Tagebücher von Leira ================================================================================ Leben - oder so ähnlich ----------------------- Guten Abend, verehrte Leserinnen und Leser! Hier also folgt Kapitel drei. Viel gibts nicht zu erzählen hierzu... Nun; wie und ob überhaupt Heiji es erfährt, werdet ihr bald erfahren; allerdings noch nicht in diesem Kapitel. Ansonsten... hab ich eigentlich nichts mehr zu sagen, außer, dass ich mich außerordentlich über eure Kommentare freue! Ganz besonders bei dieser Geschichte... ich dank euch sehr! ^__________~ MfG, bis zum nächsten Mal, eure Leira *verbeug* _____________________________________________________ Kapitel 3: Leben- oder so ähnlich Die nächsten Tage wurde dieses Thema im Hause Kudô nicht angesprochen. Seine Eltern hatten sich in einem Hotel einquartiert, wollten ihm und Ran nicht ständig auf der Pelle sitzen, aber dennoch in der Nähe bleiben;- ganz davon abgesehen, dass Yusaku sich seit jenem denkwürdigen Abend sich nicht mehr hatte blicken lassen. Er rief nicht an, weigerte sich, mit Shinichi zu reden, vermied jeden Kontakt. Yukiko konnte nur stumm und voll Bedauern den Kopf schütteln, wenn ihr Sohn sie wieder einmal fragend ansah. Shinichi traft das mehr als hart, aber er nahm es hin, vorerst. Er verstand ja, dass es schwer war für seinen Vater… dennoch hoffte er, hoffte er wirklich, dass Yusaku Kudô sich bald wieder fing. Er brauchte ihn. Einmal in diesem Leben brauchte er ihn wirklich. Und es verletzte ihn, dass er nun so reagierte, ihn schnitt, ihn einfach ignorierte. Aber noch... noch tolerierte er dieses Verhalten. Wenn Kogorô, Eri, der Professor oder Shiho mal zu Besuch vorbeikamen, wurde über alles geredet - nur nicht über eben dieses gewisse Thema. Er spürte ihre Blicke in seinem Nacken, er konnte ihre Gedanken in ihren Augen lesen, die Trauer, die Sorge, den Schmerz... und die Verzweiflung; aber er versuchte, sie zu ignorieren. Er wollte nicht daran denken. Und so kam es... dass diese Verdrängungstaktik es fast so erscheinen ließ, als wäre es nur ein böser Traum gewesen. Shinichi wusste, dem war nicht so. Er merkte es buchstäblich am eigenen Körper. Ran hingegen… Ran schien so tun zu wollen, als wäre nie etwas passiert. Als wäre die Tatsache, dass ihm die Ärzte noch ein halbes Jahr gegeben hatten, nur ein Scherz. Sie plante weiterhin eifrig ihre Hochzeit, hakte die Rückantworten der Einlandungen ab, bestellte das Essen, die Kuchen und holte für ihn verschiedene Anzüge, die er daheim anprobieren sollte. Shinichi flippte fast aus, als er Ran dabei zusah, wie sie weiterhin die fröhliche Braut spielen konnte, obwohl sie doch wusste, was Sache war. Aber er hielt sich zurück, zunächst. Ihretwegen. Er konnte sich nicht erklären, wie sie das noch durchziehen konnte, verstand ihr Verhalten nicht, deutete es völlig falsch; und so kam es, dass ihm, ziemlich genau eine Woche nach jenem denkwürdigen Abend, nach dem Mittagessen der Kragen platzte, weil sie mit den Tortenproben an den Tisch kam. Laut klatschte seine Faust auf die Holzplatte. „Ran! Kannst du damit aufhören, bitte?!“ Sie schaute ihn verletzt an. Dann stellte sie die Kuchenschachteln auf den Tisch, setzte sich ihm gegenüber und sah ihn lange schweigend an. Er wagte nicht, sie anzusehen, stierte die auf Hochglanz polierte Tischplatte an. Einerseits tat ihm sein Ausbruch von gerade eben ja Leid, aber er… er ertrug diese zwanghafte Fröhlichkeit einfach nicht. Er konnte nicht mehr. Es ging nicht mehr. Shinichi blickte erst auf, als er ihre Hand auf seinen immer noch zur Faust geballten Fingern spürte. Er biss sich auf die Lippen. „Was ist los mit dir, Shinichi…?“ „Du weißt, was los ist.“, fauchte er ungehalten. Frustration staute sich in ihm auf. „Nein, ich weiß es nicht.“ Ihre klare Stimme drang an sein Ohr. Er hob den Kopf, schaute sie an, verwirrt. Dann schüttelte er verbittert den Kopf. „Warum, Ran... warum tust du das? Warum planst du immer noch diese Hochzeit, es macht doch keinen Sinn. Du solltest gehen... solang du’s noch kannst… warum verlässt du mich nicht? Warum, um alles in der Welt, tust du dir das an…? Du musst nicht bleiben, mir nicht zusehen, wie…“ Er stockte, seine Lippen zitterten, sein Gesicht wurde bleich. „Du weißt doch, dass ich… dass ich… sterben werde…“ Er brach ab, sein Blick bohrte sich in die Tischplatte, er schüttelte den Kopf, immer und immer wieder. Er verstand es nicht. Er verstand Ran nicht. Verstand sein Leben nicht. Verstand diesen Gott, der ihn so quälte, nicht… Seine Hände ballten sich zu Fäusten, seine Kehle schnürte sich zu. Ran atmete tief aus. „Ja, ich weiß es. Ich weiß, dass du… dass du…“ Tränen füllten ihre Augen. Sie konnte das Wort nicht aussprechen. „Ich weiß, was kommen wird. Ich denke jeden Moment seit diesem verdammten Augenblick daran, jede Minute, jede Sekunde des Tages, und in der Nacht liege ich wach und lausche krampfhaft, ob du noch atmest. Ich habe es nicht vergessen.“ Ihre Stimme bebte. Er hob ruckartig den Kopf, schaute sie traurig an. In seinen Augen spiegelten sich Schuld und Schmerz. „Das tut mir…“ „Das muss dir nicht Leid tun. Du kannst nichts dafür, Shinichi.“ Sie drückte seine Hand. Eine Träne rollte ihr über die Wange. Als er seine Hand unter ihrer hervorziehen wollte, um sie ihr wegzuwischen, hielt sie sie fest. „Du kannst nichts dafür und dir muss es nicht Leid tun. Ich weiß nicht, ob ich damit umgehen kann, aber… ich liebe dich. Ich liebe dich wirklich. Ich will dich nicht früher hergeben, als ich muss… denn du… du machst mein Leben so viel schöner. Du verleihst meinem Dasein ganz andere Höhen… und Tiefen. Und auch wenn es schmerzt - auf diese Hochgefühle, die nur du mir bescherst, will ich nicht verzichten, auch wenn ich Angst habe, nach dem tiefen Fall, der... der sicher kommen wird... zerschmettert auf dem Boden zu liegen und nicht mehr aufstehen zu können…“ Ihre Stimme verlor sich zu einem Flüstern, ihre Finger krampften sich um seine Hand. Er löste seine Faust, griff mit seinen Fingern die ihre, drückte sie sanft. Shinichi schluckte schwer, presste seine Lippen zusammen. Es tat weh. Jedes ihrer Worte tat unglaublich weh. Er merkte, wie seine Augen zu brennen anfingen, wie sich in seinem Hals ein Kloß zu bilden begann, wollte etwas sagen, doch Ran hielt ihn mit einem Blick zurück. „Ich hab solche Angst, dass jeder Moment der Letzte sein könnte, und deswegen… deswegen will ich unsere Zeit nicht verschwenden. Deine Zeit nicht verschwenden…“ Sie blinzelte - dann hob sie den Kopf, fixierte ihn mit ihren blauen Augen, schaute ihn fest an, ließ ihn nicht los. Es war ihm unmöglich, den Blick abzuwenden. Als sie sprach, klang ihre Stimme entschlossen. „Ich werde dich nicht verlassen, auch wenn dir das vielleicht lieber wäre. Ich will jede einzelne Sekunde mit dir verbringen, die wir noch haben. Ich will, dass es eine perfekte Hochzeit wird. Es soll wunderbar werden. Ich liebe dich. Ich will dich heiraten, und wenn wir nur ein paar Augenblicke verheiratet sind. Ich will, dass wir die Zeit, die wir noch haben, glücklich miteinander sind, nicht ihn der düsteren Vorahnung dessen, was unvermeidlich kommen wird, dahinvegetieren. Ich will leben. Leben, hörst du?! Mit dir…“ Sie schluchzte, wischte sich mit ihrer anderen Hand die Tränen, die nun immer zahlreicher über ihre Wangen liefen, unwillig beiseite und lächelte. Es war das traurigste Lächeln, das er je gesehen hatte. „Ich will deine Frau werden, Shinichi Kudô. Unbedingt. Und deswegen plane ich diese Hochzeit immer noch, auch wenn du darin keinen Sinn mehr siehst…“ „Aber das stimmt nicht…“ „Warum dann das alles?“, fragte sie drängend. „Warum fährst du mich dann so an? Warum fragst du allen Ernstes nach, warum ich diese Hochzeit noch will?“ „Weil…“, begann er, suchte nach Worten. „Weil?“ „Weil ich dir diesen Schmerz nicht antun will… weil ich denke, je früher du gehst, desto leichter wird es vielleicht für dich. Und weil… weil ich dich nicht als Witwe zurücklassen will. Nicht so jung…“ Er seufzte, stützte seinen Kopf schwer auf seine noch freie Hand. „Aber ich will als nichts anderes zurückgelassen werden.“ Ihre Stimme zitterte. Ihm fehlten die Worte, er schaute sie nur an. Und in diesem Augenblick sah er sie - eine Frau, die unglaublich stark war; eine Frau, momentan so ungleich viel stärker als er, egal wie zerbrechlich sie aussah. Langsam atmete er aus. Dann stand er auf, ging um den Tisch herum, zog sie hoch und drückte sie an sich. Lange standen sie wortlos da, still in ihrer Umarmung vereint, ehe er das Schweigen brach. „Ich liebe dich.“, flüsterte er, seine Stimme klang rau. Er wusste nicht, wie er ihr das jemals danken konnte... war in diesem Moment, trotz all der Bitterkeit, nur einfach froh, sie zu haben. Er hatte keine Ahnung, wo er landen würde, ohne sie. „Du ahnst nicht, wie sehr…“, fügte er murmelnd an, kniff die Augen zusammen, seufzte leise. Ran seufzte, sog tief den Duft seines Aftershaves ein, vergrub ihr Gesicht an seinem Hals. „Ich dich auch. Ich dich doch auch. Und ich ertrage den Gedanken nicht…“ Sie krallte ihre Finger in seinen Rücken, schmiegte sich so dicht es ging an ihn. „Dann denk nicht daran…“ Er blinzelte. In dem Moment klingelte es an der Haustür. Ran gab ihm noch einen kurzen, flüchtigen Kuss auf die Lippen, ließ sich von ihm die Tränen von den Wangen wischen, dann ging sie, um zu öffnen. Herein kamen Sonoko und Eri. „Hallo Ran…!“ Dann fiel ihr Blick auf Shinichi, der im Türrahmen lehnte. „Stören… stören wir etwa? Wir dachten, wir könnten… das Brautkleid…?“ Shinichi zog die Augenbrauen hoch. Dann grinste er verhalten, seufzte leise. „Nein, ihr stört nicht. Ich muss ohnehin gleich weg. Der Fall…“ Ran schaute ihn mit gerunzelter Stirn an. „Shinichi…“ Er seufzte, stieß sich vom Türrahmen ab. „Ran.“ Kurz schloss er die Augen. „Das wird mein Letzter sein. Danach kündige ich. Aber den einen musst du mir noch lassen. Den Kerl muss ich noch hinter Gitter bringen… sonst kann ich nicht ruhigen Gewissens das Handtuch werfen.“ Er lächelte zaghaft. „Und außerdem sind Meguré und die anderen ja auch da. Mir passiert nichts. Versprochen. Und was soll ich auch allein daheim, wenn ihr Brautkleider anprobieren geht?“ Ran ließ ihre Stirn gegen seine sinken, strich ihm über die Schläfen, dann nickte sie. „Schon gut, du hast wahrscheinlich Recht… geh nur. Aber pass wirklich auf dich auf, ja…?“ „Natürlich.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn, griff sich Jacke, Handy, Geldbörse und Schlüssel. „Viel Vergnügen, die Damen.“ Er lächelte ihnen kurz zu, hob die Hand zum Gruß, und damit war er aus der Tür draußen. Sonoko starrte ihm verwundert hinterher. „Der scheint das aber gut zu verkraften.“ Ran folgte ihrem Blick, dann schüttelte sie langsam den Kopf. „Der tut nur so, glaub mir, Sonoko. Das ist nichts weiter als Fassade, damit wir uns keine Sorgen machen. Wie schlecht es ihm geht, sieht man nur, wenn die Fassade zu bröckeln beginnt.“ „Er macht uns und sich selbst was vor…“, murmelte Eri. „Dass er ein Meister darin ist, hat er uns ja schon einmal bewiesen.“ Dann holte sie tief Luft. „Und nun kommt schon, ihr zwei, Yukiko wartet bestimmt schon auf uns.“ Als er am Tatort eintraf, wartete nicht nur eine Überraschung auf ihn. Zum einen war da Kogorô - und zum anderen Heiji. Er sah, wie sich dessen Gesicht zu einem breiten Lächeln verzog, als er seinen Kollegen aus Tokio erblickte. Shinichis Augen flackerten zu Kogorô. Und der wusste seinen erschrockenen Blick zu deuten. Kein Wort zu Hattori. Er seufzte innerlich, nickte aber unmerklich. Wenn du glaubst, dass du dir das zumuten willst - für deinen besten Freund ein Schauspiel inszenieren… dann bitte. Dein Geheimnis soll bei mir sicher sein. Shinichi nickte ebenfalls. Dann wandte er sich seinem Freund zu, begrüßte ihn. „Hattori, was machst du hier?“ „Kudô!“ Heiji klopfte ihm auf die Schulter. „Was macht die Kunst?“ „Was machst du hier?“, wiederholte Shinichi, zog die Augenbrauen hoch. Heiji seufzte. „Ja, immer noch der Alte, was? Aber schon gut. Also… es sieht so aus, als ob dein Serienmörder auch mein Serienmörder is. Wir haben ein paar Fälle in Osaka, die denen hier in Tokio frappierend gleichen.“ Er schob seine Hände in die Taschen seines Sakkos. „Warum hast du ihn noch nicht dingfest gemacht? Lässt deine Kombinationsgabe etwa nach, mein Bester? Ihr habt hier eindeutig mehr Hinweise als wir in Osaka… oder bist du mit wichtigeren Dingen beschäftigt?“, begann er, ihn aufzuziehen. „Das ihr weniger Hinweise habt als wir, könnte daran liegen, dass eure Beobachtungsgabe drüben in Osaka nachlässt, mein Lieber, ist dir der Gedanke schon mal gekommen?“, gab Shinichi pampig zurück. Heiji schaute ihn erschrocken an. Sein Mund war verkniffen, sein Blick ernst. So dünnhäutig kannte er ihn nicht. „Hey, ich… ich wollte nur…“ „Ich weiß schon. Nimms mir nicht übel bitte, aber in der Hinsicht bin ich wohl etwas… empfindlich geworden. Es… es macht mich nämlich auch ziemlich fertig, dass wir ihn noch nicht haben. Jeder… jeder weitere Mord, der auf sein Konto geht… es fühlt sich fast an, als… als hätte ich die Person umgebracht… weil ich ihn nicht aufhalten kann…“ Vorsichtig warf er ihm einen Blick zu, versuchte zu ergründen, ob seine Ausrede was die Entschuldigung für seine Patzigkeit betraf, gegriffen hatte. Heijis mitleidvollen Gesichtsausdruck zu deuten, war dem so. Er seufzte erleichtert, fuhr sich müde über die Augen, und fuhr dann fort, blieb wohl wissend beim Thema, fing ein Gespräch über den Fall an, der ihn in der Tat ziemlich mitnahm. „Seit Wochen, Heiji! Seit Wochen schon! Er arbeitet makellos... sauber... hinterlässt nur die Spuren, die er hinterlassen will. Bestimmt sitzt er irgendwo und lacht mich aus.“ Heiji legte ihm eine Hand auf die Schulter, versuchte aufmunternd zu lächeln. „Dann lacht er mich aber auch aus, Kudô. Was bin ich’n für’n angehender Polizeichef…“ Shinichi seufzte geschlagen. So wirklich konnte Heijis Kommentar ihn nicht aufheitern. Heiji schaute ihn besorgt an. Shinichi war auffallend blass. Und er kam ihm… irgendwie erschöpft vor. „Du solltest mehr schlafen, Shinichi.“ Heijis Stimme klang auf einmal sehr ernst. Shinichi hob den Kopf. „Hm?“ „Du siehst nicht gut aus.“ Der Detektiv aus Tokio wandte den Blick ab. Wenn du wüsstest… „Ich seh zu, was sich einrichten lässt. Willst du dir die Leiche ansehen? Hast du sie schon gesehen?“, wiegelte er ab. Er wollte um jeden Preis verhindern, dieses Thema zu vertiefen, auch wenn ihm der Gedanke an die Leiche auch nicht unbedingt behagte. Heiji schüttelte den Kopf. Gemeinsam gingen sie vorbei an Kogorô, der seinem Schwiegersohn in Spe einen langen Blick zuwarf. Er machte sich Sorgen. „Und, hast du’s schon an?“ Yukikos Stimme klang gedämpft durch den Vorhang in die Kabine. Ran steckte fest in einer Wolke aus Tüll und Spitze und seufzte entnervt. „Nein… es wehrt sich…“ „Soll ich helfen?“ Eri schob den Vorhang kurz beiseite, steckte den Kopf rein. „Ja, bitte.“ Ran drehte sich um, damit ihre Mutter ihr den Reißverschluss schließen konnte. Dann raffte sie den Rock, tappte auf Zehenspitzen nach draußen, stellte sich vor den großen Spiegel - und brach in Tränen aus. Stumm. Nicht ein Laut war zu hören; man sah nur die Tropfen, die über ihre Wangen perlten. Und es war nicht das Kleid, das sie zu Tränen rührte. Es war der Gedanke an den Mann, dem sie in so ein Kleid gehüllt am Traualter gegenüberstehen würde. In zwei Wochen. Das waren… das waren wieder zwei Wochen weniger… weniger… Seit heute Morgen, seit dem Gespräch mit ihm, trug sie sich mit dem Gedanken, versuchte, sich zu verdeutlichen, dass sie ihn wirklich verlieren würde. Dachte an den Ausdruck in seinen Augen, der dieser Tage nicht verschwinden wollte. Dachte an die Einsamkeit, die über sie hereinbrechen würde, wenn er weg war. Und sie ertrug den Gedanken nicht; und nun stand sie hier, kaufte das Kleid, in dem sie seine Frau werden würde, und wusste doch genau, dass sie ihren ersten Hochzeitstag nie erleben würden. Und es machte sie fertig. Und so stand sie da, weinte lautlos vor sich hin, als der Kummer sie zu ertränken drohte. Yukiko, Eri und Sonoko sahen sich an. „Ran…?“ Sonoko näherte sich ihr behutsam. „Ran, geht’s dir gut?“ „Was mach ich nur…?“ Ihre Stimme klang leise, kaum lauter als das sanfte Rascheln des Stoffs. „Was mach ich nur, was mach ich nur…?“ Immer mehr Tränen rollten über ihr Gesicht. Eri starrte sie betroffen an. „Ran…“ „Was mache ich, wenn er… wenn er… ich kann gar nicht dran denken…“ Sie wimmerte, hielt sich eine Hand vor den Mund, schaute mit vor Entsetzen aufgerissenen Augen in den Spiegel. „Ran… Ran, Liebes…“ Yukiko fasste sie vorsichtig am Arm, wollte sie beruhigen - aber Ran schien sie nicht einmal wahrzunehmen. Sie redete weiter. „Ich will ihn nicht gehen lassen…“, erklang es gedämpft unter ihren Fingern. Ihre Stimme war flüsternd, tränenerstickt. „Was mache ich ohne ihn? Er war mein Leben lang für mich da... so abgedroschen es auch klingt, aber er ist mein Gefährte, mein Seelenverwandter, mein Partner… was mach ich ohne ihn? Das kann er mir doch nicht a-antun…“ Ihr Gesicht verzog sich vor Schmerz, in ihren sonst so sanften Zügen manifestierte sich ihre seelische Qual. Sonoko erschrak. Erst langsam wurde ihr bewusst, wie viel Shinichi ihrer Freundin wirklich bedeutete; wie sehr sie ihn liebte. Und wie sehr sie sein Weggang treffen würde, was für eine Lücke sein Verlust hinterlassen wurde, welchen Schmerz ihr allein der Gedanke daran verursachte. Am Telefon hatte sie das gar nicht so bemerkt, als sie es ihr erzählt hatte, vor ein paar Tagen… klar hatte sie traurig geklungen… aber jetzt erst begriff Sonoko, dass Shinichi ein Teil von Ran war. Genauso wie im Umkehrschluss Ran ein Teil von Shinichi war. Sie hatte sich nie eingehend damit beschäftigt… zwar gewusst, dass die beiden sich liebten, aber nie begriffen, wie weit ihre Liebe tatsächlich ging. Ran konnte sich ein Leben ohne ihn nicht vorstellen. Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Dann riss die Stimme ihrer Freundin sie aus ihren Gedanken. „Ich will ihn nicht verlieren… was mach ich, wenn er nicht mehr ist? Was ist, wenn er jetzt schon…“ Sie begann zu zittern. „Was ist, wenn er schon...? Wenn er zusammengebrochen ist? Er schien so blass heute Morgen..." „Ran…! Ran, du reagierst panisch... du musst dich beruhigen, hörst du?“ Yukiko griff fester. Eri und Sonoko stellten sich vor den Spiegel, versperrten ihr die Sicht auf sich selbst. „Du kannst ihn ja anrufen.“, schlug Sonoko vor. Eri und Yukiko starrten sie ungläubig an. Ran war offensichtlich kurz vor einem Nervenzusammenbruch, und Sonoko kam mit derart banalen Vorschlägen. Zur Überraschung aller nickte Ran nur, ging in die Umkleidekabine zurück, zog energisch den Vorhang zu und suchte nach ihrem Handy. Yukiko schaute die beste Freundin ihrer zukünftigen Schwiegertochter konsterniert an. „Glaubst du, er hat’s nicht ohnehin schon schwer genug?“ Sonoko schwieg. Sie ahnte zwar, dass es schwer für Shinichi war, sich Rans Ängsten zu stellen – eben weil er sie zu verantworten hatte. Aber auch gerade weil er sie zu verantworten hatte, war es in ihren Augen seine Pflicht, ihr da beizustehen. Außerdem war er der Einzige, der sie jetzt beruhigen konnte. Shinichi beugte sich mit Heiji über die Leiche, eine junge Frau, eigentlich fast noch ein Mädchen, notierte ihre Verletzungen, wobei er sich bemühte, sie nicht zu genau anzusehen. Das allerdings ließ sich nicht vermeiden. Diese blasse, weiße Haut, fast schon grau... die durchscheinenden Lider, die blutleeren Lippen, dieser Hauch von Leblosigkeit, der sie umgab. Er nahm vorsichtig ihre Hand hoch, um ihre Finger anzusehen, erschauderte, als er merkte, wie kühl sie war. Tot. Erst jetzt erschloss sich ihm der Begriff so wirklich. Ihm wurde fast schlecht bei dem Gedanken. Ließ die Hand sinken, schloss die Augen, wandte sich ab, um nicht zu zeigen, was allein der Anblick der Leiche bei ihm anrichtete. Heiji schaute auf, zog die Augenbrauen hoch. Was is’ mit deiner Professionalität? Wo is’ deine Distanziertheit? Das hat dir doch noch nie was ausgemacht, Kudô... was is’ nur los mit dir?! Shinichi wollte sich gerade wieder umdrehen, um sich nicht völlig bloßzustellen, als er merkte, dass sein Handy in seiner Tasche vibrierte. Ein kurzer Blick aufs Display genügte, um ihm zu sagen, wer anrief. Er warf Heiji einen entschuldigenden Blick zu und entfernte sich. „Ran, was ist los?“ Ran saß in der Umkleidekabine und lauschte seiner Stimme. Langsam kehrte sie wieder in die Realität zurück. Sie merkte, wie ihre Panikattacke abflaute. „Ran?!“ Er hörte sich etwas ungeduldig an. „Ach nichts…“, murmelte sie leise. „Wegen nichts rufst du nicht an, Ran. Also, was ist los…?“ Er klang etwas sanfter. Sie seufzte. „Ich weiß auch nicht. Ich hatte wohl… ich weiß nicht. Ich stand da, vor dem Spiegel, in diesem weißen Kleid und dachte an dich und daran…“ Shinichi legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen. „Wo bist du?“ „Im Wedding Shop in Shibuka. Warum?” „Weil ich schnell vorbeikomme.“ „Aber ich… du musst nicht extra kommen!“ Ran wurde rot, geriet ins Stammeln. „Echt nicht, es… es geht schon wieder, ich…“ „Du hattest eine Panikattacke.“ Ran schloss die Augen. „Du liest meine Gedanken.“ „Nein, tu ich nicht. Ich deduziere. Ich kenne dich… Also warte wo du bist, ich komm vorbei; und dann erklär ich dir mal was.“ „Aber…“ „Aber was?“ Ran druckste herum. „Was?“, wiederholte er. „Ich hab ein Brautkleid an.“, murmelte sie zögernd. Shinichi musste unwillkürlich grinsen. „Ist es das, welches du zu kaufen beabsichtigst?“ Ran schüttelte den Kopf, zupfte an den Lagen Tüll ihres Rocks. „Nein. Nein, nicht wirklich.“ „Na, wo ist dann das Problem? Dann macht es doch nichts.“ Sie seufzte. „Deine Logik ist mal wieder unbestechlich heute.“ „Ist sie immer, aber trotzdem Danke. Also bis gleich.“ Er hängte ein. Ran seufzte leise, klappte ihr Mobiltelefon zu. Sie wusste schon, warum sie ihn liebte. Und sie verfluchte das Leben, das so grausam war. Shinichi ging an Heiji vorbei direkt zu Kogorô. „Hör mal…“, begann er leise. Kogorô schaute ihn aufmerksam an. „Ich müsste mal kurz weg. So… für ne dreiviertel Stunde. Könntest du… mich vertreten solange? Und Leute abwimmeln, die fragen, wo ich abgeblieben bin?“ „Wo musst du denn so dringend hin?“ „Zu Ran.“ Kogorô sah das Handy in seiner Hand. „Worauf wartest du dann noch?“ Shinichi blinzelte ihn erstaunt an. „Danke…“, murmelte er noch, dann lief er zum Auto. Zehn Minuten später stand er in einem Wald aus weißen Gewändern und schlug sich durch. „Hey.“ Yukiko, Eri und Sonoko, die vor Rans Umkleidekabine standen, fuhren herum. „Was machst du hier?“ Bevor er jedoch antworten konnte, wurde er unterbrochen. Hinter ihm erschien eine entsetzte Verkäuferin. „Aber Sie dürfen da nicht rein!“ Sie wuselte um ihn herum, baute ihre 1,50 m Körpergröße vor ihm auf. Er hielt den Vorhang schon in der Hand, seufzte genervt. „Und warum nicht…?“ „Weil besetzt ist.“ Er verdrehte die Augen. „Ich will auch kein Brautkleid anprobieren, Verehrteste. Das ist meine Zukünftige da drinnen. Glauben Sie mir, das geht in Ordnung.“ „Dann dürfen Sie da erst Recht nicht rein!“ Sie zog am Vorhang, versuchte, ihn ihm zu entwinden. „Sie hat kein Kleid an, das sie kaufen wird. Und jetzt machen Sie mich nicht ärgerlich, und lassen Sie mich endlich rein. Das ist wichtig.“ Die leicht pummelige Frau schaute bei dem ernsten Tonfall auf, ließ reflexartig den Vorhang los. Er ging in die Kabine, steckte dann noch mal den Kopf nach draußen. „Und ihr drei geht außer Hörweite, verstanden?“ Die drei Frauen traten gehorsam zurück, schauten ihn erstaunt an. Er zog den Vorhang zu, drehte sich langsam um. Ran schaute ihn an, eine zierliche, blasse Person mit langen dunklen Haaren umgeben von einem gigantischen Bausch Zuckerwatte, wie es den Anschein hatte. Deutlich sah man noch die Tränenspuren auf ihrem Gesicht, ihre leicht geröteten Augen. Er lächelte. Trotz ihrer Trauer, trotz ihrer Aufgewühltheit… sah sie bezaubernd aus. „Ich würd dich so vom Fleck weg heiraten.“, murmelte er leise. Stand da, schaute sie einfach nur an. Sie wich seinem Blick nicht aus. Blickte ihn nur an, war so froh, so froh, dass er da war. Dann verbreiterte sich sein Lächeln ein wenig, er grinste. „Auch wenn das Kleid ein wenig…“ Er zupfte an ein paar Lagen Tüll. „… voluminös ist. Lass mich raten. Meine Mutter.“ Ran schniefte, wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und nickte, lächelte zaghaft. „Mach mal ein wenig Platz…“, murmelte er, begann an den Röcken zu schieben, bis er neben ihr auf der kleinen Bank zum Sitzen kam. Sanft zog er sie in die Arme. „Siehst du, ich bin noch nicht tot.“, murmelte er. „Ich… ich weiß, das war… das war dumm von mir…“ „Nein, war es nicht. Und darauf wollte ich auch nicht hinaus. Dein Verhalten ist absolut verständlich, Ran. Was ich allerdings sagen wollte, war…“ Er seufzte, gab ihr einen sanften Kuss auf die Schläfe. „Ich bin noch nicht tot. Und du kannst mir glauben, das Gift bringt mich nicht innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden um. Uns bleibt dieses halbe Jahr… und ich will jeden Tag das tun, was du vorgeschlagen hast.“ Er nahm ihr Gesicht in beide Hände. „Leben, Ran.“ Sie lehnte seine Stirn an seine, schniefte leise. „Du brauchst keine Angst haben, dass ich dich morgen schon verlasse. Das werde ich nicht. Gut, wenn mich ein Auto überfährt, war das Pech…“ Ran lachte leise. „Du bist ein Idiot.“ „Das weiß ich.“ Er schmunzelte. „Aber die Zeit, die mir bleibt, will ich nutzen. Ich will jeden Tag leben, als ob’s mein Letzter wäre. Ich will die Zeit mit dir genießen. Ich will was davon haben, vom Leben. Ich will, dass du was davon hast. Das wir was davon haben, gemeinsam. Also… lass uns vergessen, was kommt, solange es nicht akut ist…“ Shinichi schaute ihr in die Augen. Ran nickte. Dann lächelte sie. „Es sind fast genau die gleich Worte, die ich dir schon heute morgen…“ „Ich weiß.“ Er grinste. „Und du hattest Recht, Ran. Also halten wir uns dran. Und nun such dir ein schönes Brautkleid. Nicht so ein Monstrum aus – was ist das eigentlich? Fliegengitter?“ Und dann war es passiert. Ran fing an zu lachen. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals, lachte befreit auf. Er drückte sie an sich, lächelte erleichtert, hielt sie eine Weile fest. Dann stand er schließlich doch auf, zog sie ebenfalls hoch. „Also, geht’s wieder?“ Ran nickte. „Ja. Du darfst jetzt wieder deinen Mörder suchen gehen.“ Sie streichelte ihm über die Wange. „Danke, gnädige Frau.“ Er verbeugte sich linkisch, wollte gerade rausgehen, als sie ihn am Arm zurückhielt. „Shinichi?“ „Hm?“ Er schaute sie fragend an. Sie tippte sich auf die Lippen. Shinichi verstand – beugte sich vor, küsste sie sanft. Als sie sich voneinander lösten, seufzte sie leise. „Und nun hau schon ab.“ Er nickte. „Bis heut Abend.“ „Ja… bis heut Abend…“ Sie lächelte ihn an, als er den Vorhang aufzog. „Und… Shinichi?“ „Ja?“ Er stand schon draußen, drehte sich noch mal um. „Danke…“ Shinichi lächelte nur, schüttelte den Kopf. Er wandte sich seiner Mutter zu. „Kein Fliegengitterkleid.“ Dann beeilte er sich, zu verschwinden, bevor sie ihn erwischte. „Das ist TÜLL!“, schrie im Yukiko verärgert hinterher - aber auch sie konnte sich ein leises Schmunzeln nicht verkneifen. Sie bewunderte ihn. Seine Stärke gab ihr Mut; offensichtlich hatte er sich dazu entschlossen, das Beste daraus zu machen – und sie würde ihn darin tatkräftig unterstützen. Auch wenn es wohl doch manchmal schwer fallen würde. Es schmerzte sie, wenn sie daran dachte, was passieren würde. Aber er hatte sich wohl für das Leben entschlossen – und was konnte sie sich als Mutter mehr erhoffen? Sie seufzte, schaute ihm hinterher. Alles, was sie hoffen konnte, war, dass sich seine Einstellung nicht änderte. Dass er nicht doch noch irgendwann... den Mut verlor. Und dass es nicht alles nur Fassade war, was er zeigte, sondern auch glaubte, wovon er sprach. Er war ein guter Schauspieler, sie wusste das am Besten. Dann wandte sie sich an Ran, die in der Kabine lehnte. „Seide?“ Fragend zog sie die Augenbrauen hoch. „Ja, Seide…“, murmelte Ran, wischte sich mit den Fingern eine letzte Träne aus den Augen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)