Tagebücher von Leira ================================================================================ Elterlicher Rat --------------- Guten Tag, verehrte Leserinnen und Leser! Ich danke euch vielmals für eure Kommentare zum letzten Kapitel! Ich kanns wohl gar nicht oft genug sagen, und leider fehlt mir wohl auch ein wenig die Zeit, um mich bei jedem Einzelnen zu bedanken; aber ich danke euch wirklich, euer Feedback und eure Meinung hilft mir sehr! *verbeug* So; und nun geht’s also da weiter, wo das letzte Kapitel aufgehört hat. Eigentlich... eigentlich sollte in diesem Kapitel noch etwas anderes passieren. Als ich jedoch dann noch mal die Wortzählung gemacht hab, und es über 8000 Wörter für das Kap waren... hab ich gesplittet ^^; Den Rest gibt’s nächsten Mittwoch :D Bis dahin, viel Vergnügen beim Lesen, die allerfreundlichsten Grüße, Eure Leira ;D _______________________________________________________________________ Kapitel 9: Elterlicher Rat Ran wachte auf, als die Sonne sie kitzelte, ihre Umgebung zu hell wurde, als dass sie noch weiter schlafen konnte. Träge blinzelte sie, schaute auf ihre Bettdecke, die übersät war von goldgelben Mustern, die das Sonnenlicht mit Hilfe der Gardine malte. Sie gähnte leise, streckte sich ein wenig, wandte sich um, langsam, erwartete wie jeden Morgen, ihn dort liegend zu finden- Aber sein Bett war leer. Sie fuhr hoch. Der Zustand wohligen Halbschlafes war schlagartig verschwunden. „Shinichi?“ Sie wisperte den Namen. Unruhe erfasste sie. Sie konnte sich denken, was ihm so früh am Morgen schon den Schlaf raubte. Irgendetwas musste endlich passieren. Langsam stand sie auf, dann griff sie nach ihrem Morgenmantel, warf ihn sich über. Sie fand ihn, wo sie ihn vermutet hatte. Er saß in seinem Stuhl im Büro, die Zeitung lag über ihn, den Tisch und den Boden verteilt. Eine Seite hielt er noch in der Hand. Shinichis Augen waren geschlossen, seine Atemzüge waren langsam und gleichmäßig, sein Mund leicht geöffnet. Er war eingeschlafen. Einer der wenigen Zustände, in denen sich nicht dieser Ausdruck von Sorge auf seinem Gesicht abzeichnete. Er sah rundum friedlich aus. Ran schlang ihre Arme um ihren Oberkörper, legte den Kopf schief, seufzte leise. „Wäre das hier nicht so traurig, würde ich es wirklich niedlich finden…“, murmelte sie betrübt, tappte leise näher. Offensichtlich war er vor vier Uhr schon wieder wach gewesen und hatte die Zeitung geholt; sich die Berichterstattung über den Mord angesehen. Oder in seinem Fall: Sich sein Versagen am gestrigen Abend noch einmal vor Augen geführt. Dabei konnte er nichts dafür. Er konnte nichts dafür. Und doch quälte er sich damit. Sie setzte sich auf den Tisch vor ihn, nahm ihm die Zeitung aus der Hand. „Was tust du dir nur an…“, flüsterte sie. Er blinzelte, wurde langsam wach. „Guten Morgen…“, wisperte sie leise, lächelte ihn an, streckte eine Hand vor und strich ihm mit dem Zeigefinger über die Nase. Er schloss kurz die Augen, dann griff er ihre Hand, küsste ihre Fingerspitze. „Guten Morgen…“, entgegnete er sachte. Er schien noch halb zu schlafen. „Wie geht’s dir?“ Sie rückte ein wenig näher, ließ sich vom Tisch gleiten, setzte sich auf seine Knie, merkte erleichtert, wie er seine Arme um sie schlang und an sich drückte. Sie schmiegte sich an ihn, legte einen Arm um seinen Hals. Er spürte ihren Atem, der sanft über sein Gesicht strich. „Frag mich… frag mich was Leichteres Ran... ich kanns nicht sagen. Ich weiß auch nicht, was gestern los war. Ich… ich war völlig neben mir.“ „Du standst unter Schock, Shinichi.“ Sie strich mit ihren Finger über seinen Nacken. „Wohl wahr… aber… ich… Herrgott, so bin ich doch eigentlich gar nicht. Das war doch... war ich das überhaupt noch. Was ist nur los... nur los mit mir...“ Er seufzte. „Weißt du, ich sah sie noch lachen, Minuten vorher… Minuten…“ Dann fiel ihm sein gestriger Verdacht wieder ein. „Ran?“ Sie hörte die Besorgnis in seiner Stimme. „Was ist denn?“ „Ran… ich…“ Dann brach er ab, verwarf den Gedanken, ihr zu erzählen, dass er einen Polizisten verdächtigte, ein Serienmörder zu sein. Dass der Fall sich zu einem Need not to know ausweitete… aber nie eins werden würde, weil Meguré es nicht wusste. Nicht wissen durfte. Sie schaute ihn fragend und abwartend an. Shinichi schüttelte den Kopf. „Nicht so wichtig.“ Sie biss sich auf die Lippen, schaute auf die Zeigungsblätter, die am Boden lagen. „Shinichi… du nimmst selbstzerstörerische Züge an…“ Er wandte den Kopf, blickte sie betrübt an. „Denkst du, das weiß ich nicht?“ Sie erstarrte. „Aber…“ „Du hast schon richtig gehört.“ Er fuhr sich über die Augen. „Ich weiß es. Aber dieses Wissen macht es nicht einfacher. Ich weiß, dass du Recht hast. Ich weiß, das Heiji Recht hat. Aber ich kann nichts dagegen tun. Solange er immer noch mordet, um sich mir zu beweisen… solange werde ich mich fühlen, als hätte ich sie selber umgebracht. Weil ich Schuld bin… an ihrem T…“ Sie hielt ihm den Mund zu. „Nein, das bist du nicht…!“, zischte sie leise. Ihre Augen funkelten. Mit beiden Händen hielt sie sein Gesicht, starrte ihn ohne zu blinzeln an. „Du kannst nichts dafür, dass irgendsoein Psychopath da draußen Menschen umbringt. Das kannst du nicht. Du kannst dir nicht die Schuld an allem geben, verdammt noch mal…!“ Sie schluckte. Er starrte sie an. Selten hatte er sie fluchen gehört. „Reg dich nicht auf, bitte…“ Sanft strich er mit den Fingerkuppen über ihren Rücken. „Bitte…“ Sie nickte widerwillig. Sie konnte… konnte ihm einfach fast nichts abschlagen. Er war die Quelle, aus der sie ihre Kraft zog; und gleichzeitig war er ihre größte Schwäche. Sie seufzte, kuschelte sich an ihn. Vorsichtig strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich war unfair zu Heiji…“ Ran nickte langsam. „Ja… aber er hat es verstanden, denke ich… ruf ihn später mal an…am besten.“ Shinichi nickte müde. „Ran… es war so knapp… ich hätte sie retten müssen… es war so…“ „Shhht.“ Sie legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen. „Was gestern war, kannst du heute nicht mehr ändern. Du musst versuchen, daraus was zu lernen… Schlüsse zu ziehen… damit ihr ihn kriegt, damit sie nicht… umsonst ihr Leben lassen musste.“ Er seufzte betrübt. „Ja, du hast ja Recht…“ Sie streichelte ihm über die Schläfe. Es ist nur so unendlich schwer… Ran genoss es, so an ihn gekuschelt da zu sitzen. Und diese Einträchtigkeit, dieses Wohlgefühl, rief ihr auch wieder etwas anderes in Erinnerung. Sie konnte nicht mehr schweigen. Sie wollte nicht mehr schweigen. Es wurde ihr zuviel. Sie drehte sich wieder auf die Seite, starrte ihn an. „Shinichi, wegen… wegen…“ Er stöhnte leise auf, wandte sich ab. Er wusste, worauf sie hinauswollte. „Ran… meine Meinung hat sich nicht geändert.“ Er schluckte schwer, strich sich über die Augen. Dann wandte er sich ihr wieder zu, gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Bitte sieh doch ein, dass es so einfacher ist… für uns beide…“ „Aber…?“ „Kein Aber…“ Er seufzte, schüttelte den Kopf, dann schob er sie langsam von seinen Beinen, stand auf. Sie sah ihm zu, wie er das Büro verließ, verschlafen, schleppenden Schrittes, sich den Schlummer aus den Augen reibend. Als er draußen war, schluchzte sie leise auf. Nur einmal, nur ganz leise. Dann folgte sie ihm, schloss die Tür des Büros hinter sich, hörte die Badezimmertür zuschlagen. Sie wusste nicht weiter. Sie wollte so gerne, dass er es wusste, aber so abweisend wie er immer reagierte… konnte sie es ihm nicht einfach so sagen. Sie wollte in die Küche gehen, um Kaffee aufzusetzen, als sie es sich anders überlegte. Auf halbem Wege drehte sie um, griff sich das Telefon, verschwand in der Bibliothek. Ran versteckte sich hinter einem der Regale, wählte eine Nummer, wartete. „Mama? Kann ich… kann ich kommen? Ich… ich muss dir und Paps etwas… etwas sagen…“ Beim Frühstück sprachen sie weder über den Fall noch über das Andere; und so kam es, dass er sich recht wortkarg mit einem kurzen Abschiedskuss von ihr verabschiedete und aufs Revier fuhr. Ran sah ihm an, wie sehr ihn der neueste Mord des Serienkillers immer noch belastete, als er ging. Sie selber fuhr in die Wohnung ihres Vaters, wo sie auf ihn und ihre Mutter traf, wie verabredet. Ran konnte weder der einen noch dem anderen in die Augen sehen, als sie eintrat, sich auf einen Stuhl in der Küche setzte. Ihre Eltern setzten sich ihr gegenüber. „Also, Mausebein… was ist los?“ Kogorô beugte sich in väterlicher Fürsorge nach vorn, griff ihre Hand, drückte ihre Finger. Sie schaute kurz auf. Tränen stiegen ihr in die Augen, sie schniefte leise, wischte sich mit der anderen Hand fahrig eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihre Unterlippe zitterte, als sie ansetzte; aber sie kam nicht weit. Eri unterbrach sie leise. „Du bist schwanger.“ Kogorô fuhr hoch. Ran brach in Tränen aus. „Was?“ Er sah von seiner Tochter zu seiner Frau. „Du bist was???“ Ihr Vater schaute sie einigermaßen fassungslos an. „Mausebein…?“ Ran nickte langsam. Eri seufzte leise. „Seit wann?“ „Seit… seit drei Wochen…“ „Weiß Shinichi es schon?“ Ihre Mutter begann ihr über ihren Unterarm zu streicheln, während Kogorô immer noch ihre Finger drückte. Ihm war die Spucke weggeblieben. Ran schüttelte betrübt den Kopf. „Wann willst du es ihm denn sagen, Ran? Auch wenn er die Geburt wahrscheinlich…“ Die Rechtsanwältin brach ab. „Ran?“, murmelte sie stattdessen fragend. Ran entzog ihren Eltern ihre Hand, zog ein Taschentuch aus ihrer Westentasche, blies sich die Nase. „Ich… ich hab… hab ihn mal gefragt. Was… was er davon hält, wenn wir… ein Kind kriegen würden. Ich wollt’s ihm nicht gleich an den Kopf knallen, dass alles längst zu spät ist, versteht ihr? Ich dachte… dachte, dass er so reagieren würde und… deswegen hab ich… ziemlich bald als er mir gesagt hat, dass er… nun ich hab…“ „Schon gut, Kleines…“ Eri griff mit ihrer Hand wieder nach den Fingern ihrer Tochter, schaute ihre Tochter mitfühlend an. Sie konnte verstehen, warum Ran das gemacht hatte… angesichts ihres traurigen Schicksals… konnte sie es nur zu gut verstehen. Ran schluckte, riss sich zusammen. „Ich wollte es so… aussehen lassen, als hätten wir diese Entscheidung zusammen getroffen. Nur… nur…“ Kogorô lehnte sich zurück. „Er will keine Kinder?“ Ran nickte. „Genau. Er… er will keins. Nicht prinzipiell, das ist ja das Schlimme. Er würde schon gern eine Familie mit mir gründen nur… nur… wissen wir beide ja… dass er… dass er… und da will er…“ „Dich nicht als allein erziehende Mutter mit seinem Sohn oder seiner Tochter zurücklassen.“, vollendete Eri ihren Satz, seufzte schwer. „Was ja auch verständlich ist… gerade für jemanden wie ihn.“ Kogorô stand auf, begann hin - und herzugehen. Er konnte sich wohl nur ansatzweise vorstellen, was dieser junge Mann im Moment mitmachte. „Er will nicht, dass du ewig an ihn gebunden bleibst.“, murmelte er leise. Ran nickte unglücklich. „Ja… da kann ich ihm sagen, was ich will. Er wills nicht verstehen, nicht hören, nicht wissen. Er hätte sogar die Hochzeit abgesagt. Ich kann ihm noch so oft versichern, dass es für mich nie jemand anderen geben wird…“ „Bist du dir da so sicher…?“, wisperte Eri fragend. Ran fuhr auf, warf ihrer Mutter einen zornigen Blick aus ihren geröteten Augen zu. „Ja! Ich liebe… liebe nur ihn… werde nur immer ihn lieben… das war schon immer so, ich kann es mir nicht anders vorstellen. Ich kenne ihn nun schon so lange, und er… er vermittelt mir jeden Tag aufs Neue ein Gefühl, das nur er mir geben kann… er macht mich besser. Er… er ist meine andere Hälfte. Sowas kann man nicht ersetzen… das geht nicht… und ich weiß immer noch nicht, was ich tun soll, wenn er weg ist und deswegen hab ich beschlossen, ich will ein Baby… ich will sie haben. Die Familie, die wir gegründet hätten, ich will sie haben…!“ Sie fing wieder an zu schluchzen. „Aber er war so ablehnend! Er war richtig entsetzt… er hat ja zugegeben, dass er gern… mit mir ein Kind gehabt hätte, aber… aber… nicht so, hat er gemeint. Er will mich mit der Verantwortung nicht zurücklassen, dabei ist es nicht allein seine Entscheidung…!“ „Nun, die hast du ihm ja abgenommen.“, bemerkte Kogorô trocken. Ran schluckte. „Ja.“ „Die feine Englische Art war das nicht.“ „Mir egal.“ Ihre Stimme klang fast trotzig. „Ran.“ Kogorô blieb stehen, schaute seine Tochter an. „Denk mal bitte daran… denk mal nur einen Moment daran… dass nicht nur du bei diesem Spiel verlierst. Denk mal dran, was er verliert. Er verliert nicht nur sein Leben. Nein. Er verliert dich. Er verliert seine Eltern. Er verliert einfach alles. Und das in absehbarer Zeit und für immer. Wenn er nun ein Kind auch noch verlieren muss… versuch’s doch einmal so zu sehen!…“ Er seufzte, trat näher, strich seiner Tochter über die Wange, setzte sich wieder neben seine Frau. Eri schaute Ran mitleidig an. „Ich weiß nicht, ob das was du getan hast, eine gute Idee war, Ran.“ Ran schaute überrascht auf. „Aber ich dachte…?“ „Dass ich dich verstehe? Ja, das tue ich. Aber Ran… du hättest mit ihm reden müssen. Lange und immer wieder. Irgendwann hätte er wohl noch eingelenkt… aber so… hast du dein Versprechen gebrochen. Du hast versprochen, als du ihn geheiratet hast, ihn als deinen Mann zu nehmen. Deinen gleichberechtigten Partner. Das was du getan hast, so verständlich deine Gründe auch immer gewesen sein können… war Betrug an ihm. Du hast sein Vertrauen missbraucht, ich hoffe, das ist dir klar. Und ich hoffe für dich, er kann dir das verzeihen.“ Ran war blass geworden. Selten hatte sie ihre Eltern so reden gehört; und jetzt hatte sie Angst. „Ich weiß. Glaubt mir, ich hab mich mies gefühlt… ich fühl mich mies… aber ich will nicht auf alles verzichten… was das Leben mir nimmt, ist doch schon genug… ich will etwas behalten…“ Eine Träne rollte ihr aus dem Augenwinkel. „Ich will etwas von ihm behalten…“ Ran schluckte schwer, wischte sie sich unwillig weg, stand auf. „Ich denke, ich geh jetzt besser...“ Eri erhob sich ebenfalls, hielt sie am Arm fest. „Halt, Ran…“ Sie zog sie an sich. „Ran… du weißt, dein Vater und ich werden immer für dich und dein Baby da sein…“ Sie ließ ihre Tochter los, warf ihrem Mann einen fragenden Blick zu. Kogorô stellte sich neben seine Frau, nickte fest. „Wir werden dich nicht im Stich lassen, Ran. Dich nicht, und unser Enkelchen erst Recht nicht…“ Er schaute sie leicht bedröppelt an. „Ich fass es nicht… mein Mausebein bekommt ein Mausebeinchen…“ Der Mann lächelte zaghaft, strich sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Rührung hatte ihn ergriffen. „Meine Güte, ich werde Opa… Eri, wir werden alt.“ Kogorô strich seiner Tochter über den Kopf, seufzte. „Aber Ran… Ran, du musst es ihm sagen. Er hat ein Recht darauf, es zu erfahren. Und… es wäre doch schade, wenn er nicht wenigstens miterleben darf, wie sein Kind in dir wächst… du willst ihm und dir doch nicht antun, die ganze Schwangerschaft geheim zu halten, nur weil er keine Luftsprünge ob deiner Idee macht…?“ Ran schüttelte den Kopf. „Nein, will ich nicht. Aber ich… ich weiß nicht, wie ich es ihm sagen soll… wie ihr schon sagt… ich hab sein Vertrauen missbraucht… leicht wird das nicht werden…ich hab ein wenig Angst.“ „Vor ihm?“ Ran starrte sie erschrocken an. „Vor ihm?! Nein, nein, um Himmels Willen. Shinichi… er würde nicht ausrasten und mich anbrüllen oder so… nein. Naja, vielleicht ein wenig schreien… schließlich hab ich ihn angelogen… damit wären wir aber jetzt quitt, und das weiß er auch, auch wenn ich an sein schlechtes Gewissen appellieren muss und mir das eigentlich zuwider ist. Ich hab Angst davor, was ich ihm antue damit. Der Fall ist momentan eigentlich schon genug für ihn.“ Sie wandte sich ihrem Vater zu. „Paps... könntest du ein wenig ein Auge auf ihn haben, ja? Damit er sich nicht übernimmt... Der gestrige Vorfall hat ihn ziemlich aus der Bahn geworfen… aber ich bitte euch… sagt ihm nichts. Bitte.“ Damit wollte sie sich umdrehen. „Ach ja… vielen… vielen Dank fürs Zuhören, und für eure Unterstützung…“ Sie lächelte sie zaghaft an, dann verließ sie die Wohnung. Eri und Kogorô schauten sich lange an. „Warum ist das Leben so grausam…?“, murmelte Eri. Sie seufzte leise. „Ich denke, er hätte seine Sache als Papa nicht schlecht gemacht… wenn man ihn nur ließe…“ Sie wischte sich über die Augen, gab ihrem Mann einen Kuss auf die Wange und ging. Er stand da, fasste sich unwillkürlich an die Stelle, die ihre Lippen berührt hatten. Dann verließ auch er die Wohnung. Als er auf dem Revier eintraf, war er schon da. Musternd betrachtete er den Mann, der der Vater seines Enkelkindes war; bis dieser es zu merken schien, dass er beobachtet wurde, von den Fotos aufsah, die vor ihm auf einem Tisch ausgebreitet lagen. „Hallo Kogorô… ist was?“ Der Angesprochene blinzelte. „Ich hab gehört, der Mord gestern war bei euch im Lokal…“, begann er dann. … und dass du Vater wirst. Shinichis Blick umwölkte sich. „Ja, war er.“ Er senkte den Blick wieder auf die Fotos, nahm eins heraus. Kogorô kam näher. Er wusste nicht, wie er mit seinem Wissen umgehen sollte, und mit seinem Schwiegersohn vor ihm, den dieses Wissen doch so eklatant betraf. Als er die Hände auf dem Schreibtisch aufstützte, sah Shinichi wieder auf. „Kogorô?“ „Du siehst schlecht aus.“ Shinichi zog die Augenbrauen zusammen. „Oh, Danke… das ist echt nett von dir.“ Er schaute ihn mit Halbmondaugen an. Man sah seinem Schwiegervater einfach immer an, wenn etwas im Busch war. „Kogorô, was hat Ran dir erzählt?“, fragte er also geradeheraus. „Ran?!“ Kogorô schaute ihn ertappt an. „Gar- gar nichts. Wie kommst du darauf. Ich hab nur gehört… dass es… nun… Es muss wohl wirklich schlimm gewesen sein…“, murmelte Kogorô unbeholfen. Er wusste nicht, was er sagen sollte, aber gehen konnte er auch nicht. Shinichi musterte ihn eindringlich. „Kogorô - was ist los?“ „Gar nichts.“ Shinichi schaute ihn skeptisch an. „Na, wenn du meinst. Falls es wirklich der der Fall gestern ist, der dich interessiert, da ist der Bericht.“ Er zog ein Blatt hervor, reichte es ihm. „Viel Spaß damit. Und wenn du jetzt nichts dagegen hättest…“ Er seufzte, schaute leicht genervt auf. „Ich kann mich irgendwie nicht konzentrieren, wenn du so unschlüssig vor mir stehst, und da du offensichtlich nicht sagen willst, warum du mich so anstierst, könntest du dann bitte…-?“ Kogorô blinzelte ihn an. „Klar.“ Damit drehte er sich um und ging zu seinem Arbeitsplatz. Shinichi schaute ihm hinterher. „Ran hat mit euch geredet… da trau ich mich wetten…“, murmelte er leise, und Bedauern schwang in seiner Stimme. Er griff nach seiner Kaffeetasse, trank einen Schluck. Dann begann er die Kopien der Zettel und die Photos der Opfer und der Perlen weiter zu studieren. Er hatte den starken Verdacht, dass einer der drei Polizisten der Mörder war. Einer der drei Beamten, die gestern mit ihm das Lokal überwacht hatten. Aber er konnte es ihnen nicht beweisen. Er konnte keinem von ihm bis jetzt ein Motiv unterstellen, oder etwas anderes an ihnen hervorheben, dass ihn als Täter anbieten würde. Noch dazu wäre es ein wahnsinniger Zufall, dass er ausgerechnet bei ihm im Lokal gewesen war. Oder aber geplant, aber auch das konnte er noch nicht beweisen. Von Heiji hatte er am Telefon vor einer Stunde erfahren, dass die Überprüfung der Polizisten ergeben hatte, dass sie sich laut eigener Aussage auf den besprochenen Posten befunden hatten; bis kurz vor zwölf. Um Mitternacht herum hatten sie nacheinander die Toilette besucht, damit die Bar nicht fast unbeaufsichtigt blieb. Also konnten sie einander keine Alibis geben; jeder war für ein paar Minuten unbeaufsichtigt fern gewesen. Er wusste, die Herrentoilette hatte ein Fenster gehabt. Jeder hätte raus steigen können. Das hatte auch Hattori erkannt und war heute Morgen hingefahren, um nach Abdrücken und Fasern zu fahnden, erfolglos. Was sie beide noch stutzig werden ließ, war die Sache mit der Tatwaffe. So ein großes Messer, wie es laut Pathologen verwendet worden war, konnte man vielleicht vor der Tat gerade noch im Ärmel oder Hosenbein verstecken – aber nicht danach, wenn es voller Blut war... und es auf die Schnelle noch so saubermachen, dass sich in keinem Waschbecken des ganzen Lokals mit Luminol Blutspuren nachweisen ließen, war eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Also war wohl das Messer mit dem Täter zwar angekommen, aber nicht mit ihm gegangen. Nur wo war es dann...? Heiji hatte gestern vom Telefon aus noch ganze Arbeit geleistet, was das Beschäftigen der Spurensicherung betraf. Und er hatte sich Shinichis Entschuldigung angehört und angenommen. Shinichi war wirklich erleichtert gewesen; trotzdem hatte er den resignierten Ton in der Stimme seines Freundes nicht überhören können… Er und Ran hatten ja Recht… sie hatten ja Recht… Aber er brauchte etwas, worauf er sich konzentrieren konnte. Und momentan gab es sonst nichts… was ihn so in Anspruch nahm wie dieser Fall. Noch dazu hatte er mit dem Täter einen persönlichen Krieg. Allerdings sollte er sich wohl wirklich etwas zusammenreißen und auch das tun, was er tun sollte; den Fall lösen und seine Privatangelegenheiten dabei mal zuhause lassen. Er massierte sich die Schläfen, seufzte leise. Sein Blick fiel auf die Akten vor ihm. Shinichi hatte sich nach dem Telefonat die Personalakten der drei ‚ausgeliehen’, um in ihrer Vergangenheit zu buddeln und gegebenenfalls ein Motiv auszugraben; und genau dem würde er sich jetzt auch wieder widmen. Stunden später schienen sie immer noch nicht weiter zu sein als am Morgen. Mittlerweile war es halb sieben Uhr abends, und sie hatten den ganzen Tag Fotos gewälzt, Bilder verglichen, Täterprofile entworfen… aber etwas fehlte noch… etwas übersahen sie. Und so ging er, als sie den Punkt erreicht hatten, nichts mehr tun zu können, zum Auto, einigermaßen frustriert – neben ihm lief Kogorô und redete auf ihn ein. Er hatte jetzt doch noch den Mut gefunden, etwas zu sagen. Shinichi schien es fast so, als habe er den ganzen Tag seine Courage zusammengekratzt, und jetzt ließ er sich fast nicht mehr aufhalten. Er verdrehte die Augen. Reichte es nicht, wenn er deswegen mit Ran debattierte? Mussten sich immer alle anderen in sein Leben einmischen? „...sie wünscht sich ein Kind… warum bist du so dagegen? Sie wird nicht allein sein, sie hat mich, Eri – und mit Sicherheit werden auch deine Eltern…“ „Nein, Kogorô.“ Shinichi stöhnte leise frustriert auf. „Ich hab’s Ran an die hundert Mal erklärt. Was sie da vorhat… ist doch nichts weiter als eine Verzweiflungstat. Eine Kurzschlussreaktion. Sie… sie ist doch nicht zurechnungsfähig was das betrifft….“ „Aber…“ „Nein. Ich will kein Kind. Ich will… ich werde mich nie drum kümmern können. Ich will sie nicht mit etwas zurücklassen, das ihr die Zukunft schwer macht…“ „Aber wenn ein Kind ihre Zukunft für sie leichter machen könnte?“ „Wird es nicht.“ „Woher willst du das wissen…?“ „Ich weiß es einfach. Das weiß ich. Und ich sage nein. Das ist mein letztes Wort. Ich hab mit Ran darüber geredet und im Übrigen ist das auch allein unsere Sache, also bitte…“ „Einen Grund, Shinichi!“ Kogorô blieb stehen, packte ihn am Ärmel. Shinichi schüttelte seine Hand ab, schaute ihn finster an, kniff die Lippen zusammen. „Das Kind wird sie ein Leben lang an mich erinnern. Wie soll der Schmerz, den sie fühlen wird, jemals weichen, wenn jeden Tag die Erinnerung an mich vor ihrer Nase herumtanzt? Sie soll neu anfangen können, verdammt! Ich will, dass sie glücklich ist!“ „Und das ist sie mit dir!“ Kogorô packte ihn am Kragen. „Das ist sie mit dir.“ Seine Stimme wurde leise, er ließ ihn wieder los. „Du weißt, ich war dir gegenüber nicht immer wohl gesonnen. Aber Ran… meine Ran… sie liebt dich. Und ich weiß - ich weiß… wenn ich dich ansehe, beobachte, wie du mit ihr umgehst… ich hab euch bei der Hochzeit gesehen… dann weiß ich… du liebst sie auch. Und sie ist… sie ist sich sicher, dass sie… ein Kind von dir glücklich machen würde. Bitte… überleg dir deine Meinung noch mal. Ich kann deine Vorbehalte verstehen - aber versuch doch auch du über deinen Schatten zu springen, so wie ich über meinen sprang, als ich dich als Schwiegersohn akzeptierte.“ Seine Stimme brach. „Tu’s für Ran.“ Shinichi schluckte, war zu keiner Reaktion mehr fähig. Kogorô wandte den Blick ab, schaute auf den Boden neben sich, betrachtete einen Riss im Asphalt, eher noch einmal sprach. „Ich gehe jetzt. Bitte… bitte denk drüber nach.“ „Also gut, Kogorô.“ Shinichi seufzte geschlagen. Er öffnete die Wagentür. „Aber versprechen kann ich nichts.“ Als Kogorô zu seinem Auto ging, holten ihn seine Gedanken ein. Nach dem Gespräch heute Morgen hatte er eigentlich vorgehabt, sich als Kanonenfutter für Shinichi herzugeben. Ihm zu stecken, was er wusste, was Fakt war… aber er schaffte es nicht, als er in die schmerzerfüllten Augen seines Gegenübers sah. Schmerz. Wut. Verzweiflung. Hass… Hass auf sein Schicksal. Er schluckte, bereute es fast, ihn zu einer Antwort gezwungen zu haben. Er konnte ihn ja verstehen. Aber er wollte, dass auch er verstand. Fünf Minuten nach ihm kam Ran nach Hause. Sie fand ihn ihm Wohnzimmer, in Gedanken versunken. Als sie reinkam, sah er auf. „Dass du dir Unterstützung holst ist unfair. Ich hab keinen, der meine Seite vertritt.“ Ran schluckte. „Paps hat… Paps hat mit dir…? „Wer sonst.“ Seine Stimme klang düster. „Was hat er… was hat er denn gesagt?“ In ihr machte sich ein flaues Gefühl breit. Paps, bitte… du hast es ihm doch nicht gesagt? „Er hat mich gebeten, deinen Wunsch noch einmal zu prüfen. Darüber nachzudenken…“ Ran schluckte. „Und… zu welchem Schluss bist du gekommen… Shinichi…?“ Er schüttelte den Kopf. „Ich will kein Kind…“ Mehr sagte er nicht, dann stand er auf, vergrub er seine Hände in seinen Hosentaschen und wanderte in die Küche. Ran folgte ihm, schaute ihn starr an. Etwas Verzweifeltes lag in ihrem Blick. Er wandte sich noch mal um, schaute sie an. Die Qual in seinen Augen war offensichtlich. Sie sah ihm an, wie sehr er es sich eigentlich wünschte - eine Familie, ein schönes Leben. Aber er stand hier, und all seine Wünsche zerrannen vor seinen Augen, genauso wie die Zeit, die ihm wie Wasser durch die Finger tropfte - unwiederbringlich vergangen. Und deshalb weigerte sich sein Verstand, wehrte sich gegen sein Gefühl. Unterdrückte die Stimme seines Herzens, machten ihn taub für dessen Worte. „Fang bitte nicht schon wieder an. Ich hab’s dir gesagt, und deinen Eltern - nein. Das ist und bleibt meine Meinung zu dem Thema.“ Sie starrte ihn an, mit Tränen in den Augen. „Aber…!“ „Nein.“ Er wandte sich ab. Seine Stimme klang ungewohnt kalt. Sie schluckte. Eine Träne rollte ihr über die Wange. „Warum verstehst du mich nicht…?“ Sie wisperte es nur, aber er verstand jedes Wort. Langsam drehte er sie um. „Glaub mir, ich versteh dich. Wirklich…“ Er schloss kurz die Augen, dann schaute er sie wieder an. Sein Blick war voller Trauer. Er presste die Lippen aufeinander. „Aber du musst mich auch verstehen…“ Er drehte sich um und ging. Langsam wanderte ihre Hand über ihren Bauch, blieb dort liegen. „Es tut mir Leid… aber alles was du sagst und tust ist längst zu spät…“ Ihre Worte verhallten ungehört, ein beklemmendes Gefühl machte sich in ihrer Magengegend breit. Jeder Tag, jede Stunde, jede Sekunde, die sie dieses Wissen nicht teilen konnte… schmerzte sie. Seine Ablehnung, so sehr sie sie auch nachvollziehen konnte… traf sie hart. Und in ihr wuchs die Angst vor seiner Reaktion, sollte er es erfahren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)