- Disclaimer: Die gehören alle mir *_________* Teil: Sechs Email: kyubimon1@gmx.de Warnung: Evt. lemon/lime, auf jeden Fall sap Kommentar: Achtung, achtung! Ab hier wird's richtig sap-ig. Allen, die ein leichtes Gemüt haben und einfach zum Heulen zu bekommen sind, empfehle ich, jetzt noch den Notausgang zu nehmen und auszusteigen, bevor es zu spät ist... ____________________________________________________________________________ „Der Junge hat sehr viel durchgemacht, wie ich Ihrem Bericht entnehmen kann. Von daher wird es zunächst sehr schwierig sein, ihm näher zu kommen... Ihn überhaupt richtig kennenzulernen. Fürs Erste sollten Sie ihn sich selbst überlassen, bis er selbst auf Sie zukommt. Nur so kann eine freiwillige Beziehung geschaffen werden, denn einem gezwungenen Kontakt wird er sich niemals offenbaren.“ Die Stimme des Arztes hallte unangenehm im totenstillen Untersuchungsraum wider. Ich nickte nur zu seinen Worten, danach wandte ich den Blick von ihm ab und sah an ihm vorbei aus dem Fenster. Es schneite. „Gut, dann verabschiede ich mich von Ihnen!“, stand er auf, wieder mit einer geschäftigen Stimme, mir die Hand hin streckend. Ich erhob mich ebenfalls, schüttelte die Hand. „Auf Wiedersehen.“ Er ging voraus und öffnete mir die Tür, hielt mich aber noch einmal zurück. „Wenn es weiterhin Probleme wie... Davonlaufen geben sollte, rufen Sie mich ruhig an“, murmelte er und gab mir seine Visitenkarte. Dankend nahm ich diese an und steckte sie mir in die Hosentasche. Mit einem sentimentalen Gefühl stand ich ein paar Minuten unschlüssig auf der bereits verschneiten Straße herum, bis ich seufzte und mich auf den Heimweg machte. Herr Anlini war der Dorfarzt, sein Fachgebiet Psychologie. Deshalb hatte ich keine Sekunde gezögert, ihn mit meinen Problemen zu belasten. Er war ein ruhiger, freundlicher Mann, dem ich mein Leben anvertraut hätte. Ich kannte ihn jetzt schon seit bestimmt fünfzehn Jahren, früher hatte er oft Hausbesuche bei meiner Großmutter gemacht. Er war für mich wie ein zweiter Vater, aber zum Duzen waren wir immer noch nicht übergegangen. Er hatte eine Italienerin geheiratet, daher der Name. Ich trat mit den Füßen eine leere Dose vor mich her, um den Frust zumindest halbwegs abzubauen. Warum tat ich mir dieses Leid eigentlich noch an? Zum bestimmt dreitausendzweihundertfünften Mal fragte ich mich, warum, zum Teufel, ich Cain aufgenommen hatte! Wie sehr wünschte ich mir eine Antwort darauf! Es war wirklich zum Haare raufen. Das Fenster im ersten Stock stand weit offen. Ich konnte sehen, wie der Junge auf der inneren Fensterbank saß und hinaus schaute. Sein Blick war, soweit ich das erkennen konnte, merkwürdig leer und irgendwie verträumt. Der Wind zauste sein rehbraunes Haar und verlieh ihm einen verwegenen Anblick. Die Augen ruhten auf dem Geäst des Gingkos, der mittlerweile fast alle seine Blätter verloren hatte, doch er sah durch ihn hindurch. Woran er wohl gerade dachte...? Im warmen Haus angekommen machte ich erst einmal Tee und goss ihn in zwei Tassen, kippte das letzte Paket Kekse, das noch da war, in eine Schüssel und stellte das Ganze auf ein Tablett. Ich scheuchte Umbrella mit einem Tritt, wie man diese Fußbewegung beinahe bezeichnen konnte, von der Tür weg und klopfte an, das Tablett mit einer Hand und der Brust balancierend. „Ja?“, vernahm ich dumpf und drückte die Klinke herunter. Die Tür schob ich mit einem Fuß auf. Cains prüfender Blick traf mich sofort. Doch er sprang nicht vom Fensterbrett, wie ich es erwartet hatte, sondern glitt mit seinem Blick nur über den Eingang, ob die Hündin auch ja draußen geblieben war. Ich ging auf ihn zu und blieb kurz vor ihm stehen. „Darf ich?“, fragte ich. Er nickte knapp, woraufhin ich das Tablett auf dem Fensterbrett abstellte und mich auf seiner anderen Seite abstützte. Eine ganze Weile tat ich es ihm gleich und starrte schweigend hinaus, ließ mir die eisige Luft um die Ohren wehen, aber ich konnte keinen wirklichen Gefallen daran finden. „Wie... geht es dir?“, fragte ich vorsichtig; hoffentlich gab er mir jetzt eine ordentliche Antwort, und kein sarkastisches Lächeln, wie er mir sonst immer zu antworten pflegte. Aber ich hatte weder Glück noch Pech; ich erhielt nämlich überhaupt keine. Cain schaute immer noch aus dem geöffneten Fenster, die Glasscheibe an seinem Rücken. Der rasch zunehmende Wind fegte einige Blätter aus dem Regal, Unterlagen aus meinem Studium. Es kümmerte mich nicht. Das Einzige, was gerade zählte, war sein Anblick... Hätte ich es besser gewusst, hätte ich ihn glatt mit dem Prinzen aus einem fernen, nicht existierenden Land gehalten... Ich habe eindeutig zu viel Fantasy gelesen. „Wie soll es mir schon gehen?“, vernahm ich plötzlich doch seine Stimme. Kurz war ich verwirrt, weil ich mit der Frage abgeschlossen hatte. Ich zuckte mit den Schultern, schickte ein schüchternes Lächeln hinterher. „Ich weiß nicht, deshalb hab ich ja gefragt.“ Er schwieg eine weitere Weile, sagte aber schneller als vorher etwas. Seine Stimme klang rau, und ich glaubte, einen Hauch von Trauer heraus hören zu können. „Ich fühle mich einfach nur verwirrt...“ Und auf einmal wollte er gar nicht mehr aufhören zu reden! „Bin ich denn nicht auch nur ein Junge, der Antworten haben will? Ein Kind, das seine Eltern fragt, warum die Blätter im Wind rascheln? Schön, die Frage lässt sich nicht einfach beantworten, aber sie hätten sich wenigstens die Mühe geben können, es zu versuchen! Aber es war ihnen egal, sie wollten es nicht! Ich fühle mich so hintergangen...!“ Ich wusste sofort, dass er die Geschichte mit dem Blätterrascheln als Synonym für etwas anderes benutzte. „Aber wenn ihnen jemand anders es verboten hätte, es dir zu sagen?“, verteidigte ich seine Eltern sanft. „Wenn sie daran gehindert worden wären?“ „Dann hätten sie es mir trotzdem sagen sollen!“ Wut blitzte in seinen Augen auf. Wut und Streitlust. „Habe ich denn nicht das Recht, es auch zu erfahren? Habe ich das nicht, verdammt?!“ Ich hob beide Hände, um ihn zum Schweigen zu bringen, als er noch etwas anfügen wollte. „Es ist genug, Cain“, erwiderte ich ernst, mit einem scharfen Unterton. Sein Blick wandte sich ab. „Ich habe nicht das Recht, deine Geschichte zu erfahren. Wenn du sie mir erzählen willst, dann bitte ohne irgendwelche seltsamen Ausdrücke zu verwenden. Du hast deine Eltern doch wohl nie gefragt, warum Blätter rascheln, oder?“ Er begann, ertappt auf seiner Unterlippe zu kauen. „Natürlich nicht... Das tun doch nur Idioten.“ „Oh, hat der junge Herr also doch zu Teenagerausdrücken gefunden?“, sagte ich spöttisch, worauf ich einen bösen Blick seinerseits erntete. Mit dieser Bemerkung, das wusste ich selbst, wollte ich nur meine eigene Verlegenheit zu überspielen. Fakt ist, dass ich meine Eltern das früher gefragt habe... Weiß der Fuchs, warum. Cain hatte seine Tasse Tee nicht einmal angerührt, als er vom Fensterbrett sprang und das Zimmer verlassen wollte. „Wo willst du hin?“, fragte ich gewarnt. Will er schon wieder abhauen? Diesmal legal? „Ins Bad“, knirschte er, und mein Herzschlag beruhigte sich augenblicklich. Hatte ich doch tatsächlich geglaubt, er würde erneut fortlaufen. Du bist ein Narr, Adrian. Ein großer, besonders dämlicher Narr. Und ein sentimentaler dazu. Ich fuhr mir mit der einen Hand durch das Haar und seufzte schwer. Das würde wohl niemals aufhören... Cain kehrte nur mit Shorts bekleidet in das Zimmer zurück. Sein Haar war noch nass, und er sah nicht so aus, als wollte er sich noch fönen. Stattdessen platzierte er sich, so wie er war, wieder auf der Fensterbank. Mein Blick schweifte über seinen fast gänzlich nackten Körper. Er war mager, die Rippen stachen geradezu hervor, aber auf eine gewisse, sehr eigene Art schön. Wie fühlt er sich wohl an...? In diesem Moment spielte ich mit dem Gedanken, ihn nur einmal zu berühren... Eine flüchtige Begegnung meiner Hand mit seiner Schulter, ein Ticken, vielleicht auch ein Streichen durch sein nussbraunes Haar, ein Greifen nach der Hand, die ruhig auf seinem Oberschenkel lag... Oh mein Gott. Ich glaube, ich muss hier raus. Frische Luft schnappen. Ich sprang so plötzlich auf, dass Cain mich verwundert ansah. Die Wut in den Augen war verschwunden, jetzt hauste dort wieder der übliche, abwesende und kühle Ausdruck. „S... Sauerstoff“, stotterte ich und knallte die Tür beinahe hinter mir zu, ehe ich die Treppen hinunter stürmte und die Haustür aufriss, um die klirrende Luft einzuatmen. Was, verdammt noch mal, war denn in mich gefahren?! Er war noch ein Junge, ein Teenager, nicht älter als vielleicht siebzehn... Und ich fünfundzwanzig. Verflucht... „Alles in Ordnung?“ Die Stimme ließ mich zusammenzucken, als wäre der Blitz durch mich gefahren. Mein Kopf ruckte herum und erkannte die braunen Strähnen. Unwillkürlich nickte ich, obwohl dies überhaupt nicht der Fall war. Ich musste nachdenken. Dringend. Dieser eine Gedanke vermochte sogar, die Freude, dass Cain offensichtlich ohne vorher Ausschau nach Umbrella gehalten zu haben, zu verdrängen. Ich stürzte geradezu zurück in den Flur, schloss die Tür aber nicht. Ich zog mir Schuhe und Jacke an, suchte fast panisch nach meinen Schlüsseln. Derweil stand Cain nur wenige Zentimeter von mir entfernt und sah mich eindringlich an. Er verstand es nicht. Natürlich nicht. „Ich... komme bald zurück“, sagte ich nur, bevor ich die Haustür ins Schloss fallen ließ – und mich auf ihrer anderen, kälteren Seite befand. Er war verwirrt. So verwirrt. Und allein. Er hockte wieder mit angezogenen Beinen auf dem Fensterbrett am geöffneten Fenster, hatte beobachtet, wie Adrian gegangen war. Ich komme bald zurück. Wann war ‚Bald‘? War es in zwei Stunden? Morgen? In zehn Jahren? Er hatte ‚Bald‘ schon oft gehört, und jedes Mal hatte er dieses Wort mehr hassen gelernt. Es war so falsch. So verlogen. Und noch viel verlogener waren die Menschen, die hinter ihm steckten... Er machte sich in den nächsten Minuten ernsthaft Gedanken darüber, wer dieses Wort überhaupt erfunden hatte. Wahrscheinlich die Menschen, die es für harmlos hielten, die es für den Alltag benutzten. Dabei hatten sie jedoch eines vergessen: ihn. Er raufte sich die Haare. Schon wieder hat man mich vergessen... Das konnte nicht sein! Das konnte einfach nicht sein! Es war unmöglich! Ich lehnte an einem Baum an der Straße und starrte auf den Teerboden vor mir. Mein Herz raste wie bekloppt, als ob es sich einen Führerscheinverweis einhandeln wollte. Ich keuchte; ob dies vom Rennen oder von etwas anderem herrührte, wusste ich nicht. Ich konnte unmöglich in Cain verliebt sein. Er ist ein Kind, er ist ein Kind..., dachte ich immer und immer wieder, aber zu einer Schlussfolgerung kam ich nicht. Heftig schüttelte ich den Kopf, auf dem schon Schneeflocken saßen und vor sich hin schmolzen. Ist das der Grund, warum du es dir verwehrst?, erwiderte eine andere Stimme in mir. Ist es das? Ich konnte nur immer wieder den Kopf schütteln, um diese Gedanken abzuwehren, aber es wollte nicht funktionieren. Stattdessen wurde es immer schlimmer. Warum nimmst du nicht einfach all deinen Mut zusammen und gibst dem Gefühl eine Chance? Er ist zu jung... Ich glaubte, ein Kichern zu hören. Glaubst du das? Was wäre daran denn so schlimm? Mein Kopf fühlte sich an wie ein Wespennest. Überall summte es, rotierte und bewegte sich... Lass es einfach zu, sprach meine innere Stimme weiter, du wirst dann schon sehen, was passiert. Stöhnend und mit einem Arm vor den Augen ließ ich mich an dem Stamm auf den Boden herabsinken. Ich störte mich nicht an dem kalten Schnee, der auf der Erde lag, sondern schlang meine Arme um die Knie und zog die Beine an meinen Körper heran. Murmelte Worte wie Nein, Zu jung und Unmöglich. Aber mein Inneres wusste es natürlich besser – viel besser. Die Hoffnung, dass dem nicht so sei, hatte ich verloren... Kapitel 7: Sieben ----------------- Titel: Blatt im Regen Autor: -Scarecrow- Disclaimer: Die gehören alle mir *_________* Teil: Sieben Email: kyubimon1@gmx.de Warnung: Evt. lemon/lime, auf jeden Fall sap Kommentar: Ähm... okay. Ich übernehme keinerlei Haftung für bleibende Schäden u___û Jetzt seid ihr schon viel zu tief in der Story drin, ich wedle mit ihr vor eurer Nase herum... Ihr könnt gar nicht mehr widerstehen... Ihr habt verloren. xP ____________________________________________________________________________ Ich hatte tatsächlich aufgegeben. Der inneren Stimme, dem Herz nachgegeben. Hatte mir eingestanden, dass es falsch war, es zu leugnen. Und wieder war ich wütend auf mich selbst – Warum konnte ich, verdammt noch mal, nicht selbst entscheiden, in wen ich mich verliebe?! Mit einem dicken Kopf und schmerzendem Hals kehrte ich ins Haus zurück. Vielleicht wäre es besser gewesen, sich etwas Wärmeres als nur die übliche Regenjacke anzuziehen, aber jetzt war es zu spät. Meine Laune war den Bach runter. Ich merkte nicht einmal, wie ich mich selbst auszog und unter die Decke in meinem Bett schlüpfte, gleich darauf die Augen schloss und einschlief, obwohl es noch nicht einmal halb Acht war. Weit kam ich allerdings nicht; nach auf jeden Fall viel zu wenig Zeit klopfte es an der Tür. Ich brummte nur und öffnete nicht einmal die Augen. Es konnte schließlich nur einer sein, der außer mir noch durch das Haus wuselte. „Ist mit dir alles in Ordnung?“, kam die verspätete Gegenfrage. Pah! Mich sollte man jetzt lieber nicht ansprechen. Sah er nicht das glühende Feuer, das über mir tanzte?! Ich gab keine Antwort, worauf er näher kam und an das Bett trat. Ich zuckte zusammen, als sich eine kühle Hand auf meine Stirn legte. Cains Hand... „Du bist ganz heiß!“, stieß er erschrocken aus. „Kein Wunder“, murmelte ich in mein Kissen hinein. „Und jetzt verschwinde.“ Eine Weile herrschte Totenstille, dass ich glaubte, er sei tatsächlich schon gegangen. Müde blinzelnd schlug ich die Augen auf und erkannte das Gegenteil. Er hatte sich ziemlich lautlos einen Stuhl herangezogen und neben das Bett gestellt – als stattete er mir einen verfluchten Krankenbesuch ab! Sah ich denn so todkrank aus, dass man mich schon in ein Krankenhaus wünschte? „Ich kann dich doch nicht einfach so hier liegen lassen“, kam es unerwartet sanft. Ich hob den Blick. „Wirklich nicht. Du...“ Er schluckte. „Du bist doch mein Gastgeber...“ Fast hätte ich laut aufgelacht, konnte es aber geradeso noch unterdrücken, stattdessen löste sich ein schmerzender Hustenanfall aus meinem Hals. Cains Gesichtsausdruck wurde panischer. „Ich habe doch nichts falsch gemacht, oder? Sag mir, liegt es an mir?“ Augenblicklich löste sich mein Sarkasmus wieder in Luft auf. Ich versank geradezu in seinen unschuldigen, rehbraunen Augen, die mich hilflos anblickten. Er schien wirklich verzweifelt. „Nein“, beruhigte ich ihn. „Es liegt nicht an dir.“ Zumindest nicht ganz. „Aber sag mal...“ Ich leckte mir unbewusst über die Lippen. „Wer ist eigentlich Scar?“ Bei dem Namen fuhr er merklich zusammen. Der Schreck stand ihm in die Augen geschrieben. „Scar ist... ein Freund“, antwortete er ausweichend. „Aha.“ Ich hoffte, dass mein Blick verriet, dass ich mich damit nicht zufrieden geben würde. „Er... Das ist alles nicht so einfach!“, schnauzte er plötzlich. „Und es geht dich auch überhaupt nichts an! Scar ist unschuldig!“ Wieder einmal ergriff Cain die Flucht, doch im letzten Moment hielt ich seinen Arm fest. Mein Griff war nicht fest, geradezu schwächlich, aber allein die Geste hielt ihn zurück. „Du musst es mir nicht sagen“, sagte ich leise. Sein mir zugewandter Rücken zitterte. „Ich weiß, dass ich manchmal etwas aufdringlich bin. Und bitte tu mir einen Gefallen und lauf nicht immer vor mir weg“, fügte ich lächelnd hinzu. Cain drehte sich langsam wieder zu mir um. Sein Blick huschte durch den Raum wie ein verschrecktes Kaninchen. „Wirklich“, bekräftigte ich meine Aussage, selbst keine Ahnung habend, was ich da von mir gab. Oder welche Aussage von beiden ich bekräftigen wollte. Ich sagte es einfach. Vorsichtig ließ der Junge sich auf die Bettkante sinken und strich die Decke glatt. Der kurze Druck jagte mir einen warmen Schauer durch den Leib. „Es tut mir Leid. Es ist... einfach so über mich gekommen.“ Er schluckte. „Und mittlerweile ist es fast wie ein Reflex geworden...“ „Willst du mir nicht erzählen, was passiert ist?“, fragte ich sanft. Seine Finger zuckten zurück auf seinen Schoß und mir fiel siedend heiß ein, was der Arzt zu mir gesagt hatte. Fürs Erste sollten Sie ihn sich selbst überlassen, bis er selbst auf Sie zukommt. „Ich meine, du musst nicht, aber wäre es nicht vielleicht besser, es von der Seele zu reden? Dann fällt es dir eventuell leichter.“ „Nur durch Reden wird es nicht leichter“, spottete Cain, zögerte jedoch. Ein paar Minuten war der Raum nur erfüllt von unserem Schweigen, fast unheimlich. Dann fühlte ich, wie er sich in eine bequemere Position brachte. „Ich kann dir noch nicht alles erzählen“, sagte er mit einem raschen Blick auf mein Gesicht. Er schätzte meine Reaktionen ab. Ich nickte. „Und... Schwörst du, es wirklich niemandem zu erzählen? Es könnte mir... Probleme bereiten.“ „Ich tue nichts, was dir Probleme bereitet.“ Dieser einzige Satz löste eine heftige Reaktion seinerseits aus. Seine Augen blitzten zu mir herüber und schienen mich zu durchbohren. Unwillkürlich wandte ich den Blick ab. „Ähm, fang einfach an.“ Ich könnte mir selbst eine klatschen! Innerlich schalt ich mich einen Deppen und verfluchte mich in zehn verschiedenen Sprachen, das heißt, wenn ich es gekonnt hätte. Noch einen Augenblick lang blieb sein scharfer Blick auf mir ruhen, dann starrte er die Wand an. „Meine... Eltern“ – augenscheinlich kam ihm dieses Wort nur schwer über die Lippen – „habe ich früher nicht oft gesehen. Meine Mutter war als Kindergärtnerin engagiert und war oft den ganzen Tag weg, und mein...“ Er schüttelte hilflos den Kopf und sah mich verzweifelt an. Meine Augen weiteten sich, als ich Tränen in den seinen sah. „Es tut mir Leid, aber... ich... kann nicht...“ Ohne zu zögern richtete ich mich auf dem Bett auf und schloss ihn in meine Arme. Sofort flossen ihm die Tränen über die Wangen, ich spürte sie an meiner Schulter, wo er seinen Kopf vergrub. Er schluchzte haltlos; ich verdammte mich noch viel mehr, als mir klar wurde, dass er einfach noch nicht bereit dazu war. Was, zum Teufel, hatte mich da geritten?! Aber er war doch darauf eingegangen, oder? „Schon gut“, flüsterte ich, ließ meine Hand über seinen Rücken streichen. Wie gestern... War es nur so kurz her? „Es tut mir so Leid...“, versuchte Cain sich noch einmal, doch seine Stimme brach mitten im Satz. „Schon gut“, sagte ich noch einmal. „Schhh. Nicht sprechen.“ Um meine Worte zu unterstreichen, lehnte ich mein Kinn gegen sein Schulterblatt. Sein Körper war warm, aber ich merkte, wie unangenehm ihm die Umarmung war, trotz ihrer tröstenden Wirkung. Irgendetwas stimmte mit ihm nicht, und ich hätte zu gern gewusst, was. Aber dann hätte ich wieder eine Frage gestellt, die möglicherweise mit seiner Geschichte zusammenhing... Und das wollte ich nicht riskieren. Also ließ ich ihn wieder frei und hörte ihn erleichtert aufatmen. Er sah fast ein wenig gequält aus. Ich sah ihn bloß an, versuchte zu lächeln. Es misslang mir vollends, aber ich hatte das Gefühl, dass seine Augen schon weniger feucht waren. „Weißt du was?“ Er sah zu mir auf. Achtung, achtung! Jetzt kommt wieder eine meiner tollen Ideen! „Ich werde dich zu meinen Eltern mitnehmen.“ Sein Blick wurde entsetzt. „Was -“ „Lass mich bitte aussprechen“, unterbrach ich ihn streng. „Ich fahre jedes Jahr zu Weihnachten zu meinen Eltern, ebenso wie meine Schwester Selaine. Und ich kann dich unmöglich eine Woche lang hier alleine lassen! Auf Umbrella passen natürlich die Nachbarn auf“, fügte ich hinzu, um ihn zu überzeugen. Doch noch immer war seine Haltung misstrauisch. „Wirklich!“ „Schön.“ Seine Stimme verriet das Gegenteil. Ich zog meine Decke höher und verkroch mich wieder tiefer ins Bett. Vom ganzen Sprechen tat mein Hals schon so sehr weh, dass er von innen bestimmt blutig aussah. „Adrian“, begann er zögerlich. „Ich glaube, ich muss dir was sagen.“ Das ist mir schon von Anfang an klar gewesen, Junge. „Ich kann nicht gut mit anderen Menschen.“ Seine Stimme war zum Satzende hin immer leiser geworden, sodass ich ihn kaum noch verstand. „Na und? Sie beißen doch nicht.“ „Ich weiß, aber... Ich kann wirklich nicht mit anderen Menschen.“ „Hm.“ Als ich nichts anderes mehr hinzufügte, seufzte er fast lautlos, stand auf und verließ das Schlafzimmer. Meine Hand wanderte zu dem schnurlosen zweiten Telefon, das auf dem Nachttisch stand. Das hatte ich nur für den Notfall eingerichtet, aber irgendwie war mir gerade nicht danach, dass Cain mein Gespräch mit anhörte. Bevor ich jedoch die Nummer von Selaine wählen konnte, drückte ich aus Versehen die Taste der Wahlwiederholung. Und stutzte. Da war eine Nummer, die ich nicht kannte. Es war offensichtlich eine Mobilnummer, und ich hatte keine Ahnung, zu wem sie gehören konnte. Ich hatte dieses Telefon schon lange nicht mehr benutzt, war mir aber ziemlich sicher, noch nie damit auf ein anderes Handy angerufen zu haben... Ohne ein weiteres Zögern rief ich die Nummer an. Ich war gespannt, wer abnahm. Es kam mir vor wie Minuten, in denen sich niemand meldete. Das ewige Tuten war nervtötend, dass ich fast schon auflegen wollte, als jemand seinen Namen nannte. Ich glaubte, mich verhört zu haben. Hatte ich das Wort Kill wahrgenommen? „Hallo? Wer ist denn da?“ Noch immer hatte ich keinen Ton gesagt. Ich schluckte. Das war definitiv keine Nummer, die ich je gewählt hatte. „Verdammt, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!“ „Entschuldigen Sie, mein Name ist Adrian... Ich habe Ihre Nummer in meinem Telefon gefunden, bin mir aber nicht bewusst, Sie jemals angerufen zu haben...“ Bin ich denn von allen guten Geistern verlassen?! Der Mann am anderen Ende der Leitung räusperte sich nach einem kurzen Augenblick des Schweigens. „Haben Sie etwas mit Cain zu tun?“ Der Name weckte etwas in mir. Woher kannte der Typ Cain...? War ich hier etwa auf eines seiner Geheimnisse gestoßen? „Ja“, antwortete ich, leicht misstrauisch. „Woher kennen Sie ihn denn?“ „Einen kleinen Augenblick, bitte“, sagte der andere. Ein leises Rascheln war zu hören. „Wie wär’s , wenn wir uns morgen um halb Vier im... BlackOut treffen?“ Ich runzelte die Stirn. Wer bist du?!, wollte ich in die Leitung brüllen. Stattdessen brachte ich wieder nur ein „Ja“ hervor. „Hervorragend! Ich trage eine neongrüne Cappi, also nicht zu übersehen. Bis dann.“ Das Tuten zeigte mir wieder an, dass er aufgelegt hatte. Das BlackOut war eine Art Café mit Karaoke-Anlage und Tanzfläche – also sowohl zum Nachmittag als auch zum Abend geeignet. Es besaß ebenfalls eine Bar mit hohen Hockern; das Café befand sich etwas außerhalb des Ortes, um dorthin zu gelangen, musste man das kleine Waldstück durchqueren und einen kleinen Feldmarsch hinter sich bringen. Alles in allem war es in etwa so abgelegen wie eine einsame Jägerhütte. Trotzdem war sie stets gut besucht; wahrscheinlich, weil es die einzige Gaststätte im Umkreis von mehreren Kilometern war. Die Luft war stickig und warm, als ich eintrat. Ich hatte es endlich geschafft, meinen schwarzen Wintermantel aus Schafwolle aus dem Schrank zu kramen und einen weinroten Schal um den Hals geschlungen. Die befingerten Handschuhe waren schon abgelegt. Extra für ihn hatte ich mir heute frei genommen... Wegen eines Unbekannten, der mich wahrscheinlich nur verarschen wollte. Nun hielt ich Ausschau nach der neongrünen Cappi, entdeckte sie fast sofort; und erkannte, dass er wohl keine Scherze mit mir trieb. Der Mann namens Kill hockte an der Bar, ein Glas mit klarer Flüssigkeit vor sich auf der Theke stehen. Wasser? Auf keinen Fall. Dann wohl eher Whiskey. Er sah nicht wie der Mensch aus, der besonders auf seine Gesundheit achtete. Er hatte wirres, schwarzes Haar, das wahrscheinlich vor mehreren Tagen zuletzt gewaschen worden war. Seine Gestalt war relativ dünn und knochig, und sie kam mir merkwürdig bekannt vor... Ich schritt zur Bar hinüber und kletterte auf einen der Hocker, nachdem ich Mantel und Schal abgelegt hatte. „Adrian?“, fragte er mit einem Seitenblick zu mir. Ich nickte. „Dann bist du also derjenige, der Cain Schutz bietet.“ Sein Blick glitt, soweit ich das sagen konnte, anerkennend über mich. „Ja, der bin ich.“ Mir war aufgefallen, dass er sofort zum Du übergegangen war. „Und darf ich fragen, wer du bist? Außer deinem Namen weiß ich ja noch nicht wirklich viel.“ Er ließ ein raues Lachen hören. „Stimmt.“ Kill nahm einen Schluck aus seinem Glas und betrachtete mich kurz. „Zu Anfang sage ich gleich mal, dass ich Cain schon seit seiner Kindheit kenne. Er ist nicht der typische Durchschnittsteenager, wie du bestimmt schon festgestellt hast.“ Ich nickte zustimmend. Der Wirt kam und ich bestellte einen Cappuccino. Als ich das heiße Getränk vor mir stehen hatte und vorsichtig daran nippte, sprach er weiter. „Ich will dir gern erzählen, was mit ihm los ist, und warum er sich so benimmt. Aber zuerst musst du schwören, es für dich zu behalten. Es würde sein Leben in Gefahr bringen, wenn du es weitererzähltest.“ Ich schluckte. Was war so schlimm, dass es Cains Leben gefährdete...? In ganz, ganz naher Ferne roch ich den Braten... „Ich schwöre, niemandem Cains Lebensgeschichte auf die Nase zu binden, egal, was kommen mag.“ Kill lächelte, dann wandte er sich wieder dem Glas zu. Dann wurde sein Blick wieder ernst; die Finger spielten mit dem Glasrand. „Gut. Dann sage ich dir als nächstes, dass ich Cains Bruder bin.“ Kapitel 8: Acht --------------- Titel: Blatt im Regen Autor: -Scarecrow- Disclaimer: Die gehören alle mir *_________* Teil: Acht Email: kyubimon1@gmx.de Warnung: Evt. lemon/lime, auf jeden Fall sap Kommentar: Nur eine Sache noch... Bei diesem Kapitel hab ich mit nem megatraurigen Lied von Rosenstolz im Hintergrund mit den Tränen gekämpft u____û Bitte keine traurigen Lieder dabei hören, ja? xD ____________________________________________________________________________ Die Aussage hatte mir schlicht die Sprache verschlagen. Dieser Typ da, der sich Kill nannte, war Cains Bruder? Mein Verdacht hatte sich also bestätigt. „Du darfst mir ruhig glauben, auch wenn ich dir kein Familienverzeichnis zum Beweis vorzeigen kann“, grinste er amüsiert, als er meinen starren Blick sah. „Aber jetzt weißt du, dass ich dir und vor allem Cain nichts Böses will.“ „Eine Frage“, unterbrach ich das klärende Gespräch. „Wie, verdammt noch mal, kam diese Nummer in mein Telefon?“ „Weil ich vor ein paar Tagen mit Cain telefoniert habe. Er hat mich auf meinem Handy angerufen, um mir von seiner jetzigen Lage zu berichten.“ Jetzt war ich ein wenig verwirrt. War Cain ein so anhänglicher Junge mit Bruderkomplex, dass er denselben jederzeit über seinen Standort informierte? Die ganze Situation kam mir so langsam vor wie in der Mafia. Niemand kannte niemanden, alles war geheim und jeder war verdächtig. Naja, vielleicht nicht ganz so extrem. „Keine Sorge, das hat er zum ersten Mal gemacht. Das mit der Lage.“ Kill legte eine kurze Pause ein. „Es ist nur so... Ach was, am besten fange ich von ganz vorn an. Lehn dich zurück, Adrian. Es wird ‘ne lange Geschichte.“ Er warf mir noch einen undefinierbaren Blick zu, dann hob ich die Tasse Cappuccino an meine Lippen und lauschte aufmerksam. „Wie gesagt hatten sowohl ich als auch er eine schwierige Kindheit, ich bezeichne sie jetzt einfach mal als schon beendet. Unsere Mutter – sie war damals noch Kindergärtnerin – war eine seltsame Persönlichkeit, schon immer. Sie hatte nie wirklich Freunde gehabt, und ihr eigener Lebenswille bestand eigentlich nur noch aus ihrem Arbeitsleben, bis sie unseren Vater kennenlernte. Er war ein einflussreicher Mann, und brachte schon aus seiner Familie ein riesiges Vermögen mit. Aber Geld ist ja buchstäblich nicht alles. Ich habe keine Ahnung, wie und ob sie sich überhaupt je geliebt haben, aber schlussendlich setzten sie uns in die Welt – erst mich, und als ich acht war, meinen jüngeren Bruder. Die beiden waren so gut wie nie zu Hause; Mutter war mit dem Kindergarten beschäftigt, wobei ich mir stets immer wieder die Frage stellte, warum sie sich mehr um fremde Kinder sorgte als um ihre eigenen. Vater war Tag und Nacht in der Firma seiner Familie, um ‚Geld zu verdienen‘; bei ihm stellte ich mir die Frage, warum er noch arbeiten ging, obwohl wir meiner Meinung nach viel zu viel von dem goldenen Zeug hatten. Kurz gesagt, beide Elternteile kümmerten sich mehr um ihre Arbeit als um ihre Kinder.“ Er hielt kurz inne, um Luft zu holen. „Ich ersetzte Cain als großer Bruder beide von ihnen. Ich holte ihn seinerzeit vom Kindergarten ab, ein anderer als der unserer Mutter. Ich war schon alt genug, um zu begreifen, dass ich meinen Eltern nur ungern begegnete. Wir sahen weniger von ihnen als vielmehr unsere Nachbarn. Eines Abends, es war schon recht spät geworden, kam Vater heim. Wir lagen schon in unseren Betten im eigenen Zimmer; ich war noch wach. Zu dem Zeitpunkt war Cain sieben Jahre alt, ich dreizehn. Sexualkunde hatten wir in der Schule bereits durchgenommen.“ Er wartete auf dieses Wort hin meine Reaktion ab. Ich saß ihm weiterhin starr gegenüber; bei dem Wort hatte sich in mir alles verkrampft. Ich ahnte bereits, was folgen würde. Kill nickte. „Du ahnst bereits, was ich dir sagen will. Und es ist genau das eingetreten.“ Ich kniff kurz die Augen zusammen, um die Fassung zu wahren. „Cain wurde von unserem Vater vergewaltigt. Fünf Jahre lang.“ Dieser schlichte Satz war... unbegreiflich. Ich konnte ihn nicht fassen; es war wie ein nasses Stück, das einer Zunge ähnelte. Er sickerte nur langsam zu mir durch. „Alles in Ordnung?“, hörte ich Kill sanft sprechen. „Ich habe ihn umarmt...“ Jetzt wurde mir alles klar. Natürlich! Er hatte gezittert vor Angst. Vor Erinnerungen. „Hey.“ Er legte mir eine Hand auf die Schulter. „Hör zu. Vielleicht sollten wir dieses Gespräch ein andermal fortse -“ „Nein!“ Fest sah ich ihn an. „Nein. Ich möchte es wissen. Tut mir Leid.“ Einen Moment lang sah er mich noch nachdenklich an, dann nickte er. „Nach fünf Jahren... Da war er zwölf...“ Kill zögerte sichtlich, offensichtlich wollte er mir wieder etwas... nun ja, Unangenehmes begreiflich machen. „Da hat er... es einfach nicht mehr ausgehalten. Er hat mehrere Fluchtversuche gestartet, aber alle sind gescheitert. Er ist höchstens bis auf zwei Kilometer von zu Hause entkommen, dann hat ihn Vater wieder eingeholt. Am Ende... Ja, am Ende ist er auf ihn losgegangen. Und er ist nicht wieder aufgestanden.“ Diesmal war ich einigermaßen darauf vorbereitet gewesen, aber ich konnte mich nicht entscheiden, was schlimmer war: dass Cain von seinem Vater vergewaltigt worden war, oder dass er diesen umgebracht hatte. „Er hatte nie Freunde, selbst in der Schule nicht. Aufgrund dem Verhalten unserer Eltern schloss er sich selbst aus und scherte sich nicht um die Meinung anderer. Nach dem Tod unseres Vaters wusste er nicht, was er tun sollte; er konnte nicht davonlaufen. Wohin denn? Ich habe ihn schließlich aus seinem Schlammloch herausgezogen und ihn mit zu meinen Freunden genommen. Wir waren eine Art Straßengang, aber eine von der ruhigen Sorte; wir zogen nur um die Häuser, demolierten weder Autos noch klauten wir wehrlosen Frauen ihre Handtaschen.“ Er lachte. „Und weißt du was? Cain und Kill sind nicht unsere richtigen Namen. Jeder von uns Vieren hatte eine unangenehme Vergangenheit und wollte sie am liebsten unter den Tisch kehren – wir fingen mit neuen Namen unser neues Leben an. Ich kenne meinen richtigen Namen gar nicht mehr, es ist einfach zu lange her. Um genau zu sein, vier Jahre, aber diese vier Jahre reichen schon, sich mehr an einen falschen Namen zu gewöhnen und den anderen zu vergessen. Dafür aber erinnere ich mich an den meines Bruders umso besser.“ „Verrätst du ihn mir?“, platzte es aus mir heraus. Kill lächelte und schüttelte den Kopf. „Tut mir Leid, aber wir haben uns geschworen, unsere richtigen Namen niemals wieder preiszugeben. Die Vergangenheit würde uns wieder einholen. Wenn Cain möchte, dass du seinen Namen weißt, wird er ihn dir selbst sagen.“ Er schwieg eine Weile, wollte mir ein wenig Zeit zum Nachdenken geben. In meinem Kopf tobten Tausende von Fragen... „Was ist mit eurer Mutter passiert? Wissen andere Leute von euch, Nachbarn, Verwandte...?“ „Unsere Mutter ist in der Psychiatrie gelandet“, entgegnete Kill ruhig. „Nachdem wir abgehauen waren und sie die Leiche unseres Vaters fand, veränderte sie sich völlig – so habe ich jemals gehört. Ich habe so meine Spione.“ Ein leises Grinsen huschte über sein fahles Gesicht. „Und ich wüsste nicht, dass jemand anders davon noch weiß... Nachbarn haben es wohl durch die Zeitung erfahren, dass in dem Haus nebenan niemand mehr wohnt, aber richtig Gedanken hat sich niemand gemacht. Nun waren wir also zu viert; Ich, Cain, Scar und Road.“ Bei dem dritten Namen horchte ich auf. „Wer... ist Scar?“ „Warum willst du das unbedingt wissen?“ „Weil... Er... Cain hat von ihm gesprochen.“ „Was genau hat er gesagt?“, fragte Kill weiter und runzelte die Stirn. Er schüttelte den Kopf. „Das war unhöflich. Scar ist Cains bester Freund gewesen, der einzige, den er je gehabt hat. Sie hielten zusammen... Ja, sie hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Aber durch einen Vorfall... Lass mich fortfahren.“ Ich nickte zustimmend und schluckte etwas von meinem Cappuccino, der mittlerweile etwas abgekühlt war. „Road war derjenige unter uns, der nie länger als einen Monat an einem Ort bleiben konnte. Er hat Kfz-Mechaniker gelernt und ist ständig mit seinem Auto unterwegs gewesen. Wir waren nicht lange zu viert, aber es genügte. Er... Road verliebte sich in Scar. Es war völlig in Ordnung. Es beruhte auf Gegenseitigkeit. Es war das erste Mal, dass Scar richtig verliebt war, und er schwärmte Cain vor, wie toll er doch sei.“ Kill rollte grinsend mit den Augen. „Und was ist mit ihm?“, fragte ich. „Kommt noch“, mahnte er mich streng. „Cain freute sich mit ihm für sein Glück. Wie sollte er auch anders, Scar war schließlich sein Freund. Es war eine tolle Zeit – weder ich noch Cain hatten etwas dagegen. Zwar ließen ihn die Berührungen, die die beiden austauschten, immer wieder zusammenzucken, aber im Großen und Ganzen war es gut. Doch es kam wie es kommen musste – und wir hatten es alle schon geahnt. Road war kein Stubenhocker. Er verspürte das Bedürfnis, weiterzufahren, er wollte uns verlassen. Er war schon viel zu lange hier, sagte er wortwörtlich. Und er bat Scar, mit ihm zu kommen. Daraufhin befand sich Scar in einer misslichen Lage; er war hin- und hergerissen zwischen bester Freundschaft und erster Liebe. Letztendlich jedoch entschied er sich für ersteres und blieb bei uns. Ich war furchtbar erleichtert. Road konnte den Verlust verkraften, er war ständig wechselnde Bindungen und Kontakte gewohnt, aber ob Cain das überwunden hätte? Ich weiß es nicht. Ich glaube, es hätte ihm auch den letzten Nerv geraubt. Es vergingen Tage und Wochen, in denen Scar dem anderen geradezu hinterher heulte, aber nur in solchen Momenten, in denen Cain nicht hinsah. Cain war fünfzehn, als Scar endlich begriff, dass er sich mehr als nur richtig entschieden hatte. Hm, ihm passierte das Gleiche wie Road bei ihm... Er verliebte sich. In Cain.“ Die Situation zwischen Scar und Cain erinnerte mich stark an mich selbst. Meinen ersten Freund hatte ich mit vierzehn gehabt – wir waren unser ganzes Leben lang schon eng befreundet gewesen. „Scar schleppte das Gefühl lange Zeit mit sich herum, weil er wusste, dass Cain Angst vor Liebe zwischen zwei Männern hatte. Er wollte ihm keine Angst einjagen. Aber – wie der Zufall es wollte, natürlich – entglitt ihm dieser eine Satz in einem Streit zwischen ihnen. Ich sehe es noch genau vor mir. Was keiner von uns genau gewusst hatte, war Cains Reaktion gewesen. Er hat ihn nicht wirklich abgewiesen, aber auch nicht akzeptiert. Er hat sich von Scar distanziert, weil er – Angst hatte. Scar hat das nicht ausgehalten.“ Kill legte wieder eine Pause ein. Wahrscheinlich hatte er bemerkt, wie sehr mir die Geschichte zu Herzen ging, vor allem, da sie wirklich passiert war. Es klang wie ein Märchen, ein gute oder schlechtes Buch, wie ein Film, aber es war wirklich geschehen. Und ich konnte nicht glauben, dass all dies ausgerechnet Cain, dem Jungen, der bei mir zu Hause im Zimmer hockte und den Gingko beobachtete, getroffen hatte. Ein trauriges Lächeln legte sich auf Kills Lippen. „Scar hat sich das Leben genommen.“ Ich sah zu ihm auf und blickte ihm in die Augen. Vielleicht ist es doch nicht so gut, dass er weitererzählt... Aber ich unterbrach ihn nicht mehr. „Er hatte eine Schwester, die genauso zu ihm hielt wie ich zu meinem Bruder. Sie war unsagbar enttäuscht, traurig und noch viel mehr. Und sie hegte einen Hass auf Cain, denn sie wusste, dass Scar in ihn verliebt gewesen war. Gleich nachdem sie davon erfahren hatte, dass Cain und ihr Bruder allein waren, hat sie die Polizei gerufen. Sie kannte Cain; sie wusste, dass er schon von früheren Erinnerungen gestört war. Die Wehrmänner fackelten nicht lange – sie brachten meinen Bruder in die Psychiatrie. Er landete genau da, wo meine Mutter ebenfalls geendet hatte. Ich hatte von all dem erst viel später erfahren.“ Kill hatte den Blick starr auf sein Glas gerichtet und schien nur noch mit dem Gegenstand vor sich zu reden. „Ich weiß nur ganz grob, dass Cain irgendwie aus der Psychiatrie geflohen ist, um sich in Sicherheit zu bringen, denn für ihn waren die Ärzte nichts anderes als Leute, die ihm an den Kragen wollten. Natürlich, was soll eine solche Person auch schon von ihrer eigenen Situation denken?“ Erst jetzt fiel mir auf, dass seine Augen feuchter waren als vorher. Ich biss mir auf die Unterlippe und legte einen Arm um Kill. „Du musst nicht weitersprechen, wenn du nicht kannst.“ Er schenkte mir einen dankbaren Blick, schüttelte aber seltsam lächelnd den Kopf. „Es ist sowieso gleich zu Ende. Von seinem Anruf vor ein paar Tagen auf meinem Handy bekam ich die ganze Geschichte erst mit. Ich konnte von Glück reden, dass ich schon vorher gewusst hatte, dass er in der Psychiatrie gelandet war. Er berichtete mir, wie du ihm geholfen hast, vor den Sicherheitsleuten der Einrichtung zu fliehen und ihn zu verstecken. Er schien unsagbare Angst vor ihnen gehabt zu haben. Und es freut mich, dass er bei dir anscheinend ganz, ganz langsam, aber stetig wieder zu sich selbst findet.“ Kapitel 9: Neun --------------- Teil: Neun Email: kyubimon1@gmx.de Warnung: Evt. lemon/lime, auf jeden Fall sap Kommentar: Neunter Teil^^ Ouh, einen Tag über mein Ein-Wochen-Limit hinaus - schauder. Hoffentlich passiert mir das nicht noch einmal >___< Aber ich konnte das Kapi gestern zu Ende stellen, weil Wochenende war/ist. *sfz* Die Schule drängt sich vor BiR u___u Gomen T////T Viel Spaß beim Lesen ;D ____________________________________________________________________________ Ich schwieg, als Kill endlich geendet hatte. Natürlich war ich stolz zu hören, dass Cain scheinbar wieder erblühte, bei mir zu Hause, aber seine Vergangenheit erfüllte mich mit Trauer und Wut. Warum hatte er das durchmachen müssen? Warum ausgerechnet er, und warum alles auf einmal? Hätte die langjährige Vergewaltigung durch seinen Vater nicht schon gereicht...? „Wir... sollten langsam nach Hause gehen“, sagte ich leise, als er weiterhin stumm blieb. Er nickte nur. Ich bereute es, ihn diese Geschichte noch einmal durchleben zu müssen. „Weißt du, wo du hinkannst?“, fragte ich vorsichtig. Wieder ein Nicken. „Ich... habe Unterschlupf in einem Krankenhaus gefunden. Es ist nicht das Wahre, aber besser als ein Platz unter der Brücke.“ Er lächelte schief. Diesmal war es an mir, zu nicken. „Wenn du Probleme hast...“ Ich deutete mit einem Zeigefinger auf mich selbst. „Du weiß, an wen du dich wenden kannst.“ „Danke.“ Ich sah noch, wie eine einsame Träne seine Wange hinunter rollte, bevor ich mir Mantel und Schal schnappte und mich wieder in den kalten Tag stürzte. Obwohl, Tag war schon fast zu viel gesagt. Es war schon dunkel. Als ich einen Blick auf meine Uhr warf, erschreckte ich – es waren doch tatsächlich ganze vier Stunden vergangen! Schleunigst begab ich mich auf den Weg nach Hause, der länger ausfiel als der Hinweg, denn ich hatte mit Gedanken zu kämpfen, die vorher noch nicht dagewesen waren. Als ich endlich wieder zu Hause ankam, war es bereits kurz vor neun. Von draußen konnte ich sehen, dass in Cains Zimmer noch Licht brannte. Das Fenster jedoch war zu. „Bin wieder da“, rief ich, ohne eine Antwort zu erhalten. Stirnrunzelnd legte ich die Sachen ab, ließ aber den Schal noch um meinen Hals. Wäre ich an Kills Stelle gewesen, hätte meine Stimme schon nach den ersten zwei Sätzen versagt. So war mein erster Gang erst einmal in die Küche, wo ich Abendessen machte. Aus irgendeinem Grund zog ich es vor, mal wieder etwas zu kochen; nichts Großartiges, in der Tiefkühltruhe fand ich ein paar Fischstäbchen und machte dazu einen Salat und Kartoffelpüree. Mit dem berühmten Tablett stieg ich langsam die Treppe wieder hinauf. Bevor meine Hand auch nur eine Chance hatte, zu klopfen, antwortete Cain mit einem leisen „Ja“. Ich trat ein, fand ihn auf dem Schlafsofa sitzend vor, stellte das Tablett erst einmal auf einem kleinen Schrank ab und setzte mich neben ihn. Er sah mich an. „Wo bist du so lange gewesen, Adrian?“ Ich schluckte bei dem Klang seiner Stimme. Sie war rau und hörte sich ganz so an, als hätte er bis vor wenigen Minuten noch geschlafen. „Weg“, antwortete ich ausweichend. Er runzelte die Stirn. „Ich habe etwas zu essen gemacht“, sagte ich schnell, um das einbrechende Schweigen zu vermeiden. „Keinen Hunger.“ „Aber... du musst doch was essen...!“ Ich glaube, ich brauche hier nicht zu erwähnen, dass ich wie eine besorgte Glucke klang. „Ich sagte, ich habe keinen Hunger“, wiederholte er, hob die Schultern ein wenig und seufzte. Sein Blick wanderte gen Boden. Und dann überraschte er mich – er seufzte noch ein zweites Mal, dann spürte ich das leichte Gewicht seines Kopfes auf meiner Schulter, das Kitzeln seiner Haare in meinem Nacken, die Wärme seiner – Stop. Zu viele Eindrücke auf einmal. Nein, anders: Es gab keine Beschreibung dafür, wie glücklich ich mich in dem Moment fühlte, als er etwas von sich offenbarte, auch wenn es ‚nur‘ eine Geste sein mochte. Für mich war es sehr viel mehr. Irgendwo tickte eine Uhr oder ein Wecker, mein Körper war stocksteif, um wenigstens den letzten Rest meiner Kontrolle zu wahren. Dann, nach viel zu kurzer Zeit, hob er seinen Kopf wieder, warf einen Blick zu dem Essen, von dem er dachte, ich bemerkte ihn nicht, und stand auf. Sein Leib streckte sich; er gähnte. „Hast du eben geschlafen?“, fragte ich nun doch. Er lächelte. „Nicht direkt... Nur nachgedacht.“ „Wird deine Stimme vom Nachdenken immer so rau?“ Platsch. Nun war es raus. Wieder einmal hätte ich mich ohrfeigen können für meine Dämlichkeit. Aber zum Glück fiel ihm nichts Besonderes an meinem Verhalten auf. „Ist das so? Hm... Das ist mir noch gar nicht aufgefallen... Aber, doch, ich erinnere mich, das hat mir schon mal jemand gesagt.“ Sein Lächeln, das allein schon jedes Herz zum Schmelzen gebracht hätte, wurde schiefer, und ich löste mich in Luft auf. Natürlich nicht wirklich. Nun war es an mir, mit dem Blick zu Boden zu wandern, um mir nichts anmerken zu lassen. Cain holte das Tablett zu uns her und stellte es halb auf seinen, halb auf meinen Schoß. Dabei betrachtete ich nachdenklich seine Hände. Waren es dieselben Hände, die seinen eigenen Vater umgebracht hatten? Dieselben, um die sein bester Freund Scar angehalten hatte, und weswegen dieser gestorben war? Es ging mir einfach nicht in den Kopf rein, warum so etwas immer anderen Leuten passierte, mir aber nie... Ich regte mich immer nur darüber auf, dass ich in einem langweiligen, einsamen Kaff lebte, während das der größte Traum von anderen war... Ich war so egoistisch. Genau, egoistisch. Das ist das passende Wort. Heiligabend rückte immer näher, und die Dorfbewohner pflegten wie zu jeder Vorweihnachtszeit ihre Häuser zu schmücken. Da hingen ganze Sträucher von Misteln von den Fassaden herab, baumelten silberne Girlanden von den Fenstersimsen, lief hinter jeder Tür eine leise Hintergrundmusik wie Oh, du Tannenbaum. Für mich war die Weihnachtszeit einfach nur nervig. Von allen Seiten wurde man angemacht, dass man selbst ja noch Weihnachtsschmuck aufhängen müsse, weil das Tradition sei. Cain hingegen war begeistert. So hatte ich ihn noch nie erlebt – er schien in voller Blüte zu stehen. Immer öfter ging er vor die Tür, um mit Schnee herum zu hantieren, und das erfreute meine Seele wie Balsam. Ich war so froh, dass er endlich wieder ein wenig Lebensmut entwickelt hatte, und noch viel glücklicher war ich, als meine Augen zufällig aus dem Küchenfenster hinaus schweiften und einen grinsenden Schneemann entdeckten. Meine beiden Arbeitgeber waren für zwei Wochen in den Skiurlaub gefahren und hielten den Laden bis Neujahr geschlossen; überhaupt schien es viel leerer als zu einer sonstigen Jahreszeit im Dorf. Das Bett erschien mir übrigens wie ein zweites Zuhause, neben dem Atelier; als ich darüber nachdachte, fiel mir auf, dass ich seit der Begegnung mit Cain nichts mehr vollbracht hatte, und das waren schon mehr als zwei Wochen! Das musste sich unbedingt wieder ändern, das nahm ich mir fest vor, aber ich würde erst wieder nach den Feiertagen Zeit dazu finden. Außerdem hatte meine Schwester mir am Telefon befohlen, das Bett zu hüten, damit ich auch ja keine Ausrede finden konnte, nicht zu erscheinen. Sie war so gespannt auf Cain wie ein Flitzebogen. Eigentlich ging es mir schon wieder relativ gut, aber ich blieb trotzdem unter der Decke hocken: um nachzudenken. Keineswegs hatte ich schon mit seiner Geschichte abgeschlossen, das würde wohl noch ein paar Jahre dauern, bis ich das verdaut hatte. Schließlich hatte er selbst das noch nicht einmal getan, wie auch... Es war sein Leben. Seine Vergangenheit, seine verdammte Zukunft! Wie kann ein Mensch nur so etwas ertragen, ohne je etwas zu sagen, alles immer weiter in sich hineinfressen, und das ohne zu platzen? Bei dieser Frage wühlte ich nervös in den Kissen herum; abends war mir meist so unwohl, dass ich schon früh das Licht ausschaltete, um so bald wie möglich diesen Gedanken zu entfliehen. Tagsüber bereitete es mir Kopfschmerzen. Aber noch viel elender fühlte ich mich, als Cain mein Verhalten auffiel, und er schrieb sich das alles sich selbst zu. Das wollte ich doch gar nicht... Ich versuchte, so bald wie möglich wieder damit aufzuhören, aber das war gar nicht so einfach... „Adrian?“ Cain steckte den Kopf durch den Türrahmen. „Hm?“ „Kann ich... mit dir reden?“ Darüber? „Immer“, nickte ich und machte eine einladende Geste. Er tapste näher, ließ sich auf den Stuhl sinken, der neben dem Bett stand. Sein Blick schweifte unruhig umher. „Es geht um... dein Kranksein.“ Ich horchte auf. „Ich weiß, es geht mir nicht so gut... Ich frage mich selbst, wieso ich dir alles überlasse...“ „Nein, nein, das ist es nicht!“ Zur Bekräftigung schüttelte er den Kopf. Und plötzlich ruhte sein Blick fest auf mir. „Du bist nicht wirklich krank, Adrian.“ Jetzt war es an mir, unruhig zu werden... „Nein?“ Ich sprach das Wort wie eine Frage aus. „Naja, in gewissem Sinne vielleicht doch. Du machst dir Sorgen. Wegen mir.“ Geflissentlich zuckten meine Augen zu ihm, prüften ihn. Er hatte den Atem bei meiner Reaktion angehalten. Verdammt. „Also liege ich richtig.“ Warum bin ich eigentlich so dämlich? Cain ließ ein leises Seufzen hören – es klang viel zu erwachsen für ihn. Viel zu standhaft, zu fest. Als ob nie etwas passiert wäre. „Es ist nicht lange her, und... Ich kann... noch nicht.“ Ich merkte, worauf er hinauswollte. Ich riss mich zusammen, fasste all meinen Mut. „Cain, ich weiß es.“ Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, in dem sich sein Gesichtsausdruck veränderte. Augenblicklich dachte ich, er hätte eine Maske abgenommen, denn unter ihm erschien... Ein verletzter, trauriger, unendlich wehmütiger Anblick. Wie lange musste er das schon verstecken müssen... „Es ist in Ordnung.“ Tränen füllten seine braunen, so unschuldigen Augen, und liefen stumm seine Wangen hinab. Der Ausdruck blieb in ihnen, er sagte nichts. Er weinte nur. Stumm und hilflos. Ich konnte ihn nicht so hilflos sehen, ich umschloss ihn mit den Armen und zog ihn an das Bett heran, sodass er fast auf mir lag, das eine Bein ragte nur noch über die Matratze hinweg. Zuerst schien er sich wehren zu wollen, er zuckte, aber dann schien er zu merken, dass es wirklich okay war. Er schnappte an meiner Schulter nach Luft, weinte sich einfach aus. Seine Hände krallten sich in den molligen Schlafanzug, den ich den ganzen Tag schon anhatte, und durch die Decke hindurch spürte ich, dass er zitterte. Ob vor Kälte oder Angst, wusste ich nicht. Jedenfalls keine Angst vor mir, da war ich mir sicher. Kurzerhand griff ich nach seinen Armen, schlug die Decke kurz zurück und zog ihn neben mich. Er hatte die Augen noch immer fest zusammengekniffen, die Tränen versiegten nur langsam. Ich war so glücklich, dass er sich nicht dagegen wehrte – hätte er es getan, hätte ich ihn natürlich gehen lassen, aber dann wäre ich keinen Schritt weiter als vorher. Langsam kam ich in den Genuss seines Vertrauens. Sehr langsam nur, aber auch sehr, sehr sicher. Er räkelte sich verschlafen, schlug blinzelnd die Augen auf. Verwirrt bemerkte er die Wärme, die ihn umgab – so warm war es doch sonst nie. Doch da war noch etwas anderes, Weiches. Vorsichtig wandte er den Kopf nach oben, um mehr als bloße Dunkelheit sehen zu können. Durch das Fenster, dessen Vorhänge zugezogen waren, schien mattes Sonnenlicht. Es war also schon Tag. Das war gut. In den letzten Wochen, in denen er in dem einsamen Zimmer geschlafen hatte, war er stets vor Sonnenaufgang erwacht, hatte die restliche Zeit mit Grübeln vertrieben. Er hatte es noch nie gewagt, sein Zimmer zu verlassen, bevor Adrian wach war. Aber jetzt, jetzt war es anders; er war nicht in dem Raum, wo er sonst immer geschlafen oder vielmehr gewacht hatte. Etwas fröstelnd – ob vor Kälte oder Unbehagen, konnte er nicht feststellen – stellte er fest, dass genau dieser Adrian noch immer fest, geradezu besitzergreifend die Arme um ihn geschlungen und den Kopf an seinen Nacken geschmiegt hatte. Cain spürte seinen Atem an der Haut; er kitzelte ihn. Er war froh, ihn getroffen zu haben. Cain betrachtete mit einer leichten Verrenkung seines Genicks das entspannte Gesicht des anderen, die leichte Rötung seiner Wangen und das durcheinander liegende Haar. Ohne dass er es selbst bemerkte, schlich sich ein zartes Lächeln auf seine Lippen. Er dachte gerade daran, dass es genau dieser ruhende Mensch war, der um seine Vergangenheit wusste und ihn als erster richtig und vollends akzeptierte, mit allen seinen Macken. Er hatte noch nie etwas an ihm auszusetzen gehabt – zumindest hatte er es nicht verlauten lassen. Und allein schon dafür war Cain mehr als nur dankbar. Adrian bedrängte ihn nicht, es war vielmehr eine vorsichtige Annäherung, ein sanftes Stupsen. Ein Erregen der Aufmerksamkeit. Adrian will, dass ich ihm Aufmerksamkeit schenke... Ich bin mir nicht sicher, ob ich das kann. Ich werde es auf jeden Fall versuchen... Fortsetzung folgt... Kapitel 10: Zehn ---------------- Teil: Zehn Email: kyubimon1@gmx.de Warnung: Evt. lemon/lime, auf jeden Fall sap Kommentar: Sops... Gomen, dieses Kapitel ist ein bisschen kürzer als sonst - glaub ich zumindest u.u Das liegt daran, dass ich mich momentan geistig nicht so gut fühle, bzw. hin und wieder in Depressionen versinke ^.~ Bitte verzeiht mir, falls auch das nächste Kapi in mehr als einer Woche kommt. Viel Spaß beim Lesen ;D ____________________________________________________________________________ Ich erwachte mit dem Gefühl, etwas im Arm zu halten. Meine Augen öffneten sich fast wie von selbst und bewiesen mir das, was mein Körper schon längst gewusst hatte. Cains Hinterkopf lag vor mir, sein nussbraunes Haar kitzelte meine Nase. Ein wunderbarer Geruch ging von ihm aus, ich hätte noch Ewigkeiten damit verbringen können, einfach nur hier zu liegen und ihn im Arm zu halten. Aber schon nach zwei Minuten, in denen ich langsam wach wurde, merkte ich, dass er schon wach war. Ich wollte ihm nicht zu nahe treten... Ich hatte sowieso schon Angst, ihm etwas aufgebürdet zu haben, was er gar nicht tragen konnte... Aber als auch er fühlte, dass ich erwacht war, und sich zu mir umdreht, lächelte er mich an. Diese leise Geste allein löste in mir alles mögliche aus: Zuneigung, ja, die Liebe, die ich eigentlich hatte versteckt halten wollen, tiefes Mitgefühl, das Bedürfnis, ihn vor allen Gefahren schützen zu wollen. Ich musste mich so stark zusammenreißen, ihn nicht einfach... Ja, ich musste mich zusammenreißen, ihn nicht zu überfallen und zu küssen. „Guten Morgen“, sagte ich, versuchte ebenfalls ein Lächeln, klang etwas unsicher. Aber er überraschte mich damit, dass sein Lächeln nicht verstand. Cain vergrub sein Gesicht wieder an meiner Schulter. Ich erschauerte, konnte es fast gar nicht glauben, als er mir sanft in den Nacken pustete. Verdammt, wie soll ich mich denn jetzt zurückhalten...? Vielleicht will er gar nicht, dass ich mich zurückhalte? Dieser Satz stieß alle anderen in meinem Kopf beiseite. Was, wenn er dasselbe fühlte wie ich? Ich meine, es war naiv von mir, so etwas zu denken, aber welcher einsamer Wanderer gibt in einer Wüste ohne einen Tropfen schon die Hoffnung auf eine Oase auf...? Der wäre dann wohl so ziemlich dämlich, würde ich mal sagen. Eine ganze Weile blickte ich ihm einfach nur in die Augen, konnte nicht denken. Ich versank in diesem Blick...! Hilfe, ich versinke! Wer rettet mich? Nein, rettet mich lieber nicht... Ich liebe es, zu versinken... Ich sah ihn noch einmal prüfend an, stellte fest, dass sein Blick noch immer in meinen Augen ruhte. Kein Zurückzucken, kein Weichen... Ich gab mir einen Ruck, schaltete den Rest meines Hirns ab und tastete mich mit meinen Lippen an die seinen heran. Ich löste meinen Blick dabei nicht, entdeckte den erschrockenen Ausdruck in ihm, löste mich sofort wieder von ihm. Meine Arme zog ich wieder zu mir heran, schob ihn sanft ein wenig von mir. „Tut mir Leid...“, murmelte ich verlegen und zur Seite schauend. Doch auf einmal fühlte ich zwei warme Hände an meinen Wangen, die mein Gesicht drehten. Er wusste selbst nicht, was in ihm passierte; aber etwas war einfach da. Seine Hände lagen nun schon einige Sekunden lang auf den Wangen von Adrian, sie waren samtweich und fühlten sich noch viel besser an, als er es sich vorgestellt hatte. Ja, in den letzten Minuten, in denen Adrian ihn einfach nur angesehen hatte, offensichtlich zu schwach, seinen Blick von ihm zu lösen, hatte er sich dieses Gefühl ausgemalt. Er war ein wenig schockiert gewesen, fremde Lippen auf den seinen gespürt zu haben – es war ein wenig ungewohnt gewesen, aber schön. Es hatte ungeahnte Gefühle in ihm hoch geholt. Gefühle, die schon etwas länger in ihm gepocht hatten; er hatte sie nie wahrgenommen... Seine Hände drehten Adrians Kopf so weit zu sich, dass er ihm wieder in die Augen schauen konnte. Ohne weitere Gedanken darüber zu verlieren, machte er es ihm gleich – kam näher an ihn heran und presste nun seinerseits die Lippen auf die anderen. Ich war noch viel überraschter als bis eben, wo er mich gerade noch mit seinem umwerfenden Lächeln aus den Bahnen geworfen hatte. Sein Atem streifte mein Kinn, kurz bevor er mich seinerseits küsste. Dabei schloss er die Augen nicht, genauso wenig wie ich. Es war unglaublich. So ganz anders als vorher. Denn es ging von ihm aus... Nicht von mir... Ich weiß nicht, wie lange wir so im Bett verbrachten. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Ich merkte nur noch, dass Cains Lippen irgendwann die meinen verließen, wie er seinen Kopf wieder an meiner Brust vergrub. Mein Blick ruhte auf seinem Schopf; so langsam konnte ich wieder nachdenken, trotz seiner Nähe. Wie sehr hatte ich ihn verwirrt? Was ging in ihm vor? Was dachte er jetzt von mir? Fühlte er genauso wie ich? Ich muss es wissen! „Cain“, brachte ich mit leiser Stimme hervor. Abgesehen von diesem Wort hatte ich ihm nur einen guten Morgen gewünscht – und doch war so viel passiert...! Cains Gesicht hob sich, schwebte vor meinem. „Ja?“ Seine Stimme ist samtweich... Ich schluckte. Sollte ich das jetzt wirklich so direkt fragen? Er blinzelte nicht einmal, als ich schließlich fragte: „F... Fühlst du so wie ich?“ Ich klang heiser, es war nicht mehr als ein Hauch. Ich wunderte mich, dass er mich überhaupt verstanden hatte. Mein Verstand hatte sich übrigens meilenweit von mir entfernt... Zur Antwort versteckte er nur wieder den Kopf an mir. Als ich glaubte, er wolle es bei dieser Antwort belassen, hörte ich ihn. „Ich weiß nicht, Adrian... Es ist alles so... verwirrend.“ Ich wollte nicht glauben, was ich spürte. „So seltsam... Es ist eine Weile her, aber noch viel zu nah...“ Nein, ich war mir sicher, ein ungewolltes Schluchzen in seinem Ton wahrzunehmen. Unwillkürlich wurde mein Griff fester, doch gleichzeitig fragte ich mich, was in diesem Moment besser war: Ihn loszulassen oder festzuhalten. „Kannst... du mich loslassen? Bitte?“ Als hätte mich ein Blitzschlag getroffen, entließ ich ihn aus der Umarmung. Seine weinerliche Stimme weckte geradezu gigantische Schutzinstinkte in mir. Ich hörte, wie er tief Luft holte und sich aufrichtete. Sein Blick hing starr an dem Kleiderschrank, der gegenüber an der Wand stand. Seine Hände krallten sich in die Decke, als er, weiterhin mit entferntem Blick, wieder sprach. „Es ist... alles zu früh. Ich... ich... Oh, Gott...“ Cain schlug die Hände vors Gesicht. Mit einem Mal hatte ich das fürchterliche Gefühl, dass ihm das alles einfach nur schrecklich peinlich war... Dass er mir nur etwas vorgemacht hatte – um meine Gastfreundschaft zu bezahlen. Das hat er aber nicht lange durchgehalten, dachte ich sarkastisch. „Hör zu, Adrian.“ Endlich suchten seine Augen wieder die meinen. „Das, was passiert ist... Ich brauche Zeit. Es geht einfach nicht.“ Ich schluckte. Durfte man das als Abfuhr werten? Nun fühlte ich mich richtig dämlich, denn er wusste, was mit mir los war, und er lebte mit mir unter einem Dach... Ich hätte ihn viel früher rauswerfen sollen. Dann wäre das alles hier gar nicht passiert. Und noch etwas... Wie sollte ich meiner Familie jetzt unter die Augen treten, mit einem Findelkind, dem ich meine Liebe gestanden hatte – zumindest indirekt – und das sie keineswegs erwiderte. Verdammt. „Adrian?“ Seine Stimme kam wieder näher. Wie in einem Traum spürte ich, wie warme Hände unter die Decke griffen und meine eigenen umfassten. Ich hob meinen Blick. Leuchtendes Grün versank in knackendem Braun. „Nimm dir das nicht zu sehr zu Herzen.“ „Ich soll was?“ Ich glaubte, nicht recht zu hören. „Was glaubst du eigentlich, wie ich das bitte anstellen soll? Ich... Ich... sage dir das, und du sagst mir, ich soll es mir nicht zu sehr zu Herzen nehmen, dass du nicht dasselbe fühlst wie ich?“ Wütend über so viel Naivität entriss ich ihm meine Hände und sprang augenblicklich aus dem Bett. „Soll ich dir mal was ganz Ehrliches sagen?“ Meine Augen sprühten förmlich. „Du hast zwar eine ach so schreckliche Vergangenheit, aber dafür hast du umso weniger gesunden Menschenverstand!“ Ich drehte mich um und wandte mich der Tür zu. „Ach, und noch was. Du kommst mit zu meinen Eltern, und wenn ich dich mit meinen eigenen Händen aus diesem Haus schleifen muss!“ Meine Sicherungen waren endgültig durchgebrannt. Ich war nicht mehr zu retten. Ein geistiges Wrack. Ging es mir nun schlecht oder schlechter als vorher, konnte ich nicht sagen. Schuldgefühle überrannten mich geradezu, aber andererseits loderte ich auch vor Zorn. Vorbei war die Zeit, in der ich dagesessen und still zugehört hatte! Das Telefon klingelte, und ich nahm im Flur ab. Ich hatte zwar keine Lust, dass Cain das Gespräch, wer auch immer anrufen mochte, belauschte, aber das schnurlose Ding im Schlafzimmer war eben nur für Notfälle gedacht. Basta. „Ja?“, meldete ich mich mit gelangweilter Stimme – meine Laune sank noch einen Deut tiefer, als Selaine ihren Namen nannte. „Was willst du denn schon wieder?“ „Hey, ein bisschen mehr Freundlichkeit zu deiner kleinen Schwester!“, empörte sie sich gespielt. Sie war offensichtlich guter Laune. „Ich wollte dich nur daran erinnern, dass du morgen ein Treffen bei unseren Eltern geplant hast.“ Ich schloss die Augen kurz, rieb mir mit zwei Fingern über die linke Schläfe. Holte tief Luft. „Selaine, ich weiß es.“ „Ja ich wollte dich nur daran –“ „Ich weiß es.“ „Okay...“ Immer diese nervtötenden Schwestern. Wie oft hatte ich mir früher gewünscht, ihr ein Messer an die Kehle zu halten? „Alles geklärt?“ „Ja...“ Stille am anderen Ende der Leitung. Sollte ich jetzt auflegen? Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es unhöflich erscheinen würde... Und wenn schon, war doch nur meine Schwester. Aber... „Selaine, ist irgendetwas nicht in Ordnung?“ „Nein, es ist...“ Sie holte Luft. „Es ist alles okay.“ Ihre Stimme klang gar nicht mehr so, als ob alles okay war. „Na gut, es ist doch nicht alles so okay“, fauchte sie genervt auf mein längerer Schweigen hin durch die Leitung. „Komm einfach, ja?“ Dann legte sie auf. Fortsetzung folgt... Kapitel 11: Elf --------------- Teil: Elf Email: kyubimon1@gmx.de Warnung: Evt. lemon/lime, auf jeden Fall sap Kommentar: Wui, das Ende des Kapitels ist mir recht leicht von der Hand gegangen ^___^ Ich hoffe mal, mit noch mehr Kommis beglückt zu werden :D Ach ja, ich hab ja geschrieben, dass ich meinen ersten Lemon schreiben werde. *Angst* Das wird dann wahrscheinlich unter Adult gestellt, aber die FF wird gleichzeitig auch noch hier veröffentlicht: http://www.yaoistories.de/fanfiktions/fanfiktion-kapitel-5648.html Viel Spaß beim Lesen ;D ____________________________________________________________________________ Das gemietete Auto war gepackt, Cain wohl auf dem Beifahrersitz verstaut, während ich gerade die Tür zum Haus abschloss. Umbrella hatte ich wenige Stunden zuvor bei den Nachbarn abgegeben, worüber der Junge wahrscheinlich mehr als nur froh war – er zeigte es nur nicht. Überhaupt war er sehr schweigsam; und ich immer noch sauer. Die Autotür klappte hinter mir zu, während ich mich anschnallte und den Gang einlegte. Die Dorfstraße war so gut wie gar nicht befahren, das machte es mir ein wenig leichter. Ich besaß meinen Führerschein seit rund sechs Jahren, doch gefahren war ich erst ein paar Male; ich hatte kein eigenes Auto, wozu auch? In diesem Kaff brauchte man es ja doch nicht. Da sparte ich mir lieber die Versicherungs- und Benzinkosten und machte die wenigen Ausflüge in die Stadt mit dem Bus. Cain blickte mit starrem Blick hinaus und hing seinen eigenen Gedanken nach. Die Fahrt zu meinem Elternhaus dauerte länger als erwartet, denn wir waren nicht die einzigen, die die Idee gehabt hatten, über Weihnachten wegzufahren. Auf der Autobahn herrschte kilometerlanger Stau, und zu meinem größten Übel hatte es auch wieder zu schneien begonnen. Zum Glück ging es nur langsam voran. „Hast du Hunger?“, fragte ich schließlich monoton in Cains Richtung. Ich erhielt keine Antwort. Dann eben nicht... Ich zuckte nur mit den Schultern und konzentrierte mich wieder auf das Geschehen um mich herum. Stundenlang, wirklich stundenlang tuckerten wir auf dieser sonst so schnell befahrenen Autobahn herum... Genervt stützte ich meine Arme auf dem Lenkrad ab. „Ich verstehe es immer noch nicht.“ Überrascht schaute ich zu seiner Seite, von woher die Stimme gekommen war. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er heute noch etwas sagen würde. Er wandte mir kurz sein Gesicht zu, wandte es aber sofort wieder ab und sah nach vorn durch die Windschutzscheibe – sein Blick aber schien weiter in der Ferne zu liegen. „Was verstehst du nicht?“, fragte ich leise. „Dass...“ Sein Adamsapfel hüpfte einmal auf und ab, er schluckte. „Dass ich es zugelassen habe. Einfach über mich ergehen lassen...“ Ich wusste darauf nichts zu erwidern, wusste doch nicht, worum genau es ging... Und im nächsten Augenblick wusste ich es. Er sprach von seinem Vater... „Ich weiß es wirklich nicht. Es... tat so weh...“ Von der Seite bemerkte ich, wie Cain kurz die Augen zusammenkniff, sich kurz in Erinnerungen verlor und alles noch einmal zu durchleben schien. Was sollte ich sagen? In dem Moment war ich wirklich sprachlos. Mir fehlten die Worte, die mir sonst immer so leicht über die Lippen kamen. Stattdessen versuchte ich es körperlich. Ich langte mit einem Arm zu ihm, berührte ihn leicht an der Schulter. Er sah mich wieder an, diesmal länger. „Ich weiß es wirklich nicht, Adrian!“ Ich konnte sehen, wie er die Zähne zusammenbiss, seine Kiefermuskeln spannten sich an. „Ich glaube dir ja“, erwiderte ich erstaunlich ruhig. Fortgeblasen war die Wut... Seine Augen sahen mich mit einem so unschuldigem und wehrlosen Ausdruck an, dass ich am liebsten meine beiden Arme um ihn geschlungen hätte – aber das hätte nur alles wieder kaputtgemacht. Er hatte mir doch klar und deutlich gesagt, dass er nicht wollte... Daraufhin sagte Cain nichts weiter, schloss nur die Augen und genoss die vorsichtige Nähe sichtlich. Ich sagte mir, dass er mich halt nur als einen Freund sah, und Freunde gaben sich nun mal gegenseitig kleine Gesten. Wenn auch nicht allzu große. Die restliche Fahrt verlief ebenfalls in Schweigen, aber es war nichts Negatives mehr daran. Die Worte, die wir gewechselt hatten, klangen in meinen Ohren fast wie eine Versöhnung, ohne dass ich es gemerkt hatte. Gegen Abend – es dämmerte schon – kamen wir dann in meiner Heimatstadt an. Es sah alles aus wie immer: Die meterhohe Kiefer direkt vor dem Einfamilienhaus stand noch an ihrem selben Platz, war um ungefähr drei Meter gewachsen und prächtiger geschmückt als im Vorjahr. Schnee lag auf ihren Zweigen wie kleine, weiße Teppiche, zu ihren Füßen lagen ein paar Zapfen. Die Lichterkette war bereits eingeschaltet. Wieder einmal fragte ich mich, wie lang dieses Ding sein musste, dass meine Eltern nicht jedes Jahr gezwungen waren, eine neue zu kaufen. Das Haus an sich war nicht besonders groß, wir waren schließlich bis vor wenigen Jahren nur zu viert gewesen. Es war eines der typischen Häuser, die schon vor dem Zweiten Weltkrieg gestanden und ihn überlebt hatten. In der Mitte, zwischen vier Fenstern des Ober- und Untergeschosses, rankten sich blutrote Rosen die Wand hinauf. „Willkommen daheim“, sagte ich leise lächelnd, und plötzlich wurde ich von einer solchen Weihnachtsstimmung überfallen, dass mir fast schwindlig wurde. Nun war Cain bereits knapp zwei Monate bei mir... Ich ging vor ihm auf das Gebäude zu und trat auf den Fußabtreter – immer noch derselbe. Nichts schien sich geändert zu haben, abgesehen von den wachsenden Dingen. Kaum hatte ich den Klingelknopf gedrückt, öffnete sich die Tür. „Adrian!“ Stürmische, herzliche Arme griffen nach mir, während Cain sich immer noch scheu im Hintergrund hielt und die Begrüßung stumm beobachtete. Meine Mutter war schon immer eine nette, liebevolle und etwas pummelige Frau gewesen. Jeder, der sie ein paar Minuten kannte, mochte sie auf Anhieb; mein Vater hingegen war stramm, schlank und hochgewachsen – das absolute Gegenteil, sollte man meinen. Aber sie waren die erste große Liebe des jeweils anderen, und seitdem hielten sie zusammen wie Pech und Schwefel. Noch nie hatte sie jemand auseinander bringen können. Meine Mutter drückte mir ein Küsschen auf die Wange und entdeckte ihn mit einem Blick über die Schulter. „Oh, und wer ist das? Magst du ihn nicht vorstellen, Adrian?“, fragte sie mit dem für Mütter typischen Lächeln zu Cain. Ich räusperte mich und trat ein wenig aus dem Weg, sodass sie sich direkt gegenüber standen. Jetzt kam auch mein Vater heraus, wir begrüßten uns ebenfalls mit einer kurzen Umarmung. Auch er blickte interessiert zu dem anderen. „Mama, Papa, das ist Cain. Er wohnt seit zwei Monaten bei mir.“ Ein wenig überrascht blickten sie mich an, sagten jedoch nichts dergleichen. „Willkommen, Cain.“ Alle beide traten sie vor und schüttelten ihm freundlich die Hand. „Kommt doch herein, es ist bitterkalt hier draußen! Laurenz, zünde doch bitte den Kamin für unsere Gäste an.“ Darauf gingen wir alle wieder ins Haus. „Ist Selaine schon da?“, fragte ich. Meine Mutter drehte sich um, ihr Blick war besorgt. „Ja, aber sie sitzt seit ihrer Ankunft nur in ihrem Zimmer.“ Sie warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu. Ich nickte. „Ich gehe gleich zu ihr“, murmelte ich ihr im Vorbeigehen zu, sodass Cain es nicht hören konnte. Nebeneinander betraten wir das Wohnzimmer, an dessen gegenüberliegenden Wand das Feuer schon fröhlich in seinem Kamin prasselte und knackte. In der Ecke stand ein kleiner Weihnachtsbaum, ebenfalls mit Lichterkette, glitzernden Kugeln und kleinen, kitschigen Engeln geschmückt – so, wie Mama es mochte. Ich ließ mich auf das Sofa fallen, Cain setzte sich etwas unsicher auf einen knuddligen Sessel. Bevor ich mich um Selaine kümmerte, wollte ich mich ein wenig entspannen und die vertraute Umgebung in mich einfließen lassen. Alles war so idyllisch – die Wärme, die leise Klassikmusik, die im Hintergrund lief, Cain nur ein paar Zentimeter von mir entfernt. Wären wir vollends allein im gesamten Haus gewesen, hätte ich es wahrscheinlich nicht ausgehalten... In genau diesem Moment kam meine Mutter mit einem Tablett Dominosteinen und Marzipankartoffeln herein, stellte dieses auf dem kleinen Glastisch ab und verschwand lächelnd wieder in der Küche. Bei uns in der Familie herrschten keine endlosen, langen Gespräche um den heißen Brei herum – wenn jemand etwas auf dem Herzen hatte, sagte er es gleich. So etwas wie Smalltalk hatte in diesen vier Wänden schon gar nicht stattgefunden. Von daher störte es mich nicht, dass keiner meiner Eltern mich in ein Gespräch verwickeln wollte, weil wir uns ein Jahr lang nicht gesehen hatten. Stattdessen schnappte ich mir eine der traditionellen Süßigkeiten, die es hier schon jedes Jahr gegeben hatte, und kaute genüsslich. „Deine Eltern sind wirklich nett“, erklang Cains geradezu zerbrechliche Stimme. „Ja, das sind sie“, antwortete ich langsam. „Ich bin froh, sie zu haben, auch wenn wir uns nur so selten sehen. Aber sie kommen damit klar.“ „Ich hätte auch gern solche Eltern...“, sinnierte er sehnsüchtig, und sein Blick verlor sich in den Flammen. Darauf wusste ich nichts zu sagen, und so blieb ich stumm. Ich hatte das Gefühl, jedes Wort, jeder Satz, jeder Laut hätte den Augenblick zerstört. Diese Idylle... Mit einem Seufzer erinnerte ich mich daran, dass ich heute noch eine Schwester zu trösten hatte – und das noch, bevor es Abendessen gab. Morgen war schon Heiligabend, und es gab noch eine Menge zu tun, aber das hielt meine Mutter nicht davon ab, etwas Ordentliches aufzutischen. „Bei euch zu Hause gibt es doch sicher immer nur Instantnudeln!“, pflegte sie oft mit gehobenem Finger und halb im Scherz zu sagen. Nach einer Weile kam meine Mutter wieder herein und setzte sich auf den anderen Sessel, legte sich ein Kissen in den Schoß und sah ins Kaminfeuer. So hockten wir nun zu dritt im warmen Wohnzimmer, schweigend, nur das Prasseln der Flammen im Hintergrund; aber diese Behaglichkeit währte nicht lange. Denn meine Mutter warf mir seit ungefähr zwei Minuten auffordernde Blicke zu, von denen sie glaubte, Cain bemerke sie nicht. Tatsächlich aber war es so, dass er sie aus dem Augenwinkel mehr als interessiert betrachtete. Schließlich schnappte ich mir noch eine Marzipankartoffel und stand auf, um den Raum zu verlassen, wohlwissend, dass nun ich derjenige war, der Cains Blicke im Rücken hatte. Auf dem kalten Flur herrschte eine drückende Stille. Nur das dumpfe Ticken der Uhr war aus der Küche her zu hören. Langsam stieg ich die Stufen der Treppe hinauf und überlegte dabei, was denn so schlimm sein konnte, dass es Selaines gute Stimmung an Weihnachten, die sonst immer richtig ausgeprägt war, in den Keller schleuderte. Ein paar Augenblicke stand ich vor der Tür ihres alten Kinderzimmers – meine Eltern hatten die Einrichtungen unserer Zimmer nie geändert. Sie brauchten nicht mehr Platz, warum also unnötig Zimmer ausräumen? Endlich konnte ich mich dazu durchringen, vorsichtig zu klopfen; dann öffnete ich und betrat die Höhle des Löwen. Selaine lag – wie erwartet – auf ihrem Bett. Die Plüschtiere, die sie so geliebt hatte, standen an ihrem Kopfende um das große Kissen herum, die Decke war unter ihrem Körper unordentlich zerstrampelt. Und nicht zu übersehen und –fühlen war das geöffnete Fenster, an dessen Seiten die Gardinen vom Wind getrieben hinein wehten. „Selaine?“, fragte ich leise. Sie hatte nicht aufgeschaut, als ich eingetreten war. Sie regte sich immer noch nicht. Etwas befangen ging ich auf das Bett zu und hockte mich davor. Ich verschränkte die Arme auf der Matratze und legte den Kopf darauf ab. Mit der einen Hand wagte ich es, meiner kleinen Schwester über das Haar zu streichen. Es vergingen Minuten, aber irgendwann spürte ich, dass sie weinte. Zu meinem Bedauern konnte ich einen Seufzer nicht unterdrücken. Es war schon lange her gewesen, dass Selaine vor meinen Augen geweint hatte – wahrscheinlich in Kindertagen, als wir noch bei unseren Eltern gewohnt hatten. Und immer war ich wieder derjenige, der sie getröstet hatte; nicht Mama oder ihre beste Freundin. Mit Freundschaften war sie sowieso nie wirklich im Reinen gewesen, zu oft war sie enttäuscht und verletzt worden. Und nun lag sie wieder hier... In derselben Position, mit denselben Plüschtieren, mit denselben Schluchzern. Mittlerweile zuckte sie nur noch ein wenig, aber man hörte nichts mehr. Vorsichtig lehnte ich mich weiter zu ihr hin, um eine Hand an ihre Wange zu legen. „Selaine...“, sagte ich wieder leise. Und endlich, endlich drehte sie ihren Kopf, sodass ich ihr Gesicht sehen konnte. Wie erwartet war es ganz rot, die Augen geschwollen vom Weinen; etwas scheu strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Weg. Ein trauriges Lächeln hockte auf ihren Lippen. „Jetzt hab ich dir den ersten Tag mit der Familie schon gleich wieder versaut, was?“ Ihre Stimme klang brüchig, als ob sie jederzeit wieder beginnen würde, zu weinen. Bedächtig schüttelte ich den Kopf. „Ganz und gar nicht, Selaine.“ Es war so lange her, dass ich sie gesehen hatte...! Ihre Stimme am Telefon zu hören, war etwas anderes, als sie live zu sehen. Ihr Haar war noch ein Stück gewachsen – wahrscheinlich hatte sie es sich irgendwann kürzen lassen – und vorher zu einer Frisur hochgesteckt; jetzt lag die Nadel, die das Haar festgehalten hatte, auf dem Boden, ihre Mähne war durcheinander und fiel in lockigen Wellen über ihre Schultern. Es war genauso braun wie das von Cain, fiel mir gerade auf. Ich hob die Haarnadel auf und legte sie auf den Nachttisch, auf dem auch eine kleine Lampe stand, die ich jetzt einschaltete, denn bis eben hatten wir in Dunkelheit gesessen; nur das helle Mondlicht hatte durch die unbedeckten Fenster geschienen. Eindringlich blickte ich sie an, als könnte ich in ihren Augen Antworten auf ihr Verhalten finden. „Also“, sagte ich schließlich. „Magst du mir nicht erzählen, was passiert ist?“ Entsetzt konnte ich sehen, wie sich ihre Augen erneut mit Tränen füllten, aber sie war nicht so wie Cain. Sie konnte darüber sprechen, auch wenn ihre Wangen noch nass waren. Und dann begann sie wirklich zu erzählen. Fortsetzung folgt... Kapitel 12: Zwölf ----------------- Teil: Zwölf Email: kyubimon1@gmx.de Warnung: Evt. lemon/lime, auf jeden Fall sap Kommentar: Ä... hehe... Joa... ^^;;; Ich bin unwürdig ú____ù Ich wollte das Kapitel schon vorletztes Wochenende hochgeladen haben, aber irgendwie hab ich's verpeilt oÔ *versteck* Viel Spaß beim Lesen ;D ____________________________________________________________________________ Es war ein schwieriges Problem, das meine kleine Schwester belastete... Vor Monaten hatte sie sich von ihrem Freund getrennt. Dieser hatte lange gebraucht, um das Ende zu verarbeiten, war immer wieder vor ihrer Wohnung aufgekreuzt und hatte sie dort regelrecht belagert. Einmal hatte sogar die Polizei kommen müssen, weil er sich partout nicht vom Fleck hatte rühren wollen. Danach fand er relativ schnell wieder den Anschluss in die Realität, hatte eine neue Freundin, mit der er sehr glücklich war. Durch Zufall begegneten sie Selaine bei einer Tour durch die Einkaufsmeile; eigentlich hätte sie erleichtert sein müssen, dass ihr Ex ihr nicht mehr wie ein Wolf hinterher heulte. Doch stattdessen wurden die Begegnungen immer häufiger, vor allem abends in sämtlichen Clubs der Stadt, in der sie wohnte. Selaine hatte sich in die Freundin ihres Ex verliebt. „Hey, Selaine.“ Immer und immer wieder strich ich ihr über den Rücken, und beinahe schien es mir so, als täte ich das nur, um nicht nur sie, sondern auch mich zu beruhigen. Ich dürfte der Letzte sein, der mit gleichgeschlechtlicher Liebe klarkam, und darum ging es auch nicht. Es war vielmehr die Tatsache, dass sie so sehr darunter litt. Sie erzählte mir, dass dies nun schon seit einigen Wochen so ging. Niemals war sie so verliebt gewesen – und auch noch nie so hoffnungslos. Ich wusste selbst, wie schwer es war, sich selbst erst einmal eingestehen zu müssen, dass man kein Interesse am anderen Geschlecht hatte. Jedoch hatte ich mich zu meinem Glück noch nie in ein Mädchen oder eine Frau verliebt, was die Sache erheblich vereinfachte; Selaine hingegen wurde mit einer doppelt so großen Last konfrontiert. Und ich konnte nichts anderes tun, als sie in meinen Armen zu trösten. Was hätte man auch anderes tun können? Ich kam mir so hilflos vor, so... unnütz. Dabei war doch Weihnachten...! Eine drückende Stille herrschte im Flur, als ich die Tür zu ihrem Zimmer hinter mir schloss. Ohne dass sie es selbst bemerkt zu haben schien, war sie erschöpft und noch immer hicksend eingeschlafen. Als ich einen Blick auf meine Armbanduhr warf, musste ich überrascht feststellen, dass es bereits nach neun war. Hatte ich etwa so lange bei ihr gesessen...? Das Abendessen war sicher schon vollbracht, und jetzt bekam ich auch noch ein schlechtes Gewissen, weil ich Cain mit meinen Eltern hatte allein essen lassen. Aber es stellte sich heraus, dass er besonders mit meiner Mutter sehr gut auskam. War er zu Anfang noch schüchtern und in sich gekehrt gewesen, so unterhielt er sich jetzt mit ihr, als wäre sie seine eigene. So flüssig und für seine Verhältnisse fröhlich sprach er noch nicht einmal mit mir! Ich spürte, wie Eifersucht in mir hoch brodelte, und ich hasste mich dafür. Es war doch nur meine Mutter...! Den Kopf über diese Naivität schüttelnd, setzte ich mich zu den beiden an den Küchentisch; mein Vater saß in seinem Lieblingssessel vor dem noch immer brennenden Kaminfeuer und las die Tageszeitung. Meine Mutter sprang sofort auf, als sie mich hereinkommen sah. „Möchtest du jetzt etwas essen, Schatz?“ Ich nickte und erhaschte einen Blick auf Cain, der mich neugierig musterte. Als ich ihn jedoch ansah, schaute er weg. „Tut mir Leid, dass ich dich hier allein gelassen habe“, sagte ich möglichst schuldbewusst. Doch er winkte ab und zeigte mir ein angedeutetes Lächeln. „Du brauchst dich nicht dafür zu entschuldigen. War sicher wichtig...“ Und damit betrachtete er mich wieder eingehend und fragend, nach dem Motto: Womit wir schon mal beim Thema wären... Mir wurde ein Teller mit Kartoffeln, Rotkohl und ein großzügiges Stück Lammfleisch vor die Nase gestellt, den ich munter zu futtern begann. „Wie geht es Selaine?“, fragte sie leise und ließ sich wieder neben mir nieder. Zuerst blickte ich sie etwas verwirrt an – hatte sie vor ein paar Stunden noch nicht so getan, als sollte diese Sache vor Cain geheim bleiben? „Nicht sehr gut“, antwortete ich zögerlich und blinzelte zu dem anderen hinüber, der jetzt so tat, als wäre er vollkommen desinteressiert an unserem Gespräch. „Sie hat... sich verliebt.“ Ich setzte dazu an, weiter zu erzählen, aber dann schnaubte ich. „Ach, Mama. Wenn sie möchte, dass du es erfährst, wird sie es dir schon selbst sagen. Ich kann dich aber beruhigen, es ist niemand gestorben oder so.“ Sie runzelte die Stirn, trank aber wie zum Abschluss aus ihrer Tasse Tee. Dann stand sie auf und band sich die Schürze ab, die sie immer beim Kochen trug. „Du siehst irgendwie todmüde aus“, kommentierte ich sie und erntete dafür einen kurzen, leicht sarkastischen Blick. „Was glaubst du denn, wie man sich nach den ganzen Vorbereitungen fühlt? Und wir haben es noch nicht einmal hinter uns gebracht.“ Oh ja. Mir klang es immer noch so in den Ohren, als ob ich es erst gestern zuletzt gehört hätte. Weihnachten ist die schrecklichste Zeit des Jahres... Abgesehen von den paar familienreichen Stunden. Dennoch erhob meine Mutter kein weiteres Wort mehr und verschwand aus der Küche, und man hörte leise Stimmen aus dem Wohnzimmer. „Hast du es absichtlich nicht gesagt, oder wollte deine Schwester wirklich nicht, dass deine Mutter es erfährt?“, kam es überraschend von Cain. Ich hätte nicht gedacht, dass er es direkt ansprach. Ich nickte zögerlich. Was sollte ich ihm sagen? „Hm... Vielleicht beides?“ Er runzelte die Stirn bei dieser zweideutigen Antwort. „Adrian...“ Zum Glück erlöste mich meine Mutter im letzten Zeitpunkt vor weiteren unangenehmen Löcherungen. „Adrian, wir gehen noch etwas spazieren, und danach ins Bett. Gute Nacht.“ Tolle Erlösung. Beinahe hätte ich den Kopf auf die Tischplatte fallen gelassen. Um das zu verhindern, stand ich ruckartig aus, nickte und holte mir noch etwas zu trinken. Die Haustür fiel ins Schloss, und plötzlich waren wir allein. Unangenehmes Schweigen breitete sich aus. „Hast du Lust auf einen DVD-Abend?“, schlug ich schließlich vor. DVD-Abend war gut. Mit Fernseher war das Schweigen ganz normal. Zögernd nickte er. „Ich... habe schon lange kein Fernsehen mehr geschaut“, sagte er mit dem Anflug eines Lächelns, sichtlich erfreut über die Idee. Mein Herz machte einen Sprung. Vielleicht ist das doch keine so gute Idee... Ich schluckte. Entgegen meiner Erwartungen war er schon vom Stuhl aufgesprungen und hatte sich auf das Sofa fallen lassen, zog sich jetzt, als ich ebenfalls ins Zimmer kam, ein flauschiges Kissen auf den Schoß und umschlang es mit beiden Armen. Er seufzte glücklich. Ich schmunzelte unmerklich. Irgendwie war es eine gute Entscheidung gewesen, ihn hierhin mitzunehmen – vor allem, da meine Eltern keine Fragen zu stellen schienen. Sie nahmen ihn einfach mit auf, als gehörte er mit zur Familie. Vielleicht aber kamen die Fragen ja auch später. Wer wusste das schon. Ich hockte jetzt vor dem Regal mit den DVDs – es waren nicht viele, aber trotzdem eine gute Auswahl – und grübelte, was geeignet war. Eine Liebesschnulze? Sicher nicht. Ein Horror? Wuah, da konnte ich mir ja gleich an die Stirn schreiben: Junge zum Kuscheln gesucht. Action? Ich hasste Actionfilme... Abgesehen von ein paar Ausnahmen wie Spiderman. Dann blieb wohl nur noch Komödie übrig... Denn ein trauriger Film kam gar nicht erst in Frage. Aus verständlichen Gründen, möchte ich meinen. Also zog ich irgendeinen, mir seltsamerweise unbekannten Film heraus, der irgendetwas mit Verwechslung zu tun hatte. Aha, meine Eltern schauten also doch DVDs. Ich hätte wetten können, dass der Fernseher nur zur Nachrichtenzeit lief, wenn keiner außer ihnen im Haus war. Ich schob die DVD in den Player und machte es mir neben ihm auf dem Sofa gemütlich – wobei ich die gegenüberliegende Lehne vorzog, um nicht zu aufdringlich zu erscheinen. Nur noch die Stehlampe in der Ecke erhellte den Raum. Die Chips standen wohl noch vom letzten Abend auf dem Tisch, so musste ich nicht noch einmal aufstehen. Die Komödie war ganz lustig, aber vorhersehbar. Natürlich, lachen tat man für gewöhnlich immer an den Stellen, an denen es vorgesehen war, aber bei einigen Szenen musste ich mich zusammenreißen, nicht laut Ich wusste es! zu rufen und mir auf den Schenkel zu hauen. Cain hing wie gebannt vor der Mattscheibe. Es war mir ein Rätsel, wie man so gefesselt davor hocken konnte, mit senkrecht aufgerichtetem Rücken, die Hände in das Kissen gekrallt, jeder Bewegung auf dem Bildschirm mit den Augen folgend. In der zweiten Hälfte des Films spürte ich, wie ich immer weniger davon und immer mehr von dem Jungen neben mir mitbekam. Ich schluckte. Ich darf es nicht... Ich muss mich zusammenreißen... Hoffentlich schöpft er keinen Verdacht, wenn ich mir jetzt einen Chip nehme. Unauffällig griff ich in die Tüte und steckte mir das Ding in den Mund. Meine Güte, es war wirklich harte Arbeit, auf meiner Seite des Sofas sitzen zu bleiben. Es war, als hätte jemand eine unsichtbare Grenze gezogen, jeder blieb auf seiner eigenen Seite, wobei ich nicht noch ein zweites Mal erwähnen muss, dass mir das nun recht schwer fiel... Ich überlegte mir eine andere Taktik und sah ihn von der Seite direkt an. Wenn ich ihn die ganze Zeit ansah und betrachtete, würde das Bedürfnis vielleicht verschwinden. Ich könnte meinem Körper vorlügen, mich allein mit Blicken satt sehen zu können... Dennoch musste ich vier Sekunden später feststellen, dass ich mich in seine Richtung gebeugt hatte. Verdammt...! Warum musste dieses Sofa so verdammt eng sein?! Ich verwette meine gesamten Aquarellfarben, dass mir mein Körper extrem schlecht gehorcht! Schließlich jedoch wurde ich endlich von all meinen Bemühungen erlöst, denn ich hatte vor ein paar Minuten einfach die Augen zugemacht und starrte nun stur auf einen Punkt in der Schwärze. Auf einmal spürte ich warmen Atem an meinem Hals. Er wusste nicht, was in ihn gefahren war. Der Film war längst zu Ende, aber irgendwer musste die Repeat-Einstellung betätigt haben; Adrian schien es nicht bemerkt zu haben. Überhaupt sah er ziemlich weggetreten aus, als Cain zu ihm rüber sah. Fasziniert und mit einem Gefühl der Wehmut beobachtete er jeden einzelnen seiner ruhigen Atemzüge. Der Film war vergessen. Cain konnte den Blick gar nicht mehr abwenden, erst jetzt richtete er seine Augen vollends auf den Kunststudenten. Bis jetzt hatte er ihn immer nur aus den Augenwinkeln betrachten können, für mehr hatte ihm ganz einfach der Mut gefehlt. Doch jetzt konnte er ihn ansehen – so, wie er es wollte. Cains Blick war merkwürdig verschleiert. Ihn übermannte ein Gefühl, das er bis jetzt erst einmal in seinem gesamten Leben gehabt hatte; und von dem er bis zu diesem Zeitpunkt geglaubt hatte, es würde nie wiederkehren. Eine Welle von Erregung. Es war der Drang, Verbotenes zu tun, das ihn leicht schwindeln und ins Sofa zurücksinken ließ, wobei er Adrian nicht ein einziges Mal aus den Augen ließ. Unentwegt glitt er über ihn. Konnte beinahe schon seinen eigenen Herzschlag spüren. Das machte ihm Angst. Wie lange war es her, seit er Gefühle verspürt hatte? Wie viele Jahre? Er schluckte. Bei dem Gedanken, wieder etwas zu verspüren, nach so langer Zeit, wurde ihm ganz übel. Doch es war ein angenehmes Unwohlsein, wie wenn jemand, der lange nicht mehr auf dem Pferd gesessen hat, wieder in den Sattel steigt und versuchen muss, sich dort zurechtzufinden... Ja, das traf es wohl. Genauso fühlte er sich. Er war froh, dass Adrian ihn so nicht sehen konnte. Cain nahm an, dass er schlief, oder zumindest döste. So konnte er dem Drang nicht mehr widerstehen, und es war ihm egal, wie viel Angst ihm bereitet wurde. Den Fernseher weiterhin im Hintergrund hörend, aber nicht mehr richtig wahrnehmend, spürte er, wie sein Körper sich nach vorn beugte, in Adrians Richtung. Ebenso wie das Flackern des noch immer währenden Kaminfeuers schlug sein Herz. Es galoppierte ihm beinahe davon, und längst hatte sich sein Verstand ausgeschaltet. Cain wusste selbst nicht mehr, wann er die Augen schloss, wie er dem anderen plötzlich so nahe war, und warum er seine Umgebung nicht mehr erkannte. Alles war verschwommen – wie in einer verzerrten Spiegelwelt. Und dann war da dieser Eindruck; ein Widerstand auf seinen Lippen, fest, doch angenehm warm und weich. Unwiderstehlich schmiegten sich diese Lippen an die seinen, und alles, was er fühlen konnte, war diese unbeschreibliche Wärme. Er öffnete die Augen um eine Winzigkeit, um ihn mit seinen Blicken verschlingen zu können. Adrian war ähnlich gebaut wie Scar, sein verstorbener bester Freund, und genauso anziehend wie dieser – sogar noch mehr. Es war nicht so, dass Cain seinen Freund jemals so begehrt hatte wie jetzt Adrian, dennoch hatte er zu ihm immer so aufgeschaut, wie zu seinem eigenen Bruder. Als ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen, weiteten sich seine Augen entsetzt zu Tellergröße; erst jetzt wurde ihm wieder richtig bewusst, was er da gerade tat. Erschrocken machte er einen ungeschickten Satz vom Sofa und schlug sich sogleich das Hinterteil an dem warmen, aber harten Teppichboden an. Fortsetzung folgt... Kapitel 13: Dreizehn -------------------- Teil: Dreizehn Email: kyubimon1@gmx.de Warnung: Evt. lemon/lime, auf jeden Fall sap Kommentar: Hupsa, hab ich doch glatt vergessen, das hier hochzuladen. Dabei wollte ich heute bereits vierzehn hochladen... Nya, gibt's eben zwei Kapitel <.< Ach ja, es wäre toll, wenn mir JEDER, der eine Benachrichtigung bei einem neuen Kapitel bekommen möchte, das in seinen Kommi schreibt. Ich kann mir das einfach nicht merken und fertige dann mal eine Liste an ^^° Viel Spaß beim Lesen ;D ____________________________________________________________________________ Ich blinzelte, einerseits verwirrt, andererseits aufgeregt. Der Kuss, der von ihm ausgegangen war, hatte mich ganz schöne Nerven gekostet. Jetzt noch fühlten sich meine Arme an wie durch einen Schraubstock befestigt. Mein Atem ging schneller als sonst; ich saß aufrecht und stocksteif auf der Couch, starrte ihn an, er blickte zurück wie ein verängstigtes Tier. Das Feuer in seinem Rücken flackerte nun schwächer geworden, und es herrschte abgesehen von den wenigen Geräuschen eine unangenehme Stille. Keiner wagte etwas zu sagen. Nach ein paar Minuten des Nichtssagens begann ich, unruhig auf meinem Hintern hin und her zu wippen, dabei immer nervöser werdend. Natürlich merkte Cain das, er wandte den Kopf errötend zur Seite. Ich konnte sehen, wie er die Hände, die er bis jetzt auf den Boden gestützt hatte, um sich von dem Sturz abzufangen, in seinem Schoß zu Fäusten ballte. „Es... tut mir Leid“, kam es gehaucht von ihm. Ich hätte es fast nicht gehört. Endlich konnte ich mich aus meiner Starre lösen und wechselte in eine bequemere Position. Ich beugte meinen Oberkörper vor, sodass dieser halb über das Sofa hinausragte. „Das braucht dir nicht Leid zu tun.“ Und ich konnte es nicht verhindern, eine Hand zu heben und einmal über seine Wange zu streichen. Danach blieb sie weiterhin ruhig dort liegen und verriet nichts über meine innerliche Aufgewühltheit. Seine Augen fixierten mich und hielten sich gleichzeitig an mir fest. Sein Mund war leicht geöffnet, und ich sah, wie er schluckte und plötzlich wieder hastig den Blick senkte. Doch ich konnte und wollte diesen Moment nicht einfach überspielen. Als hätte ich nicht schon genug angerichtet, fragte ich ihn, warum er das getan hatte. Schön blöd von mir... Das klang ja jetzt doch so, als würde ich ihn für das, was er getan hatte, verurteilen – dabei war ich wirklich nur verwirrt und wollte doch nur den richtigen Grund dafür wissen! Allerdings war alles, was ich als Antwort erhielt, ein noch tieferes Rot in seinem Gesicht und schnellere Blicke von links nach rechts. Unter mir, natürlich. Ich senkte die Augenlider ein wenig und rutschte von dem Sofa. Meine Hände fanden den Weg auf seine Schultern, und ohne weiter darüber nachzudenken, was ich tat, ohne zu zögern, beugte ich mich nun meinerseits nach vorn, um sanft meine Lippen auf ihre Gegenstücke zu legen. Überrascht weiteten sich Cains Augen, als die Berührung in sein Inneres durchdrang. Er schien so zerbrechlich in meinen Armen, als ich dieselben nun fest um seinen Körper schlang und ihn an mich zog. Sicher und beschützt war er dicht an mich gepresst, während meine Zunge sanft gegen seine noch immer geschlossenen Lippen stupste und ihn auffordern wollte. Zögerlich öffnete er sie, nicht wissend, was jetzt auf ihn zukam. Er schien so zerbrechlich... Zärtlich umspielte ich seine Zunge, strich immer wieder darüber hinweg; unsere Augen waren schon längst geschlossen. Es verging eine Ewigkeit, bis ich endlich eine Erwiderung von seiner Seite aus bemerkte. Und mir ein Husten entfuhr. Erschrocken wichen wir beide voreinander zurück; er schlug sich die Hand vor den Mund, den ich eben noch geküsst hatte, ich hockte da, als wäre ich bei etwas sehr Peinlichem entdeckt worden. Was ja in einer gewissen Weise stimmte. Unser beider Atem ging rasch, und noch immer konnten wir unsere Blicke nicht voneinander lösen. Ich wagte es nicht, irgendetwas zu sagen – eine Entschuldigung wäre unpassend gewesen. Vor allem, da ich ja vorher gesagt hatte, dass er sich für so etwas nicht entschuldigen müsse. Deshalb wandte ich nur verlegen den Kopf zur Seite, ebenso wie er. Wäre jetzt meine Mutter ins Zimmer gekommen – mein Gott, ich wollte mir gar nicht ausmalen, was dann geschehen wäre. Aber meine Eltern waren höchstwahrscheinlich schon längst in ihrem Bett. Der Film war nicht gerade kurz gewesen. Eine Weile blieben wir so auf dem Boden sitzen, bis ich eine Bewegung über meinem Blick wahrnehmen konnte. Cain kam auf mich zu gerückt, und nur einen Moment später spürte ich, wie er seinen Kopf an meiner Halsbeuge vergrub; seine Wimpern kitzelten meine Haut, als er die Augen schloss. „Ich weiß immer noch nicht, was es ist...“ Seine Stimme klang merkwürdig schief, aber ruhig. Er schüttelte den Kopf, wie um seine Worte zu bekräftigen. „Ich weiß nur, dass ich mich wohl fühle.“ Fragend wollte ich mein Haupt heben, den ich wie aus einem Reflex auf seinem Haar abgelegt hatte, aber seine Finger krallten sich fester in mein Hemd, sodass ich es bei dem Versuch beließ. „Was meinst du mit wohl?“, fragte ich. Ich musste es einfach wissen. Es von ihm hören. Jetzt war er es, der den Kopf anhob, um mir in die Augen sehen zu können. Dieses unschuldige Rehbraun... Ich schluckte. „Bei dir“, hauchte er und beugte sich wieder vor, um mich zu küssen. Es war ein leidenschaftlicher, zugleich zärtlicher, und vollkommen von beiden Seiten gewillter Kuss. Erst strichen seine Hände beinahe schüchtern über meine Oberarme, die durch das viele Malen einiges an Muskeln angesetzt hatten, dann umschlossen sie diese sanft, um mich noch näher an sich ziehen zu können. Keuchend schnappte ich kurz nach Luft, nur um meine Lippen sofort wieder hungrig auf die seinen zu senken. Der Fernseher lief noch immer, aber die Musik war in unser beider Ohren abgeschaltet. Es gab nur noch uns... Den einen für den anderen, und den anderen für den einen. Wir verloren das Gleichgewicht auf dieser Welt und flogen... Ja, wohin eigentlich? Ich verstehe es noch immer nicht... Doch statt den Kuss zu unterbrechen, schaltete ich endlich meinen Verstand aus, der sich weiterhin unsinnige Fragen, auf die ich sowieso keine Antworten bekommen würde, stellte, und gab mich vollkommen hin. Es schien eine Ewigkeit und noch viel länger zu dauern, als wir uns wieder voneinander lösten – und viel zu kurz. Ich blinzelte ihn ein wenig durcheinander an und fuhr mir mit einer Hand durch das zerstrubbelte Haar. Das war... unglaublich. Und es ist kein Traum. Die Realität. Cains Augen blieben nur ein paar Sekunden an den meinen hängen, ehe er meinem Blick nicht mehr standhalten konnte und den Boden suchte. Ich schluckte. Und jetzt? Ich lehnte mich zurück an das Sofa und legte den Kopf nach hinten. Die eine Hand legte sich auf meine linke Schläfe und massierte sie sacht. Jetzt musste ich erst einmal verarbeiten. „Hab... Habe ich etwas falsch gemacht?“, kam es sehr, sehr leise. Augenblicklich richtete ich mich wieder auf und beugte mich leicht nach vorn – ich legte die Hand unter sein Kinn und hob sanft seinen Kopf an, sodass er gezwungen war, mich anzusehen. „Ganz im Gegenteil, Cain“, flüsterte ich und strich einmal mit dem Daumen über seine Wange hinweg. „Es ist nur... so plötzlich. Verstehst du?“ Irgendwie kam ich mir gerade vor wie im falschen Film... Schließlich war ich doch derjenige gewesen, der mit der ganzen Sache angefangen hatte, und jetzt kam es mir zu schnell? „Lass uns... schlafen gehen, ja?“, meinte ich mit ernster Miene. Er nickte. Dann erhob ich mich und zog ihn an seiner Hand auf die Beine. Das gesamte Haus war dunkel, und hier im Flur war es kalt. Es schien wirklich niemand mehr wach zu sein. Seine Hand lag immer noch in der meinen; sie war kalt. Überhaupt schien sie sich genauso anzufühlen, wie sein gesamter Körper immer aussah – dünn, knochig, kalt. Leblos träfe es vielleicht auch. Man hätte meinen können, er sei zu den Kaltblütern übergewechselt. Er folgte meinen schnellen Schritten die Treppe hinauf, wo alle Schlafzimmer lagen. Mein altes Zimmer lag ganz am Ende des Flurs, unter einer Dachschräge, die es nur nach hinten hin gab. Als ich die Tür öffnete, wehte mir erst einmal ein ordentlicher Schwall Erinnerungen entgegen. Da, der Teddy, den ich so geliebt hatte... Oder der kleine Gameboy, der immer noch an dem gleichen Platz lag wie immer... Selbst die Bücher hatten sie nicht aus den Regalen genommen! Genau wie jedes Jahr. Ich ließ mich auf das Bett fallen und bedeutete Cain, neben mir Platz zu nehmen. Neugierig, und ohne den Blick von all der Einrichtung zu nehmen, folgte er meiner Geste. „Das ist... war also dein Zimmer?“ Ich nickte. „Es ist toll, wenn man einmal im Jahr zurück in seine Kindheit fährt und all das genauso vorfindet, wie es einst gewesen ist, als man mit diesen Dingen noch richtig zu tun hatte.“ Er hatte die Hände unter seinen Schoß geschoben und machte einen irgendwie nervösen Eindruck. „Bist du aufgeregt?“, fragte ich dreist. Langsam wandte er den Blick ab und sah mich an. „Vielleicht... ein bisschen.“ „Warum?“ „Wegen dir.“ Tief in seinen Augen lag etwas, das mir versicherte, dass er es vollkommen ernst meinte. Und ehrlich. Ich traute mich nicht, mich zu ihm vorzubeugen; es war seltsam, aber ich hatte Hemmungen, ihn zu küssen, obwohl ich so etwas mit früheren Freunden immer ohne jegliche Scham getan hatte, auch wenn ich meinen Auserwählten erst seit ein paar Minuten gekannt hatte. Aber Cain... Ich kannte ihn bereits seit knapp zwei Monaten, und doch war es etwas anderes als sonst. Womöglich lag es daran, dass er einfach anders als die Menschen vor ihm war. Seufzend ließ ich mich rückwärts in die Matratze sinken und verschränkte die Arme unter dem Kopf, schaute an die eintönige, weiße Decke. „Ich könnte jetzt sagen, dass du das nicht zu sein brauchst. Aber ich weiß, wie du dich fühlst... Die Verwirrung, Angst aber auch ein merkwürdig gutes Gefühl... Vielleicht ist es etwas anders als bei mir damals, aber jeder macht so etwas Ähnliches durch.“ „Jeder?“ Cain lachte sarkastisch angehaucht auf. „Nicht jeder liebt den Partner seines eigenen Geschlechts.“ Ich blickte zu ihm. Ich konnte spüren, wie sich langsam aber sicher Wut in mir ausbreitete. Für diesen Moment hasste ich mich dafür, meine Gefühle einfach nicht unter Kontrolle bringen zu können. „Ach, das ist also dein Problem? Kannst du es nicht akzeptieren, jemanden zu lieben, der dir im Grunde von der Anatomie her gleich ist?“ Ich schnaubte. „Nein...“, erwiderte er zaghaft, aber es klang nicht wirklich so, als wolle er mich damit wirklich überzeugen. „Ich meine...“ „Ich will es nicht hören“, schnitt ich ihm das Wort ab. So war ich nun mal, und ich konnte es nicht ändern. Ich hörte anderen Leuten gern zu, sprach mit ihnen über ihre Probleme, spielte Kummerkasten. Ich sagte nie etwas weiter. Ich hatte für einfach alles Verständnis, außer in dieser Sache. Wenn jemand etwas gegen Homosexualität hatte und auch noch Vorurteile hegte, ging ich gleich an die Decke, und das wollte ich Cain ersparen. Er sagte nichts mehr dazu und schwieg. Unsere anfangs so schöne Laune schien verflogen. Aber wirklich, wie konnte man nur so... zwiespältig sein! Erst sagte er mir offen ins Gesicht, dass er sich wohl in meiner Nähe fühlte, und im nächsten Moment, dass er Schwule nicht mochte! Jedenfalls indirekt. Er spielte mit mir! Er spielte einfach nur! Ja, genau das war es. Es hatte vielleicht gerade erst angefangen, aber ich musste jetzt schon damit rechnen, ihm nicht zu nahe kommen zu können. Ich zog die fertig aufgepumpte Luftmatratze unter dem Bett hervor, die meine Eltern noch vor unserer Ankunft vorbereitet hatten. Darauf legte ich das restliche Bettzeug, schnappte meine Schlafsachen und ging ins Bad, um mich fertig zu machen. Schlafanzug anziehen, Zähne putzen und fertig. Als ich wieder ins Zimmer kam, lag Cain bereits unter der Federdecke und hatte die Augen geschlossen. Angezogen, natürlich. Ein lautloses Seufzen entfuhr mir. So konnte er doch nicht liegen bleiben. Und wieder einmal kam ich mir vor wie seine Mutter, die er doch eigentlich noch nie wirklich gehabt hatte. Ich setzte mich auf die Bettkante, stützte den Kopf in die Hände und beobachtete ihn. Ja, wie fühlte er sich wohl? Hier, in einem – nun, wenigstens die meiste Zeit über – fröhlichen Elternhaus und stets gut gelaunten Eltern, die sich um den Haushalt und das Wohl ihrer Kinder kümmerten. Fühlte er sich nicht richtig einsam? Verloren, fehl am Platze, falsch? Es würde mir wohl so lange ein Rätsel bleiben, bis er selbst auf mich zukam. Aber nicht mehr heute. Ich beschloss, ihn jetzt in seinem Schlaf nicht zu stören und packte mich selbst ins Bett, machte das Licht aus, schloss die Augen und schlief nur wenige Minuten darauf ein. Noch immer lag er mit weit geöffneten Augen im Bett und starrte auf das helle Rechteck, das das Fenster darstellte. Seit Stunden schon lag er jetzt wach – er hatte am Abend noch perfekt den Schlafenden gemimt, um Adrian keinen Grund zur Besorgnis zu geben. Er drehte sich ein wenig auf die Seite, um seine Position zu ändern und nun Adrian im Blickfeld haben zu können. Das Antlitz des Älteren wurde von dem fahlen Straßenlicht, das von draußen hereinschien – er hatte vergessen, die Vorhänge zuzuziehen – erleuchtet. Die lange, elegante Nase und die sanft geschwungenen Lippen hoben sich deutlich von dem Gesicht ab, standen im Gegensatz zu Kinn und Augenhöhlen. Die Stirn war glatt und schimmerte matt; sie weckte in ihm die Erinnerung an seinen Bruder. Er hatte eine ähnliche Stirn gehabt. Zu gern wäre er jetzt aufgestanden und hätte die seine an sie gepresst, nur um das alte Gefühl von Erinnerung wiederzuholen. Aber er verbot es sich. Was würde Adrian dann von ihm halten? Es war ja schon genug gewesen, was bereits zwischen ihnen geschehen war! Mehr durfte er nicht zulassen, mehr wollte er nicht zulassen... Allein um Scars Willen. Kapitel 14: Vierzehn -------------------- Teil: Vierzehn Email: kyubimon1@gmx.de Warnung: Evt. lemon/lime, auf jeden Fall sap Kommentar: Hier das Vierzehnte... Viel Spaß beim Lesen ;D (Ach ja, was mir gerade auffällt... Dieses 'Fortsetzung folgt' am Ende immer... ist total unregelmäßig XD' *vergesslich*) ____________________________________________________________________________ Schon als ich am Morgen die Augen aufschlug und erst richtig realisierte, dass ich mich nicht mehr in einem Traum befand, sondern wachte, wusste ich, dass es ein schwieriger Tag werden würde. Ich wusste nicht genau, was auf mich zukommen würde, aber allein die Kenntnis, dass etwas geschehen würde, raubte mir den letzten Nerv, wieder einschlafen zu können. Seufzend und gähnend stand ich auf und wollte die Vorhänge aufziehen, als mir auffiel, dass sie gar nicht geschlossen waren. Ich hatte es gestern einfach vergessen. Erst da fiel mein Blick auf den seltsamerweise immer noch schlafenden Cain. Augenblicklich vergaß ich meine Sorgen und ließ mich wieder auf die Bettkante sinken. Ich nahm gar nicht richtig wahr, dass ich in genau derselben Position dasaß wie gestern Abend. Da hatte ich ihn auch so beobachtet. Irgendetwas an ihm faszinierte mich. Vielleicht war es das entspannte Gesicht, das man tagsüber nicht sah, oder die Lage, in der er sich befand? Ein Bein um die Decke geschlungen, der Mund ein wenig offen stehend, die Arme ausgestreckt? Ich konnte mir die Frage selbst nicht beantworten. Nach bestimmt einer ganzen Viertelstunde stand ich wieder auf und tapste über ihn hinweg, möglichst, ohne ihn zu wecken. Auf dem Flur kam mir ein leichter Windzug entgegen, und die Tür wurde geschlossen. Jemand hatte die Zeitung aus dem Postkasten geholt. Blinzelnd hatte ich kurz inne gehalten, jetzt schlurfte ich mit den plüschigen Hausschuhen, auf die Selaine immer bestand, wenn wir uns als Familie zusammenfanden, ins Bad und ging meinen morgendlichen Bedürfnissen nach. Und wieder stand ich auf dem zugigen Flur, aber ich ging nicht ins Zimmer zurück, denn eine andere Tür war aufgegangen. Selaine stand im Türrahmen. „Guten Morgen“, sagte sie ein wenig schüchtern, was überhaupt nicht zu ihr passen wollte. „Guten Morgen“, erwiderte ich breit grinsend und schloss sie kurz in die Arme. „Na, geht’s dir wieder besser?“, fügte ich sanft und etwas leiser hinzu. Sie nickte; jedenfalls konnte man die Geste so auslegen. „Aber du hast mir noch etwas zu erzählen, Brüderchen.“ Nun war es an ihr, zu grinsen. „Später“, sagte ich knapp und verschwand so schnell wie möglich wieder in meinem alten Kinderzimmer. Ich konnte gerade so noch ihre etwas verdatterte und saure Miene sehen. Durch mein leises Kichern, das ich von mir gab, musste Cain wohl aufgewacht sein, denn in meinem Rücken konnte ich hören, wie jemand ein verschlafenes Gähnen von sich gab. Ich drehte mich um, lächelte noch immer. „Was’n los?“, fragte er, während er sich die Augen rieb. Allein von seinem Anblick geriet ich innerlich schon in Verzückung. Statt zu antworten, setzte ich mich auf die Matratze und blickte ihn fast zärtlich an – natürlich fiel es mir selbst überhaupt nicht auf. „Es ist nichts, Cain. Schlaf weiter.“ Ich wollte wieder unter meine eigene Bettdecke schlüpfen, um eventuell noch ein wenig zu dösen, aber seine am Morgen so raue Stimme verlangte nach meiner Aufmerksamkeit. „Aber Adrian, es ist doch schon gleich halb zwölf...“ Blinzelnd wandte ich mich zu ihm um und warf einen Blick auf den Wecker. Tatsächlich... Der Stundenzeiger stand unverkennbar knapp vor der zwölf. Seufzend ließ ich mich in die Federn fallen und streckte die Arme über dem Kopf auf. Ich spürte seine Blicke beinahe wie glühende Hufeisen. Nach weiteren fünf Minuten konnte ich das nicht mehr länger ertragen und stand ein zweites Mal an diesem Tag auf. Unten im Flur konnte ich bereits die Stimmen meiner Eltern hören; sie hörten sich so an, als würden sie miteinander streiten. Mit Cain im Rücken ging ich näher an die Küchentür heran. „Aber woher sollte ich denn wissen, dass der ausgerechnet heute kommen wollte!“ Meine Mutter klang geradezu hysterisch. „Weil ich es dir vorgestern noch bei Tisch gesagt habe!“ „Schön. Es bringt jetzt aber auch nichts, darüber zu diskutieren – was geschehen ist, kann man nicht mehr rückgängig machen. So. Willst du jetzt ein ordentliches Mittagessen haben oder nicht?“, keifte sie zurück, ganz entgegen ihrer eigenen Worte. „Was weiß ich!“ Ein hoffnungsloses Seufzen von meiner Mutter, dann war es wieder still. Ich drückte die Klinke hinunter. Ein bedrücktes und ein wütendes Gesicht wandten sich zu mir. „Was ist denn hier passiert?“, fragte ich möglichst verwundert, um mich nicht zu verraten. Ich wusste, wie wenig sie es mochten, wenn jemand ihren Gesprächen lauschte. „Deine Mutter kann nicht planen“, zischte mein Vater eher zu seiner Frau als zu mir. Sie ignorierte ihn. „Ich habe vergessen, dass heute Vormittag doch dieser Finanzberater kommen wollte. Eigentlich hatte ich für heute beziehungsweise jetzt einkaufen geplant, weil wir kaum noch etwas im Haus haben.“ Sie hielt inne und schaute nachdenklich abwechselnd mich und Cain an. Ich konnte die Glühbirne, die über ihrem Kopf erschien, fast schon sehen. „Moment mal! Das ist doch die Idee...“ Begeistert sprang sie von ihrem Stuhl auf und legte mir eine Hand auf die Schulter. Ihre Augen glänzten bittend. „Adrian, Schatz, könntest du heute ausnahmsweise einmal für mich einkaufen gehen...?“ Natürlich war ich nicht gerade angetan von dieser Idee. Aber was sollte man dagegen schon sagen... So stand ich eine halbe Stunde später vor dem nächstbesten Supermarkt und wartete darauf, dass Cain mit einem Einkaufswagen wiederkam. Es war erstaunlich voll für einen Montagvormittag – noch nie hatte ich so viele Mütter, ältere Damen, aber auch jüngere Männer auf einem Haufen gesehen! Es stellte sich übrigens als besonders schwierig heraus, Cain davon zu überzeugen, dass hier niemand von seiner alten Psychiatrie nach ihm suchen würde. Und ich erfuhr, dass er Pfannkuchen über alles liebte; er konnte an dem Probierstand gar nicht oft genug – rein zufällig natürlich - vorbeigehen. Gerade hatte er eine Gefriertruhe geöffnet und wühlte zwischen den verschiedenen Sorten von Pizza, während ich daneben stand und etwas verloren auf den Einkaufswagen gestützt Löcher in die Luft starrte, da hörte ich eine weibliche Stimme. „Adrian!“ Verwundert drehte ich mich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Da kam eine junge Frau auf mich zu gerannt, vielleicht in Selaines Alter, und ich wollte mich gerade fragen, woher sie meinen Namen kannte, denn ich erkannte sie nicht, da blieb sie vor mir stehen und strahlte mich offensichtlich erfreut an. „Hallo, Adrian! Erinnerst du dich noch an mich?“ Sie besaß relativ dickes, blondes Haar, selbstverständlich gefärbt, das sich mit künstlichen Locken auf ihrer Schulter wellte. Sie trug eine enge Schlaghose und eine dieser viel zu kurzen Winterjacken, bei denen man sich nicht vorstellen konnte, wie sie einen wärmen konnten, außerdem eine kleine Handtasche. Und nicht zu vergessen: Ihre Gestalt war übernatürlich dünn und geradezu widerwärtig. Sie schien keinen Einkaufswagen zu haben, oder sie hatte ihn irgendwo im Weg stehen lassen, weil sie so fröhlich über mein Aufkreuzen war – das sah man ihr mehr als nur an. Langsam schüttelt ich den Kopf und verengte die Augen zu Schlitzen, wie um etwas zu erkennen, das von früher bekannt war. Nichts. „Ich bin’s, Mareena!“ Ich mochte ihre Stimme nicht; sie klang so glockenhell und einfach nur verboten mädchenhaft. „Ach... Mareena.“ Merkte man mir an, dass ich nicht halb so erfreut über ihr Auftauchen war wie sie? Mareena war eine alte Schulfreundin von mir. Ich kannte sie seit meiner Kindheit, und wir waren eng befreundet gewesen – bis zum Gymnasium, als sie sich völlig grundlos in ein Schickimicki-Mädchen verwandelte, für die ich noch nie hatte Sympathie finden können. Erst jetzt bemerkte ich, dass Cain wieder neben mich getreten war und über die Schulter hinweg eine Pizzapackung in den Wagen fallen ließ. Seine vorherige Laune war merklich kühler geworden... Warum? Auch Mareenas Blick heftete sich jetzt auf ihn. „Und das ist...?“ „Unwichtig“, erwiderte ich mit einem kühlen Unterton. Blieb nur zu hoffen, dass ich sie möglichst schnell wieder loswurde... „Entschuldige uns bitte, aber wir müssen weiter.“ „Aber, Adrian...“ Den Rest des Satzes, wenn sie noch etwas zusätzlich gesagt hatte, bekam ich nicht mehr mit, weil ich den Einkaufswagen gepackt und um die nächste Ecke gestürzt war, Cain im Schlepptau. „Adrian“, keuchte er, während ich den Gang mit Tierfutter entlang raste und die anderen, empört dreinblickenden Kunden einfach ignorierte. „Wer war das?“ Doch ich knurrte nur; mein Knurren wurde noch eine Oktave tiefer, als ich vor einer scheinbar kilometerlangen Schlange vor der Kasse halten musste. „Wer war das?“, fragte er noch einmal, und diesmal erhielt er eine Antwort. Aber nicht von mir. „Ich und Adrian – wir sind schon immer füreinander bestimmt!“ Glänzende, rehbraune Augen starrten mich ausdruckslos an. Dieser Blick konnte doch nicht gut für die Gesundheit sein! Und da war noch etwas, das ich am liebsten so schnell wie möglich vergessen hätte – Mareena. Dieses vermaledeite, abscheuliche, überschminkte Weibsbild, das sich für meine Bestimmung hielt! Das nächste, was ich wahrnahm, war der Einkaufswagen, der umstürzte. Verwirrt und geschockt zugleich blinzelte ich den Äpfeln hinterher, die aus ihrem Korb und den Boden entlang rollten, und erst nach ungefähr einer ganzen, ewigen Minute, die immerhin sechzig Sekunden entsprach, kam ich auf die Idee, etwas anderes anzusehen. Nämlich Cain, der sich mittlerweile durch das Gedränge an der Kasse einen Weg gebahnt hatte und nun auf und dran war, den Supermarkt zu verlassen. Tränen standen ihm in den Augen – ja, er musste es zugeben, denn einen anderen Ausdruck gab es dafür nicht. Ihm standen wirklich und wahrhaftig die Tränen in den Augen. Wie sehr er sich doch dafür hasste... Das Wetter war heute ausnahmsweise einmal gut gelaunt; er hatte schon heute Morgen, als er nicht mehr hatte schlafen können, geahnt, dass es kein guter Tag werden würde. Er wollte und durfte Adrian nicht wieder in die Augen blicken. So einfach war das... Also lief er davon. Theoretisch war es nur eine Kleinigkeit, die ihn so wütend und enttäuscht hatte werden lassen, und die vielleicht noch nicht einmal stimmte. Aber genau dieselbe Kleinigkeit war es auch, die sein ganzes bisheriges Vertrauen in ihn – seinen einzigen Freund seit langer Zeit – zerstörte. Ohne darüber nachzudenken, in welche Richtung er lief, rannte er. Nicht wissend, wer ihm den Weg kreuzte, ob er diesen Tag überleben würde, denn er hatte schon in dem Moment, in dem diese – Frau – ihm ins Gesicht gesagt hatte, dass Adrian ihr gehörte, beschlossen, sich selbst zu zerstören. Er brachte nichts und niemandem Glück, er war eine Last; es war gut so, wie es gekommen war, und dennoch konnte er die Tränen nicht stoppen, die ihm weiterhin haltlos die Wangen hinunter liefen. Er brauchte ganz, ganz schnell etwas Scharfes. Er hasste sowohl Brücken als auch Hochhäuser. Er würde sich mit einem einzigen, sauberen Schnitt von dieser Welt verabschieden – und weg war er. Er würde niemandem mehr je eine Sorge bereiten, keine Träne mehr vergießen wegen einer dummen, dummen Kleinigkeit. Er hörte nicht einmal das Hupen der Autos, als er willkürlich über die Straße stürzte, und plötzlich erschien ihm dieses Bild vor Augen, das Bild dieser Frau. Es war eine andere Frau, nicht die, weswegen er davongelaufen war. Es war die Frau, dieser Mensch, gewesen, dessen Gesicht er als einziger noch behalten hatte von jenem Tag. Es schoss ihm wie ein Blitz in den Körper. Er konnte, wollte nicht mehr. Es war besser so. Es würde sowohl ihn als auch all die anderen erleichtern, und sie würde später lächelnd an seinem Grab stehen und denken: Du dummer, kleiner Junge. Hast du es also endlich gerafft. Meine Beine waren taub. Ich stand auf dem Pflaster, hing nur noch an den Armen, als mir jemand hart ins Gesicht schlug. Ich blickte auf und lächelte. Sie stand nur dort und sagte nichts, Tränen sammelten sich in ihren Augen und flossen lautlos an ihren Wangen hinab. Jemand führte sie weg. Mittlerweile war er in einem einsamen Park angekommen, trotz der scheinenden Sonne. Es war hoffnungslos. Er würde nichts finden, was scharf genug war, deshalb musste er wohl oder übel in den sauren Apfel beißen. Er wusste nur noch eins: Er wollte es so schnell wie möglich hinter sich bringen... Kapitel 15: Fünfzehn -------------------- Teil: Fünfzehn Email: sca.ry@hotmail.de Warnung: Evt. lemon/lime, auf jeden Fall sap Kommentar: Jaa, jaa, ich weiß, dass ich euch ... ähm ... ganze *zweieinhalb Monate* sitzen gelassen habe u__u Gebt ihr mir noch eine Chance? Diese nicht eingeplante Pause hat mir sehr gut getan, und deshalb muss ich noch einmal Werbung für meine andere neue FF Werbung machen ^__^ Es ist ebenfalls Shônen-Ai (Was sonst n__n), aber mit Fantasy als Nebengenre. Sie nennt sich 'Der Traumwolf' und entsteht nach der Idee eines Bildes, das hier ebenfalls unter meinen Fanarts hochgeladen ist^^ Ich würde mich über Leser freuen :) Und nun genug des Gelabers.... Hier kommt Fünfzehn! ____________________________________________________________________________ Ich wusste nicht, wie ich es schaffte, mich mit Einkaufswagen durch die Kassenschlange zu drängeln, und das noch ohne zu bezahlen. Denn das Einzige, was mir jetzt noch in den Sinn kam, war, Cain nachzulaufen. Egal, wohin. Egal, wie weit. Ich liebte ihn. Ich hatte es doch schon vorher gewusst, aber jetzt wurde es mir erst richtig klar, was das überhaupt bedeutete... Ich würde alles für ihn tun. „Verdammt, ich kann doch auch nichts gegen das Auftauchen von diesem Mädchen tun!“, brüllte ich in den Abend hinein. Ja, es war mittlerweile dunkel geworden, so lange suchte ich nun schon nach Cain; gerade durchkämmte ich ein kleines Waldstück, doch nichts ließ hier auf seine Anwesenheit schließen. Mein Herz pochte vor Aufregung und Angst, und allein der Gedanke, dass ich ihn finden musste, ließ mir nicht schlecht werden. Schon damals, wo er bei uns zu Hause in den Wald abgehauen war, war ich ja besorgt gewesen – aber das hier war mindestens dreimal so schlimm. Denn es hatte eine andere Ursache. Ich konnte nicht mehr. Ich konnte einfach nicht mehr. Er hatte es allein mir zu verdanken, dass er nicht schon längst von den Sicherheitsleuten der Psychiatrie geschnappt worden war, und dann so etwas...! Langsam begann ich mich wirklich zu fragen, wie ich es bisher mit ihm, einem so sensiblen und zerbrechlichen Jungen, hatte aushalten können, ohne einen Nervenzusammenbruch zu erleiden. Er war einfach das pure Wrack. Nun half mir diese Erkenntnis auch nicht bei meiner Suche nach ihm weiter. Dieses Mal würde er sich nicht mit einem einfachen Baumast zufrieden geben, das hatte ich im Gefühl. Blieb nur zu hoffen, dass er diesmal wirklich nichts Schlimmeres als einfach nur das Abhauen an sich geplant hatte. Schluckend wehrte ich den Gedanken ab, bevor sich mein Gehirn weiter ausmalen konnte, was er vorhatte. Nach einigen weiteren Minuten stapfte ich zwischen die Sträucher hindurch und stand wieder am Waldrand. Der Weg vor mir war leer – einzig die Wiese auf der gegenüberliegenden Seite beherbergte Lebenszeichen. Pferde... Ich hatte schon oft auf dem Pferderücken gesessen, und das nicht nur, weil meine Tante ein kleines Gestüt besaß. Aber diese Tiere hatten weder Trense noch Sattel. Ich schluckte. Sollte ich es wagen? Schneller war ich so allemal... Mit geballten Fäusten und starrem Blick rannte ich hinüber zu der Weide – ich konnte es selbst noch nicht richtig fassen –, sprang mit einem geschickten Satz über den Zaun, um so wenig Zeit wie nur irgend möglich zu verschwenden. Jede Sekunde zählte; jede Sekunde, in der Cain sich wer weiß was antun könnte. Und das alles nur, weil er so sensibel war... So zerbrechlich, dass er gleich bei jeder leichten Berührung erschrak. Der Pferdekörper unter mir war warm und braun-weiß gescheckt. Es war kein großes Pferd, es verdiente noch nicht einmal diesen Namen. Es maß höchstens ein Meter dreißig im Widerrist. Und dennoch wagte ich mit meiner kleinen Erfahrung im Reiten, ohne Sattel und Zaumzeug, nur mit den Händen in der Mähne vergraben, über den mindestens einen Meter hohen Zaun zu springen. Es war so waghalsig, wie sich freiwillig in einen Fluss voller hungriger Piranhas zu werfen. Ich war lebensmüde geworden, aber das zu Recht. Für Cain. Ein harter Aufprall, ein zerschmetterndes Geräusch, und mir wurde für wenige Sekunden schwarz vor Augen. Hatte ich doch gewusst, dass das nicht gut gehen würde...! Stöhnend öffnete ich die Augen, die verschwommene Sicht verschwand sogleich wieder. An dem Schnaufen und unruhigen Heben der Hufe konnte ich hören, dass mein Reittier nicht davongelaufen war. Wenigstens etwas. Ich richtete mich auf und war unendlich erleichtert, als ich keine weiteren Schmerzen fühlte. Aber vielleicht lag das auch nur an der Situation. Mit einem entschlossenen Gefühl im Magen schwang ich mich wieder auf den Rücken des Ponys, und als hätte es nur darauf gewartet, stürmte es mit weit ausholenden Galoppsprüngen den Kiesweg entlang in Richtung Nirgendwo. Der Wind zauste durch mein kurzes Haar, und trotz seiner Länge, die so gut wie gar nicht vorhanden war, musste ich mir immer wieder nervige Strähnen aus dem Gesicht streichen. Und immer noch ging es mir viel zu langsam. Ich trat dem Tier förmlich in den Bauch, um es nur noch schneller durch die uns jetzt umgebende Innenstadt zu jagen. Einkaufende Passanten sprangen erschrocken aus dem Weg, kleine Kinder wurden von ihren Müttern von der Straße an die nächste Hauswand gezogen; ich erlebte dieses um mich herum gar nicht. Ich befand mich in einem Zustand des Wahnsinns, wollte nur noch schneller reiten, nur noch Cain finden, ihn in meine Arme schließen, um ihn nie wieder loszulassen. Egal, was er dachte. Egal, was er dabei empfand. Einfach alles war egal, ich wollte ihn nur noch finden. Selbst die Tatsache, dass ich gerade wie ein Berserker über das harte Straßenpflaster auf einem kleinen Pony ritt, interessierte mich nicht – es war ganz und gar schlichtweg egal. Und irgendwann musste ich dann wohl ein wenig die Kontrolle über das Tier verloren haben, denn plötzlich sah ich seine Gestalt wie im Rausch vorüberfliegen. Ich ließ die Mähne los, haute schreiend auf die Pferdeschulter ein, sah, wie die Ohren sich wütend nach hinten legten, aber stellte fest, dass es sich aufbäumte und zu meiner Erleichterung nicht mehr lief. Natürlich fiel ich herunter wie ein Stein. Ein Rutsch über die flache Kruppe, und ich hockte mit einem Mal ein wenig verdutzt mit dem Hintern auf der Straße. Das Pferd war weg. Aber ich war da! Blitzschnell war meine Verdutztheit vergessen, ich sprang auf die Beine und rannte wie wahnsinnig geworden in die Richtung, aus der ich gekommen war. Da war eine Brücke. Und dort stand er. Ich brüllte seinen Namen, und hörte nur einen Moment später ein lautes Platschen. „Nein!“ Ich war endlich bei dem Geländer der kleinen Holzbrücke angekommen und lehnte mich nun weit über das Wasser. Große Ringe zogen ihre Kreise auf der Oberfläche. „Nein“, flüsterte ich. Ohne weiter nachzudenken, zog ich mir die Jacke aus und den Pullover über den Kopf, Schuhe und Wollsocken aus, ein weiteres Platschen erklang. Mein gesamter Körper tauchte unter Wasser, und Kälte stach wie spitze Nadeln unter meine Haut. Ich versuchte, es so weit wie möglich zu ignorieren – er war jetzt wichtiger. Ich glaubte nicht, dass er schwimmen konnte. Mit kräftigen Schwimmzügen bahnte ich mir einen Weg durch das trübe Nass des kleinen Flusses. Fische und vor allem Algen versperrten mir die Sicht, und da war keine Spur von Cain. Unmerklich entfuhr mir ein Schlucken, und ich schoss hoch, um nach Luft zu schnappen. Nur zwei Sekunden später war ich wieder unten, am Grund, es war nicht gerade tief. Und die Stille drückte auf meine Ohren, ebenso wie der veränderte Druck. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis ich wieder ein Lebenszeichen entdeckte, und auch das war nicht gerade erfreulich, als ich ihn endlich entdeckte. Die nächsten Minuten erlebte ich nur noch in einer Art Trance; nur noch mit einem trüben Schleier vor den Augen. Die Gegenwart sauste an mir vorbei, obwohl ich mich mitten in ihr befand. Die frische, kalte und äußerst trockene Luft schmerzte in den Lungen, und es kostete mich einige Mühe, mich und Cain nach diesem Höllenritt sicher ans Ufer zu schleppen. Er hatte noch seine gesamte Kleidung an, und diese zog merklich unter Wasser. Als ich endlich schwer atmend neben ihm hockte, bewegte er sich noch immer nicht. Wir mussten nach Hause. Dort war es warm, gab es eine Erste-Hilfe-Ausrüstung und süßen, belebenden Kakao. Ich hievte ihn mir auf die Schultern und wankte zur Brücke zurück, um ihn dort noch einmal abzulegen und meine Kleidung einzusammeln. Cain war klitschnass, und so riss ich ihm die Jacke und das Hemd auf, das er trug, ebenso die Hose, und war gleichzeitig froh darüber, dass niemand in der Nähe war. Stattdessen wickelte ich ihn nun notdürftig in meine eigenen Klamotten und trug ihn wieder Huckepack. „Halte durch“, wisperte ich mehr mir als ihm zu und griff nach seiner Hand. Seiner kalten, äußerst leblosen Hand. Das spornte mich noch zusätzlich an, doch es dauerte trotzdem weit mehr als nur eine halbe Stunde, wie ich ursprünglich erwartet und erhofft hatte. Mir klangen jetzt noch die Stimmen der Leute im Kopf, die Kommentare über meine nicht vorhandene Kleidung und den völlig verwahrlosten Jungen auf meinem Rücken zum Besten gegeben hatten. Zitternd hob ich die Hand und betätigte den Klingelknopf zu unserem Haus. Ich hörte die Glocke im Inneren schellen, dann brach ich erschöpft zusammen. Ich hörte Stimmen. Hektische, fast panische Stimmen. Und... im nächsten Moment dieser Geruch. Ich mochte ihn nicht. Der Geruch von Sauberkeit. Gesundheit. Zu gesund. Ich schlug die Augen auf. Etwas ergriff von mir Besitz – eine eiskalte Hand umschloss mein Herz und ließ mich zusammenzucken. Das Erste, was ich wahrnahm und auch richtig interpretieren konnte, war, dass ich mich in einem Bett befand. Der Schleier vor den Augen, durch den ich etwa so viel wie durch dichten Nebel sehen konnte, verschwand nur mäßig schnell und auch dann noch konnte ich nur verschwommen sehen. Aber ich erkannte zumindest, dass so gut wie alles in meiner näheren Umgebung von weißer Farbe war. Ein Krankenhaus. Und mir wurde noch viel schlechter. Unwillkürlich griff ich unter das Bett, wo sich normalerweise immer ein Nachttopf befand, und übergab mich. Ich traute mich nicht, aufzustehen und ein Bad zu suchen, um mir das Gesicht zu waschen, aus Angst, wieder umzukippen. Mir war speiübel – noch dazu setzten jetzt hämmernde Kopfschmerzen ein. Was hatte ich mir nur angetan? Oder, was noch viel wichtiger war: Was hatte ich ihm angetan? Ich wollte, musste wissen, ob es ihm gut ging. So hob ich ein wenig schwach die Hand und tat das, was ich noch nie getan hatte -–ich drückte den Knopf neben dem Bett. Knapp eine Minute später hörte ich das Geräusch einer sich öffnenden Tür und die warme Stimme der zuständigen Schwester dieser Station. „Guten Abend, schön, dass Sie aufgewacht sind.“ Ich fühlte, wie sie meinen Kopf anhob, um meine Gesichtsfarbe näher zu betrachten, und sie begann mit einer mir ganz und gar nicht gefallenden Untersuchung. Ich versuchte mein Bestes, sie zu unterbrechen. „Entschuldigung, aber... ich... Wie geht es Cain?“ Meine Stimme klang noch viel schlimmer als das Krächzen einer Krähe... „Beruhigen Sie sich. Ich muss sie erst zu Ende untersuchen.“ Ich wusste doch, dass es in eine Sackgasse hinauslaufen würde... In allen Büchern und Filmen kam es so. Und am Ende gewann der Patient meistens doch. Bei mir war es jedenfalls nicht der Fall. Fakt war, dass ich noch eindeutig zu geschwächt war, um irgendetwas zu unternehmen; nicht einmal meine Stimme erheben konnte ich. Nebenbei sprach die Schwester. „Sie haben drei Tage und zwei Nächte durchgeschlafen, da geht es Ihnen noch nicht so weit gut, als dass sie irgendwelche Fragen stellen könnten.“ Drei Tage?! „Was auch immer sie mit dieser Aktion bewirken wollten – besonders mutig war es nicht. Eher lebensmüde, würde ich sagen.“ Aber was hätte ich denn tun sollen? In diesem Moment machte ich mir keine Gedanken darüber, woher sie wusste, was passiert war. Es hatte doch niemand zugeschaut... Oder? „Ihrem Freund geht es mittelmäßig. Er liegt derzeit noch in der Narkose.“ „Narkose?“, brachte ich mühsam hervor und versuchte, genügend Atem zu bekommen. „Er hat eine ganze Weile keinen Sauerstoff zu sich genommen. Die Ärzte mussten ihn in ein künstliches Koma versetzen“, fügte sie zögerlich hinzu, als dürfte sie es eigentlich nicht verraten. Von wegen Narkose... „Die Operation dauerte mehr als fünf Stunden, doch er hat es ohne weitere bleibende Schäden überstanden. Jedoch musste er mehrmals wiederbelebt werden.“ Ich schluckte. Dafür kannst du nichts, Adrian, das ist nicht deine Schuld... Ich wusste, dass es nicht meine Schuld war. Jedenfalls redete ich es mir ein. Verdammt, noch nie hatte ich mich mit solchen Schuldgefühlen konfrontiert gefühlt! Nie! Denn irgendwie war ich doch schuld, denn ohne mich wäre er niemals davongelaufen... Andererseits würde er ohne mich auch wieder in der Psychiatrie sein... Es war einfach eine Sackgasse. Fortsetzung folgt... Kapitel 16: Sechzehn -------------------- Teil: Sechzehn Email: sca.ry@hotmail.de Warnung: Evt. lemon/lime, auf jeden Fall sap Kommentar: *grml* Die Muse verlässt mich, aber ich halte mich tapfer -__- Dank eurer wundervollen Kommis weiß ich, dass ich diese FF auf keinen Fall abbrechen will! Hmpf >3 Bitte bleibt dran - ich sitze oft ne halbe Stunde vor dem Geschriebenen und mach den PC dann wieder aus, weil mir nichts einfällt, obwohl's so langsam lächerlich wird, da Ernsteres dazukommt ~__~ Naja, viel Spaß mit Sechzehn ;D ____________________________________________________________________________ Nach ein paar Stunden fühlte ich mich schließlich soweit imstande, aufstehen und durchs Zimmer tigern zu können. Man konnte meinen Kopf rattern hören, wenn man genau hingehört hätte. Eines jedoch stand fest: Cain war von sich aus gesprungen, und ich war ihm hinterher, weil ich ihn liebte. Einen geliebten Menschen lässt man nicht einfach sterben, wenn er einem vor der Nase damit herum wedelt. Das kann man einfach nicht, jeder hat eine gewisse Veranlagung, einen Schwachpunkt – einen Menschen ohne Schwachpunkt gibt es nicht. Egal, wie kalt und ignorant er nach außen hin er erscheinen mag, selbst die kühlste Person dieser Welt hat einen – denn, wie heißt es so schön? Jeder ist sich selbst am nächsten. Entweder dieser Schwachpunkt ist das eigene Leben selbst oder etwas anderes, wie geliebte Personen, Gegenstände oder andere Lebewesen. Dies ist ein Fakt. Mein Herzschlag hatte sich beruhigt, nachdem er zu Anfang dem Motor eines Ferrari Konkurrenz gemacht hätte. Mittlerweile war es wieder Nacht geworden. Der Mond leuchtete matt durch die zugeschobenen Gardinen; die Rolladen, die die Schwester vorhin heruntergezogen hatte, hatte ich wieder hochgezogen. An Schlafen war nicht zu denken. Ich fragte mich, auf welcher Station Cain wohl lag. Intensiv? Kinder? Chirurgie? Ich wusste ja nicht, was genau für Schäden er noch hatte... Schön, ich hatte von seinen Atemproblemen erfahren, und von dem unregelmäßigen Herzrhythmus, der sich noch immer nicht beruhigen wollte, aber mehr auch nicht. Das war nicht besonders aufschlussreich. Ich stellte mich vor das Fenster und lehnte mich auf die breite Bank davor. Mich überkam kein Schwindelgefühl mehr, auch von den Kopfschmerzen war kaum noch etwas übrig. Vielleicht lag das an den Schmerzmitteln – vielleicht aber auch war es von Anfang an [style type=“italic“]nur[/style] der Schock gewesen, eine Überreaktion meines Körpers. Blieb nur noch zu hoffen, dass die Ärzte dasselbe dachten. Die restliche Zeit im Krankenhaus verging relativ schnell; kaum war ich aufgewacht, schlief ich schon wieder ein, kaum hatte ich etwas gegessen, knurrte mein Magen wieder. Es verging alles wie im Flug, zu schnell, wenn es nach mir ging. Die zwei Wochen, die ich dort noch verbrachte, hatten mir viel Zeit zum Nachdenken gegeben. Wer denkt: [style type=“italic“]Wie bitte? Zwei Wochen wegen eines Schocks?[/style], denkt gar nicht einmal so falsch – es war Schwachsinn, so lange im Krankenhaus zu bleiben. Aber ich wollte partout nicht von Cains Seite weichen, oder, besser gesagt, von seiner Nähe. Denn zu Gesicht bekommen hatte ich ihn kein einziges Mal. Ich hatte es mehrmals versucht, aber entweder hatte mich einer der Ärzte weggejagt, weil er gerade nicht in der Lage war, Besuch zu empfangen; oder er wollte mich nicht sehen. Ich hatte furchtbare Angst um das, was jetzt passieren würde. Er war mir seit jenem Tag ausgewichen, ich hatte keine Ahnung, was er dachte oder fühlte. Pah! Und ich hatte zu Anfang noch gedacht, es würde alles wieder gut werden. Das komplette Gegenteil war der Fall. Weihnachten war wohl ins Wasser gefallen – wohl oder übel. Meine Eltern waren ziemlich geschockt; wahrscheinlich hatten die Ärzte am Ende doch herausgefunden, dass Cain sich umbringen wollte. Selbstmord begehen. Natürlich, die hatten schließlich Profis auf dem Gebiet. Glaubte ich. Sie waren weggefahren, Selaine wieder bei sich zu Hause – natürlich. Es war alles so plötzlich gekommen! Weihnachten war verdorben... Schließlich stand ich da im Flur, mit gepackter Reisetasche, und wartete auf Cain. Er war laut Diagnose wieder vollkommen genesen und hatte keinerlei Schäden mit sich gezogen. Als er schließlich aus der Tür trat, starrte er stur geradeaus. Er war sauer... Natürlich war er sauer. [style type=“italic“]Ich Dummkopf.[/style] Schließlich hatte ich ihn von seinem Willen abgehalten! Und obwohl ich das wusste, hatte ich ihn nicht wieder in die Psychiatrie einliefern lassen wollen, wie es die Ärzte geraten hatten. Ich hatte mich kurzfristig einfach mal zu seinem Erziehungsberechtigten gemacht. Was sollte man in so einer Situation schon tun? Zum Aufgeben war es noch zu früh... Blieb nur zu hoffen, dass sich auch noch wenigstens ein kleines Stück gerade biegen ließ. Denn meine Liebe zu ihm hatte keinen Deut an ihrer Intensität verloren – sie war vielmehr um ein Großes gewachsen. Als wir schließlich wieder zu Hause angekommen waren, war alles still. Unnatürlich still. Wir waren von einem Taxi gefahren worden, vom Krankenhaus bereitgestellt. Ich fühlte mich gerade nicht wie zu Hause, war mir Großmutters altes Haus so sehr ans Herz gewachsen? Oder war es die Tatsache, dass mir Cain hier so falsch vorkam? Wohl eher letzteres... In diesem Haus, meinem Elternhaus, war unglaublich Schönes und unglaublich Schlechtes geschehen. In meinem eigenen... Nun ja, wenn ich das jetzt beurteilen müsste, eigentlich nur Schlechtes, aber nicht so extrem wie hier. So kam ich zu dem Schluss, dass er falsch bei mir war. Nach und nach kamen wir wieder in den Alltag hinein; die Fahrt in das richtige Zuhause war flugs vergangen, und jetzt ... Ja, jetzt war ... Ich würde gern sagen, dass alles wieder beim Alten war. Aber so was es nicht. Cain wich mir nach wie vor aus, bisher hatten wir kaum andere Worte als Gibst du mir bitte mal die Butter und Wo ist meine Uhr hin gewechselt. Auch Umbrella, die von den Nachbarn freundlicherweise länger in Obhut behalten wurde, konnte diese Stimmung nicht zerstören. Und das Schlimmste war – ich gab mir allein die Schuld dafür. Ich verging fast vor Schuldgefühlen, doch richtig begreifen tat ich es erst an einem späten Winternachmittag; es war bereits dunkel und ich war dabei, einen Tee zu kochen. In mechanischen Bewegungen kippte ich das heiße Wasser in den Becher, zog die Pappschachtel mit den Teebeuteln hervor. Griff hinein. Und nebenbei dachte ich: Wie kann es sein, dass jemand einen Menschen so sehr lieben kann? Das ist doch unmöglich. Davon liest man doch nur... Und dann erlebt man es selbst. Und ich merkte, dass eigentlich nicht ich das Problem war, sondern Cain. Cain war derjenige, der eine schlechte Vergangenheit hatte und nicht vergessen konnte. Cain war es, der sich nicht überwinden konnte. Nicht ich. Scheppernd ließ ich den Becher, den ich gerade hoch gehoben hatte, fallen, das Wasser floss auf den Fliesenboden. Doch das war unwichtig. Meine Beine trugen mich die Treppe hinauf, ich wusste gar nicht mehr, dass meine Hand die Klinke zu seinem Zimmer gefunden hatte. Und plötzlich stand ich mitten im Raum. Beobachtet. Er sagte nichts, wie die letzten Tage auch. Ich schwieg ebenfalls, blieb aber keinesfalls tatenlos. Mit raschen Schritten war ich auf ihn zu getreten und hatte ihn fest in meine Arme gezogen. Der Duft war unglaublich intensiv. Kein Wunder, wenn man sich diese Wochen dem entziehen musste ... Hätte ich geahnt, was solche Gefühle bei einem so labilen Menschen ausmachen würden, dann ... Aber jetzt wollte ich nicht denken. Nicht denken, nur noch fühlen. Es ging nicht anders. „Adrian?“ Seine Stimme klang so ... anders. Zögerlich. Ich sah ihn weiterhin nicht an, hielt ihn nur fest. Sprach. „Ich weiß, was du jetzt denkst. Was ist das jetzt? Was soll das?“ Ich schüttelte den Kopf. „Lass mich einfach machen. Ich brauch das jetzt.“ Beinahe konnte ich fühlen, wie er schluckte. Seine Hände krallten sich zu meiner Überraschung in mein Hemd, packten meinen Rücken. „Adrian ... Ich habe Angst ... “ Nun schluckte ich schwer. „Angst ... Angst wovor, Cain?“ „Angst vor dem Sein ... “ Ich wagte es nicht, ihn etwas von mir zu schieben, um ihn anblinzeln zu können. Ich glaubte, ihn langsam zu verstehen, und aus meinem leisen Lächeln wurde ein leises Lachen. „Aber, Cain, jeder Mensch hat Angst vor dem Sein ...“ Ich beugte mich vor und vergrub das Gesicht in seiner Halsbeuge. Die nächsten Worte flüsterte ich gegen seine Haut. „Wäre dem nicht so, wären wir überhaupt nicht am Leben ... Was ist schon das Leben ohne die Angst davor? Leid, Einsamkeit, Furcht ... Was für eine Bedeutung hätten diese Worte dann?“ Cain schien zu überlegen, doch er fühlte sich nicht in der Lage, eine Antwort zu geben, kam es mir vor. So standen wir noch eine ganze Weile so da, mitten im Raum, irgendwie verloren, und als ich sein Haar an meinem Kinn spürte, dachte ich an den umgekippten Teebecher unten in der Küche, weiß Gott, warum. Vielleicht, weil mir das alles so unwirklich erschien und ich einfach eine Situation brauchte, die realistischer erschien. „Du hast Recht“, vernahm ich schließlich doch seine Stimme, als ich überhaupt keine Antwort mehr erwartet hatte. Ich ließ mich davon aber nicht aus der Ruhe bringen und schlang die Arme nur noch fester um ihn. Und genau jetzt musste ich daran denken, wie toll ich es fand, dass er mir gegenüber keine Abscheu zeigte. Vielleicht hatte er ja doch etwas für mich übrig ... Ich schluckte. Die Hormone drohten mich zu überkommen. „Cain, ich ...“ Er hob den Kopf etwas an, ich konnte sein nussbraunes Haar nun unter meinem Kinn spüren, ohne es senken. „Ja?“ „Ich ... also ... Ich wollte dir nur sagen, dass du auf mich bauen kannst.“ Ich schwieg einen kurzen Augenblick. „Immer. ... Cain, ich bin doch für dich da. Bitte mach so etwas nicht noch einmal ...“ Er wusste ganz genau, was ich mit so etwas meinte. „Ich würde das nicht ertragen.“ Cain hob den Kopf noch mehr an, fast dachte ich schon, er wollte mich anschauen, doch den letzten Schritt tat er nicht. Vielleicht spürte er instinktiv irgendetwas, was mir zu dem Moment noch nicht bewusst war. „Cain, weißt du ...? Ich liebe dich.“ Die Worte waren so schnell aus meinem Mund, dass ich sie unmöglich wieder rückgängig machen konnte, und ich spürte, dass sich seine Muskeln anspannten, aber er machte keinerlei Anstalten, sich von mir zu befreien. Aber er reagierte auch nicht anders. Er rührte sich nicht. Das Ticken einer Uhr war zu hören; ich wusste gar nicht, dass ich hier in der Nähe eine besaß, abgesehen von Weckern. Eine schier unmessbare Ewigkeit später rührte sich endlich wieder etwas in meinen Armen. Vielleicht bildete ich es mir auch nur ein, aber ich glaubte, ein leises Seufzen zu hören. Dann endlich sagte er wieder etwas: „Adrian, ich ... ähm ...“ Es war das erste Mal, dass ich ihn so um Worte ringen sah. „Also, ich ... Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll ...“ Du brauchst nichts weiter zu sagen. Dass du mich nicht von dir gestoßen hast, ist mir Antwort genug. „Schon gut“, lächelte ich und konnte nicht umhin, mein Gesicht an seiner Halsgrube zu vergraben. Wieder war es ein Schweigen, das den Raum erfüllte, aber es war ein gutes Schweigen. Meine Augen hatte ich geschlossen und ich gab mich nun ganz seinem wundervollen Duft hin. Nun konnte ich natürlich nicht mehr verbergen, wie sehr mein Körper sich nach ihm verzehrte, und ich kniff die Augen zusammen, als litt ich Schmerzen. Aber es war zu früh, eindeutig zu früh. Bei meinen früheren Beziehungen war viel mehr Zeit vergangen, bis wir ... nun ja. Ich hatte noch nicht einmal eine richtige Antwort. Seine Reaktion hatte mir nur gezeigt, dass es ziemlich plötzlich für ihn gekommen war und er Bedenkzeit brauchte. Die würde ich ihm zur Genüge geben und mir notfalls selbst verhelfen ... Wenn es denn wirklich so weit kommen musste. Ich schob ihn sanft von mir, damit es nicht noch schlimmer kommen konnte, als es ohnehin schon war. Ich spürte etwas in meiner Hose verdächtig prickeln. Fragend und mit einem leichten Schlafzimmerblick, bei dem ich schwer schlucken musste, schaute Cain mich an, als wollte er fragen: Was ist los? Ich lächelte nur und wandte mich von ihm ab. Mein Blick fiel auf das Fenster, und mir fiel etwas ein, was ich die letzten Tage komplett verdrängt hatte – Umbrella. Meine Augen weiteten sich und ich stürmte geradezu aus dem Raum, konnte gerade noch hören, wie Cain etwas die Treppe hinunter rief, als ich mir gerade hastig Schuhe anzog und die Jacke überwarf. „Umbrella“, rief ich nur zurück und knallte die Haustür hinter mir zu. Kaum hatte ich den Klingelknopf des Hauses nebenan gedrückt, hörte ich ein sehr vertrautes Bellen. Einen Moment später öffnete sich die Tür und ich hatte eine schlabberige, warme Hundezunge im Gesicht. „Umbrella!“, erwiderte ich lachend und kraulte sie hinter den Ohren. Nur zögerlich ließ sie mit den Pfoten von mir ab und stellte sich wieder auf alle Viere, um sich mit wedelndem Schwanz dicht an mich zu pressen. „Na, da haben sich die zwei ja wiedergefunden“, sagte die Dame des älteren Ehepaars, und ich schenkte ihr ein dankbares Lächeln. Nachdem wir noch ein paar Sätze miteinander gewechselt hatten, mitunter über den Aufenthalt meines Hundes, verabschiedete ich mich und machte mit Umbrella noch eine Extrarunde. Es hatte sich herausgestellt, dass sie bei jedem Spaziergang an meinem Haus stehen geblieben war; sie hatte so lange an der Leine gezerrt, bis man mit ihr zur Haustür ging. Dort hatte sie sich quer über den Fußabtreter gepflanzt und traurig gewinselt. Und nicht nur sie war froh, dass wir wieder zusammen waren. Fröhlich hechelnd stand sie schon vor mir auf der Matte und wartete mit gespitzten Ohren darauf, dass ich endlich aufschloss. Sobald ich das getan hatte, stieß sie ein geradezu tollwütiges Jaulen aus und sprang wild im Flur herum. Nachdem sie sich ein wenig ausgetobt und ich mich ausgezogen hatte, trabte sie in die Küche – und von dort hörte ich ein Fluchen. „Hund!“ Hastig betrat ich den Küchenboden und packte Umbrella am Halsband, weil sie immer wieder versuchte, auf Cains Schoß zu springen. Er hatte es sich auf einem Stuhl an der Fensterbank bequem gemacht, die Beine hochgezogen und die Arme um die Knie geschlungen. Sein Blick glitt geradezu angeekelt über den Hundekörper. „Hey, was machst du denn hier?“, fragte ich grinsend. Er schaute auf, noch immer mit verzogenem Gesicht, sprang vom Stuhl auf und tastete sich mit dem Rücken zu den Schränken entlang zum Eingang, Umbrella dabei keinen Moment aus den Augen lassend. „Die Frage ist wohl eher, was macht der denn hier ...“ Ich lachte und streichelte das weiche Hundefell an den Schultern. „Weißt du, ich besitze einen Hund, und der wohnt logischerweise mit mir unter einem Dach.“ „Wie bist du überhaupt erst auf die Idee gekommen, dir so ein Vieh anzuschaffen? Ich kann das einfach nicht verstehen.“ Mir gefiel diese Art der Konversation. „Ganz freiwillig ist die Gute hier auch nicht zu mir gekommen ... Ich habe sie von meiner Großmutter geerbt.“ „Oh.“ Daraufhin sagte er nichts mehr. Fortsetzung folgt ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)