Schlaflos von Cookie-Hunter (Der Albtraum endet nie...) ================================================================================ Kapitel 23: Fallen ------------------ Mit einem schlechten Gewissen fuhr Die abends nach Hause. Er hatte sich Toshiyas Worte mehrfach durch den Kopf gehen lassen und war dann zu dem Entschluss gekommen, dass er wirklich übertrieben hatte. Zumindest ein bisschen. Ein ganz kleines bisschen. „Hallo Schatz“, begrüßte ihn seine Liebste im Hausflur, gab ihm einen kleinen Kuss auf die Wange. „Was bedrückt dich?“, war dann auch gleich ihre nächste Frage und strich besorgt über das Haar ihres Liebsten. „Ist im Laden irgendetwas passiert?“ Die seufzte, während er sich seiner Jacke und seiner Schuhe entledigte, ihr schlussendlich antwortete: „Ich hab mich mit Kyo gefetzt.“ „Inwiefern 'gefetzt'? Habt ihr mit Gegenständen nacheinander geworfen?“ Daisuke schüttelte langsam den Kopf. „Nicht ganz. Ich hab nur... Und dann hab ich...“ Er schlang seine Arme um seine Verlobte, drückte sie ganz fest an sich. „Ich hab Angst, dass er uns wieder entgleitet.“ Völlig fertig von diesem Tag kam Toshiya abermals nach Hause. Den Gitarristen hatte er die letzten Stunden einfach bei den Gitarren sitzen und spielen lassen, damit er sich wieder beruhigte. Gedanklich war er die ganze Zeit hier und er hoffte jetzt noch, dass er nur einen äußerst nachdenklich Kyo vorfinden würde. Einen, der sich, rein körperlich gesehen, in einem Top Zustand befand. Vielleicht hätte er doch hier bleiben und nicht wieder in den Laden zurück fahren sollen. Denn dann würde er nicht mit so einem mulmigen Gefühl hier in seinem eigenen Flur stehen und Angst davor haben, tiefer in die eigene Wohnung vorzudringen. Er sah flehentlich zur Decke, flüsterte: „Oh, bitte. Lasst meine Bedenken unbegründet sein.“ Erst dann entledigte er sich seiner Jacke und tauschte die Schuhe. In der ganzen Wohnung war es ruhig. Beunruhigend ruhig. Beängstigend ruhig. Eine Stille, die Toshiya seit Wochen schon nicht mehr gehört hatte. Sein Weg brachte ihn direkt zum Gästezimmer. Obwohl seine größte Angst darin lag, was er dort hinter der Tür vorfinden könnte. Höflich, wie er war, klopfte er zuerst an, wartete auf eine Antwort. Wartete vergeblich. War Kyo so sehr in seine Gedanken vertieft? Hoffentlich war das der Grund. „Kyo? Ich komme jetzt rein, ja?“ Lauschend legte er ein Ohr an die Tür. Wieder keine Antwort. Ein Zittern erfasste Toshiya und auch seine Knie wurden ganz weich. Nichtsdestotrotz musste er da jetzt rein. Sollte Kyo sich wirklich etwas getan haben, dann musste er tätig werden. Tief durchatmend betätigte er die Türklinge, öffnete langsam die Tür und linste hinein. Mit einem Ruck schlug er die Tür ganz auf, sprintete zu den im Bett liegenden Kyo. Nicht, dass an einem schlafenden Kyo etwas ungewöhnlich wäre, aber ein am Boden zersplittertes Glas Wasser gepaart mit mehreren leeren Tablettenstreifen ließen in dem Musiker die Alarmglocken schrillen. „Kyo!“ Sofort zerrte er den Älteren vom Bett herunter, ungeachtet der Scherben. Er schleifte ihn zur Mitte des Raumes, brachte ihn in die Seitenlage, so wie er es mal gelernt hatte, in der Hoffnung, dass es noch nicht zu spät war. „Verdammt, was hast du jetzt nur wieder getan?“ Verzweifelt rannte Toshiya zum Telefon, wählte den Notruf. Abgehetzt und kreidebleich traf Kaoru im Krankenhaus ein. Im Eingangsbereich fand er auch gleich Shinya und Toshiya vor, die mit gesenkten Köpfen dasaßen. „Toshiya.“ Selbiger sah auf. Die Augen rot und verquollen. Das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. „Was ist mit Kyo?“ „Sie -“, er brach ab, richtete seinen Blick wieder nach unten, „Sie pumpen ihm gerade den Magen aus. Das waren Schlaftabletten, die er da genommen hat.“ Toshiyas Stimme wurde brüchig und man konnte regelrecht hören, dass ihm bereits wieder die Tränen in den Augen standen. „Harmlose... schwache Tabletten, aber...es war definitiv ein Selbstmordversuch.“ Also genau das, was Kaoru hatte nicht hören wollen. „Scheiße“, fluchte er und ließ sich auf einem der Sitze nieder, seufzte. Das gab es doch nicht. Wieso um alles in der Welt ging es mit Kyo so dramatisch bergab? Da musste es doch irgendeinen Auslöser geben. Nur was? „Wo ist eigentlich Die?“ „Der kommt nicht“, antwortete Shinya. „Er ist am Telefon zusammengebrochen, als er es gehört hat. Jetzt gibt er sich die Schuld dafür, dass es so weit gekommen ist.“ „Und das denkt er, weil..?“, fragte Kaoru und sah von einem zum Anderen. Toshiya fing an herum zu drucksen: „Eto... Das war so... Angefangen hat es damit, dass...“ Und so erzählte er dem Älteren stockend, was an diesem Nachmittag im Musikgeschäft vorgefallen war. Gleichzeitig machte er sich große Vorwürfe, dass er den guten Freund alleine gelassen hatte. Er war sich in dem Moment nur so sicher gewesen, dass Daisuke ihn mehr gebraucht hatte, als Kyo. „Warum macht er es sich nur so schwer?“, seufzte Kaoru. „Er bettelt ja geradezu darum wieder in den Knast zu gehen. Zu büßen.“ Einstimmiges Nicken der anderen Beiden. Vor ein paar Wochen, als sie bei Kaoru gesessen und den Anruf bekommen hatten, da hatten sie die Sonne aufgehen sehen. Da haben sie alle gedacht, dass alles wieder normal wird. Und wenn man dann daran dachte, wie gut Kyos Rückkehr am Anfang verlaufen war... Shinya schluckte den Kloß in seinem Hals herunter, unterdrückte die aufkommenden Tränen immer wieder aufs Neue. „Wir hätten ihn nicht so schnell wieder zum Singen bringen sollen. Ich denke, das war unser Fehler.“ „Sag das bloß nicht Dai. Dann fängt er nur an sich noch schuldiger zu fühlen. Im schlimmsten Fall tut er sich auch noch was an.“ Wenn Kaoru daran dachte, wie sehr der andere Gitarrist darauf gepocht hatte... Das würde nur ein Dilemma werden. Ihr weitaus größeres Problem war derzeit nur: Was machten sie mit Kyo? Am Sichersten wäre er ja hier, zwischen all den Ärzten und Pflegern, die rund um die Uhr ein Auge auf ihn haben konnten. Denn, wer garantierte ihnen, dass er nicht noch einen zweiten Versuch startete? Auf jeden Fall sollten sie erst einmal das Gespräch mit dem Kleineren suchen, der ganzen Sache ein wenig auf den Zahn fühlen. Eine junge Dame kam auf sie zu, stellte sich ihnen als Tomoyo Naoto vor. Die Ärztin, die für Kyo zuständig war. „Zur Zeit ist Niimura-sans Zustand stabil. Aufgrund der Sedierung schläft er im Moment. Zudem haben die Tabletten natürlich ihre Wirkung gezeigt. Akute Lebensgefahr bestand nicht, dennoch bereitet mir die Tatsache, dass er etwas Derartiges getan hat große Sorgen. Sie wissen nicht zufällig einen Grund für sein Handeln?“ Forschend sah sie von einem Mann zum anderen, welche sich untereinander mit mulmigen Blicken unterhielten. Schließlich antwortete Kaoru, ganz in seiner Rolle als Leader, zerknirscht: „Nun, für die Antwort müssen wir ein paar Jahre zurück in die Vergangenheit, um Ihnen die Gründe verständlich zu machen.“ Und er wollte heute nur sehr ungern über Kyos Vergangenheit reden. Die Ärztin schien zu überlegen, schürzte die Lippen, meinte dann, mehr zu sich selbst, als an irgendwen sonst: „Dann ist er also tatsächlich der Niimura-san.“ Sie hob den Blick. „Hab ich recht?“ „Wenn sie mit der Niimura-san den Sänger von Dir en Grey meinen, der wegen einer Straftat ins Gefängnis musste, dann ja“, erklärte Kaoru wahrheitsgemäß. „Ich hab es mir gedacht. Obwohl ich dadurch immer noch nicht weiß, was der Auslöser war.“ Kaoru seufzte. Es half ja alles nichts. Kyo konnte nur geholfen werden, wenn man alles erzählte. Das kannten sie ja bereits. Das Erste, was er dachte, als er den Geruch und die Geräusche um sich herum wahrnahm, dass er einen langen, komplizierten Traum gehabt hatte. Dass Ayaka ihn nicht so sehr drangsaliert und er sich gerade erst von Shinya verabschiedet hatte. Aber irgendwer musste die Lampe ausgetauscht haben. Die surrte nicht mehr so nervtötend. Nur: Warum fühlte er sich so schlapp? Er hatte doch so lange geschlafen. Träge öffnete er die Augen und Verwirrung machte sich in ihm breit. Das gesamte Zimmer sah anders aus. War er am Ende verlegt worden, während er sich in diesem seltsamen Traum befunden hatte? Damit hätten sie ja nun wirklich warten können, bis er wach war. Die Tür öffnete sich und als Kyo nachsah, wer ihn da besuchen kam, konnte er nicht anders, als die Augen weit auf zu reißen. Nein, er hatte nicht geträumt. Kaoru, Toshiya und Shinya sahen genau so aus, wie er sie in seinem 'Traum' gesehen hatte. Nur mit den Nerven noch ein wenig mehr am Ende. Verdammt. „Hey, bist ja doch schon wieder wach“, lächelte Shinya schwach, während Toshiya so aussah, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. Nur Kaoru, der sich neben ihn gestellt hatte, blickte ihn nahezu emotionslos an. Bis er ihm eine derbe Kopfnuss verpasste. „Dafür, dass du so ein absoluter Volltrottel bist. Als ob es irgendwem besser gehen würde, wenn du dir das Leben nimmst.“ Sich über die schmerzende Stelle reibend, betrachtete er verlegen die Bettdecke, setzte sich halbwegs aufrecht hin. „Ihre Familie würde sich freuen.“ „Und wir?“, fauchte Kaoru. „Was ist mit uns Vieren? Was ist mit deinen Kollegen im Laden?“ „Nobu hat vorhin angefangen jämmerlich zu weinen. Er hatte mich angerufen, weil er sich auch Sorgen um dich gemacht hat.“ Ein weinender Nobu? Das ergab in Kyos Ohren keinen Sinn, hatte er doch nur dessen lachendes oder schmollendes Gesicht in Erinnerung. „Dann wären da noch Akio und vor allem die kleine Nanami. Stell dir vor, sie würden nie wieder lachen können, weil sich ihr Lieblingsonkel umgebracht hat.“ Ein Gedanke, der Kyo einen Stich ins Herz trieb. Die kleine Nanami, die dieses wunderschöne Lachen hatte, dass einem ganz warm wurde. Nein, das könnte er niemals verantworten. „Vergiss nicht, Sachiko-kun“, warf Toshiya ein. „Die wäre am Boden zerstört.“ „Und die Liste könnte ich jetzt noch mal mit ungefähr zwanzigtausend weiteren Namen fortführen“, ergänzte Kaoru. Zwanzigtausend? Ungläubig sah Kyo zu dem Älteren. Wie kam dieser denn jetzt bitte schön auf diese Zahl? Aber bevor jener fortfuhr, zog er sich einen Stuhl heran. Die Nachricht, die er jetzt hatte, war selbst für ihn noch so überwältigend. „Ano... Wie fange ich das jetzt am Besten an?“ Hilfesuchend sah er zu den beiden Freunden, die aber nur betreten weg sahen. Kyos Blick wanderte von einem zum Anderen. Wieso wussten die Bescheid? Schließlich ergriff Shinya das Wort. „Nach... nach deinem kleinen 'Auftritt'... im Shop...“ „Da waren doch so viele Presseleute, erinnerst du dich?“, warf Toshiya an, woraufhin Kyo schwach nickte, immerhin hatte er die gar nicht wirklich wahr genommen. Kaoru seufzte, erzählte dann weiter: „Die haben, ganz wie sie sollten, über den Auftritt von 'Sugar Nightmare' berichtet. Aber eben nicht nur...“ In Kyos Kopf ratterte es emsig, dann weiteten sich seine Augen. Dann wurde sein Zusammenbruch publik gemacht? Fragend, aber auch zutiefst geschockt sah er in die Ruhe, bekam von jedem ein bestätigendes Nicken. „Es fanden sich ziemlich viele Artikel. Aber wir hielten es für das Beste, sie von dir fern zu halten.“ Kaoru sah entschuldigend zu dem Jüngeren, versuchte schon einmal abzuwiegeln, wie dieser noch auf den eigentlichen Kracher reagierte. Toshiya lachte kurz auf. „Du kannst dir vorstellen, wie schwer es ist Nobu dazu zu bringen etwas für sich zu behalten.“ Kyo nickte. Ja, das konnte er sich vorstellen. Wobei es wirklich an ein Wunder grenzte, dass der kleine Flummi das bis jetzt durchgestanden hatte. „Dôshite...?“ „Damit du dich nicht unter Druck gesetzt fühltest“, antwortete der Gitarrist. „Du glaubst gar nicht, wie oft die Frage auftauchte, ob es jetzt zu einem Comeback von Dir en Grey käme.“ „Und die zwanzigtausend“, sagte Shinya und lächelte schief, „das sind die Zuschriften von... von Fans. E-Mails, Briefe, ganze Päckchen sind teilweise bei Kaoru im Label eingetroffen.“ Dieser nickte bestätigend. „Alle mit ein und der selben Aussage.“ Kyo nickte. „Ich soll singen.“ Zwanzigtausend. Zwanzigtausend Menschen da draußen wollten, dass er sich wieder auf eine Bühne stellte und für sie sang. „Zwanzigtausend...“ Der Älteste holte einmal tief Luft, räusperte sich. „Was?“, hakte Kyo nach. Eine derartige Geste machte der andere schließlich nicht ohne Grund. Antworten übernahm jedoch Toshiya: „Das sind nur die Zuschriften, die in den ersten drei Tagen nach erscheinen der Berichte eingetroffen sind.“ „Und auch nur die aus Japan.“ Sprachlos und mit offenem Mund sah Kyo Shinya an, dann wanderte sein Blick weiter. Die wollten ihn doch auf den Arm nehmen. Aber natürlich. Warum sollte das auch der Wahrheit entsprechen? Anderseits waren sie seine besten und engsten Freunde. Es gab keinen Grund für sie zu lügen. Nicht, wenn sie solche Gesichter zogen. Nicht, wenn sie sich in einer Situation wie dieser befanden. Und beinahe hätte er all diese Menschen ins Unglück gestürzt, weil er so dumm und schwach war. Kurz versteckte er sein Gesicht hinter seinen Händen, versuchte sich zu sammeln, dann fuhr er sich durch die Haare, sah einmal durch den Raum und blieb an Ayaka hängen. Spöttisch erwiderte sie seinen Blick. „Sumimasen“, flüsterte er. „Pah“, sie wandte ihr Gesicht von ihm ab, wirkte jedoch nicht mehr ganz so überheblich. „Sag mir das ins Gesicht, wenn du dich traust.“ Ins Gesicht? Aber das hatte er doch gerade, oder nicht? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)