Tendency von DieJESSYcA ================================================================================ 011 --- Unverhofft kommt oft. Tyler lehnte sich seufzend zurück. Er drehte sich auf dem Bürostuhl gelangweilt hin und her. "Und der?", er zeigte auf einen der oberen Bildschirme, auf denen ein junger Mann zu sehen war, der June ziemlich aufdringlich anzubaggern schien. "Das ist er NICHT! Den hab ich kurz darauf verjagt!", erklärte sie etwas gereizt. Tylers Sticheleien bezüglich ihres Männerverschleißes hatten sie zunehmend verärgert. "So wie's aussieht, bist du da auch noch nicht dicht genug", er sah zu ihr rüber, "Wenigstens das kann dir jetzt nicht mehr passieren." "Was das?" "Dass du dich bis zur Besinnungslosigkeit zuschüttest. Vorher würde wohl dein Magen explodieren", erklärte er eher beiläufig, während er weiter auf die Monitore blickte. "Wie?!", June hatte ihre Augen nun beinahe entsetzt auf Tyler gerichtet, "Ich kann mich nicht mehr betrinken?" Er schüttelte den Kopf: "No. Zumindest nicht, wenn du's halbwegs genießen willst", er hielt die Videos an und wandte sich seiner sichtbar schockierten Begleitung zu, "Weil dein Körper den Alkohol abbaut, bevor er dir in den Kopf steigen kann. Ziemlich dummes Vampir-Special...", er zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder den Monitoren zu, "Können wir dann jetzt hier weitermachen?" "Ja...", kam es nur etwas missmutig von ihr, als sie ihre Blicke wieder auf die Bilder der Überwachungskameras richtete. "Welche Vampir-Specials gibt es noch, von denen ich wissen sollte?", fing sie nur wenige Sekunden später erneut an zu fragen. Tyler entfuhr ein genervtes Stöhnen: "June, nein!", er sah sie ernst an, "Ich habe dich vorhin gefragt, ob du noch was wissen willst! Jetzt kümmern wir uns zuallererst um diese Videos! Konzentrier dich gefälligst darauf und stell mir deine Fragen später." Sie hob abwehrend die Hände: "Ja doch. Entschuldige vielmals", ihren ironischen Unterton hatte sie sich nicht verkneifen können. Sie lehnte sich mit verschränkten Armen zurück und heftete ihre Blicke wieder auf die Monitore. Alter Dickschädel... Noch eine ganze Weile waren ihre Augenpaare aufmerksam auf das rege Treiben von vor zwei Nächten gerichtet. Tylers gedankliche Stichliste war inzwischen auf fünf Verehrer und acht auffällig interessierte Feiglinge angestiegen, doch noch immer machte keiner den Eindruck, June ernsthaft gefährlich werden zu können. "Ich denke, es muss später gewesen sein. Spul mal vor, so auf 2:00 Uhr morgens vielleicht. Das hier kommt mir nämlich alles noch irgendwie halbwegs bekannt vor." Tyler nickte nur und spulte ein paar Stunden vor, bis er June wankend aus der Damentoilette kommen sah. Er lachte: "Alter, warst du kotzen?" "Ey... Was raus muss, muss raus", rechtfertigte sie sich recht unbeeindruckt. Er schmunzelte nur und beobachtete weiter die Szenen, die sich da am Bildschirm darboten. June hatte Gesellschaft bekommen. "Wou, was wird das jetzt?", sie macht große Augen, als drei Kerle, die allem Anschein nach ebenfalls deutlich betrunken waren, sich ziemlich kontaktfreudig um sie scharten. "Erstaunlich, dass du auf sowas stehst", gab Tyler nur amüsiert von sich, "Hatte ich irgendwie nicht erwartet." "Halt einfach die Klappe und spul weiter! Das will keiner sehen!", beschwerte sie sich und übernahm das Vorspulen selbst, nachdem Tyler sie bewusst ignorierte und weiter verfolgte, wie Junes betrunkenes Ich reihum an den Lippen dieser Kerle hing. "Soviel zum Thema: Sie hätten an dir geklebt. Das wäre bestimmt noch spannend geworden", Tyler genoss Junes Unbehagen über diese Situation. Es erheiterte ihn ungemein. "Ja vielleicht. Aber die können es nicht gewesen sein, so betrunken wie die waren", beendete sie das Thema und versuchte sich einfach weiterhin auf die bewegten Bilder zu konzentrieren, die über die Monitore liefen. "Wahrscheinlich nicht, nein", gab Tyler zu und verharrte weiter schweigend auf seinem Stuhl. Wieder verstrichen ergebnislose Minuten und allmählich wurde Tyler ungeduldig. Er stand auf. "Ich hole mir was zu trinken", verkündete er, "Bis gleich." "Bringst du mir was mit?", Junes überraschter Ausdruck war einem breiten Lächeln gewichen. Mädchentaktik. "Selbstverständlich", gab er mit einem nicht zu überhörenden Hauch Ironie zur Antwort. Tyler verließ den Überwachungsraum und machte sich auf den Weg nach draußen an die Bar. Die Security hatte wohl schon längst ihre Pause beendet und sich wieder unters tanzende Volk gemischt. Zu gerne hätte Tyler den Rest der Nacht auch hier auf der Tanzfläche verbracht, oder in der Lounge. Irgendwo, wo man sich gut die Zeit vertreiben konnte, ohne ständig Junes nerviger Fragerei ausgesetzt zu sein. Gefährlich verlockend, wie all diese schönen Frauen ihre wohlgeformten Körper in engen Kleidern über die Tanzfläche bewegten. Man hätte in diesem Anblick versinken können, ohne das Bedürfnis zu verspüren, je wieder auftauchen zu müssen. "Mit dem Essen spielt man nicht", war wohl eine Regel, die auf Vampire nicht anwendbar war. Man hatte schließlich auch überhaupt keine andere Möglichkeit, wenn man nicht all zu monogam leben wollte. Und wer wollte das schon? Vampire gab es nicht wie Sand am Meer, oder wie Menschen in einem Club, also musste man eben Abstriche machen. Nicht, dass menschliche Frauen nicht schön genug wären, ganz und gar nicht, doch gab es eindeutig Defizite was die Belastbarkeit betraf. "Hier deine Drinks", verkündete der Barkeeper und riss Tyler aus seinen Fantasien. "Hm?", er drehte sich wieder zur Bar um, "Ach ja. Danke." Zu schade. Die Gesellschaft hier draußen war der im Überwachungsraum eindeutig vorzuziehen. Bei weitem attraktiver, freundlicher und überhaupt viel nützlicher. — Einige Meter entfernt, hinten in der minimal ausgeleuchteten Kammer, die sich Überwachungsraum nannte, war June froh, dass Tyler sie eine Weile alleine ließ. Es war peinlich, was sich dort an den Bildschirmen abspielte und Tyler musste das nicht alles sehen. Vielleicht war es gar nicht mal so schlecht, dass sie nun nie wieder so sehr abstürzen konnte, damit würden ihr immerhin diverse Blamagen erspart bleiben. Wie hatte sie es überhaupt so weit kommen lassen können? Sie seufzte leise, als es draußen etwas lauter wurde. June konnte jemanden kichern hören und wandte ihre Blicke erschrocken zur Türe, als eine junge Frau plötzlich hereinplatzte. "Oh Hallo!", sagte die Fremde, "Sorry, wir wollten eigentlich nur ein ruhiges Zimmer suchen, in dem wir ungestört sind." Sie lächelte June etwas verlegen an und sah zu ihrer männlichen Begleitung: "Ich glaube hier sind wir falsch." June sah die beiden mit leichter Fassungslosigkeit an: "Eh... ja, da seid ihr hier definitiv total falsch." "Haha, sorry!", wiederholte die Frau, "Komm Süßer, lass uns gehen." Sie klopfte auf die muskulöse Brust ihres Verehrers und wollte sich schon zum Gehen abwenden, als der dunkelhaarige Kerl sie festhielt. Er sah June eindringlich an. "Zuschauer stören mich nicht", erklärte er ruhig, "Und wenn du Lust hast mitzumachen... Du bist gerne eingeladen, Kleines." Unfassbar. "Wie bitte?!", June warf ihm einen angewiderten Blick zu, "Ihr könnt euren Porno wo anders drehen! Und Tschüss!" Sie zeigte auf die Türe und sah die beiden abwechselnd fordernd an, dass sie doch jetzt gefälligst das Weite suchen sollten. Es half nichts. June stand von ihrem Stuhl auf und wurde etwas lauter: "Muss ich euch erst persönlich nach draußen helfen? Ich sagte, ich bin nicht interessiert! Also verschwindet jetzt!" Noch immer rührten die beiden sich nicht. Arm in Arm standen sie da. Die zierliche Frau warf einen fragenden Blick nach oben zu ihrem Partner, der June nach wie vor aus seinen dunklen Augen heraus erwartungsvoll anstarrte. "Auch gut...", nuschelte June leise und stellte sich darauf ein, ihre ungebetenen Gäste hinauszuwerfen. Notfalls mit Gewalt. "Ich warne euch zum letzen Mal", erklärte June und ging einige Schritte auf sie zu, um ihrer Drohung etwas mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Wieder klopfte die Frau leicht auf die Brust des Mannes. "Jetzt wäre wohl der richtige Zeitpunkt", sagte sie, während ihr süßes Gesicht ein finsteres Grinsen hervorbrachte. Er nickte nur. June verstand nicht ganz, was das zu bedeuten hatte. Sie zögerte einen Augenblick und sah nur noch die Hand dieser Frau blitzschnell auf sich zukommen, bevor sie von ihr aus dem Zimmer gezogen und mit einem harten Schlag in den Nacken außer Gefecht gesetzt wurde. "Das war ja einfacher als gedacht", meinte Scott, nachdem er June mühelos ins Land der Träume geschickt hatte. Maya hatte sie anschließend aufgefangen, da sie das Mädchen ohnehin schon am Kragen gepackt hatte. "Wir sind ja auch noch nicht draußen", gab sie zu bedenken, während sie sich June halb über die Schultern legte. "Richtig, seid ihr nicht", ein leises Knurren ging durch den Raum und die beiden Eindringlinge blickten zur Türe. "Ah, Tyler, alter Freund", Scott lächelte ihn breit an, "Du bist ganz schön nachlässig geworden." "Wer rechnet schon damit, dass ihr Kanalratten einen Fuß in diesen Club setzen würdet", entgegnete er streng und wandte sich Maya zu, "Loslassen, Reisfresser!" "Eh nein", gab Maya nur zur Antwort. Tylers Beleidigungen hatten längst keine Wirkung mehr, seine Worte prallten schon beinahe ungehört einfach wieder ab. Scott seufzte leise: "Tja ich hatte gehofft, dass uns das erspart bleiben würde. Aber so wie es aussieht, willst du erst eins auf die Fresse bekommen, bevor du uns hier raus lässt." Tyler schnaubte belustigt: "Ja fast", er winkte Scott zu sich rüber, "Komm doch her und versuch dein Glück." "Was hast du vor? Willst du mich mit deinen Drinks überschütten?", Scott betrachtete Tyler belustigt, wie er mit seinen beiden Gläsern in der Hand im Türrahmen zum Aufenthaltsraum stehen geblieben war und ihm nun finstere Blicke zuwarf. Scott hatte sich langsam in Bewegung gesetzt und steuerte auf Tyler zu. Aufmerksam musterte er jede kleinste Bewegung seines Gegners. Kein noch so mikroskopisches Muskelzucken blieb Scott verborgen. Ein Ruck ging durch Tylers Körper und das volle Glas verließ seine Hand mit beachtlicher Geschwindigkeit. Scott lachte, als er diesem Geschoss ohne weiteres auswich. "Netter Ver--", setzte er amüsiert an, bis ihm schlagartig das Grinsen aus dem Gesicht fiel. Ein schmerzliches Stöhnen ging durch den Raum. Tyler hob triumphierend die Brauen: "War kein Versuch." Er hatte Maya zielsicher am Kopf getroffen, welche – im Gegensatz zu Scott – wohl nicht mit einem fliegenden Glas gerechnet hatte. Sie hatte June fallen gelassen und taumelte ein wenig, bis sie sich an der Wand wieder etwas Halt zurückerobern konnte. "Schade um den guten Tropfen", meinte Tyler nur unbeeindruckt und genehmigte sich einen Schluck aus dem verbliebenen Glas, wobei er Scott keine Sekunde aus den Augen ließ. "Kein schlechter Spielzug, mein Guter", selbst Scott musste das anerkennen. "Vielen Dank", Tyler nickte kurz und ließ das zweite Glas dann einfach fallen, "Dann lass uns das mal hinter uns bringen. Ich hab noch was vor." Scotts Blicke waren dunkel geworden, seine Muskeln hatten sich angespannt und er war bereit, Tyler das Fell über die Ohren zu ziehen. Solle er mal versuchen. Im Grunde konnten die beiden sich auf Augenhöhe begegnen, sowohl was die Größe betraf, wie auch hinsichtlich Kraft und Schnelligkeit. Es war also eine reine Frage der Tagesform, wer bei dieser Auseinandersetzung den Kürzeren ziehen würde. Scott setzte zum ersten Manöver an. Er musste Tyler frontal angreifen, denn der Türrahmen bot nicht sonderlich viel Freiraum. Ein eindeutiger Nachteil für Scott, was auch einen festen Tritt in die Magengegend zur Folge hatte, dicht gefolgt von einem Kinnhaken und Tylers verächtlichen Blicken. "Wohl nicht dein Abend, was?", fragte er amüsiert, während er einem von Scotts Schlägen auswich und wieder seine Position im Türrahmen einnahm, "Dumm gelaufen." Scott fuhr sich kurz mit den Fingern übers Kinn: "Wenn du zu feige bist, deine Deckung aufzugeben... Selbst Schuld." Tyler sah ihn skeptisch an, als Scott ihn mit einer auffordernden Handbewegung zum Herkommen einlud. Als ob... Tyler hatte nur leider gar keine Wahl. Es benötigte einen festen Tritt in Tylers Rücken, bis ihm klar wurde, dass Scotts Handbewegung nicht ihm gegolten hatte. Notgedrungen musste er seine Position unter dem Türrahmen aufgeben, als er gewaltsam in Scotts Reichweite befördert wurde. Verfluchte Nachlässigkeit. Zwei Knie, fünf Fäuste und einen harten Aufprall später, lag er am Boden. "Na, habt ihr mich vermisst?", Megan stand gemütlich in der Türe und hatte das einseitige Schauspiel zwischen Scott und Tyler beobachtet, bis dieser ächzend zu Boden gegangen war, "Sorry für die Verspätung, ich musste noch ein Script einwerfen." "Und das hatte nicht bis später Zeit?", Scott schüttelte verständnislos den Kopf. "Nein", war Megans Antwort, als sie sich von der Türe löste und zu Maya hinüber ging, die noch immer leicht benebelt an der Wand saß. Scott beugte sich derweil zu Tyler runter und zog ihn am Kragen hoch. Er wirkte sichtlich desorientiert. Zwar noch anwesend, aber definitiv nicht mehr fähig einen gezielten Schlag auszuteilen. Und nun, da Megan auch hier war, hatten sich Tylers Siegchancen ohnehin halbiert. "Und jetzt sag mir: Für wen ist das nun dumm gelaufen?", Scott grinste ihn abschätzig an. "Hauptsache von einem Mädchen den Arsch retten lassen", knurrte Tyler mindestens genauso verächtlich und befeuchtete Scotts Gesicht zur Verdeutlichung mit einer blutdurchzogenen Ladung Spucke, "Wichser!" Nicht unbedingt ratsam in seiner Situation, doch Tyler hatte sich das schlichtweg nicht verkneifen können und erntete postwendend die Quittung dafür. Scotts Faust landete schwungvoll mitten in seinem Gesicht und ließ ihn nach hinten taumeln. Da sein Gegner ihn nun auch nicht mehr festhielt, war der Weg von der Wand zum Boden nicht weit und Tyler blieb mit schwirrendem Kopf auf dem Fußboden sitzen. "Können wir dann gehen?", frage Megan, die Maya inzwischen wieder auf die Beine gezogen hatte und sie sicherheitshalber noch festhielt. Scott wischte sich das Gesicht und wandte sich zu den beiden Frauen: "Ja, sicher." Sein Blick fiel auf June, die noch immer reglos am Boden lag. Er musste sie wohl selbst tragen, da Megan damit beschäftigt war, Maja aufrecht zu halten. "Wir gehen oben raus", verkündete er und ging mit June über der Schulter voran. Der Weg vom Zimmer der Security nach oben in den zweiten Stock führte an den Toiletten vorbei und sie ernteten einige fragende Blicke, doch betrunkene Mädchen, die das Bewusstsein verloren hatten, waren kein wirklich großer Aufreger mehr. Der Ausstieg aus dem zweiten Stock ging schnell. Megan zuerst, sie fing sowohl ihre noch leicht benommene Freundin, wie auch Junes freien Fall ab und gab sie zurück an Scott, der als letzter das Gebäude verließ. "Tjaa, die glorreichen Drei", verkündete Maya mit einem leichten Lächeln. Sie hielt sich noch immer den Kopf, der sich nach dem Einschlag des Glases noch nicht wieder vollständig regeneriert hatte. Megan verkniff sich ein Lachen und wandte sich stattdessen ernst an Scott: "Ich würde sagen: Du fährst!" "Mach ich. Aber wer hat dich zur Chefin erklärt?", er sah sie skeptisch an. "Keiner", antwortete Megan, "Ich wollte auch nur sichergehen, dass du nicht Maya hinters Steuer setzt." "Hey, ich kann fahren!", mischte sich nun auch Maya ein, wofür sie sowohl von Megan, als auch von Scott zweifelnde Blicke zugeworfen bekam. Sie hob beide Hände: "Okay okay... Ich fahre nicht." "Gut", Megan nickte, "Dann sehen wir uns bei dir?", sie hatte sich an Scott gewandt. "Hast du noch was vor?", fragte er, nachdem Megan sich nach Verabschiedung anhörte. "Nein, aber zum einen will ich mich nicht mit der auf die Rückbank quetschen – da ist sowieso eigentlich kein Platz – und zum anderen werde ich meine Lady nicht hier stehen lassen", erklärte sie und wirbelte mit den Schlüsseln ihres Motorrads, "Also bis gleich." Sie klopfte Maya noch kurz auf die Schulter und ging an den beiden vorbei, in die entgegengesetzte Richtung. Scott und Maya machten sich mit June auf den Weg zurück zum Wagen. "Wie geht's deinem Schädel?", fragte Scott, während sie die Straße entlangliefen. "Geht so", antwortete Maya. "Du musst besser aufpassen", fuhr Scott fort, "Nur weil er mir gegenübersteht, heißt das nicht, dass du aus dem Spiel bist. Hast du ja gesehen." "Ja allerdings...", sie seufzte leise und richtete ihre Blicke auf June, die reglos über Scotts Schultern hing, "Wir sollten uns beeilen. Ich weiß nicht, wie lange es noch dauern wird, bis sie wieder aufwacht." "In dem Fall schlägst du sie einfach wieder k.o.", erklärte Scott. Er ließ June von seiner Schulter rutschen, als sie am Wagen angekommen waren und platzierte sie auf dem zugegebenermaßen sehr spärlichen Rücksitz. "Schlüssel", sagte er mit ausgestreckter Hand. Maya händigte ihm ihren üppigen Schlüsselbund aus und nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Der Weg zurück zu Scotts Wohnung war einigermaßen überschaubar und konnte bei zügigem Fahrstil in einer halben Stunde hinter sich gelassen werden. — Megan hatte ihre Honda Fireblade schon längst in Scotts Garage geparkt und wartete nun, nebst ihrem Helm, auf der Treppe, die Ankunft der restlichen Truppe ab. Sie parkte das gute Stück eigentlich regelmäßig hier, da sie bei sich zu Hause einfach nicht den nötigen Platz hatte. Außerdem war es von hieraus nicht all zu weit zu ihrer eigenen Wohnung und falls sie mal keinen Hass auf Scott verspürte, konnte man mit ihm auch ganz angenehme Touren fahren. Schließlich musste man dann nicht mit ihm sprechen und das erleichterte den Umgang ungemein. Mayas Wagen fuhr vor und Megan erhob sich. Scott hatte Wort gehalten. "Wurde ja auch Zeit, dass ihr auftaucht", meinte sie schmunzelnd und beobachtete, wie Scott das junge Mädchen wieder aus dem Wagen hievte. "Nerv nicht", fuhr Scott sie an, als er June zu ihr herüber brachte, "Kümmer dich lieber darum." Er übergab sie ihr und ging weiter zur Haustüre. "War was?", Megan sah ihn fragend an, während sie ihm folgte. Seine miese Laune konnte ja wohl kaum von ihrem spaßig gemeinten Kommentar kommen. Oder doch? "Nein, alles gut. Bring sie schon rein", gab er zurück. Megan seufzte nur und tat, wie ihr geheißen. Sie brachte June auf eines von Scotts Sofas und verschwand anschließend kurz in die Küche, um ein paar Gläser Wasser zu holen. Als sie zurückkam, hatte sich auch Maya schon im Wohnzimmer breit gemacht und nahm das Wasser dankend entgegen. "Was hat er denn?", Megan hatte sich neben sie gesetzt. Maya zuckte mit den Schultern: "Keine Ahnung. Ich glaube, ich hätte nicht erwähnen sollen, dass du zum Glück rechtzeitig aufgetaucht bist." Auf Megans Lippen breitete sich ein schiefes Grinsen aus: "Ach so." Angekratzter Stolz also. Das konnte eine Erklärung sein. "Scott?", Megan hatte sich zu ihm umgedreht, als er aus dem Badezimmer kam, "Was hast du jetzt mit ihr vor?" "Gar nichts", erklärte er und wischte sich die letzten Wassertropfen aus dem Gesicht. "Wie? Gar nichts?", auch Maya hatte ihr Augenpaar nun auf Scott geheftet. "Sagte ich doch", er nahm sich eines der Gläser vom Tisch, "Ich will was von Jacobs und sie ist nur Mittel zum Zweck." "Ah", Maya nickte, "Und was willst du von Jacobs?" Scott machte ein nachdenkliches Gesicht. Es dauerte einen Moment, bis er antwortete: "Es geht ums Prinzip. Es wird Zeit, dass er alles zurückbekommt. Seine überhebliche Art soll er sich in den Arsch stecken und dann kann er gerne auf allen Vieren vor mir durch den Dreck kriechen." "Wusste ich doch, dass du auf solche Spielchen stehst", Megan lachte und fing sich einen finsteren Blick ein. "Würdest du es wohl lassen, solche absurden Thesen aufzustellen?!", Scott sah sie ernst an. Es war kein Thema, bei dem er über solche Scherze hinwegsehen konnte. Ganz besonders nicht, wenn Megan diese losließ. "Jetzt weiß ich immer noch nicht, was genau dein Plan ist", beschwerte sich Maya. "Er hat gar keinen Plan", warf Megan schnippisch ein, "Er will ihn einfach nur ärgern." Scott schüttelte genervt den Kopf: "Ihr versteht das sowieso nicht. Ich könnte es euch erklären, aber dafür ist mir die Zeit zu schade." "Hey...", eine leise Stimme unterbrach die Diskussion, "Was ist los? Wo bin ich hier?" Sofort waren Scott, Maya und Megan still und hatten ihre Augen gebannt auf June gerichtet, die sich langsam aufsetzte. "Oh, guten Abend Liebes", begrüßte Scott sie und seine Laune hatte sich schlagartig um 180 Grad gedreht, "Hast du gut geschlafen?" June sah ihn groß an. Ihre Blicke wanderten zu Maya und Megan, über deren tätowierte Haut und… Natürlich. Ihr war klar, wer vor ihr stand. "Was wollt ihr? Ich sagte doch, dass ich keine Lust habe! Und auf ein Quartett schon gar nicht!", June hatte die Arme verschränkt und sah die drei abwechselnd an. Offensichtlich hatte keiner von ihnen damit gerechnet, dass ihre Geisel eine solch aufmüpfige Art an den Tag legen würde. Megan schmunzelte: "Keine Sorge", sie zeigte auf Scott, "den binden wir fest." "Megan!", Maya klang nicht wirklich begeistert. Die Blondine lachte und erhob sich vom Sofa. "Also ich mag die Kleine irgendwie", verkündete sie und kam zu June herüber, "Hi. Ich bin Megan." "Schön für dich", entgegnete June und musterte skeptisch die mit schwarzen Mustern überzogene Hand, die man ihr hingehalten hatte. "Du sollst dich nicht mit ihr anfreunden", ergriff Scott wieder das Wort, "Sie ist unsere Gefangene und nicht unser Gast." Megan verdrehte die Augen und nahm ihre Hand wieder zu sich: "Gut, wenn du meinst. Sieht auch so aus, als würde sie das gar nicht wollen." "Natürlich nicht!", June wurde etwas lauter. Sie hatte ihre Blicke fest in Megans Augen gerichtet, die noch immer unangenehm nah bei ihr stand. Auch Scott kam nun unaufgefordert näher und nahm direkt vor June auf dem Wohnzimmertisch Platz. Keine sonderlich komfortable Situation. "Hör mir zu, Liebes", fing er an und legte seine Hände auf ihren Knien ab, "Im Grunde betrifft dich das alles hier überhaupt nicht." "Dann könnt ihr mich ja auch wieder gehen lassen. Und Finger weg, Sackpfeife!", June sah ihr Gegenüber finster an und schlug seine Hände von ihren Knien, als er es nicht selbst tun wollte. Das Grinsen in seinem Gesicht war unheimlich geworden. Vielleicht sollte sie sich nicht mit diesem Kerl anlegen. Er fuhr fort: "Du hast ein ganz schön loses Mundwerk, dafür dass du hier ziemlich in der Falle sitzt. Aber weiter im Text: Ich mache dir ein Angebot. Wenn du dich ruhig verhältst und all meine Fragen beantwortest, dann lasse ich die Finger von dir." "Und wenn nicht?" "Das wirst du dann schon sehen", wieder breitete sich dieses unheilvolle Grinsen auf Scotts Lippen aus. Das klang wenig erfreulich und June wollte auch überhaupt nicht wissen, was im Kopf dieses Irren vor sich gehen mochte. Ausnahmsweise wäre ihr Tylers Gesellschaft jetzt wirklich lieber gewesen. In Ruhe peinliche Videos von vor zwei Nächten ansehen, sich seine Sticheleien anhören, Drinks kippen. Wie verlockend. "Was sind das für Fragen?", sie sah ihn abwartend an. Im Augenwinkel konnte sie sehen, wie Megan sich wieder zu dieser anderen Frau gesellte. Das musste dann wohl Maya sein. Scott betrachtete June eindringlich, dann stellte er seine erste Frage: "Wie heißt du?" Was?! Sie sah ihn überrascht an, angesichts dieser banalen Frage. "June Garcia", antwortete sie wahrheitsgemäß. "Wie alt bist du und wann ist dein Geburtstag?" "Sechsundzwanzig. Am 24. Juni." "Wo wohnst du?" "Bei Tyler zu Hause" "Wie groß bist du?" "Sieht man das nicht?", sie sah ihn nachdenklich an. Wozu stellte dieser Kerl all diese uninteressanten Fragen? "Antworte", fuhr er trocken fort. "Ein Meter, 68 Zentimeter." "Familie?" Sie stockte. "Lebt größtenteils in Spanien", antwortete sie schließlich. Scott grinste nur und stellte eine etwas direktere Frage: "Eltern und Geschwister?" "Mutter: Evelyn. Vater: Manuel. Keine Geschwister." "Lüge", Scott hob seine Augenbrauen leicht an, "Du musst schon ehrlich antworten." "Ich lüge nicht!", behauptete sie felsenfest. "Und schon wieder. June, ich brauche keinen Lügendetektor, um zu merken, dass du nicht die Wahrheit sagst. Also nochmal: Geschwister?" Sie sah ihn ratlos an. Konnte er das tatsächlich heraushören? Es schien so. "Dave", gab sie knapp zur Antwort. "Na also, es geht doch", Scott schien sich zu freuen, "Und jetzt kannst du mir erzählen, wie es dazu kam, dass Tyler Jacobs sich einen Schüler zugelegt hat. Wir sind alle schon tierisch gespannt." Keine Lügen also… Welch wundervolle Ausgangslage. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)