Tagebücher von Leira ================================================================================ Gespräche --------- Guten Tag allerseits! Zuersteinmal möchte ich mich sehr bedanken für die Kommentare zum letzten Kapitel. Ganz ehrlich, das bedeutet mir viel, und ich hoffe, dass euch die Fic auch weiterhin gefallen wird – vor allem, weil sie sehr, sehr lang werden wird... Nun; gut, das hier ist ein Drama, und es soll dem Genre auch gerecht werden, allerdings hoffe ich doch, dass ich sie ausgewogen genug geschrieben habe, dass nicht nur alles in Trauer versinkt ^^; Zu Papa Kudô kommen wir heute; was Heiji betrifft... müsst ihr noch ein ganz klein wenig warten. Ich wünsche euch gute Unterhaltung beim Lesen, Liebe Grüße, Eure Leira :D PS: Ich darf an dieser Stelle wohl ankündigen, dass nächste Woche an Weihnachten ein kleiner Oneshot erscheint; allerdings wird diese Fic dafür nicht ausgesetzt. Kapitel fünf wird am Dienstagabend geladen. __________________________________________________ Kapitel 4: Gespräche Shinichi hatte nicht viel versäumt, als er wieder am Tatort eintraf. Bevor er allerdings Heiji suchen ging, fahndete er zuerst einmal nach Kogorô – schließlich mussten sie seine Ausrede für seinen Verbleib noch abstimmen. Er fand ihn, an einem Tisch in dem Lokal sitzend, hinter dem der Mord verübt worden war. „Und?“ Kogorô war der erste, der sprach, warf ihm von der Seite einen kurzen Blick zu. „Es geht schon wieder. Sie hatte wohl… einen kleinen Hänger, aber jetzt geht’s wieder. Und es sind ja noch Eri, meine Mutter und Sonoko bei ihr. Sie suchen immer noch ein Kleid.“ Shinichi seufzte. „Und…?“ „Und was?“ Der junge Detektiv schaute auf. „Wie geht’s dir?“ Kogorô schaute ihn an, zog eine Augenbraue hoch. „Ich komm schon klar…“ Shinichi wich seinem Blick aus. „Ich hoffe, du erwartest jetzt nicht von mir, dass ich dir das abkaufe.“ Shinichi zuckte unmerklich zusammen, starrte ihn verwundert an – und wandte dann beschämt den Blick ab. Kogorô hatte einen Nerv getroffen, aber das zuzugeben fiel ihm doch schwer. Allerdings... verdiente er wohl eine Antwort, und so seufzte er kurz, räusperte sich, ehe er sprach. „Nein, das erwarte ich wohl nicht, auch wenn ich es gehofft hatte, zugegebenermaßen. Ich... weiß wohl selber nicht, wie’s mir geht und was ich mit mir anfangen soll. Jetzt in diesem Moment...“ Er schluckte. „... geht’s mir wohl eher... schlecht. Mehr oder weniger. Gerade ging’s mir noch gut, als ich von Ran weggegangen bin; und jetzt steh ich hier, schau mich um, weiß, dass es das letzte Mal sein wird, dass ich das hier mache… sehe die Leiche… und…“ Shinichi schloss die Augen, atmete tief durch. „Ich bin gut im Mutmachen, nur kann ich das bei mir selber nicht anwenden.“ Seine Stimme klang zynisch. Kogorô registrierte das mit hochgezogenen Augenbrauen. „Du musst das Beste…“ „… draus machen? Schon klar. Ich versuch’s ja, wirklich.“ Er lachte bitter auf. „Aber wie, Kogorô? Wie soll ich das machen, wenn mein Denken momentan nur von Zahlen beherrscht wird? Sechs Monate, 24 Wochen… 11532 Tage, 691920 Stunden,… Ich wollte nicht zählen, aber ich tu’s… mein Gott…“ Shinichi wurde bleich, strich sich müde übers Gesicht. „Ich bin hier, sollte einen Serienmörder dingfest machen, aber ich… ich steh hier nur rum, und kann nichts tun. Ich kann nicht denken. Ich kann keine Zusammenhänge erstellen, keine Deduktionen, keine Analysen, nicht mal Beobachtungen machen. Ich kann gar nichts mehr. Irgendwo bin ich jetzt schon... tot... ich will nicht, dass es mich beherrscht, dass der Gedanke daran mein Leben bestimmt, aber es fällt mir so schwer, nicht daran zu denken… Wie soll ich was Gutes daran finden, dass mein Schicksal so makaber ist? Wie kann ich versuchen, noch etwas Glück zu finden, wenn ich allen… allen anderen durch meine Misère das Leben schwer mache? Ran - was meinst du, wie’s gerade eben mit ihr war? Man sieht ihr ihre Verzweiflung an, und ich bin mir sicher, heimlich weint sie... immer dann, wenn ich nicht da bin, immer dann, wenn ich es nicht sehe, weil sie nicht will, dass es mir dadurch schlecht geht. Und ich... ich denke immer nur daran, wie das für sie ist. Sie will jemanden heiraten, mit dem sie mehr schlechte Zeiten haben wird als gute, mehr Krankheit als Gesundheit, und der Tod, der uns scheidet, wird schneller kommen, als wir dachten. Sie wird an mir nicht viel haben. Sie wird das nicht kriegen, was sie sich wünscht. Was ich ihr so gern gegeben hätte – ein schönes Leben. Ein glückliches Leben. Eine Familie. Das wird sie nicht bekommen, nicht mit mir, aber gehen will sie auch nicht!“ Er holte tief Luft. „Zuerst baut sie mich auf, um dann selber in ein Loch zu fallen. Ich frag mich, wie ich ihr das guten Gewissens antun kann. Seit Tagen geht’s auf und ab. Wir haben keine ruhige Minute mehr, kein normales Leben. Ich weiß nicht, ob sich das nach unserem Gespräch jetzt ändert. Ich kann’s für sie nur hoffen… Und dann… Dann kommen auch noch meine Eltern - Mann… was glaubst du, was das für ein Gang ist… den eigenen Eltern zu sagen, dass man sie nicht überleben wird - dass man sterben wird? Als einziges Kind? Dass man sich selber sein Leben im wahrsten Sinne des Wortes ruiniert hat? Er redet immer noch nicht mit mir. Er sagt, er muss es verarbeiten, das tut er seit Tagen. Er ruft nicht zurück. Besucht mich nicht. Lässt über meine Mutter nicht mal was ausrichten.“ Shinichi fuhr sich über die Augen. „Mein Leben ist die Hölle, momentan. Aber… Entschuldige, ich mülle dich zu mit meinen Angelegenheiten…“ Er war bleich geworden während seinem Redeschwall - er fröstelte, obwohl er sich schämte, ihm die Hitze zu Kopfe stieg. Soviel hatte er nicht reden wollen, erst Recht nicht zu Kogorô. Er wollte sich abwenden, versuchen, doch noch was an den Beweisstücken zu finden, aber Kogorô hielt ihn an der Schulter zurück. „Shinichi. Wenn du reden musst, dann rede. Ich hör dir zu.“ Der junge Mann schaute ihn ungläubig an. „Aber…“ „Vergiss, was war. Ich hab mich getäuscht, ich hab mich geirrt, ich hab Fehler gemacht, das haben wir beide, aber ich sah lange nur deine. Es tut mir Leid, dass ich es jetzt erst einsehe. Aber ich will, dass du weißt, ich bin… ich werde gern dein Schwiegervater sein, und als solchen darfst du mich auch sehen. Und behandeln. Also… wenn du mal nicht zu deinen eigenen Eltern gehen kannst, dann…“ Lange schwieg er. Dann… „D-danke.“ Shinichi wandte den Blick ab, vergrub einigermaßen verlegen seine Hände in seinen Hosentaschen. Aus dem Augenwinkel sah er Heiji heraneilen. „Du musstest den Ofen ausschalten.“ Kogorô grinste schief. „Entschuldige, was Besseres fiel mir nicht ein. Und die Entfernung passt zeitmäßig gut…“ „Danke.“ Shinichi lächelte ihm erleichtert zu, nickte kurz, dann ging er Heiji entgegen. „Und? Is der Ofen aus oder haste deine Bude abgefackelt?“ Heijis Stimme troff vor Sarkasmus. „Er war aus.“, erwiderte Shinichi kühl, bedachte Heiji mit einem prüfenden Blick. Es war offensichtlich, dass Heiji Kogorôs Ofenmärchen nicht glaubte. „Kudô… is irgendetwas passiert, wovon ich wissen sollt’?“ Shinichi starrte ihn erschrocken an. Der Ausdruck des Schreckens flackerte zwar nur für die Dauer von Sekundenbruchteilen über sein Gesicht, aber nichtsdestotrotz hatte Heiji ihn bemerkt. „Was is’ los…?“ „Gar nichts.“ Die Antwort kam ein wenig zu schnell, und das wussten sie beide. Shinichi bemühte sich um einen überzeugenden Gesichtsausdruck, um eine feste Stimme, als er nachsetzte. Angriff ist die beste Verteidigung. „Wirklich, Heiji, es ist nichts. Wie kommst du darauf?“ Heiji zog die Augenbrauen hoch. Ja, genau Kudô… dreh den Spieß nur um. Aber vergiss nich’, mit wem du hier sprichst. Ich bin dir gewachsen. „Na… du wirkst unkonzentriert. Du benimmst dich seltsam. Du redest wenig, du scheinst in deinen Ermittlungen nich’ voranzukommen… das is’ untypisch für dich. Außerdem bin ich dein Freund, ich merk’, wenn mit dir was nich’ stimmt. Wir kennen uns lang genug.“ Heiji verschränkte die Arme vor der Brust. Du bist dran. Shinichi starrte ihn an. Wie du willst. Er seufzte. „Na, ich heirate bald, falls dir das entgangen sein sollte; das ist los. Da kann man schon mal in Gedanken wo anders sein.“ Heiji zog eine Augenbraue hoch. Ja, sicher kann man das. Alle anderen. Aber nich’ du. Nich’ du. Shinichi wandte den Blick ab. Hör auf zu fragen, Heiji. Du willst die Antwort doch gar nicht wissen. Heiji schluckte. Was is’ los mit dir? Was willst du mir verheimlichen? Der Detektiv aus Osaka seufzte, dann beschloss er, die Sache für heute auf sich beruhen zu lassen; er bohrte auf Granit, und das würde sich in den nächsten Minuten wohl auch nicht ändern. Aber zufrieden war er noch lange nicht – dieses Gespräch würde noch fortgesetzt werden. Unbehaglich schaute er seinem Freund hinterher, der sich ein paar Schritte entfernt hatte, um sich den Tatort genauer anzusehen, und merkte nicht, wie sich etwas an Shinichi veränderte, als er einen kleinen Zettel aus der Hand der Leiche zog. Er faltete ihn auseinander, strich ihn glatt, fing an zu lesen. Seine Augen weiteten sich vor entsetzen. Perlen bedeuten Tränen. Einst weinte ich für jede Perle eine Träne, und es waren viele, viele Perlen… Nun weine ich nicht mehr, ich habe keine Tränen mehr… ich verschenke meine Perlen… für jede Träne eine. Sag mir, wer weint nun? Der Zettel in Shinichis Fingern fing an zu zittern. Was ist das?! Es war später Nachmittag in der Villa Kudô. Shinichi, Shiho und Agasa standen in der Küche und machten sich ans Zubereiten des Abendessens. Shinichi seufzte. Ran war mit Eri, seiner Mutter und Sonoko anscheinend immer noch unterwegs. Als er heimgekommen war, nachdem man für den Tag die Ermittlungen abgeschlossen hatte, war niemand hier gewesen; aber nur fünf Minuten später standen Agasa und Shiho, die immer noch beim Professor wohnte, vor der Haustür. Und so standen sie nun zu dritt am Herd und kochten. Shinichi hatte kurzerhand beschlossen, heute das Abendessen zuzubereiten; er wollte nicht rumsitzen und Themen anschneiden, die ihnen allen eigentlich eher unangenehm waren, also beschäftigte er sie einfach alle, damit wurde die Konversation automatisch auf ein Minimum beschränkt, wollte man vermeiden, dass man sich die Finger abhackte mit den scharfen Messern. Bis jetzt ging seine Taktik ganz gut auf. Ab und an wanderte sein Blick zu Shiho; sie schien gefasst, auch wenn sie immer noch sehr blass war, man in ihren Augen immer noch ihr Bedauern und das Gefühl der Schuldigkeit lesen konnte. Aber sie beherrschte sich. „Wie geht’s deinen Eltern?“ Shinichi hielt inne, als er die Sauce rührte, schaute nicht auf. Agasa schluckte, ahnte, dass er eine falsche Frage gestellt hatte. „Du musst nicht… tut mir Leid, ich hab nicht nachgedacht…“ Shinichi blickte auf, schaute in das betroffene Gesicht seines alten Freundes, lächelte traurig, schüttelte den Kopf. Offensichtlich hatte sein Plan doch ein paar Schwachstellen gehabt. „Nein, schon gut. Nun, Mama… sie kommt eigentlich so gut wie jeden Tag vorbei. Manchmal nervt es mich schon fast. Soviel mütterliche Zuwendung wie in den letzten Tagen hab ich in den ganzen letzten zwanzig Jahren nicht erfahren…“ Er zog die Augenbrauen zusammen, grinste verlegen und schüttete Sojasoße in den Topf. „Nun. Sie ist sehr tapfer, das muss man ihr lassen. Manchmal sieht man ihr ihren Kummer an, aber sie… sie stellt sich dem allen. Sie kommt und sieht, wo sie helfen kann. Momentan ist sie mit Eri und Ran unterwegs, ein Brautkleid kaufen…“ Er schob den Topf vom Herd, griff nach der Pfanne. Bei dem Gedanken an seinen Vater trat ein verbissener Gesichtsausdruck auf sein Gesicht. „Und Vater… er… er redet nicht mehr mit mir.“ Agasa ließ das Messer, mit dem er gerade die Lauchzwiebeln klein schnitt, sinken. Shiho, die gerade Karotten schälte, hielt ebenfalls inne, starrte ihn an. „Was?“ Shinichi goss Öl in eine Pfanne, schwenkte sie kurz, dann hob er den Kopf, atmete tief durch. „An dem Tag, als ich es ihnen gesagt hab… vor ner Woche also… ist er gegangen. Ich bin ihm nach, und er hat mich weggeschickt. Er meinte, er könne mich jetzt nicht sehen. Er müsse erst verarbeiten, was ich ihm gesagt habe. Er muss erst verdauen, was passieren wird… und er bräuchte Zeit dafür.“ „Aber das ist doch…“ „Verständlich? Ja, sicher ist es das. Das sehe ich auch ein, und wirklich, ich denke, ich kann in etwa nachempfinden, wie das sein muss für ihn. Was ich aber nicht mehr verstehe ist, warum er dafür eine geschlagene Woche braucht, und so wie’s aussieht, sogar mehr; warum er nicht mal anruft; warum er mir über meine Mutter nichts ausrichten lässt… warum er mich auflegt, wenn ich bei ihm anrufe… das ist…“ Er biss sich auf die Lippen, schnappte sich das Brett mit dem klein geschnittenen Fleisch und kippte es mit Schwung in die Pfanne, dass das heiße Fett nur so spritzte; er schien es nicht zu bemerken. „Das ist grausam von ihm, merkt er das nicht?“ Bitterkeit schwang in seiner Stimme. Er holte sich einen Pfannenwender, schubste die Schublade zu, dass es krachte und das Besteck darin klirrte. Agasa und Shiho starrten ihn sprachlos an. Ihm war anzusehen, wie sehr es ihn mitnahm, dass sein eigener Vater ihn schnitt. So tat, als würde er nicht existieren. Agasa kippte seine Zwiebeln zum Fleisch, nahm Shinichi den Wender aus der Hand. „Er wird sich wieder fangen.“ „Ja, das sagen alle.“ Seine Stimme klang tonlos. Dann klingelte es an der Haustür. Shiho ging, um zu öffnen; Shinichi nahm mit ausdrucksloser Miene die Soße vom Herd und goss sie in die Pfanne. Dampf wallte empor, stieg in Wolken an die Decke. „Wir haben eins!“ Sonoko stürmte in die Küche, ihr Gesichtsausdruck war triumphierend. „Es hat gedauert, aber wir haben eins! Und du wirst jetzt sicher wissen wollen, wie’s aussieht, aber wir werden dir nichts sagen! Ha! HA!“ Sie hielt ihm die Schachtel unter die Nase. Er versuchte ein Lächeln. „Freut mich.“ Zu mehr Begeisterung konnte er sich nicht überwinden. Sie zog die Augenbrauen verwundert hoch, als er sich abwandte, um den Reis aus dem Topf zu holen. Agasa warf ihr einen entschuldigenden Blick zu. „Frag nicht.“ Dann betraten Ran und Yukiko die Küche. „Entschuldige, dass es noch gedauert hat… wir waren noch mit Eri bei Kogorô, haben ihm das Kleid gezeigt, und ich musste noch mal kurz ins Hotel um…“, begann Yukiko, wurde dann aber sofort von ihrem Sohn unterbrochen. „Hat er was gesagt?“ Yukiko wich seinem Blick aus, schüttelte dann bedrückt den Kopf. „Nein, Shinichi… ich versuch’ ja mit ihm zu reden, aber er blockt ab. Du musst ihm Zeit geben, damit klar zu kommen…“ „Ist ihm schon mal die Idee gekommen, das Zeit genau das ist, was ich am wenigsten hab?!“ Yukiko zuckte zusammen, schaute ihn erschrocken an. Die Heftigkeit und auch der Wahrheitsgehalt seiner Worte erschütterte sie. Shinichi war aufgebracht; die Szene heute mit Kogorô ging ihm nicht aus dem Kopf. Niemals hätte er von ihm soviel Verständnis erwartet, aber Rans Vater war erstaunlich mitfühlend gewesen. Er hatte ihm zugehört. Ihm Hilfe angeboten. Ihm seine Hand gereicht. Etwas, dass er von seinem eigenen Vater vermisste. Schmerzlich vermisste. Er fühlte sich allein gelassen. Zum ersten Mal in seinem Leben. Shinichi holte Luft. „Er behandelt mich wie einen Aussätzigen! Oder so, als ob ich schon tot wär! Verdammt noch mal, da würde ich ihn mal wirklich brauchen und auch dann ist er nicht für mich da… glaubt er denn, für mich ist es einfach? Denkt er, er ist der einzige, dem’s mies geht? Dann soll er sich mal hier umhören…“ Sonoko legte das Kleid ab. Das war es also. Sie und Shinichi waren ungefähr in gleichen Verhältnissen groß geworden. Sie beide hatten sich nie Sorgen machen brauchen; aber gleichzeitig hatten sie beide Eltern, die ihnen große Freiräume gaben; manchmal wohl auch zu große. Dennoch hatten sie beide immer auf sie zählen können; auch wenn sie sich manchmal etwas lax in ihrer Erziehung gezeigt hatten, gerade bei Shinichi, aber hatte er sie je wirklich gebraucht, waren sie da gewesen, das wusste sie von Ran. Und nun war dem anscheinend nicht mehr so. Kein Wunder, dass er eben etwas kühl reagiert hatte. Shinichi starrte frustriert auf den Reis, goss das Wasser einen Tick zu heftig ab, verbrannte sich am heißen Dampf die Finger, fluchte. Dann stellte er die Schüssel mit dem Reis temperamentvoller auf den Tisch, als nötig war – ein paar Reiskörner flogen durch die Gegend kullerten auf die Tischplatte und sprangen auf den Boden. Ran schaute ihn bestürzt an. So erlebte man ihn selten. „Ich kann ja verstehen, dass er… dass es hart ist für ihn. Aber wirklich… ich… ich könnte seine Unterstützung echt brauchen. Kann er sich denn nicht mal überwinden, dir was für mich auszurichten…?“ Seine Stimme klang immer noch erregt, in seinen Augen jedoch lag etwas Verzweifeltes. Yukiko seufzte, legte ihm eine Hand auf den Arm, die er abschüttelte. „Er fragt mich, wie’s dir geht.“ „Wie aufmerksam von ihm.“ Shinichis Stimme klang zynisch. Dann drehte er plötzlich sich um, ging entschlossen zur Tür. Ran starrte ihn an. „Wo willst du hin…?“ Er seufzte, strich sich mit der Hand über den Hinterkopf. „Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann muss der Berg eben zum Propheten kommen…“ „Shinichi!“ Yukiko fuhr auf. „Du weißt ganz genau, dass das nichts bringen wird…! Lass ihn doch in Frieden…“ „Nein. Das kann er vergessen.“ Shinichis Stimme klang fest. „Versteh mich nicht falsch, Mama… ich kann ihn schon nachvollziehen. Aber ihr müsst mich auch verstehen… ich will erstens, so nicht auseinander gehen, nicht mit meinem Vater, und zweitens, die Zeit die ich noch habe, sinnvoll nutzen. Streits zählen nicht zu meiner Definition von sinnvoll genutzter Zeit. Also werde ich die Sache mit ihm klären. Jetzt. Das dauert ohnehin schon zu lange…“ „Er ist verletzt, Shinichi…“ Yukiko hielt ihren Sohn am Ärmel fest. „Lass ihn doch…“ Shinichi schüttelte sie ab. „Und was meinst du, was ich bin?“, flüsterte er leise, seine Augen blitzen vor unterdrückter Wut. Damit ging er. Wenig später hörten sie das Auto wegfahren. „Kudô-Männer.“, grollte Yukiko. „Die werden sich die Köpfe einschlagen. Er hat Yusaku in den letzten Tagen nicht gesehen… das alles geht ihm ziemlich nahe…“ Ran, die gerade das Gemüse vom Herd genommen hatte, stellte den Topf beiseite, schaute Yukiko ernst an. „Aber er weiß nicht, dass er in einem halben Jahr sterben wird, oder? Und er fragt sich nicht, was er angestellt hat, dass sein Vater nicht mehr mit ihm spricht? Er quält sich nicht mit…“ Yukiko war bleich geworden. Ran hielt inne. „Du hast ja Recht, Ran.“, murmelte die ehemalige Schauspielerin leise. „Du hast ja Recht.“ Shinichi stand vor der Tür des Hotelzimmers, in dem seine Eltern derzeit wohnten. In seinem Magen kribbelte es, sein Magen schien sich zu verknoten, und gerade dankte er dem Zufall, sein Abendessen nicht gegessen zu haben. Dann nahm er all seinen Mut zusammen, klopfte. „Yukiko?“, erklang es von drinnen. „Hast du den Schlüssel vergessen?“ „Ich bin nicht Yukiko.“ Shinichi hörte, wie sich drinnen jemand gegen die Tür lehnte, laut ausatmete. „Verschwinde, Shinichi.“ Der junge Detektiv schloss gequält die Augen, atmete tief durch. „Nein.“ „Ich will dich aber nicht sehen.“ Die Stimme klang gedämpft und war sehr leise - aber dennoch konnte Shinichi heraushören, dass seinem Vater das Sprechen mit ihm nicht leicht fiel. „Ich werde aber nicht gehen.“ „Dann wirst du die ganze Nacht da stehen.“ „Dann mache ich das eben.“ Seine Stimme klang trotzig. Er ließ sich zu Boden sinken. „Wie du willst!“, ertönte es ärgerlich von drinnen. Schritte entfernten sich. Shinichi lehnte seinen Kopf gegen die Tür. „Warum gehst du mir aus dem Weg? Findest du das gut so?“ Keine Antwort. „Weißt du, wie sich das anfühlt?“ Wieder keine Reaktion. Shinichi seufzte, zog die Beine an, schlang seine Arme um die Knie. Dann ging er in die Vollen. Er musste reden, jetzt. Egal ob er ihm zuhörte oder nicht. „Ich kann es dir sagen, wie das ist. Mir fällt die Decke auf den Kopf, weißt du. Mir geht’s momentan wirklich nicht besonders... wie du dir wohl denken kannst... und einer der wenigen Menschen, mit denen ich gern reden würde, über… über das, was… was passieren wird…“ Er kniff die Lippen kurz zusammen. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, allein darüber nachzudenken war schrecklich, es auch noch auszusprechen war fast nicht auszuhalten. Von drinnen ertönte nicht das leiseste Geräusch. Er sammelte sich, holte tief Luft. „Einer dieser Menschen redet nicht mit mir. Behandelt mich, als ob ich schon tot wäre. Warum tust du mir das an? Glaubst du, du bist der Einzige, der sich mit dem Gedanken nicht anfreunden kann? Verdammt noch mal, du bist mein Vater! Ich hab dich in meinem Leben nicht oft gebraucht… aber jetzt… jetzt wäre es mal der Fall, wirklich. Und jetzt verwehrst du mir dein Ohr, deine Hand… ich liege am Boden und du lässt mich liegen, drehst dich um und gehst. Was meinst du, wie das ist? Mein Leben gerät gerade aus den Fugen, und eine der wichtigsten Konstanten löst sich mit dir ebenfalls in Luft auf. Ich… ich brauche dich. Ich weiß nicht mehr ein noch aus, ich weiß nicht, was ich tun soll. Wie ich damit fertig werden soll…“ Er wollte schlucken, aber es gelang ihm nicht. Sein Mund war trocken. Shinichi räusperte sich, er bemühte sich, seine Stimme fest klingen zu lassen, als er sprach… etwas, das ihm nicht ganz gelang. „Ich… mir fällt das auch nicht leicht. Ich kann verstehen, dass es schwer ist, für dich, mich… gehen zu sehen. Aber gerade darum bitte ich dich… bitte… lass mich nicht allein auf diesem Weg…“ Er fuhr sich mit zitternden Händen übers Gesicht. Aus dem Zimmer drang kein Laut nach außen. Shinichi starrte die Decke an. Bitterkeit stieg in ihm hoch, zusammen mit Verzweiflung, Wut und Enttäuschung. Aber er blieb sitzen. Und wartete. Starrte an die Decke, fing sich von einem Pagen einen tadelnden Blick ein, und wartete weiter. Irgendwann… irgendwann gab er es auf. Er wusste nicht, wie lange er gewartet hatte. Es mussten wohl Stunden gewesen sein. Sein Rücken schmerzte, und er wusste, er konnte seine Drohung nicht wahr machen und die ganze Nacht hier warten. Er war so überstürzt aufgebrochen, dass er sogar vergessen hatte, sein Schmerzmittel zu nehmen. Das Risiko, hier zusammenzubrechen wollte er nicht eingehen. Langsam schob er sich an der Tür entlang nach oben, bedachte sie mit einem traurigen Blick. „Also kann ich auf dich nicht zählen…“, wisperte er mehr zu sich selbst als zu jemand anderem. Dann wandte er sich um und ging. Hinter ihm ging die Tür auf. Shinichi drehte sich um, als er das Geräusch hörte - und erschrak. Die Gestalt, die auf dem Gang stand, hätte er fast nicht erkannt. So hatte er seinen Vater noch nie gesehen. Blass. Erschöpft. Seine Augen gerötet. Yusaku schluckte… dann griff er nach seinem Arm, zog ihn mit sich zurück, ins Hotelzimmer. Hinter ihnen beiden schloss er die Tür, bedeutete Shinichi, sich auf das Sofa zu setzen, blieb selber vor ihm stehen. Lange Zeit schaute er ihn unschlüssig an. Als er sprach, klang seine Stimme ein wenig heiser. „Es… es tut mir Leid. Mein Verhalten war inakzeptabel, Shinichi, ich weiß nicht wie ich das rechtfertigen kann…“ Er geriet ins Stocken. „Ich bin ein lausiger Vater.“ Shinichi schaute ihn betroffen an. „Nein, das bist du…“ „Rede nicht, Shinichi. Genau das bin ich. Ich hab dich mit dreizehn Jahren allein gelassen. Du warst so selbstständig, das hab ich wohl... unbewusst... ausgenutzt. Dann kam die Sache mit der Organisation und auch da… hab ich eher wenig getan, um dir wirklich zu helfen. Das Einzige, was man mir gutheißen kann, ist, dass ich genug Vertrauen in dich hatte, um dir zuzutrauen, das allein zu meistern. Und das hast du. Aber ich hab dich so gut wie nie angerufen. Dich nicht gefragt, wie’s dir geht. Wie du vorankommst. Ich hab als Vater versagt. Und jetzt…“ Er hob den Kopf, schaute seinen Sohn aus müden Augen an. „Und selbst jetzt, wo du kommst, um Hilfe bittest, denke ich an mich, weil ich befürchte, dass es mich zugrunde richtet. Ich komme nicht klar mit der Tatsache, dass du vor mir stirbst. Und ich komme nicht klar mit der Tatsache, dass du überhaupt sterben musst, auf diese Weise. Du hast das nicht verdient. Du hast nichts getan, weswegen irgendeine höhere Macht dich derart bestrafen müsste. Du…“ Er lächelte ihn traurig an. „Du solltest das nicht ertragen müssen. Und ich komme nicht klar damit, dagegen nichts tun zu können.“ Yusaku schluckte, starrte an die Decke, als er sprach. „Weißt du... Shinichi... ich war dabei, als du auf die Welt kamst. Ich schwor, dich zu beschützen, mit meinem Leben. Und nun muss ich sehen… muss sehen, dass mein Leben nichts wert ist, weil ich genau das nicht kann…“ Unwillig wischte er sich über die Augen. „Vater…“ „Hör bitte auf damit, Shinichi. Bitte. Du hast Recht mit allem, was du mir vorwirfst. Ich habe als Vater oft versagt, aber was ich mir in den letzten Tagen geleistet habe, ist unverzeihlich. Du bist als Mensch so ungleich viel stärker als ich. Du bist jemand, vor dem ich mein Haupt neigen muss - allein was du in den letzten Wochen mitgemacht hast, würde reichen, um viele andere auf den Boden zu schmettern, aber du - du stehst noch. Du weißt, dass du nichts ändern kannst, aber du gibst deswegen noch lange nicht auf.“ Er hielt inne, schaute seine Finger an. Sein Blick fiel auf die Reflektion seines Spiegelbilds in der Tischplatte des Glastisches, der zwischen ihnen stand. Bleich. Ausgezehrt. Er hatte sich gehen lassen in seinem Kummer, und das sah man ihm an. Yusaku wandte den Blick ab, räusperte sich. „Ich weiß nicht, ob ich, wäre ich an deiner Stelle, soviel Haltung bewahren könnte wie du. Schau mich doch an, wie ich jetzt schon aussehe…“ Er lachte humorlos. „Ich glaube nicht, dass ich soviel Selbstlosigkeit noch hätte wie du, in erster Linie immer noch an alle anderen zu denken... streit’s nicht ab, man hat es dir angesehen, als du es uns sagen musstest… es stand dir ins Gesicht geschrieben, wie sehr es dich schmerzt, deiner Mutter und mir das antun zu müssen. Du dachtest an uns, nicht an dich. Und auch jetzt weiß ich von Yukiko, dass du dir hauptsächlich Gedanken machst um Ran… und um alle anderen. Du… du… Glaub mir, du brauchst meine Hilfe nicht…“ Er brach ab. Shinichi schüttelte den Kopf. „Nein, das siehst du falsch. Ich hab’s dir doch gesagt, ich komme auch nicht klar damit. Ich bin nicht stark. Ich versuche zu verdrängen, das ist nichts… was man bewundern müsste…“ „Shinichi.“ Yusaku schaute ihn fest an, beugte sich leicht nach vorne. „Wenn du herkommst, und um meine Hilfe bittest… nennst du das verdrängen? Du willst, bei dieser Sache, von der du glaubst, allein nicht fertig werden zu können, meinen Beistand. Allein das zeigt, dass du dich deinem Schicksal stellst! Du versuchst Shiho zu beruhigen, die sich die Schuld zu geben scheint… willst ihr ausreden, dass sie sich schlecht fühlen muss. Du überlegst, wie du’s für Ran am Besten machen könntest... du siehst nur das Leid der anderen…“ Er ging um den Tisch herum, ohne seinen Sohn aus den Augen zu lassen, vergrub seine Hände in seinen Hosentaschen. Dann wiegte er den Kopf bestimmt. „Nein, wirklich… du stellst dich ihren Ängsten und deinen. Glaub mir, du tust alles, aber nicht verdrängen. Vielleicht willst du’s, aber du tust es nicht. Und deswegen glaube ich, du brauchst… brauchst meine Hilfe nicht.“ Yusaku seufzte, strich sich mit einer Hand über die Augen, schaute seinen Sohn bewegt an. „Aber wenn du sie dennoch willst… so kann ich dich nur bitten, nur hoffen, dass du mir noch eine Chance gibst. Dann werde ich mit dir diesen Weg gehen, der so bitter ist… so hart werden wird, für uns beide… bis zum… Ende… werde ich für dich da sein. Ich versprech’ es dir. Ich werde dich nicht mehr allein lassen.“ Shinichi starrte ihn an. Er presste seine Lippen aufeinander, krallte seine Hände in die Sofakissen, um nicht zu zeigen, wie aufgewühlt er war. Und wie unendlich dankbar. Dann nickte er langsam. „Die Frage stellt sich gar nicht… ob ich dir verzeihe. Natürlich… tue ich das…“ Yusaku schaute kurz auf, Erleichterung flackerte über sein Gesicht - dann senkte sich sein Blick niedergeschlagen zu Boden. „Shinichi, es tut mir so Leid… wirklich, wenn ich tauschen könnte mit dir, ich würd’s tun. Sofort… sofort…. Denn du… du hast das nicht verdient… du hast das nicht verdient.“ Seine Worte verloren sich in einem Flüstern. Shinichi stand langsam auf, trat einen Schritt nach vorne. „Das weiß ich doch… Mach dir keinen Vorwurf bitte. Es lässt sich nicht ändern, also bitte… mach dir keinen Vorwurf…“ Dann schluckte er… merkte, wie ihm schwindlig wurde, kurz flimmerte es schwarz vor seinen Augen, er sank langsam wieder zurück aufs Sofa. „Ist dir nicht gut?“ Yusaku schaute ihn erschrocken an, griff ihm an die Stirn. Shinichi schob seinen Arm unwillig beiseite. Ihm war das peinlich. „Nur schwindelig. Es ist nichts, ehrlich.“ Sein Vater musterte ihn eindringlich. „Wirklich. Es ist nicht… das. Mir ist wirklich nur ein wenig komisch. Glaub mir, ich kann’s auseinander halten…“ Der Schriftsteller seufzte. „Bleib trotzdem besser sitzen.“ Shinichi seufzte genervt. Die Anweisung war unnötig; selbst wenn er hätte aufstehen wollen, wäre er nicht dazu in der Lage gewesen. „Wann hast du zum letzten Mal was gegessen oder getrunken?“ Yusaku sah ihn prüfend an. Er war blass, kalter Schweiß war auf seine Stirn getreten. Aber keine Art von fiebrigem Glanz in den Augen, und er schien auch keine Schmerzen zu haben. Also konnte es sein… Shinichi überlegte. Er kam auf kein zufrieden stellendes Ergebnis. „Keine Ahnung. Kaffee heut Mittag auf dem Revier? Gegessen… gestern Abend…?“ „Dann sackt grad dein Kreislauf…“ „…zusammen, ja, scheint so…“ Er lächelte ironisch, dachte an das Essen, dass er daheim hatte stehen lassen. Yusaku zog die Augenbrauen hoch. „Ich hol dir ne Cola. Und dann fahr ich dich heim.“ „Hm…“ „Wirklich, du solltest besser auf dich aufpassen.“ „Das sagst du so einfach.“ Yusaku ging kurz in ein anderes Zimmer, kam mit einem Glas eisgekühlter Cola zurück, reichte es seinem Sohn. „Besser…?“ Shinichi nickte, nachdem er die ersten Schlucke getrunken hatte. „Ich meinte das ernst.“, fing der Schriftsteller wieder an. „Du solltest besser auf dich aufpassen. Du musst nicht auch noch unnötig…“ „Das weiß ich… das weiß ich doch.“ Shinichi seufzte schwer. „Aber das ist alles nicht so einfach.“ „Wegen…?“ „Nicht nur.“ Shinichi schaute kurz auf. „Es ist schon wahr, es ist… kaum zu ertragen. Ich weiß nicht, was ich wegen Ran noch tun soll. Sie leidet so sehr darunter, unter der Vorstellung, dass ich...“ Seine Stimme verlor sich. Dann trank er noch einen Schluck Cola, setzte neu an. „Ich hab ihr schon vorgeschlagen, sie soll gehen. Hab ihr gesagt, wir müssen nicht heiraten. Sie will aber. Sie haben heute das Brautkleid gekauft. Demnächst müssen wir wohl die Trauringe besorgen… ich will ja gerne, dass sie glücklich ist, also werde ich wohl alles tun, was sie gern haben will...“ Er seufzte, lächelte traurig. Yusaku setzte sich neben ihn auf die Couch, drückte kurz seinen Arm. Shinichi nippte an seinem Glas, bevor er fort fuhr. „Und dann… dann kommt da noch die Sache mit dem Fall. Mit Heiji und den Leuten vom Präsidium. Ich will nicht, dass sie’s wissen.“ „Heiji auch nicht?“ Sein Vater schaute ihn etwas überrascht an. „Ja. Ich will nicht, dass er’s weiß. Er würde es sich zu sehr zu Herzen nehmen. Und ich will nicht, dass Meguré und die anderen es wissen, weil ich befürchte, sie nehmen mich dann nicht mehr für voll, behandeln mich wie... ein Kind…“ Er stockte. Conan. Dann riss er sich zusammen. „Ich hasse diese mitleidigen Blicke. Sie sind nicht böse gemeint, das weiß ich… aber trotzdem… ich hab’s heut bei Eri und Sonoko erst wieder gesehen. Ich will das nicht. Alle schauen mich an, und es scheint mir, als warten sie nur drauf, dass ich umfalle. Ich will mir das wenigstens bei der Arbeit sparen. Und…“ „Und?“, hakte Yusaku nach, zog die Augenbrauen hoch. Der grüblerische Ausdruck auf dem Gesicht seines Sohns gefiel ihm nicht. „Sag dir der Perlenmörder was?“ Yusaku versteifte sich. „Der Perlenmörder?“ Er schaute seinen Sohn fassungslos an. „Der Serienmörder, der schon zwei junge Frauen auf dem Gewissen hat?“ „Fast.“ Shinichi starrte auf seine Finger. „Gestern Nacht hat es die dritte erwischt.“ „Drei…? Dann… dann bist du an dem Fall…“ „Dran, ja.“ Shinichi trank seine Cola aus. „Weißt du, wie er sie umbringt? Er schneidet… schneidet ihnen die Kehle durch. Sie verbluten. Wenn sie sterben… sie sehen noch im Tod bezaubernd aus. Sie sind schneeweiß im Gesicht, ihre Haut schimmert wie Mondlicht. Und ich kann mir das nicht ansehen…“ Er seufzte. „Tote Menschen… so jung… er nimmt immer junge Mädchen… Kellnerinnen. Durch die Bank. Immer in der Nacht von Sonntag auf Montag, immer in der Nähe ihrer Lokale… und er hinterlässt…“ „Immer eine Perle…“ „Ja.“ Shinichi seufzte, raufte sich die Haare, biss sich auf die Lippen. „Eine Perle… immer sind es Perlen. Und obwohl er so schön systematisch vorgeht, immer nach Schema F, immer dieselben Indizien zurücklässt… glaubst du, wir könnten ihn kriegen? Er ist absolut sauber. Er hinterlässt keine Fingerabdrücke. Keine Faserspuren. Keine Haare. Keinen Speichel, kein Blut, außer dem des Opfers. Keine Tatwaffe. Nichts! Er ist ein Perfektionist, wie es ihn grausamer nicht gibt. Ein Lehrbeispiel für den perfekten Mord.“ Er schnaubte frustriert, ballte die Hände zu Fäusten. Und neuerdings hinterlässt er Nachrichten. ‚Perlen bedeuten Tränen. Einst weinte ich für jede Perle eine Träne, und es waren viele, viele Perlen… Nun weine ich nicht mehr, ich habe keine Tränen mehr… ich verschenke meine Perlen… für jede Träne eine. Sag mir, wer weint nun?’ „Sag mir, wer weint nun?“, murmelte Shinichi leise. Yusaku schaute ihn eindringlich an. Den Blick kannte er bei seinem Sohn, dieses Verhalten war klassisch. Der Fall drohte mal wieder die Überhand zu gewinnen… ihn mit Beschlag zu belegen, ihm den Schaf zu rauben, ihn an die Grenze seiner Kräfte zu treiben. Er sah ihm an, wie ihn die Sache mitnahm. Wie sehr es ihn traf, den Mörder noch nicht geschnappt zu haben. Er fühlte, dass Shinichi auch hierfür sich die Schuld gab. Yusaku seufzte. In normalen Fällen hätte er seinen Sohn jetzt zusammengestaucht. Ihm gesagt, er solle sich nicht reinsteigern, weil ihm das nicht gut tat. Er hätte ihm unter sogar Umständen geraten, ihn abzugeben, diesen Fall, weil er ihn persönlich nahm und damit seine Objektivität verlor. Aber er sah auch… er erkannte, als er ihn so sprechen hörte… und das erschreckte und erleichterte ihn gleichermaßen, eine Tatsache, ihn schaudern ließ… dass dieser Fall es war, der Shinichi sein Schicksal vergessen ließ. Er lenkte ihn ab. Beschäftigte ihn. Ließ ihm keine Zeit, über sich zu grübeln. Yusaku erkannte wohl, dass Shinichi nun die Leichen mit anderen Augen sah, wohl das einzige, das ihn dann und wann an sich selbst erinnerte… aber der Fall erforderte bald seine ganze Aufmerksamkeit. Ließ man ihn, würde er sich total verlieren, in Fakten und Deduktionen. Dieser dritte Mord hatte ihn schwer getroffen. Er gab sich die Schuld, dass er nicht hatte verhindert werden können, und das machte diesen Fall zu einer persönlichen Fehde zwischen ihm und dem Mörder. Er sah den Glanz in seinen Augen. Dieses wütende, kämpferische Funkeln. Er wusste von Yukiko, dass er sich nicht darauf konzentrieren konnte, wenn er abends über den Fotos und den Berichten brütete, seit Wochen. Aber dieser dritte Mord… Hatte das Blatt offensichtlich gedreht. Die Dreistigkeit, mit der er sie alle an der Nase herumführte, hatte seinen Sohn persönlich beleidigt. Der Mörder hatte ihm den Krieg erklärt. Und Shinichi hatte ihn aufgegriffen, den Fehdehandschuh, der ihm vor die Füße geworfen worden war. Er würde ihn nicht hergeben, bis die Entscheidungsschlacht geschlagen war, soviel war sicher. Dieser Fall beschäftigte ihn... und Beschäftigung konnte Shinichi in diesem Moment wohl mehr als gut gebrauchen. Und deswegen… weil dieser Fall in Shinichi neuen Kampfgeist weckte, wenn auch auf eine Art, die er sich nicht gewünscht hatte… … schaffte Yusaku Kudô es nicht, ihn zu Recht zu weisen. Er würde ihn machen lassen. Aber er würde ein Auge auf ihn haben. Yusaku stand auf. „Komm, ich fahr dich nach Hause.“ Shinichi blickte auf, ergriff die Hand seines Vaters, die er ihm entgegenstreckte, ließ sich hochziehen. Ja, es wurde wohl Zeit, nach Hause zu kommen. Hosted by Animexx e.V. 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