Tagebücher von Leira ================================================================================ Verhör ------ Mesdames, Messieurs, es ist mir eine große Ehre und ein Vergnügen, ihnen hiermit das neueste Kapitel zu präsentieren *lacht* Nun; wie ihr euch wohl denken könnt, geht es heute mit der Vergangenheit weiter; und zwar sofort und ohne Unterbrechung mit dem mysteriösen weißen Umschlag, auf den unser lieber Detektiv im vorletzten Kapitel stehen geblieben is ^-^; Und der Titel bezieht sich nicht nur auf den Fall... ich denke, ein paar von euch werden darauf wohl schon gewartet haben; es lässt sich auch kaum umgehen. Ich wünsche euch also hiermit sehr gute Unterhaltung mit der Fortführung des Falls und dem Drumherum! Vielen, vielen, vieeeelen Dank für die Kommentare zum letzten Kapitel! Es freut mich, dass ihr die Geschichte lesen wollt (mein Beileid an dieser Stelle zu einer Doppelstunde Chemie am Dienstag...). Dann ein paar kleine Anmerkungen am Rande- die Aussprache mit Ran folgt Stückchenweise und ja, es werden die Fetzen fliegen ^^; Und ja- er wird ihr über den Fall schreiben. Ich denke mal, mit der Aussage verrat ich nicht zuviel... In diesem Sinne, noch mal gute Unterhaltung! Bis nächsten Dienstag, eure Leira PS: Nur, falls die Frage auftaucht... man kann die Zitate wirklich googeln! Alle bis auf eines gibt es wirklich ;D __________________________________________________________________ Kapitel 4: Verhör Vergangenheit „Man könnte verrückt werden.“ „Könnt’ man.“ „Wahrlich den Verstand verlieren.“ „In der Tat.“ „Komplett durchdrehen.“ „Komplett.“ Heiji starrte Shinichi frustriert an, der in seinem Büro im Polizeirevier inmitten um ihn herum ausgebreiteter Fotografien stand; der ganze Boden des Zimmers glich einem Fototeppich, und er war das Zentrum des Sturms, drehte sich um die eigene Achse, suchte mit den Augen die Bilder ab. Shinichi war nur ein paar Minuten, nachdem er ihn dort abgesetzt hatte, wieder vor dem Hotel gestanden, mit dem Umschlag in der Sakkotasche. Er hatte sich nur erlaubt, ihn zuhause zu lesen, hatte sich dann von einer nicht ganz so begeisterten Ran losgeeist und war im Anschluss gleich zu ihm gefahren; schließlich durfte er eigentlich für Meguré nicht vor Heiji den Inhalt wissen. Der Brief lag nun neben seinem Vorgänger am Tisch in seinem Büro. So war Shinichi also heute doch noch zu seinem Fall gekommen. Leider… Heiji wurde nicht schlau draus, und Shinichi auch noch nicht, wie es schien. Er wusste nicht, ob es eine Drohung war, oder eine Mordankündigung. Es war verworren… Begonnen hatte er wie immer mit denselben Worten. Lieber Herr Detektiv, Dann folgte eine Zeile. Nur eine. An der Krone funkelt die Perle nur, und freilich nicht die Wunden, mit denen sie errungen ward. Und darunter wie immer… Hochachtungsvoll, der Perlenmörder Eigentlich, so nahmen sie an, war das eine Ankündigung. Ein weiteres Mädchen könnte morgen Nacht sterben. Und man sah Shinichi an, dass ihn das angriff. Ihn sehr nervös machte, unter Spannung setzte. Er würde nicht noch eine junge Frau sterben lassen. Egal wie, aber das würde er verhindern. In seinen Augen stand grimmige Entschlossenheit. Heiji selber lehnte an der Tür, in den Händen hielt er zwei Tassen Kaffee, die er gerade geholt hatte, und versuchte, die Gedankengänge seines Freundes nachzuvollziehen. „Und was isses nun eigentlich, das dich verrückt werden, den Verstand verlieren und durchdrehen lassen könnt’?“ Shinichi schaute auf, zog eine Augenbraue hoch. „Warum gibst du mir Recht, wenn du keine Ahnung hast, wovon ich rede?“ „Du hast mir zugehört?“ Heiji schaute ihn erstaunt an. „Ich bin ja nicht wie du, Hattori. Ich bin multitaskingfähig. Kaffee.“ Er streckte die Hand aus, beugte sich gleichzeitig nach unten. Heiji drückte ihm seine Tasse in die eine Hand, während er mit der anderen ein Foto, dass den Hals eines der Opfer darstellte, herauspickte. „Die Tatwaffe.“ Shinichi seufzte, suchte sich noch ein paar Fotos und legte sie vor Heiji auf einen Tisch. „Die Tatwaffe.“ Er kratzte sich am Hinterkopf, stellte die Tasse ab. „Es macht mich fast wahnsinnig. Laut Pathologen müsste es ein ziemlich großes Messer sein“, er maß mit beiden Händen einen Abstand, um Heiji die Größe zu demonstrieren, „und rasiermesserscharf.“ Heiji nickte, nippte an seinem Kaffee. Die Fakten waren ihm bekannt. „Weißt du, Hattori, ich bin mir in den meisten Punkten ziemlich sicher, was den Mörder betrifft. Ich denke, ich kenne den Tathergang und sein Motiv. Ich glaube zu wissen, wie er sich seine Opfer aussucht, sie einfängt, und sie umbringt, und warum. Und ich bin überzeugt davon, dass es einer unserer“, er senkte die Stimme, beugte sich näher zu Heiji, „Polizisten ist. Und diese Nachricht passt mir bestens in die Karten.“ Er richtete sich wieder auf, warf einen Blick auf den Brief. In Heijis Gesicht zeichnete sich leichte Verwunderung ab. „Aber solange ich die Tatwaffe nicht finden kann, nicht mal weiß, wie er sich ihrer entledigt hat, kann ich die drei zwar anklagen, aber den Betreffenden nicht festnageln, weil ich es nicht beweisen kann. Ich kann noch nicht ganz sicher sagen, wer es ist, auch wenn ich einen starken Verdacht hege; und ich kann nicht sagen wie er sich des Messers entledigt hat, und damit steht und fällt diese Untersuchung, denn er lässt ansonsten ja auch nichts an Beweisen zurück. Er müsste gestehen, und das wird er nicht machen, bestimmt nicht… denn er fühlt sich nicht schuldig, das ist das Problem. Und deswegen… wird es nahezu unmöglich sein… diesen neuen Mord, den er plant…“ Er würgte fast. „…zu verhindern. Eigentlich bleibt nur eine Option. Wir müssen alle drei beschatten, weil ich eben noch nicht hundertprozentig weiß, wie ich ihn belasten kann. Und solange ich das nicht kann, darf ich mir bei der Wahl des Täters auch noch nicht zu sicher sein; das wäre fahrlässig... und noch dazu kommt, dass der erste Mord in Osaka war. Das kann ich auch noch nicht ganz genau erklären, da werde ich wohl noch ein wenig recherchieren müssen... ob einer der fraglichen Personen hier...“, er war einen Blick auf die Akten, „zum fraglichen Zeitpunkt bei euch war.“ Er zog die Akten vom Stapel, klappte eine nach der anderen auf, ohne Heiji zu Wort kommen zu lassen, der ihn nur staunend anstarrte. Er kannte Kudô und seinen Arbeitseifer, seine Brillanz… aber sie hier so zu sehen, war Wahnsinn und ließ ihn sich selbst fast wie ein Amateur vorkommen, obwohl er ja auch ein Profi war. Wie er die Sache anging, die Fakten in seinem Kopf zusammenfügte, die Schlüsse, die er zog… Heiji schluckte, blinzelte, wandte sich dann Shinichi zu, der mit der Akte vor seiner Nase herumfuchtelte. „Kommen wir also zu unseren Verdächtigen, vielleicht siehst du was, das ich übersehe. Als ersten haben wir hier Nobokazu Itakura, 42 Jahre alt, seit zweiundzwanzig Jahren bei uns im Verein, seit fünf Jahren beim Morddezernat, geschieden, zwei Kinder. Dann wäre da Akihiro Kano, 35 Jahre alt, seit zehn Jahren bei der Polizei, seit zwei Jahren beim Morddezernat, ledig, keine Kinder. Bevor er Polizist wurde, hat er studiert… Medizin an der Tokio University, fast bis zum Abschluss, dann abgebrochen. Warum, steht nicht hier. Und der Dritte im Bunde wäre dann… Ryoichi Saijo, 26 Jahre jung… der is nur knapp älter als wir, hat aber auch schon studiert… und zwar, halt dich fest… Literaturgeschichte, Philologie… das ist mal ein Werdegang. In drei Jahren abgeschlossen, aber er hat sich wohl gelangweilt, deswegen kam er zu uns, ist hier seit… nicht ganz drei Jahren… und auf Empfehlung von Kommissar Yoshifumi Taneda im Morddezernat seit vier Monaten. Ein Greenhorn, also. Das wären sie, unsere potentiellen Serienmörder.“ Er nahm seine Tasse wieder in die Hand, ließ den Kaffee langsam im Becher kreisen, indem er sie schwenkte; dann hörte er damit auf, setzte den Becher an die Lippen und trank ihn in einem Zug aus, stellte die Tasse mit einem lauten ‚Klonk’ auf den Tisch. „Bevor du anfängst… ja, dass Kano als Ex-Mediziner gutes Knowhow fürs Kehledurchschneiden hat, weiß ich auch, allerdings muss das nichts heißen. Kann, muss aber nicht. Das Messer war groß und sehr scharf. Rein körperlich wären sie alle in der Lage gewesen, obwohl die Präzision des Schnittes ein nicht zu vernachlässigender Aspekt ist. Aber das ist der Punkt… das Messer… mit so einem Riesenmesser kann keiner einfach so rausgehen. Das würde auffallen. Und selbst wenn… es waren nirgendwo Blutspuren, nur rund um die Leiche. Nicht im Gang zur Hintertür, nicht in den Toiletten, oder in der Küche, was darauf hindeuten würde, dass er es dort irgendwo saubergemacht hat oder losgeworden ist. Es ist fast klinisch sauber. Es kann kein Messer sein, aber laut Pathologe muss es eins sein… irgendwas stimmt da nicht… wo versteckt er es? Und wie bleibt er selber dabei sauber…?“ Er legte den Kopf in den Nacken. „Aber weiter. Unser Literaturwissenschaftler hat auch einen Punkt für sich… die Zitate. Aber die kann man gut googeln, ich weiß es, ich hab’s ausprobiert. Man braucht nur Perle oder Perlen plus Zitat eingeben… Und noch dazu spricht eigentlich ein Zitat gegen ihn. Das mit den Austern. Es weist darauf hin, dass der Sprecher eher… nicht schön ist. Und das deutet auf Itakura; der ist wahrlich keine Schönheit, Saijo aber, wie du ja festgestellt hast, schon.“ Er lächelte ihn liebenswürdig an. Heiji schenkte ihm einen verstimmten Blick. „Das darf ich mir wohl ewig anhörn...“ Shinichi grinste. „Sei froh, meine Ewigkeit dauert nur noch etwa viereinhalb Monate.“ Heiji wurde bleich, fuhr hoch, starrte ihn wütend an. „Kudô… das ist’ nich’… das is nich witzig!“ Shinichi schreckte zurück, blinzelte. „Ich… ich weiß… entschuldige. War ein… ein blöder Scherz. Ich hab nicht nachgedacht.“ Er versuchte ihn beruhigend anzusehen, war selber erschrocken über Heijis Ausbruch. Shinichi konnte einfach noch nicht umgehen, mit der Tatsache… dass wohl andere mit seinem Schicksal noch weniger umgehen konnten wie er. Und dass er auch beim Reden jetzt wohl besser aufpassen musste, bei der Wortwahl. Er seufzte, schaute ihn bedrückt an. „Wirklich, es… es tut mir Leid, ich hab echt nicht nachgedacht. Es rutschte mir... mehr oder weniger über die Lippen.“ „Hm.“, brummte Heiji, starrte auf den Boden. Dann nickte er, brummte leise. „Schon gut.“ Er verdrehte die Augen. „Hastde denn jetzt eigentlich einen Verdacht, Kudô?“ Shinichi nickte. „Ja, ich hab einen Verdacht… aber, wie gesagt, ich kann ihn einfach noch nicht hundertprozentig begründen…“ Shinichi seufzte, ließ seinen Blick wieder über die Fotos am Boden schweifen. Heiji tat es ihm gleich. Dann ging die Tür auf, und der Luftzug, der durch das offene Fenster verursacht wurde, wirbelte die Fotos auf. Shinichi eilte zum Fenster, während Heiji sich ihrem Eindringling zuwandte. „Kommissar Meguré.“, bemerkte er, deutete eine Verbeugung an. Meguré warf ihm einen Blick aus zusammengekniffenen Augen zu. „Heiji, ich hoffe doch, du mischst dich nicht…“ „Ich bin stumm wie ein Bürosessel, Herr Kommissar.“ Er grinste breit. „Und genauso taub. Und außerdem verwechselt mich Kudô sowieso mit einer Sekretärin. Ich darf ihm dauernd den Kaffee holen.“, plauderte Osakaer Detektiv jovial, grinste noch breiter und nickte in Shinichis Richtung, der etwas angesäuert versuchte, wieder System in sein Chaos zu bringen. Etwas verstimmt richtete sich der junge Detektiv auf, warf seinem Vorgesetzten einen leicht verärgerten Blick zu, den, so wusste er, Meguré nur ihm verzieh. „Sagen Sie, ist es wirklich zuviel verlangt, vorher anzuklopfen, bevor Sie in mein Büro stürmen?“ Er blickte um sich. „Stürmen im wahrsten Sinne des Wortes.“ „Entschuldigung.“, murmelte der Kommissar. „Nun, wie kann ich Ihnen zu Diensten sein?“, seufzte Shinichi, bückte sich, drehte ein weiteres Foto wieder in die richtige Position. „Ich wollte dich fragen, wie’s vorangeht.“ „Prächtig.“, meinte Shinichi trocken, hob ein weiteres Foto auf, um es an einer anderen Stelle wieder hinzulegen. „Und jetzt sagen Sie, was Sie wirklich wollen. Um den Stand der Ermittlungen zu erfragen, hätten Sie anrufen können.“ Shinichi warf ihm einen kalkulierenden Blick zu. Meguré trat von einem Fuß auf den Anderen, knetete seine Hände. Es war immer wieder unheimlich, wie sein junger Kollege seine Gedanken lesen konnte. „Du hast ja Recht… nun,…Shinichi… ich wollte fragen, warum du die Akten von Kano, Itakura und Saijo hast.“ Shinichi fuhr ruckartig hoch. „Interesse?“, sprudelte es aus ihm hervor, als ihm keine andere Ausrede einfiel. Meguré schüttelte den Kopf. „War das eine Frage?“ „Nein.“ „Verdächtigst du sie?“ Shinichi wandte den Kopf ab, holte die Akten vom Tisch. „Sie können Sie gern wieder haben.“ Meguré nahm sie nicht an. Seine Hände blieben in seinen Jackentaschen vergraben. „Das beantwortet die Frage nicht.“ Beharrlich starrte er ihn an. Der junge Mann schüttelte bedauernd den Kopf. „Ich fürchte, ich kann Ihnen diese Frage überhaupt nicht beantworten. Noch nicht. Sie wissen, ich schmeiße nicht mit halbgaren Theorien um mich.“ Der Kommissar kniff die Augen zusammen. „Du bist nicht Sherlock Holmes, Kudô…“ Shinichi lächelte ironisch. „Das weiß ich. Aber wie er halte ich es für unverantwortlich, haltlose Anschuldigungen in den Raum zu stellen. Wenn Sie mir bei den Ermittlungen helfen wollen, fragen Sie lieber den Pathologen, ob wirklich nur ein scharfes Messer als Tatwaffe in Frage kommt. Ach ja...“ Er hielt inne, als ihm eine Idee durch den Kopf schoss. „Sagen Sie, wie wurden eigentlich die Teams für die Beobachtung der Bars…“ Er seufzte leise, als ihm ihr Bild wieder vor Augen trat. „… zusammengestellt?“ Meguré dachte kurz nach. „Es wurde eigentlich recht frei eingeteilt. In deinem Fall fragte ich, wer in der Nähe des ‚Courtyard’ stationiert ist oder wohnt, wer optimalerweise die Räumlichkeiten und den Charakter, die Klientel des Etablissements kennt… und da haben sich eben die drei gemeldet. Und sie haben danach gefragt, ob sie mit dir dort arbeiten könnten, und warum hätte ich ihnen das abschlagen sollen? Es war ja egal, wo du ermittelst. Wenn du die Gründe wissen willst, warum sie darum jetzt konkret gebeten hatten, oder wessen Idee das war, dann frag sie bitte selber, die weiß ich nicht mehr. Warum?“ Shinichi starrte ihn an, blinzelte. „Nur so. Der Pathologenbefund wäre nett.“ Damit schob er Meguré mehr oder weniger aus dem Büro, wandte sich zu Heiji um, die Akten immer noch in der Hand. Hinter ihm fiel die Tür zu, er lehnte sich dagegen, fixierte seinen Freund mit starrem Blick. „Hältst du das noch für einen Zufall?“ „Das hab ich nie getan…“, murmelte Heiji erschüttert. „Was machen wir nun wegen morgen? Meguré reinen Wein einschenken? Oder ihn bitten, eine neue, groß angelegte Kneipentour zu planen?“ Shinichi überlegte; dann schüttelte er den Kopf. „Das geht nicht. Wir müssten ihm sonst deine Lüge erzählen, und du weißt, was dann passiert; wir können ihm die Wahrheit nicht sagen. Und das andere geht auch nicht, ich glaube nämlich, dass unser Mörder den Schwanz einziehen wird, wenn wir wieder mit einem Großkommando anrücken.“ „Aber…!“ „Nun…“, begann Shinichi langsam, näherte sich ihm. „Ich will deine Karriere nicht zerstören. Aber wir… wir können auch etwas tun, ohne das Meguré es wissen muss. Wir wissen, wo die drei wohnen; also beschatten wir sie morgen Abend.“ Er schaute gedankenverloren aus dem Fenster. „Wir sind aber nur zu zweit, sie sind drei. Und du kannst auch vergessen, dass ich dich allein irgendwohin gehen lasse.“ Shinichi seufzte, schaute ihn dann an. „Wir fragen Mori, den Professor, Shiho… und… meinen Vater. Damit wären wir sechs. Pro Mann zwei Beschatter.“ Heijis Kinnlade fiel nach unten. „Na, dann mach du mal.“, krächzte er. Die Meinung des Pathologen ließ wie immer auf sich warten, und so fanden sich Heiji und Shinichi gegen Feierabend über den Akten brütend auf der Wache im Revier und zeichneten die Lebensläufe ihrer Verdächtigen nach, möglichst, ohne selber irgendeinen Verdacht zu erwecken. Sie waren gerade dabei, die letzten Daten abzugleichen und irgendwelche Schlüsse daraus zu ziehen, als die Tür zum Großraumbüro aufging. Herein kam eine attraktive Frau Mitte Dreißig, die ein kleines Mädchen auf ihrem Arm trug. „Minako!“ Takagi sprang auf, strahlte sein kleines Mädchen an. Miwako Sato, die das Mädchen auf dem Arm trug, ging näher, lächelte ihn an. Der Polizist gab seinem Töchterchen einen Kuss auf die Nase, streichelte ihr über ihr flaumiges Haar. „Das ist ja eine Überraschung, dass ihr mich abholt!“ Er küsste seine Frau auf die Wange. Meguré trat ebenfalls näher ein väterliches Lächeln auf seinen Lippen. „Hallo Sato! Meine Güte, Mina-chan, du bist gewachsen! Wie groß du schon bist! Na, gib Opa Meguré die Hand…“ Er reichte ihr seinen Zeigefinger, den die Kleine bereitwillig umklammerte. „Schau mal, Shinichi - ist die nicht süß! Wie sieht’s denn eigentlich bei dir und Ran mit Familienplanung aus?“ Meguré lachte gutmütig – aber das Lachen fiel ihm fast aus seinem Gesicht, als er in das aschfahle Gesicht seines Kollegen und Freundes blickte. Shinichi wurde fast übel. „Kudô…“ Heiji beugte sich zu ihm. „Hey, hey… nich’ aufregen..“ Shinichi schüttelte den Kopf, versuchte, Ruhe zu bewahren, sich nichts anmerken zu lassen, obgleich er wusste, dass es dafür schon viel zu spät war. Seine Hände zitterten, waren binnen Sekunden schweißnass geworden, eiskalt. Das alles trieb ihn an die Grenzen dessen, was er ertragen konnte. Er gönnte Takagi sein Glück, aber er konnte sich das nicht ansehen. Mit zitternden Fingern griff er sich an die Stirn, als ein schmerzhaftes Pochen einsetzte. Dann stand er auf, ignorierte, dass er einen Kaffeebecher mit sich riss, und verließ das Büro, ohne irgendjemanden anzusehen. Heiji eilte ihm hinterher. Das war zu viel für ihn. Viel zu viel. Und das wusste er. Heiji ahnte, dass allein der Gedanke an sein Kind, das er nie in den Armen halten würde, ihn fertig machte; dann auch noch das zu sehen, vorgeführt zu bekommen, was er niemals haben würde, musste ihn einfach schier verrückt machen. Es musste einfach… unerträglich sein. Draußen am Gang blieb er nicht stehen, tastete sich an der Wand entlang weiter. Heiji schloss zu ihm auf, ging besorgt neben ihm her. Hinter ihnen ging die Tür auf und wieder zu. Und dann stand er vor ihnen. Jûzô Meguré. Sein Gesicht war bitterernst. Der Kommissar packte Shinichi wortlos am Arm und zerrte ihn mit sich, winkte Heiji, ihm zu folgen, ließ ihn nicht los, ehe er ihn nicht in seinem Büro in einen Sessel verfrachtet hatte. Heiji blieb hinter seinem Freund stehen. Minuten vergingen, in denen sich die drei Männer nur anschwiegen. „Kommissar…“, begann der Osakaer Polizeichef dann. „Nein!“ Meguré schien schier der Kragen zu platzen. „Denkt ihr nicht auch, es ist Zeit, dass ihr mal redet?“ „Nein.“ Shinichi saß vorn über gebeugt, stützte sich mit seinen Ellenbogen am Tisch ab, vergrub die Hände in seinen Haaren. „Shinichi…“ Heiji ließ sich nun doch neben ihm in einem Stuhl nieder. „Nein.“ Der Kommissar schaute von einem zum andern. „Wie lange glaubt ihr, ihr könnt dieses Spiel noch spielen? Irgendetwas ist los mit dir, Kudô, und du deckst ihn!“ Heiji wich seinem wütenden Blick aus. „Lassen Sie Hattori bitte in Ruhe, Kommissar.“ Shinichis stimme klang gedämpft, er schüttelte müde den Kopf. Meguré starrte ihn an. Dann schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch. Shinichi fuhr erschrocken hoch. „Kudô, du weißt, was ich von dir halte. Ich schätze dich als integeren Kollegen, als brillanten Ermittler und guten Freund. Und ich rede jetzt mit dir als dein Vorgesetzter, als dein Kollege und als dein Freund.“ Er räusperte sich, stand auf, baute sich vor den beiden jungen Männern auf. „Glaubst du, mir ist nicht aufgefallen, dass du ab und an seit ein paar Wochen nicht wirklich bei der Sache bist? Du hast dich verändert. Vor ein paar Wochen warst du kaum ein Schatten deiner selbst. Mittlerweile scheinst du dich zwar gefangen zu haben, aber der Alte bist du nicht. Du redest kaum, du siehst einem selten in die Augen, du wirkst oft erschöpft wenn du gehst, du zuckst zusammen, wenn du eine Leiche siehst - ja, sieh mich nicht so an, das ist mir aufgefallen! Und dann die Szenen mit Takagi. Vor ein paar Wochen schon hab ich mich gefragt, was los ist; und heute passiert das Gleiche schon wieder! Herrgott noch mal, du hast dich doch auch gefreut, als Takagi und Sato geheiratet haben! Du hast mir noch beim Schreiben der Rede für die Hochzeit geholfen! Takagi hätte seinen Sohn nach dir benannt - nun ist es halt eine Tochter, aber das ist Schicksal. Himmel, was ist los mit dir? Warum reagierst du so empfindlich, wenn man dich nach eurer Familienplanung fragt? Ihr seid frisch verheiratet, da ist so eine Frage doch kein Grund, entsetzt den Raum zu verlassen…“ Meguré wurde auf einmal still. „Oder… oder… kann Ran etwa keine Kinder…“ Shinichi seufzte frustriert auf, fuhr sich übers Gesicht. Sie waren in einer Sackgasse angekommen, das war nun selbst für ihn offensichtlich. Er musste auspacken, so sehr ihn der Gedanke auch quälte, aber der Karren steckte fest, weiter zu Schweigen machte keinen Sinn mehr. „Kommissar!“, begann Heiji aufgebracht. „Ich denke nicht, dass Shinichis Privatleben sie etwas angehen muss…“ Shinichi hob den Kopf, schaute Heiji lange an. Dann schüttelte er den Kopf. „Lass gut sein… Heiji. Es hat keinen Zweck mehr.“ Der Osakaer Detektiv schaute seinen Freund lange an. „Du willst wirklich…? Biste da sicher… ich meine…?“ Er schaute ihn unbehaglich an. Er ahnte, was Shinichi nun vorhatte. Er würde… er würde dem Kommissar von seinem Schicksal erzählen. Er wusste nur nicht… ob das eine gute Idee war. Für ihn persönlich… und für Shinichis weitere Involvierung in den Fall. Und… Schließlich… stand auch Kogorôs guter Ruf auf dem Spiel. Shinichi nickte Heiji zu; der beruhigte sich langsam. Was auch immer Shinichi sagen würde… wenn er fallen sollte, würde er keinen mit sich reißen wollen. Er würde nur sagen, was nötig war. Die einzige Frage war… ob er selbst nach dem Sturz in der Lage war, wieder aufzustehen. Der Tokioter Detektiv schluckte, dann wandte er sich dem Kommissar wieder zu. „Nein. An Ran liegt es nicht.“ Meguré schaute ihn an, schien nachzudenken. „Warum benimmst du dich dann so seltsam? Warte… kannst… etwa du…?“ Noch mehr Entsetzen spiegelte sich auf Megurés Gesicht. Shinichi musste fast lachen, so komisch war die Situation - wenn sie nicht gleichzeitig so bitter gewesen wäre. Heiji neben ihm fing an, seine Finger zu kneten. Dieses Gespräch musste die Hölle sein für seinen Freund. „Nein, das ist es auch nicht. Ran ist schwanger. Von mir. Das Problem…“ „Ja…?“ Meguré beugte sich in teilnahmsvollem Interesse nach vorn. Shinichi biss sich auf die Lippen. Dann ging die Tür auf. Herein kam Takagi. „Kommissar! Hier sind Sie - und… äh, du… ich wollte mit dir auch noch reden, ich meine…“ „Setzen Sie sich, Takagi. Wir sind gerade dabei, uns diesbezüglich auszusprechen, und sie betrifft es ja auch… irgendwie.“ Shinichi schaute ihn in stummem Protest an. Meguré überging seinem Blick geflissentlich, winkte seinen Inspektor ungeduldig, sich zu setzen. Takagi warf den beiden Detektiven einen fragenden Blick zu, holte sich einen Stuhl, setzte sich zu ihnen. Shinichi schluckte, war kurz davor, einfach zu gehen. Heiji sah ihm das an. Meguré allein wäre noch tragbar gewesen. Aber Takagi nun auch noch… Shinichi krallte seine Hände um die Armlehnen des Stuhls, bemühte sich um Fassung. Es war leider der Fall, so gestand er sich ein, dass er, wenn er einfach ging, seine Situation auch nicht besser machen würde. Es wäre nur ein Aufschub des Unvermeidlichen. Also räusperte er sich noch einmal, bevor er ansetzte, sprach, ohne jemanden anzusehen. „Das Problem, das ich habe, in letzter Zeit - die Ursache für meine gelegentliche Unkonzentriertheit, meine geistige Abwesenheit, meine teilweise überzogene Niedergeschlagenheit, meine…“, er blickte zu Takagi „Unfreundlichkeit und fehlende Teilnahme an ihrem Glück…“ Er hob den Kopf, starrte an die Decke, holte tief Luft. Eigentlich müsste man meinen, ich könnte meinen Text mittlerweile… Dann fuhr er fort, setzte neu an. „Wie sie ja jetzt wissen, ist Ran schwanger. In der… fünften Woche. So eine Schwangerschaft dauert neun Monate. Und ich hab noch sechs. Das heißt… fünf. Knappe… fünf Monate. Über ein Monat ist ja eigentlich schon um…“ Seine Stimme verlor sich. Sein Blick senkte sich langsam wieder auf die Tischplatte. „Fünf Monate? Für was…?“ Shinichi fing an zu schwitzen. Allein der Gedanke machte ihn schon wahnsinnig, es jetzt auch noch auszusprechen war fast nicht auszuhalten. Er tat es doch. „Fünf Monate… zu leben. Ich…“ Shinichi schaute auf seine Finger, sein Blick war ausdruckslos. Heiji biss sich auf die Lippen, wandte den Blick ab, starrte aus dem Fenster. Er hörte ihn neben sich reden, und obwohl er die Geschichte schon kannte, krampfte sich sein Magen erneut zusammen, als er ihn sprechen hörte. „Ich sterbe. In etwa fünf Monaten. Bevor mein Sohn oder meine Tochter das Licht der Welt erblickt, sollte die Rechnung der Ärzte stimmen. Das… entschuldigen Sie, aber ganz so leicht stecke ich das einfach auch nicht weg, wie es aussieht. Deshalb… deshalb bin ich wohl ein wenig neben mir, momentan. Ich versuche, mich zusammenzureißen, ich geb’ mir wirklich Mühe, es nicht nach außen zu tragen, aber immer gelingt es mir nicht…“ Er lächelte unglücklich, fuhr sich mit einer Hand über den Hinterkopf. „Natürlich freue ich mich für Sie, Takagi, auch wenn ich nicht so aussehe…“ Dann stand er auf, langsam; trat hinter seinen Stuhl, schob ihn ordentlich unter den Tisch. Heiji tat es ihm gleich. Er wollte weg hier. Seinen Freund packen und weg hier, raus hier. Shinichi schaute kurz von Takagi zu Meguré. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, meine Herren.“ Damit ging er. Keiner hielt ihn auf. Die beiden Polizisten starrten sich nur betroffen an, schluckten. Shinichi brauchte geschlagene fünf Minuten, bis er seinen Wagen aufgesperrt hatte. Allein seine Schlüssel zu finden war ein fast unmöglich scheinendes Unterfangen gewesen. Hattori stand neben ihm, redete auf ihn ein. „Du kannst so nich’ fahren.“ Shinichi schüttelte den Kopf. „Geh, nimm dir ein Taxi, Heiji, ich will jetzt keinen um mich haben, bitte.“ „Das kannstde vergessen. Ich lass dich doch so jetzt nich’…“ „Heiji, verschwinde endlich!“ Er schaute ihn aufgebracht an. „Ich bin gerade nicht gesellschaftsfähig, also mach, dass du wegkommst!“ Er öffnete die Autotür, ließ den Kopf gegen die kalte Kante des Dachs sinken. Dann schaute er wieder auf. In seinen Augen stand Reue. „Entschuldige, ich wollte dich nicht anschreien. Ich will nur… dass du gehst, jetzt, bitte. Ich… bin nicht ganz Herr über mich. Ich will zu dir nichts sagen, was ich später bereue, aber ich kann gerade keine Garantie für meine Wortwahl übernehmen. Darum bitte ich dich, nimm dir ein Taxi, ich bezahl’s dir auch morgen, aber geh, lass mich allein, bis ich mich abreagiert hab. Ich fahr nicht los, bevor ich nicht klar denken kann, ich versprech’s dir.“ Er ließ sich hinter das Steuer sinken, lehnte seinen Kopf ans Lenkrad. Heiji schaute ihn ernst an. Man merkte, wie die Situation an ihm nagte, wie sehr es ihm eigentlich widerstrebte, die nächsten Worte auszusprechen. „Ruf an, wennsde zuhause bist, Kudô. Und bitte pass auch auf, ja?! Versprichs mir nicht nur, tu’s auch!“ Shinichi schaute auf, blickte in sein besorgtes Gesicht. Dann nickte er. „Und wehe, du wagst es, mir das Taxi zu bezahlen.“ Heiji kniff die Lippen zusammen, drehte sich um und ging. Er hörte, wie hinter ihm die Autotür zu fiel, fluchte leise. Aber er wusste… es hatte keinen Zweck. Shinichi brauchte seine Ruhe jetzt; und er hatte nicht das Recht, sie ihm zu nehmen. Shinichi schluckte schwer, bettete seinen Kopf auf seine Arme, lehnte sich gegen das Lenkrad, versuchte, wieder herunterzukommen. Sich zu beruhigen. Das war angesichts der Situation leichter gesagt, als getan. Der Fall war weg und morgen wusste das ganze Dezernat, dass Shinichi Kudô demnächst starb. Dann klopfte es auf die Scheibe, jemand öffnete die Tür. Er hatte nicht abgeschlossen, und das bereute er in diesem Moment. „Shinichi…?“ Es war der Kommissar. Seine Stimme klang brüchig. Shinichi schluckte, dann hob er den Kopf. „Du brauchst nicht glauben, dass ich dich so allein nach Hause fahren lasse. Steig aus.“ Shinichi kniff die Lippen zusammen, stieg wieder aus, überließ Meguré die Schlüssel, umrundete seinen Wagen und kletterte durch die Beifahrertür wieder herein, schloss die Tür, schnallte sich an. Er wusste, es war zwecklos, dem Kommissar jetzt zu widersprechen. „Willst du drüber reden…?“ „Nein.“ „Weiß… weiß Yusaku…?“ „Ja.“ „Ran…?“ „Ja.“ Meguré startete den Motor, gab Gas. „Warum…?“ Shinichi seufzte. Genau diese Frage hatte er befürchtet. „Das ist nicht so einfach…“ „Wie kann das nicht so einfach sein?“ „Weil es… noch das Leben einer anderen Person betrifft.“ Shinichi drehte den Kopf, schaute nach draußen. Tokio zog an ihm vorbei. Sein Kopf begann zu schmerzen, heftig. „Welche Person?“ „Wird das ein Verhör?“ „Shinichi! Verdammt noch mal, du kommst in mein Büro, sagst mir, dass du in einem halben Jahr stirbst – und gehst! Du kannst doch nicht glauben, dass ich das einfach so stehen lasse! Ich will den Grund wissen!“ „Der Grund geht Sie aber verdammt noch mal nichts an!“ „Welche Person ist noch betroffen? Und inwiefern?“ Der Kommissar ließ nicht locker. Shinichi wandte sich ab, schwieg eisern. Megurés Fragen prallten an ihm ab. Vor seinem Haus angekommen stieg er aus. Während der ganzen Fahrt hatte Meguré weiter gebohrt, ohne Erfolg. Als er das Auto parkte, war der Polizist wirklich sauer. Shinichi öffnete das Gartentor, Meguré ging ihm energischen Schrittes nach, pulverte weiter. Und in dem Moment ging die Haustür auf, Ran und Kogorô traten heraus. „Du brauchst nicht glauben, dass ich gehe, bevor ich nicht weiß, was dich verdammt noch mal umbringt!“ Shinichi fuhr herum, war kreidebleich im Gesicht. „Lassen Sie mich endlich in Ruhe, Meguré!“ Dann blinzelte er, schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund. „Entschuldigen Sie…“ In dem Moment merkte, wie ihm jemand von hinten eine Hand auf die Schulter legte, ihn zurückzog. „Der Grund, warum er nicht reden will… bin ich, Herr Kommissar. Wenn Sie es gestatten, führen wir beide dieses Gespräch zu Ende.“ Kogorô wandte sich an Shinichi. „Du gehst rein, du... siehst nicht gut aus. Und…“ Er schaute ihn ernst an. „Danke, dass du mich immer noch deckst. Aber ich denke, jetzt sollten wir es gut sein lassen…“ Shinichi schluckte. „Wenn du meinst, Kogorô.“ Dann fühlte er eine Hand in seiner, die ihn mit sich zog. Ran führte ihn zurück ins Haus, schloss die Tür hinter ihnen. „Miesen Tag gehabt?“ „Mies ist gar kein Ausdruck…“ Er seufzte, verdrehte kurz die Augen; dann zog er sie an sich, vergrub sein Gesicht an ihrem Hals, atmete den Duft ihrer Haare ein. Sie zog ihn mit sich auf die Couch, strich ihm durch die Haare. „Er wird mir den Fall abnehmen. Er… es ist vorbei…“, murmelte er leise, schaute zu Boden. „Shinichi…“ Sie seufzte, gab ihm einen Kuss auf die Schläfe. Dann ging die Wohnzimmertür auf, und herein kamen der Kommissar und Rans Vater. Schwer ließ sich Meguré in einen der Sessel fallen, schaute seinen langjährigen Freund an, schwieg. Kogorô nahm in einem anderen Sessel Platz. Lange sagte keiner ein Wort. „In was hast du dich da reingeritten…“, flüsterte der Kommissar schließlich. „Conan… Conan Edogawa warst du…?“ Shinichi zuckte bei dem Namen seines alter Egos zusammen, schaute weg, als er antwortete. „Ja.“ „Und dieses Gift…“ „Kommissar. Bitte.“ Ran starrte den Polizisten an, biss sich auf die Lippen. „Ich denke, mein Vater hat es Ihnen erzählt, also hören Sie bitte auf, diese Fragen zu stellen…“ „Ran, lass ihn.“ Shinichi schaute seinen Vorgesetzten an. „Es bringt mich um, ja. Sie können Kogorô glauben, so unglaublich die Geschichte auch ist. Hätte ich es nicht erlebt, würde ich es auch nicht glauben…“ Meguré nickte langsam. Eine Weile trat erneut Stille ein. Dann räusperte sich der Kommissar. „Ich kann dich so nicht weitermachen lassen, das weißt du. Du solltest die Zeit, die du... die du noch hast, anders verbringen. Du sagst es selbst, es... beschäftigt dich auch in der Arbeit, du könntest einen Fehler machen, und das kann ich nicht... zulassen, das weißt du...“ Shinichi kniff die Lippen zusammen, nickte nur. Meguré sah ihn nicht an, blickte zu Boden. Dann nahm er ganz langsam seinen Hut ab. „Herrgott… Shinichi…“ Seine Stimme brach. „Was hast du alles durchgemacht…“ Er hob den Kopf wieder, schaute seinem Gegenüber ins Gesicht. „Hattori hat’s gewusst?“ Shinichi nickte nur. „Ja. Er hat’s… herausgefunden. Ich hab ihm noch nie was verheimlichen können…“ „Beides?“ Shinichi wusste, was beides war. Eines war Conan… das andere war… das hier. Conans Vermächtnis. Die späte Rache der Organisation. „Ja.“ Meguré schwieg lange, und als er den Mund wieder öffnete, um zu sprechen, merkte man, wie schwer ihm das Reden fiel. „Ich kann dich so nicht weitermachen lassen…“, wiederholte Meguré geistesabwesend. „Ich weiß.“ Shinichis Stimme war kaum lauter als ein Flüstern. Ran klammerte sich an seinem Arm fest. Meguré schaute von ihrem Gesicht zu seinem, begann, seinen Hut zu kneten. Dann stand er ruckartig auf. „Warum passiert sowas…? Warum zur Hölle hast du das getan? Ich hätte dich nie so in die Fälle involvieren dürfen, dann wärst du nie in Kontakt gekommen mit…“ Shinichi starrte ihn verblüfft an. „Hören Sie auf, Kommissar. Es reicht mir, wenn ich mir das von meinem Vater anhören kann. Sie trifft da genauso wenig Schuld wie ihn…“ „Ich kann dich so nicht weitermachen lassen…“ Meguré biss sich auf die Lippen, nuschelte den Satz erneut. Shinichi verzog das Gesicht. „Dann schicken Sie mir die Kündigungsunterlagen, und ich unterschreibe.“ Er fing an zu zittern. Alles in ihm sträubte sich dagegen. Er war noch nicht soweit. Er wollte diesen Fall noch beenden. Er war einfach noch nicht soweit... „Ich will dir aber keine Kündigung schicken…“ Meguré legte seinen Hut auf den Tisch, fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht. „Ich… wann… wann wolltest du aufhören?“ „Nach diesem Fall.“ „Du… fühlst dich also soweit fit ja? Um diesen einen noch…“ Shinichi starrte ihn an. Ran schluckte. Sie wusste nicht, ob sie sich freuen oder weinen sollte. Meguré schaute Shinichi ernst an. Der Detektiv nickte. „Gut. Dann… machen wir diesen einen noch. Es… zeichnet sich ja ein Ende ab, nicht wahr?“, murmelte der Kommissar mehr zu sich selbst als zu jemand anderem. „Ja. Es… nähert sich dem Ende.“ Shinichi schluckte. „Aber du brauchst nicht glauben, dass ich dich aus den Augen lasse. Wenn ich bemerke, dass es dir zuviel wird, bist du raus, hörst du? Takagi wird selbstverständlich nichts sagen…“, fügte er an, als er Shinichis besorgtes Gesicht sah. Shinichi seufzte leise. „Danke.“ Meguré schüttelte schwer den Kopf. „Du brauchst mir nicht zu danken. Ich… ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, es tut mir so Leid, vor allem…“, er schaute zu Ran. „Da ist es doch… das Mindeste, was ich tun kann… dir einen würdigen Abschied zu ermöglichen.“ Er schaute ihn bekümmert an. Dann setzte er seinen Hut auf und ging ohne ein weiteres Wort. Shinichi schaute ihm sprachlos hinterher. Kogorô hob die Hand zum Gruß, nickte den beiden zu, dann ging er dem Kommissar hinterher, um ihn zurück zum Revier zu begleiten. Shinichi stand ebenfalls auf, brachte sie zur Tür, wollte nicht einfach so sitzen bleiben. Langsam schloss er sie hinter den beiden Männern. Als er nach fünf Minuten immer noch nicht zurückgekehrt war, machte Ran sich auf den Weg in die Eingangshalle, um zu sehen, wo er abgeblieben war. Sie fand ihn, einsam auf weiter Flur. Er stand einfach nur da, sie Hände tief in den Hosentaschen vergraben, den Oberkörper leicht nach vorne gebeugt, betrachtete sein Spiegelbild in den blankgebohnerten Fliesen, schluckte hart. Als er sie aus den Augenwinkeln bemerkte, drehte er sacht den Kopf, biss sich auf die Lippen. „Ich will nicht sterben, Ran…“ Er flüsterte es nur, aber es klang wie ein Schrei in ihren Ohren. Sie eilte zu ihm, schlang ihre Arme um seinen Oberkörper, drückte ihn an sich. Shinichi presste die Augen zusammen. „Ich will nicht…“ „Ich weiß…“ Ran zog ihn an sich, so fest es ging, atmete tief ein. Sie war erleichtert und erschrocken zu gleich; sie hatte ihn noch nie so deutlich darüber reden gehört. Einerseits fand sie es gut, dass er darüber reden konnte… und andererseits brachte sie die Situation an den Rand des für sie Erträglichen, weil es sie so hilflos machte… so hilflos, so ohnmächtig. Es zeigte ihr umso deutlicher, dass sie ihm, der ihr mehr bedeutete als alles andere auf der Welt… nicht helfen konnte. „Das will ich auch nicht… ich will es doch auch nicht…“ Er seufzte. Sein warmer Atem auf ihrer Haut jagte ihr einen leichten Schauer über den Rücken, der in jeder anderen Situation in ihr ein Gefühl von Wohlsein hervorgerufen hätte, doch nicht in dieser. Er löste sich vorsichtig von ihr, hielt sie ein wenig auf Abstand. „Verzeih mir, ich hätte nicht davon anfangen sollen.“ Er schluckte, gab ihr einen Kuss auf die Stirn, dann ging er ins Büro. Er musste mit Heiji telefonieren. Und für morgen Abend musste noch geplant werden… Sie schaute ihm hinterher, ließ ihn aber ziehen. Shiho schaute aus dem Fenster. Gerade hatte sie ihn gesehen, wie er sich von Kogorô und dem Kommissar verabschiedet hatte, und kam nicht umhin, an seinen und Rans Besuch heute Morgen zu denken. Schwanger. Ran und Shinichi erwarteten ein Kind. Ein Kind. Papa. Er würde Vater werden… wenn sie ihm nicht diese Chance verbaut hätte. Sie hatte es in seinen Augen gesehen, richtig freuen… richtig freuen konnte er sich nicht. Es war klar gewesen, offensichtlich, dass er sich mehr Sorgen machte, als Vorfreude empfand. Er konnte sich auch auf nichts freuen, er würde bereits tot sein, wenn das Baby kam. Er würde es nicht erleben. Stattdessen musste er nun mit dem Gedanken leben, dass sein Frau sein Kind allein großziehen musste. Dass es ihn nie kennen lernen würde, niemals wissen würde, wer er war. Und sie war schuld. Es war ihm wirklich… ins Gesicht geschrieben gewesen… wie gern er sich gefreut hätte. Wirklich gefreut. Er wär gern Vater geworden, und sie zweifelte nicht daran, dass er sein Bestes gegeben hätte. Dass er als Vater versagen könnte… diese Gedanken brauchte er sich nun nicht machen. Eine Träne rollte ihr über die Wange. Der Professor stellte sich neben sie. „Shiho.“ Er schaute sie mitfühlend an. „Shiho. Ran wollte es so. Und glaubst du nicht, er wird sich irgendwann noch freuen können?“ Sie sah ihn nicht an, als sie sprach. „Ich hoffe es für ihn.“ Damit drehte sie sich um und ging. Sie ahnte nicht, wie bald sie Shinichi schon wieder sehen würde. Es war Sonntagmorgen, und in Agasas futuristischer Küche standen Yusaku Kudô, Kogorô Mori, Heiji, Shiho, und Agasa, der Hausherr persönlich und starrten Shinichi an, als ob er nun den Verstand verloren hätte. Gerade hatte er ihnen eröffnet, mit was er sie heute Abend zu beschäftigen gedachte. Heiji stand neben ihm und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Mori sah alles andere als begeistert aus. „Du willst was? Dass wir sie beschatten? Ohne Megurés Wissen seine Leute… observieren?!“ Shinichi nickte. Yusaku wandte grinsend den Kopf ab. Auf solche Ideen konnte auch nur einer kommen. Sein Sohnemann, der master of disaster himself. „Warum sagen wir Meguré nicht einfach die Wahrheit?“, fragte Kogorô, schaute seinen Schwiegersohn ein wenig verstimmt an. „Weil Heiji,“ Shinichi gab seinem Freund einen Klaps auf den Hinterkopf, „sonst seinen Job verlieren würde. Er hat gelogen, für mich, du kannst von mir nicht erwarten, dass ich ihn hinhänge…“ Yusakus Kopf fuhr herum. Er hatte sich bereits gefragt, wie es sein konnte, dass Meguré seinen Sohn noch am Fall arbeiten ließ, wenn der Mörder ihn bedrohte. Wie er Jûzô kannte, hatte er erwartet, dass er ihn sofort abzuzog. Genau das hatte er auch getan; Meguré hatte denjenigen, von dem er dachte, dass er bedroht wurde, auch aus dem Verkehr gezogen. Nur war das der Falsche. Er warf Heiji einen musternden Blick zu. Offensichtlich teilte der junge Mann seine Einschätzung, dass Shinichi diesen Fall noch brauchte… und hatte deshalb dieses Opfer gebracht. Heiji merkte, dass er beobachtet wurde, wandte den Kopf, sein Blick traf den Yusakus. Der Mann nickte nur. Heiji erwiderte die Kopfbewegung, fuhr sich dann langsam durch die Haare. „Also machen wir’s?“, fragte er laut, übertönte Shinichis und Kogorôs Debatte, die sich erbittert fortgesetzt hatte. Alle, auch Kogorô, nickten. „Gut.“, murmelte Shinichi. „Hier sind die Adressen und die Namen. Ich geh mit Heiji, Shiho mit dem Professor, und ihr zwei…“ Er warf seinem und Rans Vater einen Blick zu, „könnt euch bestimmt auch hervorragend unterhalten, wenn euch langweilig wird, nicht wahr? Bitteschön, die Adresse.“ Er reichte Agasa und seinem Vater je eine Karte. „Heute Abend ab sechs Uhr, bitte auf Position sein. Über die Mikroemitter wird Kontakt gehalten.“ Er verteilte die alten Detective-Boys-Anstecker. „Bis dann.“ Shinichi drehte sich um, ging, gefolgt von Heiji und seinem Vater wieder rüber in sein Haus. Mori schaute Agasa und Shiho ein wenig verblüfft an. Die junge Frau zuckte mit den Schultern, verschwand in ihr Labor. Der alte Professor seufzte tief. „Lassen Sie ihn.“ Er schaute ihm nach. „Sie kennen ihn doch, wenn er Blut gerochen hat, hält ihn nichts mehr.“ Yusaku holte ihn und Heiji ein. „Ich hab gehört, Meguré weiß es.“, murmelte er leise. Shinichi warf ihm einen kurzen Blick zu. „Sag doch bitte gleich, dass Meguré dich angerufen hat.“ Sein Vater seufzte. „Schön ja. Er hat gesagt, er lässt dir den Fall.“ „Ja.“ Shinichi lächelte bitter. „Meine Abschiedsvorstellung… mein letztes Problem.“ Yusaku schluckte hart. Seine Worte hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Shinichi schaute sie an, seine Augen huschten von einem zum anderen und fast bereute er seine Worte. „Hört zu, Ran darf… sie sollte nichts von heute Abend wissen, sie macht sich nur Sorgen. Also…“, wechselte er das Thema ein wenig. „Schon gut, wir gehen schon.“ Yusaku nickte. „Sag meiner Schwiegertochter einen schönen Gruß. Bis heute Abend.“ Shinichi winkte, dann ging er durch da Gartentor und rauf zur Haustür, durch die er in der Villa verschwand. Yusaku schaute ihm nachdenklich hinterher. Neben ihm stand Heiji, vergrub unsicher seine Hände in seinen Hosentaschen. „Du weißt, dass es falsch war, dass du gelogen hast.“, murmelte der Schriftsteller leise. Er seufzte schwer. „Und gleichzeitig war es das Richtigste, was du in der Situation tun konntest.“ Er wandte den Kopf, schaute Heiji an, der auf einen Pflasterstein vor seinen Schuhen schaute. „Er braucht diesen Fall… er braucht das Gefühl…“ „…noch zu etwas zu gebrauchen zu sein…“, vollendete Heiji seinen Satz. Dann schaute er auf, Shinichis Vater ins Gesicht. „Er hat mir das Telefon gegeben, mir gesagt, ich soll Meguré von den Briefen erzählen. Sie hätten ihn sehen sollen… Er selber konnte es ihm nicht sagen… aber ich konnts auch nicht. Ich hab ihn einfach so angelogen, den guten Kommissar…“ Yusaku schob ebenfalls seine Hände in seine Jackentasche. „Aber er braucht… braucht diesen Fall einfach noch… um Adieu zu sagen. Ganz davon abgesehen, dass ihm der Mörder den Fehdehandschuh hingeworfen hat. Und das kanner auf sich nich’ sitznlassn. Konnt’ er noch nie.“ Yusaku nickte schwer. „Ich danke dir. Dass du… ihm beistehst.“ Heiji strich sich langsam über den Kopf, über die Stirn, dann übers Gesicht, ließ seine Hand wieder sinken. „Ich würd’ nich’ mehr in’ Spiegel sehen können, würde ich ihn allein lassen. Einen besseren Freund als ihn werd’ ich nie mehr finden.“ Er schloss kurz die Augen. „Ich kann ihm nich’ helfen. Aber was immer dazu beiträgt, dass es ihm besser geht, ich werd’s tun.“ Heiji seufzte schwer. „Manchmal denk’ ich, das kann nich’ wahr sein.“ Er schluckte schwer. „Das kann einfach gar nich wahr sein…“ Yusaku wandte sich langsam um. „Bewahr dir den Glauben. Bewahr dir diese Momente. Denn die Realität… bringt einen an die Grenzen seines Verstands.“ Er schluckte hart, dann ging er. Heiji seufzte, dann zog er sein Handy aus der Tasche, rief sich ein Taxi. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)