Weihe des Siegelschwerts (neu) von Ubeka ================================================================================ Kapitel 6: Kapitel 6 -------------------- Meine Brauen müssen soweit gesenkt sein, dass sie drohen, meine Wimpern zu überdecken. "Eine Prophezeiung," wiederhole ich langsam, Griselda mit diesem Blick bedenkend, den ich gewöhnlich nur für Gart gebrauche, wenn er mir eine besonders offensichtliche Lüge erzählt. Aber hier geht es nicht um seine angeblichen Liebschaften. Der Funken Wut, der sich in mir entzündet, wächst gut an meinem Unglauben. "Du willst mir ernsthaft sagen," beginne ich nach einem scharfen Luftzug, "dass der Grund dafür, dass ich innerhalb einer Woche fast zweimal umgebracht worden wäre; dass ich den ganzen Weg hierher kommen musste... ein altes... zerknittertes... Stückchen Pergament ist?!" "Die Drecksäcke, mit denen wir's hier zu tun haben, würden jeden umlegen, um das Teil in ihre Hände zu bekommen," sagt Halsänn. Ich werfe auch ihm einen giften Blick zu. "Dich würden sie umso lieber unschädlich machen," zieht Griselda meine Aufmerksamkeit zurück auf sich. "Wieso?!" will ich wissen, "Wer sind die? Warum wollen sie diese verdammte Schriftrolle so sehr?!" Etwas verändert sich in Griseldas Augen und mit Leichtigkeit hält sie meinem wütenden Blick statt. Ihre Finger graben sich tiefer in das Pergament, während sie spricht, "Sie brauchen diese Schriftrolle... um den König zu stürzen. Dieser Text wurde vor beinahe anderthalb Jahrhunderten niedergeschrieben von einem Ta'Miher Weisen namens Alharzah, der Zeit seines Lebens an einer kompletten Chronik des Kriegs der Drei gearbeitet hat. Dabei ist er auf diese Prophezeiung gestoßen und hat sie kopiert. Ist dir der Name Trecenta Terra ein Begriff, das alte Reich?" Wenn das mal kein Zufall ist. "Ja. Tatsächlich hab ich erst heute mit jemandem darüber gesprochen. Wieso fragst du?" "Diese Prophezeiung wurde nur einige Jahrzehnte vor dem Niedergang Trecentas ausgesprochen – und hat ihn vorhergesagt. Ein eigenartiger Mann aus dem Osten war vor den Kaiser getreten und soll gesagt haben: Meidet ihn, der von den Drei Schwestern verflucht oder gesegnet ist, denn er vermag mit seiner Macht in einem einzig' Streich alles niederzureißen, was Eure Ahnen in harter Arbeit errichtet, und folgen wird ihm ein Zeitalter des Krieges und der Dunkelheit, an dessen Ende niemand mehr den Namen Eures Reiches aussprechen mag. Wo Eure Länder in Asche liegen und das Blut von so vielen Familien die Erde tränkt, sollen neue Reiche gedeihen, nur um wieder heimgesucht zu werden von jenem Übel, welches Euch fortan den Schlaf rauben wird. Ein Reich wird da sein, das sich mit dem vergangenen Glanz des Euren messen können wird. Sechzehn rechte und gesalbte Könige sollen es lenken. Der siebzehnte jedoch wird ein hinterlistiger Thronräuber sein, beseelt von derselben unheiligen Macht, die Euch zugrunde gehen lassen wird. Doch Vas wird die Kinder des Morgens behüten, denn er wird ihnen einen Retter schenken, auszumerzen dies Übel. Und sie sollen ihn erkennen an dem großartigen Licht, das überall dort leuchtet, wo er wandelt." Als sie endet, bekomme ich meinen Mund vor Staunen nicht mehr zu. Die macht doch Scherze! Nicht, wenn ich ihren Augen glaube, die zu mir flehen, als sie wieder spricht. Selets Stimme ist mit einem Mal erschüttert von Angst. "Und dieser siebzehnte König, von dem sie sprechen... soll kein anderer als mein Vater sein, König Gustere IV. von Haus Ardorakk von Ardsted." Und ich dachte, es könnte nicht noch verrückter werden. Sie ist die Tochter des Königs?! "D-du verkohlst mich," stottere ich, "Du k-kannst doch nicht... b-bist du wirklich... eine Prinzessin des Hauses Ardorakk?" "Eins muss man ihm lassen," bemerkt Halsänn belustigt, "Er schluckt nicht einfach alles, was wir ihm erzählen." Griselda und ich bedenken ihn beide mit einem giftigen Blick. Dann wende ich mich wieder der angeblichen Prinzessin zu, die mir ihre Hand entgegenhält wie zum Kuss. Halt, da ist ja plötzlich ein Ring an ihrem Finger. Ich trete etwas näher heran, da bemerke ich die Prägung in dem rot-schwarzen Kolph'schen Stahl: der Rosenkelch von Cardighna, eingerahmt von einem Kranz aus Dornen. Ein Siegel. Das Siegel, es ist das königliche Wappen der Ardorakks! Augenblicklich falle ich auf die Knie vor ihr und senke beschämt mein Haupt. Oh man, wenn Orson mich jetzt sehen könnte, würde der mich die nächsten Wochen im Schwitzkasten behalten. "Ich bitte um Verzeihung, Hoheit! Ich h-hab mich wirklich nicht höflich- i-ich wollte nicht... Ich hoffe ich habe Euch nicht beleidigt!" "Erspar mir die Gefälligkeiten bitte," seufzt Griselda, "Ich hab dir vorher ja nicht sagen können, wer ich war. Und momentan ist meine Abstammung von geringem Wert. Du brauchst mich also nicht Hoheit zu nennen, Selet genügt." "Selet?" "Mein echter Name. Selet Ardorakk von Ardsted, älteste Tochter von König Gustere. Aber wie ich schon sagte... das bedeutet gerade wenig. Schließlich sind es genau die Leute, die sich nur zu gerne vor mir verbeugen, die hinter dieser Jagd auf mich stecken." Sira bemerkt, "Dann habt Ihr einen Verdacht." Selet nickt, ernst dreinblickend. "Meine Tante Petahra ist höchstwahrscheinlich in das Ganze verwickelt. Sie ist... nun, sie ist eigentlich älter als mein Vater. Nach gängigem Recht hätte sie den Thron besteigen sollen." "Interessant, dass Ihr das erwähnt. Denn ich verstehe so langsam, worauf Ihr mit dieser ganzen Sache hinauswollt, denn ich bin wohl das großartige Licht, von dem Ihr geredet habt. Und das hieße Marin ist der Prophezeite aus dieser Schriftrolle da. Ihr behauptet, Marin sei der Vierte und jemand versuche, Euren Vater als einen Thronräuber hinzustellen, der zufällig noch einer der verdammten Drei ist. Ich seh da nur einen Haufen Probleme; vielleicht zuallererst, dass dieser fünfzehnjärige Knirps das Zeug zum Helden hat-" "Hey!" rufe ich. "-aber noch viel wichtiger, dass Eure Feinde offenbar gar nicht mal so verkehrt liegen. Eure Tante hätte Königin werden sollen, aber Euer Vater hat die Krone auf dem Kopf. Klingt ziemlich thronräuberisch für mich. Oder habt Ihr noch einen anderen nicht näher beschriebenen, falschen König im Ärmel?" Autsch, das hat gesessen. Selet ist fast zusammengezuckt unter diesen Worten. Doch ihr Stolz verbietet ihr, sich unterkriegen zu lassen. Sie starrt Sira eisern an, ehe sie sich plötzlich mir zuwendet. Sie fragt, "Marin, hast du dich eigentlich gefragt, was dies überhaupt für ein Ort ist?" Überrascht blinzele ich. Will sie jetzt das Thema wechseln? Schlechte Idee, aber spielen wir das Spielchen einfach mal mit: "Kurzzeitig hat mich das beschäftigt, aber ich glaube, wir haben grad ganz andere Sorgen." "Es hat damit zu tun, worüber wir gerade sprachen," versichert sie. "Womöglich hast du sogar schon bei Keslynths Namen gestutzt. Er klingt so wenig wie andere Orte in Cardighna, findest du nicht?" Ich nicke zögerlich, doch sie fährt längst fort, "Das kommt daher, dass diese Stadt einst den Schattenlosen gehörte, einem alten, ehrwürdigen Orden von Vas-Ikanern, die lange meiner Familie gedient haben." Vas-Ikaner! Aber natürlich! Die Linien auf den Gesichtern der Leute, die ich auf den Wandreliefs gesehen habe – das waren in Wirklichkeit die güldenen Zeichnungen auf den dunklen Gesichtern von Vas-Ikanern. "Dann haben die Schattenlosen dieses Gewölbe erbaut?" "In der Tat. Keslynth war einst ihr Hauptquartier. Sein Name stammt aus der geheimen Sprache der Schattenlosen, welche sie niemandem beibrachten, der nicht zum Orden gehörte, um so die Geheimnisse des Königs zu wahren. Diese Keller und Tunnel sind Teil eines riesigen Netzwerkes, welches erlaubt, die gesamte Stadt ungesehen zu durchwandern. Außerdem war es ein geheimer Schlupf im Falle eines Angriffes – ähnlich wie wir uns hierher zurückgezogen haben. Niemand weiß noch, dass diese Ruinen existieren. Daher fiel unsere Wahl auf dieses Versteck." Ich kann nicht anders als anzumerken, "Vielleicht nicht allzu schlau, wenn du dich mit mir hier treffen wolltest." "Pah, würden die Götter mich nicht so hassen," speit Halsänn, "hättest du nicht mal in die Stadt gefunden." Tja, Pech gehabt, hier bin ich. "Aber ist es nicht verwunderlich? Du wirst wahrscheinlich keinen einzigen Vas-Ikaner hier angetroffen haben, nicht einmal in der Stadt... und selbst hier, wo der Einfluss der Schattenlosen am stärksten war, hast du wohl nie von ihnen gehört. Wieso, denkst du, ist das so?" Ich seufze, "Du willst mir irgendwas sagen, also warum überspringen wir dieses ewige Frage-Antwort-Spiel nicht einfach und du bringst es auf den Punkt?" Sie nimmt meinen Ton mit Würde, wenn da auch ein kleines Zornesfältchen auf ihrer Stirn auftaucht. "Na schön," sagt sie, "Ich werde es dir sagen: Die Schattenlosen sind bis auf den letzten Mann ausgelöscht worden während der Zwielichtskriege. Während der Zweiten Dämmerung, um genau zu sein. Die Abenddämmerung brach über Cardighna hinein und still entschwanden die Schattenlosen in die Nacht. Und all das war das Werk eines einzigen Mannes: des Umgedrehten Königs, der Besitzer eines der drei Zacken von Oreichalkos und definitiv der Schlimmste der verfluchten Drei, mit dem wir jemals gestraft wurden. Zweimal hat er bereits zugeschlagen. Erst hat er Trecenta Terra zu Fall gebracht, dann hat er die Schattenlosen ausgelöscht und diesem Königreich sieben Jahre Finsternis beschert... und seine nächste Wiedergeburt steht kurz bevor, was heißt, dass nun wir an der Reihe sind, unter ihm zu leiden. Außer wir weisen ihn endlich in seine Schranken!" Skeptisch schauen Sira und ich sie an. "Was macht dich so sicher? Wie willst du wissen, dass irgendwas davon wahr ist," frage ich, "Auf Hesproys gab es seit über hundert Jahren keinen Krieg der Drei mehr." "Und warum nicht?!" Sie springt auf. "Der Umgedrehte König wurde nicht getötet, sondern versiegelt, als er das letzte Mal aufgetaucht ist! All diese Zeit konnten wir keinen vollständigen Krieg der Drei haben, weil er schlicht und ergreifend nicht mehr in dieser Welt weilte. Aber kein Siegel kann einen der Drei ewig halten, erst recht nicht dieses Monster. Die Prophezeiung spricht eindeutig von seiner Rückkehr..." Sie schaut mir tief in die Augen. "Und mir hat sie geholfen, dich als den Vierten zu erkennen! Das Schicksal hat uns zusammengeführt, um den Umgedrehten König aufzuhalten und einen zweiten Bürgerkrieg zu verhindern! Du bist der Vierte, Marin, Vas' Auserwählter!" Da grunzt Halsänn belustigt, "Bei allem Respekt, das würde ich mir noch mal überlegen." Selet und ich werfen ihm einen fragenden Blick zu, woraufhin er irritiert seine Brauen hebt. "Was, denkt ihr, ich glaube irgendwas davon? Das ist nichts weiter als 'n hinterhältiger Plan, um Gustere den Thron zu stehlen. Dinge wie der Dreizack, der Krieg der Drei oder der Vierte sind alles-" "Hüte deine Zunge!" faucht Selet so gebieterisch, wie es nur die künftige Königin könnte. Rasend vor Wut starrt sie Halsänn an, wobei sie mehr und mehr das Pergament in ihren Händen zerknittert. "Ich habe nicht um deinen Ratschlag in dieser Sache gebeten. Doch ich werde dir anraten, deinen Kopf zu gebrauchen. Hast du Marin nicht gehört? Es war ein Untoter, der uns nach Doarnb verfolgt hat! Glaubst du, meine Tante beherrscht Magie, obendrein noch Nekromantie?! Oh nein... sie ist nicht unser einziger Gegner. Es gibt noch jemanden." "Nun, wenn meine Meinung nicht willkommen ist," knurrt Halsänn, die Zähne fletschend gleich einem wilden Tier, "dann glaubt ruhig alles, was so ein dahergelaufener Bursche Euch erzählt. Vielleicht überlegt Ihr's Euch anders, wenn seine Kumpanen hier reinschneien und wir rausfinden, dass er doch für Eure Tante arbeitet." Just in diesem Moment lässt langsames, heiseres Gelächter aus den Tiefen des Tunnels das Blut in meinen Adern gefrieren. Ich erkenne die Stimme sofort und trotzdem will ich es nicht wahrhaben. Bitte, Olphe, sag, dass das ein Scherz ist! Unsere Köpfe schnellen herum zum Eingang des Gewölbes, sobald wir das Lachen durch die Gänge hallen hören. Doch sein Ursprung ist längst hier. Vornübergebeugt und kaum noch vergleichbar mit einem menschlichen Wesen humpelt Cheeta herein. Sein linkes Auge starrt ins Leere, beinahe hinein in seinen eingedellten, blutigen Schädel, während eine Hälfte seines Unterkiefers schlaff herabhängt. Ein bitterböser Fluch gleitet über Halsänns Lippen, geht jedoch unter in Selets angsterfülltem Kreischen. "N-noch ein Wiedergänger?!" hauche ich. "Dhuu klainär Pissär," lallt der untote Cheeta, wobei heiße, faulig riechende Wolken aus seinem gähnenden Rachen steigen, "Dachdäsd ich wäa tod?" Halsänn hat genug gehört. Er zieht sein Schwert und greift Cheeta an, doch der Kommandant ist schneller als erwartet trotz seines eingedrückten Schädels. In einer flüssigen, unmenschlichen Bewegung fängt er Halsänn am Handgelenk ab und reißt es so schnell herum, dass selbst dieser Brocken seine Waffe fallen lässt. Und fast augenblicklich schnappt Cheeta sie sich, rammt Halsänn den Knauf in den Bauch und öffnet mit einem Streich sein Schienbein. Schreckliche Schreie entweihen das so lange verlassene Versteck der Schattenlosen, während Halsänn zu Boden geht. Ich bin wie zu Stein erstarrt. Ich... ich kann mich nicht rühren! Er hat Halsänn in so kurzer Zeit in die Knie gezwungen! Mich hat er heut auch schon fast einmal getötet, und da hatte ich Glück! Das schaff ich unmöglich noch mal! Sein eines Auge, das sich noch bewegen kann, liegt wieder auf mir, und sein linker Mundwinkel zuckt nach oben in einer barbarisch grinsenden Fratze. Das Lächeln eines Toten. "Fiertär," krächzt er, "Diesmal... töhe ich dhich. Hasd mich dsua Brinsessin gebraht... jeds brauch ich dhich nichd meah!" "Dann... hat der Bengel die Wahrheit gesagt!" Halsänns Pranke legt sich plötzlich um Cheetas rechtes Bein. Der Mann, der mich seit unserer ersten Begegnung nicht leiden konnte, starrt mich mit einem mal flehend an. Nicht mal seine harschen Worte können das verbergen, "Was stehst du da rum?! Schnapp dir die Prinzessin und verschwinde! Ich kümmer' mich um den alten Sack!" "A-aber-" "Verdammte Scheiße, Junge, erfüll 'nem Sterbenden seinen letzten Wunsch-AAAAAAGH!" Cheeta stößt seine Klinge in Halsänns Seite. Es sieht unbeholfen aus, doch erfüllt seinen Zweck, als Halsänns Hand aufspringt und den Wiedergänger in die Freiheit entlässt. Doch inzwischen hab auch ich wieder zu meinen Beinen gefunden. Sofort werfe ich mich Cheeta entgegen und ziehe in derselben Bewegung mein Schwert. Schnell reißt Cheeta seine Waffe hoch, um zu blocken, aber kaum haben die Klingen einander klirrend geküsst, reiße ich mein Schwert zurück und decke ihn wild mit Attacken ein. Für einen kurzen Augenblick, der mir viel länger erscheint, als er vermutlich ist, kann ich ihn tatsächlich in der Defensive festhalten. Mit einem entnervten Knurren schlägt er mein Schwert da mit all seiner Kraft zurück – und vernachlässigt seine Deckung vollkommen. Unmöglich kann ich aber schnell genug mein Schwert schwingen, also benutze ich stattdessen meinen Kopf. Auf die plumpste Art, die mir einfällt. Mit einem Knacken und einem Röcheln stolpert er zurück. Ich indes versuche, nicht auf den pochenden Schmerz in meiner Stirn zu achten. Das hat mir mindestens so weh getan wie ihm. Immer noch etwas benommen, eile ich ans andere Ende des Gewölbes, wo Halsänn und Selet bereits warten. Halsänn kann wieder stehen, doch sein verletztes Bein zuckt wild und blutet mit jedem Mal stärker, obwohl Selet sogar ein Stück ihres Kleids abgerissen und um die Wunde gewickelt hat. Auch seine Seite sieht nicht gut aus. Hält ihn aber nicht davon ab, mich anzublaffen, "Was denkst du, was du da tust?! Du solltest abhauen und ihn mir überlassen!" "Überlass den Untoten einem Sterbenden," spotte ich atemlos, "Klingt logisch. Wir verschwinden von hier... wir vier." "Ich weiß, wann's zu Ende geht, du Bengel. Wir sind nie schnell genug, so wie ich humple." "Dann geh vor!" sage ich, "Ich beschäftige ihn!" "Spiel nicht den Helden! Wie würdest du allein jemals den Ausgang finden?!" "Wird er nicht," meint Selet da, "Ich bleibe auch und werde ihm den Weg weisen." "Ihr Kinder seid alle verrück-" Ich hab keine Zeit, ihm weiter zuzuhören, fange stattdessen Cheeta ab, ehe er sie erwischt. Wir kreuzen Schwerter, schauen, wer den anderen zuerst zu Boden drückt. Wenigstens scheint der Sturz ihm etwas Kraft genommen zu haben, sonst stünde längst fest, wer hier gewinnt. "Kaina... kaina fonn oich ändkommd!" zischt der untote Kommandant. Hasserfüllt starrt er mich an. "Un du wirs däa Fierdä sain, däa Was am kürzesdänn gediend had!" "Tut mir leid, ich hab nichts davon verstanden. Klingst so, als hätte 'ne Víla dir die Zunge zerstochen." Jetzt ist er wirklich wütend. Er brüllt, kaum noch Mensch, sondern eher ein Tier mittlerweile, und drückt mich zurück. Meine Sandalen fangen langsam an, über die staubigen Kacheln zu rutschen. Mist! Da legt Cheeta plötzlich all seine Kraft in einen letzten Stoß, der mich ins Stolpern bringt. Überwältigt versuche ich, zum Stehen zu kommen, doch der Mistkerl ist längst dabei, mich zu durchbohren! Da kracht ein grünes Licht in sein Gesicht und ein grauenvoller, gequälter Schrei explodiert aus seinem Mund. Er springt zurück, nach seinem Auge fassend, doch Sira ist längst aus seiner Reichweite geflogen. Sie schnaubt, "Das war das Letzte, was du je von den Víly gesehen hast! Du steckst mich bestimmt nicht mehr in Flaschen!" "Klasse, Sira!" "Das wäre das zweite Mal, dass ich dir den Arsch gerettet habe, Marin. Jetzt los! Falls wir ausnahmsweise mal Glück haben, ist der erst mal vollkommen blind. Jetzt können wir ihm entkommen!" Ich nicke, schnappe mir aber noch schnell die Lampe, ehe ich mich zu Selet geselle und mit ihr aus dem Keller herausrenne. Von Halsänn nichts zu sehen. Oder vielleicht doch. Mit finsterem Blick registriere ich die großen Blutflecken auf dem Boden. Verdammt, er darf nicht sterben! Doch was wir vorfinden, als wir endlich zu ihm aufholen, ist noch viel schlimmer: Nach unzähligen, verwirrenden Abzweigungen gelangen wir nicht an einen Ausgang... sondern in eine Sackgasse. Die Decke ist eingebrochen und Geröll und Schutt haben den Gang versiegelt. Halsänn hockt davor auf einem besonders großen Felsbrocken, den Kopf gesenkt. "Erklärt mir noch mal," knurrt er bitterlich, "wie das Schicksal uns hier beisteht, Prinzessin... wenn heute ständig solche Scheiße passiert." "E... eine Sackgasse. N-na und?" versucht Selet, ruhig zu bleiben. "D-du hast doch die Karte! Sicher gibt es einen anderen W-" Wortlos, sie nicht einmal eines Blickes würdigend, hält Halsänn uns einen blutgetränkten Fetzen Pergament entgegen und zeigt mit seiner anderen Hand auf die klaffende Wunde an seinem Bauch. "Seid herzlich eingeladen, auch nur irgendwas da drauf noch zu entziffern." Seine Hände beginnen zu zittern, ehe er sie zu Fäusten ballt und mit einem Mal in Raserei verfällt, "Scheiß auf die Götter! Diese verdammten Drecksgöttinnen, die uns ja unbedingt diesen vermaledeiten Dreizack geben mussten, um ihn dann zu zerschlagen und drei Wahnsinnigen in die Hände zu drücken, nur damit sie uns bis ans Ende der Zeit das Leben zur Hölle machen können! Und scheiß auf Vas für die Retter, die er uns schickt, um mit ihnen fertig zu werden! Ein verdammter Dreikäsehoch mit keinem einzigen Haar auf der Brust, der einen Untoten in unser Versteck schleppt! Und jetzt mussten uns diese Arschlöcher noch ein allerletztes Mal ficken. Ich hätte hier sterben können und mich hätt's nicht geschert. Ich hätte keinen Gedanken verschwendet an die Kumpel, von denen ich mich nicht mehr beim Kartenspielen hätte abzocken lassen, und all die Frauen, die mich auch so nie ran gelassen hätten – wenn mein Tod wenigstens bedeutet hätte, dass ihr zwei Blagen und euer blödes Glühwürmchen es hier rausgeschafft hätten! Aber nein! Kannste vergessen! Weil ich mir hier ein neues Arschloch hab schneiden lassen... stecken wir hier fest... mit diesem Monster. Ihr braucht gar nichts zu sagen. Ich weiß, dass diese Ausgeburt noch lebt." "Ja, und sie wird umso schneller bei uns sein, wenn du weiter so rumbrüllst und -fluchst!" weist Sira ihn zurecht. "Wir können's immer noch schaffen, oder? Wir können doch auch ohne Karte einen Weg hier raus finden. Wir müssen nur auf die andere Seite dieses Gangs und alles ist wieder in Ordnung, nicht wahr?" Ich schließ mich ihr an, "Sira hat Recht! Wir haben noch eine Chance." "Viel Glück," wünscht Halsänn, "Ihr wärt die Ersten, die ein Labyrinth der Schattenlosen überleben, ohne zur Bande zu gehören. Wär's so leicht, einfach nur einen anderen Weg zu finden... So dämlich waren die Schattenlosen nicht. Einfaltspinsel werden nicht zur königlichen Leibwache, zu Spionen und Häschern ernannt. Diese Tunnel sind bis oben hin mit Fallen gefüllt. Ein falscher Schritt und es ist noch schneller vorbei mit uns." "Wir können doch nicht einfach hier sitzen und warten, bis wir krepieren!" beharre ich. Es muss doch irgendwas geben, was wir noch tun können! Ich bin nicht hergekommen, um zu sterben. Ich hab Sara und Mama doch versprochen, zurückzukommen. Ich weiger mich, aufzugeben! Nicht, wenn diese zwei auf mich warten. "Wenn's sein muss... können wir ja unser Glück versuchen und zum Brunnenschacht zurückgehen und da rausklettern." Doch Sira wirft ein, "Dann treffen wir mit Sicherheit auf Cheeta. Versteh mich nicht falsch, der ist blind wie ein Maulwurf grade, aber wenn wir ihm in diesen engen Gängen begegnen... war's das für uns." Mir reicht diese verdammte Hoffnungslosigkeit langsam. "Oh großartig, dann schätze ich, heißt es warten, bis er uns so oder so umbringt! Toller Plan, Leute!" Sie schweigen mich allesamt an. Selet hat eigentlich schon eine ganze Weile nichts mehr gesagt. Sie sieht ganz gedankenverloren aus, hat sogar die Augen geschlossen. Vorsichtig frage ich, "Alles in Ordnung, Selet?" Plötzlich schlägt sie die Augen wieder auf. Täusch ich mich oder war da kurz ein silberner Schimmer in ihnen? Selet schaut sich um, mustert uns, als sei es das erste Mal, dass wir uns sehen. Irgendwie ist ihre Haltung auch ganz anders als vorher. Sie steht auf. "Ich erinnere mich..." flüstert sie so leise, dass selbst ich es kaum verstehen kann, "Erst links, dann an der Wand entlang..." "Was sagst du da?" will Sira wissen. Selet schenkt ihr keine Beachtung, sondern schaut zu Halsänn. "Erhebe dich. Jetzt ist nicht die Zeit, sich niederzulassen und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Wir gehen." "Ach? Und wohin?" Seine Stimme ist herausfordernd, doch sie lässt sich gar nicht erst auf sein Niveau herab, "Zu einem Ausgang natürlich." Sie sieht uns einen nach dem anderen an und erklärt, "Ich habe die ganze Zeit überlegt... ich habe mir die Karte gut angesehen, bevor wir hierher kamen, und jetzt sehe ich sie vor meinen Augen, als hielte ich sie in den Händen. Es hat etwas gedauert, mich an alle Einzelheiten zu erinnern, aber ich bin völlig sicher zu wissen, wie wir hier herauskommen." "Na also!" frohlocke ich, "Ich wusste doch, wir finden einen Weg." "Na schön," ächzt Halsänn, während er sich auf die Beine kämpft. Er bricht alleine davon fast schon in Schweiß aus. "Wenn Eure Hoheit, sich da so sicher ist... macht, was ihr Adeligen am besten könnt: führt an." "Nichts anderes habe ich vor," entgegnet sie trocken. [align type="center"]* * *[/align] Geschickt weist sie den Weg durch den unterirdischen Irrgarten mit knappen Anweisungen wie "Kopf unten halten" oder "Hier nie an die linke Wand treten.". Sie kennt sich wirklich aus. Mir ist nur nicht ganz wohl dabei, nicht zu wissen, was für Fallen die Schattenlosen hier eigentlich aufgestellt haben. Doch Selet will davon nichts hören, "Du brauchst es nicht zu wissen, um vorsichtig zu sein. Vertrau mir, es ist besser so." "Ich wette 'ne Silbermünze, Ihr habt auch keinen Schimmer," spottet Halsänn, den ich den ganzen Weg über stütze, doch Selet reagiert erst gar nicht darauf. Sie bleibt vollkommen still, bis wir in einem kreisrunden Raum angelangen, von dem insgesamt vier Gänge abzweigen. Die Wände werden geschmückt von breiten, gemeißelten Pilastern, die eine niedrige Kuppel aus grünem Stein stützen. Je mehr das Licht unserer Lampe in den Raum vorrückt, umso mehr erkenne ich ein großes Mosaik am Boden: ein riesiger, zusammengerollter Tausendfüßler mit einem Kopf, der eher aussieht wie ein menschlicher Schädel. Die Beißerchen vorne sehen aus wie Hörner und während die Augenhöhlen leer sind, starrt mich auf der Stirn des Schädels ein drittes, offenes Auge an. Eine kalte Schauer läuft mir über den Rücken. "Das ist wohl das Wappen, das du meintest," rate ich. "Ja," sagt Selet, "Es ist das heilige Tier des Ordens. Seine Zangen besitzen ein starkes Gift, welches die Schattenlosen auf ihren Dolchen aufzubringen pflegten, und seine fließenden, unauffälligen Bewegungen haben viele ihrer Techniken inspiriert, die es ihnen erlaubt haben, ungesehen zu sein." Ich werfe Sira einen neckischen Blick zu. "Klingt nach der Art Leute, die selbst eine echte Víla schön fänden, was?" "Ich bevorzuge es inzwischen, wenn Leute vor mir Reißaus nehmen. Und trotzdem gibt's da einen Bekloppten, der mich seiner Sammlung einverleiben wollte. Einen Bekloppten, der hoffentlich den Rest seines unnatürlichen Daseins hier unten verbringen wird. Ach übrigens, wie weit noch bis zum Ausgang?" "Wir sind schon dort," erklärt Selet mit einem Fingerzeig auf die andere Seite des Raumes, wo ein großes, aus Stein gemeißeltes Portal den Weg versperrt. Ist das ihr Ernst? "Das kriegen wir doch unmöglich auf!" "Seid unbesorgt, es gibt einen Schalter dafür." Sie läuft zu dem Tor und entfernt einen Ziegel aus der Wand, hinter dem sich ein Hebel verbirgt. Man, die hat aber ein Gedächtnis. Sie wusste sogar genau welchen Stein sie rausziehen musste. Für mich hätten die alle gleich ausgesehen. Als sie den Hebel zieht, beißt sich das Quietschen rostiger Zahnräder in meine Ohren – und dann kracht es. Die Tür bleibt verschlossen. Die Stirn gerunzelt, versucht Selet es noch mal, doch diesmal wollen sich nicht einmal die Zahnräder rühren. "Das darf nicht dein Ernst sein," stöhnen Sira und ich unisono. "Verflucht! Ähm... kein Problem, das Schloss sollte zumindest geöffnet sein. W-wir müssen die Tür nur von Hand öffnen-" Ich erstarre an Ort und Stelle, als lautes Fluchen und Husten hinter uns sie unterbricht. "Lichd... da iss Lichd... hab ich äuch!" Bei Daeras peitschenden Winden, nicht schon wieder! Kann dieser alte Knacker nicht einfach sterben und vielleicht sogar tot bleiben?! "Nun, dann macht mal schnell, wir kriegen Gesellschaft!" sage ich zu den anderen und höre auf Halsänn zu stützen. Er ächzt angestrengt, beschwert sich aber nicht. Langsam humpelt er zum Portal. Mein Herz rast, als ich mein Schwert ziehe. Jetzt ganz ruhig, du hast ihn schon mal zurückgeschlagen. Das kriegst du bestimmt noch mal hin. Diesmal kann er ja kaum was sehen. Allmählich erkenne ich ihn im Gang. Er wird schneller, als ich mich vor die Lampe stelle und mein Schatten ihm entgegensticht so wie ich es tue, sobald er nah genug herangekommen ist. Er duckt sich jedoch unter der Klinge hindurch, prallt mit voller Geschwindigkeit in mich. Ich werde zu Boden geworfen, aber bevor ich mich versehe, bin ich schon wieder aufgestanden und werfe mich auf ihn. "Nicht, Marin!" schreit Selet, während Cheeta und ich zusammen weiterstolpern – direkt in einen der anderen Korridore. Und kaum habe ich einen Fuß hineingesetzt, macht es Klick und ich weiß, dass ich grad direkt in eine dieser berüchtigten Fallen getappt bin. Meine Ängste bewahrheiten sich, als auf einmal ein metallener Speer aus der Dunkelheit über uns herabzuckt. Er verfehlt uns um Haaresbreite, doch drei weitere werden bereits nach unten gestoßen. Ich versuche auszuweichen, als ich merke, dass zwei weitere Spitzen sich jeden Moment in meine Schultern bohren. Mit einem Sprung rette ich mich, aber auch nur, weil dieser Mechanismus auch schon eigentlich das Zeitliche gesegnet hat und einer der Speere stecken bleibt, ehe er mich erwischen kann. "Wass hassd dhu jädsd gemachd...?!" faucht Cheeta. Sein linker Arm ist am Ellbogen durchbohrt, doch eine Hand reicht ihm, um mit seinem Schwert nach mir zu hauen. Er drängt mich zurück in den metallenen Regen. Ein Speer streift meinen Arm, ein weiterer trifft fast meinen linken großen Zeh, als mich jemand von hinten packt und zurückzerrt. Es ist Selet. Sie ruft "Komm!" und zerrt mich mit, während Cheetas Schwert gerade noch meine Nasenspitze verfehlt. Mit mehr Glück als Verstand schlängeln wir uns durch den Prasselregen von Speeren. Selets Arme sind übersät mit Schrammen und ihre Schulter blutet leicht, sodass sich der helle Stoff ihres Kleides dunkelrot färbt. Plötzlich hält sie inne, als sie den Speer bemerkt, der direkt über ihr hinabsaust. "Bleib doch nicht stehen, du Dummkopf!" schreie ich und schubse sie vorwärts, hinaus aus der Falle. Danach mache ich einen schnellen Schritt zurück, um selbst dem Speer zu entgegen. Hinter mir hallen Cheetas schnelle Schritte. Also dann, Augen zu und durch! Mit so viel Anlauf, wie ich auf diesem bisschen Platz nur kriegen kann, hüpfe ich weg von ihm, über die Schwelle dieser Todesfalle. Metall reißt durch mein rechtes Bein, aber zum Glück nur oberflächlich. Meine Landung verläuft nicht viel besser, sodass ich auf dem Boden aufkomme wie ein gehäuteter Bär. Aber ich hab's geschafft! Ich bin entkommen! Selet, Halsänn und Sira sind bereits durch das Portal, gerade mal weit genug geöffnet, dass auch Halsänn sich hindurch zwängen konnte, und winken mir, zu folgen. Das lass ich mir nicht zweimal sagen. Cheeta hat bestimmt noch nicht aufgegeben! Die anderen sind schon dabei, das Tor wieder zu schließen, als ich mich durch den Spalt zwänge und mich schnell mit ihnen gegen die steinernen Türflügel stemme. Die Pforte scharrt dumpf über die Bodenfliesen, während sich das Versteck der Schattenlosen langsam in einen winzigen Schlitz in der Wand verwandelt. Ich sehe Cheetas Gesicht, eine hasserfüllte Fratze, näher kommen, er streckt seine Hand aus, zwängt seine Finger in den Spalt. Dann schließt sich das Portal und wir wenden uns schnell ab, als des Kommandanten Fingerspitzen zerquetscht werden. Als wir wenig später im Mondschein der Nacht aus einer zugewachsenen Kluft in den Bergen nahe Keslynth das Labyrinth endlich hinter uns lassen, werden wir erst langsamer und gönnen uns, die süße, frische Nachtluft tief einzuatmen und zu verschnaufen. Dann brechen wir Vier in schallendes Gelächter aus, sogar Halsänn. "Ich kann nicht fassen, dass wir das überlebt haben!" jubelt Sira. "Das war," keuche ich, "Das war verrückt! Wenn du nicht gewesen wärst, Selet..." "K... keine Ursache. Du hast uns... zweimal vor diesem... Wiedergänger gerettet. Das war das Mindeste, was ich tun konnte." "Gar nicht mal so schlecht, Bursche," gibt Halsänn grinsend zu. Er sieht sehr müde aus. "Du hast uns wirklich geholfen." Dann seufzt er, "Vielleicht habt Ihr Recht, Prinzessin. Vielleicht ist er wirklich der Prophezeite." Das bringt Selet zum Kichern. Ich wiege etwas hadernd meinen Kopf hin und her. "Ich weiß ja nicht. Ich bin immer noch nicht überzeugt. Aber... ich kann euch ja schlecht im Stich lassen! Und außerdem hab ich immer noch meinen Auftrag, rauszufinden, was genau hier eigentlich gespielt wird. Also ja, ich komm mit euch!" "Hervorragend!" freut sich Selet – und hakt sich bei mir ein?! "Nun werde ich also erfahren, wie es so ist, mit einem echten Helden zu reisen." "Oh je," ächzt Sira, "Wenn dem das mal nicht bald zu Kopf steigt. Wo wird dieser Held denn als nächstes gebraucht?" "In der Hauptstadt. Wir werden nach Ardsted reisen!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)