Pepperin von Pfeffersosse (Adventskalender Türchen 12) ================================================================================ Prolog: Backzeit ---------------- „Und Sie sind sich ganz sicher, dass dies vonnöten ist?“, fragte der eine Mann ziemlich unsicher und blickte zu einer Tür. „Ja. Ich denke, dass es die einzige Möglichkeit ist Ihre Tochter langzeitig zu retten. Auch wenn Sie wissen, dass es schwer sein wird, so werden Sie doch sicherlich da zustimmen oder?“, sagte der andere Mann und lächelte den ersten freundlich an. Doch der andere war ziemlich verunsichert. Er wollte seine Tochter retten, das stimmte, aber wollte er wirklich diesen Preis dafür zahlen? Er nickte dann schließlich doch langsam und blickte wieder zu der Tür, hinter der sie saß: „Auch wenn es mir widerstrebt dem zustimmen zu müssen … Ich will meine Tochter nicht auch noch verlieren. Bitte helfen Sie ihr. Ich will nicht auch noch meine kleine Nina zu Grabe tragen müssen.“ Der Arzt, das schien der zweite zumindest zu sein, nickte und lächelte wieder freundlich: „Auch wenn ich bei solchen Sachen nicht immer Wunder wirken kann, so werde ich ihr Leben verlängern. Machen Sie sich da mal keine Sorgen.“   Das Mädchen saß im Wohnzimmer und hatte Teile des Gespräches mitbekommen. Es mochte den Mann nicht, der mit seinem Vater redete. Er roch immer sehr eigenartig und hatte auch sonst etwas sehr Gruseliges an sich. Er lächelte immer, aber es mochte nicht, wie er dies tat. Es blickte vor und um sich herum und wünschte sich nichts Sehnlicheres als seinen Vater an seiner Seite zu haben. Dabei hatte er ihm heute versprochen, dass sie beide den ganzen Tag zusammen verbringen würden. Doch nun saß es alleine hier im Wohnzimmer und wartete schon eine lange Zeit darauf, dass er wieder hineinkam. Es hätte zwar gerne gewusst, um was das Gespräch genau ging, aber es würde es eh nicht verstehen. Sein Vater hatte ihm aber vor einiger Zeit erklärt, dass es verflucht sei. Deshalb konnte es nicht wie die anderen Kinder nach draußen gehen und spielen. Seine Zauberkräfte könnte es deshalb auch nicht benutzen, denn die seien mit schuld an ihren Schmerzen.   Nina wusste zwar, dass sie nicht zaubern durfte, aber sie versuchte es dennoch immer wieder heimlich. Doch ihr Vater fand immer heraus, dass sie das Verbot gebrochen hatte, denn dann hatte sie Schmerzen und musste ganz viel husten. Deshalb versuchte sie nur noch kleine Sachen zu zaubern. Wieder blickte sie umher und ihr Blick blieb an den Pfefferkuchenplatten hängen. Ehe der böse Mann kam, hatte ihr Vater mit ihr an einer großen Pfefferkuchenstadt gebastelt. Sie hatten schon dutzende kleine Häuser zusammengebaut, doch die Garnituren fehlten noch. Und das Wichtigste, in ihren Augen, auch: nämlich die Bewohner der kleinen Stadt. Vorsichtig griff sie nach dem Zuckerguss und fing an kleine Punkte auf die Häuser zu setzen, als sie die Tür zugehen hörte. Strahlend blickte sie auf und hätte fast ein Haus bei aller Freude umgerissen. "Papa!", gut gelaunt sah Nina auf ihn und wartete, bis er sich wieder zu ihr gesetzt hatte. Doch irgendetwas schien mit ihrem Vater nicht zu stimmen, denn er hatte sie zügig in den Arm genommen und fest an sich gedrückt: "Morgen kommt Doktor Mahnstein noch einmal, dann wird es dir wieder gut gehen." Die Stimme ihres Vaters war leise und sie zitterte leicht. "Papa?", fragend drückte sie sich enger an ihn und wartete darauf, dass er sie wieder losließ und wie vorhin mit ihr lachte. Deshalb änderte Nina die Situation kurzerhand, denn sie hatte ihrem Vater etwas Zuckerglasur auf die Nase gesetzt und fing an zu kichern. Ihr Vater war einige Zeit perplex, doch dann fing auch er an zu lachen. Dann setze er sich wieder hin und blickte auf die Stadt: "Ich frage mich ja immer noch, wer das nachher alles essen soll, aber wenn es dir so viel Spaß macht." Er lächelte seine Tochter liebevoll an und half ihr dann beim Garnieren.   "Fertig", sagte Ninas Vater erleichtert, doch sie schüttelte nur energisch den Kopf. "Nein, Papa, die Stadt hat doch noch gar keine Einwohner! Sollen wir denn eine leere Pfefferkuchenstadt hier stehen haben? Ohne Pfefferkuchenmänner und Pfefferkuchenfrauen?", betonte Nina weil sie es für wirklich wichtig empfand. Ihr Vater überlegte einige Zeit, ob sie das heute noch schaffen würden, gab dann aber schließlich nach. Er stand auf, gab seiner Tochter etwas Teig, den er vor ihren Augen hergezaubert hatte, doch sie machte keine Anstalten ihn zu benutzen. Sie plusterte nur ihre Wangen auf und schüttelte dann den Kopf. "Nein! Das war jetzt viel zu einfach. Ich will, dass Papa den Teig selber macht. Und dass Papa nachher auch ohne Magie weiter mithilft", sagte Nina bestimmt und ging gut gelaunt in die Küche. Lachend ließ ihr Vater den Teigklumpen wieder verschwinden und ging dann in die Küche, um seiner Tochter den Wunsch zu erfüllen. Er wuschelte ihr liebevoll durch die Haare und sagte dann: "Du bist mir aber Eine." Denn er konnte ihr einfach keinen Wunsch abschlagen.   Lachend standen beide in der Küche und verschwendeten keine Gedanken daran, wie sie alles nachher wieder sauber bekommen würden. Mehl hing in ihren Haaren, ihr Vater hatte welches im Gesicht und generell sah die Küche ziemlich durcheinander aus. Aber unter ihrem Dach wohnte auch noch eine Haushaltshilfe, die sicherlich nachher alles aufräumen würde. Nina verstand zwar nicht ganz genau, wieso ihr Vater dies nicht alleine machen wollte, aber es war ihr im Moment auch ziemlich egal. Der Teig war recht schnell fertig und Nina damit zufrieden. Sie hatte nur etwas Angst, dass die Pfefferkuchenmänner und -frauen nicht so werden würden, wie sie es sich erhofft hatte. Ihr Vater stand in der Zwischenzeit mit der Schüssel in der Hand da und deutete auf den Tisch. "Nun müssen wir den Teig noch ausrollen, dann benutzen wir", ein sanftes Surren war zu hören, "das hier und stechen damit die Pfefferkuchenmänner aus." Ihr Vater hatte eine Ausstechform hergezaubert, die in dem sanften Licht der Lampe glitzerte. Doch dieses Mal blieb Nina ihm nicht lange böse, deshalb nickte sie nur aufgeregt und sah zu, wie er den Teig ausrollte. "Wieso heißt es überhaupt Pfefferkuchen, Papa?", wollte sie dann nach einiger Zeit wissen. Ihr Vater blickte sie etwas ratlos an und versuchte sich scheinbar an etwas zu erinnern. Dann fing er vorsichtig an zu erklären: "Das ist natürlich eine sehr gute Frage Nina. Am Pfeffer liegt es eigentlich nicht, da wir in unseren Teig keinen gemacht haben hm? Dennoch hast du gesehen, dass wir viele Gewürze genommen haben oder? Die sind sehr wichtig, damit ein Pfefferkuchen auch ein Pfefferkuchen wird. Man könnte aber auch Lebkuchen sagen, denn es hängt davon ab, von wo man herkommt. Also kann man Pfeffer- oder Lebkuchen sagen. Aber findest du nicht auch, dass Pfefferkuchen süßer klingt? Fast so süß wie meine Tochter?" Lachend stürzte er sich auf Nina und fing an sie zu kitzeln. Auch wenn er dreckige Finger hatte, Kleidung konnte man waschen, aber die Liebe war nichts Käufliches. Und Vater und Tochter liebten sich so sehr, dass nichts sie entzweien konnte.   Dampfend nahm Ninas Vater das Blech aus dem Backofen und wirkte zufrieden. Die Pfefferkuchenmänner waren schön geworden, sie sahen alle gleich aus und rochen verführerisch. Doch dann erblickte er etwas, das ihm nicht gefiel. Einer der Pfefferkuchenmänner fiel aus der Reihe. Er nahm ihn deshalb vom Backblech und legte ihn zur Seite. Nina sah dies und fragte sofort nach: "Wieso hast du das getan Papa?" Sie deutete vorsichtig auf den aussortierten Pfefferkuchenmann und wirkte etwas traurig. Er war doch genau wie die anderen, auch wenn seine Arme ungleich geworden und die Beine nicht so aufgegangen waren, wie bei den anderen. Er sah aus und roch wie die anderen und doch hatte ihr Vater ihn weggenommen. Er schien auch lange zu zögern, ehe er antwortete: "Ich habe das getan, damit ... du ihn nachher ganz besonders schön dekorieren darfst." Er lächelte leicht und seufzte dann. Nina glaubte ihm zwar nicht sofort, aber sie nickte dann zögerlich und blickte auf den einsamen, aussortierten Pfefferkuchenmann und spürte ein Stechen in ihrer Brust.  Kapitel 1: Willkommen in Pepperin --------------------------------- Es dauerte einige Zeit bis Nina und ihr Vater alle Pfefferkuchenmänner dekoriert und in der kleinen Pfefferkuchenstadt platziert hatten. Zufrieden betrachteten Vater und Tochter das Ergebnis und strichen sich einige Krümel von den Fingern. „Willst du der Stadt nun einen Namen geben?“, fragte plötzlich ihr Vater und Nina wirkte etwas hilflos. Sie schaute einige Zeit auf die fertige Stadt und schüttelte dann den Kopf: „Ich werde noch nachdenken.“ Ihr Blick ging dann suchend umher und sie fand dann, was sie gesucht hatte. Ihr Vater wirkte zwar nicht ganz zufrieden, aber der kleine, unförmige Pfefferkuchenmann hätte seiner Aussage nach eher eine spezielle Behandlung gebraucht. Dass er damit eigentlich den Mülleimer gemeint hatte, wusste seine Tochter nicht. Und sie würde es nie erfahren. Seufzend erhob sich deshalb ihr Vater und wuschelte ihr kurz durch die Haare, gewaschen musste sie eh nachher werden, daher war diese Geste nicht weiter schlimm. Dann wischte er die restlichen Krümel zusammen und ging aus dem Wohnzimmer. Er wollte seiner Tochter genügend Zeit beim Dekorieren des Pfefferkuchenmannes lassen. Nina summte ein kleines Lied, als sie dem Pfefferkuchenmann einen kleinen Kranz aus Zuckerglasur gab, der die Haare darstellen sollte. Zwei Tupfen wurden die Augen und der Mund aus einer großen, nach oben gekräuselten, Kurve geformt. Seine Kleidung bestand später aus einigen Zuckersternen, die sie auf die Zuckerglasur geklebt hatte. Danach ließ sie ihn erst einmal zum Trocknen liegen und ging schnell zu ihrem Vater, um ihm zu sagen, dass sie mit dem letzten Pfefferkuchenmann fertig sei. Dann war es Zeit, dass sie sich waschen ging und freudig lief sie ins Badezimmer.   In der fertig zusammengesetzten Pfefferkuchenstadt geschah in der Zwischenzeit etwas sehr Eigenartiges und Fantastisches zugleich. Ein sanftes Glitzern verriet, dass etwas Magisches passierte und die ungelenken Bewegungen der kleinen Pfefferkuchenmänner ließen darauf schließen, dass Jemand Magie hat wirken lassen. Doch so schnell diese Erkenntnis auch kam, so schnell war die kleine Stadt wieder stumm, denn es sollte noch Keiner sehen, dass es sich um ein magisches Dorf handelte.   Nina kam nach dem Waschen wieder in das Wohnzimmer und blickte gut gelaunt auf die Stadt, die sie mit ihrem Vater zusammen gebaut hatte. Vorsichtig, um nichts kaputt zu machen, hob sie den etwas unförmigen Pfefferkuchenmann hoch und nahm ihn mit auf ihr Zimmer. Sie setzte sich auf ihr Bett und betrachtete den kleinen Kuchenmann und seufzte dann leicht. Sie fand es traurig, dass ihr Vater sich vorhin so schlecht um ihn gekümmert hatte. Dabei war er doch in gewisser Weise wie sie. Sie war sehr oft krank und durfte deshalb nicht mit den anderen Kindern spielen. Ihre letzte Freundin hatte sie nun auch noch verloren, weshalb sie sich mit vielen Plüschtieren angefreundet und eine Schar um sich versammelt hatte. Sie blickte sich vorsichtig um, weil sie Angst hatte, dass ihr Vater bald in der Tür stehen und bemerken würde, dass sie das Verbot gebrochen hatte. Denn sie wollte dem kleinen Kuchenmann etwas Leben einhauchen. Sie legte ihn deshalb vorsichtig vor sich aufs Bett und schloss ihre Augen. Auch wenn es unwahrscheinlich war, dass überhaupt etwas geschehen würde. "Sei beweglich, sei redselig. Kleiner Mann, großes Herz. Öffne die Augen und lass mich staunen", murmelte sie vor sich hin. Ihr Vater hatte ihr erzählt, dass man immer ein paar Angaben geben musste, sonst funktionierten die Zaubereien nicht. Reime mussten es keine sein, aber es würde sich einfach besser anhören. Ihr Vater hatte ihr nämlich einmal gezeigt, wie man wunderschöne Sachen zaubern kann, indem man genau  solche schönen Reime formte. Doch es geschah überhaupt nichts. Der Fluch, der auf ihr lastete, war zu schwerwiegend, als dass ihre kleinsten Forderungen überhaupt Gehör geschenkt wurde. So blieb der kleine Pfefferkuchenmann leblos vor ihr liegen und vereinzelte Tränen suchten sich den Weg aus ihre Augen. Sie mochte ihren schwachen Körper nicht. Auch wenn ihr Vater ihr nicht wirklich sagen wollte, was es genau mit dem Fluch auf sich hatte – immerhin war sie schon 9 und kein kleines Kind mehr, dem man Sachen verheimlichen musste! -, so konnte sie ihn auch verstehen, dass er ihr keine Angst machen wollte. Auch wenn sie eh nichts dagegen hätte tun können. Schluchzend beugte sie sich über den Pfefferkuchenmann und schüttelte dann leicht den Kopf. Sie war doch ein großes Mädchen, wieso benahm sie sich denn gerade wie ein kleines, dem man das Lieblingsspielzeug weggenommen hatte? Vorsichtig legte sie den kleinen Pfefferkuchenmann auf ihren Nachttisch. Ihr Blick lag verschleiert auf den Zuckerglasur-Augen und sie schniefte einige Male, bis ihre Augen schwer wurden und sie langsam einschlief.   „...e? Kleine? Hörst du mich?“, fragte eine Stimme in die Stille hinein und das junge Mädchen öffnete schlaftrunken ihre Augen. Leicht schmatzend blickte sie sich blind in der Dunkelheit um und roch plötzlich viele Gewürze und Zuckerglasur. Sie fand dies recht seltsam, weil sie ihren Pfefferkuchenmann doch auf den Nachttisch gelegt hatte und der Geruch dann nicht so stark sein dürfte. Doch irgendetwas anderes war auch seltsam, denn das, was sie berührte, fühlte sich sehr sanft an. Fast so, als würde ein Teddybär ihr Gesicht berühren. Vorsichtig griff sie nach dem Schalter für ihre Nachttischlampe und presste geblendet die Augen zu. Erst nach und nach hörten die tanzenden Punkte auf und sie öffnete sie wieder. Vor ihr saß der Pfefferkuchenmann vornübergebeugt und schien sie förmlich anzustrahlen. Vor Schreck hätte sie fast geschrien, doch sie legte sich schnell selber die Hände vor den Mund. Vorsichtig krabbelte der kleine Mann von ihr runter und humpelte auf die glatte Seite des Bettbezugs. Stolz stellte er sich hin und schien förmlich anzufangen zu glitzern, als er den kleineren Arm auf die Brust legte und verkündete: „Mein Name ist Frederick von Pfefferli. Ich bin ein Prinz aus der Pfefferkuchenstadt Pepperin und hier um der Kleinen, die genau neben mir liegt, unsere Welt zu zeigen.“ Eine längere Pause entstand, in der Nina nicht genau wusste, was sie tun sollte. Sie klatschte deshalb anerkennend in die Hände und lächelte den Pfefferkuchenmann freundlich an: „Es freut mich sehr. Mein Name ist Nina Burgtal und ich bin 9 Jahre alt.“ Der Pfefferkuchenmann verbeugte sich dann leicht und schaute Nina dann groß an. „Bis du bereit ein Abenteuer mit mir zu bestreiten, Kleine? Pepperin ist in Gefahr, weil sich die fiesen Mächte einer anderen Stadt an unserer Infrastruktur zu schaffen machen.“ Frederick blickte sie an und deutete auf die Tür. „Aber … ich habe die Stadt doch erst vor einigen Stunden mit Papa gebaut, wie kann denn da-“, fing Nina an, doch Frederick unterbrach sie: „Ich kann es dir jetzt noch nicht erklären, Kleine, aber wir brauchen unbedingt deine Hilfe. Du bist die Einzige, die wir darum bitten können.“ Nina wusste nicht genau, ob sie das Ganze nur träumte oder ob sie wirklich wach war. Ein sprechender Pfefferkuchenmann war nichts sehr außergewöhnliches, da sie schon andere Sachen gesehen hatte, aber dennoch wirkte es ziemlich speziell. Sie wusste auch nicht ganz genau, ob sie dem anderen trauen konnte. Dennoch, weil sie es eher als einen Traum ansah, nickte sie und sagte bestimmt: „Ich werde dir helfen Frederick!“ Sie hatte die Faust geballt und blickte ehrgeizig in die Zuckerglasur-Augen des lebendigen Pfefferkuchenmannes. Was hatte sie schon zu verlieren? „Ich danke dir, Kleine“, sagte Frederick und kletterte ungelenk auf ihre Schulter. Dann rutschte er in ihre Kapuze und machte es sich doch bequem. Es hatte nämlich angefangen kalt zu werden, deshalb trug Nina nun in ihrem Zimmer einen Pyjama mit Kätzchen-Kapuze und eine lockere Hose. Vorsichtig zog sie an den Kordeln, um die Kapuze etwas enger zu verschließen und stand dann vorsichtig auf. Sie schlüpfte in ihre kuschelig weichen Pantoffeln, zog ihren Morgenmantel über und drehte ihren Kopf zu dem Pfefferkuchenmann. „Was soll ich jetzt tun?“, fragte sie vorsichtig nach und wartete auf eine Antwort. Frederick lachte und deutete zur Tür: „Du gehst in das Zimmer mit der Pfefferkuchenstadt. Alles andere erkläre ich dir, sobald wir dort sind, Kleine.“ Bestimmt nickte Nina und ging schnellen Schrittes in das Wohnzimmer. Ihr Blick weitete sich, als sie das rege Treiben in der Stadt wahrnahm. Sie war sich nun sicher, dass sie träumte, denn all dies schien einfach zu schön, um wahr zu sein. „Nun berühre einfach ein Stück des Pfefferkuchens. Der Rest geschieht von alleine“, erklärte Frederick und tat es ihr gleich. Ein grelles Licht blendete Nina, nachdem sie einen Teil der Pfefferkuchenstadt berührt hatte und verlor benommen das Gleichgewicht. Doch ihr Sturz wurde von etwas anderem aufgehalten, als der harte Marmorboden des Wohnzimmers. Vorsichtig öffnete sie wieder ihre Augen, obwohl sie nicht einmal bemerkt hatte, dass sie sie geschlossen hatte und blickte erstaunt um sich. Alles wirkte so groß und doch so klein. Ein eigenartiges Gefühl breitete sich in ihr aus, als sie erkannte, dass sie nicht mehr außerhalb der Pfefferkuchenstadt war, sondern mitten drin lag. Die hoch aufragenden Möbel des Wohnzimmers wirkten so weit entfernt und auch sonst fühlte sie sich kleiner, als sie eh schon war. Unsicher tastete sie sich ab und bemerkte, dass alles noch beim Alten war. Frederick beugte sich zu ihr und deutete mit einer großen Handbewegung auf das rege Treiben in ihrer selbst gebauten Pfefferkuchenstadt: „Willkommen in Pepperin Kleine.“   Ehrfürchtig und freudestrahlend zugleich ging Nina mit Frederick als Begleitung durch die Stadt. Sie musste etwas langsamer mit ihm gehen, weil seine Beine ihn nicht so tragen wollten, wie er es sich wünschte. Aber sie hörte kein Wort des Klagens von ihm und so sagte oder fragte sie auch nichts dergleichen. Ihr fiel nur auf, dass die anderen Pfefferkuchenmänner und -frauen sich hinter vorgehaltener Hand unterhielten. Sie wollte daraufhin erst etwas sagen, ließ es dann doch bleiben, weil sie merkte, dass Frederick etwas niedergeschlagen wirkte. „Es ist wirklich schön hier. Ich wusste gar nicht, dass die Stadt lebendig werden könnte“, sagte Nina vorsichtig, um ein wenig das Gespräch mit Frederick anzufangen. Lachend blieb er kurz stehen und deutete auf das größte Haus, das in der Umgebung stand: „Es freut mich, dass es dir hier gefällt. Das hier ist meine Unterkunft. Komm doch mit hinein Kleine.“ Er öffnete eine unscheinbare Tür aus Zuckerglasur und wartete darauf, dass Nina auch hineinging. Erstaunt bemerkte sie, dass es im Inneren mitnichten dunkel, sondern hell beleuchtet und sogar eingerichtet war. Dabei hatte sie hohle Häuser mit ihrem Vater gebaut. Unsicher blieb sie mitten im Raum stehen und wartete darauf, dass Frederick etwas sagen würde. Dieser humpelte zu einem Stuhl und setzte sich erst einmal darauf, strich sich dann über die Stirn und blickte dann etwas scheu zu Boden: „Ich weiß nicht ganz genau, wo ich anfangen soll. Lass dir aber eines sagen, Kleine, das alles konnte nur durch dein reines Herz geschehen. Ohne diese Macht würde es Pepperin und die Einwohner so, wie du sie gerade gesehen hast, nicht geben.“ Er redete langsam, weil er scheinbar nach Worten suchen musste. Nina nickte vorsichtig, weil sie etwas unsicher war, ob sie diese Sache mit dem ‚reinen Herzen‘ überhaupt verstehen würde. Sie setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und schaute zu Frederick hoch. Er wedelte plötzlich kurz mit der Hand und perplex bemerkte Nina, dass sich eine Erhebung unter ihrem Hintern bildete. Sie saß von einem Moment auf den anderen weicher und fiel deswegen fast vom Pfefferkuchenkissen, als sie bemerkte, dass er ihr eine Sitzmöglichkeit gezaubert hatte. Nina wusste nicht ganz genau, was sie sagen oder tun sollte, deshalb nuschelte sie ein leises ‚Danke‘, weil sie es doch sehr freundlich von Frederick fand, dass er ihr etwas zum Sitzen gezaubert hatte. Dass ein Pfefferkuchenmann überhaupt zu so etwas in der Lage war, ignorierte sie einfach, weil sie von der ganzen Umwelt fasziniert war. Wohin ihr Auge auch reichte, überall gab es Pfefferkuchengegenstände. Es gab eine Art Küche, ein kleines Bett und einen Schrank neben den Sitzmöglichkeiten und einem kleinen Tisch, der davor stand. Nina war sich sicher, dass sie nichts dergleichen in ihre Stadt reingestellt hatte, aber es störte sie auch nicht. „Nun, ich denke ich fange noch einmal von vorne an, Kleine. Du bist hier, weil dein reines Herz uns erweckt hat und so die Macht des mächtigen Pfefferkuchens freigesetzt wurde. Sicherlich liegt es auch in der Magie, die in der Luft hier rumfliegt, aber das Kunststück uns zum Leben zu erwecken, hast du ganz alleine geschafft, Kleine“, erklärte Frederick und zeigte aufgeregt umher. „Das alles ist plötzlich aufgetaucht, als du vor dem Schlafengehen versuchst hast zu zaubern. Tief in dir drin“, Frederick stand auf und legte seine Pfefferkuchenhand auf Ninas Brust, „schlägt ein mächtiges, magisches Herz. Auch wenn es dir vielleicht nicht bewusst ist, dass du so besonders bist, so verstehen wir in Pepperin das ganz gut.“ Nina schaute etwas schüchtern auf die Hand, die immer noch auf ihrer Brust lag und schüttelte dann leicht den Kopf: „Ich verstehe nicht, was du meinst Frederick. Ich … ich habe doch nur vorhin mit Papa diese Stadt gebaut und du sagst Sachen, die du doch nicht wissen dürfest. Bist du etwa auch ein Zauberer?“ Das war ihre einzige Schlussfolgerung, weil Frederick so viel wusste. Immerhin stand die Pfefferkuchenstadt noch keinen Tag und der Pfefferkuchenmann sprach von Geschehnissen und Geheimnissen, die vor seiner Zeit passiert sein müssten. Frederick lachte auf und schüttelte dann seinerseits den Kopf: „Ich denke da habe ich wohl vergessen etwas zu erklären, Kleine. Pepperin ist eine Stadt, die immer dort auftaucht, wo ein Menschenkind unsere Hilfe benötigt. Du kannst dir also sicher sein, dass das alles wahr ist, was ich dir erzähle. Doch nun ist etwas Unvorhergesehenes passiert und wir können dir noch nicht helfen, da etwas Schreckliches passiert ist, seit die Stadt wieder vollendet hier steht.“ Frederick ließ sich wieder auf seiner Sitzmöglichkeit nieder und seufzte. „Aber womit soll ich denn helfen? Ich bin doch nur ein Kind, das mit ihrem Papa eine Pfefferkuchenstadt bauen wollte. Ich bin doch nichts Besonderes“, traurig senkte sie den Kopf, weil sie wusste, dass das nicht stimmte. Sie war sehr wohl etwas Besonderes, auch wenn es nicht schön war. Sie war verflucht worden und konnte deshalb nicht mit den anderen Kindern spielen. Sie erinnerte sich sogar noch an den Tag, als ihr Vater ihr das erste Mal verboten hatte zu zaubern, weil der Fluch pro Zauber stärker und sie immer schwächer wurde. Aber das stimmte nicht, denn auch wenn sie ab und zu mal krank wurde, so war sie doch ein normales Mädchen, wie ihre früheren Freundinnen. Doch keiner wollte mehr mit ihr spielen, weil sie Angst hatten, dass der Fluch auch auf sie übergehen würde. Dabei hatte ihr Vater ihr auch gesagt, dass dies nicht möglich sei, dein ein Fluch konnte immer nur auf eine einzige Person wirken. „Kleine, schau mich an“, forderte Frederick auf und stand etwas ungelenk von der Sitzmöglichkeit auf, „du bist etwas Besonderes. Auch wenn du es nicht sehen kannst, tief in deinem Inneren hast du die Möglichkeit viel mehr zu erreichen, als alle anderen Menschen in dieser Welt. Auch ich wollte lange nicht wahrhaben, dass ich etwas Besonderes bin und doch …. Ich gehöre nach Pepperin, wie du in diese magische Welt.“ Nina sah, dass Frederick etwas zitterte und stand dann auf. Sie nahm ihn vorsichtig in den Arm und strich ihm leicht über den Rücken: „Ich weiß, dass Papa etwas ganz Böses mit dir vorhatte, aber gerade weil du anders bist, bist du doch der Wichtigste von allen, Frederick.“ Ihre Stimme war leise und sie blieb einige Zeit so stehen, bis sich der Pfefferkuchenmann beruhigt hatte.  Kapitel 2: Aufgaben ------------------- Nina fühlte sich sehr fehl am Platz, als sie später mit Frederick durch die Stadt ging. Wieder fiel ihr auf, dass die Blicke, die auf sie beide fielen, nicht gerade freundlich waren. Einige hielten sogar ihre Hände vor das Gesicht oder tuschelten leise miteinander. Sie fand es traurig, dass Frederick sogar in seiner eigenen Welt nicht wirklich gern gesehen wurde. Aber er war doch genau wie die anderen. Schnell lief sie zu ihm und nahm vorsichtig seine Hand. Dann lächelte sie ihn gut gelaunt an und wartete, ob er ihr noch mehr erklären würde. Es hatte sich auch wieder ein Lächeln auf sein Gesicht gezaubert und das freute Nina umso mehr. „Normalerweise würde ich dich zu unserem Chef bringen, aber ich denke es wäre wohl besser, wenn ich dir zuerst zeige, was mit der Stadt passiert ist, seit du in seinem Zimmer warst. Wenn es dir zu viel wird, dann schließe einfach die Augen. Verstanden, Kleine?“, sagte Frederick streng und ging mit ihr noch ein Stück weiter. Sie hörte das Schluchzen vom Weiten, als sie weitergingen. Nina hatte Angst vor dem, was jetzt folgen würde, aber sie würde tapfer durchhalten. Immerhin war sie kein kleines Kind mehr, auch wenn sie noch keine Erwachsene war. Dennoch war sie alt genug, um mit schlimmen Dingen klar zu kommen. Doch der Anblick war schlimmer, als sie geahnt hatte. Vor ihr lagen Pfefferkuchenmänner, die angeknabbert worden waren, denen Stücke von den Armen oder Beinen fehlten, anderen fehlte sogar ein Teil des Kopfes. Sie blieb wie angewurzelt stehen und blickte nach oben. Eines der Häuser war sogar angeknabbert worden, abgebrochene Stücke lagen auf dem Weg und hatten die eine Hälfte der Stadt von der anderen getrennt. Sie schloss ihre Augen und drehte der Szene den Rücken zu. Schluchzend legte sie ihren Kopf in ihre Hände und fing an zu weinen. Frederick blieb dicht bei ihr und strich ihr sanft über den Rücken. Er sagte dauernd nur ‚ich weiß, Kleine, ich weiß‘ und schwieg sonst.   Nachdem sich Nina wieder einigermaßen beruhigt hatte, wischte sie über ihre Augen und blickte mit Kampfeslust auf Frederick: „Egal was ich tun muss, ich will helfen. Aber ich denke zuerst müssen wir die Verletzten in ein Haus bringen.“ Nina eilte zu einem angeknabberten Pfefferkuchenmann und erkundigte sich, wie es ihm ging. Er war nicht schwer verletzt und erklärte, dass sein Haus nicht weit weg von hier stehen würde. Die anderen könnten ruhig dorthin gebracht werden. Es dauerte eine Weile, bis alle versorgt und in dem Haus untergekommen waren, aber Nina war glücklich, dass es keine allzu großen Opfer gab. Frederick hatte in der ganzen Zeit nichts gesagt, nur ungefragt geholfen und die eine oder andere Sache herbeigezaubert. „Ich danke dir Kleine, dass du das für uns tust, aber dies ist eigentlich nicht deine Aufgabe gewesen. Aber ich kann wohl im Namen aller sagen, dass wir dir dankbar sind“, sagte Frederick und deutete dann auf die Tür. „Ich will dir dennoch gerne deine Aufgaben erklären, aber hier drinnen ist es etwas zu laut, deshalb lass uns doch nach draußen gehen.“ Frederick ging schon vor und wartete dann auf Nina, die auch schnell hinter ihm erschienen war. Es war sehr seltsam für sie. Auf der einen Seite fand sie es schon sehr eigenartig, dass sie in der Stadt war, aber auf der anderen Seite erschien es ihr wie die logischste Sache überhaupt. Denn auch, wenn sie in einer magischen Welt lebte, so konnte nicht alles erklärt werden. Das hatte ihr Vater ihr auch schon einmal versucht zu erklären. Dennoch verstand Nina nicht wirklich alles, was hier gerade vor sich ging. Denn sie wollte schon gerne helfen, doch sie hatte auch Angst, dass sie es vermasseln würde, weil sie ja nur ein Mädchen war. Eines inmitten von Pfefferkuchenmännern und -frauen. Es dauerte nicht lange, ehe sie Frederick wieder eingeholt hatte. Er fing dann sofort an ihr zu erklären, was sie tun sollte: „Deine Aufgabe besteht eigentlich nur darin, herauszufinden wer unsere Stadt so willkürlich zerstört hat. Wir können uns nämlich nur dann bewegen, wenn nur du alleine in der Umgebung bist. Doch wir dürfen vor keinem anderen Auge lebendig werden. Es war nun schon sehr riskant von dir, die Verletzten wegbringen zu lassen, weil der Zerstörer dies bemerken könnte. Obwohl nachher sicherlich wieder alles beim Alten sein wird.“ Frederick ging etwas ungelenk hin und her und seufzte dann: „Da wir, sobald ein anderer Mensch in der Umgebung ist, erstarren und zu unseren ursprünglichen Plätzen zurückgebracht werden, wirst du versuchen müssen, dich so gut es geht zu verstecken.“ Frederick machte eine kleine Pause und deutete dann nach oben. „Wie du sicherlich siehst, sind wir jeglicher Attacke schutzlos ausgeliefert. All die Male zuvor ist uns so etwas noch nie passiert, deshalb bin ich etwas unsicher, wie wir die Sache genau angehen sollten. Auf jeden Fall will ich nicht, dass du einsam wirst, sobald wir erstarrt sind, deshalb nimm bitte dieses kleine Herz“, erklärte Frederick und schien es sich mit Magie aus dem Leib zu reißen. Nina schrie fast auf, als sie dies sah, doch beruhigte sich wieder, als sie sah, dass es ihrem krümeligen Freund gut ging. Sie nahm das Herz vorsichtig in die Hand und band es sich um den Hals. Es sah aus, wie eines der Pfefferkuchenherzen, welche man an einem Weihnachtsmarktstand kaufen konnte. Nina lächelte Frederick freundlich an und fragte: „Wieso hast du mir das denn gegeben Frederick?“ Er schien etwas verlegen zu werden, deshalb dauerte es einige Zeit, ehe er antwortete: „Das ist ein Teil von mir. Wie du vielleicht weißt, lag ich in deinem Zimmer, deshalb werde ich, sobald ein Mensch dieses Zimmer betritt, wieder dorthin gebracht. Wenn die Luft wieder rein ist und der Mensch dann gegangen ist, kannst du einen Teil davon essen und ich bin wieder an deiner Seite.“ Plötzlich war ein Quietschen und Schlurfen zu hören und Frederick wirkte etwas panisch: „Oh nein. Es ist wieder so weit. Ich wünsch dir Glück und ich hoffe, du findest heraus wer der Zerstörer ist. Und noch eines Kleine, mein wirklicher Name lautet Pe-.“ Mit einem leisen Plopp verschwand er und ihre ganze Umgebung veränderte sich mit einem Schlag. Die Straße war plötzlich still und sogar die angeknabberten Pfefferkuchenmänner lagen wieder an ihrem Platz. Sie hatte gehofft, dass Frederick Recht behielt, doch sie lagen wieder da, wie sie sie vorhin vorgefunden hatte. Das Schlurfen wurde immer lauter und Nina wurde angst und bange. Sie wusste, dass sie nicht erwischt werden durfte. Als sie Zuflucht in einem der Häuser finden wollte, musste sie feststellen, dass die Eingänge nur mit Magie geöffnet werden konnten. Nun waren es nur bemalte Pfefferkuchenplatten, die schön dekoriert vor ihr standen und ihr keine Fluchtmöglichkeit bieten konnten. Schnell versteckte sie sich zwischen zwei Häuser und hoffte, dass der Zerstörer sie nicht bemerken würde. Einige Herzschläge lang passierte nichts, ehe sie ein dumpfes Poltern hörte. Sie versuchte einen Blick zu erhaschen und sah, wie ihr Vater sich auf seinem Arbeitssessel niedergelassen hatte. Er wirkte müde und strich sich sogleich auch über die Augen. Auch wenn alles so riesig auf sie wirkte, so war die Entfernung doch nicht all zu groß. Immerhin war sein Büro nicht weit von der Pfefferkuchenstadt entfernt. Nina hatte nur etwas Angst, dass ihr Vater sie dennoch bemerken könnte, deshalb blieb sie lieber in Deckung und lauschte einem monotonen Ton, der aus seinem Zimmer kam.   „Es freut mich, dass Sie mich heute noch kontaktieren, Herr Burgtal. Ich hätte nicht mit solch einer frühen Antwort gerechnet“, sagte eine bekannte Stimme. „Die Entscheidung ist mir auch sehr schwer gefallen, Doktor Mahnstein. Aber ich bin mir jetzt sicher, dass es passieren soll, nein, passieren muss“, sagte ihr Vater, „aber ich will mit Ihnen gerne über die Details sprechen. Heute Morgen musste ich Sie so schnell abwimmeln, dass Sie mir nicht wirklich genaueres sagen konnten, nur dass die Operation von Nöten sei.“ Ein leichtes Lachen war zu hören und Nina sah, dass ihr Vater per Videoübertragung mit Doktor Mahnstein sprach. Deswegen hatte sie sich wieder vorsichtig aus ihrem Versteck getraut und sah, dass die Augen des Doktors fast wild wirkten. Sie hatte ihn noch nie gemocht, doch nun machte er ihr nur noch mehr Angst. Er drückte seine rundliche Brille wieder nach oben und sein Lachen erstarb wieder. Nina hatte Angst vor dem was nun kommen würde, denn das Wort ‚Operation‘ war nicht gerade ein sehr positives. Und da sie wusste, dass es um sie ging, umso mehr. „Nun, ihre Tochter leidet an einer seltenen Krankheit, die nur alle paar Jahre diagnostiziert wird. Durch Ihre Erklärungen hat die Krankheit sich nicht sofort offenbart. Nun, ich kann ihnen sagen, dass es sogar Fälle gab, in denen die Betroffenen ein ganz normales Leben führen konnten, ohne, dass die Diagnose gemacht wurde. Dabei handelt es sich um das sogenannte Labrazium-Syndrom“, erklärte Doktor Mahnstein und hatte plötzlich ein Bild in der Hand, „Sie müssen wissen, dass unsere magische Kraft einerseits durch eine spezielle Drüse, nahe des Herzens, gesteuert wird, und dass der Großteil davon in diesem bestimmten Teil des Gehirns ausgeführt wird.“ „Davon habe ich schon einmal gehört, Doktor Mahnstein. Sie können mir also gerne schneller sagen, was genau passiert. Ich habe nicht ewig Zeit und vielleicht entscheide ich mich ja auch noch anders!“, sagte Ninas Vater streng und Doktor Mahnstein blieb einige Zeit ruhig. Nina verstand eigentlich überhaupt nicht, was da besprochen wurde. Alleine die Worte ‚Gehirn‘ und ‚Drüse‘ machten es für sie schwerer überhaupt ein genaues Bild davon zu bekommen. Denn, auch wenn sie diese Worte schon einmal gehört hatte, so konnte sie sich nicht vorstellen, wo sich diese Sachen überhaupt befanden. Sie klammerte sich ängstlich an das Pfefferkuchenherz und hoffte, dass ihr Doktor Mahnstein nicht noch unheimlicher werden würde. Doch sie wurde das Gefühl nicht los, dass es nur schlimmer werden würde. „Ich verstehe. Nun, in Ninas Fall scheint die Verbindung zwischen der Arslatus-Drüse und des Gehirns unterbrochen worden zu sein. Deshalb wird, nachdem sie versucht zu zaubern, die nötige Menge an Magie in ihren Körper geleitet, was dann zu Blutungen in den Lungen oder anderen Organen führen kann. Wenn dies langzeitig ohne ärztliche Aufsicht passiert, dann kann es zu einem resultierenden Tod führen“, erklärte Doktor Mahnstein nüchtern und wartete auf eine Reaktion. Schweigen hatte sich ausgebreitet und ihr Vater brauchte einige Zeit ehe er ein Wort sagen konnte: „Ich habe Nina gesagt, dass ein Fluch auf ihr lege, und dass sie deswegen nicht zaubern dürfe, weil er ihren Körper schwächen würde. Aber ich habe sie schon einige Male erwischt, wie sie dennoch versucht hatte mir etwas zu zaubern oder sich selbst. Ich … ich will nicht, dass sie stirbt. Alles, nur das nicht.“ Seine Stimme zitterte und ein leises Schluchzen war zu hören. „Nun, ich habe Ihnen meine Hilfe angeboten, deshalb werde ich dies auch gerne weiterhin tun. Doch, wie ich schon heute Morgen gesagt habe: ich kann keine Wunder vollbringen. Es kann ganz gut sein, dass durch die Operation ihre Tochter anders sein wird. Wenn sie damit leben können, dass mit diesem Eingriff etwas Wichtiges entfernt wird, dann kommen Sie doch sofort morgen zu mir“, sagte Doktor Mahnstein mit einem freundlichen Lächeln. Ninas Vater haderte etwas mit sich und fragte dann: „Was werden Sie tun?“ Dies schien wohl die richtige Frage zu sein, denn Doktor Mahnsteins Augen weiteten sich und er erklärte anhand der Zeichnung: „Nun, als erstes werde ich mir ein Bild über den Zustand ihrer Arslatus-Drüse machen und sie womöglich entfernen. Dann, um ganz sicher zu sein, werde ich mir ihr Gehirn anschauen und-.“ „Nein!“, schrie plötzlich Jemand von der anderen Seite und alle Blicke wanderten zu der Frauenstimme. Nina stellte erstaunt fest, dass es sich bei der Stimme um ihre Haushaltshilfe handelte. Natalia lebte seit dem Tod ihrer Mutter bei ihnen und kümmerte sich um viele Sachen. Sie war die einzige wirkliche Freundin, die Nina hatte und war immer freundlich zu ihr. Nun stand sie schluchzend da und zitterte am ganzen Körper: „Ich … ich wollte nicht lauschen, aber Ihre Stimme hat mich geweckt, deshalb habe ich nachgeschaut ob etwas ist. Ich will ja auch, dass es Nina gut geht, doch bitte, bitte tun sie ihr diese Operation nicht an. Ich habe schon Leute gesehen, die nach dieser Ope-!“ Doch ihr wurde das Wort abgeschnitten, als Ninas Vater ‚Schweig!‘ rief. Er war in der Zwischenzeit aufgestanden und auf Natalia zugegangen: „Ich will nichts davon hören und schon gar nicht von dir. Ich will Nina nicht auch noch verlieren. Ich habe schon meine geliebte Frau verloren und den Tod meiner Tochter werde ich sicherlich nicht so einfach hinnehmen, wenn man etwas dagegen unternehmen kann!“ Natalia war einen Schritt nach hinten ausgewichen, weil sie Angst hatte: „Aber sie wollen doch sicherlich nicht, dass Nina dann …“ Sie schien unfähig zu sein den Satz zu beenden und ein lauter Knall war zu hören. Mit weit aufgerissenen Augen blickte Natalia zur Seite und ihre Wange färbte sich langsam rot. Tränen liefen ihr die Wangen hinunter und sie schüttelte dann den Kopf: „Ich werde nicht zulassen, dass sie Ihrer Tochter das antun.“ Sie machte auf dem Absatz kehrt und lief schnell die Treppe hoch. Ninas Vater blieb wie angewurzelt stehen und blickte auf die Hand, mit der er Natalia eine Ohrfeige verpasst hatte. Er schien nicht zu verstehen, wieso er so reagiert hatte. Wütend über sich selbst glitt sein Blick dann auf die Pfefferkuchenstadt und seine schmerzende Hand schlug durch die Platten und Pfefferkuchenmänner und -frauen. Tränen liefen seine Wangen hinunter und erst, nachdem er fast jegliches Haus zerstört hatte, sah er in die Augen seiner Tochter und der Schrecken breitete sich in ihm aus.   Nina war unfähig sich weiter zu verstecken und hockte starr vor Schreck auf dem Boden der Pfefferkuchenstadt. Unglaube und die Wut auf ihren Vater wallten in ihr auf, als sie sah, wie er mit seiner Hand die Stadt, die sie glücklich zusammen gebaut hatten, zerstörte. Bei jedem Schlag breitete sich ein Schmerz in ihr aus und erst, nachdem ihr Vater sie entdeckt hatte, spürte sie einen Sog, der sie aus Pepperin herausholte.   Mit einem Japsen erwachte sie wieder in ihrem Bett und Frederick blickte aufgeregt zu ihr auf: „Ich habe mir schon Sorgen gemacht, Kleine! Du hast plötzlich angefangen sehr laut zu atmen und es hat mir schon Angst gemacht. Ich … ich muss dir etwas gestehen, Kleine. Ich heiße nicht Frederick von Pfefferli, sondern Pepper. Ich weiß, dass man nicht lügen soll und doch habe ich mich für meinen wirklichen Namen geschämt. Ist das bei dir nicht auch das Gleiche?“ Nina antwortete nicht, weil sie die Wörter noch nicht einmal richtig wahrgenommen hatte. Die einzigen Dinge, die ihr zu Ohren kamen, waren ‚Pepper‘ und ‚wirklicher Name‘. Langsam drehte sie ihr Gesicht deswegen zu dem Pfefferkuchenmann und merkte nicht einmal mehr, dass sie angefangen hatte zu weinen. Erschrocken blickte Pepper auf Nina und kam schnell näher: „Was ist denn passiert, Kleine? Willst du darüber reden oder soll ich dich alleine lassen?“ Doch Nina kam noch nicht einmal dazu zu antworten, als ihre Tür aufgerissen wurde und ihr Vater atemlos im Türrahmen stand. Pepper drehte sich reflexartig um und sah, wie Ninas Vater auf sie zukam und seine Tochter leicht wütend anblickte. Doch es lag auch so viel Trauer in seinem Blick, dass Pepper nicht genau wusste, was er tat, als er sich schützend vor Nina stellte. „Ich werde nicht zulassen, dass Sie Nina mitnehmen!“, sagte Pepper bestimmt und sah Unglauben und unbändige Wut in den Augen des Vaters. Mit einer unwirschen Handbewegung fegte er den Pfefferkuchenmann einfach vom Bett. Nina saß wie paralysiert im Bett und bemerkte deswegen zu spät, dass ihr Vater sie hochgenommen hatte. Ihr Blick lag noch immer auf der Stelle, an der Pepper vorher noch stand. Als sie aus ihrer Starre erwachte, hatte ihr Vater schon das halbe Zimmer durchquert und sie erblickte den zerbrochenen Pepper auf dem Boden. Er bewegte sich nicht und sagte auch kein Wort mehr. Tränen sammelten sich in ihren Augen und Nina fing an sich gegen den Griff ihres Vaters zu wehren: „Pepper! Du hast Pepper getötet! Ich hasse dich! Ich hasse dich!“ Doch Nina konnte sich nicht gegen ihren Vater wehren und so musste sie sich ihrem Schicksal ergeben. Epilog: Alles wird gut ---------------------- Es waren einige Monate vergangen. Die Sonne stand hoch am Firmament und die Vögel zwitscherten. Das Wetter war wunderschön und die Kinder spielten draußen Verstecken oder alberten herum. Doch nicht alle waren draußen. In einem Haus, etwas weiter entfernt, erklang fröhliche Musik und ein Lachen war zu hören. Erst seit einigen Tagen war das Mädchen wieder zu Hause angekommen und ihr Vater war glücklich, dass sie wieder so unbeschwert toben und ihr Leben genießen konnte. Die Narben, die ihren zarten Körper zierten, zeugten davon, dass sie eine Operation hinter sich hatte. Die eine war fast unsichtbar mit ihrem Haaransatz verwoben, die andere war länger und auf ihrer Brust. Der Name des Mädchens war Nina und die Entfernung ihrer Arslatus-Drüse und die Operation am offenen Gehirn waren glimpflich verlaufen. Sie hatte keinen schlimmen Schaden davongetragen und hatte die Lügen, die ihr Vater ihr jahrelang eingeflößt hatte, dadurch auch vergessen können. Vieles hatte sich in der Zwischenzeit verändert und so war es auch nicht bedenklich, dass man dieses Bild als eigenartig empfinden konnte.   Denn auch wenn ein Lachen zu hören war, so war es nicht das von Nina selbst, sondern eines von einer Erinnerung, die auf Bild festgehalten wurde. Es war auch nicht Nina selbst, die tobte und keinen Schaden davongetragen hatte, sondern das Ebenbild auf diesem Video. Aber das Bild, das der Vater sah, entsprach nicht mehr dem der Wirklichkeit, denn diese hatte sich mit der Fiktion oder Erinnerung verwoben. Denn Nina war nie wieder als sie selbst zu Hause angekommen. Auch wenn die Operationen anfangs glimpflich verlaufen waren, so hatte Doktor Mahnstein Recht behalten, denn er konnte keine Wunder vollbringen. Nach der Operation und der Gewissheit, dass es nach der Operation am Gehirn Komplikationen gab, war der Vater verrückt geworden und schaute sich tagein, tagaus das gleiche Video an. Alles war heruntergekommen und auch, wenn seine Tochter nicht weit von ihm entfernt saß, so hatte er nur Augen für die fröhliche Nina auf dem Fernseher. Manchmal glitt sein Blick zu seiner Tochter, doch er erkannte dann in ihr nur das herumtobende, kleine Mädchen, das sie noch vor einigen Jahren war. Die Wirklichkeit konnte oder wollte er einfach nicht erkennen. Er hatte nämlich jegliche Tabus gebrochen, als er vor einigen Tagen in die Klinik eingebrochen und seine Tochter aus der ärztlichen Aufsicht entrissen hatte. Die Schläuche und Kabel, die an ihr hingen, hatte er ignoriert und sie schlussendlich damit mitgenommen. Der leicht süßliche Duft, der sich im Wohnzimmer breit machte, störte ihn nicht und er blickte mit einem breiten Grinsen auf seine Tochter, die mit leeren Augen nach vorne blickte und nie wieder etwas sehen würde. „Schau mal Liebes! Ich habe deinen Freund wieder geflickt! Schau doch mal, er ist wie neu!“, brabbelte er vor sich hin und wedelte mit Pepper umher, den er mit Klebeband zusammengeklebt hatte. Lachend legte er ihn Nina in die Hand und schaute schnell wieder zum Fernseher. Die fröhliche Nina lachte ihn immer wieder an und er wiederholte es immer und immer wieder. Er freute sich, dass sie sich über seine Heldentat so freute, deshalb wollte er diese Reaktion immer und immer wieder sehen.   Ein leichtes Zucken ging durch Pepper, als er auf Ninas Hand lag und er flüsterte gebrechlich: „Klei…ne.“ Doch Nina antwortete nicht, sondern starrte weiterhin mit ihren gebrochenen Augen in die Ferne und blieb, was sie schon Monate zuvor war ... tot.  Hosted by Animexx e.V. 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