Tendency von DieJESSYcA ================================================================================ 013 --- Eine Gutenachtgeschichte. Die letzten Minuten über verfluchte Tyler die Tatsache, dass er ohne seinen Wagen in die Stadt gekommen war. Gerne hätte er sich in die gemütlichen Ledersitze fallen lassen und wäre einfach nur in aller Ruhe nach Hause gefahren. Seine Arme brannten und sein Kopf pochte von den Schlägen, die Scott ihm mitgegeben hatte. Keine wirklich angenehme Situation. Besonders dann nicht, wenn man bedachte, dass sein vorrangiges Ziel momentan nicht die weichen Laken seines Bettes waren, sondern June. Die letzten Kilometer schienen sich schier endlos in die Länge ziehen zu wollen. Tyler konnte sich nicht erinnern, dass der Weg von Manhattan nach Hause schon immer so weit gewesen war. Wahrscheinlich lag es an seiner momentan recht beschissenen körperlichen Verfassung und an den nicht ganz unberechtigten Bedenken bezüglich Junes Aufenthaltsorts. Wenn sie nicht in seiner Wohnung war, dann wollte er das eigentlich auch gar nicht wissen. Doch wie es schien, waren ihm die Götter heute gnädig. Er konnte hören, dass sich jemand oben in den Zimmern aufhielt, als er unten das Haus betrat. Erleichterung machte sich breit. Er würde ins Bett gehen können. Gelobt sei der Herr... Wider Erwarten fand er sein Wohnzimmer jedoch verlassen vor. Er schloss die Türe und konzentrierte sich auf Junes Atem- und Herzgeräusche, um sie lokalisieren zu können. Allem Anschein nach war sie oben. In seinem Ankleidezimmer, den gedämpften Lauten nach zu urteilen. Ein merkwürdiger Aufenthaltsort, schließlich war ein kleiner, lederner Hocker das Einzige, worauf man sich in diesem Zimmer setzen konnte. Er ging nach oben und klopfte kurz an die Türe. Keine Antwort. "June?", er wartete einen Moment. Wieder blieb es still. "Schön, dann nicht", murmelte er mehr zu sich selbst und ging ins Bad, um sich das angetrocknete Blut von den Armen zu waschen. June saß auf dem Boden in Tylers Ankleidezimmer und starrte auf die Türe. Sie war geflohen und hatte sich umgehend auf den Weg zurück zu Tylers Haus gemacht, nachdem Scott aus seinem Schlafzimmer verschwunden war. Das war wohl schon zwei bis drei Stunden her. Sie konnte es nicht mehr genau sagen, doch sie war froh, dass Tyler nun endlich wieder zu Hause war. Irgendwie. Es ging ihm gut und das bedeutete, dass es Scott nicht mehr all zu gut gehen konnte. Das hatte er verdient, dieser dreckige Mistkerl. Sie spürte wie die Wut und der Ekel wieder in ihr hochkamen. Nur ein paar Minuten hatten gefehlt und... Nein. Sie wollte überhaupt nicht darüber nachdenken. Alles war in Ordnung, nichts war geschehen. June atmete tief durch. Sie hörte, wie die Dusche im Nebenzimmer abgestellt wurde und wenig später konnte sie seine Schritte hören, die durchs Schlafzimmer führten. Eine Schranktüre wurde geöffnet und gleich darauf wieder geschlossen. Das musste der kleine Schrank sein, welchen sie vor ein paar Stunden mit Tyler aus dem Ankleidezimmer getragen hatte. Sie konzentrierte sich weiter auf diese Banalitäten, bis es schließlich erneut an ihrer Türe klopfte. "Ich brauche was zum Anziehen", erklärte Tyler, als er nach äußerst knapper Wartezeit das Zimmer betrat und zu seinen Schränken ging. Er beachtete sie nicht weiter, bis er sich eine einfache Jogginghose und ein T-Shirt übergezogen hatte und in ihr entsetztes Gesicht schaute: "Was? Noch nie einen Mann in Unterwäsche gesehen?" Sie reagierte nicht. Tyler seufzte leicht genervt und fuhr fort: "Weshalb sitzt du überhaupt hier oben rum? Ist die Couch nicht bequem genug?" Wieder keine Antwort von June. Er gab auf. Sollte sie doch schmollen. Oder trotzen. Was auch immer es sein mochte, das ihr die Sprache verschlagen hatte. Es war nicht sein Problem. June hatte sich inzwischen erhoben. Sie lehnte schweigend an der Wand und beobachtete, wie Tyler wieder Richtung Ausgang ging. Sie hatte Hunger und er roch köstlich. Er hatte ihr den Rücken zugewandt. Jetzt oder nie. Sie stieß sich ab und überbrückte die kurze Distanz im Bruchteil einer Sekunde. Nur wenige Millimeter trennten sie noch von seinem verlockenden Hals, als Tyler einen Schritt zur Seite trat und June mit einem leichten Schlag auf ihren Rücken ins Leere laufen ließ. "Vergiss das mal ganz schnell", sagte er ruhig und teilte noch zwei halbherzige Ohrfeigen aus, da sie ihn noch immer gierig ansah. "Ich bin nicht dein Nachtmahl", erklärte er erstaunlich gelassen und musterte ihr verdutztes Gesicht, nachdem sie wieder zu Besinnung gekommen war, "Klar?" Sie sah ihn mit großen Augen an. Was war da eben in sie gefahren? Hatte sie wirklich vorgehabt Tyler anzugreifen? Ganz offensichtlich. "Ich eh... also das war...", June konnte sich das selbst nicht richtig erklären. Ihr Blick fiel auf seine Arme, welche noch immer von dünnen, roten Linien geziert wurden. Das leichte Schimmern des Blutes auf seiner Haut faszinierte June und je länger sie darüber nachdachte, desto reizender empfand sie diesen Anblick. "June!", Tylers Stimme drang unerwartet laut an ihr Ohr und sie blickte erschrocken wieder nach oben in sein Gesicht. Er sah sie ratlos an: "Ehrlich? Das bisschen lässt dich ausflippen?", er schüttelte den Kopf, "Kann ja wohl nicht wahr sein... Das ist praktisch gar nichts." "Tut mir Leid... Ich weiß auch nicht, was los ist", sie senkte ihren Blick und wand sich der Treppe zu, "Ich gehe dann wohl besser." Diesmal schwieg Tyler. Er sah ihr hinterher, wie sie die Stufen hinunterging und sagte kein Wort. Es war merkwürdig, dass June so stark auf das wenige Blut reagiert hatte. Die Schnitte an seinen Armen waren inzwischen schließlich fast wieder vollständig verheilt. Wenn man bedachte, wie tief sie zu Beginn gewesen waren, als Scott ihn-- Scott... Ja richtig. "June, sag mal", er kam ans Treppengeländer und sah zu ihr hinunter, als sie gerade die letzte Stufe verlassen hatte, "was genau hat Scott eigentlich mit dir getrieben?" Sie versteinerte. Daran wollte sie nicht mehr denken. "Nichts", sagte sie und löste sich aus ihrer Starre, um sich auf dem Sofa niederzulassen. Tyler ließ jedoch nicht locker: "Habt ihr nur gevögelt, oder hat er sich auch an deinem Blut bedient?" "Wie kommst du bitte darauf?!", sie klang zunehmend gereizt. Tyler verzog nachdenklich die Lippen. Das arme Mädchen hatte einfach überhaupt keine Ahnung. "Was meinst du wohl, wie ich darauf komme?", er atmete tief durch und bequemte sich dann ebenfalls hinunter ins Wohnzimmer, "Das ist seine Masche." "Masche?!", sie sah ihn entsetzt an, "Was soll das für eine Masche sein?!" Tyler hob den Zeigefinger: "Sag mir zuerst, ob er dein Blut getrunken hat." Sie nickte verhalten und Tyler seufzte. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ er die Wohnung. June machte es sich derzeit auf dem Sofa gemütlich und wartete auf seine Rückkehr. Es dauerte keine ganze Minute, bis er wieder zurück kam und in die Küche ging. Blutkonserven?! "Sagtest du nicht, du hättest keine mehr?", fragte June, als Tyler die beiden gefrorenen Beutel öffnete und deren Inhalt in einen ziemlich unbenutzt wirkende Küchenmixer steckte, um das Ganze zu zerkleinern. Tyler wartete mit seiner Antwort, bis die Maschine wieder still war: "Ja, das sagte ich", er füllte einen Teil des Inhalts in zwei Gläser und steckte je einen kleinen Löffel dazu, "War gelogen." "Toll", sie klang wenig verständnisvoll. "Als ob du immer ehrlich wärst", er warf ihr einen skeptischen Blick zu und drückte ihr schließlich eines der Gläser in die Hand, "Ich habe dir Eis gemacht, also entspann dich." June musterte das Glas in ihrer Hand. Es sah etwas merkwürdig aus, doch ihr neues Ich ließ sie nicht lange zögern und verspeiste das 'Eis' noch ehe Tyler sich den ersten Löffel genehmigen konnte. Er hatte fasziniert zugesehen, wie sie praktisch alles auf einmal verschlungen hatte und wies Richtung Küche: "Drüben ist noch mehr." Das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Sie sprang vom Sofa und eilte davon. Erstaunlich wie wenig abartig ihr das alles vorkam. Blut in Eisform. Irgendwie recht appetitlich. "Hast du's dann?", Tyler stand noch immer mit seinem ersten und wohl auch einzigen Glas im Wohnzimmer und wartete darauf, dass June endlich zurückkommen würde. Sie hatte die Reste aus dem Mixer komplett alleine beseitigt und blinzelte ihn etwas verlegen an. "Ja...", gab sie leise von sich und begab sich wieder aufs Sofa. Es war ein wenig unangenehm, dass sie sich so von ihren Gelüsten hatte leiten lassen. Besonders, da Tyler das mitbekommen hatte. Es ließ sich nicht ändern, doch glücklicherweise ging er nicht näher darauf ein. Wohl aber auf ein weitaus abscheulicheres Thema: "Also, Scotts Masche", fing er an und June wollte das eigentlich schon längst nicht mehr wissen, doch Tyler schien einen gesprächigen Abend zu haben und ließ sich von ihren Blicken nicht aufhalten, "Er meint, dass er mich damit angreifen kann, wenn er dich fickt, weil du praktisch 'meins' bist", er deutete einhändige Anführungszeichen an, "und er dir dadurch seinen Stempel aufdrückt, wodurch ich wiederum tagein tagaus an seine unerschütterliche Dominanz erinnert werden soll", er zuckte leicht mit den Schultern, leerte den letzten Rest aus seinem Glas und stellte es auf den Wohnzimmertisch, "Das hat er schon immer so gemacht. Funktioniert aber nicht." "Wir hatten keinen Sex", stellte June die Sache richtig. Tyler sah sie erstaunt an: "Oh", er schmunzelte zufrieden, "Na dann." "Bringst du mir das bei?", June ließ ihm keine Zeit, sich ins Bett zu verabschieden. Er sah sie etwas irritiert an: "Und zwar was?" "Wie man sich verteidigt. Ich komme mir vor, als wäre ich noch genauso schwach wie als Mensch...", in ihren Blicken lag eine gewisse Unsicherheit und Tyler musste lachen. "Was hast du denn erwartet, wenn du dich mit Rivers anlegst?", er musterte ihre empörten Blicke, "Eine Kopfnuss und er fällt um? Das ist lächerlich. Der Kerl ist gute hundert Jahre älter als du und hat einiges mehr an Erfahrung. Ich kann dir vielleicht ein paar Kleinigkeiten beibringen, aber auch dann ist er immer noch ein Kerl und du ein Mädchen. Selbst wenn du etwas älter wärst, stünden deine Chancen immer noch ziemlich schlecht." Erneut hatte ihr irgendetwas die Stimme geraubt. Tyler betrachtete ihre geweiteten Augen: "Was ist jetzt schon wieder?" "Wie alt ist der Kerl?", kam es ziemlich verblüfft von ihr. Natürlich. Jetzt verstand Tyler, was June so aus der Fassung gebracht hatte. "134", antwortete er mit einem leichten Lächeln im Gesicht. "134?!", das Entsetzen stand ihr ins Gesicht geschrieben, "Dann ist er ja noch im 19. Jahrhundert geboren!" Tyler nickte: "15. Mai 1880, um genau zu sein." Fassungslos starrte sie ihn an. Sie hatte davon gehört, dass Vampire unsterblich waren, zumindest in den Hollywoodfilmen war das meistens der Fall, aber dass das wohl der Realität entsprach, war doch irgendwie mehr als verstörend. "Und du?", fragte June schließlich. "1886", antwortete er, "Ergo bin ich 128." "Scheiße, bist du alt", platzte es aus ihr heraus. Tyler schmunzelte nur, statt sich zu beschweren und fuhr fort: "Ich bin nicht alt. Nicht für einen Vampir. Soll ich dir sagen, wann Alexander geboren wurde?", sie nickte gespannt, "1570. Er geht schon auf die 500 zu." Junes Augen wären beinahe aus ihrem Gesicht gesprungen, als Tyler das sagte. "Da hat er sich aber gut gehalten", meinte sie halb scherzend, halb im Ernst. "Haha", gab Tyler trocken zurück, "Wir altern nicht." "Gar nicht?" "Gar nicht. Und das ist gut so. Stell dir vor du lebst ewig und irgendwann bestehst du nur noch aus Falten", er schüttelte leicht angewidert den Kopf, "Da müsste man sich zwangsweise irgendwann selbst umbringen." "Wegen der Eitelkeit?" "Ganz genau", er nickte zustimmend, "Wer sich's leisten kann, darf eitel sein und ich kenne keinen, der es nicht ist." June musterte ihn prüfend: "Da fällt mir ein, du hast mir noch immer nicht das Mysterium der Schönheit der Vampire erläutert. Letzes Mal sind wir vom Thema abgekommen." Tyler überlegte einen Augenblick, bis er sich wieder an die letzte Unterhaltung erinnerte: "Richtig. Das ist ganz schnell erklärt: Wenn du die Wahl und unendlich viel Zeit hast, suchst du dir dann eine schöne oder eine hässliche Visage, um dich täglich damit zu umgeben?" "Geht es bei sowas nicht vielmehr um den Charakter?" "Auch, aber tu mal nicht so scheinheilig. Charakter ist das eine, aber wenn dir die Fresse nicht gefällt, dann wirst du dich nicht drauf einlassen. Außerdem hat das auch etwas mit Prestige zu tun", führte er seine Erklärungen weiter aus. "Da frage ich mich wirklich, was Alexander dann an dir gefunden hat...", sie hob leicht die Brauen. "Wirst du schon wieder zickig?", er verschränkte die Arme vor der Brust, "Ich glaube nicht, dass ich mich hier in irgendeiner Form vor dir rechtfertigen muss, warum, weshalb und wieso ich unwiderstehlich bin. Wenn du's nicht einsehen willst: Gut. Dein Ding. Ich werde mir hier nicht den Mund fusselig reden, um dich von Tatsachen zu überzeugen, die mehr als offensichtlich sind", er winkte ab und ging hinüber zur Fensterfront am Balkon, um die Jalousie herunter zu lassen, "Ich werde schlafen gehen, bevor ich mich aufrege." "Aber ich wollte noch ein paar Fragen beantwortet haben", beschwerte sie sich, als Tyler die Treppe ansteuerte. "Pech", war seine knappe Antwort, bevor er nach oben ging und verschwand. Er hatte beschlossen, sich nicht mehr auf Junes Provokationen einzulassen und jegliches Gespräch unverzüglich abzubrechen, sobald sie sich wieder erdreistete, ihm mit irgendwelchen Sprüchen dumm zu kommen. Früher oder später würde sie schon merken, dass diese Art und Weise, wie sie mit ihm sprach, keine Früchte hervorbringen würde. June war perplex auf dem Sofa sitzen geblieben und hatte ihm nachgesehen. Dass er mitten in der Unterhaltung einfach das Weite suchte, war erstaunlich. "Du wolltest mir noch etwas über Vampir-Specials erzählen!", rief sie ihm hinterher, doch es blieb still. Auch als sie noch ein zweites und drittes Mal gerufen hatte, zeigte Tyler keine Reaktion. Dann würde sie ihn eben später fragen. Sicher war er wieder ansprechbarer, nachdem er geschlafen hatte. Er konnte schließlich nicht den ganzen nächsten Abend so schweigsam bleiben. Jedenfalls hoffte sie das, als sie die Bettdecke von der Sofalehne zog und sich hinlegte, um etwas Ruhe zu finden. Wobei Ruhe momentan eher ihr Feind, als ihr Freund war. Mit ihr brach auch Junes innere Unruhe über sie herein und diese war weit wenig entspannend. Zu viele Gedanken in zu kurzer Zeit. Es würde schon alles irgendwie gut werden. Das musste es einfach. — Noch sichtlich benommen hatte Megan sich inzwischen wieder in eine aufrechte Position gebracht. Es fühlte sich an, als würden voll beladene Güterzüge in ihrem Kopf im Kreis fahren und regelmäßig an der Schädelwand entlangschrammen. Sie hatte Mühe die Augen offen zu halten, doch wollte sie sich das Schlachtfeld ansehen, das Jacobs und seine Kollegen hier hinterlassen hatten. Scott hing leblos im Metallgestell seines Tisches. Offenbar hatte jemand ihm das Genick gebrochen. Sehr schön, das hatte sie sich selbst auch schon das eine oder andere Mal gedacht. Es stand ihm ausgezeichnet. Ihre Blicke glitten weiter durch den Raum und fanden Maya, die in einer beachtlichen Blutlache auf dem Boden lag. Auch das sah nicht sehr gesund aus. Allem Anschein nach war Megan die Einzige, die lebendig aus dieser Auseinandersetzung hervorgegangen war. Sie zog ihr schmerzendes Bein heran und wagte einen Versuch aufzustehen. Ein gebrochenes Schienbein eignete sich nicht besonders gut zum Laufen. Sie hinkte also einmal schräg durch den Raum und ließ sich neben Maya wieder auf den Boden sinken. Die anstrengendsten fünf Meter seit langer Zeit, doch Megan war froh, dass sie sie gegangen war. Eine lange Glasscherbe steckte quer im Hals ihrer Freundin und verhinderte jeglichen Heilungsprozess. Solche Bastarde! Vorsichtig entferne sie das störende Teil. "Schau mich nicht so an, ich kann nichts dafür", sagte sie leise und schloss Mayas vor Schreck aufgerissene Lider. Natürlich konnte Maya sie nicht hören, sie war tot. Jedenfalls vorübergehend, bis ihr Körper sich soweit geheilt hatte, dass Leben wieder möglich war. Auch Megan würde noch etwas Zeit benötigen, um wieder auf die Beine zu kommen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie hievte sich mit all ihrer restlichen Kraft aufs Sofa und schloss die Augen. Die Züge in ihrem Schädel wollten noch immer keine Ruhe geben, doch sie wurden leiser, je drängender der Schlaf sie zu überkommen drohte. Es wurde ruhiger und Leichtigkeit empfing ihre schmerzenden Glieder, als sie endlich in einen komatös anmutenden Schlaf fiel, der keine Bewegung zuließ und ihre Verletzungen allmählich heilte. Zahlreiche Stunden vergingen, bis Megans Ohren wieder ihre Umgebungsgeräusche wahrnahmen. "Megan...", eine erstickte Stimme hatte die Buchstaben ihres Namens mühevoll aneinandergereiht. Sie klang heißer und war kaum zu erkennen, doch es konnte nur Mayas Stimme sein. Megan öffnete die Lider und wandte sich zur Seite. Auf halbem Weg zum Sofa hockte Maya. Sie hatte ihre schönen, dunklen Mandelaugen voller Verzweiflung auf ihre Freundin gerichtet und sah sie hilfesuchend an. Es bedurfte keiner Worte, damit Megan ihre Blicke deuten konnte. Maya hatte viel Blut verloren – ihr Shirt war voll davon und klebte festgetrocknet an ihrem Körper – sie musste tierischen Hunger haben, konnte in diesem Zustand aber unmöglich nach draußen. Selbst wenn, laut der Uhr, die an Scotts Wand hing, war es bereits früher Nachmittag und die Sonne hätte ihr sofort die Haut verbrannt. Megan erhob sich vorsichtig vom Sofa. Knochenbrüche bedurften einiger Zeit, um wieder vollständig zu heilen, manchmal sogar mehrere Tage. Megan bemühte sich, ihr rechtes Bein nicht all zu sehr zu belasten, als sie sich neben Maya auf den Boden setzte. "Du wirst dich noch etwas gedulden müssen, Süße", teilte sie ihr ruhig mit und pflückte die angeklebten Strähnen aus ihrem Gesicht. Maya öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch mehr als ein unverständliches Krächzen brachte sie nicht hervor. Ihre Stimmbänder waren in Mitleidenschaft gezogen worden und ihr Hals schmerzte wie verrückt. "Du solltest dich noch ein wenig hinlegen", sagte Megan so beruhigend wie möglich, "Aber vorher sollten wir dich in die Dusche stecken, sonst frisst du dich am Ende noch selbst auf." Sie lächelte leicht. Natürlich würde Maya sich nicht selbst auffressen, doch auch das eigene Blut konnte einen verrückt machen, wenn man dringend etwas zu sich nehmen wollte und sie verspürte große Dringlichkeit. "Komm hoch", Megan war wieder aufgestanden und hielt ihr beide Hände hin. Maya musterte sie unsicher. Sie zögerte einen Moment, dann griff sie zu und ließ sich von Megan auf die Beine ziehen. Wackelig und zitternd stand sie da. Der Weg ins Badezimmer schien endlos und ihre Knie waren so unkontrollierbar weich, dass jeder ihrer Schritte von ihrer Freundin gestützt werden musste. Megan setzte sie auf der Toilette ab, als sie endlich im Bad angekommen waren und öffnete den Wasserhahn der Badewanne. An eine schnelle Dusche war momentan wohl kaum zu denken. Sie seufzte leise, während sie beobachtete, wie das Wasser eilig in die Wanne stürzte. Es stieg rasch an und allmählich bemerkte sie, wie auch die Wut sich mehr und mehr in ihr aufbaute. Auf Aaron, der ihr das Bein gebrochen hatte, auf Cathlyn, die so übertrieben auf Maya losgegangen war und auch auf Tyler, weil er die beiden überhaupt erst hierhergebracht hatte. Doch am allermeisten verabscheute sie Scott dafür, dass er diese Prügelei überhaupt provoziert hatte. Er dachte einfach nicht nach, wenn es um Jacobs ging. Sie stellte das Wasser ab. "Okay, das sollte genügen. Bist du dann soweit?", sie drehte sich wieder zu Maya um, die mit geschlossenen Augen an den kühlen Fliesen lehnte und sich nicht rührte, "Maya?" Ihr blutverschmiertes Gesicht zuckte leicht und sie blinzelte Megan müde an, als sie ihren Namen vernahm. "Worauf wartest du noch?", Megan musterte die zugegebenermaßen recht hilflos wirkende Frau, "Jetzt reiß dich mal zusammen!" Sie kam zu ihr zurück und zog leise fluchend das vollgesogene Top über Mayas Kopf. "Du kannst von Glück sagen, dass ich eine gute Kinderstube genossen habe", erklärte Megan etwas mürrisch und öffnete den Reißverschluss an Mayas Rock, um ihr diesen von den Beinen zu streifen, "Für gewöhnlich bin ich nämlich niemandes Dienstmädchen." Sie war nicht gerade zimperlich, als sie Maya ihrer Kleidung entledigte, doch die schien das ohnehin nicht zu kümmern. Maya hatte andere Probleme, welche ihre volle Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Sie ließ sich protestlos entkleiden und hatte den Blick starr auf Megans Gesicht gerichtet, welche nachdenklich die Flecken auf Mayas Haut betrachtete. "Sieht nach einer ordentlichen Rippenprellung aus", sie wandte ihre Blicke wieder nach oben, stand auf und packte Maya am Arm, um sie erneut hochzuziehen. Etwas mühevoll verfrachtete sie Mayas zunehmend lethargischen Körper in die Badewanne. Sie atmete tief durch, als ihre Freundin endlich im warmen Wasser lag und kniete sich neben die geflieste Außenwand der Wanne. "Sobald Scott wieder aus dem Reich der Toten zurückgekehrt ist, werde ich ihm sagen, dass das so nicht geht", erklärte sie ruhig und ohne zu wissen, ob Maya überhaupt noch wahrnahm, was sie sagte, "Das ist eine Sache zwischen ihm und Jacobs und er zieht uns einfach so mit hinein. Ich finde, das muss aufhören." Auf Mayas zitternden Lippen zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab. Megan atmete erleichtert aus. Scheinbar war sie zumindest noch aufnahmefähig. "Ich sehe das jetzt mal als Zustimmung", merkte sie schmunzelnd an und beugte sich über die Wanne, um einen Schwamm zu angeln. Sie berührte ihn mit den Fingerspitzen, als ihre Hand am nassen Wannenrand nach unten ins Wasser rutschte. Ein schmerzvolles Keuchen hallte von den Fliesen wider und sie spürte Mayas scharfe Zähne in ihrem Hals. "Fuck! Maya! Was soll der Scheiß?!", sie fluchte laut und stemmte sich wieder nach oben. Maya hatte noch immer beide Arme fest um sie geschlungen und ließ sich ein Stück aus dem Wasser ziehen. Ihre Lippen hingen weiter gierig an Megans blutendem Hals, als diese ohne weitere Worte des Missfallens ihre Situation akzeptierte. Megan seufzte entnervt , machte jedoch keine weiteren Anstalten diesen Überfall zu unterbinden. Sie verharrte geduldig in gebeugter Haltung über der Wanne und beobachtete die Wassertropfen, die von Mayas Haaren über ihren Rücken wieder zurück nach unten liefen. Es war weder verwunderlich, noch konnte man Maya dafür einen Vorwurf machen. Die ganze Zeit musste sie schon mit sich gekämpft haben und irgendwann vermochte selbst der kontrollierteste Vampir das Verlangen nicht länger zu unterdrücken. "Genug jetzt", sagte Megan trocken und musste etwas nachhelfen, um Maya von sich zu lösen. Sie drückte sie einige Sekunden unter Wasser, bevor sie aufstand und ihr den Schwamm ins Gesicht warf: "Wasch dich ab und dann geh schlafen. Ich bin draußen." Gerne hätte Maya noch etwas gesagt, doch ihre Stimme war noch nicht zurückgekehrt. Megan hatte Recht. Sie musste sich jetzt ausruhen und ausgiebig erholen, alles Andere hatte keine Priorität. Draußen hatte sich Megan inzwischen daran gemacht, Scott aus seinem Gitterkäfig zu bergen. Er würde sich sonst nur aufregen, wenn er aufwachte und noch immer so schief in diesem Trümmerfeld lag. Da Megan jedoch eine vernünftige Unterhaltung anstrebte, war es klüger Scott nicht zu verärgern. So legte sie ihn einigermaßen ordentlich auf dem zweiten Sofa ab, bevor sie selbst wieder ersteres in Beschlag nahm. Was tat man nicht alles für ein bisschen vernünftige Gesprächsgrundlage? Als Maya einige Minuten später das Badezimmer verließ, um sich auf den Weg in Scotts Schlafzimmer zu machen, war Megan bereits zurück ins Land der Träume entschwunden und Scott hatte endlich wieder zu atmen begonnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)