Tagebücher von Leira ================================================================================ Nachforschungen --------------- Hallo, liebe Leserinnen und Leser! Da die Frage letztes Mal aufgetaucht ist; Sonoko ist Patentante, ja. Ihr dürft sie da auch mal live erleben, als solche ^^; Ich denke, auch sie wird mal erwachsen, oder zumindest erwachsener *g* Und wird ihrer Aufgabe da auch gerecht. Und warum nicht Heiji als Patenonkel für ein Mädchen? Ich dachte, ich mach einfach gleiches Recht für alle. Ran darf sich jemanden aussuchen, und Shinichi auch; und wer es wird, entscheidet das Schicksal. Heiji wird auch ohne eine Rolle als Patenonkel präsent genug in Sayuris Leben sein, denke ich. Nun denn; ich wünsche gute Unterhaltung und bedanke mich an dieser Stelle sehr für eure Kommentare zum letzten Kapitel! Das nächste Mal wird es dann langsam auch im Fall wieder weitergehen... Viele Grüße, eure Leira ___________________________________________________________ Kapitel 3: Nachforschungen Gegenwart Guten Tag, guten Tag! Ich dachte mir, weil’s gerade halb drei Uhr morgens ist und ich ohnehin nichts zu tun hab und nicht schlafen kann… und wahrscheinlich auch nie wegen dir so früh aufstehen muss - widme ich dir diese frühen Morgenstunden, und schreib hier mal ein wenig weiter. Wo war ich stehen geblieben? Bei Conan Edogawa, nicht wahr? Nun… nehmen wir mal an, aus irgendeinem Grund glaubst du mir. (Ich hoffe inständig, dass Shiho, falls du bei ihr warst, dich mit den Mäusen verschont hat…) „Zu spät.“, murmelte Sayuri leise. Ein Hauch von Sarkasmus schwang in ihrer Stimme mit. Also. Ich gehe davon aus, du nimmst, was ich dir bis hierher erzählt habe, als bare Münze, was wichtig wäre, denn sonst ist das, was noch kommt, was ich noch schreibe, irgendwie witzlos... da ich dir ja diese Bücher ja nur deswegen verfasse, weil ich wahrscheinlich nicht einmal mehr miterlebe, wie du auf die Welt kommst, geschweige denn, mich mal vernünftig mit dir unterhalten kann… und das eben wegen diesem Gift. Hier geht es also darum, mich vorzustellen und dir zu sagen, was ich mit dir alles unternommen hätte, dir gesagt, beigebracht, dich gelehrt hätte, wäre ich noch bei dir. Wenn du ein Mädchen bist, wäre die Sache wohl ein wenig schwer geworden, ab und an, fürchte ich, weil ich gern blind bin, manchmal, was die Belange und Gefühle von Frauen angeht. Frag deine Mutter. Frag Shiho. Oder Sonoko. Frag meine Mutter. Sie werden es dir alle bestätigen können. :) Nun. Falls du ein Junge bist, könnte es sein, dass wir uns mal ziemlich in die Haare kriegen würden. Ich weiß nicht, wie autoritär ich als Vater wäre, aber glaub mir… antiautoritär wäre ich nicht, soviel wage ich mal zu behaupten. Ich erzähl dir vielleicht am besten, was ich von meinen Eltern, also deinen Großeltern, alles gelernt hab; vielleicht kannst du dir dann vorstellen was wir gemacht hätten? Es ist ein wenig schwer, das geb ich zu... sich das alles vorzustellen. Nun... von meinem Vater... er hat mir wohl seine Leidenschaft für Bücher nahe gebracht; ich lese und las schon immer viel, und ich löste gern Rätsel. Er hat mir auch immer mal wieder welche gestellt, als ich noch klein war. Später dann nicht mehr, aus Gründen, die ich nie erfahren habe. Irgendwann waren sie ja dann auch im Ausland, und ich ging Rätseln anderer Größenordnung nach, aber dazu dann später. Bei einem Urlaub auf Hawaii hat er mir dann allerhand irrsinniger Sachen beigebracht; ich kam mir manchmal vor wie im Trainingscamp für angehende James Bonds. -.- Allerdings war es lustig; und erwies sich später als durchaus nützlich. Darunter waren jedoch auch einige Dinge, von denen ich nicht will, dass du sie lernst, weder Junge noch Mädchen; ich denke nicht, dass du wissen musst, wie man einen Hubschrauber fliegt, du kommst da nur auf dumme Gedanken; und wenn er dir beibringt, wie man mit einer Waffe umgeht, dann such ich meinen geschätzten Erzeuger heim, richte ihm das aus, bitte. Aber Speedboatfahren ist eine witzige Sache :) Das könnte er dir auch zeigen. Wo ich gerade darüber nachdenke... Ich hätte gerne einen Hund gehabt, aber den haben sie mir nie erlaubt; stattdessen durfte ich all den anderen Kram machen, der viel gefährlicher ist als so ein Hund. Solltest du also einen haben wollen, hast du hiermit meine schriftliche Erlaubnis. Erinnere deine Mutter dran, wir haben darüber geredet. Zelten ist auch eine schöne Sache. Da ich selber mehrer Survivaltrainings machen durfte, wäre das sicher lustig geworden… wenn der Professor noch fit ist, oder mein Dad, kannst du die beiden ja fragen, ob sie das mal mit dir machen. Die kennen sich da gut aus. Tja... es tut mir Leid, dass ich so stockend schreibe, aber irgendwie hab ich mir das einfacher vorgestellt... Was könnte ich dir noch erzählen? Wie ich meinen Beruf gefunden habe? Das ist ja auch immer so eine Sache, an der junge Menschen oft lange arbeiten... ihr Ziel zu finden, in beruflicher Hinsicht. Hm… nun, wie du weißt bin ich Detektiv. Da ich nicht weiß, wie alt du bist, ist diese Frage vielleicht etwas sinnlos, aber weißt du schon, was du mal werden wirst? Welche Interessen hast du? Ich weiß, diese Unterhaltung hier ist ziemlich einseitig; zuerst unterhalte ich mich mit mir, dann du dich mit dir *g* Aber… ich will, dass du weißt, egal was du werden willst (außer Bankräuber, Mörder oder ähnliches, da wär ich dagegen, aber wer wäre das nicht?) würde ich alles unterstützen, was immer dich interessiert und dich glücklich macht. Ich denke einfach… du musst diesen Beruf für den Rest deines Lebens ausüben, und es… es sollte eine Tätigkeit sein, die du gerne machst. Denn nur das, was man gerne macht, macht man auch wirklich gut. Es ist mir also egal, ob du Rechtsanwältin wirst, wie Oma Eri und deine Mum, oder Schriftsteller wie mein Vater, Schauspielerin wie meine Mutter, oder Musiker, Arzt, Tierpfleger. Ich würde dich nur bitten… ich weiß, eigentlich hab ich dazu kein Recht, und ich wiederhole mich, aber… versuch, nicht Detektiv oder Polizist zu werden. Halte dich bitte fern vom organisierten Verbrechen… ich weiß, ich bin der Letzte, der das sagen darf, aber ich weiß, wovon ich spreche. Ich habe mich mit vielen angelegt, meistens gewonnen, aber einmal verloren… und ich würde gerne haben… dass du nicht mein Schicksal teilst. Ich will, dass du ein glückliches, sicheres Leben führst. Nicht langweilig, nein, das nicht. Nicht spießig, bieder, oder so… aber glaub mir, man muss sich nicht jeden Tag zwei Bankräubern und einem Serienmörder in den Weg stellen, um glücklich zu werden oder ein interessantes Leben zu führen. Ich hab das selber eigentlich viel zu spät erkannt. Wie du weißt, hab ich früh angefangen damit… und es hat sich bei mir entwickelt wie eine Sucht. Schleichend, aber toxisch. Irgendwann war ich soweit, dass ich nicht mehr davon loskam. Zuerst schob ich es auf meine Gerechtigkeitsliebe, aber für Gerechtigkeit kann man auch anders sorgen. Ich weiß nicht, warum ich es getan habe. Warum ich Detektiv geworden bin. Natürlich wollte ich Gerechtigkeit, ja auch, das schon. Aber ich würde lügen, würde ich behaupten, die Anerkennung wäre mir egal gewesen. Man hat meinen Namen gekannt. Man hat mich gekannt. Die Kriminellen wussten, wer ich war… ich war gut in dem was ich tat, ohne arrogant klingen zu wollen. Ich liebte meinen Beruf… zu sehr. Das Gefühl, einen Serienmörder hinter Gitter gebracht zu haben, ist gigantisch. Man denkt, man konnte wirklich helfen, die Welt ein wenig besser machen. Ein irres Gefühl, das einen erfüllt vom Scheitel bis zur Sohle. Und wenn man lange genug in diesem Beruf tätig ist, dann fühlt man sich wohl auch verpflichtet, etwas zu tun, wenn man weiß, dass man dazu in der Lage ist. Und deswegen… sitz ich wohl auch immer noch an diesem, meinem letzten Fall. Nach diesem Fall werde ich mich aus dem aktiven Leben zurückziehen. Aber davon erzähl ich dir ein anderes Mal. Wenn überhaupt… ich weiß ja auch gar nicht, wie alt du bist. Ob das für deine Ohren nicht zuviel ist. Nun, mal weiter im Text. Wäre ich zu deiner Zeit noch am Leben… was würde ich dir sagen wollen...? Dir beibringen...? Dich erziehen? Oh Mann... wäre ich der Aufgabe eigentlich je gerecht geworden? Ein Kind zu erziehen ist eine große Sache... Entschuldige, ich schweif wohl gerade wieder mal etwas ab. Hm. Also... was würd ich dir beibringen wollen...? Mir wäre wohl wichtig, dass du Sinn für Recht und Unrecht entwickelst. Ich denke, ich würde dir sagen, dass Gerechtigkeit eine Sache ist, für die man einstehen sollte. Für die man kämpfen sollte. Etwas, wofür das Kämpfen noch lohnt. Wohin käme die Welt, wenn nicht wenigstens ein paar Menschen gerecht wären. Versteh mich bitte nicht falsch, ich weiß sehr wohl, wie ungerecht die Welt sein kann. Keiner weiß das besser als ich. Aber dennoch habe ich die Hoffnung, dass Gerechtigkeit noch existiert, irgendwo. Wenn auch vielleicht… nicht für mich. Aber ich hoffe doch, dass dir mehr Gerechtigkeit beschieden sein wird. Allerdings fürchte ich fast, du wirst wohl auch gewisse Dinge so ungerecht empfinden, dass du an Gerechtigkeit nicht mehr glaubst. Tu das nicht. Dann möchte ich, dass du weißt, dass ich Lügen verabscheue. So schwer es manchmal ist, aber was wichtig ist, ist, immer die Wahrheit zu sagen. Sie kann manchmal sehr wehtun, glaub mir, das weiß ich… aber Lügen… Lügen schmerzt viel mehr. Vielleicht nicht gleich… vielleicht auch nie. Aber wenn es passiert… wenn eine Lüge auffliegt, oder du gestehen musst, gelogen zu haben… wirst du dir immer wünschen, du hättest von Anfang an die Wahrheit gesagt. Lügen ist nie eine Option. Außer vielleicht… dein oder das Leben eines anderen hängt davon ab. Ich will hier nicht zu verallgemeinern beginnen, ich bin der Letzte, dem das zusteht. Ich hab auch gelogen. Ziemlich dreist; aber ich log, um deine Mutter zu schützen. Das soll keine Rechtfertigung sein; nun, doch, eigentlich schon. Was ich eigentlich sagen wollte ist, ich sah einfach keine andere Wahl. Und wo wir gerade bei deiner Mutter sind... Was ich wirklich hoffe… ist, dass du weißt, was Liebe heißt. Ich weiß nicht, wie alt du bist, und verdammt, je öfter ich diesen Satz noch wiederhole, ich werd’s dadurch auch nicht rausfinden... ;) Fangen wir anders an. Also... Ich weiß nicht, ob es in deinem Leben bereits jemanden gibt… nicht deine Mutter oder deine Großeltern, sondern einen Jungen oder ein Mädchen, du weißt, was ich meine… den oder das du liebst. Wirklich liebst. Ich… liebe deine Mutter. Ran. Sie ist die Liebe meines Lebens… und ich bin unendlich froh, sie zu haben. Ohne sie wäre mein Leben nicht vollständig. Ich würde alles für sie tun, und das meine ich wörtlich. Sie macht mein Leben erst wirklich lebenswert. Wenn sie lächelt, ist meine Welt in Ordnung. Und jetzt… jetzt muss ich ihr so wehtun… Wir haben uns gefunden… wir verstehen uns ohne Worte, klar streiten wir manchmal, aber wir wissen, dass wir einander nicht… freiwillig… im Stich lassen würden. Sie gibt mir Halt, sie stützt mich… ich hätte mir keine bessere Mutter für dich wünschen können. Sie sich wohl aber einen besseren Vater… ;) Ich glaube nicht, ich bin ein guter Ratgeber, was das betrifft, also Gefühlsdinge… da gehst du wohl am besten zu deiner Mum; aber ich kann als jemand sprechen, der lange, lange blind war, und sich nicht traute, den Mund aufzumachen… und ich habe fast sehr bitter für meine Feigheit bezahlen müssen. Ich hätte sie fast für immer verloren. Und so knapp unsere Zeit bemessen ist, so schmerzvoll das Ende sein wird… würde ich die Zeit mit ihr nicht missen wollen. Nicht eine Sekunde. Sie macht aus mir einen besseren Menschen. Sie macht mein Leben schön. Ich weiß nicht, was ich dir raten soll. Hör auf dein Gefühl… wenn es soweit ist. Tu, was du für richtig hältst… aber versuch nie, etwas zu erzwingen. Denn lieben heißt nicht nur, jemanden festzuhalten… nein. Es heißt auch, loslassen zu können. Sayuri schaute auf. Genau das hatte ihr doch der Professor auch erzählt… über Shiho. Über Tante Shiho, der ihr Vater so viel bedeutet hatte, dass sie nie versucht hatte, ihn für sich zu gewinnen und sein Glück damit zu gefährden. Lieben heißt, verzeihen zu können. Lieben heißt, das Glück eines anderen höher zu schätzen als sein eigenes… es wäre sehr schade, und nicht in meinem Sinne, wenn du nicht wüsstest, wie tief dieses Gefühl gehen kann. Es kann einen traurig machen und glücklich; es kann einen in Tiefen reißen, von denen man nicht glaubt, je wieder hochzukommen und das Tageslicht zu sehen; es kann einen zerschmettern, weil einen ihr Verlust mehr wehtun kann als jeglicher körperlicher Schmerz. Aber Liebe… sie kann einen zu Höchstleistungen beflügeln, höher tragen als jedes andere Gefühl, kann einen glücklich machen, glücklicher als du je geahnt hast… Es ist wie ein zweischneidiges Schwert. Die eine Seite richtet sich gegen deine Feinde, die andere gegen dich selbst. Aber ohne kannst du nicht kämpfen. Wer weiß, ob es ohne etwas gibt, wofür zu kämpfen es sich überhaupt lohnt. Merk dir das. Das ist alles, was ich dir sagen kann… und ich weiß nicht, wie viel Bedeutung du dem beimessen wirst, denn du wirst wohl hauptsächlich das Kind deiner Mutter sein, dann das deiner Großeltern… eher weniger meins. Aber ich denke, mit Eri, Kogorô und meinen Eltern hast du’s nicht so schlecht getroffen. Und erst Recht nicht mit deiner Mutter. Das sage ich als jemand, der sie wohl, wie ich behaupten kann, besser kennt als die meisten anderen. Mach ihr das Leben nicht zu schwer, sie hatte mit mir schon genug zu tun. Hat… mit mir momentan genug zu tun… Nun. Ich denke, ich sollt vielleicht doch noch ein bisschen schlafen. Deine Mum wird sonst sonst wütend, wenn ich nicht auf mich aufpasse *g* Gute Nacht… Sayuri klappte sachte das Buch zu. Wahrheit. Gerechtigkeit. Liebe… Es war offensichtlich, dass er geliebt hatte. Ihre Mutter. Sie selbst, seine Eltern, seinen Beruf. Wahrheit und Gerechtigkeit. Das alles hatte Agasa ihr auch erzählt. Und die Liebe zur Gerechtigkeit… hatte ihn das Leben gekostet. Dieses eine Schwert hatte ihn getroffen. Sie zitterte. Schluckte schwer, dann nahm sie das Buch, legte es in die Kiste, stellte die Kiste in den Schrank, sperrte ab und brachte ein paar Schritte Distanz zwischen sich und dem, was ihr von ihrem Vater geblieben war. Atmete tief ein und wieder aus, versuchte, den Kloß in ihrem Hals hinunterzuschlucken. Sie war wortlos aus dem Haus gegangen, heute Morgen… Weil sie sauer auf ihre Mutter war. Gerade schrieb er ihr, sie solle es ihr nicht zu schwer machen, aber… Nach allem, was sie jetzt gelesen hatte, gehört hatte, schien ihr Vater ein faszinierender, liebenswerter Mensch gewesen zu sein. Ihre Mutter hatte nicht einmal seinen Namen erwähnt. Sie konnte nicht anders, als wütend zu sein. Lange hatte sie geglaubt, sie wäre… ein Unfall gewesen. Gut, das war sie wohl auch tatsächlich, von Seiten ihres Vaters zumindest. Aber er hatte sie wohl… doch… geliebt. Es hatte ihn interessiert, was aus ihr werden würde. Was sie über ihn dachte. Sonst hätte er ihr diese Kiste nicht gemacht… nicht diese Bücher geschrieben. Bis jetzt hatte sie geglaubt, er würde sich einen Dreck um sie scheren, und sie fühlte sich mies deswegen, obwohl sie wusste, dass sie nichts dafür konnte; sie hatte es nicht besser gewusst. Er wär gern ihr Vater gewesen, das schrieb er. Sie glaubte ihm jedes Wort. Wenn sie las, was er ihr gern mitgegeben hätte, auf ihrem Weg ins Leben, zog sich ihr Magen zusammen. Und langsam manifestierte sich in ihr der Wunsch, ihn doch wenigstens kurz kennen gelernt zu haben. Ihn jetzt einmal zu sehen. Nur kurz. Nur… ein paar Minuten. Sie wusste… das war nicht möglich. Er war tot. Schon lange… lange tot. Er würde nicht wiederkommen. Alles was sie tun konnte, war sein Vermächtnis zu lesen, und sich von anderen, die ihn gekannt hatten, erzählen zu lassen, wer er war. Aber sie konnte jetzt nicht weiter lesen. Es tat weh, das alles zu sehen… mitzubekommen, was sie hätte alles haben können, was ihm alles vorenthalten geblieben war, es tat weh… und er tat ihr so Leid. Einerseits brannte sie darauf, zu erfahren, was er noch für sie aufgeschrieben hatte… andererseits fürchtete sie sich davor, dass dieses Bedauern, das sie spürte, noch größer werden würde. In Trauer umschlug. Traurig war sie jetzt schon. Aber wahre Trauer… Trauer über einen Verlust, über die Unmöglichkeit, an der Tatsache, dass sie ihn nicht kannte, noch etwas zu ändern, diese Machtlosigkeit… würde das noch bei weitem übertreffen. Sie schaffte es auch nicht, damit zu ihrer Mutter zu gehen. Sie konnte nicht mit ihr über ihn reden, sie war so wütend auf sie… so wütend, weil sie ihr diesen Menschen so lange vorenthalten hatte. Oma und Opa Kudô waren gerade kurz im Ausland, kamen erst nächste Woche wieder. Also blieben… Oma und Opa Môri. Sie stand auf, ging ohne ein Wort aus dem Haus. Ran schaute ihr hinterher. In ihren Augenwinkeln glitzerten Tränen. Sie ahnte, dass ihre Tochter sich betrogen fühlte. Aber sie hatte es einfach nicht übers Herz gebracht, ihr von ihm zu erzählen. Wenn es ging, versuchte sie, nicht zu oft an ihn zu denken. Sie konnte ihn nicht vergessen. Aber die Erinnerung an ihn tat weh. Es war ihr, als fehlte er ihr jeden Tag ein wenig mehr. Sie hatte geglaubt, es würde besser werden, mit der Zeit, hatte geglaubt, sie würde sich daran gewöhnen können… aber das war ein Irrtum gewesen. Allein wenn sie an sein Lachen dachte, an sein Gesicht, wenn sie ein Foto ansah, sich den Klang seiner Stimme ins Gedächtnis rief… … glaubte sie, es nicht einen Moment länger aushalten zu können. Und deswegen versuchte sie… ihn nicht zu vergessen; aber ihn auch nicht zu präsent werden zu lassen. Denn er hatte Recht gehabt. Wenn sie nur ihrer… seiner… Tochter ins Gesicht schaute, wurde sie an ihn erinnert. Sie hatte seine Augen geerbt… diese Augen… Ran presste die Lippen aufeinander, wischte sich unwillig die Tränen aus den Augenwinkeln. Sie vermisste ihn so sehr, immer noch so sehr, als wäre es erst gestern gewesen, dass er… gegangen war. Sayuri lehnte sich auf den Klingeknopf neben der Wohnungstür. „Komm ja schon…“, ertönte es von drinnen, leicht genervt. „Komm ja schon, komm ja schon, komm ja schon…“ Dann ging die Tür auf. Sie schaute auf, geradewegs in das Gesicht ihres Großvaters. Er starrte sie an. Wenn sie einen so voller Entschlossenheit ansah, konnte man nur allzu deutlich sehen, wie ähnlich sie ihrem Vater geraten war. Diesen Blick hatte sie ganz eindeutig von ihm… diesen Zug um die Mundwinkel, wenn sie etwas unbedingt in Erfahrung bringen wollte. „Hallo Sayuri! Komm doch…“ Dann bemerkte er die Tränen in ihrem Augenwinkel. „…rein…“ Sie nickte nur, quetschte sich an ihm vorbei in den Flur. Aus der Küche kam ihre Großmutter. Sie merkte sofort, dass etwas nicht stimmte, winkte ihre Enkelin ins Wohnzimmer. Sie ahnte, was jetzt kommen würde, hatte sich in letzter Zeit immer öfter gefragt, wann es soweit wäre; jetzt, war der Zeitpunkt wohl gekommen, das war ziemlich offensichtlich. Sie dirigierte Sayuri auf eine Couch, holte ihr ein Glas Wasser und setzte sich ihr gegenüber hin. Kogorô nahm neben ihr Platz. „Sayuri… die Bücher?“ Das Mädchen nickte nur, schaffte es nicht, ihrer Großmutter in die Augen zu sehen. Kogorô seufzte, tat genervt. Er hatte sich vor diesen Gesprächen gescheut. Hatte gehofft, sie würden nie kommen. „Schön, was willst du wissen?“ „Kogorô!“ Eri schaute ihn finster an. „Sayuri… wie weit bist du gekommen?“, fragte sie sanft. „Nicht weit… aber…“ Eine Träne rann ihr aus dem Augenwinkel. Kogorô schaute sie aus zusammengekniffenen Augen an. Er sah sie nicht gern weinen, genauso wenig wie er Ran gern weinen sah. Aber offensichtlich schaffte es sein Schwiegersohn noch aus dem Jenseits, den beiden Frauen in seinem Leben ihr Leben schwer zu machen. Jeder, der Ran kannte, wusste, sie war nie über seinen Verlust hinweggekommen. Sie war tapfer, versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, aber allein die Tatsache, dass im ganzen Haus kein einziges Foto von ihm offen zu sehen war, sie nicht über ihn sprach, wenn sie nicht musste, sie sich mehr als beharrlich an ihre Abmachung hielt, Sayuri erst dann die Bücher zu geben, wenn sie ganz direkt fragte… zeigte mehr als deutlich, wie es immer noch um Ran stand. Als er gestorben war, war ein Teil von ihr mit ihm gegangen. Dass nun aber auch seine Enkelin so traurig war, machte Kogorô wütend. „Sag mal, was hat er denn da geschrieben? Eine Tragödie? Am besten wirfst du sie…“ „Nein!“ Sayuri schrie entsetzt auf, fuhr hoch. „Nein! Die sind für mich- nur für mich! Ich kann sie doch nicht... wegwerfen!“ Sie setzte sich wieder. „Es ist alles, was ich von ihm noch hab… jemals kriegen kann…“ Sie schniefte leise. „Kogorô.“ Eri schaute ihn scharf an. „Sein Leben war doch irgendwie eine Tragödie. Es ist klar, dass die Bücher nicht lustig…“ „Aber das sind sie!“ Die beiden schauten ihre Enkelin erstaunt an. „…auch…“, stammelte Sayuri leise. „Er schreibt so… so… ich weiß auch nicht. Man fühlt sich fast, als würde er mit einem reden... er macht Witze, dann ist er wieder ernst. Er macht den Eindruck, als hätte er sich wirklich für mich interessiert, und es tut… tut weh, zu wissen, dass ich ihn nicht mehr kennen lernen darf… darum… bin ich gekommen, um mit… mit euch zu reden. Ihr habt ihn ja gekannt. Wie… wie war er so?“ „Großartig.“, murmelte Eri. „Eine Plage.“, bemerkte Kogorô düster. Er war immer noch ein wenig angesäuert; er hatte seine Enkelin sehr lieb gewonnen, und egal wie sehr er seinen Schwiegersohn geschätzt hatte, er mochte es nicht, wenn er seine Tochter zum Weinen brachte. Seine Frau warf ihm einen warnenden Blick zu. „Na schön, ich nehms zurück. Er war nur zeitweise eine Plage. Aber dann sehr intensiv.“ Kogorô seufzte, dann nickte er widerstrebend. „Nun gut… die Zeit in der er ne Plage war, ist wohl vernachlässigbar. Er war wohl… Er war ein anerkennenswerter Mensch, dein Vater. Sehr ehrgeizig, sehr aufrichtig, verlässlich, leidenschaftlich in dem was er tat… in allem. Den einzigen Makel, den er wohl hatte, war, dass er so früh sterben musste, und dass er wohl oft zu neugierig war... diese verdammte Neugier war es wohl auch, die ihm letztendlich sein Ende bescherte. Er war vierundzwanzig… das ist doch kein Alter…“ Er stöhnte leise auf, fuhr sich bei dem Gedanken an Shinichi übers Gesicht. „Du willst also wirklich wissen, wie er war? In meinen Augen?“ Sayuri nickte.“ „Soll ich ehrlich sein? Ich hab ihn lange nicht leiden können. Ich habe erst zu spät erkannt, wer er wirklich ist, und man muss wohl auch sagen, er hat es einem nicht ganz einfach gemacht… Jetzt… jetzt zerreißt es mir das Herz, wenn ich sehe, wie sehr Ran trauert… wie sehr sie ihn immer noch vermisst, obwohl er doch schon so lange tot ist. Er war die Liebe ihres Lebens, sie war mit ihm so unglaublich glücklich… die zwei haben sich gesucht und gefunden, und dann endete das alles in dieser Tragödie.“ Sayuri schaute ihn an. „Warum mochtest du ihn nicht?“ Kogorô blickte sie aus zusammengekniffenen Augen an. „Ich glaube nicht, dass du das schon verstehst, Mausebeinchen.“ „Aber…“ Eri gab ihm einen Stoß in die Rippen. „Sie ist kein kleines Kind mehr. Sie wird das verstehen.“ Er warf ihr einen finsteren Blick zu, rieb sich die Seite. Dann räusperte er sich. „Nun.“ Er zupfte an seinem Bart herum. „Weißt du, als Vater lässt man seine Tochter nicht gern gehen. Ich dachte lange, er nimmt sie mir weg, Ran, und ich hielt ihn nicht für würdig; ich dachte lange, Ran hätte etwas Besseres verdient…“ Sayuri zog die Augenbrauen hoch. „Etwas Besseres?“ „Nun. Ran und Shinichi kannten sich schon ewig. Und der Junge… er hatte nur Blödsinn im Kopf. Eines Nachts sind sie mal gemeinsam in die Schule eingebrochen um Gespenster zu suchen.“ Die Augen seiner Enkelin wurden groß. „Was? Mama und… Papa… sind in die Schule eingebrochen?“ „Ja. Sie waren sieben Jahre alt und auf der Suche nach Geistern, wer auch immer damals dieses Gerücht verbreitet hat, es spuke dort... ich weiß es nicht. Aber er hat Ran dazu angestiftet, mit zu gehen. Und nun… weißt du schon was über Conan?“ Sayuri nickte bedrückt. „Ja, alles…“ „Glaubst du’s…?“ Kogorô schaute sie ernst an. Das Mädchen nickte. „Ja.“ Ihr Mund war trocken, und so nahm sie einen Schluck Wasser. „Gut. Dann hat dir vielleicht auch jemand erzählt, dass er mir einen Ruf als Meisterdetektiv verschafft hat. Indem er mich schlafen schickte und meine Fälle löste… mit meiner Stimme wohl gemerkt, er hatte einen Stimmenimitator.“ Kogorô massierte sich die Schläfen. „Kleiner Bastard…“ „Kogorô!“ „Ja ja… nun. Du kannst mir denken, dass ich deswegen auf ihn nicht sonderlich gut zu sprechen war. Ich hielt ihn für keinen guten Umgang für Ran. Ich wollte, dass er ihr fernbleibt, ich wollte mir nicht mal seine Entschuldigung anhören. Nun… er blieb hartnäckig. Was deine Mutter betraf; und mich. Irgendwann haben wir uns dann mal ausgesprochen, und ich rechne ihm hoch an, dass er mir gegenüber damals so offen war. Von da an… begann ich ihn mit anderen Augen zu sehen. Ich lernte ihn wohl da erst richtig kennen… und schätzen. Als wir dann erfuhren… dass er sterben würde… hat mich das hart getroffen. Er hatte das nicht verdient, aber anstatt sich selbst zu bedauern, dachte er an uns. Er wollte uns nicht belasten... Shinichi… hätte damals am liebsten alle Brücken abgebrochen. Er wollte sogar die Verlobung lösen und…“ Kogorô brach ab. „Ich war auch nicht geplant…“ „Woher weißt du…“, fragte Eri erschrocken, schaute sie betroffen an. „Woher… weißt du das?“ Sayuri atmete tief ein, biss sich auf die Lippen. „Er hat’s mir aufgeschrieben. Und es mir… erklärt. Er meinte, so ehrlich muss er sein, mir das zu sagen. Dass er in seiner Situation eigentlich kein Kind wollte. Wenn man es so hört, seine Erklärung liest, klingt es logisch. Aber er entschuldigt sich auch… dafür… immer und immer wieder, und man merkt, wie Leid es ihm tut und ich…“ Eri stand auf, setzte sich neben sie, zog sie an sich. „Du solltest darüber mit deiner Mutter reden, Sayuri. Wirklich.“ Das Mädchen löste sich aus der Umarmung ihrer Großmutter, schüttelte vehement den Kopf. „Das kann ich nicht.“ „Aber warum nicht?“ Eri schaute sie verständnislos an. „Wie kann ich mit ihr über meinen Vater reden, wo sie ihn doch jahrelang in meiner Gegenwart nicht erwähnt hat? Sie hat nie seinen Namen genannt, es stehen keine Bilder herum, er… es ist, als hätte er nie existiert! Wegen ihr dachte ich, ich wär… nicht gewollt. Nicht so, wie es der Fall ist… sondern wirklich nicht gewollt. Als hätte sich mein Vater einfach so aus der Affäre geschlichen, ein Feigling, ein Verräter… und die Tatsache, dass ihr und nicht einmal seine Eltern über ihn geredet haben, vor mir… das… das… das kann nur auf ihrem Mist gewachsen sein!“ Sie atmete heftig. „Ich hab ihm gegenüber ein richtig schlechtes Gewissen, weil ich ihm in Gedanken haltlos all diese Sachen unterstellt hab!“ Sie war aufgestanden, schrie fast, in ihren Augen glimmte ein wütendes Funkeln. „Ich hätte ein Recht gehabt, es schon früher zu wissen! Erst als ich sie… wirklich ganz direkt gefragt hab, hat sie mir die Bücher überhaupt gegeben! Ich kann ja verstehen, dass es schwer ist für sie, aber sie hat keine Vorstellung, wie es für mich ist! Ich kann mit ihr da jetzt nicht drüber reden…!“ Kogorô stand auf, drückte das Mädchen wieder in ihren Sessel. „Schhh. Beruhig dich. Glaub mir, er nimmt dir das nicht übel, dass du ihm das unterstellt hast.“ „Ja, weil er tot ist.“, bemerkte Sayuri sarkastisch. Kogorô schüttelte den Kopf. „Nein, weil er weiß… wüsste… dass du nichts anderes denken konntest, wo du es doch nicht besser wusstest. Aber jetzt weißt du’s ja, und die Sache ist gegessen. Glaub mir, Shinichi wäre da nicht so. Er würde dir nicht verzeihen, und zwar, weil er keinen Grund sähe, dass man dir überhaupt irgendetwas vorwerfen müsste.“ Sayuri sah auf. „Meinst du?“ „Nein, ich weiß es.“ Er seufzte. „Ich kann verstehen, dass du sauer auf deine Mutter bist, und ja, sie hat mir und seinen Eltern, sowie Shiho und dem Professor, überhaupt allen, das Versprechen abgenommen, mit dir nicht über ihn zu reden… aber das doch nur, weil sie selber nie über seinen Verlust hinweggekommen ist. Sie kann nicht sein Bild sehen, weil sie ihn zu sehr vermisst. Sie sieht etwas, was sie hatte, und nie wieder bekommen kann, obwohl sie sich so danach sehnt. Du musst Verständnis für sie aufbringen, Mausebeinchen.“ Kogorô setzte sich wieder in seinen Sessel. „Als dein Vater starb, ging ein Teil von ihr mit ihm; und ein Teil von ihm blieb bei ihr. Leider macht sie das nicht ganz… weder sie noch ihn.“ Sayuri schaute ihn an, ihr Blick war nachdenklich; und schwieg. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)