Legenden der Leidenschaft (OS - Sammlung) von Fantasia (Letztes Update: 20.01.2011) ================================================================================ Kapitel 8: Immer (Sakura x Sasuke) ---------------------------------- Immer Als ihr Handy klingelte, war Sakura heillos überfordert. In der einen Hand hielt sie vier kleine Einkaufstüten, in der anderen drei große. Ihre vibrierende Handtasche rutschte andauernd von ihrer Schulter auf ihren Arm, kollidierte mit den Tüten und drängte diese gegen und zwischen ihre Beine, sodass sie auf dem rutschigen Gehweg beinahe zu Fall gekommen wäre. Ihr langer, fester, dunkelroter Wintermantel verschaffte ihr nicht unbedingt mehr Bewegungsfreiheit und die warmen grauen Stiefel mit den Absätzen waren nicht die beste Schuhwahl gewesen, die sie heute Morgen hätte treffen können. Wenigstens hatte es aufgehört zu schneien, der Blizzard hatte Osaka aus seiner Umklammerung entlassen – zumindest vorläufig. Die Schneemassen der letzten Tage hatte die örtlichen Straßendienstunternehmen völlig unerwartet getroffen – Schnee im Winter war auch wirklich außergewöhnlich – und mit dem Auto in der Stadt oder in den umliegenden Gebieten voranzukommen war Selbstmord. Also hatte sich Sakura dazu entschlossen die öffentlichen Verkehrsmittel in Anspruch zu nehmen, doch mit diesem Entschluss war sie nicht die einzige Bewohnerin Osakas gewesen. Die U-Bahnen waren seit heute Früh gestopft voll und auch jetzt, am späten Nachmittag, hatte sich nichts daran geändert. Sakura hatte sich gerade die vereisten Stufen aus dem Untergrund hinauf auf die Straße gekämpft – was mit Einkaufstüten beladen eine echte Herausforderung dargestellt hatte, von den Gleichgewichtsproblemen einmal abgesehen. Jetzt stand sie auf einer weiteren überfüllten Einkaufsstraße und wusste nicht, ob und wie sie ihren Anruf entgegennehmen konnte. Der Klingelton war laut und durchdringend – und mit Rudolph, the red-nosed reindeer völlig weihnachtlich – und machte keinerlei Anstalten zu verstummen. Sakura stolperte zur Seite und atmete tief durch, dann stellte sie ihre Einkaufstüten ab und drückte sie mit ihren Beinen gegen ein Schaufenster. Hastig zog sie den Reißverschluss ihrer Handtasche auf und kramte nach ihrem Handy. Es vibrierte und trällerte vor sich hin und gerade in dem Moment, in dem sie es endlich zu fassen bekam und aus den Untiefen ihrer Tasche zog, verstummte es. Sakura stöhnte gequält, schlüpfte mit einer Hand aus ihren dünnen, weißen Handschuhen und aktivierte den Bildschirm. Ein Anruf in Abwesenheit. Baka. 17:03. Mit eisigen Fingern versuchte sie die Anrufliste aufzurufen. Kaum zog sie die Handschuhe aus, erfror sie. Manchmal hatte Sakura den starken Verdacht, dass The Day After Tomorrow schon längst zu Today geworden war. Anrufen. Sakura schob das Telefon unter ihre lockere, weiße Haube und hielt es fest an ihr Ohr. Der Lärmpegel um sie war zu groß für ein Gespräch. Es läutete dreimal, dann wurde abgehoben. „Sakura-chan!“, begrüßte sie Narutos muntere Stimme, „Ich habe dich gerade eben angerufen.“ „Ich hab’s gemerkt. Dein Timing war wie immer herausragend.“ „Oh? Tut mir leid. Was machst du denn gerade?“ „Weihnachtsshopping. Hardcore Weihnachtsshopping.“ Naruto lachte und Sakura hielt das Handy mit ihrer Schulter in Position, ehe sie ihren dünnen Handschuh wieder über ihre erfrorene Haut zog und die Hände aneinander rieb. Sie beobachtete ihren Atem, der als weißes Wölkchen in den Himmel stieg und lehnte sich anschließend an das Schaufenster. „Klingt anstrengend. Ich habe gehört, dass das Wetter in Osaka richtig, richtig scheiße ist?“ „Hmmm, nicht, wenn man auf Winter, Kälte und engen Körperkontakt mit Fremden in der U-Bahn steht. Ist es in Tokyo besser?“ „Eindeutig. Heute hatten wir sogar Sonnenschein. Das ist Winterwetter. Ich habe schon Angst vor meiner Rückreise nächste Woche. Ich erwarte eine Willkommensparty und Punsch. Bei dir.“ „Du bist erst seit zwei Tagen weg. Das hört sich so an, als hättest du ein Jahr im Ausland verbracht. Und dabei besuchst du nur gewissenhaft und völlig selbstlos deine Eltern zur Weihnachtszeit.“ „Hey, du reißt Witze über meine Liebe zu den Kochkünsten meiner Mutter. Meine Abwesenheit sollte einen Verlust für dich darstellen!“, empörte sich der Uzumaki. Sakura verdrehte ihre Augen und beobachtete die Menschen, die hektisch an ihr vorbeihasteten, manche noch beladener als sie selbst. „Ein großer Verlust. Rufst du deshalb an? Um dich bestätigt zu fühlen und mir zu erzählen, wie toll das Wetter in Tokyo ist?“ Naruto lachte erneut, doch die Belustigung schwand schnell aus seiner Stimme und er wurde ernst, zögerlich. „Ich wünschte es. Aber das ist nicht alles. Ich mache mir Sorgen um Teme-…“ „Interessiert mich nicht!“, fauchte Sakura beleidigt, „Er kann bleiben, wo der Pfeffer wächst!“ Ihr Stimmvolumen war binnen einer Sekunde in die Höhe geschossen und zwei kleine Kinder, die an der Hand ihrer Mutter gingen, sahen sie mit großen Augen an. Sakura schenkte ihnen ein gezwungenes Lächeln. „Schau, ich weiß, dass ihr gerade wieder ein großes Drama durchlebt, aber ich mache mir wirklich Sorgen.“, wiederholte Naruto ernst. Kein Hauch Belustigung drang an sie heran und Sakura wurde automatisch aufmerksamer, angespannter. „Warum? Was ist passiert?“ Naruto machte sich oft Sorgen um Sasuke, aber richtiger Ernst war selten dabei. Sie kannten sich ewig und Sasuke war kein Mensch, um den man sich ernsthaft kümmern musste. Zudem nahm Naruto das Leben meist locker und weniger ernst – Sorgen aus seinem Mund waren ernst. Sehr ernst. „Ich versuche ihn seit gestern Nachmittag zu erreichen, aber ich komme immer nur auf die Mailbox. Er hat nicht zurückgerufen. Klar, er hat viel zu tun und so weiter, aber normalerweise meldet er sich spätestens nach zwei Stunden. Ich habe es heute wieder versucht, aber er hat nichts von sich hören lassen.“ „Vielleicht hat er vor Weihnachten wirklich mehr zu tun.“, wandte Sakura ein, kaute auf ihrer Unterlippe. Sasuke hob selten sofort ab, doch er rief zurück. Immer, egal wie genervt oder wütend oder müde er war, weil er wusste, dass sie sich sonst Sorgen machten. „Ja, das habe ich anfangs auch gedacht. Aber ich habe vor ein paar Stunden bei ihm im Büro angerufen. Angeblich haben sie ihn dort seit zwei Tagen nicht gesehen.“ „Was?“, fragte Sakura überrumpelt, „Er war nicht arbeiten?“ Es gab absolut keinen triftigen Grund auf der Welt, warum Sasuke Uchiha nicht pünktlich um sieben Uhr morgens sein Büro betrat. Das hatte er oft genug deutlich gemacht. „Nein.“, bekräftigte Naruto nun eindeutig besorgt, hilflos, „Bei jedem anderen würde ich mich nicht weiter wundern, aber das ist einfach nicht Sasukes Art-…“ „Nein, das ist sie nicht.“, stimmte Sakura und fühlte ihren Körper erkalten, „Ich… ich besuche ihn. Ich werde zu ihm fahren.“ „Danke. Danke, Sakura-chan.“, sagte Naruto erleichtert, „Ich weiß, ihr habt einen Streit-…“ „Vergiss es.“, tat Sakura ab, „Ich fahre sofort zu ihm.“ Was zählte ihre dumme Kabbelei? Sie hatte seit drei Tagen nichts von Sasuke gehört, doch wenn sie beide stur waren, dann waren sie beide stur. Dass er nicht zur Arbeit gegangen war, beunruhigte Sakura zutiefst. „Okay. Melde dich, wenn du etwas weißt.“ „Klar. Bis später.“ „Bis später.“ Naruto legte auf und Sakura zog das Handy unter ihrer Haube hervor, schmiss es achtlos in ihre Tasche und schulterte sie erneut. Sie beugte sich zu ihren Einkaufstüten hinunter, hob sie hoch und machte sich hastig auf den Weg zurück in die U-Bahn. Erst dreißig Minuten später betrat sie erneut einen Gehweg und atmete tief durch. In den unterirdischen Waggons war es stickig, stickig und eng und ungemütlich gewesen, erst recht wenn man wie sie zweimal die Linie hatte wechseln müssen. Und zu guter Letzt noch mit der normalen Schnellbahn zu fahren hatte ihr den Rest gegeben. Nicht, dass Sasuke nicht wirklich phänomenal wohnte, aber ohne Auto war es eine Katastrophe zu ihm zu kommen – zumindest dann, wenn man mit Einkaufstüten beladen war. Jetzt stand ihr bloß noch ein Fußmarsch bevor und dann… ja, dann würde sie bei Sasukes Wohnhaus angekommen sein. Und dann würde sie weitersehen. Sakura war noch immer unruhig, als sie durch die Straßen spazierte. Die Hektik um sie herum war zwar nicht so präsent wie in den Einkaufscentren, aber hier in Osaka waren immer überall zu viele Leute. Normalerweise hatte Sakura damit kein Problem, aber sich ihre Gedanken drehten, bevorzugte sie Ruhe und Frieden. Sasuke war nicht zur Arbeit gegangen und hatte sich nicht bei Naruto gemeldet. Ihr Gehirn hatte hunderte verschiedene Gründe in Betracht gezogen, angefangen von simplem Verlegen des Telefons – obwohl Sasuke solche Fehler nicht unterliefen – bis hin zu lebensgefährlichen Unfällen, von denen sie einfach nichts erfahren hatte. Sakuras Finger schlossen sich fester um die Einkaufstüten und sie verfluchte sich für die Funkstille, die seit drei Tagen zwischen ihnen herrschte. Dann arbeitete Sasuke eben viel, dann hielt er eben nichts von Weihnachten, dann nervte ihn ihr Enthusiasmus, dann nervten ihn Lieder und Plätzchen und Geschenke. So war Sasuke eben. Er war nie wie alle anderen. Er war kein… sozialer Mensch. Er machte sich keine großen Gedanken um die Kleinigkeiten, die ihr Herz erwärmten. Sakura zweifelte nicht darin, dass er sie liebte, aber-… aber manchmal machte er ihr Leben schwer. Und manchmal konnte sie das nicht ertragen und manchmal brachte er das Fass zum Überlaufen und manchmal musste sie ihn anschreien und ihm Dinge vorwerfen, die ihn nie beschäftigt hatten und nie beschäftigen würden. Manchmal stritten sie und manchmal schrien sie sich an und manchmal fielen unschöne Worte, aber sie vertrugen sich immer und immer wieder, denn sie konnte nicht ohne einander leben – zumindest nicht mehr als eine Woche lang. Narutos Anruf hatte sie wahnsinnig gemacht. Was war passiert? Nach einigen Minuten hatte sie den hohen Gebäudekomplex erreicht und trat durch die Glastür ins Innere. Ein Wachmann nickte ihr zu – sie war oft genug hier gewesen um die Angestellten wie Sasuke sofort zu erkennen. Möglicherweise hätte sie von dem luxuriösen Appartementblock eingeschüchtert sein sollen, doch bei Sasuke war das nicht der Fall. Bei ihm war immer mehr gewesen und sie kannte ihn schon ihr Leben lang. Sakura zögerte kurz, trat dann aber an den Wachmann heran. Vielleicht hatte er mehr Informationen, wenngleich die junge Frau das bezweifelte. „Entschuldigung.“, begann sie, „Haben Sie Uchiha-san in den letzten beiden Tagen zu Gesicht bekommen?“ Der Wachmann überlegte kurz, dann schüttelte er seinen Kopf. „Nein. Ich habe Uchiha-san nicht zu Gesicht bekommen, aber vielleicht einer meiner Mitarbeiter. Wir wechseln uns alle drei Stunden ab.“ Sakura nickte, verneigte sich kurz und lächelte schwach. „In Ordnung. Danke.“ Der Wachmann erwiderte ihr Lächeln und öffnete anschließend die zweite Glastür, die zu den drei Aufzügen führte. Sakura trat hindurch und wenige Sekunden später drückte sie auf den Knopf, der den Lift ins Erdgeschoss zurückholte. Mittlerweile schwitzten ihre Hände und ihr Herz raste. Niemand hatte Sasuke gesehen. Niemand hatte mit ihm gesprochen. Er war nicht zur Arbeit gegangen. Das vertraute Pling des Aufzuges riss sie aus ihren angstvollen Gedanken und sie betrat die Kabine. 50igstes Stockwerk. Ganz oben. Sasuke wollte nicht, dass über ihm gepoltert wurde, wie er so locker ausdrückte. Auch das wunderte Sakura nicht weiter. Der Lift setzte sich in Bewegung und sie schoss in den Himmel hinauf, wenngleich die Fahrt nicht länger als eine halbe Minute dauerte. Dasselbe Pling ertönte und Sakura betrat mit ihren Einkaufstüten das letzte Stockwerk, auf dem sich nur zwei Wohnungen befanden. Und Sakura war so, so dankbar, dass sie eine Zugangskarte zu Sasukes Heiligtum besaß. Er hatte sie ihr unlängst überreicht, einfach so, weil er nichts auf Geburtstage oder Weihnachten gab – einfach so, weil er sie liebte und weil sie ein Teil seines Lebens war. Einfach so. Sakura stellte die Einkaufstüten neben der Fußmatte ab und begann in ihrer Tasche nach ihrem Portemonnaie zu kramen. Mit zitternden Fingern zog sie die Zugangskarte hervor und zögerte. Was, wenn etwas Schreckliches geschehen war? Großer Gott, sie konnte nicht ohne ihn leben. Sakura zog die Karte durch das hochmoderne Schloss und ein kleines Kontrolllicht sprang von Rot auf Grün. Sakura öffnete die Tür, griff nach den Tüten und betrat die Wohnung. Drinnen herrschte Totenstille und kein Licht brannte. Sasuke hatte sein Heim modern eingerichtet. Metall und Glas waren vorherrschend, Grau- und Stahltöne dominierten. Sakura gefiel das. Es passte zu seiner Persönlichkeit und sie selbst hatte kleine Details hinzugefügt, wie zum Beispiel die Blumenvase auf dem niedrigen, langen Tisch, der im Vorzimmer stand. Sakura stellte die Tüten beiseite und betrachtete die Blumen – sie ließen die Köpfe hängen, das Wasser war schal. Sasuke mochte das nicht. „Sasuke-kun?“, rief sie leise, doch sie erhielt keine Antwort. Kein Geräusch war zu vernehmen. Sakura schlüpfte aus ihrem Mantel und hängte ihn an einen der Kleiderhaken, die an einem Metallbrett an der Wand angebracht waren, dann schlüpfte sie aus ihren Stiefeln und stellte sie vor den Schuhkasten. Sie realisierte, dass Sasukes Schuhe ebenfalls hier standen. Ihr Herz raste und mit schnellen Schritten drang sie weiter in die Wohnung vor. Vom Vorzimmer aus zweigte rechts eine Tür in die Küche ab. Sakura öffnete sie lautlos und trat ein. Der Raum befand sich wie immer in tadellosem Zustand. Der Kühlschrank summte vertraut, das Weinlager war eingeschaltet, der Geschirrspüler halb geschlossen und ausgeräumt. Die Arbeitsflächen und das Waschbecken waren blitzblank geputzt, die hohen Barhocker standen in Reih und Glied an der großzügigen Kücheninsel. Der Obstkorb-… der Obstkorb stand zwar wie immer in der Mitte, doch zwei Orangen waren faul geworden. Das irritierte Sakura. Sasuke entsorgte verdorbenes Obst. Ihr Blick glitt von der Küche hinüber in den offenen, anschließenden Essbereich. Der Tisch und die Stühle waren von derselben Art, an der kahlen Wand hing ein großes Bild, das den schwarz-weiß skizzierten Fujiyama zeigte. An der hinteren Wand des Esszimmers prangte ein riesiges Fenster, das einen Ausblick auf die Skyline Osakas bot. Heute hatte Sakura keine Aufmerksamkeit dafür. Sie öffnete eine breite Schiebetür, die ins Wohnzimmer führte. Sasuke hatte keine richtige Tür gewollt, doch das Wohnbereich war vom Essbereich wenn erforderlich abzugrenzen – er hasste es, wenn sich Kochgerüche in der Wohnung ausbreiteten. Sakura schloss die Tür nicht ganz hinter sich, denn es bestand kein Grund dazu. Das Wohnzimmer war so verlassen wie der Rest des Appartements. Der Raum war großzügig geschnitten, eine Wand bestand bloß aus einer Glasfront. An der Wand rechts neben Sakura befand sich Designermobiliar, auf dünnen, robusten, kleinen Stehern, glatt und kühl. Die Konstruktion bot Platz für den großen Plasmafernseher, DVD-Player, die Stereoanlage, CDs und Bücher. Sasuke dachte praktisch. Gegenüber dieser Einrichtung stand eine riesige, L-förmige Bankgarnitur in Cremefarbe. Zwei kleine Kissen lagen in den Ecken – auf die hatte sie bestanden, nur um Akzente zu setzen. Sakura hatte gnädig zugestimmt. Ein Glastisch stand in der Mitte, erneut mit einem kleinen Obstkorb, dessen Inhalt dem Haltbarkeitsdatum gefährlich nahe kam. Hinter dem Sofa prangte an der kahlen Wand ein weiteres Bild, erneut eine schwarz-weiße Skizze, diesmal jedoch vom Kaiserpalast. Weit und breit keine Spur von Sasuke. Sakura verließ auch das Wohnzimmer und betrat einen kleinen Gang. Vorne rechts befand sich das Badezimmer. Die junge Haruno warf einen Blick hinein. Alles trocken, alles perfekt. Die Tür zur Toilette war unverschlossen, das Arbeitszimmer ebenfalls verlassen. Niemand da. Es blieb nur noch das Schlafzimmer, ganz hinten links. Er musste dort sein. Er musste. Die Tür war angelehnt und Sakura schob sie behutsam auf, steckte ihren Kopf hinein. „Sasuke-kun?“, fragte sie leise. Die Jalousien vor den Fenstern waren heruntergelassen, im Zimmer war es dunkel. Das große, breite Doppelbett war das vorherrschende Element in dem Raum. Sakuras Augen glitten durch den Schlafzimmer-… Und da war er. Er lag regungslos in seinem Bett, reagierte nicht auf ihr Auftauchen. Erleichterung flutete durch Sakuras Körper, so mächtig, dass sie automatisch das Zimmer betrat und auf ihn zuging. Für einen winzigen Moment lang war unwichtig, was los war, denn er war hier und sie konnte ihn sehen und mit ihm sprechen und reagieren. „Sasuke?“, fragte sie etwas lauter, doch wieder bekam sie keine Antwort. Die Sorge kehrte so plötzlich zurück, wie sie verschwunden war. Die Decke lag unordentlich über seinem Körper, sein Atem war schwer. Sakura ließ sich neben dem Bett auf die Knie fallen, tastete hastig nach seiner Hand. „Sasuke!“, sagte sie nachdrücklich. Sie fand seine Finger, seine warme Haut-… seine heiße Haut. Erkenntnis schoss durch ihren Körper, ließ ihr Herz stehen bleiben, ihre Gedanken aussetzen. Sie legte ihre Hand an seine Stirn – er glühte. Er verglühte. Erst jetzt bemerkte Sakura den seltsamen Geruch im Zimmer – Krankheit, Fieber. Wie lange lag er schon hier? Erst seit heute? Oder doch seit gestern? Es musste seit gestern sein. Er war schließlich nicht zur Arbeit gegangen. „Großer Gott, Sasuke.“, wisperte sie erschüttert, dann schlug sie die Bettdecke zurück, tastete über sein verschwitztes Oberteil. Wieso hatte er sich nicht gemeldet, wieso hatte er sie nicht angerufen, ihr nicht Bescheid gegeben? Wegen dem Streit? Wegen dem dummen, dummen Streit? Egal. Das konnten sie später klären. Sakura erhob sich, ging zu den Jalousien hinüber und zog sie nach oben, riss die Fenster sperrangelweit auf. Kälte stob ins Innere des Zimmers, vertrieb die stickige, kranke Luft. Sakura ging zu Sasuke zurück und zog das verschwitzte Shirt über seinen Kopf, schüttelte anschließend die Bettdecke auf und legte sie zurück über seinen brennenden Körper. Sie streichelte sanft durch sein Haar, dann verließ sie seine Seite und huschte lautlos aus dem Zimmer, ging zurück ins Bad und kramte in einem der Kästen nach Medikamenten. Sasuke war in diesem Punkt nur spärlich ausgestattet, doch sie fand ein paar Vitamine und Erkältungsmittel, ebenso ein Fieberthermometer. Sakura nahm ihren Fund mit in die Küche, zog aus einer der Laden ein Tablett und legte die Medikamente darauf ab. Anschließend holte sie ein großes Glas aus einem Regal, füllte es randvoll mit Wasser und stellte es auf das Tablett dazu, ehe sie eine Teekanne suchte, fand und mehr Wasser aufsetzte. Während es erhitzte, öffnete die junge Frau den Kühlschrank und betrachtete die Lebensmittel. Das meiste Fleisch war verdorben und sie warf es sofort weg, doch das Gemüse hatte sich gehalten. Ein wenig Hühnerfleisch fand sie im Gefrierfach, zusammen mit mehr Gemüse. Das war gut. Sie konnte eine ordentliche Suppe aufsetzen – später. Zuerst brauchte Sasuke Flüssigkeit. Zusätzlich füllte Sakura eine große Schale mit eisigem Wasser, stellte sie zu den vorbereiteten Sachen dazu. Zu guter Letzt pfiff der Teekessel. Sakura öffnete den Deckel, kramte in einem Regal nach Teepulver und gab zwei kleine Löffel in das heiße Wasser, nahm noch einen weiteren Becher und machte sich dann zurück auf den Weg ins Schlafzimmer. Leise stellte sie ihre Ausrüstung auf den Nachttisch, schob den digitalen Wecker etwas zur Seite und bemerkte so dort auch Sasukes Telefon, das aufgeregt blinkte. Sakura ignorierte es, ging zu den Fenstern hinüber und schloss sie wieder – genug gelüftet. Sie holte noch einen frischen Waschlappen aus dem Badezimmer und ließ sich Sekunden später neben Sasuke auf die Matratze sinken. Sie drehte das Nachtlicht auf, damit es nicht völlig dunkel war, und griff nach dem Fieberthermometer. Die Sekunden verstrichen quälend langsam, dann durchbrach das durchdringende Piepsen die Stille. Sakura warf einen Blick auf das Thermometer und seufzte leise. 39.4. „Dummkopf.“, flüsterte sie, legte ihre Hand schließlich auf seine Wange und streichelte sanft über die heiße Haut. Sasukes Wangen waren gerötet, der Rest seines Gesichts war bleich. Schweiß stand auf seiner Stirn, sein Atem war flach. Sakura tauchte den Waschlappen in die Wasserschüssel, dann strich sie langsam über seine heiße Haut. Sasuke zuckte instinktiv zusammen, doch sein Körper entspannte sich zusehends, je länger sie sein Gesicht kühlte. Sakura verlor ihr Zeitgefühl, doch als sie das nächste Mal einen kurzen Blick auf den Wecker auf dem Nachttisch warf, war eine halbe Stunde vergangen. Mittlerweile war es halb sieben. Sakura legte den Waschlappen in die Wasserschüssel und berührte mit ihren Fingern die Keramikkanne. Sie war noch immer heiß, doch hatte bestimmt ein paar Grad verloren. Gut so. Es war Zeit, dass Sasuke etwas zu sich nahm. „Sasuke-kun.“, sagte Sakura leise, streichelte sanft über seine Wange, „Sasuke-kun, wach auf.“ Sakura redete leise auf ihn ein, schüttelte ihn ganz, ganz sachte. Nur langsam schien er aus seinem Fieberschlaf zu sich zu kommen. Er blinzelte, doch das Nachtlicht ließ ihn zusammenzucken. Gequältes, leises Stöhnen verließ seinen Mund, als er seine Hand vor die Augen legte, sich zur Seite rollen wollte. „Sasuke-kun.“, versuchte Sakura seine Aufmerksamkeit zu erregen, „Du musst etwas trinken. Sofort.“ Ihre Stimme schien endlich zu ihm durchzudringen. „Sakura…?“, murmelte er, drehte sich schwerfällig wieder auf den Rücken und versuchte sie anzusehen, „Was-…“ „Ruhig.“, antwortete Sakura leise, lächelte matt, „Wir reden später. Jetzt musst du trinken. Ich helfe dir.“ Dass Sasuke nicht protestierte, war ein klares Zeichen, dass es ihm nicht gutging. Ein Uchiha Sasuke brauchte keine Hilfe, niemals. Sakura goss ein wenig Tee in den Becher, richtete Sasuke auf und hielt das Getränk an seine Lippen. Er nahm ein paar Schlucke und das reichte Sakura. „So, und jetzt musst du ein bisschen Medizin nehmen. Dann geht es dir bald besser.“, sagte sie leise und sie wiederholten die Prozedur komplikationslos. Sakura ließ Sasukes Kopf wieder auf das Kissen sinken. Er sah sie durch halbgeöffnete Augen an und sie schenkte ihm ein Lächeln, von dem sie sicher war, dass er es vergessen würde. Sasuke hob kraftlos seine Hand und Sakura ergriff sie sofort, schloss ihre Finger um seine. „Bleib…“, murmelte er kaum hörbar und seine Lider fielen über seine Augen. Sakura drückte einen Kuss auf seine Hand, lehnte sich vor und berührte mit ihren Lippen seine glühende Stirn. „Immer.“, wisperte sie, doch er war längst wieder eingeschlafen. Sakura ließ sich auf einen der Barhocker an der Kücheninsel sinken und scrollte durch die Kontakte ihres Telefons. Sie hatte Naruto versprochen sich zu melden. „Hey, Sakura.“, ertönte es nach nicht einmal zweimal Tuten in der Leitung. „Und?“ „Er ist zuhause und krank. Ich habe ihn im Schlafzimmer gefunden. Sein Fieber ist hoch und ich glaube nicht, dass er das Bett seit gestern verlassen hat.“ „Er ist so ein Idiot.“ „Das kannst du laut sagen.“, murmelte Sakura, „Warum hat er mich denn nicht angerufen? Er sollte doch wissen, dass ich für ihn alles stehen und liegen lassen würde!“ „So ist er aber nicht, Sakura-chan.“, hielt Naruto dagegen, „Du weißt doch, dass er keine Hilfe braucht.“ „Wenn wir nicht gestritten hätten, dann hätte ich eher bemerkt, dass etwas nicht in Ordnung ist.“ „Das konnte keiner wissen. Mach dich nicht fertig. Ihr hättet bloß gestritten, weil er sich nicht ins Bett hätte stecken lassen. Und jetzt ist bist du ja bei ihm, er ist bestimmt dankbar.“ „Tja, sonst würde er wohl sterben.“, brummte Sakura, klemmte das Telefon zwischen Ohr und Schulter und begann den Obstkorb auszusortieren. „So schlimm?“ „Ich weiß noch nicht. Ich habe ihm ein paar Vitamine und Erkältungsmedikamente gegeben. Ich hoffe, dass sie anschlagen.“ „Okay, das wird schon. Spätestens in drei Tagen ist er wieder auf den Beinen. Teme schmeißt so schnell nichts um.“, behauptete Naruto überzeugt, eindeutig erleichterter als noch bei ihrem Gespräch vor wenigen Stunden. „Gut, ich muss jetzt Schluss machen, Familienessen steht an. Überbringe Teme doch bitte meine besten Genesungswünsche. Wir hören uns.“ „Ist gut, bis dann, Baka.“ Sakura legte auf, warf die verdorbenen Früchte in den Mistkübel und ging anschließend zu Sasuke zurück. Sie ließ sich neben ihm auf das Doppelbett fallen, drehte sich auf die Seite und legte ihre Hand auf seine Stirn. Die Haut glühte noch immer, doch Sasukes Schlaf war ruhiger und entspannter. Das war ein gutes Zeichen. Sakura zog seine Bettdecke zurecht und beobachtete ihn – sie würde aufpassen. Immer. Der nächste Morgen kam schneller, als Sakura erwartet hatte – was vermutlich daran lag, dass sie irgendwann eingeschlafen war. Doch sie erwachte, weil die Matratze ruckelte. Im ersten Moment war die junge Haruno orientierungslos, aber dann kehrten die Erinnerungen an gestern Abend zurück. Sakura riss ihre Augen auf, kniff sie jedoch sofort wieder zusammen. Es war zu hell im Zimmer. Das musste wohl bedeuten, dass es schon später Vormittag war. Sakura blinzelte leicht, sah auf die Bettseite neben sich. Ihr verschlafener Blick wurde erwidert und sie war sofort hellwach. „Sasuke-kun.“, flüsterte sie, streckte ihre Hand nach ihm aus und legte sie auf seine Wange, fuhr weiter zu seiner Stirn. Warm, nicht mehr heiß. „Hey.“, antwortete der Uchiha leise und legte seine Hand schwerfällig auf ihre. Sakura umschloss seine Finger, rutschte dichter an ihn heran und hauchte einen Kuss auf seine Stirn. „Wie fühlst du dich?“ „Erschlagen.“, murmelte Sasuke, „Aber nicht mehr sterbend.“ „Idiot.“, wisperte Sakura, „Ich hab mir solche Sorgen gemacht! Ich habe nicht gewusst, was los ist, und dann liegst du einfach hier-…“ „Tut mir leid.“ Die junge Frau verstummte. Sie sahen sich einige Sekunden lang nur schweigend an, dann streichelte Sakura wieder sanft über sein Gesicht, strich verlorene Haarsträhnen zurück. „Schon okay.“, flüsterte sie, „Jetzt ist es in Ordnung. Ich bin ja da.“ Sasuke lächelte matt. „Ja. Kein Streit mehr.“ „Kein Streit mehr.“, wiederholte Sakura leise. Sie hätte stundenlang hier liegen können, doch das war falsch. Also rappelte sich die Haruno auf und realisierte erst dann, dass sie sich noch in ihrer Kleidung von gestern befand. Sie schob den Gedanken daran beiseite – sie würde sich dann umziehen, wenn sie Zeit dazu hatte. In Sasukes Kleiderschrank befanden sich auch ein paar ihrer Klamotten. Sakura schlüpfte aus dem Bett und spürte, dass ihr Sasukes Blick folgte. Sie huschte zu den Fenstern hinüber und riss sie wie gestern Abend sperrangelweit auf. Frische Luft war essenziell. Anschließend kehrte sie zurück an Sasukes Seite und grinste schief, griff nach der Decke. „Was-…?“ Sakura zog sie von seinem Körper, schüttelte sie auf und gerade als sich Gänsehaut auf Sasukes warmer Haut ausbreitete, legte sie sie wieder über ihn und packte ihn fest ein. „Schon vorbei.“, sagte sie, dann hauchte sie einen Kuss auf seine Stirn, „Hast du Lust auf Frühstück?“ „Nicht wirklich.“ „Du musst aber etwas zu dir nehmen.“, tadelte Sakura, „Tee?“ „Okay.“ Sakura lächelte, räumte die Medikamente vom Tablett auf dem Nachttisch und hob den Rest in die Höhe. „Ich komme gleich wieder.“ Der Rest des Vormittags verging im Flug. Mittags kochte Sakura eine warme Hühnersuppe und zu diesem Zeitpunkt verspürte Sasuke auch Hunger. Das war gut, das war ein eindeutiger Schritt zur Genesung – und die Medikamente zeigten ebenfalls Wirkung. Das Fieber war mit unter 38 Grad bloß noch erhöhte Temperatur, aber Sakura wollte nichts riskieren und schickte Sasuke nach seinem ausgiebigen Gang zur Toilette und ins Badezimmer prompt zurück ins Bett. Er nahm ihre Befehle widerstandslos entgegen, ein weiterer Grund sie ihm auch zu geben – wenn sie die Chance hatte ihn zur Erholung zwingen zu können, dann nutzte sie sie auch. Sasuke schlief schnell ein und Sakura entschied sich dazu Besorgungen zu machen. Sasuke würde bald wieder gesund sein und dann brauchte er ein paar Essensvorräte, die nicht bloß aus Karotten und Gurken bestanden. Sakura zog sich schnell frische Kleidung an, schlüpfte anschließend in ihren dunkelroten Wintermantel und ihre grauen Stiefel, setzte die weiße Haube auf und zog die weißen Handschuhe über. Ein schneller Griff nach der Handtasche und sie verließ das Appartement. Als sie die Wohnung eine gute Stunde später wieder betrat, war es bereits nach sechs Uhr abends. „Ich bin wieder da!“, rief sie, für den Fall der Fälle, dass Sasuke aufgewacht war. Sakura transportierte die Einkaufstüten vom Vorzimmer in die Küche und wäre beinahe in den Uchiha gekracht. „Sasuke?“, fragte sie irritiert und hievte ihre Einkäufe auf die Kücheninsel, „Warum liegst du nicht im Bett?“ „Ich habe Fieber gemessen.“, antwortete Sasuke und ließ sich langsam auf einen der Barhocker sinken, „Unter 37. Und es ist Abend. Ich bin geheilt.“ Sakura runzelte ihre Stirn und trat an ihn heran. „Mister Ich-bin-geheilt hätte sich aber ruhig ein Ich-will-auch-gesund-bleiben T-Shirt anziehen können, anstatt halb nackt in der Küche herumzusitzen.“ Sie legte eine Hand auf Sasukes Stirn. Eindeutig nicht mehr heiß, doch sie blieb skeptisch. „Sag nicht, das würde dich stören.“, bemerkte Sasuke süffisant, aber auch darauf ging Sakura nicht ein. Natürlich störte sie sich keinesfalls an seinem Anblick, aber sie hatte seinen gestrigen Zustand nur zu gut in Erinnerung. „Du solltest dich weiter ausruhen.“, sagte sie, legte ihre Hände auf seine Brust und streichelte sanft über die Haut, sah Sasuke mit großen Augen an. „Bitte.“ Sasuke seufzte und fuhr sich durch sein Haar. „Ich muss wieder zu Kräften kommen. Ich kann nicht tagelang hier herumliegen und nichts tun.“ „Doch, genau das kannst du. Und genau das sollst du.“, hielt Sakura dagegen, „Du bist krank.“ „Ich war krank.“ „Niemand ist binnen 24 Stunden gesund, wenn er so beisammen war wie du gestern! Und vorgestern! Du hast auf keinen von Narutos Anrufen reagiert, du warst nicht einmal arbeiten!“ „Ganz genau.“, sagte Sasuke ungerührt, „Ich kann die Firma nicht alleine lassen.“ Sakura biss sich auf die Unterlippe und wandte ihren Blick von seinen unnachgiebigen Augen ab. Sie wollte nicht erneut wegen der Arbeit streiten. Sie wollte nicht diskutieren. Heute Morgen hatte er ihr keinen Streit versprochen, aber-… „Die Firma ist kein Lebewesen.“, sagte sie leise, „Sie ist ein Platz, an dem andere Menschen arbeiten, die dich vertreten können.“ „Aber sie müssen mich nicht vertreten. Es geht mir gut.“, entgegnete Sasuke ungerührt, „Und die Firma ist nicht nur ein Ort. Du weißt, wie viel sie mir bedeutet.“ Sakura ließ von Sasuke ab und ging zu ihren Einkäufen hinüber. Sie räumte sie aus, begann sie anschließend in den Kühlschrank und in Regale einzuordnen. „Ja.“, antwortete sie leise, „Die Firma bedeutet dir mehr als ich.“ „Das-…“, brauste Sasuke auf, aber Sakura unterbrach ihn mit einem Kopfschütteln. „Dazu will ich keine Rechtfertigung hören. Wenn du deinen Job mehr liebst, muss ich das akzeptieren. Aber ich finde es schrecklich, unglaublich schrecklich, dass du die Firma über deine Gesundheit stellst. Und deshalb bitte ich dich, ich flehe dich an, zurück ins Bett zu gehen. Ich bringe dir noch etwas zu essen und zu trinken.“ Sakura drehte sich nicht zu Sasuke um, als sie den Kühlschrank schloss und begann die Lebensmittel, die sie nicht eingeräumt hatte, auszupacken. Ihr Freund sagte kein Wort, doch er erhob sich und verließ die Küche. Sakura seufzte und ballte ihre Hände zu Fäusten. War es verwerflich, dass er ihr krank und gebrechlich und schwach manchmal so viel lieber war? Eine gute halbe Stunde später hatte Sakura jeglichen Zorn und jegliche Enttäuschung heruntergeschluckt, gab frisch gekochten Reis in eine große Schüssel und goss Gemüse und ein wenig Saft darüber. Zusammen mit Stäbchen und einem großen Glas Wasser stellte sie alles auf das Tablett und kehrte ins Schlafzimmer zurück. Sasuke lag tatsächlich brav in seinem Bett – sie hatte daran gezweifelt – und sah an die Zimmerdecke. Sakura stellte das Tablett ab und blieb unentschlossen neben ihm stehen. „Hier.“, sagte sie schließlich, „Du solltest wirklich etwas essen. Und ich-… ich werde im Wohnzimmer ein wenig fernsehen-…“ Sasuke sah sie völlig unerwartet an, griff nach ihrer Hand und riss sie zu ihm hinunter. Sakura war zu geschockt um zu schreien, als sie plötzlich auf dem Uchiha lag. Ihr perplexer Gesichtsausdruck entlockte ihm ein flüchtiges Lächeln, doch er schob sie neben sich und die kurze Regung verschwand. „Denkst du tatsächlich, ich liebe die Firma mehr als dich?“, fragte er ernst. Sakura wandte ihren Blick ab, doch Sasuke griff nach ihrer Hand, umschloss sie fest, „Das stimmt nicht. Du täuschst dich, Sakura.“ Sie wollte nicht darüber sprechen, nicht jetzt – aber Sasuke wollte noch weniger darüber reden, das wusste sie. Er begann das Gespräch. Wenn sie es jetzt abblockte, dann-… „Ach ja?“, fragte sie also, griff nach ihrem Kopfpolster und umklammerte ihn mit ihren Armen, „Das Gefühl habe ich nicht.“ „Das tut mir leid.“ „Das macht aber nichts besser.“ Sasuke drehte sich auf die Seite und sah sie direkt an, streckte seine Hand nach der ihren aus. Sakura blockte ihn nicht ab, doch sie erwiderte seine Berührung nicht mehr als notwendig war. „Was macht es besser?“, fragte er ernst. „Hör auf zu arbeiten.“, sagte Sakura unverblümt und erntete bitteres Lachen. „Das ist nicht dein Ernst. Ich kann nicht aufhören zu arbeiten.“ „Dann tritt kürzer. Sei manchmal früher bei mir. Bleib zuhause, wenn du krank bist.“ „Manchmal ist das nicht möglich-…“ „Nicht einmal für mich?“, fragte Sakura, verflocht ihre Finger nun doch mit Sasukes, drückte seine Hand mit ihrer gegen das Kissen. Sie hatte das Gefühl ihn zu verlieren und ihn nicht halten zu können. „Bitte. Du musst mich nicht so sehr lieben-…“ „Hör auf, das zu sagen!“, fuhr Sasuke dazwischen. Sakura zuckte zusammen, wollte ihm ihre Hand entziehen, doch das ließ er nicht zu. „Soll ich aufhören zu arbeiten? Soll ich die Firma aufgeben? Ich würde das für dich tun, aber ich wünschte, du würdest es nicht verlangen.“ Sakura schwieg und betrachtete Sasuke lange. Sein Atem ging schneller, sein Blick war mehr als durchdringend. Er meinte ernst, was er sagte, aber-… „Wirklich?“, fiepte sie und erntete ein abfälliges Augenrollen. „Ja. Wirklich.“ „Wirklich wirklich?“ „Sakura.“, drohte Sasuke, seufzte dann aber tief, „Wirklich wirklich. Muss ich dir wirklich alles beweisen, nachdem ich beinahe gestorben wäre?“ „Daran warst du selbst schuld.“, konterte Sakura, „Du hättest mich anrufen können!“ „Ich dachte nicht, dass ich an etwas Schnupfen und ein bisschen Halsweh sterben könnte.“, tat Sasuke ab und zog Sakura das Kissen aus den Armen. Er rutschte näher an sie heran und sie wehrte sich nicht, denn seine Nähe war niemals selbstverständlich. Sie würde nie selbstverständlich sein. „Du bist dumm.“, flüsterte Sakura und drängte sich an ihn, stellte fest, dass er auf sie gehört und sich ein T-Shirt angezogen hatte. „Nein. Du bist dumm, Sakura. Sehr, sehr dumm. Als ob mir irgendetwas mehr bedeuten könnte als du. Es gibt bloß Dinge, die ich ebenfalls liebe. Nicht so sehr, aber doch.“ „Ich weiß.“, flüsterte Sakura, „Tut mir leid. Wir werden nie mehr deshalb streiten.“ „Okay.“, murmelte Sasuke, „Das ist gut. Ich habe übrigens ein Weihnachtsgeschenk für dich besorgt. Möchtest du es jetzt schon haben?“ Sakura sah Sasuke einen Moment lang sprachlos an, dann schüttelte sie aber entschieden ihren Kopf. „Nein. Es ist ein Weihnachtsgeschenk. Weihnachten ist erst in ein paar Tagen. Also darf man davor auch keine Geschenke öffnen.“, erklärte sie weise und entlockte dem Uchiha ein Schmunzeln. „Hier riecht es gut.“, wechselte er dann weniger galant das Thema. Sakura setzte sich auf und zog Sasuke ebenfalls in die Höhe. „Ich habe dir etwas gekocht.“, sie lehnte sich über ihn hinweg zum Nachtkästchen und hob die Reisschüssel und die Stäbchen vom Tablett. Sie drückte Sasuke beides in die Hand. „Du musst nicht alles essen. Nur ein bisschen. Das ist wichtig.“ „Jaja.“, brummelte der Uchiha, wehrte sich aber nicht gegen ihre Belehrungen und begann langsam zu essen. Sakura beobachtete ihn zufrieden, stahl sich ab und an einen Bissen von seinen Stäbchen und fühlte sich gut. Schließlich stellte Sasuke die Schüssel jedoch zur Seite und seufzte tief, ließ sich wieder auf das Kissen sinken. Sakura schlüpfte neben ihm unter die Decke, nachdem sie sich diesmal Nachtgewand angezogen hatte, und der Uchiha drehte sich zur Seite. Er legte erschöpft einen Arm um Sakura und zog sie näher an sich. „Ich bin müde.“, sagte er leise. Die junge Frau nickte und fühlte seine Temperatur. „Du bist schon wieder ein bisschen warm.“, antwortete sie leise, „Bestimmt, weil du eben gegessen hast und Essen anstrengend ist. Und weil du dich vorhin aufgeregt hast. Stress ist schlecht. Stress macht dich nur krank. Deshalb will ich, dass du dich öfter entspannst. Okay?“ „Okay…“, erwiderte Sasuke brav. „Sehr schön.“, Sakura schmiegte sich an Sasuke, „Und du musst morgen unbedingt Naruto zurückrufen. Ich habe gestern noch mit ihm telefoniert – gute Besserung übrigens – und er hat sich wirklich Sorgen gemacht. Und morgen gehen wir zusammen duschen-…“ Weiter kam sie nicht, denn Sasuke hatte seine Lippen mit ihren verschlossen, ganz kurz, ganz fest. Sakura schwieg, als er sich wieder von ihr löste. „Ruhig.“, murmelte er, „Schlafen.“ „Okay.“, wisperte Sakura und streichelte über seine warme Wange, „Dann schlaf.“ Sasuke lächelte schwach. „Bleib.“, flüsterte er, sein Atem wurde ruhiger. Sakura hauchte einen letzten Kuss auf seine Stirn, zog die Decke sorgfältig über ihn. „Immer.“, hauchte sie ihm zu. Drei Tage später war Sasuke völlig genesen, stand vor dem Spiegel und richtete sein Jackett. Sakura trat vor ihn, legte eine passende Krawatte um seinen Hals und band sie geschickt. „Gut so?“, fragte sie schief lächelnd und Sasuke beobachtete Sakuras Handwerk. Er nickte. „Passabel.“ „Danke. Los. Du kommst zu spät. Und wenn du zu spät kommst, dann musst du länger arbeiten.“, Sakura schnappte sich Sasukes Hand und zog ihn aus dem Schlafzimmer durch die Wohnung hin zum Eingangsbereich. Dort stellte sie sich auf die Zehenspitzen und hauchte einen Kuss auf die Lippen des Uchihas. Er drückte sie kurz an sich, dann ließ er von ihr ab und griff nach seinen dunkelgrauen Mantel, schlüpfte geschmeidig hinein und widmete sich anschließend seinen Schuhen. „Und du fühlst dich wirklich gesund?“, fragte Sakura ein allerletztes Mal, als sie ihm seinen Aktenkoffer reichte, „Übermorgen ist Weihnachten. Ich will nicht, dass du einen Rückfall hast.“ Sasuke schmunzelte. „Es geht mir gut.“, versicherte er ihr, zog sie zu einem weiteren letzten Kuss an sich, „Wir sehen uns heute früher. Bist du abends hier?“ „Wenn du willst.“ „Auf die Frage antworte ich nicht.“ „Gut.“, Sakura lächelte, dann klopfte sie auf seine Brust und drängte ihn zur Tür. „Geh, Workaholic.“ „Ach ja.“, Sasuke grinste, weil er seinen Aufbruch ein weiteres Mal herauszögerte, „Bist du sicher, dass du dein Weihnachtsgeschenk noch nicht haben möchtest?“ Sakura verdrehte ihre Augen und stemmte ihre Hände in die Hüften. „Ich bin mir absolut sicher. Und jetzt verschwinde, Uchiha!“, polterte sie theatralisch, entlockte Sasuke ein Lächeln – und dann verschwand er tatsächlich. Sakura sah ihm nach, bis er im Aufzug verschwunden war, dann schloss sie gewissenhaft die Eingangstür. Ihr Blick fiel auf die Einkaufstüten, die sie all die Tage hier bei Sasuke hatte stehen lassen. Ob er wohl neugierig geworden war? Nein, bestimmt nicht. Sakura seufzte tief, packte die Tüten und trug sie ins Wohnzimmer. Es war Zeit, die Geschenke einzupacken. Geschenke… Sakuras Gedanken glitten zurück zu Sasuke, als sie sich auf die weiche Couch fallen ließ und ihre Augen zur Skyline Osakas huschten. Sasuke hatte bestimmt nur eine Kleinigkeit besorgt, weil sie weihnachtsfanatisch war und weil er sie wirklich, wirklich liebte und ihr eine Freude machen wollte. Sakura lächelte und begann glücklich vor sich hin zu summen, als sie neues Geschenkpapier aus einer der Tüten zog. Weihnachten konnte kommen. Uchiha Sasuke lehnte im Fahrstuhl an der Wand und ließ seine Hand in die Innentasche seines Mantels gleiten. Er mochte Weihnachten nicht. Krampfhafter Frieden war kein Frieden, sondern Heuchelei, an einen Gott glaubte er nicht und Geschenke zu kaufen war anstrengend. Er tat dieses Jahr bloß Sakura den Gefallen mit seinem Präsent zu warten, weil sie Weihnachten liebte, weil sie gerne einkaufte, weil sie gerne überrascht wurde, weil sie vor Liebe überschäumte und er sie gerne so sah… und weil sie verdient hatte, dass er ihr Wünsche erfüllte. Niemand hatte sich jemals so um ihn gekümmert, wie sie das tat. Niemand. Sasukes Finger bekamen die kleine, samtene Schatulle zu fassen und er zog sie aus der Innentasche hervor. Locker öffnete er sie mit seinem Daumen und betrachtete den schlichten Silberring mit geschickt eingebetteten Diamanten versunken. Nein, er musste nicht auf Weihnachten warten um eine Gelegenheit zu finden, ihr diesen Ring zu schenken und sie für immer an sich zu binden, um ihr ein für alle Mal zu beweisen, dass sie das Allerwichtigste in seinem Leben war. Als der Fahrstuhl mit einem Pling im Erdgeschoss hielt, klappte Sasuke die Schatulle zu und lächelte. Er tat so viel nur für sie. Weihnachten konnte kommen. Owari~ Frohe Weihnachten... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)