Solitude von Riafya (Still with me is only you...) ================================================================================ Kapitel 4: Song to say goodbye ------------------------------ You are one of God's mistakes, You crying, tragic waste of skin, I'm well aware of how it aches, And you still won't let me in. Before our innocence was lost You were always one of those, Blessed with lucky sevens, And the voice that made me cry. Now I'm trying to wake you up, To pull you from the liquid sky, Cause if I don't we'll both end up, With just your song to say goodbye. My Oh My. It's a song to say goodbye. Placebo – Song to say goodbye ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Als Kuu Hizuri Julie Kotonami das erste Mal sah, war er zwölf Jahre alt. An diesem Tag beschloss er, ihr das Leben zur Hölle zu machen. Im Grunde war er schon immer ein fröhlicher Mensch gewesen, dessen bloße Anwesenheit bewirkte, dass alle Menschen in seinem Umkreis ein Lächeln auf ihre Gesichter zaubern konnten. Nie hätte jemand gedacht, dass er zu einem anderen Individuum unfreundlich sein könnte. Deshalb war es für seine Familie äußerst verstörend gewesen, als sie von seiner großen Abneigung gegenüber diesem Mädchen erfuhren. Doch ihre Gefühle waren nichts im Vergleich zu der Verwirrung des „Opfers“. Julie war zehn Jahre alt, als ihr Vater seinen alten Freund einlud, den sie nur als „Hizuri-san“ kannte. Als der Mann, der oft zum Abendessen vorbei kam mit seinem Sohn in den Salon kam, wo ihr Vater seine Besprechungen zu führen pflegte, hatte sie sich vorsichtshalber hinter dem Rock ihrer Mutter versteckt und spähte vorsichtig zu den beiden Gästen hinüber. Ihr fiel sofort der blonde Junge auf, der in den nächsten Jahren ihr Peiniger werden sollte. Er hatte ein freundliches Gesicht und seine Augen leuchteten in einer ihr ungewohnter Fröhlichkeit, während er sich in dem Raum umsah. Sie wusste sofort, dass es unmöglich war, ihn nicht zu mögen und war sich sicher, dass er nicht wie die Anderen sein würde. Nun, sie hatte Recht. Er würde nicht wie die Anderen sein, sondern weitaus schlimmer. „Das ist mein Sohn, Kuu“, erklärte Hizuri-san Julies Vater. „Ich denke, er wollte unbedingt deinen Sohn wiedersehen.“ Bei diesen Worten ließ er suchend seinen Blick durch das Zimmer gleiten. Julie musste unwillkürlich lächeln. Glaubte dieser Mann etwa, ihr Bruder hätte sich unter einem Sessel versteckt und würde gleich hervorspringen? Wenn er ihn bisher nicht entdeckt hatte, würde er jetzt auch nicht mehr auftauchen. „Ich bin wirklich untröstlich, mein Freund, aber Li ist krank und deshalb nicht Salonfähig“, erklärte der andere Mann ruhig. „Doch wenn es deinem Sohn nicht stört, kann er sich auch mit Julie hier beschäftigen.“ Kuu sah neugierig zu dem kleinen Mädchen hinüber, dass sich hinter Kotonami-san versteckt hatte. Das erste, was ihm auffiel, waren ihre blonde Locken, die sie wie ein Engel erscheinen ließen. Im krassen Gegensatz dazu besaß sie dieselben stechend roten Augen wie ihr Vater. Ein Dämon in Gestalt eines Engels, dachte er fasziniert, während ihre Mutter sie ins in ein angrenzendes Zimmer voller Spielsachen führte. Die Frau fuhr ihrer Tochter liebevoll mit einer Hand durchs Haar, bevor sie sich auf einen Schaukelstuhl an einem Fenster setzte und damit begann, irgendetwas zu stricken. Die Kinder musterten sich gegenseitig, wie um abzuschätzen, ob es der jeweils andere wert war, sich mit ihm abzugeben. Schließlich überwand sich Julie zu einem schüchternen Lächeln. „Hallo, ich bin Julie. Hast du Lust auf ein Kartenspiel?“ Ihre Stimme war sanft und voll von kindlicher Unschuld. Für Kuu vervollständigte es das Bild eines gütigen Engels, der von Gott auf die Erde geschickt worden war, um den Menschen wahre Güte zu zeigen. Aber all dies konnte die roten Augen nicht vertreiben, die ihn neugierig musterten. Eilig wandte er den Blick von ihr ab und sah sich stattdessen im Raum um. „Hizuri-kun?“, hörte ihr ihre Stimme fragen. Ihre verdammt freundliche Stimme. Ein ihm bisher unbekanntes Gefühl stieg in ihm auf, ein Gefühl, dass sein ganzes Inneres zum Brodeln brachte. Er brauchte einen kurzen Moment, bis er es als einen bodenlosen Hass identifizierte. „Lass mich in Ruhe“, fuhr er sie an, während seine Augen vor Wut funkelten. „Ich hab keine Lust auf dein dämliches Kartenspiel.“ Erschrocken wich das Mädchen ein paar Schritte zurück und starrte ihn mit geweiteten Augen an. Rote Augen, die sich langsam mit Tränen füllten. „A...aber....“ „Lass mich in Ruhe, du.... Heulsuse! Ich will nichts mit dir zu tun haben.“ Für ein paar Sekunden sahen die beiden sich an, dann wirbelte Julie herum und stürzte schluchzend aus dem Raum. „Julie!“, rief ihre Mutter erschrocken und ließ das Strickzeug fallen, um ihr zu folgen. „Schatz, warte! Was ist denn los?“ Kuu starrte den beiden weiblichen Geschöpfen reglos hinterher und hörte dabei zu, wie Kotonami-sans Stimme sich immer weiter entfernte. Mit etwas Glück würde er dieses Mädchen nie wiedersehen müssen. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ „Ja, so war das damals“, sinnierte Kuu feierlich und strahlte seine Klasse an, die ihm mehr (die Mädchen) oder minder (die Jungen) an den Lippen gehangen hatten. „Ich hatte mir sehr gewünscht, sie nie wieder sehen zu müssen, doch dummerweise schickten uns unsere Eltern auf dieselbe Schule, weshalb wir uns noch oft über den Weg laufen mussten.“ „Das ist ja alles gut und schön“, entgegnete Kanae gelangweilt. „Aber warum erzählen Sie uns das? Sollten Sie diese Geschichte nicht lieber für ihre Kinder aufheben?“ „Nun, meine liebe Kotonami-san. Im Grunde seid ihr alle meine Kinder.“ Ein kurzes Schweigen kehrte ein, dass erst durch Kyoko wieder unterbrochen wurde: „Wie kommt es, dass Sie dann trotzdem geheiratet haben?“ „Nun, das ist eine gute Frage, die wir augenblicklich auf die aktuelle Politik übertragen können.“ Ein allgemeines Stöhnen erklang und Reino fuhr bedauernd damit fort, seine kleine Kritzelei zu vervollständigen, während er insgeheim Sho und Ren beneidete, die klug genug gewesen waren, Politik abzuwählen. Zwar musste er zugeben, dass Kuu sich gut darin anstellte, doch letztendlich hätte er darauf verzichten können. Viel lieber würde er im Moment in einem der Musikräumen sitzen und für das Musikprojekt proben, doch stattdessen musste er diese Stunde hier wohl oder übel absitzen. Gelangweilt ließ er seinen Blick nach draußen gleiten und entdeckte Sho und Chiori, die plaudernd auf einer Bank vor der Schule saßen und offensichtlich auf ihn warteten. Unwillkürlich musste er lächeln. Er war froh, in so kurzer Zeit so gute Freunde gefunden zu haben. Inzwischen waren zwei Wochen seit seiner Ankunft vergangen und er genoss jeden einzelnen Tag davon. Doch im Endeffekt war alles besser als dieses elende Waisenhaus. Endlich riss der Klang der Klingel ihn aus seinen Gedanken und er packte wie alle anderen seine Sachen ein. Gerade, als er zur Tür hinausgehen wollte, rief ihn eine Stimme zurück: „Lawliet-kun, kann ich dich bitte einen Moment sprechen?“ Verdutzt drehte er sich um und sah Hizuri-san an, der hinter dem Lehrerpult saß und ein paar Blätter durchsah. Reino zuckte mit den Schultern und ging auf ihn zu. Kuu wartete bis alle Schüler gegangen waren, dann blickte er seufzend auf. Der Jüngere runzelte die Stirn, als er den besorgten Ausdruck sah. Also würde er hier auch nicht davon verschont bleiben. Danke, O-too-san. „Wie geht es dir?“, fragte der Lehrer. „Gut, danke der Nachfrage.“ Die Beiden starrten sich einen Moment schweigend an, dann sagte der Ältere: „Takarada-san hat mir von deinem... Problem erzählt. Eigentlich hatte er gehofft, du würdest von alleine auf uns zukommen, aber das war nicht der Fall.“ „Ja, weil es nämlich kein Problem gibt“, entgegnete der Junge ruhig. „Dein Vormund hat da aber etwas anderes erzählt.“ Da er auf diese Aussage keine Antwort bekam, fuhr er fort: „Ich weiß, dass du ein guter Junge bist, voller Lebensmut und auf keinen Fall verrückt. Deshalb habe ich auch keine Ahnung, warum man es für nötig hält, dich zu Dr. Yashiro zu schicken, aber es wird einen Grund dafür geben.“ Reino merkte auf. „Moment, Dr. Yashiro? Wie in Yukihito Yashiro?“ Kuu nickte. „Meine Frau Julie fährt jeden Freitag hinunter in die Stadt. Sie hat angeboten dich mitzunehmen, damit du ihn aufsuchen kannst.“ Schicksalsergeben sah der Junge zu Boden. „Und wann ist meine erste Sprechstunde?“ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ „Was heißt hier, du kannst heute nicht?“, rief Sho überrascht. „Wir wollten doch zusammen ins Schwimmbad gehen.“ „Tut mir Leid“, entgegnete Reino, während sie gemeinsam die Treppe im Haus der Jungen hoch stiegen. „Es muss leider sein.“ „Aber warum? Wohin musst du denn so dringend.“ „...in die... Stadt.“ Sein Freund runzelte die Stirn. „Wieso das denn?“ Sie waren an der Tür zu Rens und Reinos Zimmer angekommen. Der junge Lawliet öffnete sie, während er sagte: „Erzähl ich dir später... entschuldigst du mich bei Chiori?“ Mit diesen Worten wurde dem Blonden die Tür vor der Nase zugeworfen. Sho starrte sie verdutzt an. Was war das denn gewesen? „Na sowas“, hörte er plötzlich eine amüsierte Stimme sagen. „Habt ihr Streit?“ Er wirbelte herum und funkelte Ren an, der ihr kurzes Gespräch offensichtlich mitgehört hatte. „Als ob du wüsstest, wo er hingeht, Tsuruga.“ Das Lächeln, das der Dunkelhaarige ihm zuwarf, gefiel ihm überhaupt nicht. „Wer weiß. Ich wünsche dir einen schönen Tag.“ Damit ging er an ihm vorbei und folgte Reino in ihr gemeinsames Zimmer. Sho sah ihm entsetzt hinterher. „Verdammt.“ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ „Hallo, Lawliet-kun. Ich bin Aiko Yashiro, es freut mich sehr, dich kennen zu lernen.“ „Guten Tag, Yashiro-san“, entgegnete Reino höflich. Die Frau lächelte. „Du darfst mich ruhig Aiko nennen. Ich bin nicht viel älter als du.“ Aiko Yashiro war Yukihitos ältere Schwester, auch wenn Reino das niemals erkannt hätte, hätte Julie es ihm nicht vorhin im Auto erzählt. Ihr ursprünglich braunes Haar war mit schwarzen, violetten, blauen und anderen Strähnen durchzogen und an ihrer Nase haftete ein silbernes Piercing. Ihre Kleidung stand in einem krassen Gegensatz dazu. Anstatt die üblichen Punkerklamotten, die man normalerweise bei ihrem restlichen Aussehen erwarten würde, trug sie ein blaues Sommerkleid, worüber sie eine weiße Strickjacke gezogen hatte. Offensichtlich mochte sie Extrema. Ihre Praxis befand sich in einer geräumigen Wohnung. Das Zimmer, in dem die Beiden sich befanden, machte einen wohnlichen Eindruck, der durch verschiedene Dekorationen wie Pflanzen, Bilder oder ähnliches verstärkt wurde. Typisch. „Setze dich doch, Lawliet-kun“, sagte Aiko lächelnd und bot dem Jungen Platz auf einem gemütlich aussehenden Sessel an. „Also, warum bist du hier?“, wollte sie wissen. Reino blickte auf seine Hände, die zusammengefaltet, beinahe wie ihm Gebet auf seinen Knien ruhten. „Ich... weiß es nicht.“ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Julie hasste ihre Zeit in der Schule. Denn obwohl sie in unterschiedlichen Klassen waren und sie jedes Mal neue Verstecke suchte, fand Kuu sie letztendlich doch. Anfangs um sie zu beschimpfen und ihr das Leben zur Hölle zu machen. Später, als er „erwachsener“ wurde, saß er einfach nur in der Nähe und beobachtete sie, immer bereit, sie auf einen Fehler hinzuweisen. Ihr persönlich war der neue Kuu lieber. Zum Einen lernte sie aus seiner Kritik und zum Anderen schützte ihn sie seine ständige Präsenz vor den anderen Schülern, die ihr Äußeres abstoßend fanden. Denn nur er durfte sie ärgern und triezen. Wenn es jemand anderes tat, würde er dafür bezahlen. Was nichts daran änderte, dass es nervig war. Auch Zuhause blieb sie von dem Jungen mit den blonden Haaren nicht verschont. „Kuu, wie schön, dass du wieder da bist?“, sagte ihre Mutter immer begeistert, von dem Freund ihres Sohnes stets begeistert. „Bleibst du zum Essen?“ „Vielen Dank, Kotonami-san. Das ist zu freundlich.“ Doch anstatt sich mit ihrem Bruder zu beschäftigen, setzte er sich immer neben sie und flüsterte ihr Gemeinheiten ins Ohr, wenn alle anderen über etwas lachten. Doch ihre Eltern verstanden diese Gesten falsch und schon bald wurde im ganzen Haus von einer vermeintlichen Romanze gesprochen. Sie konnte darüber nur verzweifeln. „Warum verfolgst du mich ständig?“, fragte sie eines Tages, als er ihr nach dem Unterricht ins Labor gefolgt war, wo sie Edelsteine züchtete. „Was habe ich dir eigentlich getan?“ „Du bist eine Heuchlerin“, hatte er darauf geantwortet. „Das hast du mir getan.“ Sie verstand erst viele Jahre später, wie er das gemeint hatte. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ „Und? Ist deine Sprechstunde bei Aiko-chan gut gelaufen?“, fragte Julie fröhlich, während sie und Reino zurück zur Schule fuhren. „Ich... bin mir nicht sicher.“ Die Blondhaarige warf ihm einen kurzen Blick zu und schwieg. „Hizuri-san?“ „Hm?“ „Warum fahren Sie eigentlich jeden Freitag in die Stadt?“ Ein kurzes Schweigen kehrte ein, in dem nur das gleichmäßige Brummen des Motors zu hören war. Schließlich sagte sie: „Im Prinzip aus demselben Grund wie du.“ Der Junge sah sie erschrocken an. „Aber warum? Ich meine... Sie....“ „Du siehst auch nicht wie jemand aus, der eine solche Behandlung braucht“, erklärte sie ruhig. „Wirst du mir erzählen, warum du zu ihr musstest?“ Er antwortete ihr nicht, was sie dazu bewegte, zu nicken. „Dachte ich mir. Ich lass dich vor der Schule raus, dann müsstest du vor dem Abendessen noch einmal in dein Zimmer können.“ „Okay. Danke, Hizuri-san.“ Wenig später war er in seinem Zimmer angekommen. Im Licht der Abenddämmerung strahlte es ein Gefühl von tiefsten Frieden aus. Erschöpft ließ sich der Junge auf einen der Sessel fallen und schloss die Augen. Ren schien nicht da zu sein, wahrscheinlich war er schon beim Essen und Reino hatte im Moment keine große Lust, hinunter zu gehen, da er dort sicher Sho treffen und ihm Rede und Antwort stehen müsste. Warum mussten auch immer alle übermäßig besorgt sein? Mit ihm war alles in Ordnung! Oder etwa nicht? Frustriert öffnete er seine Augen und ließ sie durch den Raum schweifen, bis sie an Rens schwarzen Rosen hängen blieb. Ohne zu wissen weshalb stand er auf und ging auf sie zu. Ren stellte sie tagsüber immer auf das Fensterbrett, damit sie soviel Sonne wie möglich ab bekamen, doch sobald es dunkel wurde, nahmen sie auf dem Schreibtisch Platz. Fasziniert betrachtete er das vollkommen schwarze Blatt. Wie diese Frau von der sein Mitbewohner diese Rosenart wohl züchten konnte? „Im Prinzip gibt es gar keine schwarze Rosen. Die, die du in den Blumenläden siehst, sind meistens nur gefärbt und nicht natürlich. Dabei versuchen Botaniker auf der ganzen Welt eine echte, schwarze Rose zu züchten, doch bisher konnten sie nur dunkelrote oder dunkelblaue erschaffen.“ „Aber du wirst es schaffen?“ Die Frau lächelte und ließ ihre Finger über die Samen gleiten, welche vor ihr liegen. „Ja. Das wird es, Maria. Damit werden wir reich werden und endlich von diesen Ort weg können.“ „Wirklich?“ „Wirklich.“ Mit geweiteten Augen starrte Reino die Blumen an. „Nein“, murmelte er. „Warum...?“ Entsetzt wich er vor den Blumen zurück und schüttelte den Kopf. „Nein... das hab ich mir nur eingebildet. Ganz sicher.“ „Was hast du dir nur eingebildet?“, fragte eine ihm nur allzu bekannte Stimme neugierig. Der Blondhaarige fuhr herum und starrte die Person an, die vor ihm stand. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Im Speisesaal der Jungen herrschte eine entspannte Atmosphäre. Da es Freitagabend war, planten viele einen Ausflug ins örtliche Kino oder das Kaufhaus zu gehen, welches extra für die Schüler am Wochenende lange geöffnet hatte, da es sich dadurch einen größeren Umsatz versprach. Ein Junge konnte sich der allgemeinen Hochstimmung jedoch nicht anschließen. Sho saß auf einem Stuhl gegenüber von Kuu Hizuri und starrte diesen mit Hundeaugen an. „Bitte, Hizuri-san, ich muss wissen, wohin Reino gegangen ist!“ Der Lehrer lächelte nachsichtig. „Er wird es dir schon selbst erzählen, sobald er wieder da ist.“ Schmollend verschränkte der Schüler die Arme und funkelte den Älteren an. „Kommen Sie schon, so wie sie sich verhalten, muss es ja etwas schlimmes sein.“ Ein leises Lachen vom anderen Ende des Tisches ertönte, wo Ren und Yashiro saßen. Sho wandte sich zu den Beiden um und bemerkte, dass der Dunkelhaarige ihn amüsiert musterte. „Was ist bitte schön so komisch, Tsuruga-kun?“, knurrte er. „Nichts besonders, Fuwa-kun“, entgegnete Ren grinsend. „Deine Ungeduld ist nur äußerst amüsant.“ Kuu und Yashiro brachen in lautes Gelächter aus, während Sho innerlich die verschiedensten Möglichkeiten durch ging, mit denen man das Leben eines Menschen beenden könnte. „Dann sag du mir doch, wo sich dein Zimmerkumpan rumtreibt.“ „Ganz einfach: er musste zum Arzt.“ Sho starrte ihn schockiert an. Zum Arzt? Das war es, was der Andere ihm nicht hatte sagen könne? Aber warum? Immerhin musste jeder mal zum Arzt. Denn jeder war ab und zu krank. Moment. „Er ist krank?“, fragte er seinen Lehrer erschrocken. Sofort hörte Ren auf zu grinsen. Ja, diese Frage hatte er sich auch gestellt, als Reino ihm davon erzählt hatte. Kuu musste unwillkürlich lächeln, als er die Besorgnis in den Augen des Dunkelhaarigen sah. Er hatte noch nie gesehen, dass sich dieser um jemand anderen als Yashiro gesorgt hatte – zumindest ernsthaft. „Keine Sorge, es ist nichts lebensgefährliches. Allerdings wird er wohl jede Woche mit Julie mitfahren müssen.“ „Das hört sich allerdings ernst an“, bemerkte Yashiro besorgt. „Ist es etwas chronisches?“ „Jungs“, rief Kuu lachend, „fragt ihn das doch selbst. Immerhin ist das etwas sehr persönliches.“ Er ließ seinen Blick auf seine Armbanduhr schweifen und runzelte die Stirn. „Allerdings ist er schon etwas spät dran... Ren gehst du mal auf dein Zimmer und schaust, ob er dort ist?“ „Natürlich, Hizuri-san“, entgegnete der Dunkelhaarige sofort und stand auf. Sho beobachtete schmollend, wie er den Raum verließ. Warum hatte Takarada-san Reino eigentlich nicht zu ihm ins Zimmer stecken können? Kuu wandte sich derweil besorgt seinem Essen zu. Er hoffte, dass sein Schüler wirklich in seinem Zimmer war. Denn das bedeutete, dass auch Julie im Haus der Mädchen angekommen sein müsste. Zumindest hoffte er es. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Was Kuu an Julie Kotonami wirklich hasste, war ihre Freundlichkeit. Wenn sie mit diesen breiten Lächeln durch die Schule ging und jeden gut gelaunt grüßte, den sie kannte, egal, ob es für sie ein guter oder schlechter Tag war. Egal, ob sie Geburtstag hatte oder ihr Großvater gestorben war. Egal, ob die Person vor ihr freundlich zu ihr war oder ihr den Tod an den Hals wünschte. Doch am schlimmsten war ihr Verhalten ihm gegenüber. „Guten Morgen, Hizuri-kun“, sagte sie fröhlich. „Wie geht es dir heute?“ Er starrte sie dann immer an, den Engel, der sein ganzes Leben damit verbrachte, anderen Menschen Freude zu bereiten. Dieses heilige Wesen, das alle liebten, die sich für sie Zeit nahmen. Und wie konnte man sie nicht lieben? Immer voller Optimismus, immer gut gelaunt, immer liebevoll und offensichtlich ohne Folgen. Hatte man sie jemals schreien sehen? Nein. War sie jemals traurig? Nein. Und war sie jemals unfreundlich? Nein. Ganz im Gegensatz zu ihrem Bruder, der angeblich jedes Wochenende auf einer anderen Drogenparty war, täglich die Freundin wechselte und den Traum hegte, ein Rockstar zu werden. Die Leute war nur erleichtert, dass es sein bester Freund Kuu Hizuri regelmäßig schaffte, ihn aus den Schwierigkeiten herauszuholen. „Guten Morgen, Monster“, beantwortete Kuu ihren Gruß und benutzte damit seinen Lieblingsspitznamen. „Mir ging es gut, danke. Zumindest bist du dich dazu entschlossen hast, mit mir zu reden.“ Sie sah ihn ausdruckslos an, während mehrere Leute in der Umgebung ihm böse Blicke zuwarfen. „Und wie geht es dir heute morgen?“, fuhr er mit einem charmanten Lächeln fort, bei dem jedes andere Mädchen rot anlief und ihm ein schüchternes Lächeln schenkte. Für einen Moment schien es, als würde sie sich umdrehen und beleidigt davon spazieren, doch stattdessen erwiderte sie sein Lächeln und entgegnete: „Sehr gut, danke.“ An dem vorangegangen Abend war ihre Mutter gestorben. Kuu hasste ihre Fröhlichkeit, ihren Optimismus, ihre Höflichkeit. Es war einfach unmenschlich. Jeder war einmal wütend, jeder hasste, jeder weinte, jeder schrie sich die Seele aus dem Leib, wenn einem alles, was er liebte genommen wurde. Nur ein Dämon konnte darüber hinwegsehen und lachen. Da war er sich sicher. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Reino sah Ren überrascht an. Er hatte überhaupt nicht bemerkt, wie dieser hereingekommen war. Der Dunkelhaarige musterte ihn währenddessen mit einer leichten Besorgnis. Der andere (und Jüngere, wie er vor kurzem erfahren hatte) sah ungewöhnlich blass aus, außerdem hatte er auf seine Ansprechversuche nicht reagiert, während er seine Rosen angesehen hatte. Vorsichtig ging er einen Schritt auf ihn zu. „Reino, ist alles in Ordnung?“ „Ähm... ja, du hast mich nur erschreckt“, erklärte der andere und ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Ich habe mehrmals deinen Namen gerufen.“ Ein kurzes Schweigen kehrte ein, bevor dem Jüngeren ein „Oh“ entwich. „Was hast du eigentlich bei den Rosen gemacht?“, fuhr der Dunkelhaarige fort. „Und warum bist du hier? Es gibt Essen.“ Plötzlich verdüsterte sich sein Gesicht. „Fuwa wartet auch schon sehnsüchtig auf dich.“ Der Blondhaarige blinzelte. Was... war das denn für ein Tonfall? „Ren?“ Angesprochener blickte auf und schenkte ihm ein Lächeln. „Ist dein Arztbesuch gut gelaufen?“ „Ähm.... ja...“ „Das freut mich. Wollen wir hinunter gehen? Es gibt gebratene Tomaten“, fügte er zwinkernd hinzu. Reino sah ihn verdutzt an, bevor er wieder Lächeln musste und seinem Freund aus dem Zimmer folgte. Ren war wirklich sehr aufmerksam, zumindest hatte sonst noch niemand bemerkt, wie sehr er gebratene Tomaten liebte. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ „Ah, da ist ja unser verlorenes Lämmchen!“, rief Kuu, als er Reino und Ren hereinkommen sah. „Setz dich zu uns, sonst wird Sho-kun hier noch vor Sorge umkommen.“ Sho schmollte, während Yashiro, Ren und Reino lachten. „Und? Ist alles zu deiner Zufriedenheit gelaufen?“, erkundigte sich der Lehrer, während sich Reino neben Sho setzte und Ren seinen alten Platz einnahm, welcher sich zufälligerweise auf der anderen Seite des Lämmchens befand. „Hm... wie man's nimmt“, entgegnete er munter. „Am liebsten würde ich ja ganz darauf verzichten, doch da das nicht geht, ist es so schon in Ordnung.“ „Das freut mich“, meinte er nickend. „Bei so einem Fall wie deinem ist es gut, wenn man sich mit dem behandelten Arzt gut versteht.“ „Warum musst du eigentlich jede Woche zum Arzt?“, fragte Sho. Reino fiel auf, dass sie fünf und die Essensausgeberin die einzigen waren, die sich noch im Speisesaal befanden. Hatte er wirklich so lange gebraucht? „Ich... würde lieber nicht darüber reden, wenn es okay ist.“ „Aber...“, warf der Blondhaarige ein. „Hey, du hast ihn gehört. Er will nicht darüber reden“, rief Ren und Sho schloss schmollend seinen Mund. Reino jedoch warf dem Dunkelhaarigen einen dankbaren Blick zu, was von Yashiro und Kuu amüsiert beobachteten. Eins zu Null für Ren. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Julie fand an einem Samstag heraus, weshalb Kuu Hizuri sie so sehr hasste. Es war der zwanzigste Geburtstag ihres Bruders, der dieses „Event“ mit einer wilden Party feierte, die sein Vater niemals zugelassen hätte, hätte er davon gewusst. Doch bedauerlicherweise befand dieser sich zur Zeit auf Geschäftsreise. Deshalb war das Haus nun gefüllt mit den verschiedensten Schülern ihrer Schule. Die Schwester des Geburtstagskindes stand alleine in einer Ecke des meist gefüllten Zimmers und nippte ab und zu an ihrer Bierflasche, während ihre Augen besorgt auf ihren Bruder gerichtet waren, der so aussah, als würde er gleich hier und jetzt mit einer ihrer Klassenkameradinnen Sex haben. Tatsächlich entstand später in dieser Nacht ihre spätere Nichte Kanae, doch das ist eine andere Geschichte. Kuu, dem das Verhalten seines Freundes langsam zu blöd war, schnappte sich zwei Cocktails vom Büffettisch und ging auf das Mädchen zu, das in den letzten Jahren beinahe immer seine ungeteilte Aufmerksamkeit genossen hatte dürfen. Viele andere Mädchen hatten sie immer darum beneidet, selbst jene, mit denen er seine ersten sexuellen Erfahrungen gemacht hatte. „Sobald es um Julie Kotonami geht, schaltet sein Kopf auf“, erklärten sie. Nun, sie hatten Recht. „Juliella!“, flötete er mit seiner verführerischsten Stimme. „Ich wusste gar nicht, dass du alkoholische Getränke magst.“ Angesprochene warf ihm einen misstrauischen Blick zu, was ihn unwillkürlich stoppen ließ. Bisher hatte sie selbst auf seine gemeinsten Beschimpfungen nur mit einem Lächeln geantwortet. Seltsam. Ob es an dem Alkohol lag? „Was willst du Hizuri?“ „Na sowas? Warum denn so feindselig? Ich wollte doch nur hallo sagen.“ „Wenn du hallo sagst, heißt es in der Regel nichts Gutes“, entgegnete sie kühl und wandte sich ab. Verärgert stellte er die beiden Gläser, welche er gehalten hatte auf einen Tisch in der Nähe und griff nach ihrem Arm, um sie um zu drehen. So kam es, dass er ihr das erste Mal seit ihrer ersten Begegnung wieder in die Augen sah. Bisher hatte er es immer vermieden, weshalb er vergessen hatte, wie sie aussahen und was für eine Kraft sie hatten. Das erste Mal in seinem Leben sah er in das Innere von Julie und dort war nichts von Fröhlichkeit und Optimismus. Dort sah er Trauer, Wut und Hass. Hass auf ihn, der sie die ganzen Jahre verachtet, gedemütigt und geärgert hatte. Der ihr nie in die Augen sah. Und somit nie erkannte, dass sie ihn liebte. Ohne weiter darüber nachzudenken, ließ Kuu seinen Kopf nach vorne schnellen und legte seine Lippen auf ihre. Die Wahrheit war, an dem Tag, an dem er ihre Augen das erste Mal sah, hatte er sein Herz an sie verloren. Denn in ihnen sah er den stummen Ruf eines gefallenen Engels, der aus seiner Einsamkeit befreit und geliebt werden wollte. Doch das Mädchen hatte es nie zugelassen, hatte sich immer hinter ihrem hübschen Gesicht versteckt und allen etwas vorgespielt. Doch das würde jetzt vorbei sein. Er würde die wahre Julie hervorholen. Die Ohrfeige, die er nach dem besten Kuss seines Lebens bekam, war nur der Anfang. Der Anfang von etwas viel Größerem. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Lächelnd beobachtete der Lehrer seine Frau, die vor dem Laptop saß und eilig eine E-Mail an eine Freundin schrieb. Langsam trat er hinter sie und schlang die Arme um ihren Oberkörper, der sich nach einem kurzen Zögern an ihn schmiegte. Wohlig seufzend vergrub er sein Gesicht in ihren Haaren und sagte: „Hab ich dir eigentlich schon mal gesagt, dass ich dich liebe?“ Er hörte, wie sie leise gluckste. „Ja, mindestens tausend Mal am Tag unserer Hochzeit und eine Millionenmal davor und danach. Lass mich diese Mail zu Ende schreiben, Kuu!“ Anstatt von ihr abzulassen, verstärkte er seine Umarmung. „Ich hab aber etwas viel spannenderes als deine Mail.“ „Und das wäre?“, fragte Julie desinteressiert. Kuu grinste. „Dafür musst du schon ins Schlafzimmer kommen.“ Als Kuu Hizuri Julie Kotonami zum ersten Mal sah, beschloss er zwei Dinge: erstens, ihr das Leben zu Hölle zu machen und sie eines Tages zu heiraten. Manche würde behaupten, dass dieser Entschluss keine Logik hätte, doch für ihn war es eines der natürlichsten Dinge auf der ganzen Welt. _______________________________________ Sooo, das war es auch schon wieder. Ich bin ganz ehrlich: Ich liebe dieses Kapitel. *____* Ich kann mich nicht mal entscheiden was das schönste ist: Die Beziehung zwischen Julie und Kuu oder die Sticheleien zwischen Ren und Sho. XD Deshalb bin ich auch schon sehr gespannt, wie ihr das seht. Doch jetzt erst einmal ein gaaanz großes Dankeschön an Redis, Kyoko-Hizuri, BlackAngel und Susilein (ich hoffe, das Kap war nach deinem Geschmack ^.~). Das nächste Mal geht es mit einen Blick in die Beziehung zwischen Kyoko und Kanae weiter, freut euch schon mal drauf. Bis dann, eure Ayako Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)