Tendency von DieJESSYcA ================================================================================ 005 --- Nicht alles Vollpfosten. Tyler hatte von Junes Schlafschwierigkeiten nichts mitbekommen. Kaum hatte er im Bett gelegen, war er auch schon eingeschlafen. Für einen Vampir hatte er einen ungewöhnlich tiefen Schlaf, schließlich konnte man leicht aufwachen, wenn man so viel besser hörte, als ein Mensch, nur Tyler eben nicht. Einige Stunden später, wachte er von ganz alleine auf, streckte sich und bequemte sich gemütlich aus dem Bett. Für einen kurzen Moment hatte er June vergessen, doch die Erkenntnis, dass das kein Traum gewesen war, traf ihn wie ein Hammerschlag, als er sie unten auf dem Sofa liegen sah. Ja, schade... Er seufzte leise und ging die Treppen nach unten, um in der Küche erstmal die Kaffeemaschine einzuschalten. Bekloppte Angewohnheit. Er hatte irgendwann damit angefangen und kam einfach nicht mehr davon los. Andererseits hatte er das auch gar nicht vor. Der Geruch von frischem Kaffee stieg ihm in die Nase. Herrlich. Er wartete ruhig neben der Maschine, bis sein Kaffee durchgelaufen war, dann schnappte er sich die Tasse und ging rüber ins Wohnzimmer. "Mach Platz", er schubste June leicht, damit sie aufwachte und er sich aufs Sofa setzen konnte. Sie schreckte hoch. "Was?", kam es noch etwas verschlafen von ihr, "... Ach ja..." Ihr Blick war enttäuscht an Tyler hängen geblieben. Offenbar nicht das, was sie sich zu sehen gewünscht hatte und Tyler war das nicht entgangen: "Sorry." Sie rührte sich nicht. "Würdest du dann?", er bewegte seine Hand kurz hin und her, dass sie rutschen sollte. "Das ist meine Couch! Setz dich auf den Hocker!", entgegnete sie ihm stur. "Deine Couch?", er sah sie ungläubig an. Langsam aber sicher machte sie ihn wahnsinnig, "Ich glaube, du hast sie nicht mehr alle", brummte er genervt, packte ihre Beine und schob diese zur Seite. Er nahm Platz und schaltete den Fernseher ein. "Ey! Du sollst mich nicht anfassen!", June schnaubte genervt, als sie so unsanft verdrängt wurde, "Und du brauchst gerade was sagen! Hast wohl heute noch nicht in den Spiegel gesehen. Da würde dir bestimmt jemand zurückwinken, der selbst nicht mehr alle Nadeln an der Tanne hat." Sie stand wütend auf, warf ihm die Decke über den Kopf und dampfte mit ein paar frischen Klamotten nach oben ins Bad. Es hatte nicht mehr viel gefehlt und die Kaffeetasse wäre einfach in Tylers Hand zerborsten, nachdem er sie gerade noch vor der Decke in Sicherheit bringen konnte. Zähneknirschend zog er den Stoff von seinem Kopf und atmete tief durch. Es hatte überhaupt keinen Sinn, sich mit ihr zu streiten und er wollte sich auch nicht schon so früh aus der Ruhe bringen lassen. Irgendwann würde sie schon von alleine aufhören, oder er würde sie los sein, eins von beidem. Jedenfalls würde er sich bis dahin nicht wieder von ihr provozieren lassen und da sie nun oben im Bad war, konnte Tyler ganz in Ruhe seinen Kaffee genießen und dabei fernsehen. June ließ sich reichlich Zeit im Bad. Umso besser für Tyler. Nachdem der Kaffee getrunken war, blickte er kurz auf seine Uhr. Er ging zur Fensterfront und ließ die Rollläden ein Stück hoch, um zu prüfen, ob die Sonne schon untergegangen war. Keine Gefahr. Die Rollos konnten komplett hochgefahren werden und Tyler ging nach draußen auf seinen Balkon, um frische Luft zu schnappen. Eine leichte Brise wehte über die dunklen Holzdielen, auf denen er stand. Tyler hielt sich gerne hier draußen auf, wenn der Himmel noch hell war, oder auch, wenn er keine Lust hatte durch die Clubs zu streifen. Es war erstaunlich warm für diese Jahreszeit, etwa 15 °C, wenn ihn sein Gefühl nicht täuschte. Ideales Wetter, um leicht bekleidete Damen aufzugabeln. Theoretisch zumindest, schließlich hatte er momentan ein anderes Problem, das gelöst werden wollte. Und so wie es sich anhörte, machte sich dieses Problem gerade ebenfalls einen Kaffee. Er ließ seufzend den Kopf hängen. Am liebsten würde er Alexander dafür den Hals umdrehen, dass er ihm das antat, nur war das schon rein technisch kaum machbar. Alexander würde ihn ausgeknockt haben, bevor er überhaupt in die Nähe seines Halses gekommen wäre. Trotzdem würde er mit ihm reden müssen, am besten gleich heute. Er zog sein Handy aus der Hosentasche und schrieb seinem Meister eine Nachricht, dass er ihn heute besuchen kommen würde. Alexander konnte sich sicher denken, was der Anlass war. Schließlich kannte er seinen Schüler und wusste ganz genau, dass diese Aufgabe nicht im Geringsten nach seinem Geschmack war. Tyler wandte sich wieder dem Wohnzimmer zu, blieb in der Balkontüre stehen und musterte June, die mit Kaffeetasse auf dem Sofa saß. Sie würdigte Tyler keines Blickes, hatte aber noch etwas loszuwerden: "Und? Was läuft jetzt?" "Wir gehen Alexander besuchen. Er soll sich ein Bild von dir machen", antwortete Tyler trocken und kam wieder nach drinnen, "Wenn er sieht wie penetrant du bist, wird er hoffentlich seine Meinung ändern, was diese Sache hier betrifft." "Penetrant?", wiederholte sie seine Worte, "Hätte nicht gedacht, dass sich das in deinem Wortschatz befindet", sie senkte die Tasse in ihren Schoß und musterte ihn abwertend, "Arrogant. Stur. Eigensinnig", zählte sie ein paar Charaktereigenschaften auf, "Und extrem nervig!", dann trank sie noch einen Schluck, "Was du über mich denkst, interessiert mich übrigens kein Stück." Tyler hob leicht die Augenbrauen, als sie ihn charakterisierte. "Mh-hm", er lächelte leicht, "Dafür, dass du nichts mit mir zu tun haben willst, hast du dir ganz schön viele Gedanken über mich gemacht", und er wollte noch nicht mal abstreiten, was sie gesagt hatte, "Mir soll's recht sein. Von mir aus kannst du denken was du willst", er zuckte mit den Schultern, "Wenn's dir Spaß macht." June kommentierte das nicht mehr, sie richtete ihre Aufmerksamkeit stattdessen lieber wieder auf ihre Tasse. Nur kurz wurde ihr Blick nochmal zurück auf Tyler gelenkt, als dessen Handy klingelte. "Oh", Tyler sah auf das Display, er hatte eigentlich eine Nachricht von Alexander erwartet, doch sie stammte von Aaron: »Cat und ich sind auf dem Weg zu dir« "Ich bekomme Besuch", informierte er June noch kurz, dann verschwand er nach oben. Er wollte noch schnell duschen, bevor die Beiden hier aufschlugen. June sah ihm kurz hinterher. Besuch? Sie war nicht ganz sicher, was sie davon halten sollte. Ob womöglich noch mehr von dieser Spezies Vollpfosten hier auftauchen würden, oder ob es eine Bettgeschichte war, wegen der er sich jetzt so eilig ins Bad begeben musste? Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Kerl nette Freunde haben könnte, ging dramatisch gegen Null. Aber sie würde sich überraschen lassen und demjenigen – wer auch immer da kommen würde – vorurteilslos gegenübertreten. Das war der Plan. Sie zog ihr Handy hervor und atmete tief durch. Es war lautlos. 73 Anrufe in Abwesenheit, 20 Nachrichten. Und alle paar Minuten kamen neue hinzu. June fühlte sich auf einen Schlag unfassbar schuldig, wie von einer Dampfwalze überrollt, auch wenn sie sich die Situation nicht ausgesucht hatte. Gerne hätte sie ihre Mutter oder Miranda zurückgerufen, einfach nur um deren Stimmen zu hören, doch ihr war klar, dass die beiden bemerken würden, dass es ihr nicht mal ansatzweise so gut ging, wie sie geschrieben hatte, wenn sie sie hören würden. Sie wollte nicht am Telefon in Tränen ausbrechen, schon gar nicht, wenn Tyler praktisch jedes Wort mithören konnte, also beschränkte sie sich darauf, dass sie beiden nur kurz schrieb, dass alles okay war, und ihr Handy dann abschaltete. Der Kloß in ihrem Hals drückte gefährlich auf ihre Luftröhre. Sie musste kurz raus, sich beruhigen. — "Wir müssen noch kurz bei mir vorbei", erklärte Cathlyn, als Aaron die Türe zu seiner Wohnung zugezogen hatte, "Ich brauche unbedingt noch frische Kleidung!" Aaron nickte. Er warf noch einen kurzen Blick auf sein Handy: Noch immer keine Rückmeldung von Tyler. Auch gut. "Von mir aus. Liegt ja auf dem Weg", er zuckte knapp mit den Schultern. Praktischerweise lag Cathlyns Wohnung sogar ziemlich genau zwischen seiner und Tylers, also musste er nur hoffen, dass Cathlyn nicht Stunden brauchen würde, um sich umzuziehen. Ansonsten würde der kleine Abstecher nicht all zu viel Zeit in Anspruch nehmen. "Schade, dass du kein Auto hast...", seufzte Cathlyn, während sie den Gehweg entlangliefen, "Wäre jetzt nicht schlecht." "Seit wann das?", entgegnete er ihr, "Ohne bist du doch viel schneller. Wenn du willst." Sie murrte leise: "Eben. Wenn ich will. Gerade will ich aber nicht." Aaron verdrehte leicht die Augen, wollte ihr jetzt aber auch keine Predigt halten. "Ich für meinen Teil laufe jedenfalls gerne. Lieber als zu fahren", fügte er nur noch hinzu. Cathlyn winkte ab: "Schon okay. Nächstes Mal parke ich meinen Wagen einfach bei dir, wenn ich wieder feiern gehe. Problem gelöst." Sie grinste zufrieden und schlenderte weiter über den Asphalt. Eine halbe Stunde gemütlichen Fußweges später, hatten sie Cathlyns Wohnung erreicht. Aaron machte es sich in ihrem definitiv sehr weiblich dekorierten Wohnzimmer zwischen einigen weichen Kissen auf dem Sofa gemütlich. Nicht unbedingt die Art und Weise, wie er es zu wohnen bevorzugte. Zu viel Klimbim und zu wenige Bücher. Trotzdem wohnlich und für einen längeren Aufenthalt geeignet. Sofern erforderlich. Und danach sah es momentan leider auch aus. "Cat? Wie lange brauchst du noch?", rief er in Richtung Schlafzimmer, in welches sie verschwunden war, "Du bist schon fast 20 Minuten da drin! Was treibst du?" "Immer mit der Ruhe!", antwortete sie und kam in frischer Unterwäsche, mit Lippenstift in der Hand, ein Stück ins Wohnzimmer, "Ich brauche eben meine Zeit. Oder willst du, dass ich so mitkomme?" Sie sah ihn fragend an. Aaron überlegte kurz. Er musterte sie in der schwarzen Spitze und antwortete schließlich: "Glaube nicht, dass Tyler sich daran stören würde", er schmunzelte, "Könnte allerdings etwas kühl werden." "Oh haha. Habe gar nicht mitbekommen, dass du heute einen Clown gefrühstückt hast", sie verzog kurz das Gesicht und verschwand zurück in ihr Schlafzimmer, wo sie sich in aller Ruhe fertig machte. Aaron musste wohl oder übel warten, aber das war nicht ihr Problem. Sie schlüpfte in eine enge, schwarze Hose, verschloss die Knöpfe ihrer weißen Bluse und stöckelte zurück ins Wohnzimmer. "Okay, jetzt können wir weiter", verkündete sie zufrieden. Aaron erhob sich vom Sofa und betrachtete Cathlyns Werk kurz. "Also wenn du mich fragst", er deutete auf ihr Gesicht, "hast du diesen ganzen Anstrich gar nicht nötig." "Ich frage dich aber nicht", antwortete sie nur mit einem Lächeln und wandte sich zur Türe, "Kommst du?" Sie ließ sich von derlei Kommentaren nicht beeinflussen und es interessierte sie auch nicht. Abgesehen davon, war ihr Make-Up, im Vergleich zu manch anderer, noch sehr dezent. "Hoffentlich ist der Kerl überhaupt zu Hause", sagte Cathlyn, nachdem sie einige Meter in Richtung Tylers Wohnung hinter sich gebracht hatten, "Nicht, dass er sich sonstwo herumtreibt." "Wo soll er denn um diese Uhrzeit sein?", er sah sie fragend an, "Ich glaube kaum, dass er den Tag bei irgendeinem Betthäschen verbracht hat." Cathlyn nickte: "Auch wahr. Dafür ist er nicht der Typ." Und das aus mehreren Gründen. — "June?", Tyler kam wieder herunter. Das Wohnzimmer war leer. Er sah sich kurz um und sein Blick fiel auf die offene Balkontüre. "June! Hierher!", rief er etwas lauter und es dauerte nicht lange, da stand sie wieder in der Türe. "Was willst du?", maulte sie genervt, "Ich bin kein Hund, okay?!" "Ja, das ist mir klar. Hunde sind einfacher zu hüten", entgegnete er, ging zu ihr rüber und zog die Balkontüre hinter ihrem Rücken zu. Zur Sicherheit. "Wie stellst du dir das überhaupt vor? Muss ich jetzt ewig bei dir rumhocken?", sie ließ sich nicht von ihm einschüchtern, "Darauf kann ich nämlich verzichten." Tyler stützte sich ruhig mit der Hand an den Türrahmen und sah June einen Moment lang schweigend an, als würde er Angst oder zumindest Unsicherheit in ihren Augen suchen. Doch da war nichts dergleichen. "Denkst du, ich habe da Bock drauf?", fragte er schließlich, "Sicher nicht. Und wenn du mir nicht die ganze Zeit auf die Nerven gehen würdest, könnte ich mir vielleicht auch überlegen, wie ich das Problem lösen kann." "Von Wegen", sie schnaubte, "Als ob ich etwas dafür könnte, dass dein Hirn nicht funktioniert." June unterbrach den Blickkontakt, ging an ihm vorbei und setzte sich mit verschränkten Armen aufs Sofa. Tyler atmete entnervt aus. Dann klingelte es. Er löste sich augenblicklich vom Balkon und ging zur Wohnungstüre. "Dein Glück, dass sie schon da sind", meinte er noch leicht brummend, als er am Sofa vorbeiging und den Türöffner betätigte. Andernfalls hätte die Situation gut und gerne auch weniger harmlos ausgehen können. Tyler verschwand im Treppenhaus und wartete auf seine Freunde. Er war froh zur Abwechslung mal wieder zwei freundliche Gesichter zu sehen. "Hey, kommt rein", begrüßte er die beiden, als sie die Stufen heraufkamen, "Und nicht erschrecken." "Nicht erschrecken? Wen hast du umgebracht?", war Cathlyns erste Reaktion, "Aber freut mich auch, dich zu sehen." Auch Aaron war infolge dieser Warnung doch leicht irritiert: "Alter, was meinst du?" Tyler sagte nichts, er winkte die beiden nur ins Wohnzimmer durch, damit sie es sich selbst ansehen konnten. June saß natürlich noch immer drinnen auf dem Sofa, und hatte sich nicht verzogen, wie Tyler es sich gewünscht hätte. "Schaut's euch an", sagte Tyler nur knapp, als er die Türe hinter seinen Freunden schloss. "Willst du mich jetzt verarschen?", Aaron klang schockiert, "Du lässt unsere Verabredung mit zwei Frauen für ein One-Night-Stand sausen?", er sah ihn fassungslos an, "Bist du krank, oder sowas?" Tyler musste unweigerlich lachen, auch wenn es eher nach Galgenhumor klang. "Schön wär's. Aber nein, das ist kein One-Night-Stand. Das ist der Stress, von dem ich geschrieben habe, den Alexander mir aufgebrummt hat", er seufzte und verschränkte die Arme, "Ich soll mich um sie kümmern, weil ihr Meister verschwunden ist." "Warte, warte, warte!", Cathlyn unterbrach das Gespräch der Jungs, nachdem sie June eine Weile beäugt hatte, "Du musst Babysitter spielen?", sie sah Tyler trocken an, konnte sich das Lachen aber nicht lange verkneifen und brach dabei schier in Tränen aus. Mit dieser Reaktion hatte Tyler schon gerechnet. Schadenfreude war wohl eine ihrer Stärken. Allerdings hatte auch Aaron damit zu kämpfen, nicht zu lachen. Er klopfte seinem Kumpel mitfühlend auf die Schulter. "Oh Mann, Alter", sagte er mit erzwungenem Ernst, "Was hast du nur angestellt, dass Alexander dir sowas aufbrummt", er zeigte auf June, " Du tust uns echt Leid. Ehrlich." Eine leichte Ironie schwang unüberhörbar in Aarons Stimme mit. Sicher war diese Situation einiges an Mitleid wert, nur beinhaltete sie eben auch eine unschlagbare Komik, dass ausgerechnet Tyler nun offenbar einen Schüler hatte. "Ihr wisst schon, dass ich alles höre, was ihr sagt", mischte sich nun auch June in die Unterhaltung ein. Die abfälligen Bemerkungen waren ihr nicht entgangen, nur schien das die anderen nicht im geringsten zu stören. Tyler fuhr fort, ohne auf Junes Kommentar einzugehen: "Genug gelacht jetzt", er sah Cathlyn ernst an, bis diese sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, "Das hier ist ein echtes Problem." Im Grunde konnte er es seinen Freunden nicht verdenken, dass sie sich darüber amüsierten. Er hätte wohl genauso reagiert, wenn er nicht der Angeschmierte gewesen wäre. Trotzdem. Es musste eine Lösung her. June hatte sich inzwischen vom Sofa erhoben und war zu den Dreien herübergekommen, um ihr Anliegen noch einmal vorzubringen: "Würdet ihr wohl aufhören, mich als Problem zu bezeichnen? Ich habe mir das auch nicht ausgesucht!" Tyler, Cathlyn und Aaron verstummten kurz. Deren Augenpaare richteten sich zum Teil genervt, zum Teil verblüfft auf die junge Frau, die sich so resolut vor sie gestellt hatte. Cathlyn räusperte sich kurz und ergriff als Erste wieder das Wort: "Will die uns gerade Vorschriften machen?" Sie hatte sich an Tyler gewandt, der allerdings nur mit den Schultern zuckte und die eben demonstrierte zweite Problematik aufgriff: "Nicht genug, dass ich überhaupt auf einen Jung-Vampir aufpassen muss. Nein. Wie ihr seht, ist sie auch noch die nervigste Person, die man sich überhaupt vorstellen kann." Tyler schnaubte leise. Für gewöhnlich entledigte er sich seiner nervenaufreibenden Bekanntschaften immer recht schnell wieder, ohne dass sie ihn in den Wahnsinn treiben konnten, nur ging das diesmal nicht so einfach. Aaron nickte und auch Cathlyn hatte ihre Fassung wieder gefunden. "Und dann ist sie noch nicht einmal sonderlich attraktiv", fügte er schließlich noch hinzu, wenngleich das eher nebensächlich war. "Was?!", June sah ihn sauer an, doch er ging nicht darauf ein. Cathlyn schmunzelte leicht und schielte kurz rüber zu June, bevor sie etwas dazu beitrug: "Du machst dir Gedanken darüber, dass sie nicht attraktiv ist?" Aaron schüttelte den Kopf auf diese Aussage hin: "Hast du nicht gerade ein größeres Problem?" "Also ich denke, ich könnte auf jeden Fall etwas aus ihr machen", fügte Cathlyn noch hinzu, während sie sich June nochmal genauer besah. "Wie bitte?!", June verschränkte die Arme vor der Brust, "Also die Mühe kannst du dir sparen! Dieser Kerl ist es überhaupt nicht wert." Cathlyn hob resigniert die Hände. "Da hat sie ausnahmsweise Recht, Cat", stimmte Tyler zu, "Das wäre Verschwendung. Aber egal. Ich habe in der Tat größere Probleme", er atmete tief durch, "Ich werde später mit ihr zu Alexander gehen, und versuchen ihn umzustimmen." "Du willst Alexander umstimmen?", Aaron sah ihn skeptisch an, "Na dann, viel Glück." June hatte sich inzwischen wieder einige Schritte zurückgezogen und lehnte an der Rückseite der Couch, während sie die Unterhaltung der Drei verfolgte. "Eben", fuhr Tyler fort, "Alexander ist nicht leicht umzustimmen. Deswegen habe ich einen Plan B." "Und der wäre?", Cathlyn sah ihn fragend an, nicht ganz sicher, ob dieser Plan eine durchschlagende Wirkung haben würde. "Wir treiben ihren echten Meister auf", antwortete Tyler knapp, "Und ich meine WIR, nicht ich." Cathlyn war soeben das Lachen aus dem Gesicht gefallen. Keine Aufgabe für eine Lady. Auch June schien nicht begeistert: "Oh ja, tolle Idee Tyler", sie schnaubte abfällig, "Dann finde denjenigen mal in einer Stadt wie dieser. Ich habe nämlich überhaupt keine Ahnung mehr, wie der Kerl überhaupt aussah. Filmriss. Bei mir ist alles weg." "June, halt einfach den Mund, wenn du nichts hilfreiches beizutragen hast", fuhr Tyler sie an, wofür er sich einen ziemlich bösen Blick einfing, was ihn allerdings nicht weiter interessierte. Er wandte sich stattdessen wieder an Cathlyn und Aaron, "Also? Was sagt ihr?" "Und wo willst du suchen?", fragte Aaron. Er war nicht wirklich davon überzeugt, dass das funktionieren würde, "Der Typ hat sich nicht umsonst aus dem Staub gemacht. Der will nicht gefunden werden. Und jemand, der nicht gefunden werden will, setzt alles daran, dass es auch so bleibt. Das wird nicht leicht, Tyler." "Das weiß ich", Tyler war sich dessen durchaus bewusst, "Aber schätzungsweise wird es immer noch leichter sein, als diese Person hier zur Vernunft zu bringen." Auch Cathlyn hatte ihre Stimme inzwischen wiedergefunden: "Okay. Ich bin zwar nicht begeistert, aber du kannst dich auf mich verlassen", sie drehte sich in Junes Richtung, "Erinnerst du dich überhaupt an irgendwas? Wo du hingegangen bist? Das kann ja schließlich nicht alles weg sein..." Alle Augen waren nun wieder auf June gerichtet. Die ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen: "Wie bereits gesagt, ich kann mich an so gut wie nichts mehr erinnern. Ich war im CAIN's CLUB feiern, habe ein paar Drinks vernichtet und dann wird die Erinnerung schon ziemlich schwammig. Keine Ahnung. Da waren viele Kerle..." "CAIN's CLUB?", Tyler sah sie erstaunt an, "Das wundert mich jetzt." Der CAIN's CLUB war neben dem PROTOTYPE und dem DEVOUR einer der drei Clubs, die unter Alexanders Führung standen und in denen es eine strickte Hausordnung für Vampire einzuhalten galt. Offenbar war diese missachtet worden. "Gut, das wäre schon mal ein Anhaltspunkt", stellte Cathlyn zufrieden fest, "Das schränkt den Suchradius etwas ein." Tyler nickte. "Richtig, und ich werde Alexander bei dieser Gelegenheit auch gleich mal darauf aufmerksam machen, was in seinen Clubs alles ungesehen abläuft. Vielleicht hilft uns das", Tyler kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf, "Ich hoffe es zumindest." "Warten wir erstmal ab, was Alexander sagt", warf Aaron ein und sah auf die Uhr, "Melde dich einfach, wenn du mit ihm gesprochen hast. Ich gehe mir derzeit was zu essen klarmachen." Tyler nickte knapp. Immerhin hatten die beiden nicht Nein gesagt. Auch wenn es ihm deutlich lieber wäre, wenn das Gespräch mit seinem Meister zu einem positiven Ergebnis führen würde, so wusste er seine Freunde doch an seiner Seite. Cathlyn sah kurz zwischen den beiden Männern hin und her, dann ging sie rüber zu June und hielt ihr die Hand hin: "Hi, ich bin Cathlyn." June sah sie verdutzt an. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. "Eh... June", antwortete sie knapp und schüttelte Cathlyn kurz die Hand. Tyler beobachtete die Szene stirnrunzelnd. Cathlyn war ein Rätsel, aber solange sie ihn damit nicht nervte, konnte sie das gerne sein. Hin und wieder war ihre unvorhersehbare Art schließlich auch recht erfrischend. "Gut also, ich schreibe euch dann", erklärte Tyler, als er seine Freunde zur Türe begleitete. "Ja, viel Erfolg!", lächelte Cathlyn ihm noch entgegen, bevor sie mit Aaron wieder im Treppenhaus verschwand und Tyler die Türe schloss. "Wenn Alexander die beiden zusammen lässt, dann gibt es bald Tote", sagte Aaron, als er mit Cathlyn das Haus verlassen hatte, "Die können sich nicht riechen. Das geht schief. " "Ist mir auch aufgefallen", stimmte Cathlyn zu, "Hoffen wir mal, dass Alexander eine andere Lösung für die beiden parat hat." — Junes Blicke sprachen Bände, als Tyler sich wieder in ihre Richtung gedreht hatte. Am liebsten hätte sie ihn erwürgt, für all die Dinge, die er gesagt hatte, doch sie entschied sich dagegen und setzte sich stattdessen wortlos wieder aufs Sofa. Sie war stinksauer. Auch Tyler hatte nicht mehr viele Worte für sie übrig. Er verschwand kurz nach oben, holte sich eine Jacke und schrieb Alexander noch eine Nachricht, dass er sich jetzt auf den Weg zu ihm machen würde. "Wir fahren", verkündete er und nahm seinen Schlüssel von der Kommode, "Komm jetzt." June rührte sich nicht: "Nein." "Wieso nicht?", er klang erstaunlich gefasst, obgleich ihres Trotzes. "Du bist ein Arschloch und ich lasse nicht so mit mir reden", klärte sie ihn auf. "Aha." "Deine Freunde sind viel netter", fügte sie noch hinzu. "Ja, meine Freunde haben dich auch nicht an der Backe", entgegnete er recht unbeeindruckt, "Also kommst du jetzt? Je eher wir das hinter uns haben, desto eher bist du mich hoffentlich los." Sie sah ihn finster an. "Aber nur, weil ich dich loswerden will", willigte sie schließlich ein und stand auf, "Gehen wir." Sie stapfte an ihm vorbei und ging runter in die Garage. Tyler folgte ihr ohne größeren Aufstand. "Wenn du bei Alexander genauso zickig und nervig bist wie jetzt, dann sollte das ein Kinderspiel werden", meinte er ganz ruhig, als er den Motor startete, "Aber das sollte dir ja nicht all zu schwer fallen." "Er wird eher sehen, was für eine Pfeife du bist, weil du es nicht mal fertig bringst, auf jemanden aufzupassen", erwiderte sie bockig und starrte konsequent aus dem Fenster, während sie unter den hellen Lichtern der Straßenlaternen hindurchfuhren. Tylers Laune dagegen war erschreckend gut. Er wusste was passieren würde, wenn Alexander seine Meinung tatsächlich ändern sollte und die Tatsache, dass June das nicht klar war, erheiterte ihn ungemein. Seine Laune war sogar so gut, dass er, als sie angekommen waren, um den Wagen herumlief und June die Türe öffnete. Was ist denn jetzt los? Die junge Frau war sichtlich irritiert. Irgendwas war hier definitiv faul, nur wusste sie nicht was. Und Tyler verschwendete auch keine Zeit darauf, ihr irgendetwas zu sagen. Er ging geradewegs zur Haustüre, klingelte und wartete, dass ihnen Einlass gewährt wurde. Es dauerte nicht lange und die Türe öffnete sich. June blickte an dem großgewachsenen, dunkelhaarigen Mann hoch, der mit ernster Miene in der Türe stand. "Ah, Tyler. Ich habe dich schon erwartet", sagte er und musterte June für die Dauer eines Wimpernschlags, "Kommt rein." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)