Tendency von DieJESSYcA ================================================================================ 008 --- Der Leichtsinn. "Noch etwas zu Trinken, Cathlyn?", der Barkeeper sah sie fragend an. Cathlyn hob den Blick von ihrem Mobiltelefon und nickte. "Ja, nochmal das Gleiche, bitte", sie packte das Handy weg und lehnte sich mit den Ellenbogen auf die Theke, während sie auf ihren Drink wartete. Sie hatte Tyler gesimst, dass sie im CAIN's war und für ihn einen mittrinken würde. Es war zugegebenermaßen eine ziemlich beschissene Situation, in der ihr Freund sich da befand, aber trotzdem kein Grund, deswegen das Feiern einzustellen. "Sag mal, Brian...", fing sie an, als der Barmann ihr das Glas hinstellte, "Hattest du gestern um diese Uhrzeit auch Schicht?" "Ja, wieso?" "Ist dir hier ein Mädchen mit ungefähr so langen, schwarzen Haaren aufgefallen?", sie hielt ihre Hand ungefähr auf Brusthöhe, "Etwa so groß wie ich und relativ niedlich?" Brian sah sie nachdenklich an, als er antwortete: "Also... lass mich überlegen. Hier kommen ziemlich viele Mädchen vorbei, auf die diese Beschreibung zutrifft. Hast du noch mehr Infos?" Cathlyn überlegte. Sie wusste leider nicht all zu viel über den vergangenen Abend. "Ich vermute mal, dass sie ziemlich betrunken gewesen sein muss, sie erinnert sich nämlich leider nicht mehr an letzte Nacht...", fuhr Cathlyn fort, "Jedenfalls wäre es ziemlich wichtig. Also falls dir irgendwas aufgefallen ist..?" Cathlyn konnte fast sehen, wie die Rädchen in Brians Kopf sich drehten. Dass ihr enges, rotes Kleid, mit dem tiefen Ausschnitt dem armen Kerl nicht unbedingt beim Nachdenken half, nahm sie vergnügt zur Kenntnis. Immerhin hatte ihr das einige Free Drinks beschert. Ihr Handy klingelte kurz. Sie sah nach unten und schmunzelte. "Machst du mir noch zwei Kurze, bevor du weiter überlegst?", unterbrach sie Brian, der immer noch angestrengt nachdachte. "Klar", er nickte und ging gleich zwei Gläser holen. Oh Tyler... Sie schüttelte kurz den Kopf und lächelte Brian entgegen, als der ihr die Shots brachte. "Hier, bitte sehr", verkündete er. "Herzlichsten Dank." "Mir ist übrigens noch was eingefallen", fuhr Brian gleich fort, "Ich denke ich weiß, von welchem Mädchen du sprichst. Die mit den vielen Verehrern. Sie war gestern hier und hat sich mit einigen Kerlen unterhalten. Allerdings war da niemand dabei, dessen Gesicht mir neu gewesen wäre. Die üblichen Verdächtigen, nichts außergewöhnliches... Tut mir Leid. Aber vielleicht helfen dir ja die Überwachungskameras weiter", schlug er vor, "Ihr ist doch hoffentlich nichts passiert, oder?" Cathlyn winkte ab. "Nein nein, alles in Ordnung, sie vermisst nur ein paar Sachen", beruhigte sie ihn, "Aber danke für den Tipp mit den Kameras." "Keine Ursache", erwiderte er freundlich und wandte seinen Blick dann an ihr vorbei, als Cathlyn Gesellschaft bekam. "Oh, ist der für mich?", Tyler schnappte sich einen der beiden Kurzen und kippte ihn gleich runter, "Danke. Kann ich gut gebrauchen." "Hey", sie drehte sich zu ihm rüber, "Eh, ja für dich", dann hob sie skeptisch die Augenbrauen an, "Du bist alleine? Ich dachte du würdest sie mitbringen." Tyler lachte: "Wen soll ich mitbringen?" "June. Du sollst doch auf sie aufpassen", klärte sie Tyler auf, der das gerade wohl zu verdrängen versuchte, "Oder hast du dir einen Babysitter organisiert?" "Nein, hab ich nicht." "Wieso bist du dann hier, mein Süßer?", fragte sie weiter. Er grinste sie schelmisch an: "Oh Liebes, weil ich mich nach dir verzehrt habe." "Das glaubst du doch selbst nicht", lachte Cathlyn, trank auch ihren Shot und wurde dann augenblicklich ernster, "Können wir kurz draußen unter vier Augen sprechen?" "Hab ich was angestellt?", er sah sie verblüfft an, doch sie schüttelte den Kopf und zog ihn am Arm hinter sich her nach draußen. "Was ist los?", fragte Tyler, nachdem Cathlyn ihn wieder losgelassen hatte. "Ich habe mich bei Brian ein wenig nach June erkundigt", klärte sie ihn auf. Tylers Miene fiel schlagartig in sich zusammen: "Oh... müssen wir da jetzt drüber reden?" "Willst du sie nun loswerden, oder nicht?", Cathlyn warf ihm einen mahnenden Blick zu. Er seufzte resigniert. "In Ordnung. Also, was hast du rausgefunden?", dabei klang er nicht sonderlich interessiert. Warum auch? Er war schließlich hergekommen, um eine Weile abzuschalten, und nicht, um detektivische Meisterleistungen zu vollbringen, doch Cathlyn kümmerte das nicht. Sie wollte jetzt nicht diskutieren, also überging sie Tylers abwehrende Haltung einfach. "So wie es aussieht, waren wohl mehrere Kerle hinter ihr her. Brian meinte aber, dass ihm keiner davon irgendwie komisch vorgekommen wäre", teilte sie ihm ihre Erkenntnisse mit, "Alles mehr oder minder Stammgäste und daher ist es wohl eher unwahrscheinlich, dass es einer von denen war." "Das sagst du", entgegnete er ruhig, "Ich würde meine Hand dafür nicht ins Feuer legen." Cathlyn sah in nachdenklich an. Mit dieser Vermutung hatte er wohl nicht zwingend Unrecht. Es kam schließlich immer mal wieder zur einen oder anderen Regelmissachtung, nur waren das für Gewöhnlich keine solch dramatischen Verstöße. Tyler riss sie aus ihren Gedanken: "Also wenn du mich fragst, dann hat einer, der das oberste Gesetz bricht, sicherlich keine Probleme damit, diese läppische Hausordnung zu ignorieren." "Wohl wahr", stimmte sie zu, "In diesem Fall wäre es vielleicht doch ganz hilfreich, sich die Überwachungsvideos mal genauer anzusehen." Tyler zog überrascht die Brauen hoch. Schade, dass er da nicht selbst drauf gekommen war. "Das ist eine sehr gute Idee", das musste er neidlos anerkennen, dann hob er den Zeigefinger, "Dafür lade ich dich jetzt auf einen Drink ein und wir gehen Tanzen." Genug Problembehandlung für diese Nacht. Die Videobänder würden ihm schließlich nicht davonlaufen und überhaupt hatte er heute schon genug Zeit und Nerven an June verloren, da würde er nicht auch noch die letzten paar Stunden, die noch übrig waren, damit verplempern. Auch Cathlyn schien nicht abgeneigt. Ganz im Gegenteil, ihre Augen hatten förmlich zu leuchten begonnen, als Tyler ihr Drink und Tanz in Aussicht gestellt hatte. Sie kniff die Augen leicht zusammen: "Den Tanz kann ich gelten lassen..." "Aber?" "Tyler... Du bekommst die Drinks hier kostenlos." "Ach ja, richtig", das fiel ihm schon gar nicht mehr auf. "Tja, na dann mal los! Tanzen!", sie freute sich, klopfte ihm kurz dankend auf den Oberarm und tänzelte zurück in den Club, Tyler dicht dahinter, nicht tänzelnd. — Oh shit..! Maya drängelte sich eilig zwischen die Gäste, als sie Cathlyn und Tyler zurückkommen hörte. Verfluchte, scheiß dreckige Musik! Sie atmete tief durch, um wieder etwas runterzukommen. Die Musik war eindeutig zu laut, um jemanden zu belauschen, der sich außerhalb des Clubs in aller Ruhe unterhielt. Trotzdem. Die paar Gesprächsfetzen, die sie mitbekommen hatte, als die beiden noch an der Bar gestanden hatten, waren zweifellos recht interessant gewesen. June also. Das war ein Anfang. Sie zog ihr Handy heraus, um Megan über den aktuellen Stand der Dinge zu informieren. 1 neue Nachricht. Oha. Maya hatte das Handy lautlos gestellt, während sie Cathlyn beschattet hatte und Megan war ihr bereits zuvorgekommen: »Bin wieder bei Scotti... Wie sieht's bei dir aus? Hoffe, du warst erfolgreicher, als ich...« Klang nicht sehr vielversprechend. Maya überlegte. Sie suchte im Gewühl nach Tyler und Cathlyn. Die beiden sahen nicht unbedingt danach aus, als würden sie heute noch tiefschürfende Gespräche führen wollen, also hatte es wohl wenig Sinn, noch länger hier zu bleiben. Es wurde Zeit zu verschwinden. — "Maya hat geschrieben", sagte Megan recht unbegeistert. Sie hatte sich der Länge nach auf Scotts Sofa breitgemacht und die Abfuhr ihres 'Kumpels' weitestgehend an sich abprallen lassen. "Und was schreibt sie?", Scott klang genervt. Megans außerplanmäßiges Zusammentreffen mit Aaron hatte ihn doch sichtlich verstimmt und er gab sich keinerlei Mühe, das zu verbergen. Megan warf ihm einen mindestens genauso begeisterten Blick zu, wie sie ihn von Scott erhalten hatte, bevor sie Mayas Text mit übertrieben mangelnder Betonung vorlas: "War erstmal recht uninteressant und war auch schon fast wieder weg. Konnte dann noch ein paar spannende Infos abstauben. Smiley." Sie hob die Augen vom Display und sah zu Scott, der ein paar Gläser in die Küche brachte. "Klingt doch ganz annehmbar", fasste sie das kurz zusammen, nachdem ihr Kumpel wohl nichts auf Mayas Nachricht sagen wollte. Er nickte. "Ja. Warten wir mal ab", fügte er mit einer ordentlichen Portion Skepsis bezüglich Megans Aussage an. Dem war nichts mehr hinzuzufügen. Zumindest dann nicht, wenn Megan einer weiteren Szene aus dem Weg gehen wollte. Und heute hatte sie dafür wirklich keinen Nerv mehr, wenngleich sie genug gegen Scott vorzubringen hätte, um einen ausgewachsenen Krawall anzuzetteln. "Gar kein Besuch heute?", fragte sie eher beiläufig, während sie auf ihrem Handy die aktuellen Nachrichten überflog. "Nein", antwortete er ein wenig enttäuscht, "War nichts Heißes aufzutreiben." "Zu dumm", Megans Mundwinkel hatten kurz gezuckt. Zu einem Lächeln hatte es allerdings nicht gereicht. "Richtig, jetzt hänge ich nämlich mit dir hier rum", entgegnete Scott schnippisch. Sie sah zu ihm rüber, als er aus seiner offenen Küche wieder zurück ins Wohnzimmer kam. "Sorry, dass ich nicht so unterhaltsam bin, wie deine kleinen, süßen Eskapaden", sie sah ihn dabei ziemlich ausdruckslos an. Scott erwiderte ihren müden Blick einen Moment lang. Er wollte gerade Luft holen, um etwas darauf zu sagen, doch dann klingelte es an der Türe, "Maya. Na endlich." Keine fünf Sekunden später, stand die junge, quirlige Frau schon in der Türe. "Hey!", begrüßte sie Scott, "Ich habe gute Neuigkeiten!" Ihre Augen funkelten vor Freude, als würde es jeden Moment aus ihr herausplatzen, doch zunächst nahm sie auf dem freien Sofa in Scotts Wohnzimmer Platz. Megan hatte sich inzwischen aufgesetzt und sah Maya gespannt an: "Und? Was hast du herausgefunden? Sag schon." Maya grinste bis zum Anschlag: "Sie heißt June. Und Jacobs scheint tatsächlich auf sie aufpassen zu müssen." "Und deine Quelle ist welche?", Scott musterte sie eindringlich. Ihre überschwänglich gute Laune konnte er damit jedoch nicht unterbinden. "Na Tyler selbst!", erklärte sie lachend, "Ich wollte ja schon fast wieder gehen, nachdem Cathlyn die ganze Zeit nichts anderes getan hat, als mit dem Barkeeper zu flirten und sich Drinks spendieren zu lassen, aber als ich rausgehen wollte, ist Jacobs mir entgegengekommen. Beziehungsweise habe ich ihn den Club betreten sehen und da war mir klar: JETZT ist die Gelegenheit. Also bin ich ihm wieder zurück zur Bar gefolgt und habe deren Gespräch mitgehört", sie machte eine kurze Pause, um Luft zu holen, "Cathlyn hat ihn gefragt, ob er nun einen Babysitter hätte, Tyler meinte Nein und dann sind die zwei leider auch schon nach draußen verschwunden..." "Und du bist ihnen hoffentlich gefolgt?!", Scotts Stimme klang wie eine vorgehaltene Pistole. "Eh... jaa...", für ihre Verhältnisse zog Maya diese Worte sehr in die Länge. Ihr Redefluss war für gewöhnlich eher von der rasanten Sorte, also konnte das nichts Gutes verheißen. "Jaa...", Scott ahmte sie nach, als von Mayas Seite nichts mehr kam, dass sie doch bitte weitersprechen möge. "Na ja... also ich bin ihnen schon gefolgt", fuhr sie fort, klang dabei aber nicht mal mehr annähernd so euphorisch, wie kurz zuvor, "Aber ich konnte ja schlecht raus auf die Straße gehen, weil da nichts los war und die mich sonst gesehen hätten. Also habe ich versucht, von drinnen etwas zu verstehen... aber die Musik ist echt laut da...", sie verzog ein wenig missmutig die Lippen, "Ich konnte deren Gespräch bei dem ganzen Lärm nicht herausfiltern." "Reicht doch", mischte sich nun auch Megan ein, "Immerhin mehr als ich herausfinden konnte." "Welch eine Leistung. Ist ja nicht allzu schwer", entgegnete Scott mit seiner ätzenden, sarkastischen Art. "Was war denn?", Maya sah ihre Freundin besorgt an, "Ist was passiert?" "Kleines Intermezzo mit Aaron", klärte Megan sie kurz auf, "Nicht der Rede wert." "Überhaupt nichts ist das wert", Scott wandte sich an Maya, "Unsere liebe Freundin hier bekommt es nicht mal auf die Reihe, ihre Augen offen zu halten!" Das war dann doch zu viel. "Weißt du Scott, leck mich!", fuhr Megan ihn an, "Du warst dich die ganze Zeit nur amüsieren, während Maya und ich die Drecksarbeit erledigt haben! Du hast nicht mal versucht, irgendwelche Informationen aufzutreiben!" "Bist du jetzt fertig?", er sah sie unbeeindruckt an, "Schön, dann können wir uns ja jetzt auf das Wesentliche konzentrieren: June." Megan schnaubte wütend. Sie kaute angespannt auf ihrer Unterlippe herum und hatte sich demonstrativ von den beiden abgewandt.  "Okay, was hast du vor?", fragte Maya und ignorierte die hitzige Spannung, die in der Luft lag. Scott überlegte einen Moment lang, bevor er antwortete: "Wir schnappen sie uns. Und dann überlege ich mir, welchen Preis unser lieber Tyler dafür zahlen darf, dass er sie zurückbekommt." In seinem Gesicht breitete sich ein siegessicheres Lächeln aus. Die Vorstellung, endlich wieder etwas gegen Tyler in der Hand zu haben, bereitete ihm sichtlich Vergnügen. "Und wie genau willst du an sie herankommen?", Maya sah ihn nachdenklich an, "Er wird sie dir ja wohl kaum einfach so vorbeischicken." "Natürlich nicht. Aber jetzt gerade ist er doch mit Kitty unterwegs. Ziemlich verantwortungslos, findest du nicht?" — Cathlyn hatte ihre Arme locker auf Tylers Schultern abgelegt. Der schnelle, Bass-lastige Rhythmus der Musik von vorhin war einer ruhigen, entspannten Melodie und weichen, wimmernden Stimmen gewichen, die sich zuweilen erbärmlich leidend anhörten. Eine kleine Verschnaufpause für all die müden, verschwitzen Körper, die sich auch zu dieser späten Stunde noch unter den bunten Lichtern des CAIN's CLUB tummelten. Cathlyn und Tyler mittendrin. "Ist sie eigentlich echt so schwierig?", sie ergriff das Wort und richtete ihre Augen fragend nach oben. "Fängst du schon wieder damit an?", Tyler seufzte leise, "Ja, ist sie. Sie treibt mich in den Wahnsinn." "Oh... So wie ich?", ein schelmisches Grinsen breitete sich auf ihren roten Lippen aus. Er lachte leise: "Nein, ganz und gar nicht so wie du. Du bist wunderschön, also darfst du mich auch gelegentlich nerven." Jetzt konnte auch Cathlyn sich das Lachen nicht länger verkneifen: "Du elender Schleimer. Hör bloß auf damit!" "Und du bist scheinheilig", erwiderte er zufrieden lächelnd. "Findest du, ja?", Cathlyn hatte ihren Kopf inzwischen wieder an seiner Schulter abgelegt. "Definitiv", bestätigte Tyler seine Aussage nochmal, "Du tust nur so, als würden dich meine Komplimente stören." "Na, wenn du das sagst", sie gab sich geschlagen, was das betraf. Wahrscheinlich hatte er sogar Recht. "Vielleicht solltest du das bei June auch mal versuchen. Komplimente und so", schlug sie vor. Er lachte: "Da gibt es aber nichts, wofür ein Kompliment angebracht wäre." "Ich finde sie eigentlich ganz niedlich" "Du spinnst doch", gab er amüsiert zurück, "An ihr ist gar nichts niedlich." "Sie ist niedlicher als ich", entgegnete Cathlyn mit ziemlicher Überzeugung. "Na, jetzt geht's aber los", Tyler schüttelte leicht den Kopf, "Hast du Mitleid mit ihr, oder warum faselst du solchen Unsinn?" "Nein, ich meine ja nur", erklärte sie ruhig, "Und wenn du dem Ganzen nicht so widerwillig gegenüberstehen würdest, dann wäre es vermutlich auch für dich etwas leichter." "Aha", gab er nur unbegeistert zurück, "Na, ich will dich mal in meiner Situation sehen..." Cathlyn zuckte leicht mit den Schultern: "Ich sage ja nur, was ich denke." "Schon okay", Tyler wollte gar nicht mit ihr darüber sprechen, doch ganz offensichtlich schien sie das Thema gehörig zu fesseln. "Du vibrierst", sagte sie leise, während die beiden noch immer recht eng aneinander klebten. "Hab ich gemerkt", entgegnete Tyler, machte aber keinerlei Anstalten nach seinem Handy zu sehen. "Solltest du nicht nachsehen?", Cathlyn löste den Kopf von seiner Schulter und sah ihn fragend an. "Würdest du jetzt bitte endlich damit aufhören?", seine Tonlage war schon deutlich gereizter. "Womit denn?" "Mir zu sagen, was ich tun soll", klärte er sie auf, "Das nervt." Sie hob übertrieben ruckartig die Arme von seinem Hals und hielt sie abwehrend vor sich: "Oh, sorry großer Meister. Ich hatte doch glatt vergessen, dass du bereits die Schwelle der Unfehlbarkeit übertreten hast. Glückwunsch!" Tyler rollte mit den Augen. Typisch. Cathlyns Launen waren zeitweise so wechselhaft wie das Wetter im April und manchmal genügte ein winziger Funkenflug und alles stand in Flammen. Aber sei es drum. Kein Grund deswegen ein Blatt vor den Mund zu nehmen, schließlich flauten diese Phasen meist genauso schnell wieder ab, wie sie gekommen waren. Halbwegs. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren – welches der Situation wahrscheinlich so oder so nur abträglich gewesen wäre– zog er sein Handy heraus und überflog die Zeilen. "Oh fuck", Tyler hob die Augen vom Display und sah seine Freundin mit leichter Fassungslosigkeit an, "Aaron hat mir geschrieben. Er hat Megan vor seinem Haus erwischt. Sieht so aus, als würden die was wittern." Cathlyn zog scharf die Luft ein: "Nicht unbedingt erfreulich... Wann hat er sie denn getroffen? Eben?" "Nein", er sah nochmal auf das Display, "Das war wohl schon vor ungefähr drei Stunden." "Und das schreibt er dir erst jetzt?!", sie war sichtlich schockiert. Tyler zuckte nur mit den Schultern: "Vielleicht war er noch beschäftigt? Oder sein Akku war leer. Ist doch egal." "Tzz, solche wichtigen Informationen einfach zu unterschlagen...", sie fand das ganz und gar nicht so belanglos, aber wahrscheinlich lag das auch an ihrer momentan leicht angespannten Grundstimmung. Tyler wählte Junes Nummer. Mailbox. Shit. Cathlyn sah ihn gespannt an. Sie schien sich offenbar mehr Sorgen zu machen, als ihr Freund. Ihr besorgter Gesichtsausdruck war ihm nicht entgangen, als er das Handy wieder einsteckte, ohne June erreicht zu haben: "Soll ich jetzt wegen meinem Kuckuckskind nach Hause, oder was?" "Also...", sie musterte seine entnervte Miene kritisch, "Wenn du meinen Rat denn hören willst, dann solltest du das tun, ja." Er seufzte schwer: "Ouu... ja, okay. Wenn du mich unbedingt loshaben willst." Seine Freundin warf ihm einen müden Blick zu: "Du weißt genau, dass das nicht stimmt." "Jaa...", antwortete er ihr langgezogen, "Dann hau ich jetzt ab. Aber nur, weil du mich sonst die ganze Zeit so ansehen würdest." Dabei tippte er ihr mit leichtem Nachdruck auf die Stirn. Cathlyn verschränkte die Arme: "Du wirst mir noch dankbar sein." "Sicher", eine unüberhörbare Ironie schwang in seiner Aussage mit, "Ich werde dir eine Dankeskarte schicken." Sie verdrehte ihre dunklen Augen: "Lass stecken. Und verzieh dich endlich." "Klar, Boss", er deutete eine kurze Verneigung an, warf ihr einen finsteren Blick zu und verschwand zwischen den noch immer ruhig hin und her wiegenden Paaren, die sich verliebt in den Armen lagen. Echt unfassbar... Nie hätte Tyler gedacht, dass er einmal in eine solche Situation kommen würde. Nicht in den nächsten hundert oder zweihundert Jahren. Er stand ja selbst noch unter der Fuchtel seines Meisters, was grundsätzlich auch nichts Schlechtes war, immerhin gingen damit einige Annehmlichkeiten einher. Bis auf die Sache mit June, das war eindeutig Folter. Und der Grund – sofern es einen solchen überhaupt gab – warum Alexander das von ihm verlangte, wollte sich Tyler beim besten Willen nicht erschließen. Reine Schikane. Seine Gedanken kreisten noch eine ganze Weile um die 'Wenn's und 'Vielleicht's, um die Tatsache, dass sein Meister ihn wohl voraussichtlich nicht in naher Zukunft freigeben würde und dass er – wenn es schlecht lief – sogar noch ein knappes Duzend Dekaden mit June vor sich hatte. Dann, wenn alle anderen nicht mehr an ihre Meister gebunden sein würden, dann würde er sich mit Erziehung und Schadensbegrenzung herumschlagen müssen. Und wahrscheinlich würde Alexander ihn dann noch immer in der Hand haben. Schließlich lag es ausschließlich in seinem Ermessen, ob und wann er seinen Schüler aus dieser Verbindung entlassen wollte. Beschissene Regeln... Tyler schob den Schlüssel in die Tür. Im Haus war es ziemlich ruhig. Noch im Treppenhaus lauschte er, ob man sie hören konnte. Kein Ton. "Oh, ernsthaft?", er hatte das Wohnzimmer betreten und June war weder zu sehen, noch zu hören. Seine Augen flogen ruhig durch den Raum. Kein Grund zur Hektik. Die Balkontüre war offen und Junes Koffer lag halb ausgeräumt auf dem Boden vor dem Sofa. Fantastisch... Tyler wählte noch einmal ihre Nummer. Wieder nur die Mailbox. Zeit es mit einer anderen Nummer zu versuchen, während er es sich auf der Couch bequem machte. Es dauerte einen Augenblick, bis Aaron seinen Anruf entgegennahm. "Hey. Eh, sag mal, du hattest doch heute eine kurze Unterhaltung mit Megan. Für wie wahrscheinlich hältst du es, dass Rivers sich June geschnappt hat?", Tyler klang dabei erstaunlich gelassen. Aaron dagegen eher weniger: "Sie ist weg?! Alter, das ist gar nicht gut. Ich meine, es kann auch Zufall gewesen sein, dass Scotts Gespielin vor meinem Haus rumgelungert hat, aber für wie wahrscheinlich hältst du das?", dabei griff er Tylers Worte auf, "Es ist schon eine Weile her, dass die uns belästigt haben und außer der Sache mit June fällt mir nichts ein, weswegen sie sich sonst so plötzlich wieder bemerkbar machen sollten." "Schade", Tyler seufzte, "Und was schlägst du vor? Wollen wir denen einen Besuch abstatten und allen das Genick brechen?" "Zum Beispiel", antwortete Aaron recht nüchtern. Nicht unbedingt die Art von Abendprogramm, die Tyler sich vorgestellt hatte: "Hatte gehofft, du würdest was anderes vorschlagen...", er war nicht besonders scharf darauf, sich jetzt noch mit Scott und dessen farbenfrohem Beiwerk zu prügeln, "Wir sollten erstmal die Lage checken, bevor wir mit der Tür ins Haus fallen." "Wie du meinst", Aaron hatte absolut nichts dagegen, das Ganze etwas langsamer anzugehen. In jedem Fall würde er seinem Freund aber auch im Ernstfall zur Seite stehen: "Treffen wir uns dort?" "In zwanzig Minuten", stimmte er Aarons Vorschlag zu, "Bis dann." Tyler legte das Handy auf den Wohnzimmertisch und ging nach oben. Er zog sich um, für den Fall, dass er sich tatsächlich mit Scott schlagen müsste, auch wenn ein kleiner Teil von ihm noch immer hoffte, dass es nicht soweit kommen würde. Sichtlich unmotiviert verließ er schließlich die Wohnung, um gezwungenermaßen seinen Schützling zu retten. Keine sehr dankbare Aufgabe, wie er fand. Jedenfalls nicht bei diesem Schützling. In seinem Hirn entstanden bereits die ersten Pläne, wie er die Sache mit Scott regeln würde, als er die Haustüre öffnete und schier zur Salzsäule erstarrte. Ein lautes Klatschen hallte durch die kühle Nachtluft. "Spinnst du?!", Tyler fuhr sie wütend an. June hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Wange. Seine Ohrfeige hatte gesessen. "Du hast sie ja wohl nicht mehr alle!", beschwerte sich nun auch June. Tyler ging nicht darauf ein. Er packte sie am Kragen und zog sie hinter sich her nach oben in die Wohnung. Auf dem Weg dahin zückte er erneut sein Mobiltelefon und drückte die Wahlwiederholung: "Aaron, du kannst wieder nach Hause gehen. Hier bekommt gleich jemand ganz schön Ärger." "Alles in Ordnung?" "Ja, aber nicht mehr lange." Dann legte er auf. Er hatte June mit Schwung Richtung Sofa befördert und knallte die Wohnungstüre hinter sich zu. "Weißt du eigentlich, dass das auch ziemlich tödlich für dich hätte enden können?", ein leichtes Knurren lag in seiner Stimme, als er sie weiter anging. "Der Einzige, der mich wohl umbringen will, bist du!", entgegnete sie mindestens genauso wütend, "Es war alles in Ordnung, bis du ausgeflippt bist. Warum regst du dich also so auf?" "Warum? Meinst du das ernst?", er sah sie ungläubig an, "Kannst du dich noch an meine Regeln erinnern?! Ich hab die nicht zum Spaß aufgestellt! Es ist verdammt nochmal gefährlich, wenn du alleine draußen rumläufst!", Tyler legte fassungslos die Hand auf seine Stirn, "Das ist doch echt unglaublich..." Für einen kurzen Moment schloss er die Augen, um wieder etwas runterzukommen, bevor er nun ein wenig ruhiger fortfuhr: "Mal ganz abgesehen davon, dass das gefährlich ist, wären Aaron und ich eben fast zu diesem Idioten Rivers geeiert, der dann sicherlich Eins und Eins hätte zusammenzählen können. Wahrscheinlich weiß er sowieso schon, dass hier was nicht seinen normalen Gang geht. Das spricht sich schneller herum, als du denken kannst." June hatte die Augen stur auf die Tischplatte gerichtet, während sie sich ihren Anschiss abholte. "Okay, ich hab's kapiert. Sorry, mir war langweilig... ich wollte nur...", sie winkte ab, "Nicht so wichtig." "Was wolltest du? Einfach aus Prinzip meine Vorschriften missachten?", fragte er noch immer ziemlich sauer, "Glückwunsch, das hast du geschafft." June warf ihm einen finsteren Blick zu: "Nein. Ich war nochmal bei mir zu Hause. Weißt du, das ist da wo man mich nicht wie Dreck behandelt!", schnauzte sie ihn an, "Und mach dir keine Sorgen, ich hab mich dabei nicht von ihnen sehen lassen. Ich wollte nur wissen, wie es ihnen geht. Nicht gut übrigens." "Welch unerwartete Erkenntnis", gab er übertrieben erstaunt zurück, "Damit konnte wirklich keiner rechnen." "Arschloch!" "Heulsuse." "Halt die Klappe", June warf ihm wütende Blicke zu, "Sag mir lieber, wer dieser Rivers ist." Tyler schnaubte leise und hob die Augenbrauen an: "Ein Vollidiot. Scott Rivers", fing er an, "Nutzt jede Gelegenheit, um uns eins reinzuwürgen", er ging in die Küche, um sich etwas zu Trinken zu holen und blieb dort am Tresen stehen. Auf Ex war das Glas wieder leer und er wandte sich wieder an June: "Das heißt, du bist die optimale Gelegenheit, um mir Probleme zu machen. Viel mehr brauchst du nicht zu wissen", dabei war er wieder erstaunlich ruhig geworden, als wäre nie etwas gewesen, "Außer vielleicht, dass er noch zwei Mädels hat, die ihm hinterherdackeln. Maya und Megan. Voller Tattoos, alle beide, kann man kaum übersehen." June nickte: "Also von ihnen fernhalten", fasste sie kurz zusammen, "Kapiert." Beinahe hätte Tyler gelacht: "Ja genau." Junes Zuverlässigkeit im Bezug auf die Einhaltung von Regeln war nicht wirklich vertrauenserweckend, soviel war sicher. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, sagte aber nichts auf seine sarkastische Bemerkung. "Sind wir dann jetzt fertig?", fragte June noch immer leicht gereizt. Tyler nickte: "Längst." Er stellte das Glas ab und machte sich auf den Weg in die obere Etage. "Lass die Jalousie runter, bevor du dich hinlegst", trug er ihr noch auf, bevor er verschwunden war und sich nicht mehr blicken ließ. Es wurde Zeit, dass diese Nacht ein Ende nahm. Der ganze Abend war schon ziemlich beschissen gelaufen, es konnte also hoffentlich nur besser werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)