Herzschlag I von DieJESSYcA (Miss Paine) ================================================================================ 014 – Das Angebot ----------------- Ich schlug die Augen auf und über mir erkannte ich eine helle cremefarbene Decke. Ich war in meinem Zimmer und die Sonne schien durchs Fenster. War ich die ganze Zeit hier gewesen? Ich versuchte mir die letzte Nacht ins Gedächtnis zu rufen. Die Erinnerung kam schnell zurück. Ezra war schwer verletzt gewesen und ich war vor Sofia in den Wald geflohen. Sie hatte mich verfolgt und dann wurden meine Erinnerungen trüb. Hatte ich wieder geträumt? Ich fühlte mich so ruhig und entspannt, kein bisschen wie nach einem panischen Fluchtversuch. Wahrscheinlich ging meine Fantasie nun endgültig mit mir durch. Und obwohl meine Erinnerung sich so real anfühlte, war es völlig absurd. Ich setzte mich auf und strich meine Haare zurück. Auf meinen Armen entdeckte ich feine Kratzspuren, wie von Sträuchern. Meine Panik kehrte zurück, bevor ich wirklich verstand, was das bedeutete. Diese Spuren hatte ich mir im Wald zugezogen. Es waren nicht die Erinnerungen an einen Traum, es war die Realität. Sofia hatte mich zurück in ihr Haus gebracht und mein Herz begann laut zu klopfen. Ich ermahnte mich zur Ruhe. Leise schlich ich aus dem Bett und ging aufs Fenster zu. Es war nur der erste Stock und unten war weicher Boden. Sofia würde es nicht merken, wenn ich verschwand. Abgeschlossen. Jemand hatte das Fenster verriegelt. Konzentriere dich! Mein Kopf schien Feuer gefangen zu haben, so brannten meine Gedanken darin. Ich musste einen anderen Weg finden. Einen, der mich unbemerkt aus diesem Haus führen würde. Vorsichtig näherte ich mich meiner Tür und nahm die Klinke in die Hand. Ich atmete tief durch, konzentrierte mich und drückte sie langsam hinunter. Die Tür öffnete sich geräuschlos und ich war erleichtert, dass Sofia nicht draußen im Flur auf mich wartete. Auf Zehenspitzen wagte ich mich die Treppe hinunter. Im Haus war es viel zu still. Ich hörte jeden meiner Schritte, jeden Atemzug. Meine Handflächen waren nass und mein ganzer Körper schwitzte, während ich mich allmählich dem Ausgang näherte. "Sie ist versperrt." Es war die Stimme eines Mannes, die mich zusammenfahren ließ, als ich vor der Haustür stand. Hitze schoss durch meine Adern und ich drehte mich um. Ezra war aus dem dunklen Salon gekommen und blieb vor mir stehen. Er war am Leben. "Wir müssen verschwinden!", flüsterte ich. Ich war froh, ihn zu sehen. Es schien ihm überraschend gut zu gehen und zusammen würden wir gewiss entkommen können. Er sagte nichts, stattdessen kam er zu mir, nahm meine Hand und zog mich hinter sich her. Vielleicht kannte er einen Ausweg. Ich folgte ihm in den Keller, ohne Fragen zu stellen. Jedes Wort konnte eines zu viel sein und ich wollte nichts riskieren. Er brachte mich in unseren Übungsraum und schloss die Tür. "Kommen wir hier irgendwo raus?" "Nein." "Dann ... verstecken wir uns hier?" "Nein." Ich war verwirrt. Warum waren wir sonst hier? "Sofia möchte mit dir sprechen." "Was?" Das konnte nicht sein Ernst sein. Ich sah mich nervös im Raum um und entdeckte sie. Sofia saß seelenruhig auf dem einzigen Stuhl, den es hier gab und wartete auf mich. Ezra hatte mich hintergangen. Er hatte mich getäuscht und hinters Licht geführt und das schmerzte noch tausendmal mehr, als Sofias Betrug. Weil ich mich um ihn gesorgt hatte und weil er das offensichtlich nicht wert gewesen war. Es machte mich wütend. "Ich sagte doch, es geht ihm gut", wiederholte Sofia ihre Worte und kam mitsamt dem Stuhl zu uns herüber. Ich hatte keine Ahnung, welches Spiel hier gespielt wurde, ich wusste nur, dass ich nicht mitspielen wollte. Mit einem festen Ruck entriss ich mich Ezras Griff und steuerte auf den Ausgang zu. Ich hörte Sofia, wie sie ihm auftrug, mich zurückzuholen und keine Sekunde später hatte er mir die Arme auf dem Rücken verdreht und mich hochgehoben. "Lass mich los, du feiger Verräter!" Ich trat um mich, doch Ezra ließ das völlig kalt. Er brachte mich zurück zu Sofia und setzte mich auf den Stuhl, den sie bereitgestellt hatte. Es war unfassbar, wie stark er war. Ich versuchte mich loszureißen, wollte all das anwenden, was er mir beigebracht hatte, doch es funktionierte nicht. Er hielt mich mühelos auf dem alten Holzstuhl und Sofia setzte sich vor mir auf den Boden. "Beruhige dich bitte." Ich wandte mich Sofia zu und wünschte ihr die Pest an den Hals. Dieser Schlange, die meine Verletzlichkeit ausgenutzt hatte. "Fahr zur Hölle!" "Megan ... bitte, hör mir einen Augenblick zu." Ich schnaubte zornig und ließ sie sprechen. "Ich hege keine bösen Absichten mit dir. Du bist hier sicher, nach wie vor." "Dann erkläre mir, wie ich das glauben kann, nach allem, was letzte Nacht passiert ist!" "Das werde ich versuchen, aber dafür musst du mir zuhören." Ich war überzeugt, dass sie krank sein musste und Ezra genauso. Ich würde verschwinden, sobald sich die Möglichkeit bieten würde, doch vorerst saß ich fest, also sollte Sofia ruhig versuchen, mich aufzuklären. "Bin ich eure Gefangene?" "Nein, natürlich nicht." "Es fühlt sich aber so an!" Sofia warf Ezra einen kurzen Blick zu, er ließ mich los und Sofia fuhr fort: "Ist es so besser?" Ich verschränkte die Arme vor der Brust und überlegte, wie ich den beiden entkommen konnte. Dass ich nicht mehr festgehalten wurde, war immerhin ein Fortschritt. Da ich nicht antwortete, dauerte es ein wenig, bis Sofia weitersprach. "Die letzte Nacht war das Ergebnis einiger Umstände, die sich unglücklich aneinandergereiht haben. Ich kann verstehen, dass es dich verängstigt hat. Es waren sehr viele Eindrücke, die du noch nicht zuordnen kannst und deswegen hat es dich verstört." "Dann erleuchte mich!" Dieses inhaltslose Gerede brachte mich kein Stück weiter. In mir schwelte der Zorn. Er hatte meine Angst vertrieben und machte mich mutig. Ich hatte ohnehin nichts mehr zu verlieren. "Megan ... glaubst du an Vampire?" Ich sah sie ratlos an. Wollte sie mich auf den Arm nehmen? Warum stellte sie mir solch unwichtige Fragen? "Bram Stoker. Er hat eine Geschichte darüber geschrieben. Das ist nur ein Roman." Sie nickte. "Ja, das ist nur ein Roman. Viele andere Geschichten über Vampire sind auch nur Hirngespinste, aber nicht alle." "Was soll das heißen?" "Ich bin sicher, du bist schlau genug, um das selbst herauszufinden." Wollte sie mir etwa weismachen, dass es Vampire gab? Diese tageslichtscheuen, blutsaugenden Wesen, die ... Tageslicht? Ich hatte Sofia tagsüber noch nie draußen gesehen. Eigentlich hatte ich sie tagsüber grundsätzlich so gut wie nie gesehen. Es war absolut unmöglich und trotzdem saßen wir im Keller, obwohl dieses Gespräch genauso gut in jedem anderen Raum dieses Hauses hätte stattfinden können. "Das ist lächerlich!", fuhr ich sie an, nachdem ich lange genug darüber nachgedacht hatte. "Du versuchst mich mit deinem Gerede in den Wahnsinn zu treiben, aber das wird nicht funktionieren. Du bist völlig irre!" Sofia schüttelte den Kopf, ihr Gesicht war entspannt und sie antwortete mir geduldig: "Nein, ich möchte dir die Augen öffnen. Der Mensch ist nicht die Krone der Schöpfung. Er irrt sich, wenn er denkt, er wäre über alle anderen Lebewesen erhaben." "Und du meinst, diesen Titel beanspruchen zu dürfen? Das ist verrückt." "Nein, ich glaube nicht an die Schöpfung. Aber wenn du es auf diese Weise betrachten möchtest, so wäre ich nur das Schwert in Gottes Hand." "Was du tust, ist nicht in Gottes Sinn!" "Es ist in meinem Sinn und das genügt mir", antwortete sie mit einem Lächeln. Sie schien von ihrer eigenen Geschichte so überzeugt zu sein, dass es ohne Zweifel nur ein massives Problem in ihrem Kopf sein konnte. Kein normaler Mensch würde derart wirre Dinge für bare Münze nehmen. "Schön. Und was habe ich damit zu tun?" "Du glaubst mir nicht, oder?" Auf diese Frage bekam sie keine Antwort. "Was glaubst du, wie ich dich letzte Nacht im Wald hätte finden können, wenn ich nur ein Mensch wäre? Wie hätte ich dir so mühelos den Weg abschneiden und dich zurück in dein Zimmer bringen können, wenn ich wäre wie du? Hättest du das gekonnt?" "Nein, aber ..." "Ich möchte, dass du meine Schülerin wirst." Sie hatte mir den Wind aus den Segeln genommen. Ich saß versteinert auf meinem Stuhl fragte mich, wohin all das führen sollte. "Schülerin?" "Ja, ich möchte dich ausbilden und die nächsten Jahrzehnte an meiner Seite wissen." Mir fehlten die Worte. Diese Frau brauchte dringend Hilfe. "Das heißt ... ich würde dann auch ein Vampir werden?" Ich spielte mit. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, dass ich auf diesem Wege entkommen konnte. "Sobald du dazu bereit bist." "Verstehe." "Du glaubst mir noch immer nicht." "Doch, ich glaube dir." Sofia schmunzelte wissend, als könnte sie meine Gedanken lesen. Sie stand auf, kam zu mir und ging vor mir in die Hocke. Ihre Augen bohrten sich in meine. "Ich höre aber, dass du lügst, also ... wie kann ich es dir beweisen?" "Stell dich in die Sonne. Wenn du verbrennst, dann glaube ich dir." Sie stand auf und lachte. "Du überraschst mich", sagte sie höchst amüsiert. "Eine derart makabre Denkweise hatte ich dir nicht zugetraut." Was ich aussprach war nur ein Bruchteil dessen, was ich ihr wünschte. Sofia hatte keine Ahnung, wie es in mir aussah. Ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, entfernte sie sich einige Schritte von mir. Sie lief geradeaus auf die steinerne Wand zu und legte ihre Hand an die dicken Holzbretter, die die wenigen kleinen Fenster verbarrikadierten. Ich hatte schon einmal versucht sie zu öffnen, um etwas Luft hereinzulassen, aber diese Bretter waren gut vernagelt. Sofia riss sie mit einem Ruck ab und ließ die Sonne herein. Ein schmaler Lichtkegel fiel vor ihr auf den Boden. Wollte sie mir demonstrieren, wie sie verbrennen würde? Ich war gespannt, wie sie mir das vorspielen wollte. "Ich geißle mich für gewöhnlich nicht, aber du hast etwas gut bei mir." Sofia krempelte ihre lange Bluse zurück und wies mich an, ihre Hand im Auge zu behalten. Dann hielt sie sie ins Licht und es passierte nichts. Mir entfuhr ein genervtes Seufzen. Ich hatte geahnt, dass sie mich an der Nase herumführte und jetzt hatte ich den Beweis. Es war mir ein Rätsel, weshalb Sofias Gesicht dennoch verbissen wirkte, als hätte sie Schmerzen. Sie musste eine unglaublich gute Schauspielerin sein. Mein Blick fiel zurück auf ihre Hand und über meinen Rücken breitete sich ein eisiger Schauer aus. Auf ihrer Haut hatten sich Blasen gebildet. Es wurden immer mehr und Sofia zog ihre Hand aus der Sonne, bevor ihr die Haut von den Fingern platzte. Sie kam zu mir zurück. "Hier, dein Beweis." Fassungslos betrachtete ich ihre verbrannte Hand. Als hätte sie auf eine heiße Herdplatte gefasst. Ich verstand es nicht. Wie konnte das sein? "Sieh hin, es heilt wieder." Ich folgte ihrer Aufforderung und beobachtete, wie all die Blasen sich langsam wieder zurückbildeten, bis sie einige Minuten später völlig verschwunden waren. Ich begann an meinem eigenen Verstand zu zweifeln. War ich es, die wahnsinnig geworden war? Irgendetwas in diesem Haus hatte mich verrückt werden lassen! Ich sprang von meinem Stuhl und ergriff die Flucht. Diesmal wurde ich nicht aufgehalten. Ich verließ den Keller und wollte zur Haustür hinaus. Sie ist versperrt. Ezra hatte es erwähnt. Hier kam ich nicht weiter. Ich wollte in die Küche, um dort durch das Fenster zu flüchten, doch so weit kam ich nicht. Sofia stand im Flur und versperrte meinen Weg. "Hab keine Angst, dir geschieht nichts." Sie sah so friedlich aus und doch war sie eine Ausgeburt der Hölle. Ich wusste nicht mehr, was echt war und was nicht. In meinem Kopf herrschte pures Chaos. Mir war egal, ob sie ein Vampir war oder ob sie nur eine Wahnsinnige war, die mich das glauben ließ. "Ich will hier weg!", schrie ich sie an. "Bitte, lass mich gehen!" "Wo willst du denn hin? Dein Zuhause ist hier." "Das ist nicht mein Zuhause!" Ich war den Tränen nah. Es interessierte mich nicht, dass es sonst keinen Ort gab, an den ich gehen konnte, ich wollte einfach nicht hier sein. "Sei nicht albern, ich weiß, dass du gerne hier bist. Und du kannst für immer hier bleiben, wenn du möchtest." "Ich möchte nicht!" "Du bist verwirrt, ich kann das verstehen. Nimm dir etwas Zeit, in Ruhe darüber nachzudenken. Du weißt so gut wie ich, dass du hier hingehörst."  Sie zog einen Schlüssel aus der Tasche. "Aber ich will dich nicht zwingen. Mit diesem Schlüssel kannst du gehen, doch ich möchte dir noch etwas zu bedenken geben, bevor du verschwindest: Wenn du bleibst, hast du hier eine Familie, die auf dich aufpasst. Und wenn du dich entscheidest, meine Schülerin zu werden, dann wirst du endlich die Macht erhalten, die du dir wünschst und die du verdient hast. Aber du kannst auch diesen Schlüssel wählen und gehen, um dich alleine durchzuschlagen." Ich fixierte den Schlüssel in ihrer Hand. "Wirf ihn herüber." Sofia warf mir den Schlüssel zu, ohne zu zögern. "Megan? Was glaubst du, warum ich dich die letzten Jahre so sehr habe an dir arbeiten lassen? Ich wollte dich aufbauen und stärken. Hätte ich dich zerstören wollen, gäbe es dich längst nicht mehr." Ich schob den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür. "Du hast mir ein Märchenschloss gebaut und es eingerissen!" "Ich habe die Fassade erneuert." Ihre schlauen Sprüche konnten mich nicht aufhalten. Ich brauchte niemanden, der mich drei Jahre lang angelogen und mir falsche Tatsachen vorgespielt hatte. Ich war selbstständig genug, um alleine zurechtzukommen. Ich schlug die Tür hinter mir zu und ging Richtung Straße. Sofia konnte mir gestohlen bleiben. Ich war froh, dass ich sie nun los war, genau wie alle anderen, die bei Sofias Theater mitgespielt hatten.  Sie hatten mich alle hintergangen, jeder Einzelne von ihnen und ich hasste sie dafür. Ich hasste die Erinnerungen an jede einzelne Trainingseinheit, an jedes tröstende Wort, jedes Lächeln und jede liebevolle Geste, durch die ich mich besser gefühlt hatte. Und ich hasste mich dafür, dass ich es zugelassen hatte und dass die Trauer über diesen Verlust mich so unendlich schmerzte. Sie war kein Stück besser als die ach so rechtschaffenen Gottesdiener, kein bisschen besser als die Menschen, die mich in den Dreck getreten hatten und trotzdem schlug jeder Schritt, den ich mich entfernte, wie ein Hammer auf mein Herz und ließ es brechen. Ich hatte die Straße noch nicht erreicht, als ich auf die Knie sank und mein Gesicht in meinen Händen verbarg. Seit Monaten hatte ich nicht mehr geweint und nun, da ich erneut vor den Scherben meines Lebens stand, quollen die Tränen wie Sturzbäche aus meinen Augen. Ich hatte mir einst geschworen, nie wieder zuzulassen, dass mich jemand so verletzen konnte, und doch hatte ich mich zu sehr in mein neues Leben verliebt, das nun ohne Vorwarnung in sich zusammengefallen war. Ich wäre wohl im Vorgarten vor Kummer gestorben, wenn man mich gelassen hätte. Man ließ mich nicht. Ich spürte den leichten Druck einer Hand auf meiner Schulter und Sofias Stimme klang in meinen Ohren: "Lass uns wieder hinein gehen." Ich wehrte mich nicht, als sie mich vom Boden hob und zurück zum Haus trug. Obwohl ich sie hasste, fühlte ich mich geborgen. Ich konnte sehen, wie sich Blasen in ihrem Gesicht bildeten und trotzdem wurde sie nicht schneller. Sie trug mich zurück, in aller Ruhe. "Warum ich, Sofia?" Ich schluchzte noch immer. "Weil du ein guter Mensch bist." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)