Kaizoku no Baroque von Alma (I. Träume) ================================================================================ Kapitel 42: Suimin - Der Schlaf ------------------------------- Schweigen. Ein eisiges, belegtes Schweigen. Starren. Ungläubig. Fassungslos. Verstört. Die Erste, die es schaffte ihre Lippen auseinander zu drücken, war Paula. In ihren Augen lag ein seltsames, mattes Funkeln. Bedrohlich und kühl. »...Das heißt... du hast uns die ganze Zeit belogen... Du bist die ganze Zeit bei uns gewesen...« Ihre Augen gingen zu Boden. »...Du hast... uns nur an der Nase herumgeführt...« Robin antwortete darauf nicht. Es war sowieso sinnlos. Kein einziges Wort würde sie aus dieser Situation retten. Sie hatte ihre Redezeit gehabt. »Obwohl du wusstest... dass wir uns alle danach sehnen... hast du es uns verschwiegen. Wir sind den ganzen Weg hier hergefahren, haben soviel durchgemacht... für nichts? Und du sagst uns das am Ende?« Paula schüttelte den Kopf. »Das... muss ich wirklich erstmal verarbeiten...« Ihr leerer Blick ging weiter durch die Runde. Bon war noch immer sprachlos, blickte ihr entgegen, als hätte er all seine Hoffnung verloren. Daneben Uma, genauso schockiert. Miki schien etwas sagen zu wollen, doch seine Partnerin brauchte einen Moment ehe sie vollkommen ruhig übersetzte. »Miki fragt... „wie konntest du uns jeden Tag ansehen, jeden einzelnen Tag unsere Hoffnungen und Wünsche in unseren Augen sehen und das einfach ignorieren? Wie konntest du einfach so weitermachen, als wäre da nichts? ...Ich habe dich immer gemocht. Du warst ein guter Boss und immer nett und ruhig. Und vor allem ehrlich. Du sagtest du möchtest uns unseren Traum nicht wegnehmen, aber warum...“« Hastig stieß Iroko die kleine Frau etwas zur Seite und erhob ihre Stimme. Die Fäuste waren geballt, die Augen voller Wut und Zorn, die Wangen gerötet. Da war nichts mehr von ihrer Fassade, von ihrer Ausdruckslosigkeit. »Ich weiß, dass du noch nicht fertig bist, aber ich habe auch etwas zu sagen!« Ihr Blick stach Robin entgegen wie ein spitzer Speer, getränkt von Gift. »Tut es immer noch weh?« Die Schwarzhaarige entgegnete nichts, starrte sie nur stumm an. Ihre kleinen Füße trugen sie näher, aggressiv. »Ich hab dich gefragt ob es noch weh tut! Dass du uns verraten hast! Dass du uns von Anfang an hintergangen hast! Ja? Tut es richtig weh? Schnürt es dir richtig die Luft ab, ja? Dann...« Zorn zerriss ihr Gesicht zu einer bösen Fratze. »...gut so. Gut so! Hoffentlich tut es richtig weh!« Ihre Stimme erzitterte leicht, brach auseinander, rutschte in eine höhere Tonlage. »Ich habe zu dir aufgesehen! Dich lieb gewonnen! Du weißt was mir passiert ist! Du hast es gesehen! Du kennst meine Angst, meinen Schmerz und meinen Hass! Meine Hoffnung! Meine einzige Hoffnung! Du wusstest das alles und hast trotzdem geschwiegen!« Zitternd wandte sie sich ab. »Aus Liebe getan? Ja... verständlich... und ich kann nicht Mal sagen, dass ich es nicht genauso getan hätte. Aber... das ändert nichts. Das ändert gar nichts. ...Ich will dich trotzdem nie wieder sehen.« Tränen beutelten sie nun und sie schämte sich so sehr dafür, dass sie einfach los rannte, direkt zurück. »...Und in dir hab ich meine Mutter wiedererkannt... was für ein Witz.« Für einen Moment kehrte wieder das Schweigen ein. Niemand sah dem Mädchen nach, die Blicke ruhten nur auf Robin. Es dauerte einige Sekunden, ehe Paula erneut das Wort erhob, die Augen noch immer gen Boden gesenkt. »...Du hast ihm also nicht die letzte Zeile vorgelesen, weil du glaubtest er würde dir nicht glauben... dass er dich umbringen würde...« Ganz langsam hob sich ihr Kopf, die Miene undefinierbar. »...Du hast einfach nur Angst gehabt zu sterben...« Dann drehte sie sich wieder weg. »...Ist wohl verständlich...« »Spinn nicht rum, Paula!« Bon war endlich aus seiner Starre entflohen und sah sie aufgeregt an. Es hatte einen Augenblick gedauert, ehe sein Kopf das alles verarbeitet hatte, aber nun stand sein Entschluss fest. All das tat seiner Liebe keinen Abbruch. All das interessierte ihn gar nicht. Mit einem galanten Sprung stand er vor Robin. »Wenn sie nur Angst gehabt hätte zu sterben, warum hätte sie dann mitkommen sollen, huh? Sie hätte Zero-chan sonst was erzählen können und sich dann verkrümmelt.« Seine Stimme war vollkommen aufgebracht und schnatterte wild gegen sie an. »Sie hat diesen blonden Teufel erledigt! Das Ungeheuer aus Zero-chans Vergangenheit! Warum hätte sie das tun sollen? Warum hat sie einen Herzanfall gehabt?« Hastig nahm er ihre Hände zwischen seine und blickte ihr entschlossen entgegen. »Du wusstest es nicht mehr, als du deine Amnesie hattest. Aber wenn du es gewusst hättest, hättest du es uns früher gesagt? Hättest du uns die Wahrheit gesagt? Robin! Wenn Pluton hier wäre, vollkommen intakt und einsatzfähig, was würdest du tun?« Ihr Blick bohrte sich in den Sand unter sich. »Ich weiß es nicht.« »Aber... du hast uns doch hier hin geführt.« Apathisches Nicken. »Das habe ich und hätte ich in jedem Fall.« »Auch wenn es diesen letzten Satz nicht gegeben hätte?« »Ja... Und ich hätte mich dafür genauso gehasst, wie ich es jetzt tue.« Ihm traten die Tränen in die Augen. »Aber warum? Warum vertraust du uns nicht?« »...Weil Pluton... kein Ding ist, mit dem man wirkliche Freiheit erlangt. Man kann sich Freiheit nicht erzwingen. Als es in Benutzung war hat es nur Schaden angerichtet und Leid über die Menschen gebracht. Auch über diese, die es aus guten Zwecken nutzen wollten. ...Früher oder später wärt ihr alle drauf gegangen. ...So ist es mir lieber. Lieber als vor euren Leichen zu stehen.« Ihr Blick schielte zu Paula. »...Ihr dürft mich dafür gerne hassen.« »Hassen?« Der Blick der Blauhaarigen war stechend ernst. »Was erwartest du denn, Robin? Du hast uns belogen, von Anfang an! Seit dem beschissenen Anfang dieser Geschichte! Das ist eben nun mal nicht so einfach zu verkraften. Vor allem nicht, wenn wir dir alle vollkommen vertraut haben! Uns auf dich verlassen haben! Dir geglaubt haben!« »...Ich.. habe euch nicht belogen.« kam es schwach, die Augen wieder am Boden. »Nur etwas verschwiegen? Oh, stimmt, das ist sehr viel besser...« »Paula...« Sie brauchte viel Kraft ihre Stimme eben zu halten. »Ja. Ich habe euch verraten. So wie ich das immer tue. Was denkst du denn von mir? Ihr könnt das nicht verstehen. Ihr wisst nicht, was ich weiß. Seit meiner Kindheit ist mir bewusst, wie gefährlich die Poneglyphen sind, wie traurig das Schicksal jedes einzelnen ist, der mit ihnen zu tun hat. Pluton ist nur ein Teil davon. Es bedeutet keine Freiheit, ganz im Gegenteil. Ich... ich habe wirklich nicht gewollt, dass eure Träume in die Brüche gehen. Ich weiß nur, dass dieser Traum in einen Albtraum umgeschlagen wäre. Seit Arabasta quält mich die Frage, was ich tun soll. Du kannst doch nicht wirklich erwarten, dass ich versuche euch und Crocodile den Plan auszureden. Was hätte das schon bringen sollen? Ihr hättet mir nicht geglaubt. Niemand hat das je getan und so nah am Ziel erst recht nicht. Ich wusste genau, dass alles zu einem Ende käme, wenn die Wahrheit ans Licht kommt. Das ist es, was immer passiert, passieren muss.« »Ja, ich wusste, dass euch Pluton ins Unglück stürzen würde, aber ich wusste nicht, was ich dagegen tun sollte. Ich war zu egoistisch, um einfach einen Schlussstrich zu ziehen, mich abzuwenden. Ich war schon einmal fast soweit dem nachzugeben, in der Hoffnung, dass wir gemeinsam vielleicht tatsächlich gewinnen könnten. Aber beim Lesen des Logbuchs wurde mir wieder klar, wie sinnlos das Ganze gewesen wäre. Diese Macht ist einfach zu stark und korrumpiert jeden Menschen, egal welche idealistischen Zwecke man damit vielleicht verfolgt. Aus Gewalt kann nur Gewalt entstehen. Ich wusste es doch eigentlich. Und in diesem einen Moment zählte nur eines für mich. Ich muss bei Crocodile bleiben. Ich muss eine Antwort auf meine Fragen finden. Ich will ihn nicht verlassen. Aber das ging eben nur, indem ich ihm die ganze Wahrheit vorenthielt, sie euch vorenthielt. Indem ich euch weiß machte, dass ich Pluton nicht hasse, dass es mir nichts mehr ausmacht. Das war eine Lüge. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn Pluton wirklich einsatzbereit hier gestanden hätte. Ich habe absolut keine Vorstellung davon. Ich weiß nur, dass ich zerbrochen wäre. So oder so.« Wieder quollen einige Tränen auf. »Ich habe aber nicht gelogen, was meine Gefühle angeht. Ich liebe Crocodile. ...Und ihr bedeutet mir unheimlich viel. Wenn dem nicht so wäre, hätte ich sicher keine Schwierigkeiten gehabt, hätte mich nicht so lange mit meinem Gewissen gequält. Ich hätte ja nicht mal vor dem Poneglyph gestanden, sondern wäre schon längst auf der Flucht. Das ist mein Leben, verstehst du? Das war mein Leben die letzten zwanzig Jahre. Ich wollte das nicht mehr. Ich habe es versucht und bin gescheitert. Und dennoch bereue ich es nicht, es getan zu haben, es versucht zu haben. Der Weg hier her war beschwerlich und mit vielen Opfern gespickt. Aber... ich bin froh darüber, dass wir all das durchstehen mussten. Ich wäre euch nie so nahe gekommen, hätte nie erfahren was Freundschaft sein kann. Und Elisa... sie wäre immer noch am Leben und würde Crocodile verfolgen. Ja... es tut mir nicht leid, dass wir bis hier her gereist sind! Denn es war die schönste Zeit meines Lebens!« Die letzten Worte schrie sie verzweifelt heraus und bedeckte kurz ihr Gesicht, um die Scham zu erdulden. Bon schluchzte immer lauter und auch Uma und Miki liefen die Tränen herunter. Dennoch, keiner von ihnen sagte noch etwas dazu. »Also willst du mir sagen, dass du das alles nur für unser Wohl getan hast?!« merkte Paula zischend an. »Nein... ich habe einfach nur versucht ein Teil dieser Gruppe zu sein... Weil ich..« Widerwillig hob sie doch den Blick an. »...egoistisch bin.« Die Miene ihrer Freundin war verhärtet und voller Wut. »...Ja das bist du.« »Und... was hättest du an meiner Stelle getan?« »Ich würde mich wahrscheinlich gar nicht erst in so eine dumme Situation hineinbringen.« knurrte sie etwas, verengte die Augen. »Das ergibt doch alles keinen Sinn! Du willst uns vor Pluton beschützen? Aber du führst uns hin? Selbst in der Zeit deiner Amnesie, als du davon ausgehen musstest, dass es noch existiert. Konntest du dich nicht entscheiden, was du lieber haben wolltest? Wenn wir dir wirklich so viel bedeutet hätten, dann hättest du uns das erklärt. Dann hättest du unser Wohl gewollt und nicht dein eigenes! Dann hättest du alles getan um uns zu beschützen! Aber du hast geschwiegen, um ganz am Ende die Blase platzen zu lassen! Erst in der Sackgasse, als du nicht mehr anders konntest! Das ist einfach nur feige. Und mir geht es nicht um Pluton, Robin. Mir geht es um meine Träume, unsere Träume. Ich kann mir gut vorstellen, dass Pluton gefährlich ist, aber ich vertraue unserem Boss. Er weiß, was er will und wie er es erreicht. In dieser Welt gibt es eben keine Freiheit ohne Rebellion, ohne Kampf und Widerstand, ohne Macht!« Wütend drehte sie ihr den Rücken zu und ging in den Wald hinein. »Tss... Ich kann das nicht mehr hören, ich gehe.« Es dauerte nur eine kurze Sekunde, ehe Jazz folgte. Ihm war nicht anzusehen, was er dachte oder was er davon hielt. Auch Miki zog Uma zur Seite, machte ein paar Zeichen, ehe sich diese perplex an die anderen wandte. »Wir... wir müssen das auch erstmal verdauen.« Noch ein Nicken, dann schlenderten sie schweigend in eine andere Richtung. Auch Bon sprang zurück zu dem erstarrten Mister 3 und zog ihn in den Wald hinein. Nun standen sich nur noch Robin und Crocodile gegenüber. Der Einzige, der wirklich wichtig war. Mit aller Macht zwang sie ihren Blick nach oben, in seine Augen, um die letzte vernichtende Welle über sich ergehen zu lassen. Er stand schon die ganze Zeit über nur schweigend da. Einfach nur da und sah sie an, starrte sie an, wenn auch nicht so penetrant. Er war eher ruhig, nicht wütend, nein ganz und gar nicht. Sondern gebrochen. Die Worte waren nur ganz langsam zu ihm durchgesickert. »...« Ihr Rücken drückte sich durch, wollte bereit sein für den ganzen Hass, für die Wut und den Zorn. Doch es kam nichts. Er rührte sich kein Stück, nicht einmal ein Augenzwinkern. Ihr Körper zitterte unter der Anspannung, drohte sie völlig zu zerfetzen. Los, sag es mir! Sag mir, dass es vorbei ist!, schrie jemand in ihrem Kopf. Er sollte es endlich beenden und sie nicht weiter quälen. Bitte. Sie hielt das einfach nicht mehr aus. Sie konnte nicht mehr. Doch alles, was sie fertig brachte, war ihn weiter anzusehen. Auf den Schlag zu warten. Darauf, zerquetscht zu werden. Es war egal. Sie gehörte ihm mit Haut und Haar und er durfte mit ihr machen, was er wollte. Er hatte das Recht dazu. Sie hatte es ihm überlassen. »...« Unter seinem Blick wurden ihre gemarterten Knie immer weicher. Sie musste sich an die Tafel hinter sich lehnen, um nicht von den Füßen gefegt zu werden. Ihr Herz toste, schmerzte als setzte es gleich wieder aus. Da war die Übelkeit und die Tränen, die Leere in ihr und die eisige Gänsehaut wegen seines Blickes. Alles in ihr schrie sie an wegzurennen, wie sie es immer getan hatte. Doch sie blieb, sie musste. Es war endlich vorbei, sie konnte nicht mehr weglaufen. Und sie wollte es auch nicht. Es war ihre Schuld, war ihre Entscheidung gewesen und sie musste dafür bezahlen. Dann, plötzlich, erklang seine Stimme, ungewöhnlich ruhig und ohne jegliche Emotion. Sein Blick traf noch immer ihre Augen, erbarmungslos. »...Du hast mich also belogen, ja?« Es war eher eine Feststellung als eine Frage. »...Ich habe es dir verheimlicht.« beharrte sie weiterhin, flüsternd. Sein Starren brach nicht ab. »Du hast mich hintergangen... passt das eher?« »...Ja...« Der Kopf sank ab, ganz langsam, sah zu Boden und nickte nur. Mehr nicht. »Sag es mir...« wisperte sie ängstlich. Sie musste es endlich hören. Sie brauchte diese Worte. Sie brauchte sie! Aber er entgegnete nur ein Kopfschütteln, dann drehte er sich um und setzte sich in Bewegung. »Ich wüsste nicht was...« Ihre Beine gaben nach, ließen sie in den Sand sinken. Willenlos starrte sie ihm weiter nach, wie er langsam zwischen den Bäumen verschwamm. Sie hörte ein Rauschen und ein gespenstisches Keuchen, ehe sie bemerkte, dass es aus ihr kam. In ihrem Inneren war alles tot, abgestorben. Sie schluchzte und kauerte sich zu einer Kugel zusammen, biss sich selbst, um den unerträglichen Schmerz zu lindern. Erst jetzt, in diesem Moment erkannte sie wie schwer ihr Verbrechen wirklich war. So schwer, dass sie es nicht einmal mehr Wert war von ihm erlöst zu werden. Eigenhändig von Crocodile ermordet zu werden. ~ ~ ~ Paula saß neben Jazz am Strand, in der Nähe des Schiffes auf einem angeschwemmten Stück Treibholz und ließ ihre Wut heraus. Seit Minuten lauschte ihr Partner ihrem nicht aufhören wollenden Redefluss, sagte nur manchmal etwas, wenn er es für richtig hielt. Es half ihm sich selbst etwas dazu zu positionieren. Es war eigenartig, aber die Worte seiner Vorgesetzten hatten kaum eine Wirkung in ihm ausgelöst. Schon seit einer ganzen Weile hatte er eine Vorahnung gehabt, aber sie nie laut ausgesprochen. Er mischte sich nicht in die Angelegenheiten anderer ein. Was er davon hielt, dass sie ihn betrogen hatte? Nun ja, es war ihm egal. Er hatte sowieso nie sonderlich viel von ihr erwartet. Was er darüber dachte, dass Pluton nicht mehr existierte? Es ging ihm gegen den Strich. Er hatte sich wirklich nach dieser Macht gesehnt. Jazz Boner lebte für den Kampf und es machte ihm nichts aus Unschuldige zu morden, wenn sie ihm im Weg waren. Andererseits war das nicht der Grund, warum er hier war. Er war wegen Paula hier und wegen den Versprechen seines Bosses. Utopia. Eine Welt, in der er sein durfte. Ein Ort, an dem er sich vielleicht selbst wieder fand und seine Vergangenheit endlich hinter sich lassen konnte. Was also nun, wo das Mittel dazu fehlte? Hatte das alles dann überhaupt noch einen Sinn? Er wusste es nicht. Aber er würde warten. Wenn sein Boss nicht aufgeben würde nach seiner Freiheit zu jagen, würde er das auch nicht tun und ihm folgen. Das war alles. Alles was er konnte und was er wollte. Widerwortslos jemandem folgen. Paula auf der anderen Seite war wirklich enttäuscht von Robin. Sie verstand das alles einfach nicht richtig. Sie hasste Lügen, sie sagte lieber alles gerade raus. Es hatte sie wirklich getroffen, dass Robin so lange mit ihr gelacht hatte, so lange mit ihr diesen dämlichen Strip geübt hatte, mit ihr all ihre Sexgeheimnisse geteilt und Tipps geben lassen hatte. Wie hatte sie das nur geschafft mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass sie sie belog? Mit dem Gedanken, dass Pluton sie alle umbringen würde? Miss Doublefinger hatte nie an Pluton direkt geglaubt. Sie war immer nur ihrem Boss gefolgt. Sie selbst hatte kein Anliegen an dieser Waffe, sie hatte nur vertraut. Und jetzt wurde sie gleich zweimal enttäuscht. Wurde belogen und musste erkennen, dass Pluton ihre Wünsche niemals wahr werden lassen hatte können. Zumindest in diesem Punkt glaubte sie Robin. Trotzdem, sie war unheimlich enttäuscht von ihr. Sie hätte anders gehandelt. Sie würde alles für ihre Freunde tun, sich auch einmischen, wenn sie etwas für falsch hielt. Selbst wenn die anderen es nicht hören wollten. Sie hätte nicht so leicht aufgegeben. Sie hätte sie nicht angelogen. Aber das hatte Robin getan. Wenn Pluton wirklich so zerstörerisch war, wieso hatte sie es dann nicht deutlicher gemacht? Wieso hatte sie sie hier her kommen lassen, wenn sie wirklich davon ausgehen musste, dass sie alle dabei drauf gingen? Das machte wirklich keinen Sinn. Sie wusste nicht was sie jetzt tun wollte. Also machte sie es von ihrem Boss abhängig. Sie wollte sich nach ihm richten, gänzlich. Und wenn er Robin umbrachte, dann bitteschön. War ihr doch egal... ~ ~ ~ Miki hatte Uma eine ganze Weile an der Hand weg von der Lichtung geführt. Wortlos wie eh und je, doch Uma war klar, dass eine Menge Ungesagtes in ihm schlummerte. Miki war kein Mensch, der anderen seine Gedanken und Gefühle aufzwang. Er richtete sich gern nach seinem Captain oder auch nach ihr, denn solange alle glücklich waren, war er es auch. Sie wusste, dass dieser große, zärtliche Mann nur nach einem suchte, sich nur nach einem wirklich sehnte. Frieden. Sie kannte ihn gut genug, sie wusste auch jetzt, was er dachte. Irgendwann zog sie so stark an ihm, dass er endlich stehen blieb und seine belebten Augen ihr zuwandte. Es war alles andere als leicht für die kleine Frau Ruhe zu bewahren, aber sie wusste, dass er genau das jetzt brauchte. Ja, sie mochte Robin. Sie war eine kühle, kluge Frau und egal was man zu ihr sagte, sie behielt immer eine ruhige Fassade. Das hatte die Arbeit immer unheimlich leicht gemacht. Sie hatte Uma eine Chance bei der Firma gegeben, weil sie an sie geglaubt hatte. Sie war ihr noch immer dankbar. Uma hatte nach einer Aufgabe gesucht. Sie wollte nicht mehr an ihre Vergangenheit denken, sich nicht darin verlieren und Baroque Works war genau das Richtige gewesen. Aber jetzt war scheinbar alles in die Brüche gegangen. Kein Pluton? Nun, darum war es ihr nie gegangen. Utopia ging ihr regelrecht an ihrem Hintern vorbei. Sie brauchte nur eine Beschäftigung, etwas das ihren Körper und ihren Verstand auf Trab hielt. Und ohne es zu merken, hatte sie einen Mann gefunden, der sie so nahm, wie sie eben war, einen Kreis von Menschen, die sie ohne zu zögern als Freunde bezeichnen konnte. Mehr, als sie gesucht hatte. Sie war sauer auf Robin. Dieses dumme, dumme Mädchen. Aber sie konnte ihr nichts entgegnen. Sie konnte sich nicht einmal vorstellen, in was für einer Situation sie gewesen war und sie wollte es auch gar nicht. Für sie zählte nur, nicht zu verlieren, was sie gefunden hatte. Nicht wieder zu verlieren, was sie gewonnen hatte. Ihre ungewöhnlich stummen Augen hefteten sich an Miki. Er hob seine Hand, um ihr etwas zu sagen, seinem Inneren Luft zu machen. Seine Worte waren knapp und voller Emotionen. „Ich will nicht, dass es so endet. Ich will das hier nicht aufgeben. Ich brauche diese Crew, denn sie ist mein Zuhause. Keiner akzeptiert mich so wie ich bin. Jeder andere schreit mich an, wenn ich nicht gleich reagiere, wenn ich nicht antwortete. Robin hat das nie getan. Sie hat mir eine Chance gegeben. Einen neuen Anfang.“ Uma nickte nur. »Ich weiß, ja ich weiß was du meinst. Aber so kann es ja nicht gehen. Nein, kann es nicht. Woher wissen wir denn, dass sie nicht bei der nächsten Gelegenheit wieder lügt? Nein, das wissen wir nicht. Und ich habe wirklich keine Lust immer wieder Gefühle zu investieren und nichts dafür zu bekommen.« Sie stemmte die Hände in die Hüften, schmollte beinahe. »Pluton hin oder her, was passiert jetzt mit Baroque Works? Wir haben ja gar kein Ziel mehr! Nein, das haben wir nicht. Wirklich so gar nicht. Nein, nein, nein!« Miki schüttelte den Kopf und ein sehr schwaches, beinahe erzwungenes Lächeln erschien auf seinen Lippen. Er gab ihr ihr drei kurze Zeichen und brachte sie damit zum Lachen. »Hahaha, ja, natürlich. Du hast ja Recht. Ja, das hast du, oh ja. „Wir sind Piraten.“« Sie waren sich offenbar einig. Aber zuletzt lief es doch auf eines hinaus: es war die Entscheidung ihres Captains. Sein Plan, sein Traum und seine Vizepräsidentin. ~ ~ ~ Iroko saß am Wasser, hielt die nackten Füße in die Brandung und starrte in die Wellen. Sie hatte keine Ahnung wo sie war, aber sie konnte das Schiff nicht sehen und die Sonne auch nicht, sowie keinen anderen der Crew. Es war ihr recht. Sie wollte nichts und niemanden mehr bei sich haben. Vor allem nichts, das sie an das Geschehene erinnerte. An die Crew und das Schiff und all das Lachen und die Fröhlichkeit dort. An die gigantische Lüge, die all das nur gewesen war. Sie wollte nichts mehr davon. Dennoch, sie nahm ganz klar wahr, dass sich jemand neben sie setzte. Ruhig und unaufdringlich, wie es seine Art war. Auch er machte es sich bequem, zog seine Beine zum Schneidersitz heran und blickte nach vorn in das ruhige Meer. Am Horizont glitzerte das Wasser in den Strahlen der bald untergehenden Sonne und erzeugte die Illusion man könnte die Dünen von hier aus sehen. Er sagte nichts, bedrängte sie nicht, sondern ließ ihr Zeit, ohne ihr vorzuenthalten, dass er für sie da war. Mister 3 hatte sehr viel nachgedacht. Nachdem Bon ihn von der Szene weggezogen hatte, hatten sie sich getrennt. Er hatte sein aufgeregtes Geplapper dabei nicht gebrauchen können. Und nun saß er hier neben seiner Partnerin und hoffte, dass er endlich stabil genug war, um mit ihr darüber reden zu können. Gal Dino war eigentlich ein sehr ruhiger Mann, der nachdachte und sehr intelligent war. Er war außerdem ein Meister der Intrigen, der lieber jemanden von hinten in den Rücken schoss, als ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu stehen. Seine Wachsfrucht hatte ihm viel Selbstbewusstsein gegeben, ihn arrogant und überheblich gemacht. Aber selbst das war nur Fassade, das war nicht wirklich er. Denn sobald er jemanden gegenüberstand, gegen den er nicht ankam, bröckelte all sein falsches Selbstwertgefühl. Er war schwach und das wusste er. Er war nur ein Bauer im Schachspiel der ganz Großen. Manchmal hatte ihm das etwas ausgemacht, dann hatte er sich daran gewöhnt, es akzeptiert und nun war es ihm egal. Schon wieder war er nur eine Spielfigur gewesen, auf einem Schlachtfeld voller Lügen und Verrat, voller Heuchelei und falscher Versprechen. Und Robin war die böse Königin, genau wie auf Kata-marie. Macht. Oh ja, er wollte Macht. Er wollte Macht mehr als alles andere. Um die Menschen, die über ihn lachten, die ihn gepeinigt und unterschätzt hatten, zu unterjochen. Allen zu zeigen, was er wirklich konnte. Er hatte immer gedacht, dass das sein wirkliches Ich war. Ein starker Mann, dem nur die Mittel fehlten. Pluton, eine mächtige Waffe, die ihn ans Ende seines Ziels brachte. Aber er hatte sich die gesamte Zeit über belogen. Das war nicht das, was er wirklich war. Nicht dass, was er sich wirklich wünschte. Und die letzten Monate auf See, mit dieser verrückten Crew, hatten es ihm gezeigt. Hatten ihm gezeigt, dass man keine körperliche Stärke haben musste, um erfolgreich zu sein. Nein, nicht erfolgreich. Sondern glücklich. Paula hatte es ihm gezeigt, als er in ihren Körper gerutscht war. Bon hatte es ihm gezeigt. Und auch Uma und Miki. Sie alle waren nicht ohne Fehl und bei Weitem nicht alle vollkommen glücklich. Aber sie hatten es geschafft etwas in seinem Inneren zu verändern. Ihm Mut zu geben, Hoffnung. Hoffnung auf eine Zukunft für ihn. Voller Macht, hatte er gedacht. Aber nein, eigentlich hatte er sich nach etwas Anderem gesehnt, je länger er mit ihnen gereist war. Hier zu bleiben, bei jedem Einzelnen von ihnen. Paulas wundervolle Kochkünste zu kosten, mit Uma zu reden und zu lachen, mit Miki Späße zu machen, mit Iroko Kunst zu betreiben, aus Robins Weisheit und Ruhe zu schöpfen, von Jazz und seinem Boss etwas mehr Männlichkeit zu lernen. Es verletzte ihn, dass Robin sie belogen hatte. Aber zur gleichen Zeit konnte er es nachvollziehen. Er hätte es selbst vielleicht nicht anders gemacht. Er selbst war sich keiner Lüge zu schade, keiner Intrige, keines Verrates. Wie konnte er also über sie richten, wenn er selbst nicht besser war? Nein, das konnte er ihr nicht vorwerfen. Auch er wollte die Entscheidung seinem Boss überlassen. Gal Dino war nie ein Anführer und er war nie dafür geeignet gewesen große Entscheidungen zu fällen. Also blieb er so wie immer und wartete drauf was die Zukunft brachte, um sich den Umständen anzupassen und einen neuen Weg für sich selbst zu finden. Es verging noch eine ganze Weile, ehe er die Stimme doch erhob. Ganz leise, aber fester als sie es kannte. »Weißt du...? Mir ist aufgefallen, dass sie hätte weiter lügen können. Uns noch weiter an der Nase herumführen hätte können. Wir können alle nicht die antike Schrift lesen, sie hätte sich also sonst etwas ausdenken können. Zum Beispiel, dass Pluton irgendwann an einen ganz anderen Ort gebracht wurde. ...Sie hätte diese Reise und all die Lügen noch endlos in die Länge ziehen können.« Keine Reaktion. Das Mädchen war wie aus Eis. »Aber sie hat es nicht getan.« Ein kurzes Schulterzucken. Er blickte noch immer nach vorn, wollte sie nicht auch noch mit seinem Blick bedrängen. »Nun, du hast Recht, sie hat uns lang genug an der Nase herum geführt.« Noch immer nichts. »...Sie ist nicht ohne Fehl, niemand ist das. Unter Umständen ist sie wirklich eine schreckliche Person. Ich wusste nie wie ich mich in ihrer Nähe verhalten sollte. Ich hatte Angst und Respekt vor ihr und als herauskam, wer sie wirklich ist, sogar noch mehr. ...Nur Pluton hat mich davon abgehalten Baroque works nicht zu verlassen. Das Eisen wurde mir wirklich einen Moment lang zu heiß. Ich wollte nicht wegen Robin von der Marine gejagt werden, als ihr Kumpan abgestempelt werden. Nun... jetzt ist Pluton nicht mehr und was mit ihr geschieht steht allein in Bossus Macht.« Kurz stockte er. Er wollte nicht darüber nachdenken, was geschah, wenn er sie wirklich tötete. Sein Innerstes war zwiegespalten. Einerseits wollte er, dass sie starb, damit er selbst nicht in Gefahr kam. Andererseits wusste er, dass dann nichts mehr so sein würde wie zuvor und dass sein Boss all seine Menschlichkeit verlieren würde. Und er wusste nicht, ob er ihm dann noch folgen konnte. Er drückte die Gedanken darüber beiseite und wandte den Kopf leicht zu seiner Partnerin. »Aber sie hat auch gute Seiten. ...Sie hat an mich geglaubt. Auf Kata-marie, bei diesem Schachspiel. Und auch auf den Dünen. Sie hat Vertrauen in mich gesetzt, ohne etwas dafür zurück zu wollen. Einfach so.« Immer noch keine Regung. Er beugte sich etwas zu ihr herab. »Mach mir nichts vor, Iroko. Ich kenne dich zu lange dafür. Du magst sie sehr. Und da ist etwas, das du rauslassen möchtest. Lass es raus. Ich hör dir zu.« »...« »Eigentlich bist du ihr gar nicht sauer wegen Pluton, oder? Da ist etwas ganz Anderes, nicht wahr?« In diesem Moment hörte er plötzlich ihre hohe, zittrige Stimme kreischen. »WAS WEIßT DU SCHON?!« Kein Zucken, nur Ruhe in ihm, seine Stimme fest. »Ich weiß mehr über dich, als du dir eingestehen willst. Aber du brauchst keine Angst zu haben. Ich hör dir zu.« Ihr Kopf zuckte zu ihm um und schleuderte ihm blanken Hass entgegen. Dann bildeten sich Tränen in ihren Augen und mischten sich zu dem unbändigen Zorn, erweichten ihn. »Ist mir scheißegal, warum sie das getan hat oder was sie getan hat! Pluton ist mir auch völlig schnurz!« Wütend schrie sie auf, doch dann brach ihre Stimme plötzlich ab und wurde von einem Schluchzen untergraben. Sie krallte die Finger in ihr Gesicht und weinte bitterlich, zeigte all die Scherben, die Robin in ihr hinterlassen hatte. Ihr kleiner Körper zitterte und krümmte sich unter der Last zusammen. »...Aber... aber wegen ihr... zerbricht jetzt alles... Ich will das nicht! Ich will niemanden verlieren! Alles... alles soll so bleiben... wie es ist. ...Keiner... soll weggehen oder sterben... alle sollen... sich mögen.« Väterlich nahm Gal seine Partnerin in den Arm und drückte sie an sich, klopfte ihr beruhigend auf den Rücken und ertrug ihre Tränen und ihren Rotz auf seinem Hemd. Es war so eigenartig das zu tun, aber gleichfalls fühlte er sich wunderbar. Er fühlte sich stark, brauchbar, nützlich. Es war so ein schönes Gefühl für jemanden da sein zu können, ihm den Schmerz etwas abzunehmen, ihn zu lindern, Leid zu teilen. Für jemanden da sein zu können. Ein ganz leichtes Lächeln erschien auf seinem Mund. Sie war eben doch noch ein Kind. ~ ~ ~ Crocodile war sehr lange gelaufen, bis er schließlich an den Strand gekommen war. Scheinbar weit weg von den anderen, denn er konnte niemanden erkennen. Das war ihm auch recht so, er wollte allein sein. Darüber nachdenken, den Kopf klar bekommen. Sie alle, seine Crew, wartete auf seine Entscheidung, dabei war in seinem Kopf bloß Chaos. Ruhig setzte er sich in den feinen Sand, zwischen die Muscheln und die an Land geschwemmten Algen und betrachtete die Brandung, lauschte dem sanften Schäumen der Wellen, dem Rauschen des Meeres, spürte den salzigen Wind auf seiner Haut, der ihn leicht frösteln ließ. Eine Ewigkeit lang saß er so da und starrte nur auf die See, auf den Horizont. In ihm war völlige Leere, noch immer. Als wären alle seine Synapsen blockiert und er müsste darauf warten, das die Transmitter den Weg wieder frei räumten. Er tat es, er wartete. Und tatsächlich, irgendwann kamen sie von ganz allein. Die Gedanken. Unaufhaltsam, wie wilde Pferde rasten sie voran und er konnte nichts anderes tun als sich von ihnen durch den Dreck schleifen zu lassen. Er ließ den Kopf hängen und verzog das Gesicht. Das Schlimmste an der ganzen Sache war ja, dass ihn Pluton nicht den geringsten Deut interessiert hatte. Alles, was er aus der Unterhaltung herausgefiltert hatte, war nur eins gewesen: sie hatte ihn belogen. Mehr zählte für ihn gar nicht. Pluton war also zerstört? Aha. Es schockierte ihn, machte ihm Angst, zerstörte seinen logischen Verstand. Pluton war sein Ziel gewesen, das große Ziel, auf dass er vier Jahre lang hingearbeitet hatte. Der Grund, der ihn hoffen lassen hatte. Die ganze Reise lang war das sein Ziel gewesen. Und nun trauerte er dem nicht einmal nach? Was zum Teufel?!, schrie sein Verstand, doch in seinem Innersten kam nur wieder die gleiche Antwort: Pluton ist mir ganz egal. Pluton war egal im Angesicht dessen, dass Robin ihn hintergangen hatte. Widerwillig musste er sich eingestehen, dass er seit dem Beginn dieser Reise nie nur an Pluton gedacht hatte. In der Tat war es ziemlich in den Hintergrund gerutscht. Es war sein Ziel gewesen, ja das schon, aber es hatte immer in den Sternen gestanden. Zu weit weg, um es zu erreichen. Selbst noch auf den Dünen. Er hatte sich von dem Wunsch genährt, von der Vorstellung wie es sein könnte, ohne es eigentlich zu wollen. Das wurde ihm nun klar. Pluton war einfach unwichtig geworden. Je unwichtiger, desto näher er Robin gekommen war. Je länger die Reise ging. Was hatte er gewollt? Ein Utopia? Ein Land seiner Träume, ein Land in dem er als Pirat sein durfte, was er sein wollte. Deswegen waren sie ihm doch alle gefolgt, oder? Ein Land... in dem man man selbst sein konnte. Er hatte keine andere Lösung gesehen als Pluton. Wie sollte er sonst als Pirat in dieser Welt glücklich werden? Gab es wirklich einen anderen Weg? Er wusste es nicht, aber jetzt, in diesem Moment, bezweifelte er, dass er mit militärischer Macht gewonnen hätte. Die Welt war einfach zu groß, um sie auszulöschen Wahrscheinlich hatte sie Recht, wahrscheinlich war es gut gewesen, auch wenn er es nicht wahr haben wollte. Er stand endlich auf der Insel, auf dem Pluton zu finden war und es war zerstört. Es gab noch andere Waffen. Mit der gleichen Zerstörungsgewalt, die sie suchen konnten. Aber wollte er sie? Wollte er das alles noch? Ganz offensichtlich war ihm Pluton egal, sagte das nicht schon alles aus? Jemand in seinem Innersten flüsterte ihm etwas zu. Den wahren Grund, warum er Pluton hatte finden wollen. Den Grund, der auf der Reise vollkommen aus seinen Augen geglitten war. In den letzten vier Jahren. Ganz einfach deshalb, weil dieser Grund nichtig geworden war. Vor fünf Jahren hatte er den Entschluss gefasst, kurz nachdem er zum Shichibukai ernannt worden war. Neun Jahre nachdem Elisa ihn verraten hatte, sechs Jahre nachdem sie auch den Letzten seiner Crew umgebracht und ihr Schiff versenkt hatte. Und nur wenige Monate nach ihrem letzten Anschlag auf ihn. Er hatte nicht mehr gewollt, er hatte nicht mehr gekonnt. Weil er wusste, dass er sie nicht umbringen konnte. Weil er wusste, dass er nur sein ganzes Leben lang hätte weiter wegrennen können. Sie war der einzige Grund gewesen. Er hatte es beenden wollen. Die Welt wie sie war und sie gleich mit. Und wenn er dabei selbst drauf gegangen wäre, nun... dann wäre es eben so gewesen. Ihm hätte niemand eine Träne nachgeweint. Oh ja, Crocodile wusste sehr wohl wie kraftvoll die Waffen waren. Er hatte das Risiko von Anfang an eingeplant. Er hatte es vorfreudig in Kauf genommen. Nun war davon nicht mehr viel übrig. Elisa war tot und er hatte einen Neubeginn starten können. Nur um erneut enttäuscht zu werden. Genau wie damals, genau wie vor fünfzehn Jahren. Unwillkürlich trieben seine Gedanken zurück nach Arabasta. Hatte sie Recht? Hätte er sie getötet, wenn sie ihn nicht angelogen hätte? Oh ja, ganz sicher. Auch wenn es ihm schwer gefallen wäre, er hätte sie umgebracht. Allein schon seiner unheimlichen Angst geschuldet erneut verraten zu werden. Er hätte ihr seinen Haken direkt in die Brust gerammt. Vielleicht ein wenig zu unpräzise. Vielleicht ein wenig zu ungenau, dass sie hätte überleben können. Nein, er hätte sie nicht umgebracht. Er hätte sie nur verletzt, so wie sie ihn verletzt hatte. Mehr hätte er nicht übers Herz bringen können, das wusste er nun. Wie hätte er ihr auch vertrauen können? Sie war Nico Robin. Sie war diejenige, die sich Jahrzehnte lang nur mit Lügen und Verrat hatte durchkämpfen können. Sie war die Frau, die dutzende von Piraten in den Tod befördert hatte. Crocodile und Robin waren lediglich Geschäftspartner gewesen, die miteinander ins Bett gingen. Mehr nicht. Sie hatte ihn ausgenutzt, er sie. Und er hatte nichts Anderes gewollt. Nicht bewusst zumindest. Innerlich jedoch hatte er sich nach ihr gesehnt. Danach endlich Frieden zu finden, mit der Vergangenheit abzuschließen, Elisa hinter sich zu lassen und einen Neuanfang zu starten. Mit einer Frau glücklich zu werden, die ihn nicht hinterging. Was sollte er bloß von ihr halten? Konnte er überhaupt etwas auf ihre Worte geben? Auf ihr „ich liebe dich“? Gerade von ihr? Wahrscheinlich hatte Paula Recht. Sie hatte nur Zeit schinden wollen, sie hatte einfach nur Angst zu sterben. Aber sie hatten so viel zusammen erlebt. Sie hatte ihm die größte Last von den Schultern genommen, die sein elendiges Leben für ihn parat hielt. Die Schuld, die er sein ganzen Leben lang ertragen musste. Elisa. Sie hatte sie eigenhändig erwürgt. Sie hatte ihm gesagt, dass sie ihn liebte. Sie beharrte auch jetzt darauf. Also? Liebte sie ihn wirklich? Aus ganzem Herzen? So wie er sie liebte? Oder war er nur ein weiteres Mal in seinem Leben auf eine Frau reingefallen? Schon wieder mit den gleichen Tricks, schon wieder auf die gleiche Weise? Sie unterschied sich nicht von Elisa. Sie hatte ihn belogen, die ganze Zeit über. Sie hatte mit ihm geschlafen, während sie ihn anlog, hatte ihm gesagt dass sie ihn liebte, während sie ihn anlog. Diese ganze Reise baute auf dieser Lüge auf. Warum also auch nicht ihre Gefühle? Er war schon wieder hintergangen worden. Aber erst als er ganz in die Falle gegangen war, erst dann hatte sie zugeschnappt. Und seinen gesamten Körper unter ihren mächtigen Schwingen zerfetzt. Das war es also gewesen. Das Geheimnis, das er in ihrem Körper gespürt hatte, dass sie so zerfetzt hatte. Er sah in den Sand und schwieg. Gott, er fand noch nicht einmal Argumente gegen sie. Es ging einfach nicht. Er fühlte sich so leer, so vollkommen ausgesaugt. Aber er liebte sie. Er liebte diese Frau so sehr, wie er sich geschworen hatte nie mehr zu lieben. Und wenn er ihre Gründe hörte, dann... dann... dann konnte er nichts erwidern. Er verstand sie ja, alle sogar. Angst zu sterben. Bei jemanden zu bleiben, der einem Schutz bietet. Freunde zu finden. Die Angst vor Pluton. Er verstand alle diese Gründe ganz genau, er konnte keinen einzigen von ihnen nicht nicht nachvollziehen. Sein Bauch kannte all diese Gefühle, diese Sehnsüchte. Nur sein Verstand riss und rüttelte an ihm, brüllte ihn an endlich klar zu sehen. Selbst wenn! Na und?! Sie hatte ihn verraten, sie hatte ihn hintergangen! Das kann keine Liebe sein! Sie ist genau wie sie! Sie ist genau wie Elisa! Nein, war sie nicht. Das sagte ihm sein Herz, ganz ruhig und sanft. Es zweifelte nicht daran, dass sie ihn liebte. Sie hatte es so oft gezeigt, so oft gesagt. Sie war nie geflüchtet, obwohl sie es hatte tun können. Sie hatte ihm das Leben gerettet, mehrere Male. Sie hatte ihm ins Gesicht gesagt, dass sie ihn belogen hatte. Sie hatte sich vor ihn gestellt und alles gebeichtet, wissend, was sie ereilen würde. Sie ertrug ihn, obwohl er so ein arroganter Arsch war, obwohl er oft so ruppig war, sie sogar anschrie, sie beleidigte. Sie ertrug all das... Doch Herzen sind immer blind, sind gutgläubig und naiv. Sie wissen nichts, sie haben keine Ahnung. Nur der Verstand kann einem sagen, was man tun soll. Nur ihm sollte man vertrauen. Das wusste Crocodile längst. Seine Zähne bissen sich hart aufeinander, als er ihm zuhörte, seinen Worten lauschte. Robin war ein beschissenes Miststück. Sie war das alles nicht wert. Er konnte das nicht auf sich sitzen lassen. Er konnte sich nicht einfach so geschlagen geben! Kampflos, erbärmlich. Wenn er ertrug, dass sie ihn angelogen, verraten hatte, dann war er nichts weiter als ein Feigling. Ein erbärmlicher Feigling. Aber er wollte bei ihr bleiben, er wollte sie nicht umbringen. Eine Welle der Verachtung schrie seinem Herz entgegen, toste in seinem Körper auf. Sein Verstand hatte sich wieder seiner bemächtigt und zwang ihn aufzustehen. Immer wieder zog es in ihm, rissen die beiden Parteien an ihm, dass er schwankte, taumelte. Doch er blieb in Bewegung, steuerte auf die Lichtung zu. Er musste das Ganze ein für alle Mal beenden. Endgültig. ~ ~ ~ Robin saß noch immer im Gras und starrte vor sich hin. In ihrem Inneren herrschte vollkommener Stillstand, als hätten die Räder sich verhakt und würden alle Vorgänge blockieren. Ihr Körper blendete alles Fremde aus. Sie spürte nicht den lauen Wind in ihrem Haar, hörte nicht die Möwenschreie über sich, spürte nicht den feinkörnigen Sand unter ihren Beinen. Alles war egal. Sie wartete nur auf den Dolchstoß, der sie endgültig von diesem Leid erlöste. Wünschte sich eine erneute Herzattacke, aber das Schicksal ließ sie im Stich. Niemand gönnte ihr den Tod. Sie war dazu verdammt immer weiter zu leiden. Langsam zu verrecken, dahin zu siechen. Voller Schmerz zu sterben. Das hatte sie auch verdient, oder? Das war ihre gerechte Strafe. Ihr war danach zu weinen, alles herauszulassen, doch auch dieser Wunsch wurde ihr verwehrt. Nichts kam mehr, als wäre sie ausgetrocknet. Genauso leer wie sie sich fühlte. Obwohl sie nicht denken wollte, schafften es einige Fetzen doch durch die Barriere hindurch in ihren Kopf. Paula. Sie hatte ja Recht gehabt. Es war so widersprüchlich. Sie hatte ihnen den Weg gezeigt, weil sie ihre Träume nicht hatte zerstören wollen. Aber sie hätte sie genau dadurch auch ihrem Verderben zugetrieben, wäre Pluton noch hier. Sie wusste, dass es keinen Sinn machte, aber sie wusste auch nicht, warum sie sich dafür entschieden hatte. Wahrscheinlich war sie wirklich einfach nur egoistisch. Bis zum Grunde ihres Wesens. Außerdem war es doch einerlei. Sie hätten nicht auf sie gehört, vor allem nicht Crocodile. Und am Ende hätten sie einen anderen Weg zu den Waffen gefunden. Hätte Paula wirklich so gehandelt? Wenn das hieß sich gegen den Mann zu stellen, den sie liebte? Ihm seinen Traum zu nehmen? Hätte sie das über das Herz gebracht? Während alle überglücklich waren, sobald man nur das Wort „Pluton“ in den Mund nahm? Wie sie strahlten und wie leidenschaftlich sie über ihre Träume geredet hatten. Hätte sie ihnen das wegnehmen können? Vielleicht. Vielleicht war Paula ja wirklich stärker als sie. Und nicht so schrecklich egozentrisch. Sie legte den Kopf auf die angewinkelten Knie. Sie hatte so viel riskiert und nichts gewonnen. Und das Schlimmste dabei war auch noch, dass sie es nicht anders gemacht hätte. Sie hätte jedes einzelne Wort gleich gewählt. Weil Crocodile sie sonst verlassen hätte. Weil sie sonst all diese wunderschönen Stunden zusammen mit ihm, zusammen mit den anderen niemals hätte erleben dürfen. Crocodile. Crocodile Ihr Herz verkrampfte sich bei diesem Namen. Wie er sie angesehen hatte, so voller Schmerz und doch gleichsam völlig leer. Sie hatte damit gerechnet, dass er sie anschrie, ihr all seine Wut entgegen hämmerte, ihr einprügelte. Doch da war keine Wut gewesen. Nicht der Zorn, der sich sonst seiner ständig bemächtigte. Alles war umsonst gewesen. Alles war so offensichtlich gewesen. Das Ende von Anfang an bekannt. Als hätte man in einem Buch bereits am Anfang die letzten Seiten gelesen. Die Erkenntnis blieb unerträglich, marterte sie. Sie war einfach ein Mensch schlechter Gewohnheiten. Und die ließen sich nie ganz ausmerzen, egal wie sehr man sich anstrengte. Sie war Nico Robin, der Teufel von Ohara. Geboren um zu lügen, zu betrügen, zu verraten, zu verletzen, eine Schneise aus Verwüstung hinter sich zu lassen. Selbst wenn sie es nur gut meinte, ging es schief. Wie ein Fluch, den sie nicht los wurde. Scheiße. Scheiße, Scheiße, Scheiße. Jetzt war das auch alles egal. Nur nebensächlich bemerkte sie, wie sie plötzlich jemand berührte. Eine Hand auf ihrem Haar, eine zärtliche Berührung. Langsam drehte sie den Kopf um und blickte in ein überschminktes, aber lächelndes Gesicht. Sie ertrug es nicht und blickte wieder in die andere Richtung, musste die Augen schließen, weil sich ihre Kehle zuschnürte. Seine Stimme war ganz ruhig, aber man hörte die Hoffnung aus ihr heraus. »Ich habe nur zwei Fragen an dich, Robin.« Er setzte sich neben sie und musterte sie, ließ den Körperkontakt aber zunächst einmal sein. »Liebst du Zero-chan wirklich von ganzem Herzen? Und würdest du durch die Hölle gehen, nur um bei ihm zu sein?« Keine Reaktion, nur ein kaum merkliches, aber hartes Schlucken. Die Stimme verloren, leer und fast nicht verständlich. »Ja.« »Und liebst du uns? Die Crew? Deine Freunde... deine nakama?« »Nakama...« wiederholte sie leer, dann grinste sie schmerzhaft. »Ja... das tue ich.« »Gut, dann...« Sein Grinsen war so breit, dass es fast sein Gesicht sprengte. Er legte einen Arm um ihre Schulter und drückte sie an sich. »Tja dann ist für mich alles gesagt. Der Rest ist mir ganz egal!« Verstört wandte sie den Blick nun doch an ihn und ihr Mund klappte auf, aber ehe sie etwas aus ihrer geschundenen Kehle heraus drücken konnte, legte er ihr einen Finger an die Lippen. »Papperlapapp! Menschen sind verwirrt und tun seltsame Dinge, wenn sie lieben. Das ist okay und solange es aus wahrer Liebe geschieht, kann es nicht von Grund auf schlecht sein. Keine Sorge. Ich halte zu dir, Robin-chan.« Das stand fest. Für Bon waren Freundschaft, ehrliche Gefühle und der eigentliche Grund für die Taten einer Person das Wichtigste, ja, sogar das Maß aller Dinge. Wirklich zählte nur eines: Robin hatte sie nicht verletzten wollen. Er verstand, wieso sie in diesem Sinne gehandelt hatte, sich nichts Anderes zugetraut hatte, warum es niemals anders hätte funktionieren können. Nicht, weil sie egoistisch war, nicht, weil sie aus Gewohnheit nicht anders konnte, als zu betrügen. Sie hatte es aus Liebe getan. Und es gab nichts Schöneres und gleichsam Schmerzhafteres, als das. Seine Hand glitt zu ihrem Haar und er streichelte sie, vorsichtig, um sie nicht zu verschrecken. »Liebe ihn auch weiterhin, Robin. Er braucht dich.« Bei diesen Worten zuckte sie zusammen und keuchte aufgebracht ihr Leid an die Oberfläche. Bon hielt das aber nicht ab. »In der Tat glaube ich sogar, dass er eigentlich nur dich braucht. Selbst, wenn es jetzt ausweglos erscheint und selbst, wenn du dich vor der Zukunft ängstigst, halte an deinen Gefühlen fest und vergiss dabei niemals, wer du wirklich bist. Denn so wie du bist, musst du sein, damit er glücklich wird. Damit ihr beide eine Chance habt.« Völlig vor den Kopf gestoßen starrte sie den weise Reden schwingenden Schwanentänzer an. Von welcher Chance sprach er denn? Sie sah nur Finsternis, sobald sie den Versuch unternahm in die Zukunft zu blicken. Eine ganze Weile saß er noch neben ihr, schweigsam, ehe er sich aufrichtete und sich von ihr verabschiedete. Er wollte nach Gal und Iroko sehen. Robin blieb zurück. Ihr Blick glitt wieder ins Leere und verlor sich dort in ihr. Was wusste Bon denn schon? Es bedeutete ihr viel, dass er ihr zu vergeben schien, aber welchen Stellenwert sollte das in ihrem Leben noch haben? Sie fand in ihrem Herzen kein Licht mehr. Da war nur noch das einsame, traurige Gefühl der Liebe. Sie widerte sich selbst an. Was hatte ihr diese Liebe gebracht? Was hatte sie ihnen allen gebracht? Warum hatte sie sich überhaupt in diesen Mann verliebt? Dieser Mann, der sie gezwungen hatte seinem Willen zu folgen oder unterzugehen. Dieser Mann, voller Zerstörung und Zorn in seinem Inneren. Dieser Mann, der sich ihr Herz einfach gepackt hatte und es nicht mehr freigab. Egal wie sehr sie in den letzten Jahren daran gerüttelt hatte, ganz egal, wie sehr sie sich hatte einzureden versucht, dass all das Unsinn war. Ganz gleich was ihr Verstand ihr zu verdeutlichen versucht hatte. Immer und immer wieder war sie an ihre Grenzen des Begreifbaren gestoßen, hatte sich selbst verloren, vergessen, was sie ausmachte. Die Tatsache, dass sie sich wirklich in ihn, in Crocodile, verliebt hatte, konnte sie manchmal noch immer nicht begreifen. Aber sie saß hier. Sie hatte all der Gefahr zum Trotz diesen Weg gewählt, hatte ihn beschritten, um bei diesem Menschen zu bleiben. Unerheblich wie oft ihr der Gedanke der Flucht gekommen war, unbedeutend wie viele unzählige Male sie sich hätte aus dem Staub machen können, ihre eigene Haut retten können, sie wollte sein, wo er war. Und wenn das jetzt den Tod bedeutete? Es spielte einfach keine Rolle mehr. Für ihn starb sie. Für ihn ging sie den Weg ins Nichts, denn eigentlich wusste sie ganz genau, warum sie ihn liebte. Etwas in ihrem Inneren klirrte. Es dauerte einen Moment ehe sie es zu deuten wusste. Es war wie ein Ringen in ihren Ohren, wie ein magnetisches Feld, das sie krampfhaft auf Norden eichen wollte, ihr den Weg zeigen wollte. Ein Gefühl, das sie gut kannte. Eine Aura, die ihr gleichsam das Blut gefrieren ließ und es zum Kochen brachte. Schritte. Langsam, gefährlich, forsch und engstirnig. Ein Blick in ihrem Nacken, der sich so schwer auf sie legte, als würde er sie nieder drücken. Ihr Herz beschleunigte erneut, hämmerte erbarmungslos gegen ihre Brust und ließ das Bild vor ihren Augen kurz schwarz werden. Sie erstarrte, konnte sich keinen Millimeter mehr bewegen, nicht einmal mehr atmen, nicht einmal mehr sehen, weil alles vor ihren Augen verschwamm. Und trotzdem war da noch immer dieses Kitzeln, die Sehnsucht nach seinem Anblick, obgleich sie wusste, dass er sie dieses Mal zerschmettern würde. Sie war beinahe dankbar dafür. Dankbar, dass ihre Erlösung endlich kam. Die letzte Seite des Buches, die endgültig letzten Zeilen. Und doch hatte sie nicht genug Mut, nicht genug Kraft ihm entgegenzutreten, den Kopf zu drehen, ihn anzusehen. Voller Angst presste sie die Augen zusammen, begann leicht zu zittern. Die Schritte endeten neben ihr, sie konnte aus dem Augenwinkel seine schönen, schwarzen Schuhe erahnen. Poliert und glänzend wie immer, mit der goldenen Schnalle und der scharfen Spitze. Es wurde kein Wort gesprochen und auch der Dolchstoß blieb aus. Kein Blut floss, kein Schmerz kam und trotzdem war sie immer noch zu feige ihn anzusehen. Er stand genau vor ihr und sie spürte, wusste, dass er ihr direkt in die Augen starrte, die nur noch glasig auf seine Schuhe blickten. Es war genau wie zuvor. Sie spürte seine Leere, seine Strafe durch die fehlende Worte. Gerade durch ihn, der sonst die Klappe nie halten konnte. Es kam ihr wie Ewigkeiten vor wie er so da stand und sie nicht den Mut aufbringen konnte ihn anzusehen. Doch dann, schließlich, bewegte er sich, hockte er sich vor ihr in den Sand und rutschte so in ihr Blickfeld. Es war aus, sie konnte seinem Blick nicht mehr entfliehen. Also stampfte sie all ihre Angst endgültig in den Boden und hob den Kopf an, um sich dem letzten Richtspruch zu stellen. In ihren Augen herrschte leeres Chaos, alles lag ihm offen, alles lag brach. Kein Geheimnis mehr, keine Lügen. Zumindest am Ende, wenn doch ihr ganzer Weg damit gepflastert war. »Robin.« Seine Stimme war ausdruckslos, hart und eiskalt. Er musterte sie ganz genau, wühlte in ihrem Innersten und ließ nichts mehr unangetastet, durchforstete jeden einzelnen Winkel, höhlte sie aus. Es war ihr recht. Es war sein Recht. Sie konnte dem nichts entgegenbringen. »...« »...liebst du mich?« kam es so emotionslos, wie es nur ging. Sie schluckte sehr hart, versuchte den Blick eben zu halten. Ihr Herz schrie sie an, doch sie konnte seine Worte nicht mehr verstehen. Es war ihr auch egal, nun war alles egal. Ihre Zunge folgte dem ersten und einzigen Impuls, die diese Frage in ihr auslöste. »Ja.« Nichts regte sich in ihm, als hätte er die Antwort gar nicht gehört. Nur ein winziges, kaum bemerkbares Nicken. Die Miene blieb hart, ausdruckslos, unleserlich. Sie verlor beinahe die Kraft ihren Blick aufrecht zu halten, als seine harte Stimme ihr erneut entgegen krachte. »Was würdest du tun, wenn ich dich fragen würde, ob du mir hilfst eine andere der antiken Waffen zu suchen?« »Mit dir und den anderen zusammen untergehen.« »Und der Welt?« Kraftloses Nicken. »Du verrätst deine Prinzipien.« Eine einzige Feststellung, mehr nicht, ohne Wertung. Darauf verlor sie den Halt und die Augen rutschten ab, nach unten. Sie konnte dem Druck nicht mehr Stand halten. »...Ehrlich gesagt, ...ich weiß nicht, was ich tun soll, was ich tun würde. ...In diesem Moment ...würde ich vermutlich einfach alles aufgeben, wenn ich nur bei dir sein kann.« »...Warum liebst du mich?« Die Antwort lag ihr förmlich auf der Zunge, aber zum Ausspruch kam es nicht. Stattdessen suchte sie nach einer Ausrede, einem Stück Wahrheit in dem Durcheinander, das in ihrem Kopf herrschte. »...Ich weiß, dass ich es tue, reicht das nicht?« Wieder keine Reaktion, aber sein Blick wurde noch bohrender. »Wie kann ich mir sicher sein, dass du es tust, wenn du nicht einmal weißt warum?« »...Seit ...sehr vielen Jahren habe ich bei dir zum ersten Mal wieder etwas gespürt. ...Hat sich in mir etwas geregt, von dem ich glaubte, es wäre gestorben.« Sie wünschte sich, sie hätte die Kraft gehabt, ihm in die Augen zusehen, ihren Worten Nachdruck zu verleihen. »Und das reicht um es „Liebe“ zu nennen? Du willst mir wirklich sagen, du hast all das nur aus Liebe getan?« Es fühlte sich an, als wäre sein Atem aus Eis, jedes Wort so verbrennend wie die Kälte. Sie kniff ihre Augen fest zusammen, als sie das wilde Stechen, den Sturm der Tränen versuchte auf Abstand zu halten. »Ich war so lange tot und du hast mich wiederbelebt. ...Du hast mich glücklich gemacht.« »Du weichst meiner Frage aus.« Die Schlinge um ihren Hals zog sich fester, drückte ihr beinahe vollständig die Luft ab. »Aus Liebe und allem was dazu gehört. Die Verzweiflung, die Angst und das Wissen, dass ich dich sofort und unwiderruflich verlieren würde. ...Du hast mir nie vertraut. Egal, was ich sagte oder tat. Ich musste es... versuchen.« Diesmal sah sie ihn an. »Und ich würde es wieder tun.« »Mich wieder verraten?« kam es härter, fast knurrend. »Wenn es der einzige Weg ist, ja. ...Ich wollte solange bei dir bleiben bis du mich wegschickst oder mich umbringst. ...Bring es... bring es einfach hinter dich.« Das brachte ihn einen Moment lang ins Schweigen. Doch nur kurz, ehe seine Stimme ihr noch knackender entgegenschlug. Man konnte die Erbarmungslosigkeit, die ihn so auszeichnete, auf der Zunge schmecken. »Du meinst dich umbringen? Erwürgen? So wie du es bei Elisa getan hast?« Sie bewegte sich nicht, resignierend sah sie ihm entgegen. »Tu es. Ich kann dir nichts mehr entgegen setzten.« Er zögerte, musterte sie nur. Tränen bildeten sich in ihren Augenwinkeln. Sie hatte keine Angst vor dem Tod, sondern allein davor, dass es ihn zerstören würde. Sie hatte sich seine Gefühle doch nicht eingebildet, nicht wahr? Aber selbst diese kamen offenbar nicht gegen den Hass und das Misstrauen in seinem Inneren an. Sie stand auf ausweglosem Posten. Sie fühlte sich besiegt. Noch immer zögerte er, so schien es. Doch dann, nur eine Sekunde später, traf sie hart auf den Sand unter sich, spürte seine raue Hand an ihrer Kehle. Der Druck war gering, doch der Blick in seinen Augen war verzehrend. Er stach ihr entgegen, bohrte sich in ihr Innerstes, wollte keine Regung versäumen, sie vollkommen ausbeuten. Die harte Stimme versengte ihre Glieder mit einer Gänsehaut. »...Liebst du mich wirklich?« Offen rannen ihr die Tränen nun über die geröteten Wangen. Lächelnd schloss sie ihre Augen, in denen sie den Schmerz nicht mehr verstecken konnte. »Ja.« Ihre Stimme war völlig ruhig. Seine Hand packte fester zu, drückte ihr die Luft ab. So stark, dass sie spürte, wie sich ihre Luftröhre schmerzhaft verbog. »Ich hab die Antwort nicht gehört...« »Ja, ich liebe dich!« kam es noch immer ruhig, aber die Worte wurden durch ein Krächzen verzerrt. Sie hieß den Schmerz willkommen. Er war nichts gegen das, was sie ihm angetan hatte. Was sie ihnen beiden angetan hatte. »...« Langsam, ganz, ganz langsam, verringerte sich der Druck an ihrer Kehle wieder. Sie spürte seine Hand zucken, doch dann war sie wieder ganz ruhig. Genau wie seine Stimme. Beängstigend ruhig und doch voller Zweifel, fast schon verstört. »...Du machst mir Angst, Robin.« Vorsichtig öffnete sie die Augen einen Spaltbreit, konnte die Frage gerade so innebehalten. Sie wagte nicht seine Bewegungen, seine Worte zu interpretieren, etwas in ihnen zu lesen. Sie wagte es nicht. All ihre Sinne richteten sich allein nach ihm, warteten auf jede Regung, jedes noch so kleine Wort. Ein Wort, dass ihr das Ende verkündete, denn nur darauf wartete sie noch. Doch etwas änderte sich, sie sah es in seinen Augen. Als würde der Schleier der Ruhe zerbrechen, als würde sich in ihnen ein Strudel regen. Voller Chaos, voller Gefühle. »...Was soll das? Wieso liebst du jemanden, der gerade droht dich umzubringen?« »Ich kann es nicht abstellen und ich will es auch gar nicht.« Ihr Körper war vollkommen verstummt, erwartete so gut wie nichts mehr. Nicht von ihm, nicht von sich selbst. Sie sehnte sich nach dem Ende, dem Moment, in dem einfach alles an Bedeutung verlor. »Verrat war das Einzige, was ich kannte. Wenn mein Tod der Preis ist, so sei es.« »Bist du bescheuert?!« noch mehr brach hervor, schleuderte sich ihr mit voller Wucht entgegen. Wut. Hass. Verzweiflung. Verwirrung. Und Angst. All diese Gefühle standen klar in seinen Augen, schrieen sie an wie Sterbende. Als wollten sie ihre Krallen nach ihr ausfahren und sie in den Abgrund seines Innersten ziehen. Sie konnte nun alles sehen, was er zurückgehalten hatte, was er sie nicht hatte sehen lassen wollen. Was sie ihm angetan hatte. Wie sehr sie ihn verletzt hatte. Er warf es ihr alles entgegen, ohne sich dagegen wehren zu können. »Ich will dich umbringen! Wieso wehrst du dich nicht? Bin ich es denn wert, wenn ich dich töten will?!« Diese Gefühlswucht brach sie vollkommen entzwei. Beinahe verängstigt schaute sie in diese Abgründe in seinem Gesicht. »Ich... Ich kann einfach nicht anders.« Sie fand keine Worte, die es ausdrücken konnten, die ihm erklären konnten, wie hilflos sie ihm ausgeliefert war. Scheiße! Fluchend wandte er sich von ihr ab, ließ sich in den Sand unter sich fallen, wand ihr den Rücken zu und versenkte die Hand im Haar. Scheiße! Sie war genau wie er. Kein Stück besser. Nicht einen Hauch besser. Was sollte er davon halten, huh?! Was sollte er davon halten?! Sein Puls beschleunigte und sie hörte, wie er gespenstisch keuchte. In ihm brach alles zusammen, wirbelte durcheinander als fegte ein Wirbelsturm durch ihn hindurch. Ein Orkan, der ihm alle Orientierung nahm. Wo war noch Unten? Gab es überhaupt noch ein Oben? War das überhaupt noch wichtig? Wie wichtig konnte das schon sein, wenn er sich doch dem unausweichlichen Fakt gegenüber sah, dass sie nichts voneinander unterschied. Dass Robins Liebe für ihn wohl genauso krankhaft war, wie die seine für sie. Wie ein Krebsgeschwür, wie ein Tumor direkt im Herzen. Den man einfach nicht herausschneiden konnte, nicht wollte. Weil man lieber mit ihm starb, als ohne ihn zu sein. Weil man jemanden bis in den Tod liebte, egal wie schwer man verletzt war. Weil Liebe sich nicht einfach in Hass verwandeln konnte. Nicht bei ihm. Nicht noch einmal. Robin war genau wie er. Und genau deswegen schaffte er es nicht sie umzubringen. Weil jedes ihrer Worte sein Herz erwärmte, weil sie selbst jetzt an der Schwelle ihres Todes an ihrer Liebe für ihn fest hielt. Wie konnte er sie töten, wenn sie den Tod doch mit offenen Armen empfing? Wie konnte er an ihren Worten zweifeln, wenn sein Herz ihr doch bei jedem einzelnen vor die Füße sprang. Wie konnte er sie töten, wenn er doch wusste, dass er die Wurzel allen Übels war? Dass er derjenige war, der nicht loslassen konnte. Der zu feige war zu sterben, der zu feige war zu akzeptieren, was geschehen war. Der sich immer noch krankhaft daran fest hielt, dass sie ihn liebte und dabei alles schlechte ausblendete. Es war ihm egal, ob sie ihn verraten hatte. Es war ihm egal, dass Pluton nicht mehr existierte. Es war ihm egal, ob sie gelogen hatte. Solange sie ihn liebte. Solange sie ihn wirklich so sehr liebte, wie er sie liebte. Solange es eine einzige Frau auf der Welt gab, die ihn nicht verstieß, die ihn nicht hasste und die ihn so nahm, wie er war. Mit all den Fehlern und dem Blut an seinen Händen. Mit all dem Zorn und dem Hass und der Angst in ihm. Solange sie ihn liebte, konnte er das ertragen. Es machte ihm schreckliche Angst so zu denken. Am liebsten hätte er sich selbst verletzt, um bei Verstand zu bleiben, doch diese Gedanken waren alles, was ihn noch erfüllte. Alles, was er wollte. Sich von Herzen wünschte. Geliebt zu werden. Mit all dem Schmerz, der damit kam. Mit all den Lügen, die dazu gehörten. Mit all den Schwierigkeiten. Es machte ihn krank. Es widerte ihn an. So wollte er nicht sein. Aber so war er. Liebeskrank, voller Angst verlassen zu werden, alleine zu sein. Voller Zweifel und Hunger nach Nähe. Liebe zu dieser Frau. Genau so war er. Und er konnte rein gar nichts dagegen tun. Die Hand krallte sich fester in seine Haare, rissen an ihnen, um sich selbst zu geißeln, doch es änderte nichts an seinen Gefühlen, an dem einzigen Wunsch, der ihn erfüllte. Sie hörte ihn noch immer so gespenstisch keuchen, als bekäme er keine Luft mehr. Dann ein Schlucken, das Geräusch wurde leiser. Seine Stimme erklang, doch sie vernahm sie im ersten Moment gar nicht. Ihr fehlte es einfach an allem, an Kraft, an Nachdruck, an Wut oder Zorn. Es war nur mehr ein verzweifeltes Flüstern. »...Ich möchte frei sein, Robin.« Rasselnd stieß sein Atem nach draußen, er schluckte hart und presste die Augen zusammen. »...Wirklich frei. ...Von allem. ...Meinst du... meinst du...« Ein letztes Mal holte er tief Luft und seine Stimme ebnete sich ein wenig, gewann an Stärke. »...Meinst du das schafft man mit den antiken Waffen?« Mit aller Macht setzte sie sich auf, auch wenn ihr Körper etwas gänzlich Anderes wollte. Sie wäre am liebsten für immer einfach nur liegen geblieben. Als würde sie auf einem Karussell fahren, dass sie nicht mehr von seinen tödlichen Umdrehungen entlassen wollte, schlug ihr Herz ihr anklagend entgegen. Egal was sie auch sagte, es fügte ihm Schmerz zu. Dennoch konnte sie ihm nur noch die Wahrheit sagen, konnte ihm nur das sagen, was wirklich in ihrem Kopf war. »Nein.« »...Wie kann man sie dann erreichen?« Sie zwang sich ihm zu antworten, immer weiter zu sprechen, bis ihre Stimme sie endgültig im Stich ließ. »Ich weiß es nicht. Ich glaube... ich glaube eine vollkommene Freiheit gibt es nicht. Aber...« Sie schluckte ihre Angst herunter, wieder und wieder, hoffnungslos dem Abgrund ins Gesicht starrend. »Wenn ich nur so frei sein kann, dass mich jemand so nimmt wie ich bin, mich akzeptiert...Vielleicht ist das Freiheit, die man wirklich erreichen kann. ...Bei dir habe ich mich frei gefühlt.« Setzte sie unter großer Anstrengung hinzu. »Für einen kleinen Moment war mir alles andere nicht mehr wichtig. Für einen Augenblick war mir die Regierung egal, war es mir egal, wie viele Menschen mir nach dem Tod trachten. Nur... einen winzigen Moment... Was würdest du mit dieser Freiheit machen? Was würdest du wollen, wenn du sie in Händen hieltest?« Er schwieg, denn er wusste keine Antwort darauf. Nicht mehr. Sie konnte ihren Körper kaum bewegen. Schwerfällig ballte sie die Fäuste im Sand, spürte sie die Wärme, die raue Fassade und fühlte sich sofort an ihn erinnert. »Nur genug Freiheit, um glücklich zu sein. Mehr wollte ich nie.« »...Willst du damit sagen... wir sind bereits frei?« »...Ich war es zumindest.« kam es leiser, denn es tat weh das auszusprechen. Ganz langsam schwang sein Kopf vor und zurück. Er wirkte wie in Trance, doch in seinem Innersten ratterte es. Es war schwer die wirkliche Reichweite ihrer Worte zu verstehen. Freiheit. Freiheit, das war alles wonach sich die Menschen sehnten. Es gab hunderte Wege dorthin und er hatte sich für Pluton entschieden. Nur um es nicht zu finden. Hatte Robin Recht? Waren sie bereits frei gewesen? Von Anfang an? War es nicht genug, wenn sie zusammen ihren Träumen nachjagen konnten? War es nicht genug, wenn sie zusammen lachen, zusammen kämpfen konnten? War das bereits Freiheit? Jemand flüsterte ihm zu, eine sanfte Stimme. Ja, das ist Freiheit. Das ist alles, was du je wolltest, Crocodile. Du warst zu blind um zu sehen, dass es die ganze Zeit vor deinen Füßen lag. Eine eisige Gänsehaut durchschüttelte ihn. Ja, Robin hatte Recht. Sie hatte Recht, wie so oft. Er brauchte Pluton nicht. Er brauchte keine Waffen der Welt um glücklich zu sein. Er brauchte nur die See und seine Freunde. Das war die einzige Freiheit, die er wollte. Sein Leben so leben, wie er es für richtig hielt. Sein Mund öffnete sich, klappte wieder zu, nur um sich erneut zu öffnen. Plötzlich war es in seinem Inneren ganz klar. Das Chaos war in den Hintergrund gerückt, hatte sich gelegt und ließ nur einen Wunsch zurück. Er wusste, was er wollte. Er war sich so sicher, wie noch nie in seinem ganzen Leben. »...Robin...« Seine Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Sie blinzelte unter den verhassten Tränen und blickte auf seinen Rücken. Sie wusste nicht, was jetzt kam. Sie war sich nicht mal mehr sicher, ob sie es noch hören wollte. »...Was hältst du davon... die Regierung noch etwas hinters Licht zu führen?« Sie verstand kein einziges Wort. Ratlos, stumm stierte sie ihm ins Kreuz. »Ich meine...« Er traute sich nicht sie anzusehen, er schaffte es wirklich nicht. Nur seine Stimme war ruhig, fest und ehrlich, wenn auch noch ein wenig verzerrt. »...möchtest du bei mir bleiben.... bei uns allen?« Worte drangen an ihr Ohr, aber die Bedeutung erschloss sich ihr nicht, wollte sich ihr nicht erschließen. Am Ende mit sich, mit allem beugte sie sich nach vorn, versuchte ihren schwachen Körper mit beiden Armen abzustützen. Sie zitterte, als bebte die Erde unter ihr. »Bitte...Ich weiß, ich habe eine Strafe verdient, aber bitte...« Sie flehte ihn an. Sie ertrug die Hoffnung nicht, die sich unbemerkt in ihr Herz schlich und sie vollkommen erdrückte, ihr die Luft abschnürte. »Bitte, gib mir keine Hoffnung.« Ihre rechte Hand krallte sich über ihrem Herzen in den Stoff. »Keine Hoffnung, wenn dort keine ist.« Nun drehte sich sein Kopf doch zu ihr, nur ein Stück, mehr schaffte er nicht. Aus dem Augenwinkel musterte er sie, der Blick verriet nichts mehr. »...Ich meine es ernst, Robin.« Unaufhaltsam benetzten ihre Tränen den gelben Sand unter ihrem Körper, tauchten ihn in ein helles Braun. Schmerz glitt ihr aus dem Hals, vermischte sich mit ihren demütigenden Versuchen Sauerstoff in ihren Kopf zu pumpen. »Ich... Ich will nur dich...« brachte sie gequält über die Lippen. »...Dann bleib bei mir. ...Und mach so etwas nie wieder.« Das war unmöglich. Das war einfach unmöglich! Gleich platzte sie, gleich platzte einfach alles, was sie mit größter Anstrengung zurückhielt. Das konnte einfach nicht die Wahrheit sein. Sie war verrückt geworden, sie hörte nur noch, was sie hören wollte, was sie hören musste, um weiter zu leben. »Robin...« Er drehte sich noch ein wenig zu ihr um, blickte ihr sehnsüchtig entgegen. Ihr Körper begann langsam zu hyperventilieren. Instinktiv kniff sie ihre Lider aufeinander. Nein, sie schuldete es ihm, ihn anzusehen. Wenigstens das. Das Zerren in den Gliedern, in ihren Venen ignorierend suchte sie nach seinem Blick, suchte sie nach der Wahrheit in seinen Worten. Die Wahrheit oder das Ende des Albtraums. Das hektische Erwachen nach den schlimmsten Stunden ihres Lebens. Er wirkte selbst unsicher, drehte sich nun doch aber gänzlich zu ihr um. In seinen Augen lag alles brach. Als könnte sie den Schrei nach ihr hören, die Sehnsucht nach ihr spüren, all seine Angst und Verzweiflung. Nur ein Stück kam er auf sie zu, doch den letzten Schritt konnte er nicht gehen. Seine Augen huschten nervös über ihr Gesicht und sie bemerkte, dass er den Atem angehalten hatte. In diesem Moment hielt ihre Zeit an. Ihre Umgebung verschwamm völlig in ihren Gedanken. Das war keine Realität mehr. Real war nur dieser Mann. Sein Schmerz, seine Sehnsucht kollidierte mit ihrer eigenen. Wie in Zeitlupe zog sie die Hand von ihrem Herzen und suchte zögerlich nach ihm, suchte nach dem Ort, wo sie wirklich sein wollte. Ein kleiner elektrischer Schlag durchfuhr ihre Knochen, als sie seine Haut unter ihren Fingerkuppen spürte. Und auch Crocodile spürte es. Voller Wucht prallte die Erleichterung über ihre Nähe gegen ihn und brachte ihn aus dem Gleichgewicht, ließ ihn nach vorne taumeln, seine Arme nach ihr ausstrecken. Blind vor Sehnsucht packte er sie und riss sie an seine Brust, drückte ihren schwachen Körper an den eigenen und verging in dem schäumenden Meer aus Endorphinen, das ihn umspülte. Er ging völlig darin unter, ertrank in dem Geruch ihrer Haare. Es war egal, es war alles vollkommen egal. Solange er sie nur so halten durfte. Nicht einmal ein Zucken war die Antwort. Ihr Kopf war plötzlich wie leer gefegt. Ihr zittriger Körper wurde von einer Sekunde zur nächsten vollkommen ruhig. Und obwohl sie sich in einem kurzen Moment der Besinnung fragte, was geschehen war, war die Antwort nicht mehr wichtig. Ihre Hand legte sich vollends auf seine Wange, streichelte ihn vorsichtig. Sie erwachte nicht aus diesem Traum, es zog sie vielmehr immer tiefer in seinen Schlund. Und selbst das störte sie jetzt nicht mehr. Abwesend hörte sie eine leise, angeschlagene Stimme und begriff erst ganz zum Schluss, dass es ihre eigene war. »Crocodile...« Sie legte ihren Kopf zwischen seine Schulter und seinen Hals, drückte mit der nunmehr freien Hand gegen seinen Brustkorb und spürte wie jeder seiner Herzschläge, jeder Luftzug auf sie überging. Es war noch nicht vorbei? Sie traute sich nicht, sich weiter zu bewegen. Zu groß war die Angst, alles würde verschwimmen. Würde ihn von ihr fortreißen. Panisch klammerte sie sich in den Stoff. Sie wusste nicht, ob sie jemals wieder loslassen konnte. Und ganz ähnlich ging es ihm. Er wusste, sein Griff um sie war viel zu stark, viel zu grob, tat ihr weh, doch er konnte ihn nicht lockern. Jede Faser seines Körpers streckte sich ihr entgegen, riss sie an sich, als wolle er sie fressen. Für immer bei sich, in sich behalten. Dieses schrecklich schöne Kribbeln unter seiner Haut behalten und das warme Gefühl in seiner Brust. Seine Freiheit. Wirklich, er war blind gewesen. Blind dafür, dass sie das Einzige war, was er brauchte. Das hier alles war, was er brauchte. Er war an all dem Schuld. Er hatte es ihr schwer gemacht, er hatte sie in diese Sackgasse gedrängt, nur er allein. Es war seine eigene Schuld, dass es so weit gekommen war. Nicht ihr musste er verzeihen, sondern sich selbst. Er wusste nicht, ob er das konnte, aber für den Moment wollte er sich der Illusion hingeben. Ihr hingeben. Der Frau, die er liebte. Nico Robin. Und keine andere. Sein Griff wurde noch etwas fester. Fieberhaft fingerte er nach ihrem Haar und sie spürte ihn leicht zittern. Fühlte seine Nase an ihrer Stirn entlang fahren, durch ihr Haar streifen, ihr Ohr kitzeln. Sein Herz raste ihr entgegen, schrie sie an, um ihr zu sagen wie sehr es sie brauchte. Crocodile nahm es nur noch in Schemen wahr. Robins Anwesenheit vernebelte ihm alle Sinne und durchdrang jeden Knochen mit einer wohligen Wärme, dass er glaubte zu platzen. Ja, Freiheit. Sie war seine Freiheit. Robin war seine Freiheit. Zum ersten Mal hatte Robin das Gefühl, der Himmel hatte ihr verziehen. Sie war eigentlich kein gläubiger Mensch, aber wie sonst konnte man die Erleichterung, das Glück beschreiben? Es war, als hätte sich in ihr ein Tor geöffnet und all der Schrott, all die angestaute Angst fiel heraus, wurde heraus gestoßen. Sie durfte weiter leben. Sie würde weiter kämpfen, um diese Liebe kämpfen. Nichts und niemand war fähig dieses Glück zu beschreiben. Sie konnte es einfach nicht glauben. Das war einfach zu surreal. Sie in seinen Armen, seine Berührungen spürend, seinen Atem auf ihrer Haut, seine Wärme, die direkt in ihr Herz sickerte. Es war unbeschreiblich. Für einen Moment glaubte sie in Ohnmacht zu fallen, doch zumindest das blieb ihr erspart. Zumindest dieses Mal schien sie das Schicksal nicht zu hassen. Nur dieses eine Mal nicht. Keiner der beiden bemerkte, dass sie eine ganze Weile so dasaßen, eng umschlugen, einander wärmend, einander den Atem raubend. Sie hatten das Gefühl für die Zeit vollkommen vergessen. Es dauerte sehr lange, bis Crocodile wieder klar denken konnte, bis er die Bruchstücke in sich wieder geordnet hatte. Er hielt sie noch immer fest, drückte ihren Kopf an seine Schulter, doch nun blickte er in das Nichts vor sich, das sich erneut aufbaute. In seinem Inneren war noch mehr, viel mehr, das nun an die Oberfläche quoll. Worte, die gesagt werden mussten, weil sie ihn sonst zerfetzten. Seine Stimme war leise, ruhig, aber angeschlagen und kraftlos. »Du weißt... was passiert, wenn die Regierung herausfindet, dass du bei mir bist. ...Nicht wahr?« »...Sie werden uns jagen. « kam es tonlos. Nur ein schwaches Nicken, der Blick blieb hart, scheinbar teilnahmslos. »Ich werde meinen Titel als Shichibukai verlieren und bekomme ein gigantisches Kopfgeld. Die ganze Welt wird hinter uns her sein. ...Wir werden keine ruhige Minute mehr haben. Ständig auf der Flucht. Niemals sicher. Bis ans Ende unserer Tage.« Einen Moment zögerte er, dann drückte er sie etwas von sich und sah ihr tief in die Augen. Sie waren ehrlich und fest, aber Robin wusste, dass sie nicht mehr vor ihr zurückweichen würden. »...Möchtest du trotzdem bei mir bleiben?« Seltsam schwer fühlten sich ihre Lider nun, fast als wollte sie aufgeben. Ein fetter Kloß steckte in ihrem Hals, als sie begann zu sprechen. »Ich möchte eigentlich nur, dass du....« Beinahe versagte ihr die Stimme. »...dass du glücklich bist. Ich will nicht, dass du für mich etwas aufgeben musst, aber...« Ihre Augen öffneten sich vollständig, etwas unsicher. »...aber ich kann nichts Anderes tun. Ich möchte nirgendwo anders sein.« Sie fühlte sich so egoistisch. Er hatte so lange für den Titel gekämpft. Sie brachte ihm nur wieder Verfolgung. Das war wirklich alles, was sie konnte, was? Den Menschen, die sie mochte Unglück bringen... »...« Sein Blick trieb davon, bohrte sich in den Sand unter ihnen. »...Ich brauche ihn nicht. ...Ich brauche den Titel nicht.« Er hatte sich sowieso nur hinter ihm versteckt. Das war alles, wofür er gut gewesen war. Nur das. »...Ich brauche ihn nicht, wenn du wirklich bei mir bleiben willst. Du bist dein ganzes Leben lang davon gerannt, hattest kein Zuhause. Genau wie ich. ...Also... lass uns gemeinsam weiter rennen. Der Welt entgegen treten.« Zögerlich wandte er sich wieder zu ihr und blickte sie an. Seine Miene war ernst, noch angekratzt, ausgelaugt, aber voller Hoffnung. »Hast du noch Ausdauer? Um mit mir davon zu rennen? Um dem Schicksal noch ein wenig zu trotzen? Zusammen?« »...Zeig mir einfach die Richtung.« Sie lehnte ihre Stirn gegen seine. »Nach Jamala?« Leicht, kaum fassbar verzog sich ihr Mund. Man konnte fast meinen, sie lächelte. »Klingt interessant.« Jamala, die nicht existierende fünfte Himmelsrichtung. Ja, das war wohl die einzig richtige Richtung. Auch er schmunzelte, kaum merklich. Seine Augen funkelten richtig, als seine Finger ihre Wange hielten. Es war kaum zu ertragen. Lächelnd, gleichzeitig weinend, schloss sie ihre Augen wieder und ergoss sich förmlich in der zärtlichen Berührung. Vorsichtig drückte er sie wieder an sich und schmiegte den Kopf neben den ihren. Es brauchte keiner weiteren Worte mehr. Er wusste alles, was er wissen musste. Zusammen würden sie es schaffen. Ihr Ziel zu erreichen. Glücklich zu werden und frei zu sein. Robin und er. Mehr brauchte es dazu nicht. Und wenn sie sich der gesamten Welt entgegen stellten. Er war bereit dazu. Er würde bis zum Ende kämpfen. Um nie wieder zu verlieren, was er endlich gefunden hatte. Sein Utopia. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)