Tendency von DieJESSYcA ================================================================================ 007 --- Prost und Mahlzeit "Mir war klar, dass du das nicht einfach so auf dir sitzen lassen würdest", erklärte Alexander ruhig, während er Tyler und June in sein Wohnzimmer geleitete, "Setzt euch doch." Die beiden nahmen artig auf der großen, hellen Couch Platz, Alexander ihnen gegenüber. Er fixierte Tyler, verschränkte locker seine Arme vor der Brust und fuhr fort: "Du willst mir nun sicher einige Argumente darlegen, weshalb das nicht deine Aufgabe sein sollte, nicht wahr?", er sah ihn gespannt an, "Dann leg los." Alexander lehnte sich gemütlich zurück, seine Miene war ruhig, als wartete er darauf, dass gleich eine Theateraufführung beginnen würde. Tyler nickte: "Gut", er deutete kurz auf June, "Das ist June Garcia, 26 Jahre alt, Journalistin in Ausbildung", begann er erstmal ganz sachlich. Alexander nickte nur knapp und deutete Tyler an, dass er fortfahren sollte. June dagegen beachtete er kaum. Zwar warf er ihr gelegentlich einen kurzen Blick zu, wenn sie sich bewegte, jedoch war der Großteil seiner Aufmerksamkeit auf Tyler gerichtet. June war momentan ohnehin nicht sonderlich gesprächig, sie saß stumm und mit leichter Faszination im Blick neben Tyler, welcher mit seinen Erläuterungen weitermachte: "Also die Tatsache, dass ich sie nicht gewandelt habe, ist dir bereits bekannt. Folglich habe ich eigentlich auch keinerlei Verpflichtungen ihr gegenüber", er schilderte das Ganze so objektiv wie möglich. Betteln half bei Alexander schließlich nicht im Geringsten. "Das weiß ich, Tyler", entgegnete Alexander mit seiner angenehmen, tiefen Stimme, "Du musst mir die Regeln nicht erklären." "War nur meine Einleitung", erklärte Tyler, "Der Punkt ist aber jener, dass ich mir diese Person selbst niemals ausgesucht hätte, um sie zu wandeln. Sollte es mir aber nicht zumindest freistehen zu wählen, wer mein Schüler sein soll?", Tyler hatte sich nach vorne auf seine Oberschenkel gelehnt, "Das ist schließlich eine Verpflichtung für sehr viele Jahre und das wäre mit ihr nicht mal im Ansatz eine sinnvolle Verbindung." "Eine solche Aufgabe ist niemals einfach. Das solltest du wissen", Alexander wandte seinen Blick nun an June, sprach jedoch weiter mit Tyler, "Aber sag mir, was soll an ihr so problematisch sein?" June fühlte sich irgendwie ertappt, als Alexander sie so eindringlich, aus seinen kühlen, blauen Augen heraus, ansah. Das ungewohnt stille Mädchen wandte den Blick auf die hölzerne Tischplatte und verharrte in dieser Position. Sie hörte Tyler über sie herziehen, konnte gerade aber keinen Ton der Widerrede herausbringen. "Sie ist aufmüpfig, stur und völlig unberechenbar. Es kümmert sie nicht, wenn ich ihr etwas sage und ich kann sie nicht rund um die Uhr überwachen. Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass sie nicht irgendeinen unbedachten Blödsinn anstellt, wenn ich gerade mal nicht anwesend bin. Wahrscheinlich wäre es einfacher einem Hund das Sprechen beizubringen, als dieses Mädchen zu einem anständigen Vampir zu erziehen", er klang erstaunlich gefasst, wie er so mit seinem Meister sprach, "Diese Frau will nicht, dass ich mich um sie kümmere. Es hat also überhaupt keinen Sinn, das zu versuchen." "Hm", Alexander hatte sich wieder an Tyler gerichtet. Er sah nachdenklich aus. Schwieg eine Weile. Schließlich nickte er. "Ich kann verstehen, dass du Bedenken hast", sagte er ziemlich unberührt, "Aber ich möchte, dass du dich dennoch dieser Herausforderung stellst", beinahe wären Tyler die Gesichtszüge entglitten, als Alexander das sagte, "Ich möchte, dass du Verantwortung übernimmst. Außerdem ist es eine gute Übung, um dich schon einmal mit einer solchen Situation vertraut zu machen" "Alexander, bitte", Tyler verfiel nun doch in einen eher flehenden Tonfall, "Sie ist absolut beratungsresistent. Das ist unmöglich. Ich könnte mir doch einen eigenen Schüler suchen, wenn du unbedingt willst, dass ich mich um jemanden kümmere." "Du wirst einen Weg finden. Lerne wie ein Meister zu denken und du wirst sehen, dass es mit der Zeit leichter werden wird", entgegnete er mit seiner scheinbar unerschütterlichen Gelassenheit. Tyler war dagegen ganz und gar nicht mehr locker, er sah seine Chancen mehr und mehr schwinden und setzte noch ein weiteres mal an: "Was soll ich denn tun, wenn sie wieder abhaut und dann all ihren Freunden oder ihren Kollegen von diesem Klatschblatt von unserer Existenz erzählt? Soll ich die dann alle umbringen?", er klang ein wenig verzweifelt, "Ich bin mir sicher, dass sie früher oder später irgendwas verraten wird!" "Ich werde niemandem irgendwas erzählen", mischte sich June schließlich ein und hob den Blick in Tylers Richtung, "Mir würde sowieso keiner glauben." "Es reicht ja schon aus, wenn du in der Öffentlichkeit irgendwas Dummes anstellst!", schimpfte Tyler zurück, "Das Problem ist, dass du einfach nicht auf mich hören willst!" "Weil du dich verhältst, wie der letzte Vollidiot!" "Achja?!", er schnaubte wütend, atmete dann aber tief durch, um sich zu beruhigen, "Du hast ja keine Ahnung." Dann lehnte auch Tyler sich zurück. Jedoch nicht mal ansatzweise so entspannt, wie sein Meister das tat, welcher die beiden aufmerksam beobachtet hatte. Alexander hatte sich geräuspert und die beiden waren augenblicklich still. Er trug ein leichtes Lächeln auf den Lippen, als er fortfuhr: "Ich sehe keinen Grund, warum du hier gleich das Handtuch werfen solltest, Tyler. Sicher, sie ist nicht unbedingt die kooperativste Schülerin, aber du warst auch nicht immer einfach. Sieh es als Herausforderung." Chancenlos. Tyler blieb nichts anderes übrig, als die Weisung seines Meisters zu akzeptieren. Verfluchte Scheiße! Alexander hatte sich nun seinerseits nach vorne gebeugt. Die Arme ruhig auf den Beinen abgelegt, die Finger locker ineinander verschränkt. Er hatte sich an June gewandt, welcher das sichtlich unangenehm war: "Ich weiß, dass die Situation für dich gerade nicht besonders leicht ist", er sprach sanft zu ihr, fast väterlich, "Doch als Jung-Vampir, der du nun bist, solltest du die Hilfe annehmen, die man dir anbietet, bevor du keine Gelegenheit mehr dazu erhältst. Ein letzter Atemzug ist schnell getan, wenn man niemanden hat, der einem im Notfall den Rücken freihält." June sah ihn ehrfürchtig an. Dieser Mann hatte irgendetwas an sich, was ihr gehörig Respekt einflößte. Sie nickte schweigend. Es war schwer zu sagen, was genau es war, das Tylers Meister diese mächtige Aura verlieh, er verhielt sich nicht, als wäre er in irgendeiner Art und Weise gefährlich, ganz im Gegenteil, er wirkte sehr ruhig und besonnen. Vielleicht waren es auch nur die stechenden Augen, oder seine bemerkenswerte Größe, jedenfalls war June sich absolut sicher, dass sie sich besser nicht mit ihm anlegen sollte. Niemals. Auch Tyler hatte nicht mehr vor seinem Meister noch all zu viele Widerworte zu geben. Schließlich stand ihm das auch gar nicht zu. Er hatte versucht was möglich war und musste sich geschlagen geben. Dennoch machte er keinen Hehl um seinen Ärger über diese Situation. "Schön", sagte er schließlich mit ziemlich scharfem Unterton, "Dann sind wir hier wohl fertig." Er war ganz offensichtlich stinksauer und wäre Alexander wohl am liebsten an die Gurgel gesprungen. Aber es half nichts. Das Wort seines Meisters war Gesetz und dem konnte er sich nicht entziehen. Tyler atmete tief durch. "Hab Dank für dein Vertrauen in meine Fähigkeiten, Meister", gab er etwas zerknirscht von sich. Alexander nickte nur. Er wusste ganz genau, wie sehr es gerade in seinem Schüler brodeln musste, er kannte ihn inzwischen schließlich ziemlich genau. Dennoch, er würde ihn nicht davon freisprechen. Tyler wandte sich mit einem kurzen "Wir gehen", an June und steuerte danach unverzüglich den Ausgang an. June folgte ihm ohne weiteres Zögern. Sie verabschiedete sich mit einem unsicheren Lächeln von Alexander, welcher noch ein weiches "Auf Wiedersehen." erwiderte, und schloss dann zügig zu Tyler auf, der bereits draußen in der Einfahrt war und zielstrebig auf seinen Wagen zusteuerte. Er knallte schwungvoll die Fahrertüre zu, nachdem er hinter dem Steuer Platz genommen hatte. June war noch wenige Schritte entfernt, als Tyler das Fahrzeug mit seiner Stimme zum Vibrieren brachte. Sie verharrte in der Bewegung. Sein wütender Schrei hallte noch einige Sekunden in ihren Ohren. Es war wohl am besten, wenn sie jetzt nichts sagte. June setzte sich schweigend auf den Beifahrersitz. "Sorry", sagte sie leise. Irgendwie tat er ihr doch Leid, auch wenn sich ihre Sympathien ihm gegenüber in Grenzen hielten. Tyler startete den Motor. Er sah sie nicht an. "Kannst du dir sonstwohin stecken", knurrte er ziemlich sauer und trat aufs Gaspedal. Seine Laune spiegelte sich deutlich in seinem Fahrstil wider. Von Null auf Hundert in 3,2 Sekunden. Es war einfach zum Kotzen. Diese Machtlosigkeit, mit der er sich im Bezug auf Alexander konfrontiert sah, war die wahrhaftige Hölle. Gerade hasste er seinen Meister noch mehr, als er die Tatsache hasste, künftig auf June aufpassen zu müssen. Wieso, Alexander? Wieso?! June hatte auch nichts mehr gesagt. Seine Reaktion war deutlich genug gewesen. Sie fragte auch nicht, wohin er überhaupt fuhr, denn es war eindeutig nicht der Weg nach Hause, den er eingeschlagen hatte. Er würde sie schon nicht in irgendeiner dunklen Gasse... Oder doch? Zuzutrauen wäre es ihm in jedem Fall. Sie schreckte zusammen, als er plötzlich, wie aus dem Nichts, auf die Bremse trat und den Motor stoppte. Kein Wort. Er stieg so schnell aus, wie er eingestiegen war und stapfte die Straße entlang. Immer wieder vergrub er seine Finger in den Haaren. Er fluchte. June konnte nicht genau hören was er sagte. Sie saß noch im Wagen und beobachtete ihn. Sie atmete tief durch. Glück gehabt. Erleichtert schloss sie die Lider. Er hatte wohl nicht vor, seinen Ärger an ihr auszulassen. Lediglich zwei Atemzüge später öffnete sie die Augen wieder und er war weg. Was? Wo? Sie nahm den Schlüssel aus dem Zündschloss und stieg aus. Tyler war nicht zu sehen. Er hatte sich einige Meter entfernt und war um die eine oder andere Hausecke gebogen. Es schwelte in ihm und irgendwo musste er mit seiner Wut hin. In seinen Ohren pochte der Herzschlag einer Frau. Er konnte hören, wie es schneller schlug, je näher er ihr kam. Sie ging eilig die Straße entlang. Ihre hastigen Schritte, der unruhige Atem, das war Musik. Tyler gab sich nicht einmal Mühe seine eigenen Schritte leiser klingen zu lassen. Ganz im Gegenteil, er genoss es, wie jedes Auftreffen seiner Sohlen auf den Gehweg die Frau trieb. Sie wurde schneller. Irgendwann rannte sie nur noch. Die Angst lag beinahe greifbar in der Luft und Tyler hatte sie schneller eingeholt, als es ihm lieb gewesen wäre. Sei es drum. Seine Finger griffen fest nach dem Handgelenk der Frau und zwangen sie abrupt zum Anhalten. Sie fuhr eilig herum und Tyler packte auch ihren anderen Arm, als sie ihn mit dem Pfefferspray attackieren wollte. Gerade zwei Herzschläge waren vergangen, da fand sie sich mit dem Rücken zur Wand, in einem schmalen Durchgang zwischen zwei Häusern wieder. Tyler hielt ihr den Mund zu und sah fest in ihre geweiteten Augen. Ein zufriedenes Schmunzeln hatte sich auf seinen Lippen ausgebreitet. Der Geruch von Haarspray, Make-Up und Angstschweiß schlug ihm entgegen und er genoss es. Er würde sie hier nicht mehr davonkommen lassen, dafür hatte sie ihn schon zu sehr in ihren Bann gezogen. "Shhh... sei ruhig", sagte er leise, aber bestimmt, als die ersten Tränen über ihr Gesicht liefen und er seine Hand von ihrem Mund löste. Er fuhr mit den Fingerspitzen über ihre feuchten Wangen, hinunter zu ihrem Hals und vergrub sie schließlich in ihren Haaren. Ein kleines Spiel, welches er mit ihr spielte. Sie wimmerte kläglich, sah ihn flehend an, er möge sie doch gehen lassen. Er blickte fast mitleidig in ihre Augen, als er sich ein Stück herunterbeugte und nur eine Hand breit von ihrem Gesicht entfernt war. "Entschuldige, Kleine", flüsterte er ihr entgegen. Für einen Moment sah es so aus, als würde er nachgeben. Fassade. Er drückte ihr einen kurzen, flüchtigen Kuss auf die Lippen, zog ihren Kopf seitwärts und versenkte seine Zähne in ihrer weichen Haut. Ihr warmes Blut floss seine Kehle hinunter und nach den ersten paar Sekunden, in denen sie sich gewehrt hatte, erschlaffte ihr Körper. Tyler musste sie also nur noch festhalten, während er sich an ihrem Blut bediente. Endlich. Das hier war schon längst überfällig gewesen. "Töte sie nicht!", hörte er Junes Stimme plötzlich hinter sich. Sie musste das Blut gerochen haben, oder sie hatte den wild hämmernden Herzschlag dieser Frau verfolgt. Er kommentierte ihre Anweisung mit einem ausgestreckten Mittelfinger. Nichts und niemand würde ihn davon abhalten, das zu Ende zu bringen. Er lehnte sich mit einer Schulter an die Hauswand und drehte ihr den Rücken zu. Es war durchaus befriedigend, wie der Herzschlag dieser Frau immer langsamer wurde. "Tyler!", June zerrte an seiner Jacke, "Hör auf damit!" Er brummte genervt, löste sich dann aber tatsächlich von seinem Opfer. Das Blut glänzte noch auf seinen Lippen, als er June die bewusstlose Frau in die Arme drückte. "Guten Appetit!", sagte er noch mit einem finsteren Grinsen im Gesicht und wischte sich dann den Mund ab. June hörte noch das leise Schlagen in der Brust dieser Frau. Sie war nicht tot. Doch der Geruch ihres Blutes, so direkt unter Junes Nase, ließ nun auch deren Puls gefährlich steigen. June spürte dieses unbeherrschbare Verlangen nach Blut. Sie war noch nicht in der Lage, das zu kontrollieren. Wie in Trance handelte sie einfach nach ihrem Instinkt und nahm sich, was sie begehrte. Tyler stand gemütlich daneben und beobachtete das Ganze, bis June den leblosen Körper der Frau zu Boden fallen ließ und langsam wieder zur Besinnung kam. "Hungrig gewesen?", fragte er mit einem amüsierten Ausdruck im Gesicht. June wirkte dagegen eher versteinert. Sie konnte keinen Herzschlag mehr hören, nur noch ihren eigenen und Tylers. Oh nein... bitte nicht. Sie trat einen Schritt zurück, hatte die Augen aber auf die beängstigend stille Frau gerichtet. Das war nicht ihre Absicht gewesen. Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr schnürte dieser schmerzhafte Gedanke ihr die Kehle zu. Sie konnte es nicht ertragen noch länger hier zu verweilen. June rannte zurück zu Tylers Wagen. Dieser sah ihr kurz hinterher, wandte sich dann aber der Toten zu und zog sie ein Stück zur Seite, zwischen ein paar Müllcontainer, damit sie nicht so schnell gefunden werden würde. Glücklicherweise waren Tote in dieser Stadt keine allzu große Seltenheit. Die Polizei war ohnehin geschmiert. Ein Untersuchungsdokument konnte leicht gefälscht und eine Ermittlungsakte schnell vernichtet werden, wenn man nur den richtigen Menschen das nötige Kleingeld in den Rachen stopfte. Die meisten Menschen waren käuflich und die mächtigen Vampire der Stadt, wussten das für sich zu nutzen. Ein paar Bissspuren würden also so schnell niemanden überführen. Tyler machte sich auf den Weg zurück zum Wagen. In aller Seelenruhe trat er an June heran, die noch ziemlich verstört an seinem Auto lehnte und sich mit einer Hand das Gesicht bedeckte. Der Wagen war abgeschlossen. Er kam nochmal zu June rüber und streckte ihr die offene Hand hin. "Schlüssel", sagte er nur. June reagierte nicht, sie schien ziemlich mit sich selbst beschäftigt zu sein. Tyler verdrehte die Augen, griff in ihre Hosentasche, holte sich seinen Schlüssel eben selbst und stieg schon einmal ein. "Soll ich dich jetzt auch noch ins Auto setzen?", fragte er, nachdem er die Scheibe der Beifahrertüre herunter hatte fahren lassen, "Ey! June, steig ein!" Er hupte kurz, als sie nicht reagierte. Das half. Sie zuckte zusammen und beugte sich etwas hinunter, damit sie in den Wagen sehen konnte. Tyler deutete ihr nochmal an, dass sie doch jetzt endlich einsteigen sollte. Sie tat es. Es war kaum zu übersehen, dass ihre Gedanken sie gerade ziemlich heftig unter Beschuss nahmen. Sie sprach die ganze Fahrt über kein Wort. Gab keinen Laut von sich. Auch Tyler war still, allerdings aus einem anderen Grund. Er wollte einfach diese wohltuende Ruhe nicht stören. Noch als sie wieder in seiner Garage parkten, freute er sich insgeheim über das Entsetzen, welches June im Gesicht trug. "Doch nicht so taff, was?", fragte er grinsend, bevor er ausstieg und das Garagentor wieder herunterfahren ließ. "Lass das...", entgegnete sie leise, sammelte sich dann noch einen Moment und stieg schließlich aus. Sie folgte Tyler nach oben und ließ sich dort aufs Sofa fallen. Tyler war mit seinem Handy beschäftigt. Er gab Cathlyn und Aaron Bescheid, dass es leider nicht funktioniert hatte, Alexander umzustimmen. Sie mussten also auf Plan B zurückgreifen und nach Junes wahrem Meister Ausschau halten. Tyler nahm auf dem Hocker Platz, der June gegenüberstand. Er musterte sie schmunzelnd, wie sie mit angezogenen Beinen zwischen den Kissen saß und das Gesicht auf ihren Knien abgelegt hatte. Zugegebenermaßen keine sonderlich entspannte Position. "Was tust du da?", fragte er, "Meditation?" "Nein", antwortete sie nur knapp. Sie hob den Kopf und sah Tyler ausdruckslos an. "Das ist krank. Und ich habe Angst", klärte sie ihn auf. Tyler musste sich das Lachen verkneifen. "Angst? Süß", er erwiderte ihren Blick eine Weile, "Hör auf dich anzustellen, wie ein kleines Kind", seine Tonlage wurde deutlich strenger, "Das ist ja lächerlich." "Ist es nicht!", entgegnete sie nun doch etwas lauter, "Ich will keine Menschen töten! Das ist alles andere als lächerlich!" Tyler schüttelte verständnislos den Kopf. "Natürlich ist es das", sagte er, "Ein Wolf sagt auch nicht, dass er keine Schafe reißen will. Das ist das gleiche Prinzip." June sah ihn mit großen Augen an. "Das ist nicht das Gleiche", entgegnete sie stur. Tyler seufzte entnervt: "Schön. Vergiss es." Er wollte jetzt nicht schon wieder mit ihr diskutieren. Nicht jetzt, wo sich seine Laune wieder einigermaßen eingependelt hatte. "Du bist mich wahrscheinlich sowieso bald los, dann kannst du deinem Meister mit diesem Blödsinn in den Ohren liegen", fuhr Tyler fort und wechselte dann das Thema: "Aber bis es soweit ist, würde ich gerne ein paar Regeln aufstellen." June hatte den Blick von ihm abgewandt. Sie mochte das dreckige Grinsen in seiner Visage nicht länger sehen. "Aha", brummte sie leise, "Und zwar?" "Würdest du mich wohl bitte ansehen, wenn ich mit dir rede?", er wartete bis June den Kopf recht unbegeistert wieder in seine Richtung gedreht hatte, dann fuhr er fort, "Regel Nummer 1: Du tust, was ich dir sage. Ich bin praktisch sowas wie dein Meister, also hast du auf mich zu hören. Egal ob es dir passt, oder nicht" "Solange die Sache mit dem Meister nicht so eine Art 'Fifty Shades of Grey' wird... werde ich mich wohl damit arrangieren können." "Fifty was?", er sah sie irritiert an. June winkte ab: "Nicht wichtig." "In Ordnung... Also Regel Nummer 2: Keine Alleingänge deinerseits. Das ist zu deiner eigenen Sicherheit und für die Menschen in deinem Umfeld ist es auch sicherer, wenn du in meiner Nähe bleibst", er sah sie streng an, "Regel Nummer 3: Keine Gespräche nach 5 Uhr morgens und vor meinem ersten Kaffee am Abend. Das ist wichtig, sonst werde ich dir früher oder später den Kopf abreißen müssen. Regel Nummer 4: Egal was ich tue, du funkst mir nicht dazwischen", das bezog er ganz offensichtlich auf die Situation von vorhin, "Und die letzte und wichtigste Regel: Kein Wort zu irgendjemandem. Du hältst in jedem Fall den Mund, und wenn dich jemand fragt, dann bist du mein Schüler, sonst nichts", es klang fast wie eine Drohung, "Klar soweit? Soll ich dir das aufschreiben?" June schüttelte den Kopf. "Nicht nötig", entgegnete sie leise. Diese ganzen Regeln waren ihrer Meinung nach sowieso nicht nötig, also wäre es nur Papierverschwendung diese aufzuschreiben. "Okay. Gut", schloss Tyler das Gespräch und stand wieder auf, "Aber halt dich daran." Sie nickte nur und rollte sich auf dem Sofa zusammen. Das Geschehene ging ihr noch immer an die Nieren. Wenn nun jede Nacht sie mit solchen Gedanken empfangen würde, wäre es vermutlich sogar eine Erleichterung, wenn Tyler sie einfach kurzerhand davon erlöste. Doch das war keine Option. So leicht würde sie sich sicher nicht unterkriegen lassen. Und mit etwas Zeit und Ruhe würde sie es sicher in den Griff bekommen können. Schließlich konnte Tyler sich auch kontrollieren, und wenn er das konnte, dann würde sie das ebenfalls hinbekommen. Ein all zu helles Licht schien er ja immerhin nicht zu sein. Tyler war nach oben gegangen. Sein Handy hatte geklingelt. Eine Nachricht von Cathlyn, die im CAIN's CLUB unterwegs war und es sich gut gehen ließ. Die unterschwellige Ironie in ihrer Mitleidsbekundung war Tyler nicht entgangen. Sie würde was für ihn mittrinken. Sicherlich. Tyler betrachtete die Zeilen eine Weile, dann legte er das Smartphone beiseite und ging sich umziehen. Es war noch zu früh, um jetzt schon schlafen zu gehen. Außerdem konnte er etwas Ablenkung gerade sehr gut gebrauchen. Als er nach unten kam, lag June noch immer regungslos auf dem Sofa. "Ich werde dich jetzt für ein paar Stunden alleine lassen", verkündete er, "Wehe du stellst mir die Bude auf den Kopf." "Warum sollte ich das tun?", sie blinzelte kurz in seine Richtung, schloss die Augen dann aber wieder, "Ich komm schon klar." Er schnaubte leise, verabschiedete sich dann aber nur noch: "Gut, dann bis später", und wandte sich zum Gehen ab. "Tyler?", June hatte sich aufgesetzt. "Was denn noch?", seiner Tonlage war deutlich zu entnehmen, dass ihm jetzt nicht nach einer Unterhaltung zu Mute war. "Hast du noch... Blut?", fragte sie etwas unsicher, "Also... diese Konserven?" "Nein", entgegnete Tyler nur trocken, "Und du solltest dich da auch gar nicht erst dran gewöhnen", jetzt sah er sie ziemlich ernst an, "Diese Konserven sind nur für Notfälle gedacht, nicht als Standardmahlzeit." Sie senkte den Blick: "Okay." "Ich bin außerdem auch nicht lange weg", erklärte er ganz sachlich, "Und du hast vorhin erst was zu dir genommen. So schnell wirst du keinen Hunger bekommen." June nickte. "Du kommst also klar?", fragte Tyler sicherheitshalber nochmal nach. June warf ihm einen genervten Blick zu: "Ja doch. Ich bin kein Kind mehr!" Er musterte sie skeptisch und wandte sich dann der Kommode zu, die neben der Türe stand, nahm einen Stift und notierte etwas auf einen kleinen Zettel. "Falls was ist", er warf ihr einen warnenden Blick zu, "Aber nur, wenn es wirklich wichtig ist. Ansonsten will ich nicht gestört werden." June besah sich das Stück Papier, das sie von ihm in die Hand gedrückt bekommen hatte. Seine Handynummer. Richtig, er hatte sie mit unterdrückter Nummer angerufen. "Alles klar", sagte sie noch und schon war Tyler zur Türe hinaus. June seufzte leise. Es war plötzlich so ruhig hier. Nur der Kühlschrank summte. Sie saß eine Weile auf dem Sofa und sah sich um. Ihr fiel der Koffer ins Auge, den sie von zu Hause mitgebracht hatte. Sie hatte ihn noch nicht ausgeräumt. Vielleicht würde sie das etwas ablenken. Wenigstens für eine kurze Weile. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)